Joseph Arthur de Gobineau
Die Renaissance
Joseph Arthur de Gobineau

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Dritter Teil.

Julius II.

Rom.

1503.

Ein Zimmer im Vatikan

Julius II., Bramante.

Julius II. Du bist nur ein Künstler, aber ich, der ich ergründe, welcher Kraft des Geistes es bedarf, um Wesen von Stein zu schaffen und ihnen das Leben einzuhauchen, ich will zu dir reden wie zu meinesgleichen.

Bramante. Auch ich, allerheiligster Vater, begreife das Werk, das Ihr ausdenkt.

Julius II. Du begreifst die Schwierigkeit, Ordnung zu stiften in den Trümmern, die barbarische Jahrhunderte und die Ruchlosigkeiten meines Vorgängers über Italien aufgehäuft haben. Dies bejammernswerte Land ist ärger beschmutzt, als die Ställe, für die es eines Herkules bedurfte. Zwischen eingestürzten Steinen, Gedörn und giftigen Kräutern gefallen sich, blähen sich Schlangen und Kröten, und dennoch, Bramante, dieser Schutt, dies unsaubere Dickicht, es sind die geheiligten Überreste einer herrlichen Vergangenheit! Ich will sie in ein Paradies verwandeln, so schön wie das der Heiligen Schrift.

Bramante. Ein solches Werk wird seinen Schöpfer mit Ruhm bedecken.

Julius II. Aber du und ich, wir sind alt. Für die Vollendung der Aufgabe ist es spät. Die Zeit ist uns zugemessen; da heißt es, uns eilen. Wir müssen unsere Pläne auf den ersten Wurf fassen, sie mit einem Schlage ausführen, ohne Schwanken, ohne Abwarten, mit diesen unseren Händen, die bald vor Altersschwäche zittern werden. Schaffen wir viel, schnell, Starkes, Gutes, Gewaltiges, vernichtend für das Böse, das es zu unterdrücken gilt. Hilf mir mit ganzem Herzen und mit deiner ganzen Kraft.

Bramante. Ich will mich dem mit voller Seele widmen. Der Himmel mag mich strafen, wenn ich meine Mühe beklage!

Julius II. Während ich vertilge, was von den kleinen Tyrannen der Romagna übrig ist, und die Macht des heiligen apostolischen Stuhles für immer begründe, ja, während ich nicht eine Gelegenheit verliere – ich schwöre es dir –, die Barbaren in unserer Heimat mit der Wurzel auszurotten, Spanier wie Franzosen, Deutsche wie Schweizer vertreibe, und das mit Feuer und Schwert, mit dem Banne und allen Blitzen aller Flüche der Kirche ... Ich will Gewalt so wenig wie Gewissen dabei sparen! Denn versteh' mich wohl, mein Sohn! Es giebt Zeiten, wo die Gewissenszweifel gut für den Beichtstuhl, und an anderer Stelle frischweg strafbar sind, indem die Tugend einzig im Gelingen besteht – während ich, wie ich dir sage, mit nichts spare, gebe ich dir, Bramante, auf, dafür Sorge zu tragen, daß das Feuer des Geistes zum Scheiterhaufen werde, so flammend, daß die Unwissenheit und die Roheit der vergangenen Zeitalter darin verzehrt werden, und daß seine Glut so weit hinaus erglänze, daß die Nachwelt sie gewahrt wie ein Leuchtfeuer, danach sie auf immer ihre Wege finden mag.

Bramante. Eine Welt flutet aus Eurem Haupte hinüber in das meine. Eure Gedanken rufen mir zu: ans Werk, Bramante!

Julius II. Gehorche ihnen, und da ich dich nicht habe kommen lassen, um die Zeit mit Abschweifungen zu verlieren, so vernimm meine Entwürfe: der Vatikan ist zu klein! Das ist kein Palast mehr, würdig des höchsten Priesters der Christenheit, des Nachfolgers des Apostels, der die Weltentore schließt und öffnet. Ich bedarf einer Wohnung, die geeignet ist, die Völker in ehrfürchtiges Staunen zu schlagen. So sollst du mir denn hier zwei lange prächtige Galerien errichten, die über die Breite des Tales gehen und mir das Belvedere hierherholen sollen. Du bringst allda alle Schönheiten, alle Feinheiten, alle Erfindungen deiner Kunst zuhauf und legst auch alle ihre Kühnheiten hinein. Fürchte nicht, zuviel zu tun! Scheue keine Kosten. Erinnere dich wohl und verliere nie aus den Augen, daß deine Einbildungskraft, so gewaltig sie sein mag, nie anders als in Zwergengröße sich ausnehmen kann neben der Größe meines Wollens.

Bramante. Ich will trachten, mich zu erheben, so hoch ich nur kann. Es wird eine lange, mühevolle Arbeit sein.

Julius II. Mühevoll? Das kümmert mich nicht. Lang? Das verbiete ich dir! Du wirst alsobald beginnen; du machst dir Tag und Nacht nutzbar. Du gönnst dir nicht Ruhe noch Rast, bis daß ich dir sage: halt ein, und ich werde dir's nicht sagen! Ehe ich sterbe, will ich selbst schauen, was ich zustande bringe. Wenn du schläfst, wenn du ißest, beraubst du mich! Höre weiter. Rom wird entehrt durch eine Menge finsterer, verpesteter Gassen. Du wirst sie verschwinden lassen. An ihrer Statt und in der Weise, die dir beliebt, ziehst du eine große, breite, stolze Allee. Du besetzest sie mit Palästen und prächtigen Bauten.

Bramante. Laßt mich wenigstens die Galerien des Vatikans anfangen; das übrige werden wir sehen. Ihr erschreckt mich.

Julius II. Memme! Ich wiederhole dir's, ich bin alt, ich kann nicht warten. Wir müssen alles in Eile tun. Ist es meine Schuld, wenn die Menschen, die Ereignisse, des Glückes langsames Schleichen, der Unfälle Wirrnis, die endlose Reihe unfruchtbarer Tage, Monate, Jahre, unter denen das menschliche Leben verschüttet liegt, mir so lange die Bahn versperrt haben? Früher angelangt, würde ich vielleicht deinen Gründen Gehör geben, und dennoch ... nein! Ich würde noch mehr schaffen! Du wirst alsobald vollführen, was ich dir gebiete, und was noch nichts ist. Jetzt vernimm das eigentliche Werk, das ich dir auferlege.

Bramante. Wie? Allerheiligster Vater, das ist noch nicht alles?

Julius II. Ich bedarf deiner Werke, und nicht deiner Ängste. Zur nämlichen Zeit, wo ich, ja ich, der Giuliano della Rovere, der zu dir spricht, die hohepriesterliche Macht so schwer auf den Schultern der Könige lasten mache und so hoch emportrage, daß das Erbe des heiligen Petrus schon in dieser Welt das Erbe Israels in der andern aufwiegen soll, wirst du hier das sichtbare Zeichen dieser Oberherrschaft stiften. Du, Bramante, sollst einen Tempel bauen, der der heiligen Kirche genehm sei! Die alte Basilika, wie der alte Vatikan, ist unser nicht mehr würdig. Wirf nieder, zerstöre, zerbrich, reiße ab und zeige mir an Stelle dessen, das du vertilgt hast, alles, was du zu erfinden weißt.

Bramante. Ich will mich mit den größten Künstlern Italiens umgeben. Wenn nur Michelangelo zurückkommen wollte! Aber er fürchtet sich zu sehr vor Euch nach der Beleidigung, die er Euch zugefügt hat!

Julius II. Gutwillig oder mit Gewalt, er wird zurückkehren, ich schwöre dir's zu! Ich will nicht, daß die Sixtina unvollendet bleibe.

Bramante. Auf jeden Fall habe ich Raffael von Urbino, und wenn der Buonarroti sich halsstarrig zeigen sollte ...

Julius II. So würde auch ich halsstarrig werden, und dein Raffael würde mir ihn nicht ersetzen. Vorwärts, geh, spute dich, eile dich! Ich habe andere Geschäfte. Die Venetianer und die Franzosen sind handgemein. Wohlan denn, geh!


Venedig.

Die Menge füllt Straßen und Kirchen, Artilleriefeuer in der Ferne. Der Saal des Senats; aus den Fenstern erblickt man den mit Volk bedeckten Markusplatz. – Die Senatoren bilden Gruppen in Erwartung der Sitzung und unterhalten sich mit ernster Miene.

Giovanni Contarini (zu denen, die ihn umringen). Die Lage ist die: die Schlacht von Agnadello verloren, sechstausend Mann auf dem Platze geblieben, Alviano grausam verwundet, und alle unsere Provinzen auf dem Festlande eine feiger als die andere.

Pietro Bembo. Nichts wahrer. Aber Bürger und Bauern haben, wenn man erst dahin gebracht ist, sich auf sie zu verlassen, ein unglückliches Vaterland nie anders verteidigt.

Giovanni Contarini. Zugestanden; auch werfe ich ihnen nichts vor und erwäge nur die Tatsachen. Caravaggio, Bergamo, Cremona haben sich aus freien Stücken ergeben. Brescia hat's noch besser gemacht. Um den Franzosen Sicherheit zu geben, haben die Einwohner die Besatzung überrumpelt und ihre Tore geöffnet. Kurz, alles, das zu verschmelzen und zu regieren wir Jahrhunderte gebraucht haben, hat sich an einem einzigen Tage aufgelöst.

Francesco Nani. Vielleicht müssen wir die entsetzlichen Grausamkeiten in Anschlag bringen, denen die Franzosen sich überlassen haben. Die Völker waren mit Schrecken geschlagen.

Marco Contarini. Denkt Euch gutmütige Sieger, so wäre das Ergebnis doch das nämliche gewesen. Unsere Staaten in Italien verloren; der Kaiser in Friaul eingedrungen und überall das Oberste zu unterst kehrend; das Heer des Papstes uns von Ravenna her bedrohend; der Gonzaga Herr von Lunato und Asola; der Herzog von Ferrara in Polesina, und die Franzosen selbst unter unseren Augen, in Fusina, ihre Kanonen auf uns richtend ... Ihr hört sie! ... Welcher Worte man sich auch bediene, dies sind die Tatsachen.

Francesco Nani. Seit dem Kriege von Chioggia hat nie eine so große Gefahr die Republik getroffen.

Pietro Bembo. Um das Unglück voll zu machen, stehen wir hinter unseren Vätern zurück. Sie zeigten sich unbezwinglich, und ich fürchte, daß wir den Kopf verlieren.

Giovanni Contarini. Ich bin nicht Eurer Meinung. Die Zehn haben das nötige kalte Blut. Was ist das für ein Geräusch auf der Treppe?

Francesco Nani. Sie bringen den Prokurator Paolo Barbo in einem Sessel. Seit zehn Jahren war er nicht im Senat erschienen; er ist von den Jahren gebeugt und halb gelähmt.

Giovanni Contarini. Er hat Euren Verdacht vorausgesehen, Herr Bembo, und bürgt durch seine Anwesenheit dafür, daß die Patrizier Venedigs vor den Franzosen das sind, was ihre Ahnen,, die Senatoren Roms, vor den Galliern waren.

Marco Contarini. Da ist der durchlauchtigste Fürst und die Signoria. Nehmen wir unsere Plätze ein, ihr Herren.


Auf dem Markusplatz

Ein Kaufmann (einen Senator im vorübergehen anhaltend). Gnädiger Herr, kann ich Euch sprechen?

Der Senator. Macht schnell, Meister Antonio. Ich fürchte zu spät in die Sitzung zu kommen.

Der Kaufmann. Gnädiger Herr, die Kaufleute des Rialto haben erfahren, daß der durchlauchtigste Senat der Republik das Vermögen aller seiner Mitglieder angeboten hat; sie machen's ebenso mit dem ihrigen. Man möge nur kommen und unsere Geldkästen mitnehmen; sie sind gefüllt, und wir geben sie von Herzen gern.

Der Senator. Ich danke Euch, Meister Antonio, und die Signoria soll von Eurem Anerbieten in Kenntnis gesetzt werden. Jetzt folgt meinem Rate, geht nach Hause und veranlaßt Eure Freunde, das Gleiche zu tun. Die eitle Neugierde und die nutzlosen Aufregungen müßt ihr dem niedern Volke überlassen. Achtbare Bürger dürfen nie ablassen, ihren Geschäften obzuliegen, was auch kommen möge. Auf den Plätzen herumstehen bedeutet Unordnung, und die Unordnung ist das äußerste Übermaß des Übels.

Der Bürger. Ihr habt recht, gnädiger Herr. Kommt, Meister Girolamo, und du, Neffe, laß uns nach Hause gehn. Die Sorge, den Staat zu retten, kommt Weiseren zu.

(Sie gehen. Der Senator tritt in den Palast.)

Ein Sbirre (maskiert, zu einer Gruppe von Fischern und Bootsleuten). Vorwärts, ihr da, ins Arsenal! Da wird für die Flotte angeworben.

Ein Matrose. Wir möchten gern wissen, was der erlauchte Senat beschließen wird.

Der Sbirre. Er hat bereits beschlossen, daß du gestäupt werden sollst, wenn du so weiter den Müßiggänger spielst, anstatt dem Vaterlande beizuspringen. Auf, Kinder! genug des Geschwätzes! Geht!

Das Volk. Hoch San Marco!

(Eine Barke kommt mit starken Ruderschlägen heran und legt an den Stufen der Landungsbrücke an. Der Proveditore Andrea Gritti und mehrere schwere Reiter steigen aus. In diesem Augenblicke treten die Senatoren heraus.)

Giovanni Contarini. Wie! Ihr, Andrea? Wie habt Ihr nur durch die Linien der Franzosen kommen können?

Andrea Gritti. Ich mußte wohl durch.

Pietro Bembo. Was für Neuigkeiten?

Andrea Gritti. Vortreffliche! Ihr baut Mühlen, ich sehe Cisternen graben; Korn ist reichlich vorhanden; die Baken auf den Kanälen sind beseitigt. Wenn die Gefahr außerordentlich ist, so ist's die Entschlossenheit nicht minder; Gott ist mit dem Vaterlande!

Francesco Nani. Der Senat ist im Begriff, Euren Feldherrn zu beglückwünschen, der nicht am Glücke verzweifelt hat.

Andrea Gritti. Das ist eine billige und weise Maßregel. Der Graf Petigliano hat bei Agnadello getan, was möglich war, und seine geschlagenen Truppen sind schon wieder gesammelt. Wir werden so lange standhalten, als an Standhalten zu denken ist.

Giovanni Contarini. Die Zehn haben Sitzung. Sie haben soeben Gesandte an den Papst geschickt, um ihn inständig zu bitten, die Liga zu verlassen. Was machen die Franzosen in Fusina?

Andrea Gritti. Faxen. Sie unterhalten sich damit, auf den Kampanile zu schießen, obwohl sie wissen, daß ihre Kugeln nicht halbwegs kommen. Sie nennen das uns verhöhnen.

Giovanni Contarini. Genug! Genug! Das Vaterland wird nicht untergehn! Tapferer Gritti, Euch aufrecht, lebend zu sehen, Euch die Hand zu drücken nach den Gefahren, die Euch in diesen letzten Zeiten verschont haben, das muß wohl ein Zeichen des göttlichen Schutzes sein.

Andrea Gritti (mit Tränen in den Augen). Hoch San Marco!

(Er tritt mit seinem Gefolge in den Palast. Die Senatoren entfernen sich.)


Bologna.

Das Zimmer des heiligen Vaters.

Julius II., Kardinäle, Bischöfe, Kämmerer, Offiziere der Schweizer- und italienischen Garden.

Julius II. (er sitzt in einem Lehnstuhl und hält einen Stock in der Hand, womit er jedesmal, wenn er sich beim Sprechen ereifert, auf die Erde stößt). Ah! hier fühle ich mich behaglich! So wären denn die Herren Bologneser zur Vernunft gebracht! Nun mögen sie noch einmal versuchen, auszuschlagen, dann soll ihnen der Sporn noch ein wenig gründlicher ins Fleisch eindringen! In Zukunft gehören sie der Kirche. Sie sollen sich Mühe geben, das nicht zu vergessen. Ihr hinterbringt ihnen meine Worte ... Jetzt laßt Michelangelo Buonarroti eintreten ... Aha! da bist du ja! ... Endlich!... Das ist ein Glück! ... Wenn ich nicht gedroht hätte, dich selbst in Florenz zu holen, so wärst du nicht wiedergekommen!

Michelangelo. Allerheiligster Vater, ich nahm an, daß Ihr meiner nicht bedürftet.

Julius II. Aha! Du nahmst das an? ... Ich würde nicht böse sein zu erfahren, was dich zu der Annahme brachte. Sprich dich frei aus, ohne irgend welche Scheu! Ich denke mir, du fürchtest dich nicht vor mir!

Michelangelo. Ich fürchte mich vor Euch, allerheiligster Vater, aber die Wahrheit ist die Wahrheit.

Julius II. Aha! Du fürchtest dich vor mir? ... Nun gut! tu', als ob dem nicht so wäre. Wie hast du den Gedanken, auch nur den Gedanken fassen können, aus Rom zu entfliehen, da du doch sehr wohl wußtest, daß ich dein Verbleiben daselbst wünschte?

Michelangelo. Allerheiligster Vater, während ich zugleich an den Gemälden der Sixtina und an Euren Statuen arbeitete, und den Moses eben beendigt hatte, den meines gnädigsten Herrn Heiligkeit gutzuheißen schien ...

Julius II. Aha! ich schien dir deinen Moses gutzuheißen? ... Ich schien dir ... So! ich schien dir! ... Aber fahre fort ... meinetwegen!

Michelangelo. Hatte ich Marmor bestellt; der ist denn auch eingetroffen. Ich mußte die Schiffer bezahlen, und während diese Leute die Blöcke zu Riva ausluden, bin ich gekommen, Euere Heiligkeit um das nötige Geld bitten.

Julius II. Ich war mit meinen Händeln in der Romagna beschäftigt! Sie sind in Ordnung gebracht, und ich werde nicht fahren lassen, was ich besitze. Alle Welt soll das wissen; es war doch das mindeste, daß das Wohl der Kirche den Vorrang vor ... Doch nein! es sei immerhin! Sprich dich aus!

Michelangelo. Allerheiligster Vater, Ihr seid unzufrieden; ich will lieber nichts sagen.

Julius II. Es ist ein wenig stark, daß, wenn ich dir befehle zu reden, du mich's zweimal wiederholen lässest.

Michelangelo. Nun denn, weil ich dazu genötigt werde, so will ich sagen, daß Ihr mich nicht empfangen habt. Ich habe Euren Marmor von meinem eigenen Gelde bezahlt, und ich hatte nicht viel.

Julius II. Bin ich verantwortlich für Eure tollen Ausgaben, Herr?

Michelangelo. Ich trinke Wasser und esse Brot. Meine Kleider sind keine zehn Taler wert. Ihr verwechselt mich mit Eurem Raffael.

Julius II. Ich verwechsle dich mit ... Gleichviel! Gleichviel! ... Fahre fort!

Michelangelo. Ich bin sogar dreimal wiedergekommen! Beim dritten Male hat mir ein Bedienter in frechem Tone gesagt, daß ich in Geduld warten könne, sintemal er Befehl habe, mich niemals vorzulassen, und auf die Frage, ob er wisse, zu wem er rede, antwortete er: ich weiß es sehr wohl; aber ich gehorche der Heiligkeit meines gnädigen Herrn.

Julius II. Und dann, was hast du ihm erwidert? Laß doch mal sehen! Es ist dir doch wohl eine rasche Antwort auf die Zunge gekommen! So sehr geduldig bist du nicht, daß du nicht manchmal sogar ... Doch ... nein! Kurz, was hast du ihm erwidert?

Michelangelo. Nun ja! ich habe geantwortet, daß ...

Julius II. Du hast geantwortet: wenn der Papst meiner bedarf, soll er wissen, daß ich anderswohin gegangen bin!

Michelangelo. Das ist wahr.

Julius II. Also ist das wahr? Fahre fort.

Michelangelo. Ich habe nichts mehr fortzufahren. Ihr wißt die Dinge ebensogut als ich. Ich habe alsbald meinen Hausrat den Juden verkauft und bin nach Florenz gegangen.

Julius II. Und dann, was habe ich getan? Denn es ist nicht sonderlich meine Gewohnheit, unehrerbietiges Benehmen hingehen zu lassen, soviel ich weiß! Jedenfalls habe ich doch etwas getan.

Michelangelo. Ich begreife nicht, was für ein Vergnügen sich Euere Heiligkeit daraus macht, mich auf diese Weise zu quälen. Sie weiß besser als ich, was Sie getan hat.

Julius II. Wirst du zu Ende kommen?

Michelangelo. Da Ihr mich zum Äußersten treibt, so hört, was Ihr getan habt! Ihr habt mir Schlag auf Schlag fünf Eilboten gesandt mit dem Befehl, bei Strafe der Ungnade unverzüglich zurückzukehren, aber ich bin nicht gesonnen, mich wie ein Mensch von so niedriger Herkunft behandeln zu lassen. Ich habe Euch bitten lassen, Euch einen andern Bildhauer zu suchen.

Julius II. So ist's doch wahr, daß er die Kühnheit so weit getrieben hat, mir wörtlich diese Botschaft zu senden! ... Aber sei es, immerhin!

Michelangelo. Herr Piero Soderini hat mir mitgeteilt, daß die Signoria drei Breves erhalten habe mit dem Befehl, mich bei Strafe der Exkommunikation nach Rom zurückzusenden. Da habe ich denn wohl abreisen müssen. Ich bin gereist, und hier bin ich nun.

Julius II. So bist du also nicht gutwillig zurückgekehrt? Und noch obendrein erzählen Unverschämte aller Orten, daß du mich habest töten wollen, indem du mir von deinem Gerüste in der Sixtina, in die ich wider deinen Willen gekommen war, Balken auf den Kopf geworfen. Jetzt sollst du mir sagen, welcher Fürst wäre so schwach, so gutmütig, so einfältig, daß man ihn dahin brächte, dergleichen Beleidigungen hinzunehmen, ohne daß er sich Genugtuung dafür verschaffte?

(Ein Augenblick des Stillschweigens.)

Ein Bischof. Allerheiligster Vater, Euere Heiligkeit wird geruhen, Mitleid mit diesem armen Menschen zu haben. Er macht sich nicht klar, was er tut. Solche Leute haben wenig Einsicht und verstehen nur ihr Handwerk.

Julius II. (wütend aufspringend und mit Stockschlägen über den Bischof herfallend). Flegel! Schulfuchs! Einfaltspinsel! Was unterfängst du dich, meinen Künstler zu beleidigen? Habe ich ihm irgend ein kränkendes Wort gesagt? Warum nicht gar! werft mir den jämmerlichen Kerl vor die Türe! den Esel! den Tölpel! Und du, Michelangelo, komm hierher, tritt näher! tritt doch näher! ... Auf die Kniee! ... Hier hast du meinen Segen! Küsse den Ring des Fischers! Sei nicht mehr böse, mein Sohn, geh an die Arbeit! Ich will dir soviel Geld geben, als ich nur kann. Mache mir viel Schönes! Du bist ein schaffender Gott! Geh, mein Sohn! Denke nie mehr daran, mich zu verlassen! Du bist der Ruhm des Papstes und der Ruhm Italiens!

(Michelangelo erhebt sich, macht das Zeichen des Kreuzes, grüßt und geht ab.)

Ein Kämmerer. Die Gesandten Venedigs sind zum drittenmal seit heute Morgen wiedergekommen. Sie bitten Euere Heiligkeit inständigst, sie zu empfangen.

Julius II. Sie sind verwegen! Wissen sie nicht, daß ich mich geweigert habe?

Der Kämmerer. Es ist ihnen ausdrücklich gesagt worden, allerheiligster Vater!

Julius II. Diese Venetianer! Italiener, und sind doch keine; Christen, und wollen doch keine sein! Sie haben gedacht, mir die Romagna streitig zu machen, und mich wider meinen Willen gezwungen, mich mit den Franzosen zu verbinden! Und nun sind sie in die äußerste Bedrängnis gebracht; was wollen sie jetzt?

Ein Kardinal, Venetianer (dem Papste leise ins Ohr). Allerheiligster Vater, die Gesandten sind mit allen möglichen Unterwürfigkeitserklärungen beauftragt. Die Punkte, die Ihr verlangt habt, bewilligen sie: öffentliche Buße dafür, daß sie Euch beleidigt haben, Abtretung der dem Staate zugehörigen Pfründen ... Wir überlassen Euch Ferrara und das Recht der Schiffahrt im Adriatischen Meere, ohne daß Ihr mehr einem Zolle unterworfen seid.

Julius II. (ebenso). Das sind gute Bestimmungen. Bringt mir Eure Abgesandten her. Wenn wir uns verständigen können, will ich nicht nur das Bündnis mit den Franzosen aufgeben, sondern Ihr sollt mir auch helfen, Italien von ihnen zu befreien.

Der Kardinal. Ja, allerheiligster Vater.

Julius II. Die Gesandten sollen mich heute Nacht aufsuchen. Ich weigere mich, sie öffentlich zu empfangen. Noch ist es nicht Zeit.


Rom

Ein Garten

Cypressen, Rosengebüsch; unter Gräsern und Blumen eine Marmorbank; hinter der Bank eine antike Statue der Venus. – Raffael, eine Frau (Donna Beatrice).

Donna Beatrice. Ich liebe Euch mehr und anders als Ihr glaubt.

Raffael. Ich glaube, daß du mich recht sehr liebst. Wenn ich dir's zurückgebe, oder vielmehr, wenn ich dir's gebe und dein Herz mir nur die Zärtlichkeit, die ich über dich ausströme, gleich einem treuen Spiegel in reizendem Schimmer widerstrahlt, ist das nicht recht?

Donna Beatrice. Ihr begreift mich nicht, Raffael. Ich liebe Euch aus mir selbst, aus meiner eigenen Natur heraus, und so vollkommen, daß ich mich nicht wundere über das geringe Verständnis, das Ihr dafür habt.

Raffael. Teure Liebste, warum sprichst du so?

Donna Beatrice. Es schmerzt mich, ein Herz wie das Eure dessen, was man ihm wahrhaft Kostbares hingiebt, nicht inne werden und bei dem sich aufhalten zu sehen, was seiner und meiner am wenigsten würdig ist. Warum wolltet Ihr mir den Stolz des Glaubens nicht vergönnen, daß meine Neigung mehr gelte als meine Schönheit!

Raffael. Ich glaube das so fest, wie du nur wünschen kannst. Bin ich von so niedrigem Sinne, daß ich an dir nur die Größe und das Feuer deiner glänzenden Augen, die weiche Rundung und den Schimmer deiner Wangen, die leise geöffneten Granatlippen und die so geschmeidige Gestalt, der sich nichts vergleichen läßt, gewahren sollte? Denke doch so etwas nicht! Ich begreife gleichermaßen und zum mindesten ebenso gut, wie so groß und edel dein Herz ist, und wie hoch eine Geisteserhebung hinaufragt, die mehr als ein Dichter mit so großem Recht dem kühnen Fluge des Vogels verglichen hat, der Jupiter in den Himmelsschoß trägt. Hätte ich eine erhabene Sibylle zu malen, dich würde ich ausersehen; der göttliche Lorbeer, um deine Schläfe gewunden, hätte nie eine würdigere Stirn umschlossen! Wer erkennt nicht in dir die leuchtende Schülerin der erhabensten Philosophie, ja, die Tochter Platos? Haben wir dich nicht geschaut, vor einer Versammlung von Weisen, außer sich vor Bewunderung und Freude, an jenem Tage, wo du den Phädon mit einer Beredsamkeit auslegtest, die der Redner von Athen und von Rom würdig gewesen wäre? O du schönste, kunstreichste, erleuchtetste zumal und verführerischste der Frauen, warum denkst du, daß ich dich verkenne?

Donna Beatrice. Ich bin nicht, was Ihr sagt; ich bin die, die Raffael liebt und vielleicht von ihm geliebt wird.

Raffael. Vielleicht?

Donna Beatrice. Kein Ruhm geht über diesen. Ist es nicht natürlich, wenn ich zuweilen fürchte, daß der Raffael, der da in diesem Augenblicke – er kommt einer ganzen Ewigkeit von Glück gleich –, hier auf dem Rasen, glänzend wie Smaragd, zu meinen Füßen sitzt, seinen Arm auf meinen Knieen, sein schönes Haar, sein bezauberndes Haupt so zärtlich in meine Hand gepreßt, die du – solltest du's nicht? – vor Bewegung und tiefster Glückseligkeit erbeben fühlst! ... Ja, ja, ich glaube zuweilen, daß dieser Raffael, indes er an mir zu sehr nur das gewahrt und hochhält, was enden muß, nicht genügend an meine ewige Liebe denkt! ... Betrachtet mich ... Betrachtet mich wohl ... ja ... betrachtet mich so ... Was findet Ihr in der Wahrhaftigkeit meines Auges, was entnehmt Ihr ihr, wenn nicht den unwandelbaren Ausdruck meiner glühenden Wünsche für Eure Siege, Euren Ruhm, die Erhöhung Eures Genius?

Raffael. Das verhüte Gott, daß ich's nicht begriffe! Die leichtfertigen Zuneigungen, liebe Freundin, die unbeständigen Wünsche, die flüchtigen Launen sind Strahlen schrägen Sonnenlichtes. Sie erwärmen nicht viel, sie erleuchten nicht viel; sie erhellen freundlich die verlorenen Punkte im Lebensgewebe. Wer sich ihrer erfreut, hat nicht unrecht. Auch sie sind Früchte, Weintrauben, Kirschenbüschel, grüne schmackhafte Feigen, die an einer Rebe, einem Zweige unter unruhigem Laubwerk hängen. Der fröhliche Wanderer täte unrecht, sie nicht zu kosten, wenn er sie greifen kann, und ihnen nicht einen Gruß des Verlangens zuzusenden, wenn er nicht bis hinauf zu reichen vermag. Denke indessen nicht, daß ich mich sehr eifrig dem Aufsuchen dieser unzähligen Gaben überließe, die allenthalben vor der flüchtigen Begier der Vögel des Himmels hingebreitet sind! Meine Torheit, oder vielmehr meines Sinnes Kleinheit wäre zu groß.

Donna Beatrice. So denkt Ihr recht, Raffael. Ich fürchtete, daß dies nicht Eure Meinung wäre.

Raffael. Du kennst mich schlecht, wenn du mir eine solche Enge der Einbildungskraft und des Gemütes zugetraut hast. Laß dir's doch gefallen, daß ich ein Kind sein darf, das lacht und immer lacht ...

Donna Beatrice. Wie ein Bach, über Kiesel dahineilend, dem Echo die Perlen seines Lachens zuwirft. Wer wollte dich drum tadeln? Etwa ich, mein Herzenskind?

Raffael. Aber ich weiß auch, welche Kluft das Vergnügen vom Glücke scheidet, und wenn der Engel reiner Hingebung sich in seinem weißen Gewande auf den losgerissenen Stein des Grabes setzt, aus dem er das Leben hat hervorquellen lassen, dann frage ich ihn nicht: wer bist du? denn ich fühle in mir die Kraft zu dem, was er getan. Die Durchschnittsphantasien, die flachen Vernünftler glauben vielleicht, wenn man nicht glauben muß; sie zweifeln, wenn man nicht zweifeln sollte. Sie verwechseln das Kleine mit dem Großen und das Große mit dem Unförmlichen und ... Dich aber – wähne nimmer, daß ich dich verkenne! Denke nicht, daß der Adel deiner Natur ein meinem blinden Auge unsichtbarer Glanz sei. Ich erkenne, was du bist, ich fühle deinen Wert, ich greife mit Händen, was du mir giebst, und wäge mit rechtem Gewichte all den Segen, der mir daraus naht ... Es ist dein Geliebter, ja es ist dein Geliebter, der zu dir spricht ... aber es ist auch dein Freund! O meine Liebe! Es ist dein Genoß, was kann ich dir sagen? Es ist deinesgleichen! Er hört seinesgleichen reden und nimmt seinen Rat auf, wie er es verdient.

Donna Beatrice. Meine Augen sind voller Tränen ... aber so süßer Tränen! Und ich weiß nicht, wie ich Euch dafür danken soll! Was habe ich denn Gutes getan, daß der Himmel mich Euch geschenkt hat? Was habe ich für ein Verdienst? Wahrlich, ich weiß es nicht.

Raffael. Auch ich weiß nicht, durch welche guten Werke ich dich, mein Schatz, etwa erkauft hätte; aber warum den Gründen nachgehen? Ist man weniger glücklich, wenn man sie nicht kennt?

Donna Beatrice. Du hast es soeben gesagt. Ich bin eine Tochter Platos und gehe gerne dem Ursprung der ewigen Dinge nach.

Raffael. Die Blumen sind mehr wert, als die Keime, und die Früchte mehr als die Blumen.

Donna Beatrice Ihr seid der Mann dessen, das erschlossen, das reif ist, das man sieht, kostet, daran man sich labt. Ihr bemüht Euch nicht, die Leier auseinanderzunehmen, um in ihrem klingenden Schoße genau den Ort zu finden, wo der Ton sich bildet.

Raffael Es ist wahr. Der Himmel hat mir diese Aufgabe nicht zugewiesen. Trotzdem kannst du mir auch nicht vorwerfen, daß ich den Untergrund der Dinge mißachte. Wenn solche Wissenschaft dazu beiträgt, das Leben selbst zu entwickeln, so schätze ich sie nach Gebühr. Aber ich bin doch diesen dunkeln Studien nicht sehr zugetan, die bestimmt sind, Geheimnissen nachzugehen, deren endliches Erfassen nicht immer sonderlich nützlich ist. In der Tat, ich liebe das, was der Sonne Licht trifft und badet; das andere ist mir nur von untergeordnetem Werte.

Donna Beatrice Ja, in diesem angebeteten Haupte herrscht das Licht, überall und in Strömen. Die Wahrheit wird dort mühelos geschaut, und der Irrtum hat keine Stätte darin für seine Finsternisse.

Raffael Du täuschest dich. Ich habe niemals aus eigenem Antriebe, allein und aus mir selbst erkannt, was ich finden mußte. Irgend jemand hat mir immer meinen Weg gewiesen, und einzig wenn eine fremde Hand die Bilder, die ich betrachten muß, von den Hüllen, die sie mir verbergen, befreit hat, alsdann gewahre ich sie, und von diesem Augenblicke ab sicherlich sehe ich sie recht.

Donna Beatrice Was wollt Ihr damit sagen?

Raffael Wenn ich nicht eines Tages Peruginos Werkstätte verlassen hätte, um nie wieder zurückzukehren, so würde ich mein Lebtag nur das begriffen haben, was er mir zeigte. Als ich in Florenz war, offenbarte mir die Einsicht Masaccios, was ich ohne diesen Meister nie herausbekommen hätte; das war aber noch nichts. Ich ließ in der Tat der Kindheit Windeln erst, als ich mich in der Werkstätte Baccio d'Agnolos befand und den ganzen Tag mit großen Künstlern lebte, Andrea Sansovino, Filippino Lippi, Benedetto da Maiano, Cronaca, Francesco Granacci, von jedem hörte, was er wußte, was er sozusagen in jedem Augenblicke in der Welt seiner Träume entdeckte, mochte er nun Bildhauer, Maler oder Baumeister sein, und als ich, so vorbereitet, die Binden des Frühalters gelöst, abgeschüttelt hatte, und meine Glieder sich frei fanden, da, liebe Freundin, aber auch erst da konnte ich die Lehren begreifen, die der große Lionardo mir, jedem von uns, allen kommenden Zeitaltern dargebracht hat. Du siehst es: ich bin nicht aus mir selbst hervorgegangen, nicht aus mir selbst geboren, und um die Beispiele des Altertums gar nicht zu rechnen, viele andere haben dem, was du meinen Genius nennst, zur Richtschnur, zum Wegweiser, zur Quelle gedient.

Donna Beatrice. Nun wohl! sei es! Du bist nicht, wie Athens Pallas, in voller Rüstung dem Haupte eines Gottes entsprungen. Kaum bist du jetzt ein Jüngling; die Schönheit deines Antlitzes birgt noch viel von den fast weiblichen Linien, den Blüten der Jugend. Man darf sich nicht wundern, wenn du zuerst die Winke deiner Vorgänger hast hören und ihre Entdeckungen sehen und beurteilen müssen. Aber jetzt weißt du alles. Achill bedarf der Unterweisung des Kentauren nicht, noch mein Alexander der Verwarnungen des Philosophen. Was in deine Hände gelegt worden, hat dort Frucht getragen; du weißt mehr als Perugino, mehr als Masaccio, mehr als Lionardo, mehr als alle anderen zusammen, und stehst doch im Beginne des Lebens. Das Weltall wird von dir lernen, und du wirst nichts, von niemanden mehr lernen.

Raffael. Du täuschest dich abermals. Ich werde immer, und von aller Welt lernen. Soll ich dir gestehen, worin ich mich vielleicht glücklicher schätze, als meine Vorgänger? Es liegt hierin: jeder von ihnen blieb eingeschlossen in einen Zirkel. Er kannte die Künstler seiner Stadt, und ging mit keinem andern um. Er glaubte, wie du, daß das angeborene Talent keine Grenzen hat und ausreicht, um alle Erfolge zu gewinnen. Nichts ist falscher. Ich werde groß sein, ich, dein Raffael, weil ich allerwärts und von allen lerne; ich halte nie ein in meinem Suchen. Es kümmert mich wenig, ob der Fruchtbaum, unter dessen Wurzeln ich grabe, einem jeden gehört; aber ich will den Baum und will die Früchte, und darum, Vielgeliebte, bin ich ich ...

Donna Beatrice. Du bist die Anmut, du bist der Zauber, du bist alles ...

Raffael. Nein! ich wiederhole dir, ich bin nicht alles. Ich bin vielleicht die Vernunft, ich bin die Mäßigung, ich bin das rechte Urteil, ich bin, wenn du willst, die Einsicht und der aufgeklärte Geschmack; aber ich bin nicht die Tiefe, und vor allem bin ich nicht die Erhabenheit.

Donna Beatrice. Wer ist denn das eine und das andere?

Raffael. Michelangelo.

Donna Beatrice. Michelangelo? Dieser finstere, traurige, enge, trübe, gequälte Geist? ... Das ist nicht Euer Ernst, Raffael! Ein solcher Mann Euch verglichen werden! Er gleicht dem Dämon der Finsternis, während Ihr das Abbild des Erzengels seid, dessen Namen Ihr tragt. Welch eine Grille von Bescheidenheit erfaßt Euch zu dieser Stunde?

Raffael. Wenn ich mich in diesen schwermütigen Geist versenkte, würde ich manch rauchschwarzes Geheimnis darin finden, daraus er ein funkelndes Gold zu machen weiß. Auch Vulkan war ein häßlicher Gott, mit Ruß bedeckt, und lebte in den rötlichen Schlacken seiner Schmieden von Lemnos. Aber keiner der Götter, die das Himmelsblau durchwandelten, weder Phöbus der Sonnengott, noch Merkur der Flötenspieler, wurden jemals so große Künstler wie er!

Donna Beatrice. Nein! Ihr täuscht Euch! Nichts Gemeinsames giebt es zwischen dem überreichen Leben, das aus Eurem ganzen Wesen, eine freundliche, begeisternde Macht, sich in Eure Werke ergießt, und der barbarischen Roheit dessen, den Ihr zu beneiden scheint.

Raffael. Wenn ich nicht als ein Schüler, als der aufmerksamste und bescheidenste der Schüler, seinen unnachahmlichen Karton von Pisa nachgezeichnet hätte; wenn mein Oheim Bramante mir nicht dadurch, daß er mich heimlich in die Sixtina eindringen ließ, das unschätzbare Glück gewährt hätte, die Schöpfungen dieses allmächtigen Mannes zu betrachten, so wäre ich nicht, was ich bin, ich vermöchte nicht auch nur zu träumen, was ich nun werde tun können. Warum senkst du das Haupt? Ich werde größere, edlere Dinge ausführen, als er, ob er gleich ein größerer Erfinder ist als ich. Er ersinnt, er weiß zu ersinnen; aber es ist ihm nicht gegeben, das Silber vom Blei, noch tausend Rußflecken von der Reinheit seines Gedankens zu sondern. Ich für mein Teil, Freundin, ich bin vielleicht nicht so sehr, wie er, der Jehovah einer Welt; ich habe von allen Seiten und aus allen Händen empfangen; was mir gehört, hat andern gehört. Aber was soll's? ich habe alles erweitert, alles erhöht, alles erhellt! Ich bin ein Ordner! Ich habe die Zeit nicht damit verloren, dem einen nachahmend, den andern bestehlend, elendiglich Lumpen aufzuputzen, die ich einem jeden heimlich entlehnt und auf die ein jeder später Ansprüche zu erheben das Recht gehabt hätte. Nein! ich habe alles zusammengeschmolzen, und aus diesen ungleichartigen Elementen habe ich mir auf einen Wurf eine Macht geschaffen. Aus einem festen Stoffe, der mein, vollkommen mein geworden ist, rüste ich mich fortan meine Werke zu bilden, indem ich immer noch hinzutue; dieser Stoff ist gemischt, wie ich's will, gefärbt, wie es mir ansteht, hart genau bis zu dem Grade, der mir gefällt, und so will ich die Denkmäler errichten, auf die ich mein Siegel drücke und die niemand mir streitig machen soll! Du siehst, ich lobe mich selbst, um dich zu beruhigen und um dir zu gefallen. Aber ich zeige dir meinen Geist so, wie der Himmel ihn geschaffen hat, und nicht so, wie eine übertreibende Zuneigung ihn sich fälschlich vorstellt. Ich erhöhe mich nicht, aber ich mache mich auch nicht kleiner, und ich habe vor Michelangelo und vielen anderen einen Vorzug, von dem du mir nicht sprichst, und der doch für sich allein mehr gilt, als alles, was sie besitzen.

Donna Beatrice. Ich kenne ihn, ich sehe ihn, ich atme ihn!

Raffael. Und welchen denn, bitte? Fällt er so ins Auge?

Donna Beatrice. O! wie er es tut! Wie strahlt er aus deinen Blicken, wie erkennt man ihn in deiner Haltung, in der himmlischen Anmut, die deiner kleinsten Bewegung ihr Maß verleiht! Dein Vorzug, mein Raffael, ist, glücklich zu sein! Du bist glücklich! Das Glück hat seinen rosigen Schleier über deiner Mutter Lager gebreitet im Augenblicke, da du geboren wardst. Von deinem ersten Schritte, von deinem ersten Lächeln an bist du geliebt worden. Fast scheint es, als hätten die Jahre, die eins ans andere sich kettend dein Lebensalter bilden, nur Lenze gehabt. Du hast gedacht, hast gesonnen, hast gearbeitet, du arbeitest immerzu; aber immerzu verwandelt sich, was für die anderen Mühe ist, für dich in gefällige Lust. Du kennst keine undankbare Arbeit. Du bist geliebt worden, sagte ich? Du wirst geliebt! Die Großen, die Fürsten, die Päpste, die höchstgestellten Frauen beten Raffael an; sind sie bejahrt, so lieben sie ihn wie den Sohn ihrer heißesten Sehnsucht, und sind sie in der Frische ihrer Jahre, so tun sie wie ich ... sie vergöttern ihn! Ich wundere mich nicht, dich die Reinheit, die Tugend, die Unschuld, die Anmut so gut ausdrücken zu sehen ... Es ist dem Bösen verwehrt, dir zu nahen, und da du nie etwas gesehen noch gekannt hast, als die Liebe, wie könntest du anders sein als du bist? Leb' wohl ... leb' wohl, mein Freund; leb' wohl, mein Geliebter ... Leb' wohl, mein Abgott!

Raffael. Du gehst schon?

Donna Beatrice. Schon? ... Ja, wohl heißt es »schon« ... es ist zu früh! ... Und doch, ich bin hier seit heute Morgen, und die Sonne neigt sich, und das Gold ihrer Strahlen scheint in dem schimmernden Purpur ihrer letzten Glut zu ertrinken. Zudem höre ich Stimmen am Gartenende. Deine Freunde suchen dich auf. Ich wünschte nicht, daß sie mir begegnen.

Raffael. Bleib einen Augenblick, mein geliebtes Leben; ich will ihnen sagen, daß sie mich im Hause erwarten. Geh noch nicht, ich beschwöre dich! ... Du hast mich von allen Dingen reden lassen, aber was haben wir von uns selbst gesagt?

Donna Beatrice. O! wenn's das ist, das wissen wir zur Genüge. Leb' wohl ... Ich sehe die Bianchina! Sie winkt mir. Meine Sänfte steht seit langem in der Gasse. Wie unvorsichtig wir sind!

Raffael. Wie wenig zärtlich du bist!

Donna Beatrice. Undankbarer!

Raffael. Auf morgen denn, nicht wahr? Hier? ... bei dir? ... auf der Tiberbrücke? ... Wo?

Donna Beatrice. Nein! ... Morgen ... wie das anfangen? ... Nun wohlan! wagen wir etwas! Komm um zehn Uhr morgens nach Santi Apostoli; ich will dort die Messe hören und werde allein mit der Bianchina in der Kirche sein. Leb' wohl!

Raffael. Leb' wohl, du mein Götterbild!

(Beatrice geht ab.)


Francesco Penni. (Il Fattore). Meister, hier ist Bramante! Er will Euch in großer Eile sprechen.

Raffael Bringe mir einen Karton und Stifte. Wo sind meine Schüler?

Der Fattore. Einige in den beiden Werkstätten; die meisten im Vatikan: die einen führen an den Fresken des Saales der Segnatura aus, was Ihr angeordnet habt, die andern fördern die Entwürfe zum Eliodoro. Einige auch sind zu früher Stunde aufgebrochen und arbeiten beim Herrn Agostino Chigi an den Gemälden der Psyche.

Raffael. Laß ihnen allen sagen, daß ich sogleich kommen werde! ... Ich will in meine Werkstätten, in den Vatikan und zu Herrn Chigi gehn. Gieb mir die Stifte.

(Er beginnt das Bildnis der Beatrice d'Este.)

Bramante. Guten Tag, Neffe. Der Papst will dich sprechen. Er findet, daß die Arbeiten nicht vorrücken. Du wirst einen harten Sturm zu bestehen haben, aber nimm Dir's nicht zu sehr zu Herzen.

Raffael. Vor allem will ich diese Skizze beendigen. Ich habe sie im Kopfe, sie soll mir nicht entschwinden. Setzt Euch doch, Oheim ... hier, im Schatten dieser Oleanderbüsche. Das ist ein Schattendach, wie für Euch geschaffen. Bringt dem Herrn Bramante eine Limonade!

Bramante. Die Sache ist die, daß ich vor Erschöpfung ganz fertig bin. Dies Leben ist in meinem Alter nicht zu ertragen.

Raffael. Das Leben ist herrlich für Euch wie für mich. Wenn es uns weniger Gewalt antäte, wie würde alles dahinschmachten in unseren Herzen!

Bramante. Du hast vielleicht recht für gewisse Augenblicke; aber es giebt andere, wo man's nicht mehr aushält! Julius II. ist ein großartiger Gebieter; seine Begehrlichkeit ist wie sein Genie.

Raffael. Er schont uns nicht; aber ist er nachsichtig gegen sich selber? Gewißlich, nein. Das muß uns bei gutem Humor erhalten. Hier ist eine Skizze, über die ich nicht zu erröten haben werde, denke ich. Sie wogt mir im Herzen und drängt sich leibhaftig in den Stift! ... Was den Papst anlangt, so tue ich mein Bestes. Worüber hat er sich zu beschweren? Der Saal der Sacra Segnatura ist fast vollendet; was noch für mein Teil zu machen bleibt, wird bald fertig sein. Das Gemälde der Theologie, wie ich es im Einklange mit den Ideen des Grafen Castiglione und des Herrn Ludovico Ariosto ausgearbeitet habe, ist vollendet. Ich will das der Philosophie einige Zeit ruhen lassen, weil ich Lust zur Messe von Bolsena bekommen habe, und mir an dieser Komposition soviel liegt, daß ich keine Ruhe haben werde, ehe ich sie nicht glücklich zu Ende gebracht habe. Ich kann nicht schneller vorwärts kommen; der heilige Vater beklagt sich mit Unrecht; wir machen ihm schöne Sachen.

Bramante. Das ist's gerade, was ihn aufbringt, und wenn ich es ihm sage, wird er böse und schwört, eben darum, weil er's wisse, müsse er das aus uns herausbringen, dessen wir fähig sind. Er beklagt sich über dich, er beklagt sich über Michelangelo, über Sansovino, über Sebastiano del Piombo, über alle Künstler, die er nach Rom kommen läßt, über mich, über die ganze Welt. Er sieht in allen Menschen nur Schildkröten; der Erdball dreht sich nicht schnell genug um seine Achse, und überall, und vor allem, und für einen jeden möchte er die Bewegung verdoppeln und verdreifachen. Inzwischen sei auf deiner Hut! seine besondere Neigung zieht ihn zum Buonarroti. Ich möchte nicht, daß er dir, unter dem Vorwande der Nachlässigkeit deinerseits, Arbeiten entzöge, um sie diesem Caligorant zu geben.

Raffael. Oheim, ich wiederhole Euch, man tut, was man kann. Aber da sind Freunde, die uns mit ihrem Besuch erfreuen. Ruft die Diener! Holla! Limonade, Früchte, Kuchen! Stühle! Stühle! dahin und dorthin.

(Reich gekleidete Dienstboten bringen Sessel, Stühle, Klappstühle; andere reichen Erfrischungen aller Art. Es treten ein Bibbiena, Agostino und Sigismondo Chigi, die Baumeister Baccio Pintelli und Baldassare Peruzzi; Giacomo Sansecondo, der Musiker; Tibaldeo, der Dichter; Marcantonio Raimondi, der Kupferstecher u. a.)

Agostino Chigi. Nun, Meister, immer bei der Arbeit! Welch entzückendes Gesicht!

Raffael. Hochwürdigster Herr, erlauchte Herren, edle Freunde, seid willkommen! Alle heiter, frisch und froh! Nehmt Platz, bitte! Erlaubt ihr mir, mit dem fortzufahren, was ich angefangen habe? Ich muß heute fertig werden, und ich habe nicht viel Zeit, denn Seine Heiligkeit verlangt mich.

Bibbiena. Fahrt nur fort, Meister. Die Augenblicke, die man Euch raubte, wären ein leidiger Diebstahl an der Nachwelt, wie an unseren edelsten Freuden.

Tibaldeo. Ist es wahr, daß Seine Heiligkeit dermaßen entzückt von Eurem Gemälde des Eliodoro ist, daß Sie aller Wahrscheinlichkeit entgegen, sich selbst inmitten dieses großen Gerichtes und mächtigen Tumultes aus alter Zeit schauen möchte?

Raffael. Sehr wahr. Ich habe den Entwurf diese Nacht gemacht. Bring' ihn, Francesco. Ihr sollt ihn sehen und mir Eure Meinung darüber sagen.

Agostino Chigi. Der mächtige Herrscher, der durch Vernichtung der kleinen Fürsten Italien unter dem Krummstabe des heiligen Petrus zu einigen und uns für immer von den fremden Verwüstern zu befreien gedenkt, dieser mächtige Herrscher, unserer Kirche Haupt, hat sich sicherlich vor Freude nicht zu lassen gewußt, als ihm von Eurer Hand, Raffael, das Schauspiel wurde, wie die Gottlosen durch das feurige Schwert des Engels des Herrn aus dem Tempel gejagt werden! Er selbst ist dieser Engel!

Bibbiena. Ah! Da sind die Entwürfe!

(Diener stellen die Kartons unter Teilung des Fattore auf Staffeleien.)

Sigismondo Chigi. Der Papst ist treffend ähnlich!

Sansecondo. Das ist genau seine stolze, vernichtende Haltung seinen Feinden gegenüber!

Peruzzi. Erkennst du dich da wieder, Marcantonio? Einer der Träger der päpstlichen Sänfte bist du.

Marcantonio. Ich bin nicht der einzige, dem Raffael eine solche Ehre erwiesen hat. Habt Ihr meinen Kameraden nie gesehen?

Tibaldeo. Wahrhaftig! ist das nicht Herr Giovanni Pietro de' Folcari von Cremona?

Baccio Pintelli. Was! Der Geheimschreiber für die Bittschriften?

Raimondi. Er selbst. Der gute Mann ist darüber im siebenten Himmel und erzählt es der ganzen Stadt.

Bibbiena. Er hat recht. Ihr habt für ihn getan, Meister, was Gott uns allen versagt hat; Ihr habt ihn unsterblich gemacht.

Bramante. Nimm diese Entwürfe mit dir in den Vatikan. Das wird das wahre Mittel sein, den Papst zu beruhigen. Kommst du in deiner Skizze vorwärts? Es dürfte Zeit sein, zu gehen; die Sonne sinkt.

Raffael. Ich bin bereit. Fattore, mein Sohn, laß, bitte, dieses liebe Haupt in mein Schlafzimmer bringen. Ich will diesen Abend, wenn ich heimkomme, daran arbeiten. Meinen blausammetnen Mantel! mein Barett mit der Perlenschnur! Sage einem Dutzend meiner Leute, daß sie mich begleiten! Du kommst mit uns! Herr Bibbiena, ihr alle, meine Freunde, bleibt und unterhaltet euch. Das Haus ist euer, wie sein Herr. Herr Agostino, wenn ich aus dem Vatikan komme, will ich zu Euch gehen und sehen, was meine Schüler machen.

Agostino Chigi. Ich eile, Euch zu empfangen. Ich habe auch mit Euch zu sprechen wegen der Arbeiten in meiner Kapelle zu Santa Maria della Pace. Wann beginnt Ihr damit?

Raffael. Nächste Woche, unfehlbar. Vergeßt nicht, Herr, daß heute Sankt Annentag ist! Wir speisen bei unserem würdigen Deutschen, Johannes Goricius, zu Abend.

Agostino Chigi. Die Signora Imperia wird sich jedenfalls dort einfinden. So ist denn nicht zu fürchten, daß Herr Bibbiena fehle.

Bibbiena. Gewißlich, nein; von Euch aber gilt, denke ich, das gleiche. Die Imperia hat einen Magnet im Auge, der die Leute an sich zieht.

(Ein Schüler Bramantes tritt auf.)

Der Schüler. Meister, kommt eilig in den Vatikan. Es ist ein Unglück geschehen!

Bramante. Sapperment! was meinst du damit?

Der Schüler. Die Wand der neuen Galerie des Belvedere hat Risse bekommen, so lang sie ist, und droht den Einsturz.

Bramante. Wie könnte es auch anders sein? Der Papst drängt uns so heftig! Man muß bei Nacht arbeiten, und kaum weiß man, was man tut!

Raffael. Ich habe Euch ein Gleiches zu melden. Die Gipsarbeit geht mitsamt den Malereien los, well sie schlecht aufgetragen, oder verdirbt die Farben, weil sie mangelhaft bereitet ist. Lebt wohl, ihr Herrn; ich begleite Euch, Oheim.

Bibbiena und die Andern. Bis heut' Abend also, bei Goricius.

Raffael (zu Bramante, während sie den Garten verlassen). Vor allem führt mich im Vorbeigehen nochmals in die Sixtina. Ich muß da hinein. Dieser Michelangelo hat Wunder verwirklicht; sie wohl zu begreifen, ist mir notwendig, wenn ich nicht stecken bleiben soll. Welch ein Zauberer! welch ein Meister, der Buonarroti!

Bramante. Von seinen Wundertaten ist die größte sicher die, daß er den Papst derartig geschmeidig gemacht hat, daß dieser Gottvatern seine Wünsche nicht so an den Augen absehen würde!

Raffael. Wir haben uns ebensowenig zu beklagen, Oheim. Es fehlt uns nicht an Arbeiten!

Bramante. Daran fehlt es niemanden. Julius II. hat nicht Arme, Beine, Herzen und Köpfe genug zur Verwendung für das, was er ausführen möchte. Nichtsdestoweniger, Michelangelo bleibt der Bevorzugte. Vergiß das nicht!

Raffael (lachend). Vorwärts, Eure Risse ausbessern! Kommt, Oheim, und ihr, folgt uns!

(Er geht, Arm in Arm mit Bramante, von seinen Schülern und seinen Leuten umgeben, ab.)


Vor Bologna

Das französische Lager.

Eine Gruppe Offiziere; Bivouacfeuer werden angezündet; ein Teil der schweren Reiter bleibt im Sattel; andere sind abgesessen, um die Gurte der Pferde fester zuzuziehen; einige essen einen Bissen aus der Hand. Die Infanterietreffen stehen im Gewehr. Bataillone marschieren, um ihre Posten zu erreichen; sie vollenden die Einschließung der Stadt. Mitternacht. Der Himmel ist dunkel, kein Mondschein. – Der Großmeister de Thaumont, Statthalter von Mailand, in vollständiger Rüstung, den Helm auf dem Kopf; Annibale Bentivoglio, Herr von Bologna, und sein Bruder Ermete Bentivoglio, gleicherweise bewaffnet; Ives d'Alègre, französischer Hauptmann.

Der Großmeister (zu einem Offizier). Sind meine Befehle ausgeführt?

Der Offizier. Ja, Herr; die Stadt ist umzingelt. Keine Ratte könnte hinein noch hinaus ohne unsere Genehmigung.

Der Großmeister. Vortrefflich. Laßt die leichten Reiter auf Kundschaft streifen. Alles soll in Bereitschaft bleiben.

Der Offizier. Jawohl, Herr!

Der Großmeister. Ha! der alte Julius! Ha! der alte Schelm! Wir haben ihn, den alten Verräter! Wir wollen ihn fangen, und der Teufel soll mich meinetwegen holen, wenn wir ihn nicht zwingen, um Gnade zu bitten.

Annibale Bentivoglio. Er verdient keine! Erinnert Euch, wie er Euren hochwürdigsten Bruder, den Kardinal d'Amboise, verraten hat! Er allein hat es verhindert, daß dieser Papst wurde!

Der Großmeister. Denkt Ihr, ich wüßte das nicht, und ich wäre in der Laune, es ihm zu vergeben?

Annibale Bentivoglio. Und mir hat er Bologna geraubt, wo er nicht einen einzigen Freund hat.

Ives d'Alègre. Nicht einen einzigen Freund? Das ist zu viel gesagt, Herr Annibale. In Euren italienischen Städten hat jeder Beliebige einen Freund und Gevatter, der ihm bei allem Beliebigen zur Hand geht.

Annibale Bentivoglio. Ich sage Euch, daß die Bevölkerung uns die Tore öffnen wird, wenn sie uns hier weiß.

Der Großmeister. Um so besser. Der König wird sehr zufrieden sein, und Seine Gnaden von Ferrara desgleichen. Das mindeste, was Julius II. widerfahren kann, ist, daß er abgesetzt wird, wie sein Vorgänger es geworden wäre, wäre er nicht gestorben. Wahrlich, er war nicht weniger wert, als der gegenwärtige Antichrist.

Annibale Bentivoglio. Er war mehr wert. Dieser träumt nur von der Beraubung und dem Morde aller Fürsten.

Der Großmeister. Da fällt mir ein: man muß doch die Pferde ein wenig ausruhen lassen und den Mannschaften zu essen geben. (Zu einem Offizier.) Laßt absitzen! Die Truppen sollen wegtreten, nachdem sie Posten ausgesetzt haben. Ist Kapitän Molard angekommen?

Der Offizier. Er kommt diesen Augenblick. Seine Freischärler sind todmüde von Strapazen.

Der Großmeister. Es sind brave Leute; laßt ihnen Wein geben. Ihr kommt gerade recht, Kapitän Molard. Vielen Dank für soviel Eifer!

Kapitän Molard. Ich bin nur auf meinem Posten, Herr.

Der Großmeister. Denkt Euch nur, daß wir unsern Meister Reinecke haben.

Annibale Bentivoglio. Und wir wollen ihm den Schwanz abschneiden.

Ermete Bentivoglio. Oder die Kehle.

Der Großmeister. Was bringt Ihr für Neuigkeiten von Ferrara?

Kapitän Molard. Herr Bayart hier wird sie Euch mitteilen.

Der Großmeister. Guten Abend, Kapitän Bayart, seid willkommen.

Bayart. Möget Gott andächtig befohlen sein, gnädiger Herr. Da sind doch Leute, die mehr wert sind, als ich, Baron Conti, Baron Fontrailles und der tapfere Kapitän Mercurio mit seinen zweitausend Albanesen.

Annibale Bentivoglio. Ist es wahr, daß er seinen leiblichen Vetter so wacker zerschlitzt hat?

Bayart. Er hat ihn samt allen seinen Leuten in Stücke schneiden lassen, und man hat die Köpfe auf Lanzenspitzen dahergetragen. Es war ein Jammer, und ich liebe derlei Grausamkeiten gar nicht.

Ives d'Alègre. Das ist Ruchlosigkeit, und kein Krieg.

Annibale Bentivoglio. Es ist Rache. Wenn man seine Haut zu Markte trägt, hat man alle Rechte auf die der andern.

Bayart. Ich bin ein zu geringer Geselle, um mit einem so großen Herrn, wie Ihr seid, zu streiten. Kapitän Mercurio seinerseits ist ein tapferer Haudegen, das leidet keinen Zweifel. Nichtsdestoweniger habe ich die Plünderer, die die armen Einwohner von Vicenza in einer eingeräucherten Höhle erstickt haben, ohne Gnade hinrichten lassen, und überall, wo mir Marodeurs in die Hände fallen, gedenke ich es ebenso zu machen. Aber sind wir hier, um Geschichten zu erzählen?

Der Großmeister. Nicht doch! Wir rechnen darauf, daß morgen früh das Volk von Bologna mir den Papst ausgeliefert haben wird. Herr Annibale hat es mir versprochen.

Annibale Bentivoglio. Wie ich Euch auch verspreche, daß König Ludwig vom Kirchenbanne losgesprochen werden wird, und der Herzog von Ferrara, ich und unsere Freunde desgleichen.

Ein Offizier. Eine Kavalleriefeldwache läßt melden, daß Graf Giovanni Francesco Pico sich im Auftrage des Papstes einfindet, um mit dem Herrn Großmeister zu sprechen.

Der Großmeister. Haha! Haha! so weiß man um unsere Ankunft, und der heilige Vater will sich dem Eifer seines Volkes, ihm ins Gesicht zu springen, entziehen! Bringt den Herrn Grafen her; ich will hören, was er mir zu sagen hat.


In Bologna.

Zimmer des vom Papste bewohnten Palastes.

Julius II., krank, halb hingestreckt in einen Lehnstuhl, mit Kissen, die er alle Minuten über den Haufen wirft, und die Bediente wieder aufheben. Der Kardinal Regino, Legat von Bologna.

Der Kardinal. Ihr dürft Euch nicht von diesen Schurken von Franzosen gefangen nehmen lassen.

Der Papst. Ich werde mich nicht gefangen nehmen lassen. Ich will meine Feinde fangen, würgen und zertreten. Du kannst darauf rechnen! Gebt mir zu trinken! (Ein Kämmerer reicht ihm ein Glas mit Arznei.) Pfui! das ist bitter wie Galle! Ein Glas Wein!

Der Kämmerer. Allerheiligster Vater, die Ärzte haben es ausdrücklich verboten!

Der Papst. Um wieviel Uhr sind die Eilboten aufgebrochen, um mir die Venetianer und die Spanier zu benachrichtigen?

Der Kardinal. Vor vier Stunden, es war bei der ersten Nachricht, die uns vom Marsche der Franzosen kam.

Der Papst. Es kommt darauf an, daß unsere Verbündeten zeitig genug hier sind. Laß dem Bischof von Sitten schreiben, daß er seine Verhandlungen mit den Schweizern beeilt. Werft nur schleunigst, was Ihr von diesen Wilden aufgabeln könnt, auf die Felder im Mailändischen. Je mehr Schaden sie Ludwigs XII. Leuten tun, desto näher wird unsere Befreiung sein.

Der Kardinal. Die Schweizer sind wackere Tölpel; ich rechne sehr auf sie. Der Kirche ergeben, gehorsam, wenn man sie gut bezahlt ...

Der Papst. Landstreicher wie die andern! Graf Giovanni Francesco ist noch nicht zurück?

Der Kardinal. Noch nicht. Er ist ein schlauer Fuchs.

Der Papst. Es bedarf keiner großen Schlauheit, um Ludwig XII. anzuführen. Dieser Tropf giebt sich für einen Biedermann aus, weil er ungeschliffen, lustig und schwach von Kopf wie von Herzen ist. Als Prinz hat er seinen König verraten; als Gatte hat er seine erste Frau, eine Heilige, so unglücklich gemacht, als er konnte; heutzutage gehorcht er der zweiten, die eine reine Megäre ist, und töten, plündern tut niemand leichtfertiger, als er, immer mit einem plumpen Lächeln, und dann sagt man: »Seht, welch ein braver Mann!« Armes Italien! armes Italien, von solchen Leuten mit Füßen getreten zu werden! Aber dies Ärgernis soll nicht dauern. Ich muß notwendig die kleinen Fürsten und die skandalösen Republiken: Florenz, Siena, Lucca, stürzen; dann benutze ich die Aragonesen, die Franzosen, die Deutschen, was ich nur zur Hand habe; aber endlich wird der Tag leuchten, wo die heilige Kirche als Allherrin diese Elenden unter doppeltem Verschluß in die Wüsten einsperrt, die der Himmel ihnen zum Vaterlande gegeben hat.

Der Kardinal. Eure Heiligkeit hat in Wahrheit alles vortrefflich vorbereitet! Heinrich VIII. von England auf Frankreichs Küsten losgelassen; Ferdinand die Pyrenäen bedrohend.

Julius II. Und ich verhandele und verhandele immerfort mit Ludwig; während ich ihn treffe, ihn beunruhige, halte ich ihn hin, ich mache ihn glauben, daß wir uns werden verständigen können; mit der einen Hand schleudere ich den Bann auf ihn und seine Verbündeten, die Bösewichte, mit der andern hätschele ich ihn! ... Ich will ihn vernichten!

Der Kardinal. Und hier – da wollen fünfzehntausend Schweizer kommen!

Julius II. Und mein Neffe Marcantonio Colonna hat sich ein Heer geschaffen; ich habe ein zweites für meinen Francesco Maria von Urbino ausgehoben ... Alles geht leidlich gut ... Ja, aber wenn eben jetzt die Franzosen mich überrumpeln, so ist das ein Ungefähr, das vieles verderben kann! Ich bin ein wenig leichtsinnig hierher gekommen.

Der Kardinal. Ein wenig unvorsichtig.

Julius II. Wo ist die Zeit, vorsichtig zu sein? Ich muß rasch handeln, um viel zu handeln. Wenn ich nicht auf mein Glück zählen soll, will ich mich lieber um nichts kümmern. Geh, sieh', ob der Graf nicht zurückkommt.


Vor Bologna.

Dunkle, kalte Winternacht; es beginnt zu tagen. – Ein Bauernhaus; französische Truppen ringsum gelagert. Starke Bewegung von Infanterie- und Kavalleriepatrouillen; überall Wachtposten und Schildwachen. Die Stadt ist umzingelt. Man gewahrt Lichter in den oberen Stockwerken einiger Häuser, welche über den Wall hervorragen. – An einem großen Feuer, zwischen sich einen Tisch, der Großmeister de Chaumont und der Graf Giovanni Francesco Pico.

Der Graf. Kurz, Euer Gnaden, es sei, ich will zugeben, was Ihr sagt. Der heilige Vater hat sich der Liga von Cambrai nicht so treu gezeigt, als er gesollt hätte. Es wäre vieles einzuwenden, aber wir wollen nicht davon reden. Der heilige Vater, ich räume das ein, hat den allerchristlichsten König nach der Schlacht von Agnadello verlassen; er hat ...

Der Großmeister. Er hat sich mit unseren schlimmsten Feinden, den Venetianern, verbündet; er hat sie unseren Händen entrissen, als wir sie halbtot hatten und ihnen den Gnadenstoß geben wollten; er hat uns den Kaiser abwendig gemacht; er reizt die Schweizer auf, uns anzugreifen; kurz, er sucht uns auf alle Weise zu schaden. Er soll gezüchtigt werden! Ei! Potztausend, er soll sich ergeben, ohne sich so lange zu besinnen!

Der Graf. Wie sollte er anders? ... Wenn Ihr ihn habt, was wollt Ihr dann mit ihm anfangen?

Der Großmeister. Er wird ordentlich eingesperrt! Glaubt Ihr, daß es ohne das abginge? und später abgesetzt, wie er's reichlich verdient hat!

Der Graf. Ihr seid hart. Der Papst im Gefängnis? Was wird die Christenheit sagen, was wird sie tun? Und Ihr selbst, Euer Gnaden, der Held dieses schönen Skandales, wollt Ihr es auf Euch nehmen, der Frau Königin, deren Frömmigkeit so bekannt ist, die Absolution zu erteilen, die der geringste Priester ihr versagen wird?

Der Großmeister. Zum Teufel! Denkt Ihr mich bange zu machen?

Der Graf. Ich möchte Euch die Augen öffnen. Was würdet Ihr sagen, wenn ich Euch anstatt eines Papstes, der ein lästiger Gefangener, einen Papst zuführte, der ein ergebener Freund wäre?

Der Großmeister. Ihr haltet mich für einen Dummkopf. Euer ergebener Freund, der hat meinem Bruder die Tiara gestohlen; meint Ihr, daß ein derartiger Streich zu verzeihen wäre?

Der Graf. Zweifellos nicht; aber ich wollte Euch nur auf die Wahrheit aufmerksam machen: wenn man sowohl seinem Herrn, als sich selbst zu gut dienen will, gerät man fast immer in die Irre. Ich biete Euch an, uns zu verständigen, ich versichere Euch, daß wir es zu Eurem größten Vorteil können. Ihr weist mich zurück, schon recht; aber merkt's Euch wohl, daß Ihr mich zurückweist.

Der Großmeister. Ich weise nichts zurück. Ich sage nur, und wiederhole es, daß man in Euch nicht das mindeste Vertrauen setzen kann ... Ja! wenn ihr andere Leute wäret! ... Dann ...

Der Graf. Da hört zum Beispiel, was ich Euch vorschlagen würde ... Zurücknahme des über Euch und Eure Verbündeten verhängten Kirchenbannes ... Alfonso von Este aufs neue als Herzog von Ferrara anerkannt und in sein Amt als Gonfaloniere der heiligen Kirche wieder eingesetzt ... Kämen wir so nicht ganz hübsch zur Sache? ... Wir würden die Venetianer fallen lassen ... Euch selbst gäben wir zweihunderttausend Goldtaler ... Ergiebt sich auf solchen Grundlagen nicht ein Einvernehmen als möglich?

Der Großmeister. Es ergiebt sich, daß Ihr ausgemachte Spitzbuben seid ... denkt Ihr sonst, ich würde für das mäßige Vergnügen, mir so viel Verlegenheit zu bereiten ...

Der Graf. Ich mache Euch den förmlichen Vorschlag im Namen des heiligen Vaters! ...

Der Großmeister. Habt Ihr Vollmachten?

Der Graf. Hier!

Der Großmeister. Das würde mir dennoch nicht genügen!

Der Graf. Sapperment! Ihr seid unerbittlich!

Der Großmeister. Ich wünschte noch die Wiedereinsetzung Herrn Annibale Bentivoglios in seine Stadt Bologna, und daß der Papst auf die Romagna verzichtete.

Der Graf. Ich gestehe Euch aufrichtig, daß ich über diese Punkte keine Instruktion habe, und es ist wahrscheinlich, daß der heilige Vater nichts davon wird wissen wollen.

Der Großmeister. Ihr scherzt! Wenn er ablehnt, lege ich ihm Daumschrauben an. Ist er nicht gefangen? Hat er Freiheit zu wollen oder nicht zu wollen?

Der Graf. Wir werden vielleicht alles über uns ergehen lassen; aber ich glaube nicht, daß Seine Heiligkeit auf Bologna, noch auf die Romagna verzichtet.

Der Großmeister. Dann schlage ich morgen früh mit Tagesanbruch Eure Tore ein und nehme Euren Mann beim Kragen.

Der Graf. Ihr seid fest entschlossen?

Der Großmeister. Wenn Ihr mich besser känntet, würdet Ihr Euch diese Frage schenken.

Der Graf. In diesem Falle weiche ich der Gewalt.

Der Großmeister. Ihr tut wohl daran ... Glaubt mir! Und nun, da wir Freunde sind, wird mir Euer Herr sogleich die Tore öffnen. Ich habe es eilig, ihn zu umarmen.

Der Graf. Aber in diesem Falle würde er Euer Gefangener unter anderem Namen sein!

Der Großmeister (lachend). Ihr mögt es auffassen, wie Ihr wollt; ich werde von dieser Bedingung nicht abstehen.

Der Graf. Unsere Lage ist schrecklich. Ich will Eure Worte dem heiligen Vater berichten. Er mag bestimmen ...

Der Großmeister. Bezeigt ihm meine Ehrfurcht als eines gehorsamen Sohnes der Kirche.

Der Graf. Spaß beiseite. Euer Gnaden, könntet Ihr nicht weniger hart sein?

Der Großmeister. Ich bin nur vorsichtig. Euer Herr wird meine Absichten für besser erkennen, als er denkt. Ihr habt gesagt dreihunderttausend Goldtaler?

Der Graf. Ich hatte gesagt zweihundert.

Der Großmeister. Soll heißen dreihundert, wenn's Euch beliebt. Wann seid Ihr zurück?

Der Graf. Ich erbitte mir bis Mittag.

Der Großmeister. Das ist unmöglich. Ihr sollt zwei Stunden haben, nicht eine Minute zu. Wir haben schon viel Zeit mit Schwätzen verloren.

Der Graf. Euer Gnaden! Euer Gnaden! ich beschwöre Euch! ... wir wollen die dreihunderttausend Taler geben! aber tragt in diesen Handel keine Erinnerungen persönlichen Grolles hinein!

Der Großmeister. Ihr habt mir soeben verstohlen mit der Königin gedroht ... Ihr seht, ob ich eingeschüchtert bin! ... Nun, Herr Graf, faßt wieder Mut! Ich bewillige Euch alle die Zeit, die Ihr verlangt, und noch zwei Stunden obendrein. Bin ich so schlimm, wie ich aussehe?

Der Graf. Dank! Der heilige Vater wird es zu schätzen wissen, was er Euch schuldig ist. Wir sind darum nicht minder in einer schrecklichen Lage.

Der Großmeister. Nun, nun, betrübt Euch nicht. Unser Bündnis wiegt wohl das Venedigs auf. Ihr verliert dabei die Romagna; aber wer weiß, ob Ihr nicht was anderes gewinnt? Ihr müßt nicht mit so verzweifelter Miene den Kopf schütteln. Lebt wohl; denkt daran, daß Ihr Wort haltet.

Der Graf. Lebt wohl, gnädiger Herr. Ich werde der Verabredung getreu sein. (Er geht.)

Der Großmeister (allein). Im Grunde hatte er nicht so ganz unrecht. Bei Frau Anna hört die Gemütlichkeit auf, wo die Frömmigkeit ins Spiel kommt, und vor allen Dingen, seit dem Tode meines Bruders stehe ich nicht so fest ... Freilich ist der König wütend auf den Papst und will ihn um jeden Preis vernichten ... Dreihunderttausend Goldtaler sind nicht zu verachten, zumal wenn das Ergebnis der Art ist, daß es den König befriedigt und die Königin nicht vor den Kopf stößt ... Julius wird suchen, mich zu hintergehen ... aber ... es ist nicht gesagt, daß ich mich von diesen Lügnern von Italienern fangen lasse ... Ich kenne sie, Gott sei Dank, und ...

Ives d'Alegre. Ihr hattet die Absicht, die Wachtposten zu visitieren, Herr.

Der Großmeister. Ich war eben im Begriff, Euch holen zu lassen. Kommt!


Bei einem Bivouacfeuer.

Kapitän Bayart, der Bastard du Fay, Fähnrich seiner Ordonnanzkompagnie, Kapitän Molard, Kapitän Sucher, französische und deutsche Freischarenführer; Kapitän Jakob Zemberg, Befehlshaber der Schweizer. Ein großer Tisch ist neben dem Feuer aufgestellt und mit Schinken, Würsten, Hühnchen, Flaschen, blechernen, zinnernen, hörnernen und hölzernen Schalen gedeckt. Die Tischgenossen sitzen auf Bänken und Schemeln, die aus Hütten mit weggenommen sind. Um den Tisch ein Windschirm, den die Soldaten mittelst über Stangen geworfener Mäntel hergerichtet haben. Pechfackeln brennen auf langen in die Erde gepflanzten Pfählen. Die Edelleute essen zu Abend; Pagen und Lakaien bedienen sie.

Kapitän Sucher. Im Kriege halte ich nur auf Tapferkeit. Das übrige, darum kümmere ich mich wenig.

Kapitän Bayart. Worinnen Ihr Euch nicht gerade als weiser Mann zeigt, Kamerad. Ich halte auf die Tapferkeit, aber genau ebensoviel auf die Raison, weil mit der Raison, da hat man die Disziplin, wovon bis auf diesen Tag bei unseren Armeen zu wenig die Rede gewesen ist.

Kapitän Molard. Wenn einer von meinen Leuten den Teufel macht, so mache ich den Satan, und dann tut er's nicht wieder. Glaubt mir, wohledler Herr, wir müssen die alte wilde Manier, zu plündern, einzuäschern und die Bäuche aufzureißen, darangeben. Das sind Torheiten, welche diejenigen ruinieren, die sie begehen. Ich bin Herrn Bayarts Meinung.

Bayart. Der Braten sieht gut aus und kommt nach einem so langen Ritt, wie der heutige, höchst gelegen. Da Herr Molard meiner geringen Weisheit gütigst beipflichtet, so will ich Euch sagen, daß ich seit meinem Eintritt bei den italienischen Kriegen, und das schreibt sich vom Jahre 1494, das heißt seit so ein' siebzehn Jahren, in allen Dingen viele beträchtliche Veränderungen bei den Italienern, wie bei uns sich habe vollziehen sehen.

Der Bastard du Fay. Ich trage Eure Fahne noch nicht lange, Herr, und doch habe auch ich Veränderungen erlebt.

Bayart. Als wir mit dem König Karl, siegreichen Angedenkens, gekommen sind, da waren wir wie richtige Bauern, die aus ihren Dörfern herauskommen, tölpisch und ungebildet, und die Italiener verspotteten uns, wie wir unserseits uns heutzutage über unsere Landsknechte lustig machen, die uns bäurisch erscheinen, ohne Euch beleidigen zu wollen, wohledler Herr Sucher.

Kapitän Sucher. Wir haben in Deutschland größere Gelehrten, als die eurigen! Die Italiener, die sich so gerne für etwas besonderes halten, lassen sich's doch nicht verdrießen, sich an uns zu wenden, um Baumeister zu erhalten. Wir bauen ihnen ihren Mailänder Dom, und unsere Maler, wie Albrecht Dürer, geben ihnen Unterricht.

Bayart. Seht ihr, wie recht ich habe, zu sagen, daß es seit einigen Jahren viele Neuerungen giebt? Um die Zeit der Schlacht von Fornovo herum hättet Ihr niemals im Bivouac einen Landsknechtsführer sich auf Baumeister und Maler etwas zu gute tun hören! Man dachte damals nur an den Wein, an die Mädels, ans Plündern, und Gemälde und Statuen waren nur dafür da, um sie kurz und klein zu schlagen.

Der Bastard du Fay. So ist das also doch wahr! Heutzutage betrachten wir die, die es tun, als Barbaren und Tölpel; und das sind bloß die neuen Ankömmlinge aus Frankreich. Wenn sie erst sechs Monate hier sind, fangen sie an Vergnügen an diesen hübschen Sachen zu finden und werden feiner.

Bayart. Noch ein anderes: in jener Zeit hättet Ihr nicht um Gold noch um Silber einen italienischen Reitersmann dazu bestimmt, sich zu schlagen. Heutzutage kenne ich keine tapfereren Krieger als Herrn Alviano, Herrn Andrea Gritti und viele andere ...

Kapitän Molard. Und den Papst Julius II.

(Gelächter.)

Bayart. Richtig ... Ich möchte den Tag erleben, wo sich Kriegsleute untereinander bekämpfen, ohne die armen Bewohner von Stadt und Land zu peinigen; sie können doch nichts für die Zwistigkeiten der Fürsten.

Kapitän Jakob Zemberg. Hier unter diesen Mänteln her zieht's mir scheußlich! Ich habe eisekalte Füße! Lumpenkerls! könnt ihr mir das Dingsda nicht ein wenig besser zurechtmachen? Ich gebe euch was um die Ohren, Galgenstricke!

(Es kommen der Großmeister de Chaumont, Ives d'Alègre, Offiziere, schwere Reiter.)

Der Großmeister. Guten Abend oder guten Morgen, Kapitäns! Habt ihr ein Tröpfchen Wein für mich? Danke, Herr Bayart! Auf euer Wohl, ihr Herren!

Bayart. Auf das Eure, Herr, und daß der Himmel Euch gewähre, was Euer edles Herz begehrt!

(Alle trinken.)

Der Großmeister. Der Papst hat auf Eurer Seite nicht zu entfliehen gesucht?

Bayart. Wenn er auf Eurer nicht entwischt, so seid gewiß, daß es auf meiner nicht passieren soll.

(Gelächter.)


In Bologna.

Eine Straße bei San Petronio.

Vormittag; Volksgedränge, Handwerker, Kaufleute, Edle, Soldaten.

Ein Schlachter. Wenn's nur einen Rippenstoß braucht, um den Papst hinauszuwerfen, so geben wir ihn ihm! Hoch die Bentivogli!

Das Volk. Hoch die Bentivogli! Hoch Bologna! Freiheit! (Francia und seine Schüler, die Maler Francesco Caccianimici und Amico Aspertino treten auf.) Hoch die Schule von Bologna! Nieder mit den Römern!

Ein Bäcker. Meister Francia, was sagt Ihr zu dem allen?

Francia. Ich sage, daß Michelangelo ein unverschämter Patron ist, und sein Herr taugt nicht mehr als er. Hoch die Bentivogli!

Das Volk. Hoch Bologna!

Caccianimici. Ja, Kinder! Hoch Bologna! Ist diese schöne Stadt es weniger wert, frei zu sein, als Florenz, als Lucca und so viele andere Städte?

Das Volk. Nein! nein! Hoch Bologna! Hoch die Bentivogli!

Amico Aspertino. Jeder Herr in seinem Hause! Eine freie Stadt! Keine Dienstbarkeit!

Das Volk. Freiheit! Freiheit! Hoch die Bentivogli!

Ein Bäcker. Wir brauchen einen Fürsten, der unser Geld und das seine bei uns verzehrt und nicht anderwärts! der uns Kirchen und Paläste baut, und nicht den Römern! Hoch Bologna!

Das Volk. Hoch die Bentivogli! Freiheit! Freiheit! In den Palast! Nieder mit dem Papst!

Aspertino. Kommt, Michelangelos Bildsäule zerschlagen! Wollt ihr?

Das Volk. Nieder mit der Bildsäule!

Caccianimici. Das soll ein Wort sein! Kommt!

(Die gesamte Menge folgt ihm mit lautem Geschrei.)


Der Palast.

Julius II., in seinem Lehnstuhl, seinen Stock zur Hand; der Kardinal von Pavia, der Kardinal Regino, der Bischof von Gurk, Michelangelo, Graf Giovanni Francesco Pico.

Julius II. Dieser Aufruhr hält an? Immer noch Geschrei? Bist du toll, Regino? Habe ich nicht schon Befehle gegeben?

Kardinal Regino. Allerheiligster Vater, die Schweizer haben zweimal angegriffen und sind zurückgeschlagen worden.

Julius II. Kavallerie und zwei Donnerbüchsen! Lauft! Wenn der Spektakel andauert, gehe ich selbst. (Kardinal Regino geht ab.) Er ist ein wenig schlaff, der gute Mann. Graf Pico, wenn die Zeit auch noch nicht da ist, wo Chaumont Antwort haben sollte, so gehst du doch und kehrst zu ihm zurück.

Der Graf. Ja, allerheiligster Vater.

Julius II. Du sagst ihm, daß ich in alles willige, da ich nicht in der Lage sei, irgend etwas zu bestreiten, und daß ich ihn, zum Beweise meiner Aufrichtigkeit, bitten lasse, mir den Vertrag in der Fassung und Stilisierung wie er sie wünscht, zuzusenden. Sieh' zu, daß du bei jedem Artikel Lärm schlägst und die Dinge in die Länge ziehst. Dann bringst du mir den Vertrag, damit ich ihn unterzeichne. Auf diese Weise haben wir Zeit genug bis heute Abend, und sogar bis morgen früh, wenn wir wollen.

Der Graf (mit leiser Stimme). Weiß Eure Heiligkeit, wo die Spanier ... die Venetianer sind?

Julius II. Sie beide werden gegen ein Uhr nachmittags eintreffen. Hätschele deinen Großmeister, halte ihn zurück; gieb dir Mühe, daß er nicht abzieht. Jetzt komme ich an die Reihe mit dem Spaß, ihn zu überrumpeln, ihn zwischenzukriegen, ihn zu klemmen, und sie sollen sehen, was ich mit diesem gottlosen Nordländer machen werde, der sich anmaßt, seine unedle Hand auf die Schulter des Statthalters Christi zu legen! ... Geh, Kind! (Graf Pico kniet nieder; der Papst segnet ihn ungestüm.) Wohlan, so geh! Michelangelo, mein Sohn, wo sind deine Festungsrisse?

Michelangelo. Hier, allerheiligster Vater.

Julius I!. Geh an Ort und Stelle, stecke mir sofort die Fundamente ab und beginne mit den Arbeiten. Ich brauche auch Minen, und du gibst dich mir gleich heute an die Einrichtung der Geschützgießerei, deren Plan du mir gezeigt hast.

Michelangelo. Wenn ich den Kriegsbaumeister und den Gießer spiele, kann ich nicht den Bildhauer und den Maler spielen. Ihr werdet Euch nächstens beklagen, daß die Arbeiten der Sixtina und die Statuen Eures Grabmales nicht weiter kommen.

Julius II. (mit seinem Stocke auf die Erde stoßend). Gewiß werde ich mich beklagen, und ich habe nur zu sehr Grund, mich zu beklagen! Faulenzer die ihr alle seid! Anstatt mich mit deinen Bemerkungen zu ärgern, hättest du die Arbeit bereits zu Ende bringen sollen! Geh ab! (Michelangelo geht.) Kardinal von Pavia, hast du mir nicht eben gesagt, daß der Kaiser an meiner Statt Papst zu sein beanspruche und den Titel Pontifex Maximus annähme?

Der Kardinal von Pavia. Ja, allerheiligster Vater; Ludwig XII. hat ihm diese Dummheit in den Kopf gesetzt.

Julius II. Es ist eine Unverschämtheit. Ich befehle den Schreibern meiner Breves, mich hinfort »Caesar« zu betiteln. Ebensogut bin ich von Rechts wegen der allgemeine Kaiser, als Stellvertreter Gottes auf Erden. (Man hört eine Artilleriesalve.) Gut so! Da kriegen die Bologneser meine Kartätschen in die Beine! (Mehrere Prälaten und Bischöfe nähern sich mit tiefer Verbeugung.) Was wollt ihr?

Ein Bischof. Euerer Heiligkeit Person ist in einer entsetzlichen Gefahr. Die Franzosen, das Volk, alles bedroht Euch. Sollte es nicht an der Zeit sein, Euch der Vorsicht und Mäßigung zu bedienen? Ich bin durch unsere hier anwesenden ehrwürdigen Brüder ermutigt worden, allerheiligster Vater, eine solche Sprache gegen Euch zu führen ... Erwägt, daß Eure Gesundheit ernstlich angegriffen ist, und überdies sind wir wehrlose Greise, und wenn wir die Gewalttätigkeiten des Kriegsvolkes oder die eines aufrührerischen Pöbels über uns ergehen lassen sollen ...

Julius II. Was will der Schwachkopf? ... Was soll all das Geschwätz? ... Ruft meine Träger, ich will mich auf die Spitze der Kathedrale hinaufziehen lassen, damit ich sehen kann, was im Felde vorgeht. Doch nein ... wartet ... Kardinal von Pavia, gieb mir den Arm ... Du hier, Kapitän, komm näher ... Deinen Arm! ... Wahrhaftig, ich kann gehen! ... So kommt denn!


Rom.

Bei Janus Goricius von Luxemburg.

Ein großer Saal mit einer Decke, auf der ein mythologischer Gegenstand gemalt ist; Fresken an den Wänden; Mosaikfußboden; große Vasen mit Blumen gefüllt; die Fenster sind nach einem Garten geöffnet, und im Hintergrunde fällt der Blick auf ein Stadtviertel, in welchem Häuser mit Bäumen abwechseln. – Agostino Chigi und sein Bruder, der Priester Sigismondo Chigi; Bramante; Bernardo da Bibbiena; die Imperia; Raffael; der Datario Bartolommeo Turini da Pescia; der Musiker Giacomo Sansecondo; andere Geladene. – Die ganze Gesellschaft ist gruppenweise in dem gewaltigen Saale verteilt, die einen im Stehen plaudernd und lachend, die andern auf Sesseln, Klappstühlen oder Polstern sitzend.

Bramante (zu Raffael). Laß einen Moment Frau Imperia, und höre, was ich dir zu sagen habe. Michelangelo ...

Raffael. Laßt mich doch einen Augenblick mich unterhalten. Ich komme fast um vor Müdigkeit und bin ganz dumm von der Arbeit. Wenn Michelangelo Ränke gegen mich schmiedet, so seid Ihr wie der Teufel über ihn her, folglich hebt sich's auf.

Bramante. Ich glaube, daß deine Leichtfertigkeit mindestens so groß ist wie dein Talent. Michelangelo sagt überall, daß du das, was du weißt, von ihm gelernt habest.

Raffael. Er hat mir einiges beigebracht, das ist wahr; aber ich glaube nicht, daß er die Dummheit ausspricht, die Ihr ihm zuschreibt. Er ist ein Mensch von unglücklicher Gemütsart, aber kein Schelm. Schließlich ist er beim Papste in Bologna; lassen wir ihn zufrieden. Er hat Meister Francia, meinem Freunde, unglaubliche Ungezogenheiten angetan, die ihm dieser nicht vergeben kann.

Bramante. Leider ist der Buonarroti allmächtig beim heiligen Vater, und da er nicht eine einzige Gelegenheit versäumt, um dir zu schaden, so wird ein Tag kommen, wo ...

Raffael (ungeduldig). Ein Tag kommen, wo unser beider beste Freunde uns durch gegenseitiges Aufhetzen in Todfeinde verwandelt haben werden, was eine Schmach wäre, und ich will mich aus allen Kräften dagegen wehren.

Bramante. Ich hätte gewünscht, daß man dir wenigstens die Hälfte von der Decke der Sixtina zu machen gäbe. Aber Michelangelo reißt alles an sich!

Raffael. Habt Ihr mir weiter nichts zu sagen?

Bramante. Geh dich unterhalten, hast du doch kein Blut in den Adern.

Raffael. Es ist mir unmöglich, mich gegen jemanden aufbringen zu lassen, und besonders gegen einen Mann, den ich bewundere. Habe ich nicht Arbeit, mehr als meine Kräfte bewältigen können?

Janus Goricius. Meister Raffael, habt Ihr die Gruppe der allerheiligsten Jungfrau und der heiligen Anna gesehen, die Meister Andrea Sansovino in der Kirche Sant' Agostino für mich ausgeführt hat?

Raffael. Ich habe sie gerade heute bewundert, und es ist eines der schönsten Werke unserer Zeit. Ich vergesse nicht, daß Ihr von mir ein Bild für diese selbe Kirche wünscht.

Janus Goricius. Ich beschwöre Euch, Meister Raffael, verwirklicht Eure schönen Versprechungen; wann wollt Ihr anfangen?

Raffael. Hört! ich will Euch eine Sibylle mit einem Lorbeer um das Haupt machen. Gefällt Euch das?

Janus Goricius. Ja, aber soll dies eine junge oder eine alte Sibylle sein?

Bibbiena. Bedenke wohl, lieber Raffael, daß Herr Goricius leidenschaftlich die Schönheit liebt.

Raffael. Meine Sibylle ist alles, was die Natur geschaffen, was der Geist nur fassen kann an Liebenswürdigstem und ... Aber da kommt der hochwürdigste Kardinal Giovanni de' Medici.

Der Kardinal (tritt auf. Er umarmt Raffael). Dich liebe ich, als wärest du ein Kind von meinem Fleisch und Blut, ja so sehr, daß ich fast eifersüchtig auf deine Freundschaft für Herrn Bibbiena bin.

Bibbiena. Hochwürdigster Herr, Raffael hat so viele Dinge, so viele Menschen gern, und sein Herz ist so reich ausgestattet mit allen Gefühlen, die der Liebe eigen sind, daß man sich seine Freundschaft nicht streitig zu machen braucht.

Sigismondo Chigi. Ich für mein Teil begehre in diesem Augenblicke nur ihm dafür zu danken, daß er auf seinem Gemälde der Theologie die Gestalt des großen, heiligen, ehrwürdigen Märtyrers Bruder Girolamo Savonarola angebracht hat. Ein Tag wird kommen, wo alle Welt diesem großen Manne Gerechtigkeit widerfahren lassen wird, und ich segne Meister Raffael, daß er als einer der ersten seinen Triumph vorbereitet hat.

Raffael. Dieses Verdienst gehört nicht mir. Es kommt ganz und gar dem Herrn Grafen Baldassare Castiglione und meinem andern Führer Ludovico Ariosto zu; alle beide haben mir Ratschläge betreffs der Heiligen und der weisen Meister gegeben, die ich in meinem Werke auftreten lassen sollte.

Die Imperia. Hochwürdigster Herr Kardinal, habt Ihr denn heute nur für Meister Raffael Augen?

Der Kardinal de' Medici. Ach, gnädige Frau, wie beschämt ich bin! in der Tat, ich habe so schlechte Augen! Ich hatte Euch noch nicht bemerkt!

Die Imperia. Ihr werdet gar nicht verlangt, Hochwürden; nur hindert Giacomo nicht am Singen. Ihr seht, er stimmt seine Laute.

Der Kardinal. Wollt Ihr mir nicht erlauben, Grausame, die Ihr seid, mich wenigstens eine Minute zu Euch zu setzen?

Die Imperia. Ach! Hochwürden, Ihr denkt nur an die Statuen, die Gemälde und die Bücher!

Der Kardinal. Und nie an die lebende Aphrodite?

(Sie sprechen leise. Sansecondo beginnt zu singen. Michelangelo tritt auf.)

Janus Goricius. Herr Buonarroti, seid willkommen!

Michelangelo. Laßt Euch nicht stören. Wenn mein Auftrag erfüllt, ziehe ich mich zurück. Meinen Gruß dem hochwürdigsten Herrn Kardinal. Guten Abend, Meister Raffael. Der allerheiligste Vater sendet mich eigens von Bologna, um Herrn Bibbiena zu melden, daß er augenblicklich dort zu ihm zu stoßen habe ... Er hat gesagt augenblicklich, ohne eine Minute zu verlieren.

Der Kardinal de' Medici. Was ist denn geschehen?

Michelangelo. Die Franzosen und die Bentivogli haben uns in Bologna überrumpelt ...

Alle. O! großer Gott! Der Papst ist gefangen?

Michelangelo. Er hat die Franzosen hingehalten, die Bologneser niedergeschmettert. Die Venetianer und die Spanier haben Zeit gehabt, uns zu Hilfe zu eilen; die Franzosen sind nach Mailand entflohen. Herr Bibbiena, kommt Ihr? Ich muß zurück, ohne eine Stunde zu verlieren, um die Belagerung von Mirandola zu leiten.

Der Datario Bartolommeo Turini. Der Papst kommt nicht hierher zurück?

Michelangelo. Nächst Mirandola werden wir Ferrara nehmen; dann werden wir sehen. Gehn wir.

Janus Goricius. Welch ein Mann, dieser Papst! In seinem Alter!

Agostino Chigi. Er? er kennt kein Alter; er ist nur ein unauslöschbarer Herd von Kraft, draus wirbelnd Flammen, Funken und Rauch hervorkommen.

Der Kardinal. Und vulkanische Ausbrüche! Ich beklage die arme Stadt Mirandola und die unglückliche Gräfin Francesca Trivulzio. Sie wird mitsamt ihren Kindern wie eine Bettlerin vor die Türe gesetzt werden. Brecht auf, Herr Bibbiena, der Papst wartet nicht gern.

Bibbiena. Ich folge Euch, Meister Michelangelo. Guten Abend, Raffael, mein Kind; unterhalte dich gut!

Raffael. Ich will mein Möglichstes dafür tun. Guten Abend, Meister Buonarroti; gebt mir Eure Hand!

Michelangelo. Wenn ich wiederkomme! Guten Abend, Hochwürden; ihr Herren, guten Abend.

(Bibbiena und er gehen.)

Die Imperia. Welch ein unangenehmer Mensch!

Janus Goricius. Denken wir an unser Vergnügen! Das Abendbrot ist bereit.


Mirandola.

Ein Saal im Schlosse.

Gräfin Francesca Trivulzio, ihre Kinder, ihre Frauen, Offiziere der Besatzung; ein Unterhändler des Herzogs von Urbino, Feldherrn der Truppen der Kirche.

Die Gräfin. Ich habe Euch geantwortet, Herr. Ich werde meine Stadt dem heiligen Vater nicht übergeben. Sie ist das Erbe meiner Kinder. Ich verteidige ihre Rechte und die Gerechtigkeit.

Der Unterhändler. Edle Frau, der Herr Herzog von Urbino hat gute Geschütze und mehr Truppen als Ihr. Wenn Ihr ihn zwingt zu stürmen, so steht er nicht für die Folgen.

Die Gräfin. Ich bin die Tochter Giovangiacomo Trivulzios; mein Blut wird nicht kalt, wenn mir gedroht wird. Ihr habt mein letztes Wort. Kehrt zu Eurem Herrn zurück.

Der Unterhändler. Wollet gnädigst erwägen, edle Frau ...

Die Gräfin. Gebt dem Kapitän das Geleit.


Mailand

Der herzogliche Palast.

Gaston de Foix, Herzog von Nemours, Oberfeldherr der französischen Truppen in Italien; der Großmeister de Chaumont, Statthalter von Mailand; de Clermont-Montoison, Befehlshaber der dem Herzog von Ferrara gelieferten französischen Hilfstruppen; der Prinz von Anhalt, Feldherr der Truppen des Kaisers; Louis de Brézé, Großseneschall der Normandie, Befehlshaber der Edelleute des königlichen Hauses; die Kapitäns Ives d'Ulègre, Bonnet, Maugiron; der Bastard von Cleve und andere Offiziere. Kriegsrat.

Gaston de Foix. Edle Herren und Hauptleute, der Wille des Königs ist, die Dinge nicht in die Länge ziehen zu lassen. Er will den Anschlägen des Papstes Julius II. ein Ende machen. Dieser angebliche Priester, härter gegen die christlichen Fürsten, als der Türke sein würde, will einen jeden seines Gutes berauben und sich auf Kosten aller bereichern. Böslich verbündet mit den Spaniern, die eitel Treulosigkeit sind, und mit den Venetianern, die sich die Väter der Lüge nennen könnten, verhehlt der sogenannte heilige Vater seinen Willen nicht, uns über die Alpen zurückzuschicken und uns Mailand zu entreißen. Er will alles nehmen, alles behalten. In dieser schönen Absicht hetzt er den Türken gegen den Kaiser und den Engländer gegen uns auf und läßt zu gleicher Zeit die Küsten des Atlantischen Meeres wie die Gefilde Ungarns verwüsten. Bis hierher haben wir, so gut wir konnten, uns abwartend verhalten und diesem Übermaße von Tollheit Geduld und Milde entgegengesetzt. Auf dem Wege der Vernunft vorgehend, haben wir eine Kirchenversammlung zusammengebracht, die zwar wenig zahlreich, aber aus den vertrauenswürdigsten Kirchenlehrern gebildet ist. Julius II. hat sich kein Gewissen daraus gemacht, den Pöbel von Pisa gegen diese heilige Versammlung aufzuwiegeln, die wir hierher haben verlegen müssen, um sie in Sicherheit zu bringen. Hinfort ist es vollkommen erwiesen, daß einzig der Krieg bis aufs Messer mit des Papstes Tücke fertig werden kann. So werden wir, ich wiederhole es euch, mit nichts mehr zurückhalten, und der König will, daß die Erfolge nicht auf sich warten lassen. Darum habe ich euch versammelt. Wollt mich denn wissen lassen, edle Herren und Hauptleute, ob eure Truppen vorbereitet sind, zu Felde zu ziehen, und was ihr von der Lage denkt, in der wir uns befinden.

Ives d'Alègre. Da so viele ansehnlichere Herren als ich kein Sterbenswörtchen sagen, so erkühne ich mich Euch vorzustellen, daß, wenn Ihr die Absicht habt, zu schlagen, dies gehörig, nachdrücklich und mit Feuer geschehen muß, ohne eine Minute zu verlieren, denn der Feind, den Ihr Euch gegenüber habt, ist der Art, daß er Euch viel zu schaffen gemacht hat und machen wird. Als der Herr Großmeister sich die Gelegenheit hatte entgehen lassen, ihn in Bologna zu fangen, stand er andern Tags wieder im Felde wie ein simpler Freischärler von zwanzig Jahren. Kapitän Bayart ist ihm nachgezogen, um ihn zu überrumpeln; es ist ihm nicht gelungen, und Julius II. hat mit eigener Hand geholfen, die Zugbrücke des Schlosses San Felice aufzuziehen, das ihn vor unserem tapferen Ritter barg. Jetzt muß dieser furchtbare Gegner in Person vor Mirandola sein. Sein Neffe, der Herzog von Urbino, hat la Concordia genommen; die Spanier rücken mit dem Vicekönig Don Raimondo de Cardona und einem vortrefflichen Fußvolke gegen uns vor; die Venetianer bedrohen Brescia, und da sie dort bedeutende Verbindungen haben, so glaube ich, daß sie es nehmen werden. Endlich sammeln sich die Schweizer da oben auf den Bergen über unsern Häuptern und der Papst wird sie mit silbernem Hebel auf uns herabwälzen. Eilen wir uns denn, und wenn wir Ferrara retten wollen, nehmen wir Bologna.

Louis de Brézé. Ihr urteilt treffend, Kapitän d'Alègre; aber Bologna ist nicht leicht zu nehmen. Der Kardinal Regino ist durch den Kardinal von Pavia ersetzt worden; der ist ein Krieger, der sich nicht überwältigen lassen wird. Außerdem ist der Herzog von Urbino imstande, uns so viele Verlegenheiten zu bereiten, daß die Spanier Zeit haben, herbeizueilen. In diesem Falle würden wir die Belagerung aufheben müssen.

Ives d'Alègre. Bologna hat den Aufruhr im Schoße lodern, und wenn wir nur Miene machen, zu stürmen, so werden uns die Bürger augenblicklich die Tore öffnen; dann muß der Kardinal die Flucht ergreifen und einen Vorsprung zu gewinnen suchen.

Gaston de Foix. Ihr Herren, ich denke wie Kapitän d'Alègre und bitte, euch binnen vier Tagen bereit zu halten.


Vor Mirandola.

Die Bresche.

Die Gräben sind eingefroren. Die schweren Reiter und das Fußvolk des Papstes unter den Waffen; zwei Batterien feuern noch, um den Eingang zu vergrößern. Julius II., der Herzog von Urbino, die Kardinäle Raffael Riario, del Carretto, Galeotto della Rovere, Francesco Romolino und Luigi Borgia; Kapitän Giovanni Paolo Baglione; die Schreiber, die Kämmerer, die Schweizer der Wache; der Papst und alle Personen seines Gefolges mit Pelzwerk und Kapuzenmänteln bekleidet; es ist sehr kalt.

Julius II. Nun! ist's fertig?

Der Herzog von Urbino. Die Stadt ist übergeben. Ich werde eines der vermauerten Tore einschlagen lassen, um Euerer Heiligkeit Bahn zu machen.

Julius II. Nicht doch! Ich will durch die Bresche hinein. Wo ist die Gräfin Francesca?

Der Herzog. Sie erwartet Euere Heiligkeit im Schlosse.

Julius II. Sie mag sich zurückziehen, wohin sie will. Marsch! Und heute Abend brechen wir nach Ferrara auf.

(Ein Bote tritt auf.)

Ein Bote. Allerheiligster Vater, Bologna ist in den Händen der Franzosen.

Julius II. Der Kardinal hat die Stadt übergeben?

Der Bote. Die Bevölkerung hat sich empört und die Tore geöffnet.

Julius II. So hattet Ihr eine unzureichende Besatzung zurückgelassen, Francesco Maria?

Der Herzog von Urbino. Allerheiligster Vater, ich hatte Euch in allen Stücken gehorcht.

Julius II. Das soll heißen, daß, wenn es nach Euch ginge, der Kardinal von Pavia, der Alidosio, zu dem ich alles Vertrauen habe, ein Tropf, ein Feigling, oder ein Verräter wäre? Antwortet!

Der Herzog von Urbino. Mir scheint, daß, wenn jemand gefehlt haben soll, er es eher ist als ich.

Julius II. Ich will diesen Handel aufklären ... Er geht mir nahe ... Das könnt Ihr glauben, und keine Rücksicht soll meinen gerechten Zorn hemmen. Wo ist Michelangelo?

Michelangelo. Hier, allerheiligster Vater.

Julius II. Gieb geschwind deine Anweisungen, damit die Verteidigungsmittel der Stadt aufgebessert und sie in den Stand gesetzt werde, sich zu halten. Mache die Arbeit, wovon wir zusammen gesprochen haben, und kehre in aller Eile nach Rom zurück, um mein Grabmal zu fördern. Wenn ich sehe was ich sehe, und leide was ich leide, so möchte ich, ich wäre schon hineingesunken. Nein! es ist zu viel des Jammers!


Rom.

Eine Werkstatt von geringer Ausdehnung.

Geschnitzte Möbel, schöne Stoffe in Purpur, Blau, Gold und Silber, eine antike Statue der Pallas, eine Büste der Psyche, Vasen voller Blumen, deren Duft das Zimmer mit erquickenden Wohlgerüchen erfüllt. – Raffael vor seiner Staffelei an dem Bildnis der Donna Beatrice di Ferrara arbeitend.

Raffael. Nicht oft begegnet es mir, daß ich allein bin ... allein ... für lange Zeit ... wo ich denn nach meinem Gefallen denken und fühlen kann ... nicht unter dem Drucke irgend einer unmittelbaren Vorstellung stehe, die mich beherrscht und als Sklaven behandelt ... Nein! heute gehöre ich mir selbst, ich bin mein einziger Genoß ... ich genieße nach Herzenslust, und ohne daß irgend etwas mir es anföchte, jeden Hauch der Freude, die über mich kommt, der Wonne der Einsamkeit, so durchdringend, so feurig, daß die erregten Sinne sie nicht lange würden ertragen können. Die Einbildungskraft des Menschen ist so schwach! Sie bedarf beständig der Hilfe von außen, um sich in den Lüften zu erhalten, und wenn diese Hilfe zu selten kommt und sich nicht unaufhörlich erneuert, dann sinkt das arme Vöglein entkräftet herab und rührt sich nicht mehr. Welch ein Jammer! ... Denn es fühlt sich weit lebendiger in den kurzen Augenblicken, wo es sich selber genug ist! Alsdann habe ich ersonnen, was ich Schönstes habe schaffen können. Ja, alsdann bin ich dem Schöpfer, der mich zu dem gemacht hat, was ich bin, den ewigen Dingen, die ich auszudrücken vermag, der noch himmlischeren Liebe, die ich fühlen darf, am nächsten gekommen! ... Die Natur ist unergründlich; aber der Geist, der sie durchzieht, ist eine so frohe, helle Glut! Vergebens lasten alle Nöte der Erde wie der Hölle auf dem Menschen, lasten auf uns Italienern zumal, die wir von den Barbaren, den Fürsten, den Republiken, den Parteien und jederlei Art von Verbrechern geplagt sind! Die Freude, das Leben, das Fruchtbringen tragen uns empor; wir schwimmen in einem Himmelsäther! Und die Gelehrten, und die Dichter, und die Litteraten, und die Altertümler, und die Drucker, und die Maler, die Bildhauer, die Baumeister, die Stecher, die Bildschnitzer, die Illuminierer, alles, alles, alles, was fähig geworden ist, in irgend einer Form, auf irgend eine Art einen Gedanken, eine Gedankenschattierung, ein ganz feines und ganz winziges Atom einer Idee zum Ausdruck zu bringen, alles ist am Werk, arbeitet, läßt sich nicht stören, häuft Wirkung auf Wirkung, und schreitet mitten durch das Unheil, die Leuchte des Genius auf der Stirn, ein Lächeln auf den Lippen, und sein Werk in der Hand! Was verleiht uns einen solchen Wert, eine solche Kraft, diese nie geschaute Macht? Die Athener kannten nur die Erfindungen Griechenlands, eine wundervolle Architektur, eine unvergleichliche Bildhauerei, aber eine Malerei, die eine Sklavin ihrer glorreichen Schwester war, und, bei unbegrenzter Poesie, begrenzte Wissenschaften. Das war ihr Los! Wir – welch erhabenere Reichtümer beglücken uns, und wie ist unserem Streben eine ganz anders weite Bahn geöffnet! Was das Altertum besaß, besitzen wir es nicht auch, und dazu das, was unsere Väter sich selbst gelehrt haben? Wir haben, wie Polyklet und Zeuxis, die Götter der heidnischen Zeiten darzustellen, aber auch die Heiligen des himmlischen Jerusalem, und die Philosophen, aber auch die Kirchenlehrer ... Wohlan! wir werden allem gewachsen sein, alles erreichen, und die Welt, durch unsere Hände umgeformt, wird sich verjüngen; es wird uns gelingen, das Übel, wenn auch nicht ganz, wenigstens in seinen häßlichsten Gestaltungen zu vertreiben! Ist es nicht Wahrheit, was ich empfinde? Die Liebe, die mich entzückt, könnte sie mich täuschen? Wozu sollte es dienen, daß ich sie fühle? warum sollte der Himmel, von wo sie sicherlich ausgeht, sie mir senden, wenn sie unfruchtbar bleiben sollte? ... Wie dies Bildnis Leben gewinnt! ... wie es meine Beatrice ist! ... wie das Blut in diesem angebeteten Antlitz fließt! ... (Er wendet sich um und gewahrt Beatrice auf der Türschwelle.) Ach! Da bist du selbst! da bist du, mein Lieb, mein Licht, mein Stern!

Beatrice. Arbeite weiter, Raffael, mein Raffael! so habe ich dich am liebsten!


Ravenna

Ein Zimmer im Palaste.

(Julius II., Kardinal Riario; Bernardo da Bibbiena; Schreiber. Der Papst diktiert Depeschen (Matthias Scheiner, Kardinal von Sitten, tritt auf.)

Julius II. Sapperment! ich habe verboten, daß mich jemand unterbreche! Du, siegele diesen Brief, und der Kurier soll augenblicklich nach England abgehen. Was giebt's, Matthias?

Kardinal Matthias Scheiner. Ein Unglück!

Julius II. Was für ein Unglück?

Kardinal Scheiner. Der Kardinal von Pavia wollte sich hierher begeben und bei Euerer Heiligkeit darüber verantworten, daß er Bologna verloren habe.

Julius II. Wenn ich Bologna verloren habe, so werde ich's wieder nehmen. Laßt den Kardinal eintreten! Er mag schwach gewesen sein; ich halte ihn nicht für einen Verräter. Er soll kommen!

Kardinal Scheiner. Der Herr Herzog von Urbino, fürchtend, der Kardinal möge die Schuld auf ihn wälzen ...

Julius II. Keine solchen Flausen! Bin ich ein lächerlicher Graubart, den man an der Nase herumführt? ... Macht sich Francesco Maria über mich lustig? Der Kardinal soll sich beeilen. Ich will ihn anhören, und wenn der Herzog von Urbino unrecht gehabt hat, so soll er gezüchtigt werden ... Nun! was bedeutet das? ... Warum dieses Schweigen? ... Wirst du reden? ... Hole mir Alidosio.

Der Kardinal von Sitten. Seine Gnaden von Urbino begegneten ihm soeben auf der Straße, vor dem Palaste; er ist auf ihn zugegangen ...

Julius II. Gut! Er hat ihm Beleidigungen gesagt? Er ist ein Wildfang! Ich werde das beilegen ...

Der Kardinal von Sitten. Das heißt, allerheiligster Vater, es ist nicht. ... Er hat ihn ...

Julius II. Bei allen Heiligen! Sollte er gewagt haben, ihn zu schlagen? ... Sich an einem Fürsten der heiligen römischen Kirche zu vergreifen? Du willst doch nicht sagen ... Er hat ihn doch nicht geschlagen? ...

Der Kardinal von Sitten. Allerheiligster Vater! ...

Julius II. Beim Blute der Madonna! So sprich! ...

Der Kardinal von Sitten. Er hat ihn ... er hat ihn erdolcht!

Julius II. Erdolcht ... Nicht möglich ... es ...

Der Kardinal von Sitten. Er hat ihn erdolcht, und der Kardinal von Pavia ist dort, unten, auf der Stelle tot, und die Menge um ihn her ... Ich habe gesehen, daß sie den Leichnam wegtrugen.

Julius II. (sinkt vernichtet in seinen Lehnstuhl. Er bedeckt sich die Augen ... dann hebt er das Haupt wieder, blickt rings um sich und sagt mit matter Stimme): Geht alle hinaus! ... ja, alle! ... Nein! ... Bleib' da, ... Du ... Matthias! (Die Anwesenden entfernen sich, bis auf den Kardinal von Sitten.) Ich habe viele Schicksale in meinem Leben gehabt ... Ich habe viel Elend erfahren ... und viele Widerwärtigkeiten ... und Unfälle ... große Unglücksfälle; und doch, ich hatte den Ekel der Schande, der Entwürdigung, der Niedrigkeit nicht gekostet ... ich hatte nichts in mir zerbrechen gefühlt! Und es ist mein eigener Neffe, das, was meinem Fleisch und Blut, meiner Person, meinem Willen, meinem Herzen am nächsten ist; es ist dieser Teil meines Selbst, der eine Demütigung über mich verhängt, die ... Nicht daß ich zauderte, daß ich geneigt wäre, irgend etwas nachzusehen ... Aber ich gestehe dennoch ... Ja, mein Freund ... Du hast mir einen furchtbaren Schlag versetzt ... ich fühle mich schwach, Matthias ... ich habe keine Kraft mehr ... ich weiß nicht, was in mir vorgeht ...

Der Kardinal von Sitten. Gott bedient sich unserer teuersten Zuneigungen, um uns unsere herbsten Trübsale zu senden.

Julius II. Diese da ... diese da ist ein wenig stark. Sie hätte auf jeden Fall in einem anderen Augenblicke kommen können, denn du weißt, wie heute unser Gebäude auf allen Seiten kracht. Ich suche nur den höchsten Glanz des Papsttums, du weißt das, Matthias. Ich habe eine große Gewalt in meiner Hand, es ist wahr. Aber ich will viel mehr, als ich erreiche. Ich werde von Wünschen über das Mögliche hinaus verzehrt ... Da hast du's, wie es um mich bestellt ist ... ich sehe es wohl ein zu dieser Stunde: alles bricht zusammen, schwindet dahin ... Ich stolpere bei jedem Schritte. Hindernisse, und in tausend Gestalten! wuchern unter meinen Füßen. Die Bosheit, die Gemeinheit, der Hochmut, alle Laster der Hölle schlingen sich ineinander und wachsen aneinander, sie bilden ein unentwirrbares Netz. Davon bin ich umwoben, geknebelt, und, als letzter Schlag, da dringt nun die wütende, blutige Raserei aus der Nähe meiner Lenden, aus meinem eigenen Blute hervor, um mich in Banden zu schlagen! Du begreifst, daß ich hinfort entehrt bin? ... Du begreifst es? ... Du siehst es? Du gestehst es! ... Du, ein grober Schweizer, ohne Zartgefühl! ... Meine Feinde haben zu ihren Diensten die sogenannte Kirchenversammlung, ein lächerliches Gemengsel von elenden Gliedermännern ... Diesen Santa Croce! ... Sie klagen mich ohnehin schon an, ich sei ein Trunkenbold ... weil ich alt bin, weil mein Gesicht von der Arbeit gerötet ist, weil meine Hände manchmal zittern, wiewohl das Gewicht meines Willens noch immer zu schwer für ihre dicken Schädel ist ... Und dieser Ludwig von Frankreich, ein Lümmel, ein gemeiner Bauer, wird sagen, ich mordete die Kardinäle nach dem Muster des die heiligen Ämter verschachernden Giftmischers, der vor mir vom Stuhle der Apostel weggefegt worden ist! Was soll ich tun? Mein Verderben ist vollkommen! ... Ich habe Lust, mich hinzulegen und alles der Bosheit meiner Feinde preiszugeben!

Der Kardinal von Sitten. Es ist ein großes Unglück ... Aber wenn man einige Kraft hat, kann man sich gleichwohl aus allem wieder aufrichten.

Julius II. Gieb mir ein Glas Wein ... da ... in diesem Kredenztisch ... (Er trinkt.) Was tuts? ... der Schlag ist hart ... Alidosio hat freilich Bologna übergeben ... aber er war doch ein guter Diener ... Und mein Neffe ... mein Neffe? Der Elende kümmert mich nicht mehr! Mein Neffe? Ein Skorpion, der sich gegen mich aufbäumt! ... Sollte irgend eine Rücksicht in der Welt mich hindern, ihn zu zertreten? ... Nein! nein! nein! Ich will ein furchtbares Exempel statuieren! Wenn das Verbrechen Grausen erregt, die Züchtigung soll noch weit mehr schrecken! Man soll nichts Ähnliches gesehen haben seit der Verurteilung von Brutus' Söhnen, und wir wollen sehen, was sie dazu sagen werden!

Der Kardinal von Sitten. Ich glaube, daß Ihr nicht unrecht haben würdet. Indessen erwägt ...

Julius II. Laß das! Laß das! Alles mag zu Grunde gehen, aber ich nicht, und nicht das Wohl der Kirche ... Höre! Ich kehre augenblicklich nach Rom zurück; dort soll sich ein unerbittlicher Gerichtshof bilden. Das Herzogtum Urbino wird mit dem Gebiete der Kirche vereinigt. Der Mörder ... nehmt ihn fest, legt ihn in Ketten, schleppt ihn ins Inquisitionsgefängnis! Er soll nicht lebend mehr herauskommen! Schreibe den Kardinälen, daß ich ihnen befehle, zum Consistorio zu kommen ...

Der Kardinal von Sitten. Das werde ich.

Julius II. Notiere dies: eine Kirchenversammlung, eine wirkliche Kirchenversammlung wird ohne Verzug in den Vatikan berufen, um die Bannflüche, die gegen Ludwig von Frankreich, Alfonso von Este und ihre Helfershelfer geschleudert sind, zu verschärfen und aber zu verschärfen. Hast du geschrieben?

Der Kardinal von Sitten. Fertig.

Julius II. Schreibe weiter. Die Belagerung von Ferrara muß beschleunigt werden! Schreibe an Marcantonio Colonna, an die Venetianer, an die Schweizer, daß mein Wille unerschütterlich ist. Ich habe Geld; sag' ihnen das! ... Ich muß auch mit der Regierung von Florenz und ihrem einfältigen Häuptling, Soderini, ein Ende machen! Notiere dies ... Gut... Der Kardinal Giovanni de' Medici befehligt das Heer der Kirche in diesem Falle ... Wir haben dann die Anhänger seines Hauses für uns ... Aber ... höre mich wohl ... ich will nicht, daß, die gegenwärtige Signoria einmal gestürzt, die Erben Lorenzos jemals die Macht wieder bekommen ... Man hält sie mit Worten hin ... Florenz und Toscana müssen der Kirche gehören ... Du sagst Bibbiena, daß er sich mit mir über dies Thema verständige.

Der Kardinal von Sitten. Ich habe fertig geschrieben, allerheiligster Vater.

Julius II. Ich fühle mich besser! Heda! Niemand da? (Ein Kämmerer tritt ein.) Laß meine Sänfte zurechtmachen, und alles soll sich bereit halten! Wir reisen heute Abend nach Rom. Laß meine Schreiber wiederkommen! An die Arbeit!


Brescia

Die Stadt ist von den Franzosen genommen und der Plünderung preisgegeben. Truppen von Soldaten, schwere Reiter, Landsknechte, Freischärler, das Schwert in der Faust, außer sich vor Wut, versperren die Straßen; ein Teil der Häuser brennt; die Tore sind eingeschlagen; die Weiber werden an den Haaren über das Pflaster geschleift; überall wird gemordet. Trompeten blasen zum Sammeln und Trommeln schlagen Vergatterung. Kein Soldat giebt darauf acht; fast alle sind berauscht. Unaufhörlich Gelärm, Geschrei, Geheul, Büchsensalven. – Gaston de Foix, Kapitän Hirigoye, Kapitän Molard, den Degen in der Hand; die Kapitäns Bonnet, Maugiron, Cleve, desgleichen; alle den Helm auf dem Kopfe und sehr erhitzt.

Kapitän Molard. Herr Bayart hat eben eine garstige Wunde bekommen!

Gaston de Foix. Welch ein Unglück! ... Ist er tot?

Kapitän Hirigoye. Beinahe! Ich habe ihn auf vier Piken ausgestreckt gesehen, und sie haben ihn in ein Haus getragen.

Ein schwerer Reiter (im Galopp ankommend.) Herr Herzog, Kapitän d'Alègre läßt Euch sagen, daß er die venetianischen Reiter in der Stadt untergekriegt hat! Sie wollten durch die Porta San Nazaro entfliehen! Wir haben sie auf den Marktplatz zurückgeschlagen; umzingelt, haben sie sich ergeben. Wir haben sie!

Alle Heerführer. Ein guter Fang! Vortrefflich!

Gaston de Foix. Habt Ihr einige Gefangene von Bedeutung?

Der schwere Reiter. Wir haben die Proveditori Andrea Gritti, Contarini, den Podestà Giustiniani, Feldhauptleute der Republik und den Grafen Avogadro.

Kapitän Molard. Vorzüglich! Den verdammten Urheber des Aufruhrs in Brescia, den Mann, der uns diesen saueren Tag einbringt!

Gaston de Foix. Sagt Herrn d'Alègre, daß der Graf Avogadro augenblicklich auf dem Marktplatz enthauptet werden soll, und sein Leichnam in so viele Stücke zerschnitten, als es Stadtteile giebt.

Kapitän Maugiron. Wundervoll gerecht! Jedes Viertel kriegt sein Teil! Ha! Der falsche Verräter! Da hat er seinen würdigen Lohn!

Kapitän Hirigoye. Herr Herzog, ich kann meine Gascogner nicht mehr halten! Wenn man kein Mittel findet, dem Plündern ein Ende zu machen, so ist's mit meinen Haufen aus; ich wette, daß man sie nicht wieder zusammenbekommt!

(Kapitän Jakob von Ems kommt in aller Eile an.)

Kapitän Jakob von Ems. Herr Herzog, Herr Herzog, ich kann meine Landsknechte nicht mehr halten! Sie schlagen sich mit den Gascognern!

Kapitän Hirigoye. Sackerlot! Herr Jakob, dafür steht Ihr mir, und ich frage nach Eurer Haut gerade so viel ...

Gaston de Foix. Seid Ihr toll, Kapitän Hirigoye? Einen Eurer Kameraden herauszufordern? Treibt Ihr Euren Spott mit uns?

Kapitän Jakob von Ems. Freilich muß man die Schufte auseinander bringen, sonst machen sie einander alle.

Gaston de Foix. Kapitän Maugiron, nehmt fünfzig Kürasse von meiner Kompagnie, und fahrt einmal ordentlich zwischen die Gascogner und die Landsknechte, bis sie loslassen. Nieder, nieder mit allem, was sich zur Wehr setzt!

Kapitän Jakob von Ems. Ich will auch hin und sehen, daß ich die Geschichte vereinfache.

Kapitän Hirigoye. Alle Hagel! Schockschwerenot, Taugenichtse! Meine Gascogner sind dabei, alles aufzufressen! Kommt, wollen doch mal sehen, was das ist, lieber Kapitän Jakob!

(Sie gehen eilig ab; die fünfzig schweren Reiter setzen sich in Galopp.)

Ein Sergeant der Freischärler. Herr Herzog! Verstärkung! Kapitän Jacquin schickt mich Euch zu melden, daß die Freischärler von den Häusern herunter mit Steinen totgeworfen und mit siedendem Pech verbrannt werden.

Gaston de Foix. Kapitän von Cleve, geht dorthin mit Euren Fußtruppen!

Der Bastard von Cleve. Ich weiß nicht, wo sie sind! Es sind keine zehn beisammen! Ich selber eile hin.

Gaston de Foix. Folgt mir, Reitersleute!

(Er bricht mit dem Rest seiner Ordonnanz-Kompagnie auf; ein Regen von Ziegeln, Hausgerät und Balken fällt von den Dächern auf sie herab.)


Nonnenkloster.

Die Kirche voll Weiber und Kinder; Schreckensrufe.

Die Landsknechte. Geplündert! geplündert! Macht euch drüber! Die Weiber für uns!

(Gemetzel und Gewalttaten.)

Das Innere eines Hauses.

Kapitän Bayart liegt verwundet auf dem Fußboden. Soldaten der Kompagnie Molard die ihn gebracht haben; ein Knappe des Kapitäns, sein Kammerdiener, der Bastard de Cordon; die Frau des Hauses, ihre beiden Töchter in Tränen, alle drei auf den Knieen.

Bayart. Keine Angst! keine Tränen! Liebe Frau und ihr Fräuleins, ich stehe für eure Rettung! Ihr sollt nicht das kleinste Ritzchen abbekommen! Kameraden, stellt euch auf Posten an die Tür! Sagt denen, die hereinwollen, daß ich hier bin! Das Haus gehört mir! Fest!

Die Frau. Ach! gnädiger Herr, rettet unser Leben! rettet unsere Ehre! Wir wollen großes Lösegeld zahlen!

Bayart. Ich bin nicht um Gewinstes willen Soldat geworden! Verhaltet euch ruhig! Ich verliere mein Blut! Legt mich auf ein Bett! Kameraden! ich ersetze euch euren Anteil an der Beute!

Die Soldaten und die Knappen. Dank! schönen Dank, Kapitän, wir verlassen Euch nicht! Niemand soll herein!

Die Frauen. Gelobt sei Gott! wir sind gerettet!

Bayart. Keine Angst! ... Ach! heilige gebenedeite Jungfrau, was ich ausstehe! (Er wird ohnmächtig.)


Florenz.

Der Palazzo Rucellai.

Ein Saal. – der Gonfaloniere Piero Soderini, Niccolo Valori, Niccolo Machiavelli, Agustino Capponi, Palla Rucellai.

Machiavelli. Ich weiß nicht, ob, was ich euch sage, seine Deutlichkeit behält, wenn mir's über die Zunge geht, aber nichts scheint mir offenbarer. Der Staat ist verloren; wir geraten in eine Revolution.

Palla Rucellai. Ich glaube es auch und werde nicht klug daraus. Man kann nur die Verderbtheit der öffentlichen Meinung dafür anklagen. Florenz besitzt alle Freiheiten.

Machiavelli. Es merkt nicht, daß das ein großer Vorteil für es ist.

Agostino Capponi. Wir haben die Republik unserer Väter.

Machiavelli. Die Kinder haben andere Gewohnheiten angenommen.

Piero Soderini. Laßt mir die Gerechtigkeit widerfahren, daß ich bei meiner Weise zu regieren alle Interessen zu befriedigen suche. Ja, wahrhaftig!

Machiavelli. Aber Ihr erweckt keinen Enthusiasmus. Solange Bruder Girolamo Savonarola uns geführt hat, nahm unsere Bevölkerung an etwas Anteil; sie war angeregt, belebt, begeistert, und in einer solchen Verfassung ist man der Opfer fähig. Heutzutage ist der Stumpfsinn allgemein. Ich wünschte, ich täuschte mich; aber ich gestehe euch, ihr Herren und Freunde, ich fürchte, daß die Zeit der Medici wiedergekehrt sein möchte.

Agostino Capponi. Dann seid auf der Hut, daß wir nicht, wenn wir die Tarquinier wiederbekommen sollen, auch die Brutusse wiederbekommen.

Machiavelli. Man müßte sich vor unbesonnenen Streichen hüten.

Piero Soderini. Die Ereignisse drängen uns. Der Kongreß von Mantua, den der Papst gegen uns angestiftet hat ... ach! mein Gott, welche Not dieser Mann uns bereitet!

Niccolo Valori. Ich hielt ihn für verloren nach der schändlichen Tat seines Neffen; er hat dem Mörder verziehen, und niemand hat mehr acht darauf. Ich hielt ihn für verloren nach der Schlacht von Ravenna. Der Tropf von Franzosen, der Gaston de Foix, gewinnt sie, aber er läßt sich töten, und sein Sieg wird für die Seinigen schlimmer, als eine Niederlage! Julius II. hat den Nutzen davon! Ich hielt ihn für verloren vor dem Konzil von Mailand; er bringt dieses in Verruf! er sinnt ein anderes aus; er nimmt Bologna wieder, man weiß nicht wie! Er setzt dem Herzog von Ferrara den Fuß auf die Brust und wird ihn entthronen, und die Franzosen, noch gestern Sieger, lassen uns im Stich und fliehen heimwärts, weil dieser unglückselige Papst sich aus seiner tiefsten Not erhebt, wie Satan aus dem tiefsten Abgrunde, und Gefahren gleich Donnerkeilen auf sie herabschüttelt. Nun wälzen sich da noch die Schweizer in gewaltigen Strömen über das Mailändische. Und endlich, was uns angeht, ist es nicht genug, daß wir in dieser Stunde den Schutz Ludwigs XII. verlieren, da müssen die zersprengten Krieger dieses traurigen Königs auf dem Rückzuge noch ihren Gefangenen von Ravenna, den Kardinal Giovanni de' Medici, entwischen lassen! Jetzt schickt ihn uns Julius II an der Spitze des Päpstlichen Heeres zurück. Die Lage wird unhaltbar.

Machiavelli. Die Pläne Julius' II. sind mehr zu fürchten, als die weiland des Valentino.

Palla Rucellai. Inwiefern, bitte?

Machiavelli. Der Valentino arbeitete nur für sich; sein Werk hätte auf alle Fälle mit seinem Dasein geendet, da er keine Kinder hatte. Aber der Papst arbeitet für die Kirche, und allermindestens wird er für die Unabhängigkeit der italienischen Staaten sehr leidige Traditionen hinterlassen.

Niccolo Valori. Es ist jammervoll zu denken, daß die meisten unserer Mitbürger in dem Wahne leben, bei der Regierung der Medici würde der Handel besser fahren. Ferner fangen auch die Künstler an, sich gegen uns zu erklären. Diese Leute wollen Festlichkeiten, Luxus und Aufwand.

Agostino Capponi. Ein gut angebrachter Dolchstoß hat oft großen Nutzen gestiftet.

Machiavelli. Oder großes Unheil. Guten Abend, ihr Herren. Ich gehe recht niedergeschlagen nach Hause.


Barberino

Die Stadt im Hintergrunde. Landschaft am Fuße der Apenninen. Das spanische Heer und die päpstlichen Truppen – durch die Ebene, welche nach Prato führt – im Marsche auf Florenz begriffen. An der Spitze einer Kompagnie schwerer Reiter reiten Don Raimondo de Cardona, Vicekönig von Neapel, Feldherr der Liga, der Kardinal Giovanni de' Medici, Legat des heiligen Stuhles in der Romagna und in Toscana, der Herzog von Urbino, die Kapitäns Vitelli und Orsini, andere Offiziere.

Der Herzog von Urbino. Gewiß, hochwürdigster Herr, der heilige Vater ist ganz damit einverstanden, Eure Familie in Florenz wieder eingesetzt und im Besitz ihrer Rechte zu sehen. Aber Ihr wollt zu schnell vorwärts, Ihr überstürzt die Dinge, und ich habe den ausdrücklichen Befehl, mit Vorsicht und Bedacht zu verfahren.

Kardinal Giovanni de' Medici. Auf die Weise, wie Ihr vorgeht, wird alles mißlingen. Die Volkspartei wird zwar gestürzt werden. Die Ränkeschmiede, die Erben Savonarolas, werden verschwinden; aber wer soll an ihre Stelle gesetzt werden? Das wollt Ihr nicht sagen, und ich möchte es doch wissen.

Der Herzog von Urbino. Ich darf Seiner Heiligkeit nicht ungehorsam sein, Ihr ebensowenig, noch irgend jemand. Kehrt mit Euren Verwandten nach Florenz zurück, aber als Privatpersonen.

Ein Offizier (zu Don Raimondo de Cardona). Excellenz, die Florentiner haben soeben die Besatzung von Prato um zweitausend Fußsoldaten und hundert Volllanzen unter dem Befehle Luca Savellis verstärkt.

Don Raimondo de Cardona. Das ist mir nicht lieb. Es fehlt uns an Geschützen und selbst an Lebensmitteln.

Der Herzog von Urbino. Wir müssen unterhandeln. Ich habe Befehl, mit den Florentinern zu verhandeln. Wenn sie Soderini fortschicken und den Medici in der Eigenschaft als einfache Bürger den Zutritt verstatten wollen, bin ich beauftragt, mich für befriedigt zu erklären.

Kardinal Giovanni de' Medici. Da es denn nicht möglich ist, mehr zu erlangen, so senden wir einen Unterhändler, und ruhen unterdessen ein wenig unter diesen Bäumen aus.

Don Raimondo de Cardona. Ich gehorche Euch, hochwürdigster Herr; sitzen wir ab und tun nach Eurem Gefallen.

(Sie halten ihre Pferde an und steigen ab; Diener breiten einen Teppich unter einem Baume aus; die Führer nehmen darauf Platz.)


Venedig.

Der Palazzo Gradenigo

Luigi Malipiero, Lionardo Mocenigo, Enigi Gradenigo. Ein großer Saal, dessen Fenster auf die Lagune gehen.

Gradenigo. Seid willkommen, hochwerte Herren. Ich rechnete fast auf die Ehre, euch heute bei mir zu empfangen, denn das Wetter ist prächtig.

Mocenigo. Wir wollen Euch abholen, wie wir gestern verabredet haben, um einen Spaziergang in die Werkstätten unserer Maler zusammen zu machen.

Luigi Malipiero. Auch möchte ich Euch vorschlagen, die Druckerei unseres Freundes Manutius zu besuchen. Er hat neue griechische Typen gegossen, und sie sollen von der äußersten Schönheit sein.

Gradenigo. Ich werde sie mit ungemeinem Vergnügen sehen. Herr Aldus ist ein Held an Gelehrsamkeit. Die Kenntnisse, die in diesem weisen Haupte angehäuft sind, würden für den Ruhm einer ganzen Schar von Hellenisten und Latinisten ausreichen. Dabei fällt mir ein, ich bekomme eben einen Brief von Herrn Navagero.

Malipiero. Ist er noch immer in Pordenone bei dem tapferen und geistvollen Herrn Alviano?

Luigi Gradenigo. Gewiß. Er singt mir in vollen Tönen das Lob der Gesellschaft von seinen hochgebildeten Leuten, die unser Oberfeldherr in diesem geschmackvollen Heiligtum der Musen versammelt hat.

Lionardo Mocenigo. Macht sein Gedicht Fortschritte?

Luigi Gradenigo. Die schöne Arbeit naht sich ihrem Ende, und Herr Navagero hat sie seinen Freunden unter Beifall jeder Art vorgelesen. Aber, erlauchte Herren, ich glaube, meine Gondel ist unten an der Überfahrt, und wir wollen aufbrechen. Begeben wir uns zuerst zu Meister Tizian, dann besuchen wir Robusti und die andern.

Mocenigo. Zu Euren Diensten, hochedler Herr, und überglücklich, was mich angeht, einen so schönen Tag in Gesellschaft eines so feinen Kenners wie Euere Excellenz der Betrachtung der Meisterwerke zu widmen.


Ferrara.

Ein Saal des Palastes in der Wohnung der Herzogin.

Reiche flandrische Tapeten mit mythologischen Gegenständen, geschnitzte Ebenholzmöbel, Gemälde, Statuen, – Donna Lucrezia Borgia, Herzogin von Ferrara; Pietro Bembo.

Bembo. Ihr seid in Sorgen?

Donna Lucrezia (lächelnd). Nicht eigentlich ... aber in Gedanken. Seht! ich habe einige Ähnlichkeit mit Italien, wie man es sich denken muß. Als Ihr ankamt, las ich diese Handschrift, die hier aufgeschlagen auf meinen Knieen liegt. Es sind die ersten Gesänge des Gedichtes Ludovico Ariostos. Dieser wahrhaft herrliche Mann hat es mir heute Morgen zugestellt. Ich überließ mich ganz einer enthusiastischen Bewunderung. Aber zu gleicher Zeit ging mir durch den Sinn, daß die Angelegenheiten meines gnädigen Herrn nicht so gut stehen, wie ich es gern sähe; der Papst hat ihn letzthin umbringen wollen, und Seine Heiligkeit antwortet auf unser Entgegenkommen nur durch Drohen. Mein Gatte, ich weiß es, ist nicht der Mann, sich einschüchtern zu lassen. Nichtsdestoweniger beherrscht mich auf Augenblicke die Sorge; denn Ihr wißt es wohl, es handelt sich um die Zukunft meiner Kinder, um den Bestand unseres Hauses; dem nachzusinnen, ist wohl der Mühe wert; und wenn ich sehe, wohin die Florentiner gebracht sind, so sage ich mir, daß die Freiheit der Fürsten und der Republiken höchst unsicher ist angesichts des ehrgeizigsten der Päpste. Am Ende würde die Reihe unterzugehen an uns kommen, wenn der Himmel nicht Rat schaffte. So, seht Ihr, Freund meines Lebens, ist mein Kopf trunken von Poesie, mein Verstand gequält von Staatssorgen, mein Herz bekümmert um Gatten und Kinder, und mein Geist ...

Bembo. Euer Geist?

Donna Lucrezia (lächelnd). Mein Geist vielleicht ein wenig zerstreut und nach Euch hin schweifend ... Kurz, haben wir da nicht Italien? Poesie, Angst, Interessen ... und Liebe?

Bembo. Das heißt geschmackvoll reden, und wie Ihr der Angst, der Interessen und der Liebe Meister bleibt! Was die Poesie betrifft, so habe ich Euch noch nicht genügend gesagt, wie wundervoll Euer Gedicht von gestern Abend ist! Ich habe die Nacht damit zugebracht, es zu lesen, es wieder zu lesen, es mit Küssen zu bedecken, wie ein Student von zwanzig Jahren getan hätte ... Aber warum habt Ihr spanisch geschrieben?

Donna Lucrezia. Das Spanische ist meine Muttersprache, und die Empfindung, die ich ausdrücken wollte, ist stark wie die Leidenschaft der Spanier. Was habt Ihr mit den Haaren gemacht, die das Lied begleiteten?

Bembo. Sie sind in einer Pergamenthülle mit Bandschleifen. Ich glaube nicht, daß jemals ein Schäfer Theokrits oder ein Liebhaber der Amaryllis glücklicher gewesen ist, als ich.

Donna Lucrezia. Wißt Ihr auch, daß die Florentiner viele Dummheiten gemacht haben? Der Gonfaloniere Soderini hat weder zu verhandeln, noch sich zu wehren verstanden. Nun haben sie ihn verjagt. Die Medici sind zurückgekehrt, und man behandelt sie wie gewöhnliche Bürger.

Bembo. Chimärischer Vergleich! Es wird eine neue Vertreibung, oder die Allmacht daraus entstehen!

Donna Lucrezia. Der Papst legt großes Gewicht darauf, Toscana für sich selbst zu nehmen.

Bembo. Gewiß. Wenn nur die Franzosen verstanden hätten, sich in Mailand zu behaupten! Aber alles an einem Tage gewinnen und alles in einer Stunde verlieren, nichts anderes haben sie je fertig gebracht!

Donna Lucrezia. Sie sind unsere Verbündeten und unsere Stützen. In diesem Augenblicke ist ihr Unglück das unsrige; aber im ganzen genommen – ich sage Euch das im Vertrauen – wünschte ich, daß Ludwig XII. nie wiederkäme; dann wären unsere Landsleute, die Venetianer, genötigt, vor den Übergriffen des heiligen Vaters auf der Hut zu sein. Sie würden mit ihm brechen und sich mit Don Alfonso zum Schutz der gemeinsamen Freiheit vereinigen. Das möchte ich wohl vermitteln, und die Medici würden nicht abgeneigt sein, in diese Verbindung einzutreten.

Bembo. Sie scheint mir in der Tat voller Weisheit und würdig des Hauptes der Pallas, dem sie entsprungen ist. Laßt mich darüber nachdenken, und wenn ich ihre starken Seiten schätzen gelernt habe, dann kann ich, wenn es Euch gefällt, darüber nach Venedig schreiben.

Donna Lucrezia. Warum Zeit verlieren? Setzt Euch an diesen Tisch. Ich will Euch meine Gedanken im einzelnen erklären: was mir von den geheimen Interessen und Gelüsten der Fürsten bekannt ist ... was ich davon errate ... Wir wollen darüber sprechen, und dann verfaßt Ihr gleich in Eurem schönen ciceronianischen Stil eine Denkschrift, die wir an die Signoria von Venedig und an den Kardinal Giovanni de' Medici senden! Wollt Ihr?

Bembo (geht an einen Tisch). Für die Herrin meines Lebens arbeiten, was kann ich Besseres wünschen?

Donna Lucrezia. Kennt Ihr etwas Liebenswürdigeres, als diese Verse des Roland? Lest selbst.

Bembo (lesend).
La prima inscrizion ch'agli occhi occorre,
Con lungo onor Lucrezia Borgia noma:
La cui bellezza ed onestà preporre
Deve all'antica la sua patria Roma ...

Es ist nur die Wahrheit, aber sie ist gut gesagt. Warum wohl der hochwürdige Kardinal Ippolito etwas darin sucht, Ariosten wie einen unbedeutenden Burschen zu behandeln?

Donna Lucrezia. Weil mein Schwager ein Dummkopf ist. Machen wir uns an die Arbeit, und versteht mich wohl.

Bembo. Noch ein Wort ... Ihr scheint nicht zu bemerken, daß Euer Gedanke den Grundsätzen, die seit zwanzig Jahren immer wieder auftauchen, zuwiderläuft? Savonarola wollte die Einheit Italiens; Euer Bruder, der Herr Herzog von Valentinois, predigte kein anderes Thema, und der Papst Julius II, ist vielleicht, in seiner Weise, noch deutlicher in diesem Punkte. Ihr gesteht umgekehrt nur nach der Fortdauer der Zerstückelung zu streben.

Donna Lucrezia. Es ist weder den Venetianern, noch den Florentinern, noch den Neapolitanern, noch uns nütze, daß Italien jemals unter einer einzigen Hand geeinigt werde, denn diese Hand könnte nicht die unsrige sein. Solange man nicht gewußt hat, wie der Zufall über die Dinge beschließen würde, habt Ihr, mit Euren Vergrößerungsprojekten auf dem Festlande, haben die Sforza, mein Bruder und Lorenzo der Prächtige der Reihe nach denselben Gedanken verfolgt und die Halbinsel zu ihrem Vorteile in einen großen Staat zusammenziehen wollen. Savonarola selbst dachte daran zu Gunsten seiner Idee. Jetzt wissen wir, woran wir sind; wir sind alle gescheitert. Zu Bettlern zu werden, die sich zu den Füßen des heiligen Vaters niederwerfen, ist nicht wünschenswert. Hinfort, glaubt es mir, wird man nicht mehr von der Größe des Ganzen, sondern einzig von der Unabhängigkeit der Teile reden. Als Schlagwort ist dies ganz ebenso volltönend. Schreibt, lieber Freund, ich bitte Euch.

Bembo. Euer System ist mir neu, ich gestehe es; es sagt mir nicht sonderlich zu ... All mein Lebtag habe ich mich zum Gegenteil bekannt.

Donna Lucrezia (mit einem Lächeln). Und sogar sehr beredt. Was folgert Ihr daraus?

Bembo. Aber denkt doch nur! Wenn die Kräfte Italiens verzettelt bleiben sollen, so kann gar keine Rede davon sein, die Barbaren zu verjagen.

Donna Lucrezia. Hofftet Ihr ernstlich, daß Euch das je glücken würde?

Bembo. Ich glaubte offenbar ...

Donna Lucrezia. Seit zehn Jahren glaube ich nichts dergleichen ... wenn ich es ja einmal getan habe ... Übrigens sprecht Ihr mit einer Spanierin, vergeßt das doch nicht; die Leute meines Hauses und meines Blutes können nicht jede Eurer Grillen mitmachen. Was habt Ihr? Wie! Ihr scheint ganz erregt von meinen Vertrauensäußerungen! Ich traute Euch einigen Sinn für den Umgang mit den Barbaren zu?

Bembo. Spottet nicht zu arg ... Ich gestehe es, Ihr habt mich förmlich bestürzt gemacht ... Wenn wir Italiener niemals frei werden, wenn wir unglückseliges Geschlecht, das wir sind, allezeit die Launen, die Gewalttaten der Fremden erdulden sollen, was sollen wir dann in unseren Gebeten dem Himmel anderes sagen als schmerzliche Vorwürfe und nur allzu gerechtfertigte Klagen?

Donna Lucrezia. Undankbarer! Diese Fremden, die zu euch kommen, beherrscht ihr sie nicht? Seid ihr im Weltalle nicht der Herd der Kenntnisse, der geistigen Arbeit, der Lehren der Weltweisheit, der großen Gedanken, und die Werkstatt, darin die Musen sich niedergelassen haben, um ihre Zauberwerke zu schaffen? Wird nicht von euch her der Funke des Genius entsandt, der die Welt durchzieht und ihr Leben giebt? Welcher Ruhm kommt dem euren gleich? welche Macht ist ihm überlegen?

Bembo. Einverstanden; aber wenn man in einer gewissen Beziehung ein Riese ist, so wünschte man es auf alle Art zu sein. Lächelt nicht so, ich beuge mich vor Eurer Weisheit, und ich ergreife die Feder, um Euch zu gehorchen. Ich will mit Euch und für Euch arbeiten, und wie Ihr es wünscht, und ich werde mich bemühen. Euren Plänen zum Gelingen zu verhelfen, weil ich Euch angehöre; aber dennoch, ich gestehe das auch: ich will der Hoffnung meiner Jugend, dem Ideale meines Lebens nicht entsagen. Ich wünsche leidenschaftlich ein geeinigtes, starkes, auf allen Gebieten herrschendes Italien, und wäre es auch nach den Gesetzen und zu Nutzen des heiligen apostolischen Stuhles, ich lasse mir's gefallen und werde den Himmel dafür segnen; und schließlich, wessen bedarf es, um zum glücklichen Erfolge zu gelangen? Nur noch einiger Jahre, diesem Julius II. vergönnt, der, das gebe ich zu, sehr unbequem, aber in gar vielen Dingen der Bewunderung wert ist... Ihr selbst räumt das manchmal ein! Und wenn das Glück will, daß Frankreich und Deutschland noch weiter von unfähigen Fürsten regiert werden, dann ist unser Traum verwirklicht. Laßt mir meine Hoffnungen.

Donna Lucrezia. Ihr seid ein großes Kind. Ich streite nicht gegen Eure Illusionen, überzeugt, daß sie Euch nie hindern werden, mir wohl zu dienen. Ihr liebt mich mehr als sie! ... Macht Euch jedoch klar, daß dies Torheiten sind, deren Verwirklichung Euch nicht glücklich machen würde, noch jemanden außer Euch. Es giebt nichts Großes in dieser Welt, als die Liebe zur Kunst, die Liebe zu dem, was dem Geiste entstammt, die Liebe zu denen, die wir lieben, und wenn außerdem das Leben in seinem Laufe Euch auf eine jener Höhen geführt hat, wo die Blumen seltener und der Gesichtskreis schärfer wird, so werdet Ihr vielleicht noch Freude daran finden, gewisse ewige Dinge einsichtsvoll zu betrachten, nach denen man in früher Jugend weniger fragt. Ich habe mehr erfahren, als Ihr, mein Freund; ich habe mehr gehandelt, habe mehr gefühlt, habe mehr gelitten, durch andere wie durch mich selbst ... Aber genug! Gehen wir an unsere Geschäfte, und jetzt merkt mir recht ernstlich auf.


Rom.

Im Vatikan.

Das Schlafgemach des heiligen Vaters. – Julius II. in seinem Bette. Bernardo da Bibbiena; der Kardinal von Sitten; der Datario Lorenzo Pucci.

Julius II. Es ist aus ... ich sterbe ... und ich habe nichts vollendet von dem, was ich unternommen habe.

Bibbiena. Nichts ist aus, allerheiligster Vater, Euere Heiligkeit hat viel Kraft.

Julius II. Nicht mehr genug. Den Vatikan habe ich nicht zu Ende gebracht, und den Wiederaufbau Roms nicht, und mein Grabmal nicht, und nichts ... Meine Künstler werden sich zerstreuen, wenn ich nicht mehr da bin ... Da sind nun die Medici von neuem Herren in Florenz, und ich verliere Toscana ... Massimiliano Sforza hat Mailand wieder genommen ... Der kleine Wirrwarr geht wieder an ... Da wird man die Franzosen, die Deutschen, die Schweizer, die Spanier, kurz, den großen Wirrwarr wieder herbeiführen müssen, um jenen zu dämpfen und den ganzen Aufbau von vorne wieder anzufangen ... Ich leide fürchterlich ... Ich sterbe dahin ...

Ein Arzt. Euere Heiligkeit sollte sich nicht so aufregen.

Julius II. Ich habe gelebt, in einen unseligen Zirkel eingeschlossen. Um mit der Bruchteilung aufzuräumen, brauchte ich die Vernichtung der kleinen Tyrannen ... Um die kleinen Tyrannen zu vernichten, brauchte ich die Fremden ... Mit den Fremden giebt's kein Italien ... Weißt du das, Schwarzgesicht?

Der Arzt. Der Puls Seiner Heiligkeit wird merklich schwächer, und der Kopf ist nicht mehr frei.

Julius II. Da liege ich nun in meinem Bette ... festgenagelt ... Michelangelo ... Raffael ... der eine ist an der Arbeit ... aber der andere? ... Er ist bei irgend einem Weibe ... Und Bramante, was macht er? ... Alfonso von Ferrara ... der Verräter! ... Alles wird wirr in meinem Kopfe ... Ich bin der Venetianer nicht sicher ...

Bibbiena. Man versteht nicht mehr deutlich, was Seine Heiligkeit sagt ...

Der Arzt. Es ist nur noch eine Sache von wenigen Minuten.

Julius II. Geist ... Genie ... Leben ... Wildheit ... Nichts, das zusammenhält ... Das ist der Italiener! ... Was wird das Ende sein?

Der Kardinal von Sitten. Gebt ihm einige stärkende Tropfen.

Julius II (sich in seinem Bette aufrichtend). Tod den Franzosen! Tod Alfonso von Este! Jagt sie aus Italien, aus ganz Italien!

(Er sinkt auf sein Bette zurück und stirbt.)

Bibbiena. Der Papst ist tot!


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