Johann Wolfgang von Goethe
Die Aufgeregten
Johann Wolfgang von Goethe

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400 Dritter Aufzug.

Erster Auftritt.

(Saal im Schlosse.)

Gräfinn. Hofrath.

Gräfinn. Ich geb' es Ihnen recht auf's Gewissen, theurer Freund! Denken Sie nach, wie wir diesem unangenehmen Prozesse ein Ende machen. Ihre große Kenntniß der Gesetze, ihr Verstand und ihre Menschlichkeit helfen gewiß ein Mittel finden, wie wir aus dieser widerlichen Sache scheiden können. Ich habe es sonst leichter genommen, wenn man Unrecht hatte und im Besitz war: je nun, dacht' ich, es geht ja wohl so hin, und wer hat, ist am Besten dran. Seitdem ich aber bemerkt habe, wie sich Unbilligkeit von Geschlecht zu Geschlecht so leicht aufhäuft, wie großmüthige Handlungen meisten Theils nur persönlich sind, und der Eigennutz allein gleichsam erblich wird; seitdem ich mit Augen gesehen habe, 401 daß die menschliche Natur auf einen unglücklichen Grad gedrückt und erniedrigt, aber nicht unterdrückt und vernichtet werden kann: so habe ich mir fest vorgenommen jede einzelne Handlung die mir unbillig scheint, selbst streng zu vermeiden, und unter den Meinigen, in Gesellschaft, bey Hofe, in der Stadt, über solche Handlungen meine Meinung laut zu sagen. Zu keiner Ungerechtigkeit will ich mehr schweigen, keine Kleinheit unter einem großen Scheine ertragen, und wenn ich auch unter dem verhaßten Nahmen einer Demokratinn verschrien werden sollte.

Hofrath. Es ist schön, gnädige Gräfinn, und ich freue mich Sie wieder zu finden, wie ich Abschied von Ihnen genommen, und noch ausgebildeter. Sie waren eine Schülerinn der großen Männer, die uns durch ihre Schriften in Freyheit gesetzt haben, und nun finde ich in Ihnen einen Zögling der großen Begebenheiten, die uns einen lebendigen Begriff geben von Allem was der wohldenkende Staatsbürger wünschen und verabscheuen muß. Es ziemt Ihnen Ihrem eignen Stande Widerpart zu halten. Ein Jeder kann nur seinen eignen Stand beurtheilen und tadeln. Aller Tadel herauswärts oder hinabwärts ist mit Nebenbegriffen und Kleinheiten vermischt; man kann nur durch seines Gleichen gerichtet werden. Aber eben deßwegen weil ich ein Bürger bin, 402 der es zu bleiben denkt, der das große Gewicht des höheren Standes im Staate anerkennt und zu schätzen Ursache hat, bin ich auch unversöhnlich gegen die kleinlichen, neidischen Neckereyen, gegen den blinden Haß, der nur aus eigner Selbstigkeit erzeugt wird, prätentios Prätentionen bekämpft, sich über Formalitäten formalisirt, und ohne selbst Realität zu haben, da nur Schein sieht, wo er Glück und Folge sehen könnte. Wahrlich! wenn alle Vorzüge gelten sollen: Gesundheit, Schönheit, Jugend, Reichthum, Verstand, Talente, Klima, warum soll der Vorzug nicht auch irgend eine Art von Gültigkeit haben, daß ich von einer Reihe tapferer, bekannter, ehrenvoller Väter entsprungen bin! Das will ich sagen, da wo ich eine Stimme habe, und wenn man mir auch den verhaßten Nahmen eines Aristokraten zueignete.

(Hier findet sich eine Lücke, welche wir durch Erzählung ausfüllen. Der trockene Ernst dieser Scene wird dadurch gemildert, daß der Hofrath seine Neigung zu Luisen bekennt, indem er sich bereit zeigt ihr seine Hand zu geben. Ihre frühen Verhältnisse, vor dem Umsturz den Luisens Familie erlitt, kamen zur Sprache, so wie die stillen Bemühungen des vorzüglichen Mannes, sich und zugleich Luisen eine Existenz zu verschaffen.

Eine Scene zwischen der Gräfinn, Luisen und dem Hofrath, gibt Gelegenheit drey schöne Charaktere näher 403 kennen zu lernen, und uns für das, was wir in den nächsten Auftritten erdulden sollen, vorläufig einiger Maßen zu entschädigen. Denn nun versammelt sich um den Theetisch, wo Luise einschenkt, nach und nach, das ganze Personal des Stücks, so, daß zuletzt auch die Bauern eingeführt werden. Da man sich nun nicht enthalten kann von Politik zu sprechen, so thut der Baron, welcher Leichtsinn, Frevel und Spott nicht verbergen kann, den Vorschlag, sogleich eine Nationalversammlung vorzustellen. Der Hofrath wird zum Präsidenten erwählt und die Charaktere der Mitspielenden, wie man sie schon kennt, entwickeln sich freyer und heftiger. Die Gräfinn, das Söhnchen mit verbundenem Kopfe neben sich, stellt die Fürstinn vor, deren Ansehen geschmälert werden soll, und die aus eigenen liberalen Gesinnungen nachzugeben geneigt ist. Der Hofrath, verständig und gemäßigt, sucht ein Gleichgewicht zu erhalten, ein Bemühen, das jeden Augenblick schwieriger wird. Der Baron spielt die Rolle des Edelmanns, der von seinem Stande abfällt und zum Volke übergeht. Durch seine schelmische Vorstellung werden die Andern gelockt ihr Innerstes hervorzukehren. Auch Herzensangelegenheiten mischen sich mit in's Spiel. Der Baron verfehlt nicht Carolinen die schmeichelhaftesten Sachen zu sagen, die sie zu ihren schönsten Gunsten auslegen kann. An der Heftigkeit, womit Jacob die Gerechtsame des gräflichen Hauses vertheidigt, läßt sich eine stille, unbewußte Neigung zu der jungen Gräfinn nicht verkennen. Luise sieht in allem diesen nur die Erschütterung des häuslichen Glücks, dem sie sich so nahe glaubt, und wenn die Bauern mitunter schwerfällig werden, so erheitert 404 Bremenfeld die Scene durch seinen Dünkel, durch Geschichtchen und guten Humor. Der Magister, wie wir ihn schon kennen, überschreitet vollkommen die Grenze, und da der Baron immerfort hetzt, läuft es endlich auf Persönlichkeiten hinaus, und als nun vollends die Brausche des Erbgrafen als unbedeutend, ja lächerlich behandelt wird, so bricht die Gräfinn los und die Sache kommt so weit, daß dem Magister aufgekündigt wird. Der Baron verschlimmert das Übel, und er bedient sich, da der Lärm immer stärker wird, der Gelegenheit mehr in Carolinen zu dringen und sie zu einer heimlichen Zusammenkunft für die Nacht zu bereden. Bey allem diesen zeigt sich die junge Gräfinn entschieden heftig, parteyisch auf ihren Stand, hartnäckig auf ihren Besitz, welche Härte jedoch durch ein unbefangenes, rein-natürliches und im tiefsten Grunde rechtliches, weibliches Wesen bis zur Liebenswürdigkeit gemildert wird. Und so läßt sich einsehen, daß der Act ziemlich tumultuarisch, und, in so fern es der bedenkliche Gegenstand erlaubt, für das Gefühl nicht ganz unerträglich geendigt wird. Vielleicht bedauert man, daß der Verfasser die Schwierigkeiten einer solchen Scene nicht zur rechten Zeit zu überwinden bemüht war.)



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