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Alle kirchliche Symbolik ist ihrem ewigen Inhalte nach stehend, unbeweglich, unveränderlich und unwandelbar; darum auch keines Wachsthums, keiner Abnahme und keiner Zunahme fähig. Der Form nach reicht sie aber, im Träger ihres Mysteriums, in die geschaffene Welt hinab und in die Gebiete des Werdenden; ist also auch den Gesetzen des Werdens unterworfen; tritt mithin in die Geschichte ein, und verändert sich in ihr und wächst mit ihr. Jener im Seyn gevestete Inhalt, mag er nun in der Natursymbolik seine Form in der Welt aufsuchen, oder in der Historischen im Laufe der Geschichte, oder in der dichterischen Sage in der Einbildungskraft, oder in der Wissenschaftlichen im Geiste und seinen Gedankengebilden; in allen diesen Fällen bietet er eine Seite der Welt des Wandelbaren, getheilt in Himmel und Erde, dar, und das in sich Unbewegliche greift in das Bewegliche ein, und stärkt, bewährt und rundet sich in seiner Form an ihm. Wir wollen das zunächst in der dichterischen Symbolik nachweisen, und die Veranlassung dazu wird uns der bedeutsame Umstand geben: daß mit der Ausstellung des heiligen Gewandes auch die Ausstellung der Bildsäule Göthes zusammen getroffen. Betrachtet man nun die Legende und die symbolische Dichtungsart des Mittelalters in allen ihren Gebilden; dann kann man sich nicht verbergen, daß eine große Willkühr in der Behandlung des Stoffes in ihr hervortritt. Mit aller Wirklichkeit springt sie wie mit einem preisgegebenen, nicht weiter zu achtenden Gegenstande um, von dem sie sich nicht im mindesten binden läßt, und mit dem sie nach Gutbefinden verfährt; weder auf die Umstände des Ortes noch der Zeit Rücksicht nehmend. So erliegen im heiligen Rocke mit den Riesen ganze Heere vor dem Schwerte Davids; durch den Stein müssen die Zwerge die Wege weisen, und zwischen Trier und Jerusalem ziehen die bewaffneten Massen her- und hinüber wie die Figuren des Schachbrettes. Diese Willkürlichkeit ist selbst dem, der die Dichtung in Prosa aufgelöst, nicht entgangen und er sagt darüber: »Nun möchte man fragen, wie diese Ding alle also möchten geschehen seyn?« Hierauf ist zu antworten: »Gott dem Herrn sind alle Ding möglich und leicht zu thun; auch findet man in allen Geschichten, geistlich und weltlich, daß keiner noch je sey verlassen und betrogen worden, der da gehofft hat in Gott dem Herrn und seiner werthen Mutter; die vielmehr immer und in allen Nöthen bei ihm gestanden sind.« Aber Gott, wenn er Wunder ausgehen läßt, thut sie wohl über die Natur, nie aber wider die Natur; er gebraucht sich ihrer Gesetze, nicht um sie aufzuheben, sondern um sie zu erfüllen; indem er das Irdische steigernd, das in ihm verborgene überirdische Element enthüllt, und durch die höhere Natur seiner Wirksamkeit das irdische Gesetz nur erhöht, indem er es aus seiner Befangenheit befreit. Die Handlungsweise Gottes kann also den Dichter nicht rechtfertigen, wenn er, mit allen Gesetzen der Wirklichkeit im Widerspruche, in einer blos phantastischen Welt seine abentheuerlichen Gebilde sich bewegen läßt. Das hat die neuere Zeit gar wohl gefühlt: und wie die Kirche die eigentliche Legende, durch eine kritische Untersuchung der Thatsachen, in ihre Schranken eingewiesen; so hat man auch bald, nachdem die blühende Schöpfungszeit in der Kunst des Mittelalters vorübergegangen, und schrankenlose Willkürlichkeit mehr und mehr eingerissen, auch hier die Nothwendigkeit einer Begränzung durch Natur und Wirklichkeit anerkannt. Die Reformation hat nach ihrer Weise auch dabei stürmisch durchgegriffen; statt dem Beispiele der Kirche zu folgen, und, wie die romanischen Völker gethan, den Faden der volksmäßigen Eigenthümlichkeit in schärferer Fassung und Rundung fortzuspinnen, hat sie ihn gewaltsam abgerissen und ans griechische Alterthum angeknüpft. Der Gang volksmäßiger Entwicklung war dadurch abgebrochen; aber der Vortheil wenigstens war gewonnen, daß die plastische Meisterschaft der alten Kunst, und die abgeschlossene Vollendung in ihrem Gebiete, einen festen Anhaltspunkt gegeben, auf dem sich fortbauen ließ. Die neudeutsche Kunst hat auf diesem Grunde fortgebaut und Göthe auf ihm seine Meisterschaft errungen. Wie jene alten Plastiker den Marmor, so hat er das Wort zu handhaben verstanden; und wie jene den Stein mit dem Wort belebt, so wußte er das Wort in dem Stein in schönster Form zu verleiblichen. Jenem gälischen Ewion gleich, hat er alle Zauberkräuter der Kunst im Kessel der Ceridwen gesotten, bis die drei Lebenstropfen an die kunstfertigen Finger angeflogen; und in ihnen ist er in seinem Gebiete hellsehend worden, und damit er der Natur ihre Geheimnisse absehe, hat er dann die große Wanderung durch ihre Reiche angetreten. Vom Lichte an ist er durch die Morphen und Amorphen vorgeschritten; über die Erde ist er hingegangen, in den Wässern hat er untergetaucht, in die Lüfte sich erhoben; als Weizenkorn unter den Pflanzen sproßend, ihre Metamorphose belauscht. Der eigenen Mutter hat er sein Daseyn abgewonnen, also daß sie ihn als ihr eigenstes Kind wiedergeboren, wo er dann im Schifflein am Wehr gelandet. Taliesin, d. i. Strahlenstirne, war der Name des Kindes; das, als es die Augen zum ersten aufgeschlagen, schon Poesie geredet, und bald zum Meister der neuen, auf die irdische Natur fundamentirten Kunst erwuchs; ein Meister, wie seines Gleichen Deutschland in diesem Gebiete noch nicht gehabt, und wie es seines Gleichen sobald nicht wieder sehen wird. Aus dem Naturbecher hat er seine Gabe sich angetrunken; aber den Kelch des höheren Lebens über der Natur verschmäht; eine innere Scheu hat ihn davon abgetrieben, weil er ihn in seinen Wegen zu irren drohte. Aber obgleich auch er von dem Alfanz seiner Confessionsverwandten nicht unberührt geblieben, hat er doch immer mit Mäßigung, dem ihm verhüllten Mysterium gegenüber, sich gehalten; darin ungleich Schillern, der unselten zu unanständiger Heftigkeit sich verleiten lassen. Denn Göthe ist ein Natursymboliker gewesen, weil hier sein Streben nach Naturwahrheit volle Befriedigung fand; und so ist es ihm geschehen, daß sein größtes Werk in eine wenn auch schadhafte Symbolik, zum Schrecken der Zeitgenossen, umgeschlagen. Zur Aufgabe hatte er sich gestellt, im Faust an der Geschichte des Theiles seines Volkes, der dem Geiste der Verneinung sich verschrieben, nachzuweisen, was Gott der Herr Anbeginns schon vorgesehen: Ein guter Mensch, wenn auch von diesem Geiste von seinem Urquell abgezogen, ist sich des rechten Weges wohl bewußt, und der Böse kann ihn nicht erfassen. Da folgt er nun dem Irrstem aus allen seinen regellosen Bahnen, aus dem Gesumpfe am Blocksberg, durch alle Kreise des Lebens, des Wirkens und des Gedankens; in allen gleich maaßlos und verworren nach dem Absurden strebend. Am Ende will er, ein mit allen mechanischen Kräften ausgerüsteter Titan, den Fluthen eine neue Welt abtrotzen, in der nicht eine Spur der alten überbleiben soll. Eben haben die Flammen die letzte arme Kapelle mit dem Sterbeglöckchen der alten Zeit, verzehrt; da nahen dem Stürmenden endlich die vier letzten Dinge nach seinem Begriffe: Der Mangel, die Schuld, die Noth und die Sorge mit ihrer Blindheit, und der Tod; die Uhr steht still, der Zeiger fällt, es ist vollbracht; die geschäftigen Lemuren haben im länderverbindenden Canale ihm nur sein Grab gegraben. Der Körper liegt und die Seele will entfliehen; wie soll nun der verneinende Geist den blutgeschriebenen Titel geltend machen? Das verbriefte Recht des Mephistopheles ist nicht abzuläugnen; er hat sein Wort gehalten; der Andere hat darauf nach allem Herzensgelust gebaut; es ist geboten, daß auch er sein Wort erfülle, auch dem Satan kann nicht das Recht geweigert werden; vor jedem Gerichte wird er seinen Rechtshandel gewinnen. Der Kreis der Verneinung ist rundum abgeschlossen, nur jenseits bei der Bejahung kann noch Hilfe gesucht werden; bei dem Bruder, der nicht mit dabei gewesen, und nicht den Brief mit seinem Blute unterschrieben. Als daher Mephistopheles sich zur Hilfe die Teufel aufgeboten, da kommen von der andern Seite die Engel herangeschwebt: wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen; mit diesem zweideutigen Spruche haben sie sich zum Kampfe gerüstet und ermächtigt. Sie setzen das gute Liebesfeuer dem grimmen Höllenfeuer entgegen, und seine Flammen werden überwunden; die drei Lebenstropfen sind aus ihm hervorgegangen, die Seele durch sie erfrischt, wird per fas et nefas davon getragen. Nun läßt der Dichter sie in der ansteigenden Metamorphose, wie er selbst die absteigende bei seiner Dichterweise eingehalten, allmälig reinigen; durch die eingehaltenen Stufen katholischer Ordnung in den Engelschören, bezeichnet nicht ganz treffend durch den Pater ecstaticus in der Höhe, den seraphicus in der Mitte, und den profundus in der Tiefe, läßt er sie aufsteigen; die Chöre unschuldiger, frühe verstorbener Kinder nehmen dann sie auf; lösen ihr die elementarischen Flocken ab, und bringen sie vor die Himmelskönigin im Sternenkranze, umgeben von den Büßerinnen, die Alle, Gretchen an der Spitze, Vorbitte einlegen. Und die Herrscherin der Welt, das höhere geistige Vorbild der Erdmutter in der Tiefe, diese nämlich nach ihrer lichten Seite hin, verzeiht; der Sünder ist gerettet, und in die höheren Kreise aufgenommen; denn das ewig Weibliche zieht uns hinan! So hat aller heidnische Apparat zuletzt nur zu einer Huldigung der Wahrheit hingeführt; und was der Mund ein ganzes bewegtes Leben hindurch verschwiegen, das hat im Kunstwerke sich verrathen. Aber mehr Licht! mögten wir für den Dichter mit ihm rufen. Wie Luther durch den Glauben, so hat er durch die Liebe die Rechtfertigung zu erwirken geglaubt, aber dabei die ewige Gerechtigkeit verletzt; die Kirche aber lehrt sicherer: nur im Glauben und der Liebe, denen alsdann auch die Werke nimmer fehlen, wird die Hoffnung auf Rechtfertigung realisirt. Wilh. v. Schütz ist in seiner Schrift: Göthes Faust und der Protestantismus. Manuscript. Für Katholiken und Freunde, 1844. einige Wunderlichkeiten abgerechnet, zu ähnlichem Resultat in seiner durchgeführten Untersuchung gelangt, wie er denn auch anderwärts den Shakespeare der Kirche vindizirte. Dieser Dichterkönig hat also zwar seinen triumphirenden Auszug aus den Pforten der Negation angetreten; aber treu und ehrlich suchend und forschend, hat er immer sein Angesicht der positiven Wahrheit zugewendet; und sein guter Geist hat ihn ihr näher und näher geführt, und ihm zuletzt einen Blick ins Land der Verheissung gestattet. Viele von seinen Kunstgenossen, die nach ihm in seine Fußstapfen getreten, haben sich umgewendet; und ihr Antlitz der Negation zukehrend, sind sie immer weiter von der Wahrheit abgekommen; und zuletzt einem rein negativen Kunstradicalism anheimgefallen, auf dessen Erzeugnisse der Name der Blume Teufels-Abbiß am besten paßt, und in dem sie sich mehr und mehr in einem wirren, wüsten Treiben verlaufen und verrennen. Als die Stadt Frankfurt in letzter Zeit sich entschlossen, diesem ihrem Insassen eine Bildsäule aufzustellen; da hätten sie gerne die Feier zu einem Triumphfeste für ihre Sache gemacht. Die Frankfurter Kaufherren haben das Geld zu dem Unternehmen beigeschossen, sind aber sonst ihren Geschäften nachgegangen. Es war also an denen, die ein solches Interesse an der Sache gefaßt, ihrem Zwecke gemäß, die Festbesucher zu laden und beizutreiben. Das ist nicht geschehen, und die Sache ist dürftig ausgefallen, und die Getäuschten haben ihren Verdruß an den Festgebern ausgelassen. Aber die Sache war nicht ohne Fügung, theils des Gefeierten wegen, theils um der Welt schlagend zu demonstriren: wie tief innerlich auch das rein menschliche Interesse an der Dichtung seyn möge, es doch völlig incommensurabel mit dem Interesse im Volke am religiösen Elemente sey. Die Ironie, die Jemand durch eine Aussetzung des Rockes des Dichters gegen Trier hin wenden wollte, hat ihren schärfsten Stachel nun gegen die Feier in Frankfurt selbst gekehrt. Göthe selbst ist dadurch unberührt geblieben; er seinerseits hat eingesehen, daß der Faust, und also der Theil der in ihm personificirten Nation, nicht ohne Kirche zum Ende komme. Der wahre Faust bleibt aber doch immer einem Katholischen zu schreiben über.

Die Tunica ist in der Naturwissenschaft das Symbol des Sternengewandes der Himmel; während in dem Mantel das der elementarischen Naturen, die unter dem Himmel sind, sich ausdrückt. Die Himmel sind durch den Lichtstrahl wie mit einem glänzenden Bande unter sich verbunden; der Strahl aber ist die fließend gewordene Einheit selber; die Sterne bescheinen sich einander mit ihren leuchtenden Augen in eigenem und nicht in fremdem Lichte gegenseitig; sie verhalten sich daher nicht leidsam gegeneinander, sondern thätig, weil jeder den Andern in sich selber findet, und alle also durcheinander leuchtend sich in einer Einheit sehen. Die irdischen Naturen sind aber zweigetheilt, denn Eines ist immer aufs Andere angewiesen, und mag nicht ohne dasselbe seyn; alle solche Naturen erkennen sich daher nur in sinnlicher Weise, die eines dritten Leuchtenden bedarf, von dem sie ausgeschieden, sich selber auch innerlich scheiden. Der Himmel ist also mehr im Bilde des Seyenden gewirkt, die Erde mehr im Gleichnisse des Werdenden; was also an jenem mehr die Natur der Idee an sich hat, das hat an der andern mehr die des Sinnlichen im Wiederschein der Ersten. Wie das Höhere, Untheilbare, sich selbst Gleiche am tieferen Getheilten und Veränderlichen zur Darstellung kömmt; so wird dieses Untere am Obern seinen Halt, sein Gesetz und seine Ordnung finden. So wird also die Idee im Sinnlichen umgetragen, erst in ihm ihre Bestätigung und rechtverstandene Einheit finden; die Begriffe an den Ideen ihre rechte Fassung, und also werden Beide gegenseitig sich erläutern und erklären. Nun ist nicht zu läugnen, daß von Platon angefangen, und den Platonikern auch die wissenschaftliche Symbolik des Mittelalters allzu willkürlich in ihrer Synthese verfahren, und den Begriff unterschätzend jene Berichtigung verschmäht. Darum hat sich schon frühe auch in der Schule die Rückwirkung erhoben, die auf die sinnliche Erfahrung im Gebiete des Werdenden sich geworfen, und von dieser Seite her eine neue Begründung versucht. Die Reformation hat diesen erwachten Trieb verstärkt, und seither ist Großes von daher geleistet worden; und wenn von der Seite des Getheilten her eine, auf die Naturwahrheit basirte Kunst sich der Symbolischen gegenüber erhoben; so hat eine gleiche auf die Erfahrung und Analyse gegründete Naturwissenschaft in allen Gebieten, der Natursymbolik gegenüber, sich aufgebaut. Um diese zu pflegen und schneller ihrem Ziele entgegenzuführen, haben in neueren Zeiten Gesellschaften sich zusammengethan, die alljährlich Deutschland in allen Richtungen durchziehen, und also gesellig vereint ihren Zwecken nachgehen. Das ist nun an sich und ohne fremde Zuthat, gut und schön und lobenswerth, und dem katholischen Volke in Deutschland ist es nicht eingefallen, dagegen Einspruch zu thun. Warum wollen nun aber die bodenlosen Schreier diesem Volke wehren; daß es auch seinerseits seinen Zwecken nachgehe, und um die Gegenstände seiner Verehrung sich gesellig in Massen sammle? Da ist Niemand, der seinen unteren Ständen ein weiches Bett bereite; glücklich wenn die Hospitalität seiner Brüder ihm eine Streu unterbreitet, auf der sie sich niederlassen mögen. Die Keller werden ihm nicht aufgethan, daß es mit Champagner vollends zu gelehrtem Vorhaben sich begeistere, und die Resultate dieser Begeisterung in den Toasten der Gastmähler von sich gebe; sein Mahl, so gut es aufzubringen, hat es selber im Zwergsack mitgebracht, und wenn es all die Leckerbissen aufgezehrt, legt es sich wohl auch auf offner Straße nieder, und schläft, nachdem es sein Abendgebet verrichtet, ruhig nach starker Ermüdung ein. Es wird nicht auf den Eisenbahnen herumkutschirt; die Hoffuhrwerke führen es nicht zu allen Merkwürdigkeiten hin; auf den Theatern werden ihm nicht alle Tugenden vorgespiegelt, alle Laster aber in Natura gezeigt; von allem dem wird nichts aufgeführt. Nur die Kirche thut ihm ihre Thore auf; es geht hin, ist vergnügt in seinem Herrn, und kehrt in Ruhe und Gelassenheit wieder; die Füße, die die Wandernden hingetragen, versagen ihm auch ihre Dienste auf der Heimkehr nicht. Und dieser cultivirte Janhagel, den man füglich und naturgemäß in einen schreibenden Janhagel und einen lesenden eintheilen kann, wagt es, dies Volk einen Pöbel zu schelten, und ihn in einen vornehmen Pöbel und einen geringen abzutheilen. Wahrlich! diese Gesellen, die der Wind erzeugt und die Leere ans Licht geworfen, sie sind nicht werth den Geschmähten die Schuhriemen aufzulösen! Das Volk ist nach Trier gezogen, und wird fortan ziehen, die Früchte hat jeder in seine Heimath zurückgetragen. Die Früchte aber, die aus diesen wissenschaftlichen Zügen hervorgehen, hängen von dem in ihnen herrschenden Geiste ab. Es kommt nämlich darauf an, wo haben die Ziehenden ihr Antlitz hingerichtet; suchen sie die allgemeine, unvergängliche, in sich einige und darum wahrhaft segnende, allen Zeiten gegenwärtige Wahrheit; oder suchen sie mir die Bestätigung dessen, was sie als wahr sich eingebildet, und ins eigene Haus zu ökonomischem Gebrauch sich eingeschlachtet, zerlegt, gesalzen und über ihrem Heerde zum Räuchern aufgehangen. So den gesellig Ziehenden, wie den in Abgeschlossenheit ruhenden Wissenschaften dieser Zeit, ist ein doppelt Angesicht herausgewachsen. Das Eine schaut nach dem Positiven hin, das Andere von ihm abgekehrt, hat seinen Augenpunkt im Negativen. Welchem weisenden Auge die Wissenschaft in diesen Tagen vorherrschend folgt, ist selbst den stumpfsten Cretinen im Thalsumpf kein Geheimniß geblieben. Das Vorwärts hat sie aus eigener Macht dem vom Schöpfer gewollten Rückwärts zugetheilt, und so ist das wahre Vorwärts ihr ein Rückwärts worden. Sie hat nun, um die volle Umkehr zu erwirken, eigene Deputationen in allen Zweigen ernannt; und die lassen aufs emsigste sich angelegen seyn, durch alle Instanzen wie das Hinten zum Vorn, so auch das Oberste zum Untersten zu machen; das Linke ins Rechte umzusetzen, und das Innerste zum Aeußersten zu kehren. Darum hat denn auch ganz folgerecht in jener Gesellschaft von Berlin der Vorstand gerathen: um dem inneren Menschen beizukommen, den Aeussern im gegenseitigen Liebesdienst tüchtig durchzugerben; ein Versuch, den die Gensdarmen durch plumpen Eingriff, mitten in seinem heilsamen Ablaufe, zum Bedauern aller nahen und fernen Zuschauer, gestört. Dem zum Zeichen sehe man, welche Aufnahme Schellings positive Philosophie gefunden. Wie Göthe vom Negativen in der Kunst, so hat Schelling vom Negativen in der Wissenschaft und im Protestantismus den Ausgang genommen; beide aber haben, der Wahrheit treu beflissen, ihr das Antlitz und nicht den Rücken zuwendend, die Weltgegenden nicht umgekehrt; und so hat der Eine am Ende seiner Laufbahn den Faust durch die drei Stationen der Mystik zur Erlösung zu führen sich verstanden; der Andere aber die negative Philosophie durch den mythologischen Prozeß und seine Stufen, zum Positiven, und somit zu Fichte's seligem Leben zurückgeleitet. Die Kirche wird dem Werke Beider ihr Siegel nicht aufprägen, aber sie wird der Gesinnung Gerechtigkeit widerfahren lassen. Nun höre man aber auf den Halloh, den Schellings Unterfangen erregt, und den Widerhall, den er in allen Gewölben der radikalen Schule erweckt; der Widerspruch hat in allen Tonarten, über die er gebietet, sich vernehmen lassen. Die Zeit hat diese positive Philosophie ausgespien, denn das Organ dafür ist ihr eingeschwunden. Wie aber ein Uebel, das in den edelsten Organen hervorgetreten, von oben nach unten herabsteigend, die tiefer gelegenen Gliederungen allmählich überzieht und den zunächst gelegenen zuerst sich mittheilt; so wird, wer zuvor alles Religiöse in der Wissenschaft negirt, so fort auch die Philosophie selber bald zu verneinen sich gedrungen finden; und so haben wir denn auch erlebt, daß unsere Naturforscher vor wenig Jahren die Philosophie auspochend vor die Thüre gesetzt. Wie dann unsere Philologen durch lange Zeit den Geist aus der Sprache vertrieben, und blos mit dem todten Wort handthierend, seine Crystallisation, und wenns hoch gekommen, seine Wahlverwandtschaft studirt; so sind sie dadurch mit gutem Beispiel unseren Aerzten vorangegangen, die, nachdem in ihnen der Träger alles Geistigen scyrrhös geworden, auch im Oganism nicht ferner mehr irgend ein Geistiges statuiren, und nur blos im Leiblichen herumwühlen. Unsere Naturforscher endlich, während unter ihren Händen die Natur sich mehr und mehr wider ihren Willen bekräftigt und begeistigt; haben sich ihrerseits, um ein Gegengewicht zu bilden, zum größeren Theile verknöchert und petrifizirt, und vertreiben den Geisterspuk der früheren Zeit glücklich mit den systematisch in ihren Beinhäusern aneinandergereihten Gerippen und Todtenschädeln der Naturen, die sie abgeschlachtet, vor denen dann die Naturgeister erschrocken das Weite suchen. So haben die Geburtshelfer unserer kreißenden Zeit glücklich die Wendung vollbracht, nun aber beginnt ein widerwärtiger Umstand sich anzumelden. Als wir uns kopfunter haben stellen lassen, sind wir mit unserem edelsten Theile der Region nahe gekommen, in die unsere einfältigen Altvordern den Satanas versetzt, und von dem bösen Wandnachbar wird uns der Kopf etwas stark eingenommen. Die Trinität mit der Maria und allen ihren Heiligen hätten wir nun freilich im Rücken; da treibt aber der Teufel sein Spiel und schiebt uns lachend einen höllischen Ternar unter: Satan den Vater, die tiefste Einheit alles Bösen; Satan den Sohn, die ausgegangene Idee des Vaters; endlich die im Geiste wieder zurückgenommene Idee; zuletzt noch, um das Sanclissimum zu schließen, des Teufels Großmutter, die Königin des Abgrundes, die Ahnfrau all seiner seligen Bewohner. Die einzige Hoffnung ist zurückgeblieben: es ist alles Fabelwerk, und der kühne Sterbliche schon geboren, dem ein Schlund gegeben ist, geräumig genug, um den ganzen Höllenspuk aufzunehmen. Dann ist Alles wieder nach den Weltgegenden richtig und wohl orientirt, und der ganze theologisch-mythologische Prozeß geendet: im Empyreum des Hochmuths ist der ehmals untere Ternar eingewohnt; in der unteren Niedertracht ist der sogenannten Dreiheit eine schickliche Wohnung bereitet, in der Mitte ruht die edelste Humanität. Mag nun in ihr das Licht mit dem Feuer sich abfinden, das darf sie nicht weiter kümmern: denn der Brei ist nun gar gekocht, und wird ins Irrenhaus zur Labung der Eingesessenen abgeliefert.

Wie also die Kunstsymbolik gleich der Wissenschaftlichen besonders in ihren Trägern den Fortschritt in sich aufgenommen, so wird es auch um die kirchliche Symbolik beschaffen seyn. Der Inhalt ihrer Symbole ist als ein Gegebenes, Tatsächliches ihrer Huth nur anvertraut; ihr ist also die Macht genommen, hinwegzunehmen oder hinzuzusetzen; aller Fortschritt kann nur darin bestehen: die unergründliche Tiefe und Fülle ihres Reichthums immer mehr zu entfalten und aufzuschließen. Diese Entfaltung wird von ihrem Träger den Ausgang nehmen, in dem sie in die Strömung irdischer Dinge hineinragt; und der keimhaft wie das beschlossene Mysterium selber, sich in ihr zu erschließen beginnt, und nun der in ihm ruhenden Einheit gleichfalls Raum gibt, sich zu entfalten, und ihren inneren Reichthum auseinander zu legen und dadurch kund zu thun. – Die Kirche ist nun die Pflegerin dieses Weinberges, sie bestellt den Acker, dem diese Ideensaat anvertraut worden; und sie trägt Sorge, daß ihre Entwicklung unter Einwirkung des höheren Lichtes gesetzlich erfolge. Sie hat also einmal ihre innere Triebkraft im geistigen Boden zu pflegen, und ihr gehörigen Raum zu schaffen; andererseits aber vor störenden Einflüssen sie zu bewahren, damit sie unter der nachtheiligen Einwirkung des Bösen in ihrer Entfaltung nicht geirrt werde, und nicht etwa hinter dem Ziele zurückbleibe, oder es allzu üppig überwachse. Sie treibt also und hemmt; überall aber das Richtmaaß im Auge haltend, übt sie eine strenge Critik. Diese Kritik aber ist durchaus positiver Art. Gott bejaht das Gute, und verneint das Böse, denn die Elohim kennen den Gegensatz der Mächte. Die Kritik der Kirche ist ein Reflex dieses Göttlichen in der Creatur; sie setzt das Gute als die These, das Böse als die Antithese. In der Ausübung dieser Critik gebraucht die Kirche sich eines doppelten Apparates: der lebendigen Tradition, mit dem Leben von Geschlecht zu Geschlecht übergehend, und der Schrift ruhend im Stoffe. Sie achtet das Urkundliche dieser Schrift nach Gebühr, läßt aber durch keinen Aberglauben sich bestechen, es zur ausschließlichen Leiterin zu machen; sie kennt das Bewegliche der Tradition, läßt aber durch die Furcht vor dieser Beweglichkeit sich nicht verleiten, in Glaubenssachen sie zu verwerfen, weil sie ihre Bewegung gehütet weiß durch den Geist von oben, und überdem auf das Gewissen der Bewahrer zählt. Sie gebraucht sich also beider Apparate, den Einen durch den Andern bestätigend, und Beide sich wechselseitig durcheinander ergänzend. Dieser positiven Critik wird eine andere Negative gegenüber sich stellen. Sie setzt das Böse als die These, das Gute als die Antithese. Sie erkennt das Gute noch an, wie die Kirche es bestimmt; legt ihm aber nur eine begränzende, antithetische Wirkung bei. Der Betrug aber ist auf Erden das überall Vorherrschende; bei dem meisten was geschehen, sind trügerische Kräfte wirksam gewesen; der Schalk im Menschen ist am ersten zugesprungen, und das Mässigende später erst eingetreten. Also ist das Erstgesetzte die Lüge und der Irrthum, das Ungesunde gewesen; die Critik hat die Wahrheit erst zu entbinden, damit das Erkrankte gesunden möge. Die Tradition, am krankenden Menschen haftend, muß mithin als Zeugin verworfen werden; nur der in sich neutrale Buchstabe wird zugelassen. Man sieht, diese Art negativer Critik ist nur die eine Seite der Negativität; die Andere würde durch die entgegengesetzte Ansicht eingenommen: alle schriftlichen Denkmale sind Werke des Betrugs, im Finstern geschmiedet, wo keine Controle möglich ist; die einzige Zeugin der Wahrheit ist die Oraltradition, von Geschlecht zu Geschlecht authentisch überliefert, und durch das Zugegenseyn einer großen Mehrheit von Zeugen gesichert und controlirt. Beide Ansichten würden bald miteinander in Kampf gerathen, der entweder durch gegenseitige Aufreibung mit dem Unglauben enden; oder bei gegenseitigem Geltenlassen in der höheren positiven Ansicht der Kirche, die beide Wahrheitszeugen annimmt, sich versöhnen würde. Die Kirche, die gemischte Natur des Menschen gar wohl erkennend, hat ihr überall Rechnung gehalten; und kein Mittel der Berichtigung verschmähend, aber auch von Keinem zur Einseitigkeit sich verleiten lassend, ist es ihr gelungen, durch so viele Jahrhunderte die Einheit ihres Glaubens unverrückt zu bewahren, und sie den künftigen Zeiten in der gleichen Unversehrtheit zu überliefern.

Wenn die Kirche in dem Wesentlichen dieser ihrer Glaubenslehre mit Recht auf diese Art der Critik ihrer Gegner keine Rücksicht nehmen durfte; so ist es ein Anderes mit den Lehren zweiter Ordnung, die in ihrer gesonderten Ausführung unwesentlicher erscheinen, so z. B. mit der Reliquienverehrung. Es läßt sich nicht läugnen, in diesem Punkte hat oft die gleiche überfahrende Willkürlichkeit statt gefunden, wie wir sie im Gebiete der Kunst und Wissenschaft gefunden. Das Mittelalter, des Glaubens bis zur Uebersättigung voll, hat ihn von allen Seiten ausströmen lassen; und nun das zu Grunde liegende Princip mit einer Micrologie ausgebildet, die oft bis nahe an das Absurde streift. Da der Vorwand der Erbauung aufsteigende Bedenklichkeiten leicht niederschlug; so hat man oft sträfliche Leichtsinnigkeit sich nicht übel genommen, und die Habgier sich wohl auch einen frommen Betrug erlaubt. Die Kirche im Allgemeinen und einzelne ihrer Angehörigen haben zu aller Zeit gegen diesen Mißbrauch geeifert; und die Thatsachen, die wir darüber kennen, haben wir ihrem Eifer zu verdanken. Es ist daher klar, daß in diesem Punkte schärfer zugesehen werden muß, als sonst in andern an sich wichtigeren Fällen. Es ist also ein Liebesdienst, den die Gegner der Kirche ihr erweisen, wenn sie die ganze Schärfe neuerer Critik einzelnen Gegenständen dieser Art entgegenwenden; mit dem Vorbehalt jedoch, daß die Kirche auch wieder mit ihrer höheren Critik ihre Untere prüfe. Es ist wie bei der Canonisation der Heiligen; die gute Seite und die schlimme Seite haben ihre eigenen Vertreter, und es wird vom Advokaten des Teufels keineswegs vorausgesetzt, daß der Dämon aus seinem Munde rede. Die Schrift von Gildemeister und Sybel hat beim vorliegenden Gegenstande diese Rolle übernommen. Das Decorum hat sie gerettet, indem sie in der Vorrede das kirchliche Gebiet streng von dem historischen geschieden; das gleiche Decorum wird auch in dem gleichen Maaße, wie sie es eingehalten, von Seite der Katholischen zu beobachten seyn. Wenn in solchen Dingen Tradition und authentische Schrift im Widerspruch erscheinen, dann werden sie die Erste auf sich beruhen lassen; aber nicht gestatten, daß, wenn das geschriebene Wort schweigt von dem Gegenstande des Lebendigen, dies dadurch ungültig werde. Marx hat aus dem Gesichtspunkte der Kirche ein gutes Buch über den heil. Rock geschrieben; mit hinlänglicher Gelehrsamkeit, so weit es sein Zweck erforderte. Hätte er diese ganz ausgeschlossen, dann hätte man von Fanatikern geredet, die vom Lichte der Zeit sich ferne halten; nun er es gethan, beschuldigt man ihn, daß er gebuhlt mit unzulänglicher Wissenschaft, und glaubt mit einem ausbündigen wissenschaftlichen Schaugepränge ihn zu beschämen und niederzuhalten. Der Apparat, wie die Verfasser, unterstützt von ihren Glaubensverwandten, ihn zusammengetragen, ist, wenn auch nichts bedeutend Neues bietend, doch auch für die Katholischen dankenswerth; wenn sie ihn aus eigenem Besitze noch ergänzen, dann giebt er ihnen eine vollkommene Uebersicht alles Vorhandenen über den Gegenstand; und es wird ihnen dann leicht seyn, neben dem Bau der selbstzufriedenen Gegner einen Andern aufzurichten, der ihm Licht und Sonne abgewinnt. Sie dürfen nur immer da, wo diese einen katholischen Satz als an sich absurd aufstellen, dreimal zusehen; und in gleicher Weise dort verfahren, wo sie einen eigenen Satz als sich von selbst verstehend, einführen; und die Hauptpunkte im Grundriß ihres Baues sind schon gefunden. Die Gegner glauben die Länge und die Farbe des Rockes mit der damaligen gemeinen Landessitte im Widerspruche, und werfen die characteristische Meinung hin: es möge wohl das Gewand eines Baalspfaffen gewesen seyn; wahrscheinlich eines der 450, die auf dem Carmel vor dem Altar des Gottes gestanden, und die Elias am Cison getödtet. Die braunen Flecken im Gewande erklären sich dann leicht für Brandflecken vom Altare des Herren ausgegangen; die Verschossenheit des Purpurs aber durch den dreijährigen wolkenlosen Himmel, der vor der Catastrophe über Israel gestanden. Wie aber das Zeugniß aller Augenzeugen gegen die Purpurfarbe, auf ein mit grau gemischtes Braun, die Farbe des Zunders etwa, sich vereint; so wird der Einwurf von der Länge durch die Annahme, es sey der lange Prophetenrock gewesen, den Christus zur Einsetzung seines Sacramentes am Vorabend angelegt, den er mit auf den Oelberg genommen und in dem er dann zum großen Opfer gegangen, sich beseitigen. Helena soll, im Widerspruche mit den der Begebenheit nächsten Geschichtschreibern, das Kreuz nicht gefunden haben, damit Trier sich nicht auf sie berufen könne. Der Pilger, der im J. 333 auf Ort und Stelle das Kreuz noch nicht gesehen, wird dem zum Zeugniß angeführt. Er kam, als man noch an der Basilica über der Gruft baute; als man an den noch vorhandenen Spuren der alten Stadt, ihren Hügeln, Mauerresten, Thoren, den geschonten Burgthürmen, den Teichen, den Grundmauern des Tempels und des Palastes, und dem Prätorium des Pilatus sich eben orientirte; das Kreuz war also begreiflich noch nicht aufgestellt. Es ist bis zum Rohen tactlos, wenn die Verfasser die Paraphrase der Stelle aus der Vita Agricii bei Marx geflissentlicher Fälschung bezüchtigen; da vielmehr ihre Umschreibung der Worte: verissima narrationa majorum didicimus mit: »aus unbestimmten Gerüchten, Vermuthungen, die sich nicht auf den Schatten einer früheren Ueberlieferung gründen, lernen wir«, vielmehr die Gegenbeschuldigung vollkommen motivirt. Die ganze Erzählung ist nur sagenhafte Fassung der Thatsache: den Kasten umschwebt ein geistig kirchliches Geheimniß, wer vorwitzig in das Allerheiligste einzudringen wagt, wird mit Verlust des Augenlichtes gestraft. Das galt, wie es scheint, für die ganze Zeit vom Anfange der Völkerwanderung bis zu ihrem Ende in den Normannenzügen. Im Anfange, nach der Hunnenfahrt, hatte man den verschlossenen Kasten, das besiegelte Geheimnis der Vorzeit, noch gerettet; in der Normannenzeit aber wurde auch dieser aufs Neue hinter Mauern und Wänden eingesiegelt, und nur eine verrissima narratio, aber allmälich verhallend, blieb wie bei dem von Bremen in der Kirche von Loccum zurück. Darum gedenkt der Abt Theofried seiner nicht; die Domkirche kann die Authentica nicht erneuern lassen, weil sie ihren Gegenstand nicht mehr vorzuzeigen im Stande ist; die Erinnerung daran wird blos in der Paraphrase der Früheren festgehalten. Endlich als Erzbischof Joannes, vieles im Dome ändernd, manche Mauer niedergeworfen, entsiegelt er die erste und die zweite umhüllende Decke des Verborgenen und stellt ihn auf dem Hochaltare aus. In diesem natürlichen Fortschritt der Dinge darf man die Stelle des Brower, der, umgeben von allen Urkunden des Domarchives, das im Kriege geflüchtet seinem rechtmäßigen Eigenthümer noch immer vorenthalten wird, sein Buch geschrieben, nicht verwerfen; man darf die inventio tunicae nicht mit der Exaltatio verwechseln; sondern es legen ohne gelehrten Prunk die Thatsachen sich von selbst in rechte Ordnung. Diesem Baue gegenüber kann die Kritik noch viele Gebäude ähnlicher Art, wie die Verfasser das Ihrige in ganerbschaftlicher Gemeinsamkeit aufführen; alle diese Bauwerke können sich in eine critische Stadt von einem critischen Volk zusammenthun; das wahre Volk der nächsten Generation aber wird an diesen Schnurrpfeifereien vorüberziehen, dem Gegenstande seiner Verehrung entgegen; der selbst wenn es sich klar herausstellte, daß er nicht mit dem ursprünglichen Gewand identisch wäre, immer als ein durch die Verehrung so vieler Jahrhunderte geweihtes Gnadenbild, die Seinige mit ungeschwächter Macht in Anspruch nähme.

Die negative Critik hat zu aller Zeit der Kirche sporadisch, dann auch massenhaft gegenübergestanden, und die Kirche hat sie dann von der Gemeinschaft ausgeschlossen. Das Gleiche ist auch in der Reformationszeit geschehen, wo sie neuerdings sich mit Macht erhoben, und das Positive theilweise zu läugnen angefangen. Als die Kirche auch hier glatt abgeschnitten; da haben unter den Führern des Protestantismus, zwei ungleiche Hälften sich abgelöst. Das kleinere Fragment hat auf das übergebliebene positive Element fussend und der Kirche das Angesicht zuwendend, eine Wiederannäherung gesucht, wie neuerdings die Puseyiten in England. Es ist Vielen gelungen, bis auf eine größere oder kleinere Entfernung dem Ziele nahe zu kommen; die aber haben den besten Theil gewählt, die einfach zur Kirche zurückgekehrt. Der andere Theil aber ist unaufhaltsam von Stufe zu Stufe der völligen Negativität zugestürzt; und die am eiligsten gewesen, sind jetzt auch in diesem Gebiete die Ersten beim entschiedensten Radicalism angelangt. Dieser Zustand, der dem Heiligen gegenüber, wie der Wasserscheue in der Nähe des Flüssigen, in allen Kräften bis zur Raserei sich aufgeregt findet, ist ein Dämonischer, und die, welche sich damit behaftet finden, hat man ehmals Besessene genannt: ein Uebel, das wie es scheint, jetzt epidemisch sich verbreitet, und, aus anderen Bewegungssystemen in die geistigen übergewandert, in weniger auffallenden, aber dafür einflußreicheren Symptomen hervortritt. Das hat sich eben neuerdings an dem Gewand in Trier bei der negativen Presse bewährt, die sein unvorhergesehenes Erscheinen in einen solchen jammervollen Zustand versetzt; daß sie aller Besinnung baar und ledig, mit entstelltem Gesichte geifert, und in vielfältigen Thierstimmen heult und faucht und bellt; wie eine Orgel vollständig in allen bestialischen Registern, nur daß einzig die vox humana, sonst aber keine Stimme fehlt. Das ist nämlich eine Eigenschaft des Heiligen, daß der verneinende Geist, und Alle, die mit ihm im Rapporte stehen, seine Nähe nicht vertragen. Schon die äussere Kirche, von Stein erbaut, ist ihnen ein Abscheu, sie können ihre Luft nicht leiden, und werden sie in ihre Nähe gebracht, dann nimmt die Abstoßung im Quadratverhältniß der Annäherung zu. Endlich mit Gewalt ins Innere derselben gedrängt, wiederholt sich dasselbe Spiel mit dem Altare. Der Centralpunct dieser Fliehkräfte aber ist nun das Sakrament des Altares, dessen Erscheinen oder Vorübergehen schon ein unwiderstehliches Gegenstreben in diesen Geistern weckt; die außer sich gerathend in Verwünschungen gegen den Götzendienst ausbrechen. Beugt die Knie! beschwören dann die Exorcisten; sie stürzen nieder, springen aber wieder auf, non flectamus genua, levate! brüllen sie entgegen, es ist Sünde vor dem Abgott uns zu beugen. Das sind alles Symptome, die allerdings unverkennbar aber unbescholten auf eine Besessenheit bei dieser Presse deuten. Auch dieß ist merkwürdig, daß die Anwesenheit der vier Hauptteufel, denen die Exorzisten vielfältig begegnet, sich deutlich bei der Kranken verspüren läßt. Da ist der gespassige Possenreisser, der sich im Humore festzusetzen sucht, und von nichts redet als Essen, Trinken, Gutleben; die Schweine mit Biscuit und Rahm zu füttern räth, damit sie ein zartes Fleisch für die Leckermäuler sich anschaffen, und nur von Lustbarkeiten und Ergötzlichkeiten weiß, um den Geplagten von allen ernsthaften Gedanken abzuführen. Da ist der zweite der Zotenreißer, der von nichts als fleischlichen Wollüsten und Unflätereien zu reden weiß; die Sachen hat er in poetische Formen eingewickelt, das geht die Kehle dann leicht und glatt hinunter, und die Kranke, die von den Pastillen zu eifrig genascht, der ist gar behaglich zu Muth geworden, »und heimlich Kätzchenhaft natürlich«, und der Liebesspuk hat sich ihr auch auf die Haut geworfen, und sondert sich Beule an Beule für die geneigten Leser aus. Da kommt dann weiter der dritte herangezogen, der hat sich in den zornigen Theil gesetzt, und wirft mit Gotteslästerungen, Blasphemien, und vorhabenden Uebelthaten um sich; geifert fort und fort gegen die Kirche, lästert Alles, was zu ihr und ihrem Meister hält; verläumdet, ehrabschneidet und kocht Gift und Galle gegen Alles, was nicht zu seiner Sippschaft zählt. Endlich zieht auch der vierte heran, der ist gar der ärgste und der Hegemon von Allen; hat sich in den Hochmuth gesetzt, und Hoffart und Prahlerei, und Sichselbstüberheben, und Renommiren und Prächtigthun ist sein beständiges Geschäft. Da prangt die Besessene dann wie eine Königin, redet mit stolz aufgerichtetem Haupte Niedertracht, während nur hochfahrende Eitelkeiten ihr im Kopfe wirbeln. Wo dieser Prahlteufel einmal eingekehrt, da verkleistert er Augen und Ohren, daß sie keiner Berichtigung und Dämpfung ihrer Aufgeblasenheit weiter empfänglich sind. Solche haben dann nicht etwa bloß alle Vortrefflichkeit, sondern sie sind diese Vortrefflichkeit selber; die also stehend gewordene Vortrefflichkeit kann aber nicht verbessert noch auch verschlechtert werden; und so geht der Puterhahn hochausgerichtet einher, mit den Flügeln die Erde streifend, den Schweif auseinander schlagend. So ist der bedauerliche Zustand der Patientin, und der hl. Rock hat die Sache vollends zum Ausbruche gebracht; denn seither ist es, als ob die unsaubern Geister in Legionen eingewandert, nach Maaßgabe wie sie vor der unwillkommenen Erscheinung ausgefahren. Bei der Ausstellung im Jahre 1512 ist schon Aehnliches geschehen. Da hat 19 Jahre später Luther gesprochen: »wie hat der Teufel hie todte Knochen, Kleider und Geräthe aufgemutzt. Wie sicher hat man allen Lügenmäulern geglaubt? wie ist man gelaufen zu den Wallfahrten, welches Alles der Papst, Behörden, Pfaffen, Mönche haben bestätigt, oder ja zum wenigsten geschwiegen, und die Leute lassen irren und das Geld und Gut genommen. Was that allein die neue Bescheißerei zu Trier mit Christi Rock? Was hat hier der Teufel großen Jahrmarkt gehalten in aller Welt, und so unzählige falsche Wunderzeichen verkauft? Ach was ist's, daß Jemand davon reden mag? Wann alles Laub und Gras Zungen wären, sie könnten alle dieß Bubenstück nicht aussprechen.« Luthers Warnung an seine lieben Deutschen 1531. Ein Jahr früher aber hat er sich vernehmen lassen: »Und war dies nicht ein sonderlicher, meisterlicher Beschiss mit unseres Herren Rock zu Trier? wie hernach dieselbe schändliche Lugen ist offenbar worden. Was haben alle lutherischen Neuigkeiten gethan gegen diesen einigen Betrug und Schalkheit? Aber hier war niemand, der Neuigkeit beschreien oder auch anzeigen konnt. Wie alt ist die Wallfahrt gen Grammenthal, Regensburg, der Rock zu Trier und viel mehr? Waren sie nicht neu vor 10, 20, 40 Jahren?« Lutheri Vermahnung auf den Reichstag zu Augsburg 1530. Man sieht, Luthern ist die ganze Geschichte des Rockes unbekannt geblieben: er meint, seine Pfaffen hätten ihn vor 40 Jahren neu zusammengeschneidert; alle Wunder dabei schreibt er dem Teufel zu: ein schreiendes Unrecht, das er an dem Unschuldigen geübt, wofür dieser aber zu unserer Zeit vollkommene Satisfaction und Ehrenerklärung erlangt, da alle seine Anhänger jetzt klar einsehen, daß er gar nicht existirt. Jene vier Capitalgeister sind unterdessen beim Jahrmarkt doch dabei gewesen, und damal in die Schmutz-, Lügen-, Schmäh- und Stinkliteratur gefahren, die sich um die Wiege der Reformation her, wie jetzt an ihrem Schmerzenslager aufgestellt, und mit ihrem Charivari sie begrüßt.

Diese Wunderwelt, von der Luther hier geredet, und die er, wie sie damals wie jetzt den heil. Rock und alles Katholische umfängt, in dieser Stelle, wie anderwärts dem Teufel übergeben; ist nach dessen Abgang von der gegenwärtigen Zeit weiter befördert, und mit ihm den Nichtrealien, den Dingen, an die man nicht denkt, und von denen man daher nur mit Widerwillen redet, zugewiesen worden. Die Kinder dieser Zeit haben über sie untereinander Umfrage gehalten; glaubst du an die Wunder? ganz und gar nicht! Aber du? Larifari! und wieder du? dummer Aberglauben! so haben Hunderte und Tausende und Millionen gegenseitig sich befragt, und sich garantirt, daß es keine Wunder in der Reihe der Dinge geben könne. Jeder hat gezeugt: mein Vater hat auch keine geglaubt, mein Großvater und so von Geschlecht zu Geschlechte hin. Aber eure Aelterväter haben doch daran geglaubt? Das ist ja eben der Schaden Josephs gewesen, darum sind sie auch die Bornirten geblieben. Aber die Katholischen glauben doch daran! ja die Dummen, die Aufgeklärten sind Alle unserer Meinung; selbst die Geistlichen thun nur desgleichen, als ob sie glaubten, ihres Vortheils wegen. Also ist der Finalbeschluß: alle Menschen, die Zähler sind, glauben nicht an Wunder, nur die Nenner glauben noch in ihrer Beschränktheit; je größer aber ihre Ziffer, um so kleiner der Werth des Bruches. Unterdessen lassen die Wunder durch diese einstimmigen Bannbriefe sich nicht todtschlagen; sie blicken den Bannfluchern ironisch durch die Fenster, und halten wie fliegender Sommer ihre Fahrt durch alle Lüfte. Das incommodirt denn nun die Leute, daß sie mürrisch werden und verdrüßlich, und die Andringenden mit Gewalt abhalten. So untersucht doch wenigstens! wir wollen nicht, es bedarf keiner solchen Untersuchung des Quarks; denn er ist von Natur aus abgeschmackt! Aber glaubhafte Leute haben es doch gesehen, und geben Zeugniß! Was glaubhaft! wer ein Wunder bezeugt, wird darum unglaubhaft; er wird mit dem Gaukler eingesperrt. Dieselbe Sache ist jedoch öfter vorgekommen! Ein Beweis, daß die Gaukler eine Linie bilden. Wie kann aber Geschichte bestehen, wird das Zeugniß der Augenzeugen verworfen? Die Geschichte wird auch dem Truge nur abgekämpft. Aber die Natur? Die hat auch ihre Täuschungen. Aber Alles in ihr hat doch sein Gesetz! Die Täuschungen nicht minder, und werden in ihr nothwendige Illusionen! Aber wie, wenn ihr selber Zeugen wäret? Wir würden uns selber keinen Glauben schenken. Wie nun, wenn durch ein Wunder euer Unglauben in Glauben verwandelt würde? Wir würden es für eine unnatürliche Umkehr halten, und aus dem Traume des Zauberschlafes zu erwachen uns anstrengen! So wäre also Alles eitel Trug? Was nicht wiegt und tönt und scheint; was sich nicht schnaufen, verschlucken und wieder von sich geben läßt, ist alles nichtig und eitel! – Das ist die Philosophie dieser Zeit, die sich eine ausgemachte Virtuosin in aller Gelehrsamkeit und Wissenschaft zu seyn schmeichelt. Hat sie sich die chemische Zersetzung eines Mausedrecks vorgesetzt, dann wiegt sie ihn erst sorgfältig ab, löst ihn dann in Wasser auf, um das Salzigte abzusondern und zu prüfen; er wird dann mit Alkohol übergossen, um die Harzbestandtheile aufzulösen; der Rückstand im Filtrum wird sofort eingeäschert, und die erdigten Bestandtheile werden abgesondert und nach ihren Gewichten scharf bestimmt. So verfährt die Analyse in diesen Dingen; an den höheren, die gerade am meisten den Menschen ansprechen sollten, der auf etwas höheres Anspruch macht, als den ersten Platz in der Zoologie einzunehmen, rennt er vorüber, ohne sich aufzuhalten, um in seinen Drecklaboratorien sich einzuschließen. Man kann sich also leicht vorstellen, welche krampfartigen Zufälle die erste Nachricht von den Wunderheilungen, die in Trier vorgefallen seyn sollten, bei diesen Enthusiasten erregte. Die junge Gräfin v. Droste Vischering hat die Unbehutsamkeit gehabt, sich von dem heil. Rocke in Trier geheilt zu glauben. Ihr geschieht nun wie dem geheilten Blinden im Evangelium des Johannes; sie wird vor die Pharisäer geladen, mit ihr die Aerzte und die Angehörigen. Frage: was glaubst du, wer dich geheilt? Ich glaube, es ist der Herr gewesen. Das Gericht zu den Angehörigen und den Aerzten gewendet: Diese hier Anwesende, ist wie ihr sagt, krank gewesen und contract, wie ist sie denn nun gehend worden? Die Aerzte erwiedern: krank und contract ist sie gewesen; wie sie heil geworden, nachdem sie den Rock gesehen, wissen wir nicht. Die Angehörigen aber sprachen: wir wissen, daß sie unsere Verwandte ist; aber woher es kömmt, daß sie jetzt geht, wissen wir nicht, sie ist bei ihren Jahren, fragt sie selber. Sie rufen sie daher nochmal vor, und sprechen: gieb Gott die Ehre, wir wissen, daß dieser Rock ein unterschobener ist, wie konnte er dir Heilung bringen? Sie: ob er unterschoben ist, ist mir unkund; das nur ist mir kund, daß ich gelähmt gewesen, und nun gehe. Was hat er dir denn angethan, wie hat er dir den Fuß gestreckt? Ich habe es schon einmal euch gesagt, warum wollt ihr es noch einmal hören; wollt ihr auch etwa zum heil. Rocke wallfahrten. Die Pharisäer: Fluch über dich! du bist eine Götzendienerin deines Rockes, wir aber dienen dem Herrn im Geiste und der Wahrheit; ihn kennen wir, von dem Rocke aber wissen wir nicht, von wannen er gekommen. Die Geheilte erwiedert: es ist wunderbar, daß ihr sagt, ihr wißt nicht von wannen er sey, und hat er mir doch meinen Fuß geheilt; hätte nicht Gott durch ihn gewirkt, er hätte es nicht gekonnt. Das Gericht: Du in der Sünde und Finsterniß des Aberglaubens geboren und erzogen, willst uns etwa gar belehren! Du bist nicht geheilt und thust nur so aus einem Anfluge von Eitelkeit; eine Sehne ist dir gesprungen, je zu zweien mühen die Deinigen dich führen, damit du dich nur mühsam hinschleppen kannst. Damit stießen sie Alle zur Thüre hinaus und sprachen, nicht ferner mehr von der Sache. Bei der wunderbaren Nichtheilung bedauerten die Menschenfreunde nur die arme Kranke, deren Gefühl ihres Leidens durch die Vereitlung der Hoffnung erhöht werden muß; und die sich wahrscheinlich schämt, nach dem Glanze der ausposaunten Heilung wieder zu den Krücken zu greifen. Es ist einer der unglücklichen Zufälle, wie sie, seit der Corporal die Brücke bei der Schlacht von Leipzig zu ungelegener Zeit gesprengt, häufig einzutreten pflegen, daß die Sehne gerade vor dem heil. Rocke reißen mußte. – Die Katholischen lassen die ausgepichten Thoren ihre Straße laufen, und haben ihrerseits nicht Ursache, vor den Wundern wie vor Geistern sich zu fürchten. Sie wissen, daß die Evangelien auf solchen Wundern ruhen; sie wissen weiter, daß der, welcher sie gethan, noch immer in ihrer Mitte lebt; und daß also die, welche sich noch jetzt begeben, Ausflüße von ihm sind, durch die er sein fortdauerndes Leben bewährt. Seine Lehre hat sich, wie in Parabeln so in Symbolen ausgesprochen; eben so hat er gehandelt, das heißt, er hat diese Symbole auch in wundervollen Thaten geübt. Wunder sind ihnen daher nichts als höhere Einheiten des Thuns, in den gewöhnlichen Lauf der Dinge ausgesäet; die eine ungewöhnliche Ursachlichkeit in ihre Mitte pflanzt, und die dann in eigenthümlicher Geschichte in ihre Wirkungen sich entfalten. Sie stellen aber nicht Treibjagden auf solche Wunder an; sondern nehmen nur, wenn sie ihnen begegnen, die Geschenkten mit dankbarem Gemüthe hin. Sie rufen auch nicht gleich Mirakel, wenn ihnen ein ungewöhnliches Ereigniß begegnet; sie halten dem Zufall Rechnung, vor Allem aber der Natur, deren Mitwirkung bei jeder Veränderung im Lebenskreise sie in keiner Weise läugnen; ohne eben darum, wie die Heiden gethan, Gott die Ehre dabei zu rauben, und sie ausschließend der Creatur zuzuwenden. Vor Allem suchen sie der Thatsache sich zu versichern; sie sind daher nicht leichtgläubig, und bemühen sich vor Allem, das Ergebniß in ganzer Reinheit und Begränzung auszumitteln. So haben sie auch hier gehandelt. Wenn irgend ein auffallendes Ereigniß sich zugetragen, haben die Bürger in Trier, die als Ehrenwächter des Gewandes immer zugegen gewesen, bei den Geheilten und um sie her, alle nöthige vorläufige Erkundigung eingezogen, und darüber einen förmlichen Act zu Papier gebracht. Während daraus die erbosten Gegner in den Zeitungen gelärmt und geschrieen; hat man ruhig, von der Behörde aus, Verbindungen in den Wohn-Orten der angeblich Geheilten, mit den Aerzten und Andern, denen ein Urtheil in der Sache zukam, angeknüpft. Die Resultate dieses durch und durch verständigen Verfahrens wird man dem Drucke übergeben. Stadtkreisphysikus Hansen hat sich der ärztlichen Untersuchung der vorgekommenen Fälle wunderbarer Heilungen, dem Vernehmen nach etwa 30 an der Zahl, angenommen, und wird die Resultate einer unverzagten aber auch scharfen Prüfung bekannt machen. Bis dahin werden die Katholischen ihr Urtheil zurückhalten; die Andern aber schon wieder eine Lücke finden, durch die ihr scharfer Verstand einen ehrenvollen Rückzug macht; oder sie werden noch lieber, wenn die Sache nicht nach ihrem Wunsch ausfällt, innerlich verdrüßlich und äußerlich verächtlich, wie es in ähnlichen Fällen nun schon zur süßen Gewohnheit geworden, gänzlich schweigen; in den wenigen Exempeln, wo die ungraduirte Heilkunde sich bewährt, sich tröstend mit den täglichen Wundern, die die Graduirte mit ihren Extracten und Essenzen wirkt. So sind also die Katholischen im Allgemeinen, und die Rheinländer insbesondere, im Vortheile der Vernünftigkeit, ihren unvernünftigen Gegnern gegenüber, die sie der Wundersucht und des Aberglaubens beschuldigen; und die so lange rücklings vor Beiden ausgewichen, bis sie kopflang in den Graben des Unglaubens geplumpt.

Aber auch der Preis der practischen Historie wird den Katholischen zuerkannt werden müssen, denn sie nehmen die Weltgeschichte, wie sie Gott mit ihren Vätern gemacht, und setzen das Werk mit seiner Hilfe nach besten Kräften fort; ohne das, was vergangen, aus engen, kleinen Augen, nach den engsten Begriffen zu mustern und zu meistern, und wo es thunlich, umzubessern. Alle die Strömungen in der Geschichte, wie sie von Alpenhöhen niederrauschen; alle die Felsenmassen von der Natur ihnen in den Weg gelegt, und an denen sie hinaufgestiegen, bis sie ihren Durchbruch erstritten; alle grünen Waldbäume, die sie ihnen dann als Friedensboten entgegengesendet; jeder Strauch und jedes Kraut und Gras und all blühendes Gewächs, das sie, vom Ausfall aus den Bergen bis zur fetten Marsch in der Tiefe, besäumt, es ist ihnen lieb und recht; sie meistern es nicht, schneiden es nicht und kürzen es nicht, sondern lassen es in seinem Naturtriebe gewähren. So sind die Rheinländer, wie wir gesehen, auf einem solchen historischen Strome, der seinen Ursprung in den Geklüften der Urzeit hat, lustig und munter und singend, und wie die Schwäne langsam zerfließende Furchen im Wasser ziehend, selbst Naturkinder mitten unter den Andern hingefahren, und haben nicht einmal nach ihren kritischen Hofmeistern sich umgesehen, die sie bedeuten sollten, was sich schickt und fügt, und was unschicklich und ungefüge. Die Fußstapfen ihrer Väter von Jahrtausenden her, haben sie dem Sande auf ihren Landwegen noch eingedrückt gefunden; und der eigene Fuß, den sie in dieselben hineingesetzt, hat sich dem Vorbild ganz gemäß befunden. Nichts konnte auf ihren Wegen sie erschrecken oder bedenklich machen; sie waren ja in ihrer Heimath um und um, sie die Nachkommen der alten Eigenthümer. In ihnen hat also der einheimische Grundstamm der Aborigener in allen Verhältnissen sich fortgesetzt; sie stammen in direkter Linie von ihnen ab; mit dem Blute ist die ganze Gesinnung, der ganze Gedankenkreis, der alte Dienst und das gesammte Leben als Erbe auf sie übergegangen. Von Vater zu Sohn ist alles ohne Unterbrechung von einer Generation auf die andere gewandert; an ihrem historischen Stammbaume können sie jedes Gefäß bis zur Wurzel hin verfolgen und den Zusammenhang nachweisen: denn die Kirche hat darüber Buch gehalten, und ist dem alten Adel eine aufmerksame Hüterin gewesen. Indessen, die Natur ist weit und groß, ihr Haus ist geräumig genug, alle Gattungen von Kreaturen aufzunehmen. So finden sich auch Andere, die haben die Buchführerin entlassen, und ihre Bücher verbrannt. Diesen nun hat die Weise, wie sie Gott erbaut, ganz und gar nicht gefallen können; sie haben sich daher demolirt, und nach eigenem Gusto sich wieder aufgebaut. Auch die große, offene, freie Natur, wie sie gestaltet worden, um die Geschichte aufzunehmen, hat ihres Beifalls sich nicht des Vollen erfreut; sie haben sie daher gleichfalls umgeschnitzelt, die wilden Auswüchse amputirt, im Fehlenden nachgeholfen, und also zu einem Kunstgarten sie umgepflanzt. Damit dieser bewässert werde, haben sie die Traufen von ihren Dächern in einen Strom zusammengeleitet, und den wieder in Wasserspiegel ausgebreitet, in denen die Wasserlinsen mit ihren Polypen sich gütlich thun. Die Bäume haben sie geschickt zu grünen Wänden umgeschnitten, und allerlei Gethiers daraus gedrechselt; die es am weitesten gebracht, haben selbst die Baumstämme weiß getüncht, und die Storchnester auf dem Dache mit sauber angestrichenen Gehäusen umgeben. Aus Scherben haben sie Berge sich zusammengelegt, und aus Pappe mit Spießglanz bestreut alte Grottenwerke sich gebaut, alles aber mit hohem Hage eingezäunet. Gehen sie nun je einmal aus ihrem Gehöfte in den Wald hinaus, wo sich das Leben der Geschichte regt; dann ärgert sie das Rauschen in den Wipfeln und der Sang der Vögel, die weder Takt halten noch Mensur. Das Rauschen der Wässer erschreckt, das Sproßen in den Halmen verwirrt sie, das Schilf scheint sie zu höhnen, und widerwärtige Worte ihnen zu pfeifen. Kommen sie einem wilden Felsen nahe, wie sie da draußen wachsen, den haben die ungeschlachten Riesen des Mittelalters ihnen in den Weg geschoben; hat die Natur irgendwo in der Steinhöhle den Ansatz zu einer Kirche mit Säulen und Gurtbogen und Gewölben und Altären hervorgerufen, dann schelten sie: wie man nun erleben müsse, daß auch die alte Heidin zur Betschwester geworden; das sey aber die Propaganda der Pfaffen, die hätten gewiß wieder mit Klugheit und List und Geld dies Stückchen angerichtet. Das Mittelalter ist ihnen ein rechter Dorn im Auge, denn da hat dem Aberglauben recht sein Waizen geblüht; dort in der langen Nacht ist es selbst am hellen Mittag stockfinster gewesen; kein Stern hat geleuchtet, und Leute wie sie, hat es damals gar nicht einmal gegeben. Sie statuiren überhaupt gar kein Mittelalter; wer Einem von ihnen sagen wollte, es sey aber doch eine Uebergangszeit gewesen, den würden sie im Zorn anfahren: nicht einmal das, nur eine vermaledeite Pfaffenerfindung, die sie der Welt weiß gemacht. Darum eilt der Nachtwandler aus der Waldeinsamkeit bald wieder seinem Gehöfte zu, und schneidert sich dort eine Geschichte zum Hausgebrauche, die mit der eigenen Hauschronik, und mit dem ersten Jahre des neuen Heils beginnt, und von da an nach vorwärts bis zu ihm selber hingeht, und dann auch rückwärts bis auf Adam, der vom römischen Schlangentreter geweissagt hat, alle Vorgänge mit scharfer Critik untersucht, und allen entdeckten Priesterränken den Garaus macht. Sonst ist mit dem Gesellen bös zu leben; wo er herrscht, ist's kaum auszuhalten; wo er dienen soll, lamentirt er fort und fort, und klagt beweglich: er werde unterdrückt, unbeschreiblich sey es, wie er tagtäglich mißhandelt werde und mit Füßen getreten. Alle die Andern, die auf den benachbarten Gehöften wohnen, fangen dann mit zu lamentiren an über des friedseligen Nachbars Unglück, und laufen zu ihrem Bundestag, daß er ein Aufsehen habe, dort werde ja ein unschuldiger Mensch erwürgt; bei dem lacht unterdessen der Schalk unter Thränen hervor, und gaudirt sich, daß er die Leute so leichtlich angeführt. Seinen Nachbar den Historiker, der friedlich und behaglich Andere gern leben läßt, den hält er für einen guten Tropf, in allen den sieben Hauptkünsten und der wissenschaftlichen Zubehör, worin er exzellirt, gänzlich unerfahren. Er fährt ihm daher bei jeder Gelegenheit übers Maul, ihm rathend, in allen Dingen des Stillschweigens seinerseits sich zu befleißen, und vom starken und vernünftigen Bruder, der überall nur sein Bestes wolle, sich rathen zu lassen; und viele dumme Gäuche haben sich auch den Rath gemerkt, und befolgen ihn bis zu dieser Stunde aufs treufleißigste. Das hat ihn nun vollends hochfahrend gemacht. Wenn er so an seinen Wässern auf und niedergeht, und im Vorübergehen in ihren Spiegel sieht, dann bemerkt er immer mit Lust den lichten Kreis, mit dem die Aufklärung, die aus seinem Schädel hervor, den dicken Knochen durchscheint, sein Bild umzieht. Darum ist er, so zu sagen, stinkend geworden vor Hoffart, und Alles um ihn her hat den spezifischen Geruch angenommen; alle Worte sind damit parfümirt, und all sein Thun ist mit der Losung durchbeizt. Unbedenklich hält er sich für den gescheidesten aller Menschenkinder; wenn aber nun neben den currenten dummen Streichen, ihm wie eben jetzt ein Capitaler entschlüpft, dann erstaunt er über den kecken Frevelmuth der Andern, deren Lachmuskeln sich in Bewegung setzen: das eben sey ja das Siegel seiner vollsten Ueberlegenheit, daß er ohne alles Bedenken über alle Regeln des gesunden Menschenverstandes sich hinaus setzen möge! Die Nase hochtragend, geht er daher noch immer unverzagt und giebt den Nachbaren nimmer Ruhe; allen Unrath, der bei ihm gewachsen, wirft er über den Zaun in seine Beete; denn der Wind, sagt er, hat ihm den Samen herübergeweht, oder der Andere hat ihn gar hineingetragen; bei ihm ist Alles so sauber und rein, daß er versichert, er könne von der Erde seine Suppe essen. Die geringste Gelegenheit bricht er vom Zaune, einen guten Krakel anzurichten; lobt aber dabei immer seine Milde und Verträglichkeit. Während er wie der Kukuk seine Eier in die Nester anderer Vögel legt, und nachdem diese sie ausgebrütet, zum Danke ihre eigenen Jungen aus dem Neste wirft, und dazu mit einer eigenen Grube auf dem Rücken ausgerüstet ist, rühmt er immer seine überfließende Menschenliebe, die ihn nur zu Schaden bringe. Hypochondrisch und milzkrank ist er dabei, argwöhnisch über alle Maaßen; darum legt er immerfort das Ohr an die Erde, um die unterirdischen Scharrer und Pocher zu belauschen. Um ihn her ist daher des Zankens und Keifens nie ein Ende, und schließlich verlangt er noch, daß die, denen er keine Ruhe gönnt, ihn um Verzeihung bitten, daß er sie incommodirt; es ist begreiflich, daß die Geplackten nie ein Herz zu seiner Untreue und Falschheit gewinnen.

Die rheinischen Völker sind bei ihrer Wanderung an dem verdrüßlichen Sauertopf vorübergegangen, ruhig des Wegs gewandert, den sie ihr Naturell gewiesen, und haben mitten in dem Charivari, das man jetzt Geschichte nennt, ein Stück wirklicher Geschichte ausgeführt und an sich ausführen lassen. Sie haben in dem Gewande den Gründer ihres Glaubens gesehen, und ein Zeichen der Kraft und Freudigkeit und Einheit dieses Glaubens und der Einheit der Kirche, die ihn hütet. Das hat sie zu ihm hingezogen, und der Bischof von Trier hat es ihnen in seiner warmen, zweckmäßigen Schlußpredigt noch näher an's Herz gelegt. Das haben sie wohl erkannt; erst später, als die abgesagten Feinde dieser Einheit sie darum angefallen, ist ihnen klar geworden, daß es auch ein Zeichen der nothwendigen Einheit des Reiches sey, und darum auch eine stete Erinnerung und eine immerwiederkehrende Warnung nicht von ihr zu lassen, sondern sie immer zu suchen, und sie, wenigstens in sich selber darzustellen. Von Anfang an waren die Deutschen nämlich zu Hütern und Vögten der Kirche bestellt. Ihr Naturell neigte aber keineswegs zur Einheit sich hin; es fand sich vielmehr immer zur Besonderung, Vereinzelung und persönlicher Abgeschlossenheit getrieben, das sie zu besseren Bewahrern der Freiheit als der geschlossenen Einheit machte. Sollten sie also ihrem geschichtlichen Berufe vollkommen entsprechen, dann mußten sie mit diesen ihnen verliehenen Naturkräften Schirmherren der Freiheit in der Kirche seyn, von ihr aber wieder die Einheit in sich aufnehmen, die die Freiheitskräfte zügelnd, ihnen erst den innern Halt zu geben vermag; und also indem sie dadurch selber Bestand gewannen, dankbar auch den äusseren Bestand der Kirche zu sichern sie fähig machen. Um sie daran immer und immer wieder zu erinnern, wurde daher dies große Symbol der Einheit ihrer Hut anvertraut. Es ist daher ein Wahrzeichen ihrer Geschichte geworden, ein ewig mahnendes Gewissen, und ein steter Vorwurf für alle Sünde, die sie gegen diesen ihren Doppelberuf auf sich geladen. Denn ganze Jahrhunderte hindurch haben sie dieser ihrer Pflicht nur schlecht wahrgenommen; Auflösung und Anarchie hat sie darum heimgesucht, und das Symbol trat dann sich verhüllend in die Verborgenheit zurück, um sogleich wieder hervorzutreten, so wie sie sich gefunden und ihre Bestimmung erkannt. Erst als sie, dieser ganz vergessend, der Knechtschaft verfallen waren, wurde auch das Denkzeichen von ihnen weggenommen; und sie erhielten es nur wieder zurück, als die Sehnsucht nach der verlornen Einheit in ihnen wieder aufgewacht. Das läßt sich leicht durch die ganze Geschichte der Deutschen nachweisen. Als die Völkerwanderung eingetreten; als der Damm, der den Völkersee im Norden geschlossen hielt, wie damals der Damm im arabischen Sabäerlande eingebrochen, nun die Völkerströme mit wüthender Gewalt über den Süden sich ergossen, und die ganze alte Welt bedeckten; da wurde auch das Gewand, wie die Sage erzählt, unter den Alluvionen bedeckt. Kaum aber war die andere Ueberfluthung von Osten her wieder abgelaufen, da haben die sich zurückziehenden Fluthen das im Sand begrabene wieder an den Strand gespült. Als dann nach dem Tode Karls des Großen und der blutigen Bruderfehde die Einheit des Reiches unter den spätern Carolingern gebrochen war, und nun die Normannen als die Rächer der Ungebühr hereinbrachen, da wurde das Gewand abermals in der Erde verborgen, daß die Flammen es nicht erreichten. Durch die sächsische Zeit und durch die der Salier und ihren Investiturstreit blieb es verborgen, und so auch in der Zeit, als Friedrich I. im Jahr 1157 den großen Krieg der Hohenstaufen gegen den römischen Stuhl begonnen. Der Kampf, den er gestritten, war einer jener welthistorischen Säcularkämpfe, wie schon die Salier einen Solchen im vorhergehenden Jahrhundert durchgefochten. Ihnen hatte Gregor VII. den Krieg erklärt, weil er auf sie den Entwurf geziehen, die Kirche zum Vortheil des weltlichen Kaiserthumes zu feudalisiren; den andern Kampf aber hatte der Kaiser dem Papste Adrian IV. angekündigt, weil er die Päpste, und ihn insbesondere, beargwöhnte: sie wollten umgekehrt den Feudalstaat des Kaiserthumes zum Vortheile des Priesterthumes in der Hierarchie verschlingen, indem sie die Majestät des Kaisers dem Stuhle lehnspflichtig erklärten. Wie in dem Streit der Salier der Gegensatz zwischen Norddeutschen und Süddeutschen vorherrschend gewesen; so in dem der Hohenstaufen der zwischen Deutschland und Norditalien; und durch die ganze damalige Welt hatte der Riß zwischen Welfen und Gibellinen alle Stände, vom höchsten bis zum tiefsten, in der ganzen Zeitgenossenschaft gebrochen und getheilt. Achtzehn Jahre hatte der begonnene Krieg gewüthet, da wurde in Venedig der Friede mit dem Papst geschlossen; sieben Jahre später mit den Lombarden; die Eintracht war durch die großartige Unterwerfung Friedrichs, ohne allen Eintrag der Würde des Kaiserthums, wieder hergestellt; und die Einheit hatte Raum gewonnen, in allen Verhältnissen ihre Macht geltend zu machen. Die kirchliche, die in Alexander III. gesiegt, kömmt in Innocenz III. auf ihren Höhepunkt; das lateinische Reich in Byzanz wird aufgerichtet; und die Orden verbreiten sich über die Christenheit. Die politische Einheit conzentrirt sich in den französischen Königen mehr und mehr, bis zu Philipp II. hin, und die Ritterlichkeit von Richard Löwenherz macht sie nach außen den Mahomedanern furchtbar; Italien aber wird durch den Einfluß der Päpste enger verbunden; während auch in Spanien, bis zu Alfons herab, in den Zeiten seines Vorkämpfers des Cid, die durch die Mauren zerrissene Einheit des Reiches sich wieder herstellt. Immer noch war das Symbol der Einheit verborgen geblieben; der Ort, der die Tunica beschlossen hielt, war dem Gedächtnisse der Menschen entrückt. Jetzt endlich, im Jahre 1196, demselben, wo Friedrich II. zweijährig zum Könige von Deutschland gewählt worden, trat das symbolische Gewand zum erstenmal in neuerer Zeit hervor. Damal hat der Erzbischof Johann I. in der Gruft der Domkirche im Nicolausaltare das Verborgene aufgefunden; als der Umbau der Kirche, der nach Ablauf des ersten Jahrtausends, in der ersten Hälfte des eilften Jahrhunderts, von Poppo begonnen worden, jetzt am Schluße des zwölften zu Ende ging. Nun wurde der arme Rock des Herren zum erstenmale der Verehrung des Volkes ausgestellt. Er sollte ein Zeichen seyn der Zeit; durch seine Untheilbarkeit den mächtigen Vertretern der Einheit und der Einheiten eine Mahnung an die tiefe Bedeutung und Unzerstörbarkeit ihrer Würde; durch seine Armuth aber ihnen eine Warnung, daß sie nicht in Hochmuth sich übereinander erhüben, und in dünkelhafter Tyrannei sich von dem auch der Vielheit eingegebenen Gesetz lossagten. Der Vielheit aber sollte er eine Erinnerung seyn, daß sie, der Einheit untergestellt, sich ihr zu fügen habe; aber daß diese Unterwürfigkeit nicht an das Aufgeben der auch ihr von Gott gewährten Rechte als ihre Bedingung geknüpft erscheine, sondern die Anerkenntniß derselben von Seiten der Mächte und Gewalten voraussetze. So drückte er also das ganze Bedürfniß und die ganze Frage der Zeit aus; und so war er, eine große Prophetie, in ihrer Mitte aufgegangen; rückwärts deutend auf die Uebel, die aus der Nichtachtung seiner Verkündigung in allgemeiner Zwietracht hervorgegangen; in der Gegenwart preisend die Macht des Guten, die aus der Transaction der kämpfenden Mächte sich entwickelt; der Zukunft aber weissagend die ganze Folge der Uebel, die aus den neuen Keimen der Zwietracht, die diese gepriesene Zeit in sich trug, unausbleiblich sich entwickeln mußten. Diese Keime kamen in der verhängnißvollen und calamitösen Regierung Friedrichs II. – er den Hohenstaufen das, was den Saliern die Herrschaft und die Person Heinrichs des vierten gewesen – zur Entwicklung und zur Reife; die Päpste kämpften entgegen mit Muth und Energie, aber nicht immer mit priesterlicher Mäßigung; die Welt wurde zerrissen im Getümmel ihres Streites: am Ende waren die Hohenstaufen ausgetilgt, das Kaiserthum war in seiner Bedeutung aufgehoben, und die kaiserlose Zeit war eingetreten; der päpstliche Stuhl wurde aber auf lange Zeit nach Frankreich hinübergebracht: denn auch Italien sollte die Folgen einer Gestaltung der Dinge fühlen, wo die oberste Würde der Christenheit dem Zufalle sich preisgegeben fand, der unter der Form der Politik über sie verfügte. Der Kaisermantel, den vor dem Vertrage von Verdun der Ebro, die Nordsee, Sley und Elbe, Theiß und Sau, und nahe die Meerenge bei Reggio besäumte, der also den größeren Theil des Continents umfaßte; er war jetzt in Stücke zerrissen, nur die Tunica hielt noch zusammen. Das Symbol der Kirche aber, nachdem es mahnend, lehrend, warnend und strafend sein Jubeljahr am Himmel der Zeit gestanden, war wieder unversehrt in das Geheimniß zurückgegangen, und hatte sich in ihm verborgen.

 


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