Johann Wolfgang von Goethe
Mahomet. Trauerspiel in fünf Aufzügen, nach Voltaire
Johann Wolfgang von Goethe

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Vierter Aufzug

Erster Auftritt

Mahomet. Omar.

Omar
Ja, das Geheimnis das dich retten, rächen,
Den Deinigen den Sieg erleichtern soll,
Der Tod Sopirens durch Seidens Hand –
Es schwebet nah am Rande der Entdeckung.
Seide, voll Verwirrung, unentschlossen,
Hat es dem alten Hammon anvertraut.

Mahomet
Und weigert sich das Urteil zu vollziehen?

Omar
Nein! Es geschah vorher eh du zuletzt,
Mit Feuerworten, seinen Mut beseelt
Und den Besitz Palmirens ihm, aufs Neue,
Ein Bild des Paradieses, dargestellt.
Er wird gehorchen.

Mahomet
Aber Hammon?

Omar
Er
Schien mir bestürzt, er schien ein tiefes Mitleid
Mit Vater und mit Sohn zu fühlen. Seine
So lang erprobte Treue schien zu wanken,
Und diesen Mann, der deinem Willen ganz
Ergeben war, sah ich mit Zweifeln kämpfen.
Ach! rief er aus: ich hoffte, Mahomet
Sei nun gesinnt die Kinder ihrem Vater,
Als Pfänder des Vertrages, zu erstatten.

Mahomet
Ich kenn' ihn; schwach ist Hammon, und der Schwache
Wird leicht Verräter. Omar, laß ihn fühlen
Daß er Geheimnis und Gefahren teilt,
Und daß, in Augenblicken der Entscheidung,
Mir ungestraft sich Niemand widersetzt.
Entfernt er sich von seiner Pflicht; so sei
Ein läst'ger Zeuge gleich hinweggeräumt.

Omar
Das Unvermeidliche soll rasch geschehn.

Mahomet
So sei's! In Einer Stunde mag man uns
Zum Richtplatz führen wenn Sopir nicht fällt.
Er falle! Mehr bedarf's nicht! Das erschreckte Volk
Wird meinen Gott, der sich für mich erklärt,
Der mich verteidigte, verehren. Dieses ist
Der erste Schritt. Doch haftest du dafür,
Daß auch Seide gleich, wenn ihm das Blut
Des Vaters von den Händen niedertrieft,
Den Tod in seinen Eingeweiden fühle.
Ist ihm der Gift bereitet?

Omar
Schon gegeben!

Mahomet
Nun eile, blick umher, und wache, handle!
    Omar ab.
So bleibe der geheimnisvolle Knoten
Der schwarzen Taten dieses Augenblicks
Im Tod verborgen und vom Grab bedeckt.
Palmirens Vater falle! neben ihm
Ihr Bruder, ihr Geliebter! doch sie selbst,
Unwissend, werfe sich, in dieser Nacht
Des Schreckens, der Gefahr, in meinen Arm.
Willkommen, Finsternis! willkommen, Blut!
Der Leichen, der Lebend'gen starre Blässe!
Aus dieser nächt'gen Stille soll das Ächzen
Der Sterbenden ertönen, dann Gemurmel
Des aufgeregten Volks die Halle füllen.
Und das Geräusch vermehrt sich, das Geschrei.
Nach Waffen ruft der Eine, still ergreift
Der Andre schon die Flucht. Man ruft den Namen
Sopirens aus, man jammert, fordert Rache.
Doch meine Krieger, die Partei des Volks
Die mich verehrt, sie dringen an, mein Name,
Des Sieges Losung, tönt, und nieder gleich
Gestreckt sind meine Feinde, gleich verjagt –
Und zwischen den Gefahren bebend sucht
Palmire Schutz bei ihrem einz'gen Herrn.
Sie sieht mich bei dem Schein der Fackeln kommen,
Der Schwerter Blinken hält sie nicht zurück,
Kein Blut, kein Leichnam hemmet ihren Fuß,
Und über ihren eignen Vater fliegt sie weg;
Und, aufgeregt von Schrecken, Furcht und Hoffnung,
Versunken im Gefühl an meiner Brust
Gerettet sich zu sehen, halb im Traum,
Am Rande der Vernichtung, lernet sie
Der Liebe Glück in meinen Armen kennen.
    ab.

 

Zweiter Auftritt

Seide
So muß ich denn die fürchterliche Pflicht
Erfüllen! Hier und bald! Es soll geschehn.
Ich wußte meinem Herrn nichts zu erwidern,
Ein heil'ger Schauer überfiel mein Herz;
Doch überredet war es nicht. Noch jetzt
Zuckt mir durch alle Glieder bald ein Krampf,
Bald preßt er mir das Herz und bald das Haupt.
Die Kniee wanken und die Hände sinken,
Ich kann nicht vorwärts nicht zurück. Doch bald
Fühl' ich ein neues Feuer mir im Busen,
Fühl' ich das Blut in raschem Puls belebt.
Der Himmel hat's geboten, ich gehorche.
Welch ein Gehorsam! und was kostet er!

 

Dritter Auftritt

Palmire. Seide.

Seide
Palmire, wagst du's? welch unsel'ger Trieb
Kann dich an diesen Ort des Todes führen?

Palmire
Die Furcht, die Liebe leiten mich hieher.
Mit heißen Tränen laß mich deine Hände,
Geweiht zu einem heil'gen Morde, baden!
Welch schrecklich Opfer fordert Mahomet,
Und du willst ihm, willst seinem Gott gehorchen?

Seide
Du, deren rein Gefühl, du, deren Liebe
Mich ganz beherrscht, o! sprich mir mächtig zu!
Entscheide die verworrne Wut, erleuchte
Den trüben Geist, und leite meine Hand,
Statt eines Gottes den ich nicht begreife.
Warum erwählt man mich? Ist unser Gott
Denn nur ein Gott der Schrecken? sein Prophet,
Zeigt er uns nur den Unerbittlichen?

Palmire
Wer darf zu fragen, wer zu untersuchen
Sich unterstehen? Mahomet durchschaut
Die Tiefen unsers Herzens, unsre Seufzer
Vernimmt er alle, kennet meine Tränen.
An Gottes Statt wird er verehrt von allen,
Das weiß ich. Zweifeln schon ist Lästerung.
Und dieser Gott, den er so stolz verkündet,
Er ist der wahre, denn der Sieg beweis'ts.

Seide
Er ist es, denn Palmire glaubt an ihn.
Doch mein verwirrter Geist begreift noch nicht,
Wie dieser gute Gott, der Menschen Vater,
Zum Meuchelmorde mich bestimmen kann.
Ich weiß, mein Zweifel schon ist ein Verbrechen;
Das Opfer fällt, den Priester rührt es nicht,
Und so verdammt des Himmels Wort Sopiren;
Mir ruft es zu: Erfülle das Gesetz!
Vor Mahomet verstummt' ich, fühlte mich
Geehrt des Himmels Winke zu erfüllen;
Ich eilte, das Gericht schon zu vollziehn.
Ach! welch ein andrer Gott hielt mich zurück?
Als ich den unglückseligen Sopir
Erblickte, fühlt' ich meiner Überzeugung
Gewalt verschwinden, und vergebens rief
Die Pflicht zum Mord mich auf. Gelinde kräftig
Sprach an mein innres Herz die Menschlichkeit.
Dann aber griff mit Ehre und mit Würde
Mich Mahomet und meine Schwachheit an.
Mit welcher Größe, welchem Ernste, riß
Er aus dem weichlichen Gefühl mich auf.
So stand ich da, gehärtet und gestählt.
Wie göttlich-schrecklich ist Religion!
Da schien mein erster Eifer mich zu treiben:
Doch trägt die Ungewißheit mich zurück,
Von herber Wut, zum Mitleid und Verschonen.
So dränget das Gefühl mich hin und her,
Mich schreckt der Meineid, wie die Grausamkeit.
Ich fühle mich zum Mörder nicht geschaffen;
Doch Gott hat es geboten; ich versprach's,
Und ich verzweifle nun daß ich's getan.
Im Sturme siehst du mich umhergetrieben;
Die hohe Woge trägt mich zum Entschluß,
Sie reißt mich wieder weg. O könntest du
Im ungestümen Meer den Anker werfen!
Wie fest sind unsre Herzen nicht vereint;
Doch ohne dieses Opfer kann das Band,
So drohte Mahomet, uns nicht umschlingen.
Um diesen Preis nur ist Palmire mein.

Palmire
Ich bin zum Preise dieser Tat gesetzt?

Seide
Der Himmel hat's und Mahomet beschlossen.

Palmire
Soll solcher Grausamkeit die Liebe dienen?

Seide
Dem Mörder nur bestimmt dich Mahomet.

Seide
Wir Unglücksel'gen!

Seide
Doch der Himmel will's.
Religion und Liebe, beiden dien' ich.

Palmire
Ach!

Seide
Kennst du nicht den Fluch, der unaufhaltsam
Des Ungehorsams freche Weigrung trifft?

Palmire
Wenn seine Rache Gott in deine Hand
Gegeben, wenn er Blut von dir verlangt?

Seide
Um dein zu sein, was soll ich?

Palmire
Gott! ich schaudre!

Seide
Du hast's gesagt, sein Urteil ist gesprochen.

Palmire
Ich? wie?

Seide
Ja, du entscheidest.

Palmire
Welches Wort
War so zu deuten? welcher Wink?

Seide
So ist's!
Der Himmel gab ein Zeichen mir durch dich,
Und dies Orakel bleibe mein Gesetz.
Die Stunde naht. Sopir wird bald erscheinen;
Hier betet er die falschen Götter an,
Die wir verfluchen. Geh, Palmire!

Palmire
Nein.
Ich kann dich nicht verlassen.

Seide
Bleibe nicht!
Nicht in der Nähe dieser Schreckenstat.
Der Augenblick ist greulich. Fliehe! Hier,
Durch dieser Hallen säulenreiche Gänge,
Kommst du zur Wohnung des Propheten hin.
Dort bleib' in Sicherheit.

Palmire
Der alte Mann
Soll sterben?

Seide
Soll! das Opfer ist bestimmt!
Am Staube fest soll meine Hand ihn halten,
Drei Stiche sollen seine Brust durchbohren,
Und umgestürzt, von seinem Blut bespritzt,
Soll der Altar verbannter Götter liegen.

Palmire
Durch deine Hand! im Staube! blutig! Gott!
Hier ist er. Weh uns!

Der Grund des Theaters öffnet sich, man sieht einen Altar.

 

Vierter Auftritt

Sopir. Seide. Palmire.

Sopir (knieend)
Götter meines Landes!
So lange herrschet ihr und sollt ihr nun
Vor dieser Sekte neuem Frevel fliehen?
Zum Letztenmal ruft meine schwache Stimme,
Um euretwillen, euch inbrünstig an,
Verteidigt euch und uns! doch ist's beschlossen,
Daß euer Antlitz von uns weichen soll,
Daß in dem Kampfe, der sich bald erneut,
Gerechte fallen, Frevler siegen sollen,
Wenn ihr des größten Bösewichts verschont –

Seide
Du hörst, er lästert!

Sopir
Gönnet mir den Tod!
Doch gebt in dieser letzten Stunde noch
Mir meine Kinder wieder! Laßt entzückt
In ihren holden Armen mich verscheiden,
Laßt die gebrochnen Augen sie mir schließen!
Ach, wenn ich einer leisen Ahnung traue;
So sind sie nah! O zeigt mir meine Kinder.

Palmire
Was sagt er? Seine Kinder?

Sopir
Heil'ge Götter!
Vor Freuden stürb' ich über ihrer Brust.
O laßt sie unter euren Augen wandeln,
Wie ich gesinnt; doch glücklicher als ich.
    Entfernt sich.

Seide
Zu seinen falschen Göttern rennt er.

Palmire
Halt!
Was willst du tun?

Seide
Ihn strafen.

Palmire
Ach! Verweile!

Seide
Dem Himmel dien' ich, und verdiene dich.
Geweiht ist dieser Stahl dem wahren Gott.
Nun soll sein Feind durch diese Schärfe fallen.
Hinan! – Und siehst du nicht die Ströme Blut,
Die mir den Weg zum Opferplatze zeigen?

Palmire
Was sagst du?

Seide
Ja, so find' ich diesen Weg.
Er geht dahin! Ich kann mich nicht verirren.
Nur fort.

Palmire
Ein Grausen schlingt sich um uns her.

Seide
Es drängt mich hin. Die volle Zeit ist da.
Das Zeichen winkt, es bebt Altar und Halle.

Palmire
Der Himmel spricht, was kann sein Wille sein?

Seide
Treibt er mich an? Will er zurück mich drängen?
Ich höre des Propheten Stimme wieder
In meinem Ohre schallen! Meine Schwäche
Verweis't er mir, verweis't mir meine Feigheit.

Palmire
Nun?

Seide
Wende deine Stimme himmelwärts.
Ich treffe.
    Er geht hinter den Altar.

Palmire
Augenblick des Todes! Mich
Umgibt sein Schauer. Still ist alles! Still.
Doch ach! Was ruft so laut in meinem Herzen?
Warum bewegt sich heftiger das Blut?
Es ist noch Zeit, soll ich die Tat verhindern?
Verwegne! Wenn der Himmel einen Mord
Gebieten kann, hast du dich ins Gericht
Zu drängen? anzuklagen? zu entscheiden?
Gehorche! Sonst war der Gehorsam dir
So leicht, und nun woher das Widerstreben?
Ach! Weiß ein Herz was recht ist oder nicht?
Es ist getan! ein Schrei durchdringt mein Ohr.
Seide!

Seide (kommt zurück)
Ruft mich Jemand? Welcher Weg
Führt mich hinaus? Palmiren find' ich nicht!
Verlassen kann sie mich?

Palmire
Verkennst du sie,
Die für dich lebt?

Seide
Wo sind wir?

Palmire
Das Gebot,
Das traurige Versprechen ist's erfüllt?

Seide
Was sagst du?

Palmire
Fiel Sopir?

Seide
Sopir!

Palmire
O Gott,
Der du dies Blut verlangtest, stärke nun
Den schwerbeladnen Geist! Komm, laß uns fliehen!

Seide
Ich kann nicht! meine Kniee sinken ein.
    Er setzt sich.
Ach wollte Gott, daß auch das Leben schwände!

Palmire
Palmire lebt, du wolltest sie verlassen?

Seide
Palmire, rufst du mir? Ich kehr' ins Leben
Für dich zurück. Wo bist du?

Palmire
Hier, mein Freund!

Seide
O deine Hände! sie allein vermögen
Vom Rande der Vernichtung mich zu reißen.
Du lebst, ich fühle dich, und ich bin dein.

Palmire
Was ist geschehn?

Seide (steht auf)
Sie ist geschehn die Tat.
Ich habe nichts verbrochen, ich gehorchte.
Mit Wut ergriff ich ihn, der Schwache fiel,
Ich traf, ich zuckte schon den zweiten Streich;
Ein jämmerlicher Schrei zerriß mein Ohr,
Vom Staub herauf gebot die edelste
Gestalt mir Ehrfurcht, seine Züge schienen
Verklärt, es schien ein Heil'ger zu verscheiden.
Die Lampe warf ihr bleiches Licht auf ihn,
Und düster floß das Blut aus seiner Wunde.

Palmire
Komm, laß uns flüchten, komm zu Mahomet!
Er schützt uns gegen alle. Zaudre nicht!
Wir schweben in der tödlichsten Gefahr.

Seide
Das Blut versöhnt die Gottheit, sagen sie,
Gewiß versöhnt das Blut der Menschen Grimm.
Ich fühlte mich erweicht als ich es sah,
Im raschen Strom, das weiße Kleid durchirren.
Ich wandte mich, er rief mir. Welche Stimme!
Seide, rief er, du Geliebter? mich?
Unglücklicher! Er sank, ich seh' ihn liegen,
Er zuckt, er stirbt. O! daß ich neben ihm,
Von diesem Dolch getroffen, sterbend läge!

Palmire
Man kommt! Ich zittre für dein Leben! Flieh,
Wenn du mich liebst!

Seide
Die Liebe nenne nicht.
Sie riß mich zu der Schaudertat hinab.
Die Liebe darfst du nennen? sprachst du nicht
Das Todesurteil dieses Mannes aus?
Du hießest es vollstrecken, ich gehorchte
Nicht Mahomet, dem Himmel nicht, nur dir.

Palmire
Mit welchem Vorwurf kränkest du mein Herz!
Verschone mich, die nur für dich besorgt ist,
Die so verwirrt wie du, verloren, schwankt.

Sopir erhebt sich hinter dem Altar und erscheint an denselben gelehnt.

Seide
Erscheinet mir ein Geist? Erhebet mir
Sopir sich aus dem Grabe?

Palmire
Ach! er ist's!
Der unglücksel'ge Mann! Im Todeskampf
Schleppt er sich mühsam gegen uns heran.

Seide
Du willst zu ihm?

Palmire
Ich muß, ich seh' ihn schwanken,
Ich muß ihn unterstützen. Reue treibt
Mich weg von diesem Anblick, Mitleid zieht,
Ach! und ein mächtiger Gefühl mich hin.

Sopir (tritt hervor, von ihr unterstützt)
Ich danke dir für diesen letzten Dienst.
Wie freut mich noch dein Anblick! o Palmire!
    Er setzt sich.
Und Undankbarer, du ermordest mich?
Nun weinst du? Schmilzt die Wut in Mitleid auf?

 

Fünfter Auftritt

Die Vorigen. Phanor.

Phanor (nachdem er, pantomimisch, sich mit dem Geschehenen bekannt gemacht)
Ihr Götter, sollt' ich solchen Jammer sehen!

Sopir
Kommt Hammon etwa? Phanor, seh' ich dich?
Dies ist mein Mörder.

Phanors Gefährten gehen voll Entsetzen ab.

Phanor
Schreckliches Geheimnis!
Verruchte Tat! Es ist dein Vater!

Seide
Wer?

Palmire
Sopir?

Seide
Mein Vater?

Sopir
Götter!

Phanor
Hammon stirbt,
Er sieht mich, ruft mich. Eile, ruft er aus,
Eil, einen Vatermord zu hindern! Halt ihn auf,
Seidens Arm; den blutbegier'gen Stahl
Entreiße seiner Hand. Ich bin gestraft.
Zu schrecklichen Geheimnissen, Verrat
Und Kinderraub, mißbraucht mich Mahomet,
Und nun bestraft mich er, der mich verführte.
Von seinen Händen sterb' ich! sterbe gern,
Wenn mir Sopir verzeiht und in Seiden
Palmirens Bruder, seinen Sohn erkennt.

Palmire
Mein Bruder! O mein Vater!

Sopir
Kinder! meine Kinder!
O! meine Götter! Ihr betrogt mich nicht,
Als ihr für sie in meinem Herzen spracht,
Mich zu erleuchten. Unglücksel'ger Jüngling
Wer konnte dir den Vatermord gebieten?

Seide (zu seinen Füßen)
Gehorsam, Pflichten, Liebe meines Volks,
Religion und Dankbarkeit, das Höchste,
Was Menschen nur ehrwürdig scheinen kann,
Hat mich zu dieser Greueltat geleitet.
O daß zu deinen Füßen ich verginge!

Palmire
Er klagt sich an, ich bin die Schuldige,
Verzweifelnd und beschämt muß ich's gestehn.
O welch ein Wunsch riß uns im Wahn dahin!
Wie schrecklich war der Lohn des Vatermords!

Seide
Des Himmels Rache ruf auf uns hernieder,
Verfluche deine Mörder!

Sopir
Meine Kinder
Umarm' ich. Welche hohe Gunst vermischt
Mit diesem allertiefsten Elend das Geschick!
Ich segn' es! da ich sterbe lebt doch ihr,
O meine Kinder! die zu spät ich wieder
Gefunden, dich Seide, dich Palmire!
Bei allen heil'gen Kräften der Natur,
Bei diesem väterlichen Blut beschwör' ich euch.
Erhaltet euch, indem ihr Rache fordert.
Der Morgen kommt, der Stillstand wird erlöschen.
Da sollte sich mein Plan entfalten, da
Der siegende Verbrecher unterliegen.
Nicht alles ist verloren, wenn dein Arm
Zu einer großen Tat sich kühn erhebt.
Das Volk versammelt sich bewaffnet hier.
Mein Blut sei ihre Losung; führe sie,
Und des Verräters letzter Tag ist da;
Wir harren kurze Zeit.

Seide
Ich eile gleich!
Das Ungeheuer falle; doch auch ich.
Gerochen sollst du sein, und ich gestraft.

 

Sechster Auftritt

Die Vorigen. Omar. Gefolge.

Omar
Ist das Gerücht, daß sich verbreitet, wahr?
Seiden haltet! steht Sopiren bei!
In Ketten diesen Mörder! Mahomet
Ist des Gesetzes kräftiger Vollbringer.

Sopir
Der Missetat Vollendung soll ich sehn!

Seide
Mich strafen! Mahomet?

Palmire
Du darfst, Tyrann!
Mit diesem Munde, der den Mord befahl?

Omar
Nichts ist befohlen worden.

Seide
Ich verdiene,
Leichtgläubig, wie ich war, den herben Lohn.

Omar
Gehorcht, Soldaten!

Palmire
Darfst du wohl? Verräter!

Omar
Palmire wird, wenn sie Seiden liebt,
Gehorchen. Mahomet beschützet sie,
Und hält den Blitz, der eben treffen soll,
Vielleicht zurück, doch nur um ihretwillen.
Zu ihrem König folgt sie willig mir.

Palmire
So vielem Jammer war ich aufgespart!

    Man führt Palmiren und Seiden ab.

Sopir
Man führt sie weg? o! unglücksel'ger Vater!
Mit diesem Faden reißt dein Leben ab.

Phanor
Schon wird es Tag, das Volk versammelt sich,
Man kommt, dich zu umgeben, edler Greis!

Sopir
Sie wären meine Kinder!

Phanor
Zweifle nicht.

 


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