Joseph Arthur de Gobineau
Die Renaissance
Joseph Arthur de Gobineau

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Teil.

Cesare Borgia.

Cesena.

1502.

Der freie Platz vor der Citadelle.

Zelte; Kriegsbaracken; französische und italienische schwere Reiter, – Don Michele, Freibeuterhauptmann und Vertrauter Don Cesare Borgias, im Gespräch mit Herrn Burchard, dem Ceremonienmeister des heiligen Vaters. Sie spazieren auf und ab, die Hände auf dem Rücken.

Don Michele. Während unser Herr seine Depeschen diktiert, wollen wir uns zur Seite halten, und ich gebe Euch Aufschluß über das, was Seine Heiligkeit zu wissen wünscht.

Burchard. Wir sind hier am rechten Ort. Diese Franzosen verstehen kein Wort von dem, was wir sagen.

Don Michele. Ihr habt recht. Erwecken wir nicht zu sehr den Schein, als ob wir die Einsamkeit suchten und die Geheimnisvollen spielten.

Burchard. Don Cesare scheint uns verloren! rettungslos verloren! Seine Condottieri haben, gegen ihn verbündet, seine festen Plätze einen nach dem andern weggenommen! Das Herzogtum Urbino hat sich empört; der frühere Fürst ist von den Volksmassen mit umgekehrten Zurufen, als ihn bei seinem Abzuge begleitet hatten, empfangen worden. Kurz, das Schlimmste ist Euch zugestoßen; da ist kein Rat mehr. So denken wir in Rom.

Don Michele. Ihr vergeßt einen Hauptpunkt. Woher kommt uns unsere Kraft?

Burchard. Ja, mein Gott, Ihr werdet mir sagen, daß Alexander VI. hinter Euch steht, und daß seine Hand Euch stützt. Aber erwägt ...

Don Michele. Nur ein Wort! Alexander VI. hat uns zum Kardinal gemacht; wer hat uns zum Fürsten gemacht?

Burchard. Ludwig XII., König von Frankreich; aber er entzieht Euch seinen Schutz, er kehrt sich gegen Euch, er bedroht Euch sogar, sagt man uns!

Don Michele. Ihr geht den Dingen nicht auf den Grund. Warum liebt uns Ludwig XII.?

Burchard. Um des Kardinals d'Amboise willen.

Don Michele. Vortrefflich! Wir haben diesem die Erbschaft Alexanders versprochen; wir versprechen weiter. Übrigens sind wir nützliche Leute; unsere Dienste haben einiges Gewicht, und, ohne weiter abzuschweifen, die jüngsten Kriegszüge im Mailändischen und in Neapel sind unser Werk. Gottlob haben wir bei der Plünderung von Capua bewiesen, daß wir Leute von Tatkraft sind.

Burchard. Dertausend! Ihr habt dort nichts geschont! Aber Euer Glück ist verwelkt wie das Gras der Flur; es ist gemäht von der Hand eben dessen, der es gesät hatte.

Don Michele. Ihr täuscht Euch. Ich komme mit meinem Herrn von Mailand zurück. Unsere Händel sind beglichen; wir stehen in größerer Gunst als je; mein gnädiger Herr hat so wohl gesprochen und so wohl gehandelt, daß keine Möglichkeit war, uns wegen unserer kleinen Missetaten länger kalt zu behandeln.

Burchard. Der Papst wird über diese Nachricht hoch erfreut sein, aber sie hätte früher kommen müssen. Es bleibt Euch nichts zu retten. Während Ihr den Brand zur Rechten löschtet, griff er zur Linken um sich und hat alles verzehrt!

Don Michele. Nun! nun! hochwürdigster Herr, lieber Freund! zieht doch nicht alle Dinge so ins Schwarze!

Burchard. Eure festen Plätze genommen oder im Aufstand!

Don Michele. Nun ja! wir werden sie wieder nehmen!

Burchard. Womit? Ihr habt keine Truppen mehr! Die Orsini, der Herzog von Gravina mit Pagolo, verdingten Euch ihre Scharen; sie sind umgeschlagen, und eben dadurch seid Ihr mit ihrem ganzen Hause entzweit!

Don Michele. Das ist ärgerlich, wir werden manche Nuß zu knacken haben. Ich bedauere vor allem den Verlust Vitellozzo Vitellis. Der ist ein großer Kriegsmann! Auch verschmerze ich den Abfall Oliverottos da Fermo nicht leicht ... Aber, nichtsdestoweniger, ich wiederhole es Euch, nichts ist noch verloren.

Burchard. Ihr wißt doch wohl, daß die Venetianer sich gegen Euch erklärt haben?

Don Michele. Leider, ja!

Burchard. Die Aragonesen werden über Euch herfallen.

Don Michele. Wir müssen dessen gewärtig sein.

Burchard. Es bleibt Euch nicht ein Dukaten mehr, und der heilige Vater ist nicht in der Lage, Euch irgend etwas vorzuschießen.

Don Michele. Wir können uns immer mit Versprechungen helfen.

Burchard. Die Florentiner werden nicht ermangeln, sich mit Euren Feinden zu verbünden.

Don Michele. Hier täuscht Ihr Euch. Ein Geheimschreiber der Signoria kommt in diesem Augenblicke an. Wenn man unterhandelt, schlägt man nicht.

Burchard. Heilige Madonna! Habt Ihr diesen Geheimschreiber gesehen?

Don Michele. Ich habe ihn selbst empfangen und ihm auf den Zahn gefühlt. Es ist kein von der Hoffnung geschaffenes Phantom, wohl aber einer unserer Freunde: Herr Niccolo Machiavelli.

Burchard. Das erfreut mich aufs Höchste! ... Aber im Grunde kann nichts Euch aufhelfen, ich sehe Euch zu tief im Verderben!

Don Michele. Laßt mich Euch doch die Dinge von einer weniger traurigen Seite zeigen.

Burchard. Gewiß seid Ihr die leibhaftige Kaltblütigkeit, aber ich bezweifle, daß der heilige Vater Euch für unfehlbar halten möchte.

Don Michele. Wenn ich, wie Ihr, mich darauf steifte, nur den guten Willen Ludwigs XII., die hundert Volllanzen des braven Candalle, den ich da unten als echten Gascogner seine Knoblauchszwiebel verspeisen sehe, eine Handvoll italienischer Compagnien, die uns bleiben, die Winkelzüge der Florentiner und andere Lumpereien in Anschlag zu bringen, so würde ich vielleicht in Eure Sorge verfallen. Aber Ihr stellt Euch nicht vor, nein. Ihr greift nicht mit beiden Händen, wie ich, den wahren Anker unseres Heils!

Burchard. Und der wäre?

Don Michele. Der wäre? ... Die unbezähmbare Tatkraft des Valentino! Solange ich ihn ruhig, Herr seiner selbst, unbeugsam, furchtbar sehe, kann ich nicht den mindesten Zweifel noch die mindeste Furcht hegen.

Burchard. Don Cesare ist ein großer Geist, ich gestehe es! Er hat Hilfsquellen! Er hat sicherlich sehr reichliche in seiner Verschlagenheit ...

Don Michele. Sagt lieber in seiner Unerschrockenheit! Und das ist eine ansteckende Tugend, die er auf seine Freunde zu übertragen weiß!

Burchard. Wenn es einen feinen Politiker giebt, so ist er's, und unter den feinsten ist er der feinste! Ich gebe zu, daß Ihr recht habt. Aber wie dem auch sei, seine Angelegenheiten stehen so schlecht, so schlecht, daß er vielleicht besser tun würde, sich nach Rom zu flüchten, als gegen das Schicksal kämpfen zu wollen. Das trägt mir Seine Heiligkeit auf ihm vorzustellen.

Don Michele. Sprecht ihm davon, und ihr werdet in seinem Lächeln lesen, was Verachtung heißt! Solange er aufrecht steht, ist kein Schiffbruch möglich. Aber wenn ich Euch raten darf, machen wir unserem Spaziergang ein Ende und gehen wieder hinein. Der Herzog könnte unsere Abwesenheit merken, und er liebt die Apartes nicht.

Burchard. Ich glaube, daß Ihr recht habt. Wenn er unruhig ist, wird er, wie der heilige Vater, argwöhnisch und gefährlich selbst für die Seinen.


In einem Hause der Stadt.

Ein Zimmer, das als Geheimkabinett dient. Don Cesare Borgia vor einem Tische mit Depeschen und Briefen.

Der Herzog (mit lauter Stimme). Laßt Herrn Machiavelli eintreten! Seid willkommen, Herr Niccolo! Was giebt's Neues von Florenz?

Machiavelli. Nur Gutes, gnädiger Herr.

Der Herzog. Das freut mich. Seid Ihr ermüdet von Eurer Reise, oder zieht Ihr es vor, mir sogleich den Zweck Eurer Sendung zu sagen? Ich habe einige dringende Geschäfte, die mich nötigen keine Zeit zu verlieren.

Machiavelli. Mit Euerer Hoheit Erlaubnis werde ich meinen Auftrag auseinandersetzen.

Der Herzog. Ich höre Euch.

Machiavelli. Gnädiger Herr, während Ihr in Mailand beim Könige Ludwig wart ...

Der Herzog. Ich muß voranschicken, daß, was man mir von dieser Seite in die Schuhe geschoben hatte, vor meinen Erklärungen wie ein Nebel verschwunden ist.

Machiavelli. Indessen hatten Euere Hoheit in Ihren Staaten Kerntruppen zurückgelassen, um dort für gute Ordnung zu sorgen, und diese Truppen befehligten Heerführer von großem Rufe.

Der Herzog. Es ist eine Hauptsache, daß die Kriegsmacht guten Händen anvertraut werde.

Machiavelli. Leider waren diese nicht ebenso treu wie geschickt. Von der Sorge getrieben, Euch zu groß werden zu sehen und Euch nur noch fürchten zu müssen, haben Eure Feldhauptleute unserer Signoria die Botschaft zukommen lassen, daß sie sich entschlossen hätten, im Bunde mit Giovanni Bentivoglio von Bologna, Pandolfo von Siena und anderen verbannten Landesherren ihre Waffen gegen Euch zu kehren. Sie bitten uns um unsere Bundesgenossenschaft, mit dem Anerbieten, uns die Gebietsstrecken und Städte auszuliefern, die uns zu bezeichnen belieben würde.

Der Herzog. Eure Anwesenheit hier, Herr Niccolo, belehrt mich zur Genüge, daß die Weisheit der Florentiner sich nicht in so plumpen Fallstricken fangen läßt. Außerdem ist Euch die Ehrlichkeit der Orsini und des Hauses Vitelli genugsam bekannt.

Machiavelli. Ich bin beauftragt Euch zu versichern, Hoheit, daß die Republik nicht gewohnt ist, ihre Bundesgenossen zu verraten; sie ist voller Ehrerbietung für den heiligen apostolischen Stuhl, und Ihr könnt auf sie zählen. Übrigens hofft sie, daß Ihr in keinen Vorschlag, der von den Venetianern käme, willigen werdet.

Der Herzog. Das ist ein kitzlicher Punkt, über den wir mit mehr Muße plaudern wollen. Es hat keine Eile. Aber unter uns, Herr Niccolo, unter uns, kann man größeren Leichtsinn, größere Windbeutelei in einem entsetzlicheren Schwalle von Dummheit zum besten geben, als meine Condottieri es getan haben! Mich anzugreifen! mich! ... Und sie haben nicht einmal überlegt, daß das hieß den Papst beleidigen, Ludwig beschimpfen, sich die Deutschen auf den Hals laden, mit denen ich ausgezeichnet stehe! Man sagt immer wieder, daß die Aragonesen mir übel wollen! Ich lasse sie dabei, Machiavelli, ich lasse sie dabei! ... Diese armseligen Haudegen, die sich da empört haben, bildeten sich ein – die Unglücksjungen! –, daß erfahrene Staatsmänner wie Ihr sich mit ihnen in die furchtbare Sackgasse einsperren lassen würden, in die sie sich hineingewagt haben, und das alles, um ein paar elende Nester zu bekommen, die zu halten unmöglich wäre! Offen gesagt, das ist nur im höchsten Grade lächerlich, nichts weiter! Diese Schilderhebung ist so ohnmächtig, daß ich, ich gestehe es Euch, nie auch nur einen Augenblick mich in der geringsten Gefahr zu befinden geglaubt habe!

Machiavelli. Die Signoria hat die Dinge nicht ganz so angesehen wie Euere Hoheit. Sie hat gesehen, daß Ihr für die Zukunft ohne Truppen wart; daß Eure Heerführer, indem sie sich von Euch lossagten, einen entwaffneten, völlig entwaffneten Mann zurückließen; daß Eure Völker, die Euch erst seit wenigen Monaten zugehörten, Euch ohne irgend welchen Kummer, und sogar an gewissen Orten mit offenkundiger Freude verließen. Die Franzosen nehmen Euch wieder zu Gnaden an; Ihr sagt es mir, ich glaube es, und um so mehr, da ich hier herum Truppen dieser Nation mit den Eurigen habe marschieren sehen. Auch des Papstes Heiligkeit wird Euch nicht im Stiche lassen, das ist ziemlich wahrscheinlich, und dennoch wird Sie vielleicht gehörig damit zu schaffen haben, sich selbst in Rom der Unruhen der Häuser Vitelli und Orsini zu erwehren. Ihr glaubt mit den Deutschen, und sogar mit den Aragonesen gut zu stehen; das ist auf alle Fälle ganz etwas Neues, und wir dürften Gründe haben, nicht Eurer Ansicht zu sein. Und seht, gnädiger Herr, wenn, wie wir einmal annehmen wollen, Eure Heerführer, anstatt in der Gegend von Perugia ihre Zeit mit Parlamentieren, mit Einwänden, Gegeneinwänden und Faseleien zu verlieren, wenn Pagolo, Vitellozzo, Oliverotto, die Gravina, die Petrucchi, die Baglioni und die andern sich einfach Eurer Person bemächtigt hätten, während Ihr allein, entblößt, zu Imola überrumpelt wart, so ist nicht leicht abzusehen, wie Ihr Euch aus der Verwickelung gezogen haben solltet. Das war die Meinung in Florenz, und aus diesem Grunde hat man angenommen, daß unsere Hilfe Euch nicht ungelegen sein würde; aber, wenn die Freundschaft meiner hochgebietenden Herren hier fehlgegangen ist und sich mit Unrecht beunruhigt hat, so werdet Ihr geruhen, das um der Absicht willen zu verzeihen.

Der Herzog. Wir wollen ganz offenherzig reden! Nichts konnte mir angenehmer sein als Eure Ankunft, und Ihr sollt denen, die Euch gesandt haben, dafür danken. Ich war letzthin zu Imola nicht so in der Klemme, wie Ihr zu glauben scheint. Ich hatte, glaubt es mir, mehr als einen Pfeil in meinem Köcher! Ich wußte mir, nicht Mittel der Rettung, nein, Gewißheiten des Triumphes! Dennoch, ich will es nicht leugnen, war die Lage in einigen Beziehungen anders, als ich sie gewünscht hätte. Alles hat sich nunmehr geändert. Der Herr, der Gebieter bin ich! Wollt Ihr, mein werter Machiavelli, daß ein Anschlag mißlinge? So laßt ihn durch eine Vereinigung von Menschen ausführen; es bedarf nichts Geringeres als die ganze Willenskonzentration eines einzigen, um das schwierige Ding: eine Tat, hervorzubringen. Nun haben sie sich zusammengetan, um Ränke gegen mich zu schmieden; ich habe den Vorteil vor ihnen voraus, daß ich nur mich selbst habe um meine Gegenwehr zu bestimmen. Ich stehe da an der Spitze einer tapferen italienischen Reiterei, die man mir Zeit gelassen hat zu sammeln, fünfhundert französischer Lanzenritter, die man mir Zeit gelassen hat herbeizurufen, und was noch viel kostbarer ist, im Besitze der Freundschaft der Florentiner, der man Zeit gelassen hat zu reifen. Ihr rettet mich zwar nicht, aber Ihr erweist mir sehr zu rechter Zeit einen Dienst.

Machiavelli. Die hochgebietende Signoria wird die Züchtigung der Meineidigen, so streng sie auch ausfallen möge, höchst verdient finden.

Der Herzog. Es ist keine Rede von irgend etwas dergleichen. In gewissen Fällen ist Milde geboten. Nicht als ob es ein Bedenken hätte, offenkundige Verräter und Mörder wie Vitellozzo und Oliverotto zu züchtigen; Italien ist von ihren Verbrechen ganz mit Blut befleckt. Nichtsdestoweniger sind meine Absichten die versöhnlichsten ... Battista! ... Gut! ... Führe den Herrn Geheimschreiber zu meinem Intendanten ... Man soll ihm gutes Quartier geben und alles, was er sich wünschen mag. Herr Niccolo ist mein besonderer Freund.

Battista. Ja, Hoheit.

Machiavelli. Ich bin beschämt über Eure Freundlichkeit, gnädiger Herr.

Der Herzog. Lebt wohl.


Der Herzog (allein). Die Florentiner! ... Sie kommen mir mit ihrer Hilfe sehr zur rechten Zeit! ... Wenn ich mich nicht vorsähe, würden sie's bald fertig bringen, mir aus dieser Dienstleistung eine Halfter zu drehen, und ich würde seiner Zeit und gehörigen Ortes damit erwürgt werden. Ihre plötzliche Freundschaft ist nur die Kehrseite ihres Hasses gegen die Orsini. Sie halten mich für weniger solide, und folglich für weniger gefährlich als diese alte Familie ... Ein Pilz hat keine Wurzeln und treibt nie so hoch wie ein Eichbaum ... und sie nehmen mich für einen Pilz! Von heute ab werde ich mehr als die Zeit her vor Florenz auf der Hut sein müssen! ... Holla! Giovanmaria!

Giovanmaria. Was beliebt, Hoheit?

Der Herzog. Geh', sieh', wo Don Michele und Herr Burchard sind. Ich wünsche sie zu einer Besprechung.

Giovanmaria. Die beiden Herren erwarten Eure Befehle.

Der Herzog. So laß sie hereinkommen! (Don Michele und Herr Burchard treten ein.) Unsere Angelegenheiten stehen besser, aber nicht so gut, daß die Gefahr nicht über die Maßen groß bliebe.

Herr Burchard. Die Florentiner haben an Euere Hoheit einen Abgeordneten entsandt. Seid Ihr nach dieser Seite gesichert?

Der Herzog. Ziemlich, und auf diesem Fundamente wollen wir bauen. Du, eile schnurstracks nach Bologna; du kehrst nach Rom zum heiligen Vater erst zurück, wenn ich dich dahin sende. In Bologna siehst du zu, was dem Giovanni Bentivoglio zu Dank sein möchte, um ihn von der Liga loszureißen. Feilsche nicht; biete an oder gewähre. Wir wollen später zusehen, wie wir deine Versprechungen halten oder nicht halten. Du, Michele, geh' zu den Condottieri, und ... hier hast du die Anweisungen, die ich eben niedergeschrieben hatte, als der Florentiner angekommen. Du wirst nicht versäumen, diese neue Verbindung lockend vorzuhalten, und allen erdenklichen Vorteil daraus ziehen.

Don Michele. Hoheit, ich werde mein Möglichstes tun.

Der Herzog. Schreibt mir alsbald alle beide, wenn es euch gelungen ist, euch auch nur Gehör zu verschaffen. Der Gegner, der verhandelt, ist nicht entschlossen. Er muß früher oder später untergekriegt werden. Auf denn! Wenn ich diesem Sturm entrinne, dem heftigsten, der mich je überfallen hat, so werde ich Herr der gesamten Romagna bleiben.

Don Michele. Nein, gnädiger Herr, Gesamtitaliens!

Der Herzog. Möglich. Ich weiß wirklich nicht, was mir das Angenehmste wäre, über ein so schönes Reich zu herrschen, die elenden welschen und deutschen Barbaren bis auf den letzten fortzujagen, oder aber die Herzöge, Prinzen und Podestas vom alten Schlage zu hangen! Sie begreifen nichts von den Notwendigkeiten der neuen Zeit, die Schwachköpfe! Sie zerstechen mich mit ihren Injurien, wie nur ein spanischer Stier von den Eisenspitzen der Banderillas zerstochen sein kann.

Don Michele. Alles Glück wird Euch auf einen Schlag kommen, und vollkommen, wie die himmlische Glückseligkeit. Ich küsse Euerer Hoheit die Hand!

Herr Burchard. Und ich desgleichen.

Der Herzog. Auf! Spart mir die Eilboten nicht, einer wie der andere!


Sinigaglia.

Das Lager der Condottieri.

Das Zelt des Kriegsrats. Um einen großen Tisch sitzen Vitellozzo Vitelli, Oliverotto da Fermo, Herr Pagolo Orsini, der Herzog von Gravina, Hauptleute der Freibeuter.

Gravina. Ruhe! Nicht gezankt! Alle haben wir recht gehabt und alle unrecht! Ich voran! Wir mußten uns Cesares bemächtigen, als wir ihn zu Imola fest hatten, und ihn töten! Aber uns jetzt zu entzweien, wäre ein noch größerer Fehler!

Pagolo (mit der Faust auf den Tisch schlagend). Und ich sage euch, daß nichts auch nur gefährdet ist! Bei Gott! wir befehligen zehntausend Kriegsleute, und ein Paar elende französische Lanzen sind nicht dazu angetan, einem Manne meines Hauses bange zu machen!

Oliverotto. Ich bin Eurer Meinung; ich habe die Vorposten mit meiner Compagnie, fünfhundert Reitern und tausend Bogenschützen! Der Borgia mag sich nur einfallen lassen, mit mir anzubinden, er soll glorreich empfangen werden!

Vitellozzo. Prahlereien die Menge! Die lautere Wahrheit ist, daß wir nichts von dem getan haben, was wir uns ausgedacht hatten. Der Valentino ist am Leben, und sollte doch zu dieser Stunde sechs Fuß tief unter der Erde verfaulen! Aber nein! Wir haben geschwatzt anstatt zu handeln, und der Feind treibt sein Gespötte mit uns. Der Bentivoglio, der uns seinen Beistand versprach, stellt sich tot; Guidobaldo nimmt in Urbino Beglückwünschungen entgegen und handelt nicht. Die Florentiner haben uns nicht einmal geantwortet! Was mich angeht, ich erkläre es euch, ich wittere recht Schlimmes von der Zukunft.

Pagolo. Soll ich offen heraus sein? Du bringst mich um mit deinen Jeremiaden! Wenn freie Kriegsleute den Panzer am Leibe und das Schwert an der Seite haben, sind solche Greinermelodien zum Erbarmen!

Vitellozzo. All dein Ungestüm und deine Ruhmredigkeit ändern nichts an dem wirklichen Tatbestande. Wenn du gehängt, gerädert oder vergiftet bist, wird dir's wohl anstehen, den Hanswurst gemacht zu haben!

Gravina. Ruhe! Ruhe, Kameraden! Wäre es nicht besser, freundschaftlich untereinander über den besten und sichersten Ausweg zu beraten?

Vitellozzo. (erhebt sich und geht unruhig durch den Saal, die Arme zum Himmel erhoben). Beim Himmel! was die Menschen blind sind! wie sie wild in ihr Verderben rennen! Welche Tollheit hat uns erfaßt, daß wir uns mutwillig in ein so übel erwogenes Unternehmen stürzten!

Oliverotto. Pah! Nichts war vernünftiger, ja nichts notwendiger! Wir stehen im Solde des Valentino, allerdings; aber zu welchem Ende? Es steht ihm frei, die Länder, die wir erobern, zu besitzen, aber wir müssen sie innehaben und Herr darin sein. So haben wir die Dinge verstanden! Wir befehligen unsere Leute; sie brauchen einen Sold, er liefert ihn uns! Nichts einfacher! Aber die wahren Gebieter sind wir; ich gestehe ihm nicht zu, daß er sich so gebärdet, als vergäße er das, und da will er nun den Herrscher spielen? Warum nicht gar!

Pagolo. Das ist auch meine Meinung. Ihr redet wie ein Bischof, Oliverotto. Geld und Spaß für unsere Leute! Spaß und Geld für uns, und den Teufel für die ganze Welt! Freischärlerhauptleute dürfen nur solch ein Regiment suchen, begehren und dulden!

Oliverotto. Und wir haben tausendmal Grund gehabt uns zu ärgern, wenn wir diesen Valentino seinen Vorteil, und nicht den unseren, suchen sahen! Was denkt ihr wohl? Er will regieren? den Fürsten, den ächten Fürsten spielen?

Vitellozzo. Es ist gewiß, daß er seinen Offizieren den Hals abschneidet, wenn sie den Bauern für sich selber, und nicht für ihn plündern!

Pagolo. Seine Offiziere, deren Herr ist er noch wohl; aber er hat mir die ungebührlichsten Drohworte wegen des Brandes eines Dorfes zu sagen gewagt! Ein Cesare Borgia! Ein Mensch von gemeiner Herkunft, ein niederträchtiger Wicht, der ein kleiner Sforza werden will!

Gravina. Der war wenigstens Condottiere, wenn er nicht gar Edelmann war!

Oliverotto. Pah! bei dem Bastard Alexanders VI. hat das gute Wege! Übrigens schere ich mich nicht darum, was er ist oder nicht ist! Kein Scepter, kein Gesetz! Unser gnädigster Wille, das genügt! Wir werden gut tun, auf unsere Pläne nicht zu verzichten.

Vitellozzo. Welches sind eure Pläne?

Pagolo. Je nun, zum Geier! unsere Pläne ... das sind immer unsere Pläne! Den Valentino zur Bedientenrolle herunterdrücken, nichts weiter! Wenn er Widerstand leistet, wird er abgesetzt, das sind unsere Pläne!

Vitellozzo. Einverstanden; aber sie sind verfehlt! Ihr habt weder Entschiedenheit, noch Kraft, noch Raschheit besessen!

Oliverotto. Der Satan soll dich würgen!

Gravina. Ich beschwöre euch, Ruhe, Ruhe! Einigen wir uns! Ernstlich! beschließen wir etwas, so wenig es auch sein mag!

(Ein Offizier tritt ein.)

Der Offizier. Euere Excellenzen, der Hauptmann Don Michele kommt aus dem Lager des Valentino. Er wünscht bei Euch vorgelassen zu werden.

Pagolo. Ei sieh doch! Der Michele ist's? Der kleine Michele? Das ist ein braver Bursche!

Vitellozzo. Ja, seinem Meister verkauft!

Gravina. Ich bin neugierig zu erfahren, was er uns zu sagen haben mag.

Vitellozzo. Wenn ihr ihn anhört, wird er euer Vertrauen erstürmen, indem er Lügen auf Falschheiten häuft, wie ehedem die Titanen den Himmel erklommen haben, indem sie den Pelion auf den Ossa türmten! Ich will ihn nicht empfangen!

Oliverotto. Ich doch! Führt Don Michele herein!

(Michele tritt ein und umarmt der Reihe nach die vier Hauptleute.)

Michele. Guten Tag, guten Tag, erlauchte Herren, meine gütigen, vortrefflichen Gebieter! Ich freue mich außerordentlich, euch alle so gut im Stande zu sehen!

Die Hauptleute. Dank, Don Michele! Mit Euch ist's ebenso, wie es scheint?

Don Michele. Ach! recht geplagt, das schwöre ich euch! Seit ihr und er euch nicht mehr zu verstehen scheint, ist der gnädige Herr überaus traurig und läßt uns ein sehr melancholisches Dasein fristen.

Pagolo. Die Pest soll Euren gnädigen Herrn holen! Er ist ein Mann ohne Wort!

Don Michele. Worin denn, ich bitte Euch?

Pagolo. Ist es nicht klar, daß er den Gewaltherrscher spielen will, und daß wir, wenn er mit unserem Beistande sich dazu gemacht, alle Mächte Italiens auf dem Halse und zum schlimmsten Gegner eben den haben werden, der, obwohl er uns alles verdankt, am Ende auf unsere Kosten Frieden schließt?

Don Michele. Da ich nicht hierhergekommen bin, um euch mit Gaukelbildern zu äffen, noch auch um ins Blaue hinein auf ersonnene Beschuldigungen zu antworten, so laßt uns, bitte, Ordnung in unsere Reden bringen. Herr Pagolo, um mit Euch anzufangen, was bedeuten Eure Klagen? Ist Euch Euer Sold nicht regelmäßig, und selbst vor der Zeit, bezahlt worden?

Pagolo. Ich ...

Don Michele. Verzeiht mir, mein guter, liebenswürdiger Pagolo! Ihr mögt mir sogleich erwidern, was Ihr wollt, alles was Ihr wollt, und so lang als es Euch beliebt; aber vorab wisset wohl, mit wem Ihr's in mir zu tun habt, eben darum muß ich mich erklären. Ich bin ein freimütiger, aufrichtiger und rechtschaffener Mann, ganz geradeaus, schlicht und ohne Umschweife! Ich schwöre es Euch bei der wahrhaftigen Freundschaft, die ich für Euch hege, und bei meiner ewigen Seligkeit, die ich mir nicht entgehen lassen möchte! Warum also sollte ich Euch etwas sagen, das nicht streng die Wahrheit wäre? Habt alle vier Vertrauen zu mir, und laßt mich zu euch reden, wes mein Herz voll ist! Nein, Pagolo, nein, Kamerad, der Herzog hat Euch nicht das geringste Unrecht zugefügt, im Gegenteil, er hat Euch besonders wert gehalten und geehrt, ebenso macht er es auch mit dem Hause Orsini und dem Hause Vitelli. Und so beschwöre ich, was ich Euch für Euch bezeuge, gleichermaßen für diese übrigen Hauptleute. Ihr habt meinem Herrn, was das Vergangene anlangt, nichts vorzuwerfen!

Oliverotto. Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, Michele, aber ...

Don Michele. Geduld! Geduld! Laßt mich zu Ende kommen! In der Vergangenheit, ich wiederhole es Euch, braucht Euch nichts Anstoß zu geben; aber die Zukunft? Aha! Ihr fürchtet die Zukunft? Ihr haltet den Herzog für so begierig, allein zu herrschen, daß es ihm begegnen könnte, Eure Dienste zu verkennen?

Gravina. Das wäre nicht unmöglich.

Vitellozzo. Ich für mein Teil würde mich nicht darüber wundern.

Don Michele. Ich würde mich sehr darüber wundern. Um von der Undankbarkeit gar nicht zu reden, wäre es dermaßen albern und ungeschickt ... Überlegt doch nur ein wenig. Der Herzog wird von den Franzosen gehalten?

Oliverotto. Wie, gehalten? Sie haben ihn aus dem Erdenkloß geschaffen, wie Gott den Adam gemacht hat.

Don Michele. Ja, aber was hat Adam getan? Er hat alsobald gegen Gott ein Komplott gemacht, weil man niemals seinen Schöpfer liebt; der ist ein gar zu demütigender Gebieter. Begreift Ihr das?

Vitellozzo. Um sich der Franzosen zu erwehren, rechnet er auf den Papst.

Don Michele. Und auf des Papstes Unsterblichkeit, rechnet er auf die auch? Wird Alexander VI. ewig leben? Seid Ihr uns gut dafür? Nein! Also, wenn es nach Euch geht, so finden wir uns darein, wenn man einst Seine Heiligkeit in die Grube hinabsenkt, uns auch selbst hinein zu betten? Ihr irrt Euch, wir wollen leben, und um das zu tun und zu herrschen, rechnen wir auf euch und niemand anders!

Pagolo. Das ist was Neues.

Don Michele. Ich bin vielleicht zu aufrichtig, und ich bitte euch auf alle Fälle, meine Worte dem Valentino nicht wieder zu sagen. Sie müssen unter uns bleiben. Was ich euch da versichere, ist ganz buchstäblich wahr. Wir wollen, wir suchen keine anderen Freunde als euch! Denn, um euch meinen Sinn ganz zu enthüllen, es wird wohl eine Zeit kommen, wo wir mit den Florentinern brechen müssen, so gut wir auch im gegenwärtigen Augenblick zusammen stehen.

Die vier Hauptleute (alle zugleich). Was erzählt Ihr uns da? Ihr steht gut mit den Florentinern? Wißt Ihr das sicher?

Don Michele. Wahrlich, ja! Einer ihrer Geheimschreiber, Herr Niccolo Machiavelli, ist in diesem Augenblicke bei uns. Es ist euch ein Leichtes, euch davon zu überzeugen, und ...

Pagolo. Warum unterbrecht Ihr Euch? Vorwärts, Michele! Nichts verschwiegen! Wir sind immer Freunde gewesen!

Don Michele. Nein! ich darf euch nicht sagen, was ich auf der Zunge hatte. Ich lasse mich zu sehr gegen euch gehen! Ihr würdet sicher dem Valentino von meinen Worten etwas wieder sagen. So wenig es auch sein möchte, es wäre schon zu viel für meine Sicherheit! ... Nein! ... Reden wir von etwas anderem! ... Dringt nicht in mich, ich bitte euch darum! ... Spaß beiseite! Es würde mein Verderben sein! Noch einmal, und hundertmal nein! ... Liebe Freunde, ich bitte euch! ... Verstehen wir uns doch recht! Ich will euch nur eine Tatsache, eine einzige, erzählen ... Ihr schwört mir, verschwiegen zu sein?

Die vier Hauptleute. Bei unserer Ehre und bei allen Evangelien!

Don Michele. Gott! wie unrecht habe ich getan, mich gehen zu lassen! ... Durch Herrn Niccolo also haben wir eure Bündnisvorschläge an die Florentiner erfahren. Sie haben dem Valentine eure eigenen Briefe geschickt, und Geld und Truppen angeboten; sie haben an Giovanni Bentivoglio geschrieben, wenn sein Unstern wollte, daß er euch Wort hielte, so würden sie unverzüglich gegen ihn vorgehen. Das also sage ich euch im Vertrauen ... Mehr erfahrt ihr nicht, und solltet ihr mich bis morgen bitten. Übrigens macht mir dies alles eine verzweifelte Sorge.

Vitellozzo. Ich sehe nicht ein, was dich so quält! Die Bologneser verraten uns, nach deinen Worten; die Florentiner sind Judasse, ihr habt ein ganzes Corps schwerer Reiter auf dem Fuße hinter euch; hast du uns zum besten mit deinen Gesichtern?

Don Michele. Und in sechs Monaten, was soll dann aus uns werden? Ihr werdet allerdings, mit so vielen Widersachern auf dem Halse, in ein paar Tagen vernichtet sein. Alle Städte verwünschen euch, und solltet ihr selbst auf spanisch entwischen wollen, die Wege sind euch versperrt. Aber wir? was wird aus uns werden in den Händen so vieler Beschützer? Ach! ihr habt sehr unrecht gehabt euch zu empören. Hier könnte man just die Fabel des Menenius anführen!

Pagolo. Schließlich – das Unglück ist geschehen.

Vitellozzo. Wenn man mich gehört hätte!

Oliverotto. Ihr scherzt, Herr Vitellozzo! Ihr wart der Tollste!

Vitellcozzo. Ich erkläre Euch, daß Ihr Euch mir gegenüber nicht so anmaßend zu gebärden habt! Ihr vergeht Euch!

Gravina. Sachte! Einig! Ich bitte euch, keinen Zank!

Don Michele. In der Tat, ihr habt wohl genug gehadert! Was jetzt not täte, wäre, sich zu verständigen.

Vitellozzo. Das Vergangene ist vergangen. Wir hätten vielleicht weiser getan, uns ruhig zu verhalten; aber es giebt keine Torheit, die nicht geringer wäre, als die, uns überlisten zu lassen. Ich kenne die schönen Worte des Herrn Borgia! ich kenne sie! ich kenne sie! Er sieht in der ganzen Welt nicht Freunde, nicht Feinde, sondern nur Gliederpuppen, und nicht eine einzige ist von ihm in Bewegung gesetzt worden, die er nicht zerbrochen hätte.

Don Michele. Vielleicht habt Ihr recht; in diesem Falle überzieht ihn mit Krieg! Auf der einen Seite habt ihr da den Papst, den König, die Florentiner; morgen die Bologneser; übermorgen alle Städte, alle Gemeinden, alle Parteien, alle Herren der Romagna, euren Genossen Petrucchio von Siena und selbst Giampagolo Baglioni von Perugia mit eingeschlossen. Auf der andern die Häuser Vitelli und Orsini; dazu ist noch zu bedenken, daß die Klügsten unter euch in Rom, in der Gewalt des Papstes sind. Vielleicht glückt's euch.

Pagolo. Es ist keine acht Tage her, da haben wir eure Leute bei Fossombrone geschlagen.

Don Michele. Dann schlagt uns doch weiter.

Oliverotto. Angenommen einen Augenblick, daß wir geneigt wären, zu unterhandeln, hättest du uns irgend einen verständigen Vorschlag zu machen? Ich meine Vorschläge, die geeignet wären, uns sicher zu stellen, das heißt unbedingt und vollkommen sicher zu stellen vor der Rachsucht des rachsüchtigsten der Menschen.

Don Michele. Ich sehe nicht wohl ein, welche Gefahr ihr laufen könntet, so lange ihr, so wie jetzt, an der Spitze eurer eigenen Truppen steht. Ihr habt, denke ich, nicht die Absicht, euch von ihnen zu trennen?

Gravina. Gewiß nicht! Aber auch ihr habt Truppen, und wenn wir uns infolge eines übel angebrachten Vertrauens überraschen ließen ...

Don Michele. In diesem Falle, ich wiederhole es euch, würden wir unseren Ausländern preisgegeben bleiben, und ich glaubte euch unsere Abneigung in dieser Hinsicht zu verstehen gegeben zu haben. Zudem, was ihr getan, hat den Herzog nicht in dem Grade aufgebracht, als ihr euch einfallen laßt zu glauben. Er hat sich nicht in großer Gefahr geglaubt; er hat wohl gemerkt, daß ihr ihn zu Imola geschont habt, überdies kennt er seit langem die gehässige Gesinnung der Florentiner gegen eure Familien. Im Grunde betrachtet er euer Vorgehen als einen erzdummen Streich braver, wenig gewitzigter Soldaten. Ihr Herren seid nicht gehalten, tiefe, vorausschauende Politiker zu sein. Wollt ihr einen höheren Sold, einen glänzenden Hof, schöne Lustbarkeiten, freundliche Aufnahme? Kommt zu uns zurück. Da wird euch die Hand zur Versöhnung gereicht. Vor allem überspannt eure Phantasie nicht. Ihr seid bei weitem nicht so große Übeltäter, als ihr fürchtet! ... Jetzt aber, bis ihr einen Entschluß gefaßt habt, gestehe ich euch, daß ich gerne was zu Abend haben möchte ...

Pagolo. Ich nehme dich mit in mein Quartier, wenn du willst.

Don Michele. Nein! nein! Bemüht euch nicht meinetwegen! Bleibt, um euch zu beraten; der erste beste wird mir den Weg zeigen.

Gravina. Pagolo kann mit Euch gehen. Wir werden heut Abend oder morgen früh Zeit haben, über alle diese Händel zu reden. Wir haben für diesmal genug des Kopfzerbrechens.

Vitellozzo. Ich muß gestehen, daß der Kopf mir springen will; ich kann nicht mehr.

Don Michele. Doch, liebe Herrn und Freunde, werte Freunde, ihr vergeßt euer Versprechen nicht, nicht wahr? Ihr entdeckt dem Herzog die Dummheiten nicht, die ich begangen habe? Ich habe – ihr wißt es! – ziemlich unbedacht darauf los improvisiert, und doch ohne schlimme Absicht, der Himmel ist mein Zeuge!

Die vier Hauptleute. Sei ruhig, wir sagen nichts, alter Fuchs!


Cesena.

Arbeitszimmer Don Cesare Borgias.

Der Herzog, mehrere Vertraute, Eilboten und Geheimschreiber. Einige schreiben eilig Depeschen; andere umstehen ihren Gebieter.

Der Herzog. Keine Eilboten?

Ein Geheimschreiber. Nein, Hoheit, noch nicht!

Der Herzog. Ihr sollt mich sogleich benachrichtigen, wenn einer kommt. Keine Zeit verloren. Antonio, du bist bereit?

Antonio. Ja, Hoheit, mein Pferd steht vor der Türe.

Der Herzog. Geh', suche die Bauern der Apenninen in meinem Namen auf. Du wendest dich vorzugsweise an die Cerroni, und unter diesen an die Häuser Ravagli. Wenn die Rinaldi dir Gehör geben wollen, so hältst du sie uns natürlich warm; aber den andern kann ich besser beikommen. Kurz, vernachlässige niemanden, und mache mir so viele Freunde, als du irgend kannst.

Antonio. Ja, gnädiger Herr.

Der Herzog. Versprich Geld, versprich Freiheiten, versprich vor allem Rache und die Plünderung der Städte, die durch Verweigerung sofortiger Unterwerfung mich zwingen würden, sie mit Sturm zu nehmen.

Antonio. Ja, gnädiger Herr, der Bauer plündert gar gerne die Städte.

Der Herzog. Wart' ihm auf nach Gefallen. Trage Sorge, die Barone zu hätscheln, die bei den Bauern beliebt sind, und führe unserer Sache von ihnen zu, so viele du nur kannst.

Antonio. Ich kenne sie alle, und wenn ich ihnen Hoffnung auf die Vernichtung der Freischaren mache ...

Der Herzog. Tue dein Bestes, ich stehe in allem hinter dir; geh'. Nun zu dir, Alfonso!

Alfonso. Hier, gnädiger Herr.

Der Herzog. Geh' nach Forli. Ich muß mir dort die Guelfen gewinnen, und zu dem Ende biete ihnen meinen Schutz gegen die Ghibellinen an. Da diese die Stärkeren sind, so wollen wir diejenigen an uns ziehen, die ein Bündnis am nötigsten haben. Ebenso machst du es im Vorbeigehen in Faenza und Ravenna, aber gerade umgekehrt in Rimini, wo die Guelfen die Oberhand haben. Dort machst du dich vornehmlich an die Ghibellinen. Geh' jetzt! Ihr da, ihr habt eure Aufträge?

Mehrere Vertraute. Ja, gnädiger Herr!

Der Herzog. Auf denn! und führt's glücklich aus! (Sie gehen ab.) Dich, Martino, will ich nach Urbino senden. Folgendes hast du zu tun, damit mir Guidobaldo getötet oder fortgejagt werde. Merke wohl auf.


Auf dem freien Platze.

Die französischen schweren Reiter und Bogenschützen spielen Kegel und Bockspringen.

(Ein schwerer Reiter promeniert mit zwei Bogenschützen an derselben Stelle, wo Don Michele und Herr Burchard waren.)

Der schwere Reiter. Ich sage dir, daß die Eyquems eine der guten Familien von Bordeaux sind, und als der Vater das Schloß Montaigne gekauft hat, da hat alle Welt gesagt: um so besser, das ist 'ne gute Rasse!

Erster Bogenschütz. Ja, aber keine von den ersten der Stadt. Die Lestonnac sind viel älter!

Zweiter Bogenschütz. Sie mögen alt sein, aber die Colomb sind noch weit älter. Das habe ich meinen Vater immer sagen hören.

Dritter Bogenschütz. Ich habe nichts dawider. Es scheint, daß sie Bürgermeister und Schöffen ihres Namens zur Zeit der Engländer gehabt haben!

Der schwere Reiter. Man hat mir's auch versichert! Das war 'ne gute Zeit, die der Engländer! Die Stadt zahlte gar keine Abgaben, es gab keine Steuern, und der Wein kostete sozusagen gar nichts!

Zweiter Bogenschütz. Willst du jetzt wieder englisch werden?

Der schwere Reiter. Beim Kap Saint-Fort! Ich würde werden, was man wollte, wenn man mich nur nach Mailand zurück ließe, wo ich ein kleines Mädel gelassen habe, dem mein Schnurrbart nicht übel gefiel.

Dritter Bogenschütz. Die Sache ist, man hat hier nicht viel Zeitvertreib; es wird fast gar nicht geschlagen, und man möchte vor Langeweile umkommen, wenn man so vom Morgen bis in die Nacht die gelben Gesichter dieser Lumpenkerle von Italienern sieht. Ein Volk, ganz über alle Maßen dumm! Das versteht kein Wort Französisch, das trinkt nicht, das tanzt nicht, das hat genau so viel Verstand wie mein Pferd!

Zweiter Bogenschütz. Hoho, Hänschen, sei lustig, mein Junge! Da! hast was, um dich wieder in gute Laune zu bringen!

(Er wirft ihm seine Kappe auf die Erde; die Bogenschützen und der schwere Reiter stoßen und schlagen sich unter lautem Gelächter.)


Sinigaglia.

Das Lager der Freischaren.

Das Zelt Pagolo Orsinis.
(Pagolo hat eben mit Don Michele zu Abend gegessen. – Bediente tragen ab und ziehen sich dann zurück.)

Don Michele. Ihr habt euch alle was in den Kopf gesetzt, und keiner sieht die Dinge, wie sie sind. Der Herzog ist freilich nicht der weichste Mensch von der Welt; aber er ist darum nicht auch der wenigst weise, und deshalb möchte er nicht gerade, indem er euch hart behandelt, das aufs Spiel setzen, was ihr ihm wert seid.

Pagolo. Wenn wir ihn hören, sind wir verloren! Du wirst mir nimmer das Gegenteil beweisen. Vitellozzo hat darin nicht unrecht.

Don Michele. Vitellozzo ist ein Esel, der sich für einen Löwen hält, weil er sich schlägt wie keiner. Das ist eine hübsche Gabe, aber sie reicht nicht für alles aus. Um auf unsere Geschäfte zurückzukommen, du glaubst also, daß der Herzog dir sehr übel wolle?

Pagolo. Ja, das glaube ich.

Don Michele. Hier der Beweis. Er schickt dir diese Kette.

Pagolo. Alle Wetter! Rubinen und Saphire! Hübsche Fassung! Florentiner Arbeit! Irre ich mich?

Don Michele. Du hast einen feinen Geschmack für einen alten Haudegen.

Pagolo. Ihr seid mir die Rechten, ihr Hofleute! Ihr glaubt, daß ihr allein das Privileg habt, die göttlichen Musen zu lieben und die wahre Schönheit zu begreifen! Wenn diese Kette nicht das Werk Robettas ist – was mich sehr wundern sollte –, so wette ich dir meine Venus, Guidos von Bologna vollendetstes Gemälde, gegen dein Tafelgeschirr Wilhelms von Marseille, daß es Giovanni di Goros Arbeit ist!

Don Michele. Das Tafelgeschirr gehört dir, denn die Kette ist in der Tat von Robetta. Wir wissen am Hofe zu wählen, gesteh's nur!

Pagolo. Wie befindet sich der Graf Castiglione?

Don Michele. Immer der getreue Diener des Hauses Orsini!

Pagolo. Wir lieben ihn um solcher Gesinnung willen. Aber ich kann nicht mehr. Einen ganzen Tag zu Pferde, Wachen visitieren! Wie ärgerlich, diese Mißverständnisse! Laß uns zu Bett, ist dir's recht?

Don Michele. Ob mir's recht ist? Ich schlafe im Stehen!

Pagolo. Wenn du heut Abend dem Herzog schreibst, so versäume nicht, Seine Hoheit zu versichern, daß man ihn im Betreff meiner arg hintergangen hat ... Doch nein, laß gut sein, sag' ihm gar nichts! ... Ich will nicht, daß er glauben möchte ...

Don Michele. Schon gut, großes Kind! Ich werde ihm sagen, du seist sein Freund, wie er der deine ist. Gute Nacht!


Cesena.

Das Arbeitszimmer des Valentino.

Don Cesare Borgia; Machiavelli; Battista.

Battista. Gnädiger Herr, eine Depesche.

Der Herzog. Gut! gieb sie her! ... Herr Niccolo, ich will nicht, daß der Signoria von Florenz irgend eine Einzelheit meines Streites mit meinen Condottieri unbekannt bleibe. Hier seht, was Don Michele mir schreibt. (Er reicht Machiavelli die Depesche, welcher sie liest.) Ihr seht, daß Pagolo Orsini auf dem Wege ist seine Kameraden zu beruhigen und zur Vernunft zu bringen. Vitellozzo sträubt sich noch; dennoch, er wird mit den andern gehen ... er wird kommen wie die andern ... Da werd' ich ihn mir haben, Herr Riccolo, wie die andern!

Machiavelli. Ich sehe es wohl, Hoheit! er wird dran glauben müssen! sie werden alle dran glauben! Mit jeder Minute sinkt ihnen das Herz tiefer, und ihr Kopf ... ach! mit ihrem Kopf ist's schon vorbei! Ich sehe, daß sie Euch vorschlagen, Euch mit ihnen zu vereinigen, um uns zu bekriegen.

Der Herzog. Sie wissen nicht, was sie ausdenken sollen! ... Da sie meine Ablehnung voraussehen, so bieten sie mir ein anderes Auskunftsmittel.

Machiavelli. Sinigaglia zu nehmen und Euch zu übergeben?

Der Herzog. Ich werde ihnen antworten, sie sollten die Festung zur Übergabe auffordern, und daß ich ihnen zu Hilfe käme, und in der Tat, ich werde gehen.

Machiavelli. Habt Ihr Mannschaft genug, um in den Händen dieser Leute in Sicherheit zu sein?

Der Herzog. Mannschaft genug? ... Ich habe ihnen sagen lassen (denn sie hatten Furcht), daß ich alles bis auf Candalles Compagnie und eine kleine Zahl italienischer Reiter aus meiner Umgebung fortschicken würde. Ich habe ihnen Wort gehalten. Vor einer Stunde ist alles abgezogen.

Machiavelli. Ihr wollt Euch so in Gefahr begeben, gnädiger Herr?

Der Herzog. Es giebt Augenblicke, wo die sicherste Stätte auf Erden – vor dem Rachen des Löwen ist! Eines Tages werdet Ihr's begreifen. Ihr seid noch jung.

Machiavelli. Ich bin begierig, welche Gesinnung Ihr gegen diese Verräter hervorkehren werdet!

Der Herzog. Eitel Milde, Herr Niccolo, eitel Sanftmut! Ihr lacht?

Machiavelli. Ich lächle, Hoheit, über den geringen Einklang zwischen dem Honig Eurer Worte und dem Feuer Eurer Blicke.

Der Herzog. Die Staatshändel sind wichtige Dinge, Herr Niccolo; man darf sich nicht schlaff dabei benehmen. Was ist's, Battista?

Battista. Gnädiger Herr, ein Briefchen!

Der Herzog (lesend). Fürwahr! unser Spiel ist gut im Zuge! Der Bentivoglio bietet mir seine Freundschaft und eine Familienverbindung an.

Machiavelli. Herr Giovanni ist sonst nicht sehr für zärtliche Regungen in der Häuslichkeit.

Der Herzog. Er ist ein handfester Kerl. Er hat der Meute seines Gegners in einer Nacht wacker die Bäuche aufgeschlitzt. Zweihundert Jagdhunde auf einmal! Das würde doch einem Frischling Ehre machen. Aber diese Leute aus den alten Familien verraten immer auf irgend einer Seite die abgelebte Kreatur! Es genügt nicht, daß man zu erdolchen und erdolchen zu lassen versteht! Dem Bentivoglio fehlt's an Hirn, und er hat nie einen Gedanken folgerichtig festhalten können ... Da seht! er läßt die Hand meiner Freischärler fahren!

Machiavelli. Ihr habt diese Woche einen hübschen Weg gemacht!

Der Herzog. Ganz hübsch! Nun nicht in der Mitte stehen geblieben. Geradeaus, fest und schnell vorwärts ... Es bläst zum Aufsitzen. Wir brechen sogleich nach Sinigaglia auf.

Machiavelli (träumerisch). Es ist sehr wahrscheinlich ... sehr wahrscheinlich ... diese Leute werden toll genug sein, Euch zu erwarten.

Der Herzog. Wie! ob sie mich erwarten werden! ... Sie werden mir entgegen kommen. Zweifelt nicht daran! Das Schicksal führt den Menschen oder schleppt ihn. Ich habe sie zwanzigmal angeführt, hundertmal betrogen! Sie wissen, wie wenig die Nebenrücksichten in meiner Hand wiegen. Seht sie dennoch! Wie mit jeder Minute ihre Vernunft mehr ins Wanken gerät! Die Florentiner wollen nichts von ihnen wissen! Gestern morgen hat's ihr Freund Guidobaldo vor den Flammen, die ich aufgewiegelt, mit der Angst bekommen; er hat sich aus Urbino geflüchtet. Da macht nun auch der Bentivoglio Front gegen sie. Die Aufregung steigt ihnen zu Kopfe, meinen vier Helden! Don Michele bearbeitet sie; er macht sie ganz dumm, Gravina mit Beweisgründen, Vitellozzo mit Schmeicheleien, Pagolo mit Präsenten, Oliverotto mit versteckten Drohungen und Scheinversprechungen; alle zusammen berückt er sie mit Beteuerungen, und – was wunderbar, aber glaubt es mir, sicher, gewiß, naturgemäß, in ähnlichem Falle bewiesen ist –, obwohl diese vier Eisenfresser aufs Tüpfelchen wissen, wie hoch sie mein Entgegenkommen und mein Erbarmen anschlagen sollten, so werden sie doch kommen, angerannt kommen, sage ich Euch, und unaufhaltsam auf mich draufstürzen; nichts kann sie davor retten. Ihr Charakter und der Himmel wollen es so!

Machiavelli (sich das Kinn streichend). Die Welt ist doch ein wahrhaft interessantes Studium.

Der Herzog. Auf denn, genug des Abschweifens. Zu Pferde! Wir machen zu Fano Halt. Ich nehme an, daß unsere Gegner dorthin kommen werden, um meine Gnade anzurufen.

Machiavelli. Zu Euren Diensten, gnädiger Herr.


Sinigaglia.

Das Zelt der Orsini.

Pagolo, Vitellozzo Vitelli.

Vitellozzo. Die Stadt ist genommen; aber das Schloß will sich nur dem Valentino in Person ergeben. Soll ich dir meine Meinung sagen?

Pagolo. Ich höre dich.

Vitellozzo. Der Schurke von Kommandant hat vom Herzog selbst einen Wink bekommen, so zu verfahren. Er versteht sich mit dem Borgia.

Pagolo. Du siehst überall List; vielleicht hast du recht. Aber was tun? Da wir wieder in Borgias Sold getreten sind, so können wir dergleichen Erklärungen nicht anfechten.

Vitellozzo. Das Ergebnis wird sein, daß, obgleich wir mit Michele ausgemacht haben, daß wir in unserem Lager bleiben sollten und er in dem seinigen, wir uns in seinen Klauen befinden werden, denn gewiß, er wird kommen.

Pagolo. Das ist offenbar. Ich tröste mich mit dem Gedanken, daß diese kritische Lage nicht lange andauern kann. Ich gestehe, ich bin unruhig; ich möchte lieber gleich wissen, woran ich bin. Der Herzog hat hoffentlich nur gute Absichten.

Vitellozzo. Worauf gründet sich deine Hoffnung?

Pagolo. Warum sollte er sich alles Ernstes mit den vier ersten Condottieri Italiens überwerfen? Unsere Köpfe, einmal abgehauen, würden nichts wert sein. Sodann haben wir hinter uns die beiden großen, erlauchten, mächtigen Häuser der Vitelli und der Orsini, die glänzendsten des Römerlandes und folglich der ganzen Welt. Wieviel Kardinäle, Bischöfe und Herrn, die zu reizen er nicht gut tun würde!

Vitellozzo. Wenn ich einmal umgebracht bin, so gilt mir's wenig, ob der, der es getan, eine Unklugheit begangen hat.

Pagolo. Pah! die Unklugheit liegt darin, alles vorauszusehen. Laß uns mit dem Strome schwimmen; wenn wir's geschickt anfangen, werden wir ihn schräg durchschneiden und daraus entkommen.

Vitellozzo. Ich kann nichts weiter sagen, als daß ich wie gebannt bin.

Pagolo. So wirst du umkommen, nicht ich, der ich Vertrauen habe.

(Trompeten. – Gravina, Oliverotto und Don Michele treten auf.)

Gravina. Zu Pferde! Unsere Schwadronen sind auf den Beinen!

Pagolo. Was giebt's?

Gravina. Der Herzog kommt. Man sieht seine Streifreiter.

Vitellozzo. Michele! Michele! ... du verrätst uns, Schandbube!

Don Michele. Wie! Ich verrate euch? Erklärt Euch doch, Herr! Bin ich's, der zu bestimmen hat?

Oliverotto. Er hat recht. Gravina und ich haben zum Aufsitzen blasen lassen. Da das Schloß sich nur dem Borgia ergeben will, so ist es natürlich, daß dieser kommt. Es ist ein unvorhergesehener Zwischenfall, nichts weiter. Hast du Lust, dich zwischen dem Feinde und unserem Herrn fangen zu lassen?

Vitellozzo. Ich weiß nicht mehr, woran ich bin; ich versichere, ich schwöre euch, daß wir verloren sind. Alle meine Warnungen werden nichts gefruchtet haben. Auch die Trojaner wollten Kassandra nicht glauben, noch die Juden ihren Propheten!

Oliverotto. Der Teufel soll dich holen! Du sprichst zu einem Manne, der sich auf Hinterhalte versteht; war ich es nicht, der Giovanni Fogliani, meinen Oheim, und seine Helfershelfer töten ließ, während sie, als rechte Tröpfe, sich ganz gefahrlos bei mir zum Abendessen niederzulassen glaubten? Ihr geht dem Valentino höflich entgegen, und ich halte mich mit meinen Compagnien vor dem Stadttore. Wenn irgend jemand Miene macht euch anzurühren, so sind wir bei weitem die Stärkeren, und dann wollen wir sehen!

Don Michele. Nichts ist klarer. Man müßte blind sein, um es nicht zu sehen, und wenn einmal ein solches Abkommen uns paßt, solltet ihr begreifen, daß wir's auch ehrlich meinen.

Pagalo. So ist's. Auf! Zu Pferde! Der Herzog kommt!


Das Gefilde vor Sinigaglia

In einiger Entfernung im Hintergrunde das Stadttor, von der Infanterie der Freibeuter besetzt. Schwadronen in Schlachtordnung aufgestellt, Oliverotto an ihrer Spitze, mit seinen Offizieren. Im Vordergrunde die Truppe des Valentino, an Zahl geringer als die Compagnien der Condottieri, welche, in Kolonnen formiert, den rechten Flügel einnehmen; der Herzog, Machiavelli, de Candalle, Baldassare Castiglione, Don Michele, Don Ugo, Marcantonio da Fano, Leniolo, d'Allegri und andere Hauptleute, alle zu Pferde.

Der Herzog. Michele!

Don Michele. Gnädiger Herr!

Der Herzog. Treib' dein Pferd hierher, dem meinen zur Seite! Beuge den Kopf vor ... Höre! Da nahen unsere Freischärler. Wenn ich zu ihnen gesprochen habe, nehmen je zwei von euch diese Leute zwischen sich ... um ihnen Ehre zu erweisen ... Du verstehst mich wohl? ... Und ihr laßt sie nicht wieder los.

Don Michele. Nein, gnädiger Herr.

Der Herzog. Was soll das heißen? Oliverotto ist zurückgeblieben?

Don Michele. Ja, Hoheit. Er ist dort an der Spitze seiner Truppen; sie haben diese Anordnung getroffen.

Der Herzog. Geh' hinter unserem Rücken her, nimm einen Umweg, stoße zu Oliverotto, und führ' ihn um jeden Preis her. Um jeden Preis! Du verstehst mich und du haftest mir für ihn?

Don Michele. Aber, gnädiger Herr ...

Der Herzog. Du verstehst mich also nicht? ... Du haftest mir für ihn! Verliere keine Zeit; geh' sogleich! (Don Michele sprengt im Galopp davon. Die Hauptleute nähern sich grüßend.) Seid willkommen, Freunde! Dem Himmel sei Dank, nun giebt's keine Mißhelligkeiten mehr zwischen uns. Ich hätte einigen Grund, euch wegen eurer dummen Streiche zu grollen; aber was vergeben nicht Neigung und, ich kann's ja gestehen, wohlverstandenes Interesse! Eure Hand, Herzog von Gravina! Guten Tag, Vitellozzo! Guten Tag, Pagolo! Kommt an meine Seite! Ich fühle mich euch nie nahe genug. Meine Kraft ruht in den Lanzen meiner Freischaren.

Gravina. Wir haben gefehlt, gnädiger Herr, indem wir vergaßen, daß Ihr solche Gesinnung gegen uns hegt. Wir werden unsere Vergehen durch unsere Dienste wieder gut zu machen wissen.

Der Herzog. Ich rechne durchaus darauf. (Zu den Hofleuten.) Meine Herrn, widmet euch eifrig unseren Gästen, und wenn ihr meine Freundschaft schätzt, so suchet die ihrige zu gewinnen. (Die Kavaliere, denen Don Michele einen Wink gegeben, umringen die drei Hauptleute; Oliverotto kommt mit Don Michele.) Nun! Herr Oliverotto, Wo bleibt Ihr denn?

Oliverotto (ein wenig blaß). Gnädiger Herr, ich war auf meinem Posten; ich hätte nicht gewünscht, daß irgend ein Verrat der Leute im Schlosse diesen schönen Tag stören möchte.

Der Herzog. Wenn man aufrichtig ist, fürchtet man den Betrug nicht, und ich fürchte niemanden. Gebt mir die Hand. Ich habe das Vergangene vergessen.

Oliverotto. Dank, gnädiger Herr.

Der Herzog. Trotz unseres Plauderns kommen wir vom Fleck, und da sind wir ja, scheint's, an meiner Wohnung. Ich verdanke euch eine hübsche Stadt, meine Herren Kapitäns!

Gravina. Wir möchten Euch tausend andere schönere geben, Hoheit!

Der Herzog. Es wird euch nicht an Gelegenheiten fehlen, diesen Wunsch zu verwirklichen. Steigen wir ab und gehen wir ins Haus. (Der Herzog, die Freischärler und das gesamte Gefolge steigen ab. Großes Gedränge und Gewühl.) Welch ein Lärm! Ordnung, ihr Herrn! Eilt nicht so! ... Candalle, auf ein Wort, bitte! (Er nimmt ihn auf [die] Seite.) Eure schweren Reiter sind im Sattel geblieben?

De Candalle. Ja, gnädiger Herr. Ich erhielt den Befehl von Don Michele.

Der Herzog. Begebt Euch zu ihnen. Führt einen kräftigen Stoß auf die Freischaren, die sich nichts versehen und ihre Führer nicht mehr haben. Die Beute gehört Euch.

De Candalle. Sogleich, gnädiger Herr! (Ab.)

Der Herzog (steigt die Treppe hinauf, gefolgt von den vier Hauptleuten, welche seine Leute von allen Seiten umringen. Er tritt in einen hohen Saal und wendet sich plötzlich um:) Nehmt diese Verräter fest und entwaffnet sie!

Oliverotto. Ha! Schurke! (Er wird durch einen Faustschlag zu Boden geworfen. Die Hofleute und Soldaten stürzen sich auf die andern und knebeln sie.)

Der Herzog. Führt diese Menschen in das Zimmer nebenan und laßt sie nicht aus den Augen ... Ich möchte wissen, was Candalle macht.

Don Michele (an einem Fenster). Die Freischärler haben den Stoß nicht erwartet. Sie sind in wilder Flucht, und die Franzosen, die ein großes Gemetzel unter ihnen anrichten, lösen sich auf und plündern die Häuser der Stadt.

Der Herzog. Eilt und laßt ein Dutzend von diesen Barbaren hängen! Ich will nicht, daß einer sich herausnimmt, was ich nicht befehle. (Don Michele eilig ab.) Wo ist Michelotto?

Michelotto (Henker). Hier, gnädiger Herr.

Der Herzog. Hast du neue Stricke?

Michelotto. Ganz neue; mein Beil, meinen Hieber und meine Gehilfen.

Der Herzog. Geh' da hinein! Ich will dich am Werke sehen. Einen nach dem andern stranguliert! Ich werde dir zusehen! (Michelotto entrollt seine Stricke, mit denen er sich umgürtet hat, und geht in das Zimmer.) Auf, meine Herrn, ein wenig Vergnügen nach so viel Arbeit. (Er durchschreitet die Tür, von seinem Hofe gefolgt; Aufstampfen, furchtbare Schreie, dann Schweigen und Gelächter.)


Das vom Herzog bewohnte Haus.

Terrasse mit Ausblick auf das Meer; Mondschein. – Nach dem Abendessen, der Herzog in halb liegender Stellung auf Polstern; Machiavelli; Don Michele; Musikanten beenden eben eine Motette.

Der Herzog. Ich liebe diese neue Musik sehr. Wir leben in einer großen Zeit, Herr Niccolo. Alles verjüngt sich. Neulich abends habe ich mir eine Stelle aus Virgil vorlesen lassen, sehr schön, wie das geringste Erzeugnis dieses herrlichen Geistes, und da ist mir der Satz aufgefallen: »Eine majestätische Ordnung tritt ins Leben.« So war es, scheints, in jener Zeit. In welchem Grade bewahrheitet es sich in unseren Tagen! Diese Weise, die sie da eben vorgetragen haben, atmet die süßeste Melancholie. – Gut, Kinder, ich bedarf eurer Dienste für diesen Abend nicht mehr. Gebt jedem einen Goldtaler. – Michele, bist du ganz gewiß, daß die französischen Plünderer, die sich an Sinigaglia vergriffen, gehängt worden sind?

Don Michele. Ja, gnädiger Herr. Vielleicht ist einige Übertreibung dabei mit untergelaufen. Ihr hattet gesagt, ein Dutzend, und ich fürchte, es sind mehr.

Der Herzog. Der Scherz ist ganz gut. Und das Plündern? ...

Don Michele. Im selben Augenblicke eingestellt, gnädiger Herr!

Der Herzog. Das war der Punkt, auf den es ankam. Du sorgst mir, daß die Hingerichteten heruntergenommen werden. Sie sollen gevierteilt, und in den verschiedenen Straßen der Stadt ein Teil angehakt werden. Es ist gut, wenn die Untertanen wissen, ich leide es nicht, daß man sie bedrückt.

Don Michele. Sie wissen es bereits, gnädiger Herr, und sie überhäufen Euren Namen mit Segenswünschen.

Der Herzog. Sie müssen es noch besser wissen, und darum tue, wie ich sage. Außerdem unterlaß nicht, zu verbreiten, daß es meine besondere Passion ist, die Franzosen zu vernichten. Man kann den Haß gegen die Barbaren bei unserem Volke gar nicht zu stark schüren, und man muß ihm Verachtung beimischen. Geh, Michele! (Don Michele ab.) Nun hätten wir unsere Schwierigkeit gelöst, Herr Niccolo.

Machiavelli. Ich will mir ein Herz fassen und Eurer Hoheit eine Bemerkung vortragen.

Der Herzog. Sprecht! Sprecht frei heraus, ich bitte Euch.

Machiavelli. Da Ihr Gerechtigkeit der Gnade vorgezogen habt, hat da die Hinrichtung der beiden Orsini nicht ihre Nachteile? Ihr Haus ist mächtig.

Der Herzog. Ich hatte nach Rom geschrieben. Heute morgen habe ich erfahren, daß der Kardinal, der Erzbischof von Florenz und Herr Jacopo da Santa Croce überrumpelt und festgenommen worden seien, wie ich es dem heiligen Vater anempfohlen. Ohne diesen Erfolg würde ich die Dinge sich ein wenig haben hinziehen lassen.

Machiavelli. Dann scheint mir die Berechnung untadelhaft.

Der Herzog. Merket wohl, daß es hiermit nicht vier Schelme, sondern die vier bei weitem furchtbarsten Condottieri in Italien weniger giebt! Nach ihnen bleibt nur noch Ausschuß. Man kann ohne große Mühe damit fertig werden. Ich habe mittels Schwert und Strick eine furchtbare Wunde geschlossen. In einigen Jahrhunderten wird es nicht möglich sein, sich vorzustellen, daß etwas Ähnliches je habe existieren können! Die Häupter der Truppen von keiner Partei, keinem Staate, keiner Regierung abhängig! nach ihrem Gefallen den Fürsten dienend oder Schaden zufügend, ihr Mark verzehrend unter dem Vorwande des Soldes, und das ihrer Untertanen unter allen Formen der Laune! Welche Ungeheuerlichkeit! welche Albernheit! Und daraus gingen die Sforza hervor, die Mailand nahmen, und dann die Carmagnola, der Schrecken Venedigs! Bei meiner Seligkeit! ich habe euch allen den wichtigsten Dienst erwiesen, den ihr verlangen konntet!

Machiavelli. Ohne allen Zweifel, gnädiger Herr, und Euch habe ich es zu danken, wenn auch ich Virgils Wort wiederholen kann: Magnus nascitur ordo. Jetzt werdet Ihr Euer Werk vollenden, indem Ihr Kriegsscharen ausbildet, die sich nicht aus Banditen, sondern aus Bauernsöhnen zusammensetzen, und die nicht sowohl ihren Führern, als ihren Herrschern gehorchen werden.

Der Herzog. Ich brauche Zeit! Ich brauche Zeit, nicht um mir Ruhe zu gönnen, sondern um der Einsicht der Völker die Möglichkeit des Heranreifens zu lassen. Wie vieles ist umzugestalten! Die Großen zu zähmen, die Kleinen zu zügeln, Geld an sich zu ziehen, und für alle diese Notwendigkeiten sichere und angemessene Mittel zu berechnen! Wie viele verschiedene Taten werden nötig! Sie sind die Früchte des Willens; sie treiben, sie entwickeln sich, sie sprossen, dann brechen sie hervor. Treiben wir die Ernte nicht über das Maß, sonst verkümmert sie. Zeit, Geduld; keine Schlaffheit, keine Schläfrigkeit, keine Hast!

Machiavelli. Nicht sowohl die andern als sich selbst im Zaume zu halten, ist das Verdienst der Starken.

Der Herzog. Die schöne Nacht! Seht, welch wunderbare Wirkung der Widerschein des Mondes auf den bewegten Wellen unter einem so weiten Horizonte hervorbringt! Wir müßten einige unserer Künstler und Dichter hier haben, um unseren entzückten Sinnen so viele Wunder zu deuten ... Was mögen das für Feuer sein, die sich die Höhen hinaufziehen? ... Blickt dort hinten hin!

Machiavelli. Leicht möglich, daß es die zerstreuten Bivouacs der Freischärler sind, die Candalle auseinandergetrieben hat.

Der Herzog. Ihr urteilt recht. Dies armselige Gewürm sucht Löcher, um sich darin zu verbergen und mir zu entschlüpfen.

Machiavelli. Euere Hoheit hat als Wappen einen Drachen, der Schlangen verschlingt.

Der Herzog. Und da sagen sie noch, daß es mir an Offenheit fehle? Ja gewiß, einen Drachen, Herr Niccolo! Ich bin nicht, wie der traurige Herzog von Mailand, eine elende Schlange, die einen Säugling hinunterschluckt! Ich bin die Hydra von Lerna, ein Ungeheuer, wenn man will, aber eines, das die Ungeheuer zerreißt und verschlingt, und ich will auch den letzten der Dreckprinzen, der Condottieri von schlechtem Metalle, die mir den Weg versperren, ausrotten. Aus den Trümmern ihrer Nester will ich mir meinen Horst errichten, und ein Tag wird kommen, wo es vom Fuße der Alpen bis zum Meere Siciliens keine andere Herrschaft geben soll, als die meine.


Ferrara.

Eine Loggia im herzoglichen Palaste.

Donna Lucrezia Borgia sitzt in einem Lehnsessel mit goldenen Fransen und blickt ins Land; neben ihr, an eine der das Dach tragenden Säulen gelehnt, Don Alfonso von Este, ihr Gemahl.

Alfonso. Auf mein Wort, Euer Bruder hat sich gut aus dieser Klemme gezogen. Er hat den gordischen Knoten zuerst mit Vorsicht angefaßt; er hat ihn mit geschickter Hand befühlt, er hat ihn mit Entschlossenheit gepackt, und er hat ihn zerhauen wie Alexander.

Donna Lucrezia. Er ist jetzt viel stärker und sicherer, als er je war. Solche Krisen heben diejenigen, die sie glücklich überstehen. Deshalb scheint mir's nötig, daß Ihr vor dem Valentino auf der Hut seid.

Alfonso. Findet Ihr nicht, Lucrezia, daß er allen Fürsten einen ungemeinen Dienst erwiesen hat? Hinfort wird niemand weiter, als wir, die wir das Scepter führen, auch das Schwert führen.

Donna Lucrezia. Das ist möglich, aber ich beobachte vor Allem den Zuwachs an Ansehen und Gewalt, den der Valentino gewonnen hat. Ich frage mich, was er damit wird anfangen wollen.

Alfonso. Sicherlich wird er sich zuerst in der Romagna befestigen, und er wird für einige Zeit genügend mit den Venetianern und Aragonesen zu schaffen haben. Also wird er uns nötig haben, und ich werde ihm unsere Hilfsleistungen so zumessen, daß ich ihn vorm Fallen bewahre, ohne ihn indessen fest auf die Füße zu stellen.

Donna Lucrezia. Ich glaube, Ihr habt nicht die richtige Vorstellung von Don Cesare. Er ist nicht der Mann, um so an den Trauben des Glücks herumzunaschen. Betrachtet es als gewiß, daß er sich der Romagna auf eine Weise versichern wird, bei der er niemanden schont. Er wird binnen kurzem einen großen Schlag führen, und ich bin überzeugt, daß schon in diesem Augenblicke seine gegenwärtigen Besitzungen ihm am wenigsten Gedanken machen.

Alfonso. Was soll er denn versuchen? So unermüdlich ich ihn mir auch denke, er muß sich doch die Zeit nehmen, sein Gleichgewicht zu befestigen. Übrigens habe ich nichts von ihm zu fürchten, aus dem einfachen Grunde, weil wir alle beide den nämlichen Stützpunkt haben; es ist Frankreich, und gewiß, Ludwig XII. würde mich nicht angreifen lassen.

Donna Lucrezia. Ich sage nicht, daß der Valentino daran denke, Euch anzugreifen, ja ich schmeichle mir sogar keineswegs, zu erraten, woran er denkt. Aber, wenn ich die Dinge im großen überblicke – und ich kenne ihn ja genau! –, so bin ich gewiß, daß er darauf sinnt, das, was er besitzt, zu erhalten, nicht indem er es stützt, sondern indem er es vergrößert. Er wird sich deshalb an irgend einen seiner Nachbarn, ich weiß nicht welchen, halten; diesen Nachbar wird er aber sicherlich zu Boden werfen, und es ist mir klar, daß jede Machtstufe, die er erklimmt, ihn für uns furchtbar macht, weil, sollte das Geschick ihm auch den Erdball in die Hand legen, der Valentino nimmer sagen wird: es ist genug. Was Ludwig XII. angeht, so hat der gewiß gewichtige Gründe, Euch treu zu sein, und Ihr vermögt viel für oder gegen ihn; aber seine grenzenlose Schwäche für seinen Minister d'Amboise und der krankhafte Ehrgeiz, der diesen Günstling zur Tiara hinzieht, die Gewandtheit, mit welcher der Valentino ihm eingeredet hat, daß er allein beim Tode Alexanders VI. über sie verfügen werde, das ist mehr als nötig, um meinen Bruder den Sinn der Franzosen beherrschen zu lassen. Sie würden, werdet Ihr mir sagen, einen schweren Fehler begehen, wenn sie sich dazu hergäben, ihn über die Maßen groß zu machen; aber die Fehler – mich dünkt, die menschlichen Dinge sind nun einmal nicht von anderem Gewebe.

Alfonso. Eure Rede macht mich betroffen. Ich merke in der Tat, daß Don Cesares Größe gefährlich wird. Gleichwohl kann ich mir nicht recht denken, auf welches System von Vorsichtsmaßregeln ich mich verlegen sollte. Mißtrauen zu zeigen ...

Donna Lucrezia. Wäre der schlimmste Ausweg, auf den Ihr verfallen könntet. Ganz im Gegenteil, Ihr seid Don Cesares natürlicher Verbündeter, und es ist nicht ratsam, den Anschein zu erwecken, als vergäßet Ihr das.

Alfonso. Ich habe eben einen meiner Offiziere abgesandt, um ihn aus Anlaß des Strafgerichts von Sinigaglia zu beglückwünschen.

Donna Lucrezia. Wie, wenn Ihr auf alle Fälle insgeheim die Venetianer, die Florentiner und selbst die Aragonesen warntet, auf der Hut zu sein, da man ja nicht weiß, auf wen der Valentino sich werfen wird? ... Auf die Weise würdet Ihr unvermerkt die Kraft des Widerstandes erhöhen, und einem Feinde einen guten Dienst erweisen, der Euch später Dank dafür wissen würde.

Alfonso. Ihr urteilt recht, und diesen Weg will ich einschlagen.

Donna Lucrezia. Auf jeden Fall könnt Ihr dabei nicht schlecht fahren. – Daß ich's nicht vergesse, Euch mit dem Briefe hier einen Scherz zu machen.

Alfonso. Vom wem ist er?

Donna Lucrezia. Von Eurer Schwester, der Frau Herzogin von Mantua. Ihr kennt den jungen Florentiner Bildhauer, Michelangelo Buonarroti, von dem man neuerdings so viel redet?

Alfonso. Er macht wundervolle Sachen, und ich habe gute Lust, ihn zu uns hierherzuziehen.

Donna Lucrezia. Nun gut! Dieser Michelangelo hat eine so schöne Statue des Amor ausgeführt, daß Lorenzo der Prächtige ihm geraten hatte, sie für eine Antike auszugeben. Der Kardinal di San Giorgio, der sich wenig auf hübsche Sachen versteht ...

Alfonso. Er ist ein ausgemachter Ignorant und Einfaltspinsel.

Donna Lucrezia. Ihr seid streng; doch er straft Euch bei dieser Gelegenheit nicht Lügen. Er hat die Statue gekauft. Der Zufall belehrt ihn hernach, daß sie modern ist. Ihr könnt Euch sein Malheur vorstellen. Er speit Feuer und Flammen, und in seiner Verachtung für ein Werk, das seines Blickes nun nicht mehr würdig ist, will er es verkaufen. Der Valentino bekommt Wind von der Sache. Ihr wißt, wie fein sein Geschmack ist; er kauft ungesäumt das verachtete Werk und hat es nun soeben Eurer Schwester verehrt; sie erzählt mir die Geschichte und ist außer sich vor Freude darüber.

Alfonso. Ja, gewiß, wir müssen Michelangelo hierherziehen. Er ist jung, er ist ein wackerer Künstler, und er wird einer der Meister Italiens werden!

Donna Lucrezia. Ich denke ganz wie Ihr. Überdies muß unser Hof die andern ausstechen, und jetzt, wo die Franzosen in Mailand häuslich eingerichtet sind, haben alle die Männer von Genie und Kenntnissen, die Ludovico Sforza mit soviel Aufwand versammelt hatte, keine Heimstätte mehr. Möchtet Ihr nicht Antonio Cornazano hier aufnehmen, der mir seine beiden Gedichte über das Leben der allerheiligsten Jungfrau und das unseres Herrn gewidmet hat? Und auch Giorgio Robusto von Alessandria, der mir seine Dichtungen überreicht hat?

Alfonso. Tut mir den Gefallen, sogleich die nötigen Briefe aufsetzen zu lassen, um so viele ausgezeichnete Autoren einzuladen. Diese Schriftstücke sollen in den schmeichelhaftesten Ausdrücken abgefaßt werden; ich will selbst unterzeichnen. Ihr erfreut mich, indem Ihr mir Hoffnung gebt, diese schönen Geister mit denen zu vereinigen, die wir bereits besitzen.

Donna Lucrezia. Ach! wenn wir dem Hofe Eurer Schwester Giovanni Pietro Arrivabene und Spagnuolo entführen könnten!

Alfonso. Gewiß, gewiß, ich wünschte es wie Ihr; aber wir sind nicht so arm an Talenten, daß wir das Recht hätten, uns zu beklagen. Freilich hat uns der Tod den unnachahmlichen, herrlichen Bojardo entrissen; aber es bleiben uns Francesco Cieco, Lelio, die beiden Strozzi und der junge Ludovico Ariosto, von dem man mir Wunder sagt.

Donna Lucrezia. Er verdient das vollkommenste Lob, und das lateinische Hochzeitsgedicht, das er bei unserer Vermählung für uns schrieb, ist eine der hübschesten Sachen dieser Zeit.

Alfonso. Ich zweifle nicht daran, da Ihr mir es sagt. Gewiß, Ihr habt ein besseres Verständnis für Poesie und Litteratur, als ich; was ich weiß und immer wieder sage, ist nur, daß es darauf ankommt, daß in der Achtung für die großen Talente unser Ferrara keiner der Städte Italiens nachstehe, und ich gestehe Euch, ich möchte sogar sagen hören, daß mein Hof sie alle vereinige.

Donna Lucrezia. Das ist ein Ehrgeiz, Euer würdig, fürstliche Gnaden!

Alfonso. Laßt sogleich an Eure drei Gelehrten schreiben; ich will mich mit den neuen Anweisungen beschäftigen, die nach Venedig, Florenz und Neapel zu senden sind; dann will ich die Werkstätten besuchen, wo an meinen Geschützen gearbeitet wird. Wie schade, Lucrezia, daß Ihr Euch auf diese Dinge nicht ebenso gut versteht, wie auf die Poesie! Es würde mir Freude machen, mit Euch darüber zu plaudern. Wißt Ihr, daß nichts in der Welt so interessant ist, wie die Auseinandersetzungen der Mathematiker und der Ingenieure?

Donna Lucrezia (lächelnd). Ich glaube Euch, Don Alfonso, aber es ist nicht nötig, daß ich darin sonderlich bewandert bin. Es gefällt mir, wenn ich sagen höre, daß Ihr mehr davon wißt als alle anderen Heerführer dieser Zeit. Das genügt für meinen Ruhm, und während Ihr irgend eine Feldschlange gießen seht, werde ich mit Eurer gütigen Erlaubnis mit meinen Frauen in den Gärten lustwandeln, die wir angepflanzt haben.

Alfonso. Geht, Lucrezia; ich küsse Euch die Hand.


Ein Dorf der Romagna.

Versammlung einer der Pacifici genannten geheimen Gesellschaften. – Bewaffnete Bauern; zwei Bravi.

Erster Bravo (grüßend). Beati pacifici!

Der Anführer der Bauern. Ihr seid rechte Ehrenmänner; wir danken euch, daß ihr alle beide gekommen seid.

Erster Bravo. Wir dachten gar nicht daran, auszubleiben. Habt doch eine bessere Meinung, verehrteste Herren, von unserem Eifer, so achtbaren Herrschaften, wie euch, unsere Dienste anzubieten.

Der Anführer. Dank für Eure gütigen Worte. So seid ihr uns von Seiner Hoheit gesandt?

Erster Bravo. In der Tat, Don Cesare Borgia, Herzog von Romagna, und kein anderer, weist uns an euch. Hier ist ein Ring, den er uns als Erkennungszeichen eingehändigt hat.

Der Anführer. Das hatten wir ja wohl mit verabredet. Nehmt Platz, ihr Herren, ihr müßt müde sein.

Erster Bravo. Sich setzen ist ein gut Ding. Dieser Reitersmann und ich haben eben eine Strecke Wegs von zwanzig Meilen ohne Unterbrechung zurückgelegt, und so sehr man auch an die Strapazen des Kriegs gewöhnt sein mag, in solchem Falle darf man wohl ein wenig steife Beine haben.

Der Anführer. Ihr wißt vielleicht, aus welchem Grunde ihr hierher bestellt seid?

Erster Bravo. Der Herzog hat einige Worte darüber gegen uns fallen lassen.

Der Anführer. Ohne Euch zu nahe zu treten, seid Ihr Eures Kameraden ebenso sicher, wie Eurer selbst? Es handelt sich um eine heikle Angelegenheit, und da ist man froh, wenn man weiß, mit wem man zu tun hat.

Erster Bravo. Ich lobe Eure Vorsicht. Wißt, daß mein Freund einer der Helden dieses Jahrhunderts ist. Man könnte fast das berühmte Wort Plutarchs aus seiner wundervollen römischen Geschichte auf ihn anwenden, wo er, von einem ausgezeichneten Heerführer sprechend, sagt: er würde nicht wagen, in einem Zimmer mit einem Spiegel allein zu bleiben, aus Furcht, sein Antlitz zu erblicken. In der Tat, wenn dieser Reisige sein Kriegsgesicht aufsetzt, verbreitet er Schrecken! Wenn er wenig spricht, so ist's, weil er ganz Tätigkeit ist.

Der Anführer. Kommen wir nunmehr zu unserer Sache. Es handelte sich also darum, mit dem Malatesta ein Ende zu machen.

Der Bravo. Nichts leichter.

Der Anführer. Aber wißt Ihr, daß er niemals auszieht, ohne daß er einen langen Trupp hinter sich her schleppt?

Der Bravo. Das verschlägt mir wenig! Mein Genoß und ich sind gewohnt, mit den verworrensten Schwierigkeiten fertig zu werden. Sagt nur, welche Art von Lösung Ihr wünscht.

Der Anführer. Ich verstehe Euch nicht.

Der Bravo. Genügt's Euch, wenn der Herr Malatesta bekäme, was wir Leute von der Klinge eine erste Verwarnung nennen, die ihn ... sagen wir einmal ein oder zwei Monate im Bette hielte? Wenn Ihr nicht mehr braucht, um zufriedengestellt zu sein, so sagt's.

Der Anführer. Wir würden lieber ein Ende mit ihm machen.

Erster Bravo. Famos! Die Sache gründlich zu Ende führen, he? ... Ganz vortrefflich! Der Punkt wäre abgemacht. Gut! Nun kommen wir zu den Mitteln. Habt Ihr eine besondere Vorliebe? Wie wünscht Ihr, daß Euer Mann in die andere Welt spediert werde?

Der Anführer. So bald wie möglich und so sicher wie möglich.

Erster Bravo. Das will ich meinen; mein Freund und ich lassen nie eine Arbeit halb getan. Da es sich um einen Mann handelt, der gewarnt und auf seiner Hut ist, so will ich Euch hier zunächst dies vorschlagen.

Der Anführer. Was ist das für ein Gerät?

(Die Anwesenden drängen sich um zu sehen.)

Der Bravo. Herrgott, ja! ein kleines Meisterwerk! Und doch, anscheinend eine Tischgabel, nichts weiter! Seht, wie hübsch sie ist, meine Gabel, ganz von blankem, ciseliertem Silber! Bewundert ihr nicht diese kleine Figur, die über dem Dreizack angebracht ist? Seht, seht! Ich drücke so auf den Kopf ... Die Füße heben sich unmerklich ... Blickt her!... Da ist eine Öffnung. Seht ihr die Öffnung?

Die Bauern. Wahrhaftig, ja! Wahrhaftig, ja!

Der Bravo. Nun gut! wenn ich in die Öffnung ein Präparat, ein wenig Pulver, einige Tropfen Flüssigkeit tue, und der Truchseß im Augenblick, wo er die Portion für den Gast, den ich auf dem Korne habe, zuschneidet, seine Gabel geschickt handhabt ... Ihr versteht? Das Pulver oder die Tropfen fallen auf das Stück herab, das der Hungrige alsbald zum Munde führt. Auch das hat keine Schwierigkeit, und für ein' fünfzig Dukaten verschaffe ich mir die Freundschaft jedes beliebigen Dieners im Hause Malatesta.

Der Anführer. Ganz wohl; aber wenn dieser Diener, seine Gabel in der Hand und seine Dukaten in der Tasche, alles seinem Herrn erzählen ginge, in der Hoffnung, ein zweites Trinkgeld davonzutragen, ohne irgend etwas zu riskieren, so wären wir um unser Geld. Nein! wir wollen lieber nur mit euch zu tun haben.

Der Bravo. Ich schlug Euch mein Verfahren nur vor, weil es ganz nett, und das Instrument noch unbekannt ist! Einer meiner besten Freunde ist sein Erfinder. Ihr wollt nichts davon wissen? Auch gut! Ich werde es bei irgend einer andern Veranstaltung anbringen, und was das Auffinden eines Mittels anbelangt, so laßt das meine Sorge sein! Laßt mal sehen! ... Das gläserne Stilett, das in der Wunde zerbräche, würde wohl so ziemlich passen ... Übrigens, werde ja sehen! ... Liegt Euch daran, daß binnen eines bestimmten Zeitabschnittes alles vorbei sei?

Der Anführer. Je bälder je besser.

Erster Bravo. Ich verstehe! ... Wir haben heute den 5. Mai. Mein Waffengenoß und ich müssen uns den 20. Juni in Vicenza einfinden, wo uns die durchlauchtigste Signoria von Venedig mit einem Auftrage beehrt hat. Bis dahin soll Euer Streit mit dem Herrn Malatesta beendigt sein; Ihr könnt auf mein Wort zählen.

Der Anführer. Vielen Dank! hier habt Ihr hundert Dukaten zum voraus!

Der Bravo. Laßt doch! ... laßt doch! ... Bagatelle! ... Alles für das Vergnügen, Euch zu Diensten zu sein. Danke immerhin. Wir küssen Ew. Gnaden die Hand.

(Die Bravi ziehen sich zurück. Edelleute aus der Romagna treten auf.)

Erster Edelmann. Guten Abend, Gevattern! Schon versammelt, und einig?

Der Anführer. Wir warteten nur noch auf euch.

Der Edelmann. Wohlan denn! wir sind hier, lauter Landleute, lauter gute Freunde, gute Nachbarn, lauter Pacifici, verbündet, um gegen die Parteien und die Tyrannen gute Ordnung einzuführen und aufrecht zu erhalten, weder Guelfen, noch Ghibellinen, weder Freunde der Malatesta, noch Helfershelfer der Baglioni, sondern unsere eigenen Freunde, die unserer Familien und der öffentlichen Ruhe! Wohlan denn! verehrteste Herren, laßt uns unsere Pläne in Ordnung bringen und zusehen, wie wir vorzugehen haben.

Ein Bauer. So lange es Städte in der Welt giebt, wird es Bürger geben, und mit Bürgern ist keine Ruhe möglich. Ich habe einen Vetter, der Wächter an einem der Stadttore zu Rimini ist. Im Notfalle würde sich der nicht weigern, uns durchzulassen. Wie, wenn wir in den Häusern dieser gottlosen Stadt ein wenig fouragieren gingen?

Ein Edelmann. Ein guter Einfall!

(Allgemeines Beifallsgemurmel.)

Der Anführer der Bauern. Verehrteste Herrschaften, verstehen wir uns! Mit wem sind wir verbündet? Mit den Condottieri?

Die ganze Versammlung. Gott bewahre uns davor!

Der Anführer. Dann seid ihr's mit den Guelfen, da wo der Herr Ghibelline ist? Mit den Ghibellinen, da wo der Fürst Guelfe ist? Ist es so? (Heftiges Gemurmel,) Ebensowenig? So reicht ihr denn, echte, ehrbare, brave Pacifici, die Hand Don Cesare Borgia?

Mehrere Stimmen. Gewiß!

Der Anführer. Dann rührt nicht an Rimini! Der Herzog wünscht nicht, daß man da Ordnung stifte, wo er sie aufrecht hält, hören wir lieber, was er uns sagen läßt. Er beabsichtigt jetzt in Toscana das auszuführen, was er soeben in den Städten der Romagna vollbracht hat: die Tyranneien aller Sorten zerstören, die Großen demütigen, die Kleinen erhöhen. Sind wir dabei?

Die Versammlung. Ja! ja! Hoch lebe der Valentino!

Der Anführer. Sollen wir dem Herzog schreiben, daß er auf uns zählen kann?

Die Versammlung. Schreiben wir! Hoch lebe der Valentino! Beati pacifici! Feuer nach Florenz hinein!


Mailand.

Das Innere des Domes.

Hochamt; zahlreiche Geistlichkeit im Chore; eine große Menge im Schiff und den Seitenschiffen.

Im Chore.

Ein Domherr (auf den Knieen). Wie schwach mein Herz ist! wie kalt mein Inneres! Ach! es gelingt mir nicht, mich, wie ich sollte, mit meines Gottes unaussprechlicher Güte zu durchdringen! So tief ist mein Sehnen, mich bis zum Throne der Allmacht zu erheben! .... So tief mein Sehnen, mich in diesen Strahlen zu verlieren! .... Mein Gott! hilf mir! Mein Gott, stärke mich! (Er wirft sich nieder.)

Zweiter Domherr. Speist Ihr mit uns beim Erzbischof?

Dritter Domherr. Jawohl! Es wird eine ganz herrliche Forelle geben.

Zweiter Domherr. Sie wird nicht zu essen sein, wenn der Schafskopf von Bruder Lorenzo sich nicht eilt, mit seiner Messe fertig zu werden. (Zu einem Chorknaben.) Höre, Kleiner!

Der Chorknabe. Ja, Hochwürden.

Zweiter Domherr. Geh, sag dem Bruder Lorenzo, er solle voranmachen.

Der Chorknabe (Zum Offizianten). Der Pater Dom Paolo bittet Euch, schnell ein Ende zu machen.

Bruder Lorenzo. Was geht ihn das an? Ich esse nicht beim Erzbischof! Achtung, Dummkopf! Dominus vobiscum!

Die Sänger. Et cum spiritu tuo.

(Orgelspiel.)


Im Schiffe.

Ein Bettelmönch. Kauft Ablaß! Ablaß! Zu allen Preisen erhältlich! Christliche Brüder, kauft Ablaß!

Eine sehr geputzte Frau. Mein Gott! welch' eine Hitze! (Sie fächelt sich.)

Zweite Frau. Man hält's nicht mehr aus! Gebt mir Euer Riechfläschchen, Monna Bianca, bitte, ich habe meines vergessen!

Dritte Frau. Mit Vergnügen, hier! Was der Filippo doch für ein falscher Bösewicht ist!

Erste Frau. Meine Liebe, er hat mir lange genug den Hof gemacht, daß ich wissen kann, was man von ihm zu halten hat.

Vierte Frau. Mag sein, aber er sieht gut aus! Da kommt die Wandlung!

(Alle Frauen knieen nieder und schlagen sich an die Brust.)

Ein Mann (zu einer alten bebrillten Dame, die ihr Meßbuch ließt). Gnädige Frau ... Gnädige Frau ... Wollt Ihr Rosenkränze kaufen, die vom heiligen Vater geweiht sind?

Die alte Dame. Laßt mich in Ruhe!

Der Mann. Gnädige Frau ... wollt Ihr eine Reliquie des großen Heiligen Ambrosius kaufen? Einen Knochen vom Ellbogen! ... nicht teuer! ... mit den Beglaubigungsurkunden!

Die alte Dame. Ich sage Euch, Ihr sollt mich in Ruhe lassen!

Der Mann. Wollt Ihr seine Seife oder spanische Handschuhe?

Die alte Dame (außer sich). Wenn Ihr mich nicht in Ruhe laßt, rufe ich die Kirchendiener!

(Der Mann entfernt sich,)


In den Seitenschiffen.

(Zwei Bürger beten in der Nähe einer Kapelle, die Mütze unterm Arm, ihren Rosenkranz ab.)

Erster Bürger. Et benedictus fructus ventris tui! ... Das hindert nicht, daß der Lump auf und davon ist, ohne mir die drei Mittagessen zu bezahlen, die er mir schuldig ist, und meinetwegen soll der Teufel mich holen, wenn er sie mir je bezahlt! ... Jesus! amen! Ave Maria, gratia plena, Dominus ...

Zweiter Bürger. Qui es in coelis, sanctificetur ... Ich hab's Euch hundertmal gesagt! Wie dumm seid Ihr, Studenten Kredit zu geben! He, Herr Guglielmo, hab' ich's Euch gesagt oder hab' ich's Euch nicht gesagt? ... nomen tuum, adveniat regnum ... Was Teufel! Studenten, wenn das zahlte, dann wären's keine Studenten mehr!

Ein Kavalier (zu einer alten Frau). Schnell, liebe Laurenziana, hier ist das Briefchen!

Die alte Frau. Ich wiederhole Euch, daß es sehr schwierig ist! Sie hat mich hart abgewiesen und gedroht, es ihrer Mutter mitzuteilen.

Der Kavalier. Nimm noch diese Zecchine!

Die alte Frau. Ich werde versuchen, sie zu überzeugen ... aber nur wegen meiner großen Liebe für Euch! Wenn ich Euch ein Zeichen gebe, setzt Euch hinter sie; Ihr könnt dann mit ihr sprechen, soviel Ihr wollt.

Der Kavalier. Der Himmel erleuchte dich, oder ich verliere meine Wette.

(Das Sanctus beginnt.)

Zwei Almosensammler (aus vollem Halse rufend). Für den Kreuzzug! Für den Kreuzzug! Gebt für den Kreuzzug! Befreit das heilige Grab! Für den Kreuzzug! Meine Herren und Damen, erbarmt euch der armen Christen, die alle Tage von den grimmen Türken niedergemetzelt werden! Für den Kreuzzug!

(Drei Burschen von unheimlichem Aussehen bei einem Pfeiler.)

Erster Bursche. Es ist der Edelmann dort!

Zweiter Bursche. Der da mit dem schwarzbraunen Gesicht und dem kleinen schwarzen Schnurrbart?

Dritter Bursche. Jawohl ... und dem schwarzen Wams.

Zweiter Bursche. Eine Krause am Hals, die rechte Hand in einem zerrissenen Handschuh ... die andere bloß?

Erster Bursche. Ganz recht.

Zweiter Bursche. Er ist so groß, daß er mich totschlagen könnte, wenn er sich umdreht. Ich werfe das Stilett auf zehn Schritt nach ihm und mache mich fort.

Erster Bursche. Wenn er dich verfolgt, tun wir, als gingen wir schnell vorbei und werfen ihn zu Boden.

Zweiter Bursche. Sicher?

Erster Bursche. Wenn ich dir's sage, Lumpenkerl! ... Vertu' dich nicht! Triff ihn in die Hüfte, der Quere! Es braucht ja nur einen Ritz von fünf Linien. Wir sind vorausbezahlt.

Zweiter Bursche. Warte ein wenig, bis ich San Niccolo eine Kerze angezündet habe.

Erster Bursche. Geh geschwind und komm zurück ... Wir folgen dem losen Vogel in die Gasse hinter der Kirche. Du verbirgst dich in der Mauerecke.

Zweiter Bursche. Hab' keine Angst. Ich bin meines Stiches gewiß. Er soll vierzehn Tage das Bett hüten!

(Orgelspiel. Knall einer Rakete.)

Die Menge. Ach! großer Gott! Alles ist verloren! Die Franzosen morden uns! Heilige Madonna, alles ist verloren!

Stimmen in der Menge. Nein! nein! nein! Fürchtet nichts! Es sind Gassenjungen, die sich ihren Spaß machen! Jesus! Sie haben mir meinen Geldbeutel gestohlen! Wollt ihr wohl meinen Mantel loslassen!

Eine Frau (in einer Ecke knieend). Dank, mein Gott! Dank! Mein guter Bruder! Er wird nicht sterben! Du hast es nicht gewollt! Du giebst ihn mir zurück, ich danke ihn dir! Alle Tage meines Lebens will ich recht sehr zu dir beten! Nie werde ich meine Dankesschuld dir abtragen! Wie ich dich liebe! Wie ich dich erkenne in deiner Güte ohnegleichen! Mein Gott, vergiß mich nimmer! Beschütze meinen guten Bruder, den du mir wiedergegeben hast! (Sie weint.)

Ein Notar (zu seiner Frau). Ist's nun bald genug mit Eurer Andacht? Wenn wir uns nicht gleich hinaus machen, werden wir im Gedränge totgedrückt werden. Vorwärts, daß wir die Tür gewinnen! Eilt Euch!

Die Frau. Ich nehme nur mein Kleid zusammen, daß sie mir's nicht zerknittern.

Der Notar. Hört einmal. Ihr blinzelt jemanden zu, um bemerkt zu werden! Denkt Ihr, Monna Pomponia, daß ich diese Kniffe nicht kännte? Soll ich hintergangen werden?

Die Frau. Wer denkt daran, Euch zu hintergehen? Laßt mich noch ein Ave sagen!

Der Notar. Ihr könnt es im Gehen sagen. Was macht Ihr noch?

Die Frau. Ich will, wenn möglich, Weihwasser nehmen; aber es sind viele Leute drum herum.

Ein Kavalier. Erlaubt Ihr mir, gnädige Frau, Euch welches anzubieten?

Die Frau. Sehr gern, Herr ... (Ganz leise.) Komm um zwei Uhr ... Er ist den ganzen Tag aus. Komm!

Der Kavalier. Wohin?

Die Frau. In den unteren Saal ... Geh, er dreht sich um!

Der Notar. Vorwärts! Werden wir heute fertig oder morgen? Wer ist der Junker, der Euch Weihwasser gegeben hat?

Die Frau. Ich weiß nicht; ich habe ihn mein Lebtag nicht gesehen.

Bewaffnete Diener (die Menge in großer Eile zurücktreibend). Platz! Platz! Platz für die Frau Herzogin!

(Alles verläßt die Kirche; das Orgelspiel dauert fort.)


Rom

Die Villa des Kardinals Corneto

Ein Saal, dessen große, von Reben umrankte Fenster nach den Gärten zu gelegen sind. – Papst Alexander VI.; Don Cesare Borgia.

Der Papst. Es ist wahr! obwohl die Sonne schon gesunken, ist die Hitze noch drückend. Dennoch habe ich niemals mehr Kraft in mir gefühlt. Die Größe deiner Pläne, die Kühnheit deiner Entschlüsse heben meine Willenskraft. Alles läßt sich nach unseren Absichten an. Wir nähern uns einem entscheidenden Augenblicke, nicht nur für dich, Cesare, und für mich, sondern für ganz Italien. Unser Triumph wird der seine sein; denn das ist ein armseliger Staatskünstler, dessen Erfolg nur ihm selbst frommt, und das Gefüge dieser Welt ist nun einmal so beschaffen, daß, wenn der Weise seine Pläne gelingen sieht, die trägen Massen der Kleinen dabei gewinnen. Das eben beweist die Notwendigkeit der Mittel. Wir denken einen kühnen Schlag zu führen. Ich verhehle mir das nicht. Du empfindest es ebensogut wie ich. Morgen beim Erwachen soll Rom die Namen der Kardinäle vernehmen, die diese Nacht erliegen werden. Ich wiederhole es, es ist ein kühner Schlag; aber er ist notwendig. Wir müssen unsere Feinde schrecken und durch eine ausgedehnte Einziehung der Güter, die die abgeschiedenen Kardinäle uns frei lassen, für die dringenden Bedürfnisse deines Unternehmens in Toscana sorgen. Diesen Stützpunkt einmal gewonnen, können wir Frankreichs Hilfe für immer entbehren.

Don Cesare. Wir werden nach niemanden mehr fragen. Das Schiff unserer Hoffnung wird, von eigener Triebkraft belebt, dahinfahren, selbst wenn kein Wind es vorwärts treibt. Was mich anlangt, ich fordere Fortuna heraus, die Kette zu zerbrechen, womit ich ihr den Arm gebunden habe.

Der Papst. Unsere Gäste nahen ... ich höre sie, denke ich ... Was gilt's, Cesare, wer unter ihnen ahnte wohl, daß er diesen Saal nicht lebend verlassen werde? ... Aber ich merke eben, daß ich ... Nein, ich hab's nicht! ... Das ist seltsam! ... Wie habe ich das vergessen können?

Don Cesare. Was habt Ihr vergessen?

Der Papst. Gleichviel. Aber ich darf es nicht länger missen ... Rufe Caraffa!

Don Cesare. Er ist hier im Vorzimmer ... Kommt herein, Caraffa; der heilige Vater will Euch sprechen.

Der Papst. Caraffa, kehre schnell in den Vatikan zurück ... Geh in mein Zimmer ... Suche und bringe mir das kleine goldene Kästchen, in dem ... Du weißt?

Caraffa. Eine geweihte Hostie ist?

Der Papst. Ganz recht. Geh!

Caraffa. Wie? Ihr habt es nicht bei Euch?

Der Papst. Je nun, 's ist 'ne Dummheit; ich habe es vergessen, denke dir!

Caraffa. Wie kann man so des nicht achten, was vor jeder Gefahr schützt?

Der Papst. Du hast wohl recht ... Geh, hole mir mein Kästchen, verliere keine Minute, hörst du? Ich habe keine Ruhe, ohne mein Kästchen in der Tasche.

Caraffa. Ich eile! (Er geht ab.)

Der Papst. Hast du deine Vorsichtsmaßregeln schon getroffen, Cesare, daß wir unser Spiel nicht verlieren können?

Don Cesare. Es sind sechs Flaschen spanischen Weines. Euer Kellermeister Mattia hat das Gift vor meinen Augen hineingetan, und ich habe ihm eingeschärft, diese Mischung nur denen darzureichen, die ich ihm bezeichnen werde. Mattia ist ein zuverlässiger Mann.

Der Papst. Gewiß. Auf jeden Fall aber, ich sage dir's noch einmal, sieh' dich wohl vor.

Don Cesare (lächelnd). Habt nur keine Angst.

Der Papst. Deine Entschlossenheit macht mir Freude ... Aber wie heiß es ist! Heda!

Ein Bedienter. Allerheiligster Vater!

Der Papst. Sage Mattia, daß er uns Wein bringt; ich vergehe vor Durst.

Don Cesare. Ich trinke gern mit, und dann wollen wir unter dem schattigen Laube des Gartens einen Gang machen, bis unsere Gäste kommen.

(Zwei Diener treten ein und bringen auf einem Präsentierteller zwei Trinkschalen und eine Flasche Wein.)

Der Papst. Warum kommt Mattia nicht selbst, wenn ich ihn rufen lasse?

Erster Diener. Allerheiligster Vater, er ist zur Stadt zurück, um Pfirsiche zu holen, an denen es fehlte.

Der Papst. Wo hast du den Wein hergenommen, den du uns da giebst?

Erster Diener. Vom Schenktisch, allerheiligster Vater!

Don Cesare (lachend). Ihr habt doch keine Sorgen?

Der Papst. Nein! Aber Mattia wäre besser hier geblieben. Auf dein Wohl, Cesare!

Don Cesare. Ich danke Euch; ich trinke Euch ein langes, blühendes und glorreiches Leben zu! (Sie trinken.)


Der Vatikan

Das Schlafgemach des Papstes.

Caraffa. Mich bei einer solchen Hitze auf einen solchen Gang zu schicken! ... Nur dieser Alexander ist einer derartigen Nichtswürdigkeit fähig! Seine Hostie! seine Hostie! Seit ihm versichert worden, daß, solange er sie bei sich hätte, ihm kein Unglück zustoßen könne, wird er ganz toll, wenn er sie aus den Augen verliert! ... Wie albern die Menschen sind! Was läuft er für Gefahr? ... Laß doch einmal sehen! ... wo kann das verfluchte Kästchen sein? ... Wahrscheinlich auf dem Tisch neben dem Bette ... Was ist das? Heilige Madonna! ... Ha, was sehe ich? Ein Mann hingestreckt auf dem Lager des heiligen Vaters! ... O! Da ... Da ... Was habe ich nur? Werde ich verrückt? ... Das Haar steht mir zu Berge! ... Mir klappern die Zähne! ... Mein Gott! mein Gott! ... ich komme um! ... Was gäbe ich darum, wenn ich fern wäre! ... Ich werde verrückt! ... Es ist nicht möglich! ... Der Papst selbst! ... Hier! ... O Jesus! o alle Heiligen! ... Was bedeutet das? ... Papst Alexander auf seinem Bette ausgestreckt! ... Und ich habe ihn doch eben erst dort hinten verlassen! ... Er ist fahl! sein Gesicht ist ganz schwarz! ... Er ist tot! tot! tot! Hinweg!

(Er stürzt mit einem Schrei gegen die Tür, öffnet sie mit Mühe und sinkt ohnmächtig im Flure hin, wo die Bedienten ihn aufheben.)


Die Villa des Kardinals Corneto.

Der Speisesaal. Statuen, Gemälde, reiche flandrische Tapeten, große geschnitzte Schenktische, Mosaikfußboden. Eine ungeheuer große Tafel, mit Gold- und Silbergeschirr gedeckt; auf einer großen Schüssel in der Mitte ein gebratener Pfau, mit seinen Federn geschmückt, der Schwanz ausgebreitet; eine Pyramide von Früchten; große Vasen voll Blumen. – Papst Alexander, Don Cesare Borgia; die Kardinäle Castelar, Romolino, Francesco Soderini, Copis, Niccolo de'Fieschi, Sprata, Corneto, Iloris, Casanova, Valentini; Kämmerer, Schaffner, Diener, päpstliche Leibwächter auf Posten an den Türen.

Der Papst (sich zu Tische setzend). Das ist ein schöner Abend! Seien wir munter, und dabei nach Möglichkeit geistreich. Ich kenne nichts, das einem Abendessen in guter, glänzender Gesellschaft gleichkäme.

Kardinal Corneto. Welch ein Glück, welche Glückseligkeit, so mit Euerer Heiligkeit die auserlesene Gunst zu feiern, die Sie uns allen durch Erhebung zur Kardinalswürde gnädigst gewährt hat!

Der Papst. Es ist eine gar große Freude, seinen Freunden und der Gerechtigkeit zugleich zu Gefallen zu sein!

Kardinal Copis (leise zu seinem Tischnachbar, dem Kardinal Fieschi). Findet Ihr den heiligen Vater nicht ungewöhnlich blaß?

Kardinal Fieschi (ebenso). Ich wollte Euch eben auf die abgematteten Züge des Valentino aufmerksam machen.

Kardinal Romolino (leise zum Kardinal Valentini). Wenn ich mich hätte entschuldigen können, wäre ich nicht gekommen. Ich traue dieser Art Festen nicht!

Der Papst. Kardinal Romolino, seit dem Handel mit dem Ketzer Savonarola habt Ihr nie aufgehört, uns Zeichen Eurer außerordentlichen Freundschaft zu geben. Ihr seht, daß ich das wohl bemerkt habe.

Kardinal Romolino. Allerheiligster Vater, meine Ergebenheit gegen Eure Person kennt keine Grenzen, jetzt und immerdar!

Kardinal Soderini (leise zum Kardinal Castelar). Der Papst ist wahrhaft bleifarben heut Abend. Was mag er uns bereiten? Ich wollte, ich wäre nicht hier.

Kardinal Castelar. Ich ebenso. Man erstickt in diesem Saale.

Don Cesare Borgia. Ich bin unwohl ... Ich weiß nicht, was ich habe ... Ich muß hinaus ... Ich kämpfe vergebens ... Mir schwindelt ... Was habt Ihr, allerheiligster Vater?

Der Papst. Ich weiß nicht ... Ich glaube, daß ... Ach, wie ich leide! (Er sinkt zu Boden. Die Gäste erheben sich voller Schrecken, Don Cesare Borgia will einige Schritte tun, er taumelt auf den Fußboden. Tumult im Saale. Zum ersten Schaffner, der ihn aufhebt.) Höre ... höre ... Entfernt euch alle! Wo habt Ihr den Wein hergenommen, den Ihr mir eben gereicht habt?

Der Schaffner. Es war eine der Flaschen, die Seine Hoheit der Herzog hingestellt hatte.

Der Papst. Dann sind wir ... mein Sohn und ich ... verloren! (Er wird ohnmächtig.)

Don Michele (ungestüm eintretend). Es heißt, Seine Hoheit befinde sich unwohl? (Er geht zum Herzog.) Sprecht zu mir, gnädiger Herr!

Der Herzog. Komm näher mit deinem Ohre ... (Don Michele kniet neben ihm nieder.) Ich bin vergiftet ... Der Papst auch ... Laß uns in den Vatikan tragen ... Alle meine Truppen auf die Beine .... Bemächtige dich der Engelsburg! ... Rette den Schatz! Wenn man uns angreift, verteidige dich wie ein Tiger! verteidige mich! (Er verliert das Bewußtsein.)

Kardinal Corneto. Hochwürdigste Herren, der heilige Vater ist sehr krank. Wir müssen an die Kirche denken ... an die öffentliche Ruhe! ... Ich kehre nach Rom zurück!

Alle Kardinäle. Trennen wir uns nicht! Wir gehen mit Euch! zu Euch! Wir wollen beschließen, was zu tun ist!

(Alle entfernen sich.)

Don Michele (zu den Dienern und Soldaten). Nehmt die ersten besten Sänften! Schnell! in den Vatikan! ... Den ersten, der muckst, schlage ich auf der Stelle tot!


Die Piazza del Popolo.

Großes Volksgedränge, Bürger, Frauen, Kinder, Schiffer, Lastträger, Landstreicher – Geschrei, Tumult. An den Straßenecken werden Barrikaden errichtet.

Die Menge. Er ist tot! Der Teufel soll seine Seele holen! Dem Alexander seine Seele! Die Hölle hat Angst vor ihm! Das Ungeheuer! Er wollte alle Kardinäle vergiften! Er hat sich selbst vergiftet! Er hat seinen Sohn nicht vergessen! Das ist recht! – Sind sie tot? Sie sind tot! Nein! Doch! Heut Nacht werden sie beerdigt! Der Valentino ist nicht tot! Doch, sage ich euch! Wir wollen sie ausgraben! In die Tiber! in die Tiber! In die Tiber mit ihren Gerippen! Keine geweihte Erde für den Antichrist!

Ein neuer Trupp (herbeieilend). Zu den Waffen! Die Leute der Borgia schlagen die Häuser ein! Auf die Barrikaden! Verteidigen wir uns!

(Trompeten, Trommeln, Büchsenschüsse.)

Ein Mann (voll Erbitterung). Die Orsini plündern die Freunde der Borgia aus! Sie haben eine Menge von ihnen hingewürgt.

Die Menge. Bravo! Drauf los gebrannt, geraubt, gemetzelt! (Dröhnen der Geschütze.) Was ist das?

Rufe am andern Ende des Platzes. Die Engelsburg feuert auf die Orsini! Zu den Waffen! Gegen die Borgia und die Barone! Die Spanier und die Colonna wollen herein und alles verheeren.

Eine Stimme. Da sind die Franzosen! Sie geben kein Quartier!

Die Menge. Auf die Barrikaden! Verteidigen wir uns! Ins Wasser mit dem Papst!

(Eine Kompagnie von den Truppen der Borgia wirft sich auf das Volk.)

Die Menge. Rettet euch! Rette sich, wer kann!

(Salven auf beiden Seiten, Tote, Verwundete, das Volk flüchtet, formiert sich in den Straßen neu und giebt wieder Feuer; Handgemenge. Andauerndes Dröhnen der Geschütze.)


Ein Palast der Orsini.

Fabio Orsini, der Graf von Petigliano, Bartolommeo Alviano, andere Orsini, alle bewaffnet.

Fabio. Michele hat unser Haus auf Monte Giordano angezündet.

Petigliano. Achtet's nicht, Brüder und Vettern! Sein Meister soll alles auf einmal bezahlen! Zweihundert Kürassiere, tausend Armbrustschützen und Pikeniere sind unsere Kräfte. Handeln wir ohne Aufschub. Prospero Colonna ist mit aragonesischen Truppen eingedrungen. Zwar will er den Valentino niederschmettern; aber wenn er einmal im Zuge ist, wird er uns ebenfalls angreifen, daran zweifelt nicht. Wir haben gegen uns die Borgia, die Colonna, die Kardinäle, das Volk, die Spanier ... Gewinnen wir unseren Feinden einen Vorsprung ab!

Alviano. Der Valentino bietet uns an, uns unsere festen Plätze zurückzugeben, wenn wir ihm auf einige Tage Quartier geben. Ich möchte annehmen, trotz der Einäscherung unseres Hauses, die wir später rächen werden.

Ein Orsini. Nein! Zertreten wir den Borgia, und verständigen uns mit den andern!

Fabio. Mit den Colonna ist das unmöglich, und mit dem Volke, nimmermehr! Kein Bündnis mit dem Pack!

Petigliano. Verhandeln wir mit dem Borgia! Er ist verloren! Einige Tage Aufschub werden ihn nicht retten! Die ganze Romagna ist zur Stunde bereits im Aufruhr! Mit ihm einig, machen wir die Kardinäle zittern; das ist für den Augenblick die Hauptsache. Soll's ein Wort sein?

Die Orsini. Es soll ein Wort sein.

Petigliano. Zu den Waffen denn! Kommt auf die Straße hinab! (Er befestigt sich den Helm; alle ab, unter Geklirr ihrer Rüstungen und Sporen.)


Das Haus des Kardinals Corneto.

Ein großer bemalter Saal. – Versammlung der Kardinäle; Offiziere aller Gattungen, Geheimschreiber, Mönche.

Kardinal Copis. Ich bin noch nicht wieder zu mir selbst gekommen! Diese Ungeheuer wollten uns vergiften und haben sich selbst vernichtet!

Kardinal Fieschi. Es wird versichert, daß Cesare nicht tot ist. Er hat sich eine Stunde in eiskaltes Wasser halten lassen, wo seine heftigen Schmerzen ihm entsetzliche Zuckungen verursachten. Man sagt sogar, daß die Ärzte zwei lebendigen Maultieren die Eingeweide geöffnet und ihn mit Haut und Haar in dies fürchterliche Grab versenkt hätten, in der Hoffnung, daß er dort wieder zu Kräften kommen würde.

Kardinal Castelar. Ich glaube, daß Michele nicht so viele Gewalttätigkeiten zu begehen wagen würde, wenn er nicht auf die Genesung seines Meisters zählte.

Kardinal Corneto. Doch Alexander, der ist tot, gründlich tot! Es ist fürchterlich! Lastträger haben ihn in seinen Sarg getan! Mit Fußtritten haben sie seinen Leichnam, den das Gift aufgetrieben, und der in Fetzen fiel, hineingestoßen! Die Soldaten haben die Priester beschimpft, die beten wollten. Es ist gräßlich!

Kardinal Soderini. Hochwürdigste Herren, hochwürdigste Herren, wir sind hier nicht versammelt, um Reden zu halten, wohl aber, um diese unglückliche Stadt zu retten. Alle Dämonen, die Alexander beherrschten, scheinen seinem Leichnam nur entronnen zu sein, um desto ungebundener gegen uns loszubrechen! Mord, Raub, Brand, Verbrechen, Schändlichkeiten, an nichts fehlt es! Und wir, die wir in diesem Augenblicke die einzige gesetzmäßige Gewalt vertreten, wollen wir nichts beschließen? Wollen wir die Zeit mit Plaudern, mit Zittern, mit Weinen hinbringen? Genug! was befehlt ihr? Ich beschwöre euch, schärft euren Geist, stählt euer Herz! Laßt einen mannhaften Entschluß, wie eine Minerva in Waffen, eurem Haupte entspringen! Gebt uns eine Ägis, um Stadt und Welt zu schirmen!

Kardinal Valentini. Wir müssen ungesäumt Truppen ausheben und sie den Parteien entgegenstellen.

Kardinal Casanova. Ich stimme dieser Meinung bei, und wenn das heilige Kollegium mich damit beauftragen will, so mache ich mich anheischig, einen schnellen Erfolg zu erwirken. Mehrere der in Rom anwesenden Heerführer werden meine Vorschläge annehmen.

Alle. Wohl gesprochen! So handelt!

Kardinal Casanova. Ich eile, mich meines Auftrages zu entledigen. Zählt auf meinen Eifer! (Ab mit seinem Gefolge.)

Kardinal Romolino. Entbieten wir sogleich die Gesandten vor uns. Sonst werden sich die Colonna mit Spanien und die Orsini mit Frankreich verständigen, die Venetianer in der Romagna Böses anzetteln und die Florentiner uns unentwirrbare Schwierigkeiten beim Pöbel bereiten. Wenn wir auf der Stelle die christlichen Fürsten mahnen, unsere Gewalt, die einzige rechtmäßige – denn wir sind das zukünftige Konklave – zu unterstützen, so versetzen wir sie in die Unmöglichkeit, zu schaden. Übrigens wird der Kaiser für uns sein.

(Allgemeine Beistimmung.)

Kardinal Valentini. In der Eile habe ich, die Meinung unseres ehrwürdigen Bruders voraussehend, die Gesandten einladen lassen, sich hierher zu begeben. Ich erfahre eben, daß sie eurer Befehle harren.

Alle. Laßt sie herein! laßt sie herein! (Die Gesandten Frankreichs, Spaniens, des Reichs, Venedigs, Florenzens, Mailands und der Schweizerbünde treten ein. – Großer Tumult unter den Fenstern. – Andauerndes Büchsenfeuer. Man hört Geschützdonner vom Vatikan und der Engelsburg her.)

Kardinal Corneto. Ihr Herren Gesandten, seid willkommen! Die Kirche Christi bedarf ihrer Kinder! Wir rufen euch, um den Schutz in Anspruch zu nehmen, den die christlichen Fürsten ihrer heiligen Mutter schulden. Die Umstände drängen. Was erwidert ihr uns?

Der Gesandte Frankreichs. Hochwürdigste Herren Kardinäle, vor allem zwingt mich meine Pflicht, gegen eine Beleidigung feierlich Verwahrung einzulegen.

Die Kardinäle. Eine Beleidigung? Von unserer Seite?

Der Gesandte Spaniens. Ich werde die Wahrheit zu Ehren bringen.

Der Gesandte Frankreichs. Stünde ich hier als Privatmann, so sollten Euer Gnaden sich nicht zweimal eines solchen Ausdrucks bedienen. Aber die Ehre meines Herrn geht vor der meinen. Hört, was geschehen ist; ich mag meine Entrüstung darüber nicht verhehlen.

Kardinal Corneto. Herr Gesandter, die Stadt brennt, der Aufruhr ist da; wäre es nicht möglich, Eure Klagen auf einen schicklicheren Augenblick zu verschieben?

Der Gesandte Frankreichs. Wenn man mich nicht hört, entferne ich mich. Ich bin vor dem Herrn Gesandten Spaniens an der Pforte dieses Palastes angelangt. Seine Edelleute haben sich auf die meinigen gestürzt, und während man die Schwerter zog, hat mich der Herr Gesandte überholt und ist zuerst eingetreten. Das ist der Tatbestand! Wie! meine hochwürdigsten Herren, ist es das Recht eines Fürsten von Aragon, vor dem allerchristlichsten Könige den Vorrang zu behaupten? Wenn es gilt, euch zu nahen, darf da der Kirche ältester Sohn hinter den andern her gehen? Ich verlange augenblicklich eine glänzende Genugtuung! (Die Kardinäle Giuliani della Rovere und Piccolomini treten auf.)

Der Gesandte des Kaisers. Es ist zum mindesten sonderbar, daß in meiner Gegenwart andere Kronen auf den Vorrang Ansprüche erheben.

Der Gesandte Frankreichs (leidenschaftlich auffahrend). Wie meint Ihr das, Herr?

Der Gesandte Spaniens (die Hand an das Schwert legend). Ich habe nur eine Weise zu reden und eine Weise zu antworten.

Kardinal della Rovere. Also das ist's, ihr Herren, was ihr dem heiligen Kollegium zu sagen habt? Im Augenblicke, wo die heilige Stadt die Beute der Aufrührer wird; während ihr von hier aus den Donner der Geschütze, das Gewehrfeuer, die Gotteslästerungen vernehmt und durch diese Fenster, ja durch diese Fenster das Aufleuchten der Feuersbrunst unserem empörten Blicke sich darbietet, da kramt ihr, anstatt uns zu Hilfe zu kommen, den armseligen Wettstreit eurer Eitelkeiten vor uns aus? Bei Jesu, meines Heilandes, Wunden und Tod, Ihr treibt Euren Spott mit uns, Herr Gesandter von Frankreich!

Der Gesandte Frankreichs. Herr Giuliano della Rovere, ich verstatte Euch diese Sprache nicht, und kein Rothut lebt, der einen Unverschämten vor mir bergen könnte!

Kardinal della Rovere (gerade auf ihn zugehend). Lest diesen Brief, lest diesen Befehl, und beugt das Haupt! Beugt es, Herr, tiefer, ganz tief! und gehorchet! Unser ehrwürdiger Bruder, der Herr Kardinal d'Amboise, des Königs verehrter Minister und Euer Gebieter, schreibt Euch dies! Ihr erkennt ja wohl Unterschrift und Siegel? Nun! so lest doch! Er befiehlt Euch, unverzüglich die französischen Truppen dem Konklave zur Verfügung zu stellen, und das Konklave befiehlt Euch, sie aus der Stadt abziehen zu lassen!

Der Gesandte Frankreichs. Herr Kardinal, es bleibt darum doch wahr, daß ...

Kardinal della Rovere (leise ihm ins Ohr). Ihr sollt eine vollständige Genugtuung haben, wenn der Augenblick günstiger ist.

Der Gesandte Frankreichs. Alle Schwierigkeit ist gehoben. Unsere französischen Kompagnien werden die Stadt verlassen ... da Ihr es wünscht. Ich möchte indessen noch bemerken, daß der Herzog von Valentinois sich anbietet, Eure Gewalt zu schützen.

Mehrere Kardinale. So ist er nicht tot?

Kardinal Piccolomini. Er ist sehr krank; aber alles deutet darauf hin, daß er seinen Körper in der Gewalt hat, wie er von je über fremden Willen Gewalt gehabt hat. Ich bin nicht der Meinung, daß man seine Vorschläge annehmen sollte.

Kardinal Copis. Seid auf der Hut! er hat sich mit den Orsini versöhnt. Man sollte diese mächtigen Leute, die uns beizustehen verlangen, nicht als Feinde behandeln.

Der Gesandte Frankreichs. Ich möchte raten, sich mit dem Valentino nicht zu überwerfen. Er hat viel Geist; er hält die stärksten Stellungen besetzt; sein Geschütz ist zahlreich, und seine Kassen strotzen von Geld.

Der Gesandte Spaniens. Wenn man sich mit dem Valentino verträgt, so verlange ich im Namen des katholischen Königs, daß man gleichermaßen unseren Truppen und unseren Verbündeten, unter andern Don Prospero Colonna und allen seines Hauses, Zutritt gewähre.

Der Gesandte Frankreichs. Dann heißt das, der Anarchie Zutritt gewähren!

Der Gesandte Spaniens. Sie scheint mir durch Euch noch besser vertreten, als durch uns!

Kardinal della Rovere. Höret hiermit die Entscheidung des heiligen Kollegiums. Das Konklave wird sich so schnell als möglich versammeln, um den erledigten Stuhl wieder zu besetzen. Nie war die heilsame Gegenwart eines höchsten Priesters mehr zu wünschen, als in dieser furchtbaren Krisis, wo Seelen und Leiber gleichermaßen in Gefahr sind! Es ziemt sich nicht, daß eine so ehrwürdige Versammlung unter dem Lärm der Waffen abgehalten werde. Nein, ihr Herren, nein! das geht nicht an, das wird nicht sein! Franzosen, Aragonesen, Colonna, Orsini, alles was das Schwert in der Hand hat, zieht ab; der Valentino zieht ab, wie die andern! Es bleiben hier nur päpstliche Truppen!

Der Gesandte Frankreichs. Herr Kardinal, es kommt mir schwer an, zu glauben, daß der König, mein Herr, derartige Maßregeln billigen sollte.

Kardinal della Rovere. Mein Herz ist noch ganz erhoben von den edelmütigen Gesinnungen, die unser ehrwürdiger Bruder d'Amboise mir ausgedrückt hat. – Kardinal della Rovere, hat dieser wahrhaft große Mann zu mir gesagt, ich würde mich schämen, als Fürst der römischen Kirche den leisesten Anschein zu erwecken, als wolle ich dem Konklave Gewalt antun; das Konklave muß frei sein in seiner Wahl! Das Heer des allerchristlichsten Königs wird sich aus den Mauern Roms entfernen! – Das sind die eigenen Worte dieses herrlichen Geistes! Ihr solltet ihm Dank wissen, hochwürdigste Herren, ja, Dank für soviel Hochherzigkeit, und ich zweifle nicht, daß der heilige Geist euch eingeben wird, was ihr tun müßt, um solchen Tugenden zu lohnen!

(Die Gesandten von Venedig und Florenz blicken sich sehr erstaunt an.)

Die Kardinäle. Wahrhaftig! wahrhaftig! es ist ein schöner Zug!

Kardinal Casanova (leise zum Kardinal Romolino). Was doch der Giuliano da für einen wahren Teufelsstreich gemacht hat! Da wären wir den französischen Papst glücklich los!

Kardinal Romolino (ebenso). Ich fürchtete ihm nicht entgehen zu können! Denkt Ihr für Giuliano zu stimmen?

Kardinal Casanova. Nimmermehr! Er ist zu schlau und zu schroff. Was uns not tut, ist eine unbedeutende Persönlichkeit.

Kardinal Romolino. Was dächtet Ihr vom alten Piccolomini?

Kardinal Casanova. Nicht übel. Wir wollen darauf zurückkommen. Hören wir, was sie sagen.

Kardinal della Rovere. Ein päpstlicher Geheimschreiber wird sich zum Herzoge von Valentinois begeben, um ihn aufzufordern, sich zurückzuziehen; und Ihr, Herr Gesandter von Spanien, was beschließt Ihr?

Der Gesandte Spaniens. Mit dem Augenblicke, wo die Franzosen die Stadt verlassen, werden unsere Kriegsleute und Verbündeten sich ebenfalls entfernen, da der König, mein Herr, hinter niemanden an Ehrerbietung für das Konklave zurückstehen will.

Kardinal della Rovere. Ihr mögt dem Könige für uns danken. (Leise zum Gesandten Frankreichs.) Schreibt auf der Stelle an Seine Heiligkeit ... Verzeihung! ich irre mich! ich wollte sagen, an den ehrwürdigsten Kardinal d'Amboise, daß, Dank seiner klugen Mäßigung, seine Wahl für den päpstlichen Stuhl beschlossene Sache ist!

Der Gesandte Frankreichs. Das alles macht mich ganz verwirrt!


Der Vatikan.

Ein Zimmer, dessen Vorhänge geschlossen sind. – Don Cesare Borgia zu Bett, mager, abgezehrt; Don Michele.

Don Cesare Borgia. Komm näher ... Ich kann nicht laut sprechen ... Was hast du ausgerichtet?

Don Michele. Wir sind Herr, vollkommen Herr des Stadtviertels geblieben. Eure Leute sind fest und treu. Ich habe sie durch die Plünderung einiger Häuser in unser Spiel gezogen. Sie wissen, daß, wenn sie sich zerstreuen, es ihr Untergang sein wird.

Don Cesare. Hölle! Was ich leide!

Don Michele. Die Kardinäle lassen Euch sagen, Ihr sollet die Stadt binnen drei Tagen verlassen. Die Franzosen sind abgezogen.

Don Cesare. So verzichtet der Kardinal d'Amboise darauf, Papst zu werden?

Don Michele. Giuliano della Rovere hat ihm eingeredet, daß er's noch glorreicher werden würde, wenn er dem Konklave seine volle Freiheit ließe.

Don Cesare. Ich hatte vergessen, daß bei den Franzosen die Ruhmsucht den Ruhm erstickt.

Don Michele. Ihr werdet sehen, daß Giuliano sich wählen lassen wird.

Don Cesare. Ich zweifle daran. Man hat zu sehr Furcht vor seinen Gaben und seinen Gewaltstreichen. Ich habe keine Mittel, mich hier zu behaupten. Weichen wir gutwillig, solange wir noch verhandeln können. Verlange von den Kardinälen, daß sie mich abziehen lassen mit meinen Geschützen, meinen Truppen, meinen Kassen, und unter der Gewähr, daß ich nicht angegriffen werde.

Don Michele. Schlimme Geschichte!

Don Cesare Borgia. Wäre ich aufrecht, würde ich anders handeln. In diesem Augenblick habe ich keine andere Sorge, als: Zeit zu gewinnen.

Don Michele. So verliert Ihr den Mut nicht!

Don Cesare Borgia. Solange ich lebe, gehört die Welt mir! Ich habe den Fuß darauf!


Florenz.

Das Kloster und Hospital de' Tintori, zu Sant' Onofrio.

Eine große Werkstatt; Marmorarbeiten, die einen in Vorbereitung, andere vollendet, wieder andere noch unbehauen; Bänke, Schemel. – Michelangelo Buonarroti, sehr fleißig an der Arbeit an einem mächtigen Karton. – Es wird an die Türe geklopft. – Michelangelo geht und schaut durch ein Guckfenster, dreht den Schlüssel im Schlosse um und öffnet.

Michelangelo. Du, du kannst eintreten.

Francesco Granacci. Ich komme aus dem Palast; dein Ruhm ist vollkommen. (Er umarmt ihn.)

Michelangelo. (sich wieder an sein Werk begebend). Erzähle mir, wie die Dinge gehen.

Granacci. Dein Ruhm ist vollkommen, sage ich dir! Alle die Meister, die in Florenz sind, drängen sich staunend vor deinem Werke. Ach! der Karton des Krieges von Pisa ist ein unsterbliches Werk! Niemand bestreitet es! Alles wird nicht müde dies Wunder zu betrachten, und die es nachzeichnen, entdecken tausend Schönheiten daran, die die alltäglichen Bewunderer niemals ahnen werden.

Michelangelo. Ich habe mein Bestes in dieser Arbeit gegeben.

Granacci. Du wirst gleichwohl noch Größeres tun! ... Es ist kaum glaublich, aber ich glaube es.

Michelangelo. Ich werde tun, was meines Schöpfers heilige Güte zu tun in meine Macht gelegt hat. So gut, wie ich bis auf diesen Tag gearbeitet habe, werde ich fortfahren. Wenn der Karton den Beifall erhalten hat, den er verdient, so bewegt mich das in tiefster Seele; aber wenn ich niemals etwas Besseres ausführen sollte, so möchte ich tot sein, denn ich habe weit mehr zu sagen! Welche Meister sind es, die du vor meiner Zeichnung gesehen hast und die sie gelobt haben?

Granacci. Zuerst ist da Vinci mit all seinen Schülern gekommen. Er hat sich in unendlichen Lobreden ergangen.

Michelangelo. Er ist der falscheste Mann, den ich kenne, und an geschwätzigen Höflichkeiten hat er nichts mehr zu lernen. Alle seine Worte sind honigsüß ... wie seine Malerei. Meister Lionardo trägt ein verschlagenes, kein freies und starkes Herz in der Brust. Er verwünscht mich ... Ich geb's ihm zurück. Er ist gleichwohl ein großer Maler. Und wer ist nach ihm gekommen?

Granacci. Ridolfo Ghirlandajo.

Michelangelo. Er, ja, er ist ein Freund! Der Himmel segne ihn, den würdigen Sohn seines Vaters! Ich schulde Domenico viel Preis und Dank! Möge der Himmel mich verlassen, wenn ich jemals dahin käme ihn zu verkennen!

Granacci. Sodann habe ich in der Menge gesehen Baccio Bandinelli, Berruguete, Andrea del Sarto ...

Michelangelo (lebhaft den Kopf hebend). Was hat der gesagt?

Granacci. Ach! Der ... wie er etliche Stümper eine Verkürzung für zu hart oder eine Nase für zu lang erklären hörte, hat er sie kalt angeblickt, einen Schemel genommen, sich gesetzt und, einen Karton vor sich hinlegend, hat er angefangen zu kopieren. (Michelangelo beißt sich auf die Lippe, macht das Zeichen des Kreuzes und fährt in seiner Arbeit fort.) Dasselbe hat übrigens auch Sanzio getan.

Michelangelo. Der ... Der ... der Raffael ... der kleine junge Mensch ... er ist kein Gotteskind! Ich liebe ihn nicht sehr, Granacci ... Doch möchte ich nicht sagen ... zwar, was er sucht, davon will ich nichts wissen, und ... was tut's! Ich will nichts Übles von ihm sagen! (Er begiebt sich wieder an die Arbeit).

Granacci. Ich für mein Teil werde gleich morgen anfangen zu tun wie Andrea del Sarto und der, den du den kleinen jungen Menschen nennst. Ich will nicht zufrieden sein, ehe ich nicht eine vollständige Nachbildung des Meisterwerkes fertig habe.

Michelangelo. Du mußt auch etwas aus dir selbst erfinden.

Granacci. O! ich mache, wie bisher, Festdekorationen, das ist mein Los; ich habe kein Genie, das weiß ich wohl. Ich liebe die Schönheit, weiter nichts, und es taugt mir besser, ein Liebhaber, als ein Maler zu sein.

Michelangelo (leidenschaftlich aufbrausend.) So sind sie nun alle! Welch kriechende Hunde, die Menschen! Wenn du durchaus eine Knechtschaft haben mußt, so greife wenigstens nach einer würdigeren; aber wenn ein elendes Weib dich belogen, betrogen, verkauft und schließlich mit blutendem Herzen in einen Winkel geworfen hat ... Bei Gott! Du machst mir Schande!

Granacci. Das würde immer noch eine Liebe lohnen, bei der es nichts als Küsse gäbe ...

Michelangelo. Wenn du mein Freund bist, keine solchen Reden; du weißt, daß ich sie nicht dulde.

Granacci. Aber im Ernst, was soll ich denn versuchen? Ich verweile vor deinen Werken. Sieh'! ... Vor deiner Pietà, zum Beispiel! Nun ja, da bleibe ich wahrhaft wie erstarrt; du denkst, was ich nie denken werde; du gewahrst deutlich, du betrachtest, was mir auf immer verschleiert sein wird; du ersinnest, was ich nicht fassen könnte, und ich fühle mich so klein, so schwach, so ohnmächtig neben dem, was du zu fassen und hervorzubringen weißt, daß die Entmutigung den Sieg davon trägt, und ich keine Lust mehr habe, irgend etwas zu versuchen.

Michelangelo. Bist du eifersüchtig auf mich?

Granacci. Nicht im geringsten!

Michelangelo. Da liegt eben das Übel! Wie! Du, ein Künstler, stellst dich vor das Werk eines andern, du bewunderst es, und du bist nicht eifersüchtig? Du zerreißest dir nicht wütend die Brust und verwünschest nicht den Tag, wo dieser Feind das gefunden und ergriffen hat, was dir gehört? Du bist ein Künstler, und du liebst die Muse so kümmerlich, daß du siehst, wie sie ihre Gunst dem, der nicht du ist, zuwendet, ohne daß du dich vor Unwillen und Grimm außer dir fühlst? Aber was für Honig, was für Milch, was für einen faden süßlichen Saft hast du denn in den Adern anstatt des Blutes? Weißt du denn nicht, daß man mit der Wut, dem Zorne, der Hitze, dem Ungestüm den Himmel erstürmt? Als ob da was zu lächeln wäre! Ich sage dir nicht, du solltest mir mit dem Dolch in der Faust nachlaufen, aber ich würde es begreiflich finden, daß du mich verwünschest, und ich würde dich darum nur desto lieber haben. Härte dich, werde ein Mann; ich will dich alles lehren, was ich weiß, ich will dir zeigen, was ich kann. Auf, Granacci! weihe dich einem feurigen Entschlusse! Setze dich da hin! Arbeite! Einzig die Arbeit und die berauschende Wonne des Schaffens sind es, die dem Leben Geschmack einflößen. An sich selbst gilt es nichts!

Granacci. Ich will tun, was du willst, nur nicht auf dich eifersüchtig sein. Ich müßte mir selbst ins Gesicht lachen. Weißt du das Neuste?

Michelangelo. Ich nehme keinerlei Anteil am Neusten.

Granacci. Sie haben einen neuen Papst gewählt, den Piccolomini. Er nennt sich jetzt Pius III.

Michelangelo. Da er Papst ist, muß man ihn ehren.

Granacci. Es heißt, daß Cesare Borgia ...

Michelangelo. Ich kümmere mich weder um die Borgia, noch um die Sforza, noch um irgend jemanden. Ich bin ein Künstler und sehe in der Welt nur meine Arbeit, und vor allem die heilige Religion. Ich forsche nicht danach, warum unser Herrgott, gepriesen sei sein Name! so viele Fürsten, Feldhauptleute und Männer der Obrigkeit in die Welt gesetzt hat, die einander auffressen. Sie sollten keine andere Sorge haben, als tugendhafte Werke zu tun, das Laster zu strafen und die Künste zu beschützen. Sie handeln gerade umgekehrt ... Gott sollte sie unterdrücken. Freilich würde man dann in die Hände des Pöbels fallen, des schmutzigsten Tieres, das jemals über den Boden gekrochen ist. Hast du je bemerkt, daß ein Mensch von gemeiner Herkunft ein guter Künstler geworden ist?

Granacci. Darüber hatte ich nicht nachgedacht.

Michelangelo. Wenn meine Familie nicht von den Grafen von Canossa entsprossen wäre, so wäre ich nicht, was ich bin, und ich wollte, es wäre diesen Emporkömmlingen bei Todesstrafe verboten, daß sie jemals ihren Finger auf einen Meißel oder einen Stift zu legen wagten.

Glaube mir! die Welt ist grauenvoll. Ich verliere mich in der Bitternis meiner Gedanken, wenn ich mir's gerade vor Augen bringe ... Der Tag neigt sich; er giebt kein klares Licht mehr. Komm, laß uns am Ufer des Wassers wandern, und dann wollen wir den Abend damit hinbringen, Dante zu lesen.


Neapel.

Der Palast des Vicekönigs.

Ein mit Gemälden und Vergoldungen reichgeschmückter Saal. Vor einem Tische mit rotsammetner goldbefranster Decke sitzen auf Brokatsesseln mit geschnitzter Lehne der Vicekönig, Don Gonsalvo de Cordoba, und Don Cesare Borgia einander gegenüber. Sie drücken sich die Hand.

Don Cesare Borgia. Ich setze all mein Vertrauen in Euere Excellenz.

Don Gonsalvo. Es ist wohl angebracht.

Don Cesare Borgia. Ihr seid ein großer Feldherr, der Ruhm dieses Jahrhunderts. Die Ehre Eures Namens bürgt mir für Eure Aufrichtigkeit.

Don Gonsalvo. Ihr laßt mir Gerechtigkeit widerfahren.

Don Cesare. Ich habe in diesen letzten Zeiten nichts als ehrloses Benehmen gefunden. Ich hatte eingewilligt, den Kardinälen des Konklave den Vatikan und die Engelsburg, die mich zum Herrn von Rom machten, abzutreten, und ich habe so den Beweis einer so auffallenden Mäßigung geliefert, daß meine Feinde sie nicht leugnen könnten. Ja, Don Gonsalvo, wenn ich mich aus Rom entfernt habe, so geschah es freiwillig. Nach diesem edelmütigen Verfahren sind mir die Versprechungen, die man mir gemacht, nicht gehalten worden. Der Kardinal d'Amboise hat sich übrigens benommen wie ein Tropf, indem er sein Heer vor den schönklingenden Phrasen Giulianos della Rovere entfernte. Der hat dann nicht versäumt, Piccolomini wählen zu lassen, der nur zweiundzwanzig Tage am Leben geblieben ist, und dann hat er die Tiara für sich selbst genommen; Ihr und ich, wir haben den erbittertsten Feind in diesem ehrgeizigen, gewalttätigen, falschen, treulosen und räuberischen Julius II. Dank den Ränken dieses Menschen sind meine Völker der Romagna im Aufstande; die Venezianer haben mir meine besten Festungen weggenommen; das Glück der Waffen hat mich verraten; ich bin eingekerkert, ich bin wieder freigelassen worden. Die Franzosen haben sich unwürdig gegen mich benommen. Ich habe ihnen zu gut und zu lange gedient. Heute gehöre ich Euch, dem Könige, Eurem Herrn, und Ihr dürft auf mich zählen, wie ich auf Euch zähle. Habe ich deß Ursach'?

Don Gonsalvo. Ich bitte Eurer Hoheit inständigst, davon überzeugt zu sein. Übrigens habt Ihr mein Wort, Don Cesare.

Don Cesare. Diese Versicherung ist mir sehr wohltuend und tröstet mich über so viele getäuschte Hoffnungen. Noch einmal, ich verlange nichts weiter, als Euch wohl zu dienen, und da Ihr mir Truppen anvertraut, um in Toscana zu Gunsten der Medici zu wirken, so dürft Ihr nicht zweifeln, daß ich mich dem mit meiner ganzen Kraft widme, indem ich hinfort nur die Interessen des katholischen Königs wahrnehme.

Don Gonsalvo. Ich bin Euch äußerst verpflichtet für soviel Eifer.

Don Cesare. Meine Absicht ist, mich noch heute auf den Galeeren Seiner Majestät, die im Hafen liegen, einzuschiffen, und so nehme ich Abschied von Euch.

Don Gonsalvo. Geht mit Gott, Hoheit, und möge seine Allmacht Euch geleiten!

Don Cesare. Ich danke Euerer Excellenz noch, daß Sie mir in meinem übergroßen Unglück ein Freund gewesen ist. (Sie erheben sich.) Zählt auf mich, ich bitte Euch, Don Gonsalvo, wie auf Euren wärmstergebenen Diener.

Don Gonsalvo (ihn umarmend). Das ist eine Ehre, von der ich tief gerührt bin.

Don Cesare. Gott behüte Euere Excellenz!


Der Wartesaal vor dem Arbeitszimmer des Vicekönigs

In dem Augenblicke, wo Don Cesare von der Unterredung mit Don Gonsalvo heraustritt, erheben sich die Hofleute, Offiziere und Bittsteller, welche das Gemach anfüllen und entblößen das Haupt.

Don Nuñez Campeio (Befehlshaber der Garden des Vicekönigs, zu Don Cesare). Euer Gnaden, ich verhafte Euch im Namen Seiner Majestät!

Don Cesare (zwei Schritt zurückweichend). Was soll das heißen? ... Ich bin der Freund des Vicekönigs! ... Ich habe sein Wort!

Don Nuñez Campeio. Hier seine Ordre! Lest!

Don Cesare (das Pergament betrachtend). Das ist eine teuflische Verräterei!

Don Nuñez Campeio. Ihr müßt Euch darauf verstehen! Euren Degen!

Don Cesare (da er, einen Blick ringsum werfend, nur Spanier gewahrt). Nie ist ein gleiches Bubenstück verübt worden.

Don Nuñez Campeio. Außer zu Sinigaglia. Euren Degen, sag' ich Euch, Hoheit, oder muß ich ihn Euch abnehmen lassen?

(Don Cesare wirft seinen Degen heftig auf die Erde; er wird wieder aufgehoben. Der Herzog wird von den Soldaten fortgerissen.)

Ein Höfling (zu einem schwarzgekleideten Manne, welcher emsig auf seinem Knie schreibt). Was macht Ihr da, Herr Sannazaro? Sollte dieser Auftritt das Dichterfeuer in Euch erweckt haben?

Sannazaro. Wie ich so diesen großen Missetäter betrachtete, habe ich mich plötzlich seines Wahlspruches erinnert: »Aut Caesar, aut nihil«, und da habe ich soeben dies Distichon gedichtet.

Die Höflinge. Laßt sehn! laßt sehn!

Sannazaro (lesend).
Omnia vincebas, sperabas omnia, Caesar;
Omnia deficiunt, incipis esse nihil.

Die Höflinge. Allerliebst! allerliebst! Wie geistreich!


Rom

Der Palazzo Borgia

Donna Maria Henriquez, die Witwe Giovanni Borgias, Herzogs von Gandia; ihre Tochter, Donna Isabella Borgia; ein Dominikaner.

Der Dominikaner. Ja, Frau Herzogin, und alsobald hat der Vicekönig, Don Gonsalvo de Cordova, ihn auf den Galeeren Seiner Majestät einschiffen und nach Spanien senden lassen, wo er, wie man versichert, wenn er nicht ums Leben gebracht ist, zu einer Einkerkerung verurteilt werden wird, die nur mit seinem Leben endet.

Die Herzogin. Möge Gott ihm verzeihen! ihm seine Sünden verzeihen! ... Es giebt kaum eine in dem unseligen Bereich menschlichen Wesens, womit er sich nicht befleckt hätte ... Ich habe an ihm nie weder ein Schwanken im Bösen, noch eine Versuchung zur Reue gekannt. Er ist bis auf diese Stunde selbst für die einzige Tugend der Hölle nicht empfänglich gewesen: die Gewißheit, daß Gott den Sieg davon trägt. Ach! ehrwürdiger Vater, ich frage Euch ... Ehe Ihr im Kloster waret, habt Ihr das Leben gekannt ... Es ist kein gemeines Blut, das in Euren Adern fließt ... Ich frage Euch: was soll eine Familie wie die unsere auf der Erde? Sie befleckt sie! Sie entstammt der Sünde, ist getragen von der Sünde, fortgewälzt in der Sünde, dahingetrieben auf den wildesten, schaumigsten, schlammigsten Wogen der Sünde, und nun – ist sie gestürzt! Wo sind unsere frechen Glücksfälle? Nirgendwo! Alles ist Schutt! Keine Fanfaren, keine Triumphe, keine Gotteslästerungen mehr ... Wir sind das Schauspiel der Massen geworden; ist wohl unser Beispiel ein Gegenstand der Erbauung?

Der Mönch. Ja, edle Frau, obwohl in anderer Weise, als Ihr denkt.

Donna Isabella Borgia. Frau Mutter, und Ihr, ehrwürdiger Vater, laßt mich euch aussprechen, was in mir vorgeht. Zwar bin ich erst sechzehn Jahre, und ich sollte euch, ohne etwas zu sagen, in geziemender Demut anhören; aber es ist mir Bedürfnis euch mitzuteilen, was ich empfinde an diesem Tage, wo wir so schreckliche Dinge vernommen haben. Mein Oheim, Don Cesare, hat meinen Vater ums Leben gebracht ... Was er anderwärts getan, ich weiß es nicht genau und trage kein Verlangen, es zu erfahren. Genug, ich gewahre in unheilvoller Finsternis einen rötlichen Trauerschein, der von unserem Namen auszuströmen scheint. Ich weiß nicht, wie das Gefühl euch deuten, das dieser Anblick mir einflößt, und ich möchte es doch ... Dieser Anblick, sage ich euch, denn ich habe deß lichten Glauben, und der Eindruck, den ich davon empfange, und die beständigen Tränen meiner Mutter, alles das beunruhigt mich nicht, wie es mich vielleicht beunruhigen sollte. Mein Verstand heißt mich von Traurigkeit ganz erfüllt sein. Ich bin es nicht. Die einzige Wirkung, die dies Elend auf mich ausübt, ist, daß ich mich gänzlich, doch ohne Haß, ohne Verachtung, ohne Aufregung, von dieser Welt loslöse, wo solche Dinge begangen werden, und wo der Anblick der Strafen und die beständige Erfahrung von der Gebrechlichkeit der Siege, die das Böse davonträgt, dieses Böse nicht zurückzuhalten und zum Nachdenken zu bringen vermögen. Ich hasse die Welt nicht; sie erschreckt mich nicht; sie ist mir nichts! Ich berühre sie von keiner Seite, sie umgiebt mich vielleicht, aber sie vermag nichts über mich, und wenn ich an sie denke, so kommt es über mich wie eine vollkommen reine Freude, weil ich erkenne, daß ich nichts gemein habe weder mit dem, was sie liebt, noch mit dem, was sie will.

Die Herzogin. Und doch sind wir mit die schlimmsten Kinder dieser Unheilswelt; unser Fleisch gehört ihr, und sie drückt ihm in jedem Augenblicke ihre Stachel ein.

Der Mönch. So entnehmt ihr beide denselben Gegenständen eine ganz verschiedene Nahrung für das Gemüt. Ihr, edle Frau – die Schläge der Bosheit sind auf Euch gefallen und haben Schrecken und Schmerz in unauslöschlichen Spuren in Euch zurückgelassen. Ihr, Donna Isabella, Ihr habt erzählen hören, aber nicht an Euch selbst gefühlt. Nur das Echo der Bosheit ist auf Euch eingedrungen. So bemächtigen sich die Handlungen der Menschen in ihrer Schwäche nur eines engen Kreises; sie dauern nur so lange wie ein Blitzstrahl und lassen eine Schwingung zurück, die allmählich schwächer wird und verschwindet. Ihre Verheerungen richten wenig aus, und was nach ihnen bleibt, ... was bleibt, es ist ... wißt Ihr's wohl? ... der Abglanz des ewigen Lebens! Dieses Licht – es giebt keinen teuflischen Frevel, dem es je gelingen könnte es auszulöschen! So schreitet ihr denn alle beide, die eine niedergeschlagen in ihrer Entsagung, die andere heiter in ihrer Weltabkehr, kurz alle beide gleichen Schrittes der unwandelbaren Region des Guten und der Wahrheit zu.

Die Herzogin. Wir beide, mein Vater? Ihr vergeßt, aus welcher schrecklichen Höhle wir herkommen!

Der Mönch. Das eben ist das wunderbarste Geheimnis des Weltalls, ja die eigentliche Achse seiner Existenz. Der Theriak wird aus dem Gift der Viper gewonnen, und aus der Düngererde, von unreinen Stoffen gebildet, erhebt sich das köstliche Haupt der seltensten Blumen! Glaubt Ihr, daß für mich, für all dies Volk von Rom, das seit so vielen Jahren Euch betrachtet, Euch bewundert, Euch verehrt, nicht Eure bloße Gegenwart schon eine Wohltat sei? Wenn Ihr die so verschiedenen Eindrücke erlebt, welche der Name, den Ihr tragt, hervorruft, wolltet Ihr da die Absicht einer Vorsehung verkennen? Und wenn sie mit Wut und Schaudern »Cesare Borgia« rufen, ist es da gleichgültig, daß sie mit Rührung, mit Tränen der Liebe in den Augen hinzufügen: »Maria und Isabella Borgia«? Ach, edle Frau, ach, liebe Tochter, es fehlt nicht an Toren, die, wenn sie Alexander VI. mit der Tiara geschmückt und Savonarola zum Richtplatze schleppen sehen, ausrufen, es gebe keinen Gott! Wenn ich, indem ich euch betrachte, ihnen antwortete: nein, aber es giebt kein Böses! würde mein Schluß nicht den ihrigen aufwiegen? ... Es giebt Böses, es giebt Gutes, und das Gute siegt; es macht nicht so viel Aufhebens, es brüstet sich nicht, es prunkt nicht, es erhebt kein Geschrei, es versteigt sich nicht dazu, die ersten Stellen an sich zu reißen, aber es ist gegenwärtig, es ist tätig, und die Hand, die an letzter Statt sich auf das Werk der sieben Tage legen wird, es wird die seine sein!

Donna Isabella (vor ihrer Mutter niederkniend). Weint nicht, Frau Mutter! Frau Mutter, ich bitte Euch, schüttelt nicht das Haupt! Der Vater spricht gar wahr! Ich bin tieftraurig, Euch so bekümmert zu sehen! ... Dennoch, ich gestehe es Euch ... ich habe den Himmel im Herzen! ... Gott ist so groß! ... Glaubt mir! Das Böse ... es ist so gar nichts!

Die Herzogin (sich die Augen trocknend). Wir müssen für den Unseligen beten, und wir wollen reichliche Almosen in seinem Namen austeilen.

Donna Isabella (sie umarmt ihre Mutter, und, ihr Halsband loslösend). Ich will alle meine Juwelen hingeben.

Der Mönch. Gebt sie hin, liebe Tochter. Was ich sehe, wiegt alle Missetaten des Sünders auf und überwiegt sie.


In Spanien.

Viana.

Die navarresischen Truppen belagern die Stadt. – Es ist Nacht; es schneit und regnet. – In der Ecke des Laufgrabens, nach der Festung zu, eine Schildwache; der Himmel ist so schwarz, daß man sie kaum bemerkt. – Ein Fähnrich mit einigen Soldaten löst die Vorposten ab.

Der Fähnrich. Fertig?

Ein Korporal. Es bleibt noch ein Posten. Dort ist er.

Der Fähnrich. 'ne verteufelte Nacht! Ich sehe da nichts! Es ist eine Hundekälte. Vorwärts!

Die Schildwache. Wer da?

Der Fähnrich. Navarreser! ... Halt! ... Zum Examinieren vor! ... San Jago!

Die Schildwache. Und Pampeluna! ... Ihr kennt mich nicht wieder, Don Michele!

Der Fähnrich. Welche Stimme! ... Ist's möglich? ... Korporal, bring' die Laterne! ... So seid Ihr's, gnädiger Herr?

Die Schildwache. Cesare Borgia.

Der Fähnrich. Wie tief sind wir gesunken! ... Und ich muß Euch befehligen! ... Welch ein Jammer!

Die Schildwache. Solange man lebt, bewegt man sich fort und man kann wieder steigen!

Der Fähnrich. Ihr seid nicht entmutigt?

Die Schildwache. Tollkopf! ... Sie haben mir meinen Kerker geöffnet, weil sie mich für harmlos hielten. Wie sie sich täuschen! ... Frankreich hat mich verlassen und geplündert! ... Italien rühmt sich dessen, daß es mich für tot hält! ... Ha, heilige Rache!

Der Fähnrich. Was mich angeht, ich denke nicht daran. Ich verlange nichts weiter, als mein Brot zu verdienen und es ohne Aufhebens zu verzehren. Macht es ebenso; glaubt mir, wir sind besiegt.

Die Schildwache. Feigling! Solange ich einen Atemzug im Leibe habe, ist es ein Atem des Hasses und des Begehrens.

Der Fähnrich. Mög's Euch recht gut bekommen! Ihr werdet Euch die letzten Zähne dabei ausbeißen ... Unterdessen löse ich Euch ab; kommt Euch wärmen. Da graut der Tag; der Feind fängt wieder an auf uns zu schießen. (Ein von einer Bastei kommender Falkonettschuß trifft die Schildwache mitten in den Leib.) Potzkreuz! Da liegt er am Boden! ... Don Cesare! ... Er ist tot! ... Zertreten im Kot wie ein Wurm, er, der stolzeste der Dämonen! ... Tausend Millionen Teufel! ... Bleiben wir nicht hier ... Kommt uns wärmen!

(Der Fähnrich und die Soldaten entfernen sich; Troßknechte stürzen sich auf den Leichnam der Schildwache, ziehen ihn ganz nackend aus und werfen ihn in den Graben.)


 << zurück weiter >>