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Seppl

Als der alte Kainz, ein Wiener, mit zahnlosem Mund, der nicht mehr gut marschieren konnte, wegen Herzschwäche in die Küche versetzt wurde, hielt er mir eine kleine Rede. Er sagte, ich solle den Seppl gut behandeln, es sei kein Tier wie ein anderes, bockig sei er ja schon manchmal, wie alle Maulesel, aber das Bockigsein habe immer seinen Grund. Er tue es nie aus Bosheit, sagte der alte Kainz und zündete eine Pfeife an (er war der einzige in unserer berittenen Kompagnie vom dritten Fremdenregiment, der die Pfeife rauchte), sondern es sei immer ein Grund vorhanden, wenn der Seppl dumm tue, entweder drücke ihn der Sattelgurt, oder ein Büschel Haare habe sich unter der Satteldecke aufgestellt und steche ihn, ich müsse eben dann nachschauen, mir Zeit lassen – »Zat« sagte der alte Kainz und klopfte dem Seppl die grauen Flanken und den glatten Hinterschenkel... der Seppl schnaufte.

Ich versprach, mich um den Seppl zu kümmern, und gab ihm ein Stück Brot; das war ein grosses Opfer, denn in unserem Posten (Gourrama hiess er und war ganz im Süden von Marokko – hinter den kahlen roten Bergen im Süden konnte man manchmal einen hellen Schein sehen in der Nacht, der kam von der Wüste), denn eben, in unserem Posten war das Brot rar, zeitweise... Seppl nahm das Brot gnädig und zart mit seinen Zähnen, die gelb und vorstehend waren, wie bei einer alten Engländerin. Er schnaufte, schnupperte an meinem Ärmel, blies mir seinen warmen Atem in den Hals, dass es mich kitzelte, nieste dann geräuschvoll und klapperte mit seiner Kette.

Jetzt kenne er mich, sagte der alte Kainz, und das In-den-Hals-Blasen sei ein Zeichen von Sympathie. »Er mog di gern...« sagte der alte Kainz, und seine Stimme war nicht ganz fest. Darum schraubte er seine Pfeife auseinander und blies lange und anhaltend ins Mundstück. Es war verstopft, Tränen traten dem alten Kainz in die Augen, und das war wohl der Zweck des Manövers. Jetzt konnte er seine Tränen ohne Verlegenheit sehen lassen, sie kamen ja vom Pfeifenausblasen.

Am Morgen bekamen die Maulesel zwei Kilo Gerste, am Mittag eins, am Abend wieder zwei. Wenn wir im Posten waren, ritten wir sie um elf Uhr ohne Sattel zur Tränke. Die Tränke, das war ein kleiner Fluss, Oued nennt man sie dort unten, eingesäumt von Oleanderbäumen, die im Juni unwahrscheinlich rot blühten. Von ihnen kam das Fieber, sagte unser Capitaine – unser Hauptmann, wenn Sie lieber wollen.

Er benahm sich sehr anständig, der Seppl, als ich ihn das erstemal ohne Sattel ritt. Er war kleiner als die anderen Tiere der Kompagnie, seine Mutter war eine Eselin gewesen, während die Mütter der anderen Tiere sicher Stuten gewesen waren. Er hatte sehr lange Ohren, der Seppl, und mit ihnen konnte er allerlei Kunststücke ausführen. Er konnte Einhorn spielen, das linke Ohr eng an den Kopf gelegt, so dass man es gar nicht mehr sah; das andere stach vor wie ein Spiess, und dann wandte er sich etwa um, nickte mit seinem vornehmen Engländerinnenkopf und begann einen Galopp. Das Umsehen tat er nur aus Höflichkeit, damit ich nicht etwa hinunterfiele. So kamen wir an die Spitze der Kompagnie, der Adjutant, der das Tränken leitete, brüllte mich an, was ich da vorn zu suchen habe: Da stellte der Seppl seine beiden Ohren auf, machte ein lammfrommes Gesicht (ja, ein Gesicht!), sah den Adjutanten von unten an, als wolle er sagen: »Verstehst du denn keinen Spass?« und dann lachte der Seppl. Ich will einen Eid darauf schwören, dass der Seppl gelacht hat. Ihr kennt doch so robuste alte Damen, sie sind meistens dick, und ein Schnurrbart wächst ihnen auf der Oberlippe. Die haben so ein tiefes, weiches Basslachen, es schüttelt sie, man kann nicht anders als miteinstimmen – so lachte der Seppl ...

Und der Adjutant, der sonst ein grober Kerl war, musste auch lachen. Er stammte aus Korsika, darum konnte er auch Seppls Namen nicht richtig aussprechen. »Le Ssseppelll«, sagte er und riss sein Pferd herum, um weiter zu reiten. Er schämte sich ein wenig, dass er gelacht hatte. Unten am Oued soff der Seppl so ausgiebig, dass ich es an meinen Schenkeln fühlte, wie er immer dicker und dicker wurde. Dann war er endlich fertig, hob den Kopf, und schillernde Fäden hingen an seinem Munde. Dann wandte er wieder den Kopf, und da ich ziemlich weit nach vorne gerutscht war, stupfte er mich am Knie mit seiner nassen Schnauze. Ich wusste nicht, was er wollte. Er stupfte noch einmal. Ich blieb sitzen. Da zerfloss der Seppl plötzlich unter mir, es war genau dies Gefühl, er war auf einmal nicht mehr da – doch, er war noch da, aber neben mir, und wälzte sich im grauen Sand, alle viere zum Himmel erhoben, wälzte sich und grunzte und spuckte und nieste, dass es eine Freude war. Von da an wusste ich, was der Stupf mit der Nase zu bedeuten hatte – Seppl wollte ein Sandbad nehmen. Ich bitte euch, warum sollte er nicht? Wir tun's doch auch ...

Vielleicht kam es daher, dass Seppl von einer Eselin stammte und wenig Zugehörigkeitsgefühl besass zu seinen Kameraden, die hochbeinig und ein wenig plump waren, während Seppl wirklich sehr schmale Fesseln hatte und ausserdem zartgliedrig war – kurz, er pflegte keine Kameradschaft. Vielleicht hat er sich deshalb so an mich angeschlossen. Es ist ja bekannt, dass Einzelgänger unter den Tieren sich viel leichter an den Menschen anschliessen als Herdenzottler.

Was wollt ihr? Manchmal ist man traurig, man mag mit keinem Menschen reden. So sprach ich dann mit dem Seppl. Besonders auf den langen Märschen, wenn die Strasse als endlos grauwogendes Band zwischen den Eselsohren abläuft, wenn die Sonne sticht und die roten Felsen der Berge die Hitze zurückwerfen. Dann sagte ich manchmal: »O Seppl!« und Seppl verstand, was alles in den zwei

Worten enthalten war. Er nickte weise, nickte immerzu, bis mir ganz schwindlig wurde und ich einschlief auf dem Sattel. Seppls Trab war so gleichmässig, er folgte so unerschütterlich dem baumelnden Schwanz des Vordertieres, dass ich ihm ruhig die Zügel über den Hals legen konnte. Wenn es Pause gab, fühlte ich das bekannte Stupfen am Knie und wusste, was los war. Seppl war sehr zuverlässig ...

Es gab auch die Abende, an denen man müde ankommt und hungrig ist. Brennstoff gibt es genug. Auf den Ebenen zwischen den roten Bergen wächst das zähe Alfagras als Heu. Futtermittel ist es, wenn die Gerste ausgegangen ist, und Brennstoff für die Küche, wenn kein Oued in der Nähe ist und somit auch kein Holz, da müssen die Köche die Suppe kochen mit Gras und wildem Thymian. Dann gibt es die halb oder ganz vom Sand verschütteten Brunnen – und wenn man Brunnen sagt, so ist das eine Übertreibung. Sandlöcher sind es, man muss graben, das Wasser einfliessen lassen und es dann sorgfältig abschöpfen, damit man die Tiere tränken kann. Denn Sandwasser ist Gift für sie ... Wir kochten dann mit dem unteren Schlamm, und der Reis wurde braun, als ob er mit Schokolade gekocht worden wäre: Der Sand knirschte zwischen unsern Zähnen.

An einem dieser Abende war es, dass der Seppl zu arg Durst hatte und mir zum Sandloch – will sagen zum Brunnen – durchbrannte und sich vollsoff. – Das gab eine schlaflose Nacht. Er hatte Schmerzen, der Seppl, seine Nase war ganz heiss, er ächzte, und der Humor war ihm vergangen. Er wollte sich immer niederlegen, um zu schlafen – vielleicht um ruhig zu sterben, aber selbst wenn nicht strenger Befehl gewesen wäre, ein Tier mit allen Mitteln zu retten, ich hätte den Seppl doch nicht gern sterben lassen, denn ich mochte ihn gern. Ich hatte wohl ein paar Freunde, was man so Freunde nennt, aber der Seppl, das war etwas anderes. Das Gefühl für ihn kam von tiefer her, ich weiss nicht aus welchen Schichten meiner Seele, das geht mich ja schliesslich auch nichts an, aber ich hätte lieber einem meiner Freunde eine Kugel gegönnt, als dass ich den Seppl an Kolik hätte sterben lassen. Ja, sterben! – Die Leute sagen immer von einem Tiere, es »verreckt«. Ich mag das Wort nicht. Ich habe es manchmal auf Menschen angewandt, und da stimmte es. Aber ein Tier? Tiere haben auch im Sterben Haltung, was man von vielen Menschen nicht behaupten kann ... Nun, die Nacht ging herum. Seppl stöhnte, manchmal schob er seinen Kopf unter meinen Arm, einmal hat er mich sogar gebissen – nicht eigentlich gebissen, geklemmt, mit seinen langen, vorstehenden Engländerinnenzähnen. Ich hatte dann blaue Flecken. Aber das schadet nichts. Um zwei Uhr morgens nahm Seppl dann gnädig ein Stück Brot aus meiner Hand, kaute es zufrieden. Ich glaub', es war ihm lieber als die Schleimsuppe, die man uns immer einschüttet, wenn wir den Magen verdorben haben.

Am nächsten Morgen – wir brachen schon um drei Uhr auf – bin ich dann nicht aufgesessen. Ich hielt Seppl am Zügel und führte ihn. Ich erzähle das nicht, um mich zu rühmen. Es war auch weiter nichts Rühmenswertes dabei, denn das Thermometer zeigte sechzehn Grad unter Null. Das gibt es dort unten. Übrigens war es gerade November ...

Ja, es war vierzehn Tage später, da wurde unsere Kompagnie von einem Dschisch angegriffen. Dschisch – das ist so eine Art Räuberbande. Ich musste mit meinem Maschinengewehr fort, und Seppl wurde mit den andern Tieren in Deckung geführt. Die Räuber ritten an, ich weiss nicht mehr genau, auf was sie es abgesehen hatten, ich glaube, es war das Auto des Zahlungsoffiziers. Ich war sehr eifrig damit beschäftigt, die Befehle auszuführen, die unser Leutnant herüberbrüllte – man brauchte ja nicht leise zu sprechen. Es waren Zahlen zum Einstellen des Rohres, und ich musste aufpassen. Vor uns ritten die Räuber an, machten kehrt, nachdem sie geschossen hatten von ihren Pferden herab, kamen wieder angeritten, machten noch einmal kehrt. Wir mussten vor. Da hör' ich ein Gelächter hinter mir, ich dreh' mich um: Der Seppl galoppiert auf mich zu, hält vor dem Maschinengewehr, beschnuppert es, verzieht die Nase (das Rohr riecht wirklich nicht gut, nach heissem Metall und rauchlosem Pulver), stellt sich vor die Mündung und bleibt bocksteif stehen.

»Vorwärts!« brüllt der Leutnant. »En avant!«

Aber ich kann doch nicht am Seppl vorbei. Der Seppl steht da, so als ob er mich decken wolle. Mein Kamerad lacht mich aus. Da rede ich gütig auf den Seppl ein: »Geh zurück!« sag' ich. »Seppl, sei brav! Du hast hier nichts zu suchen!« Dann seh' ich mich um, wo denn die Stallwache bleibt. Richtig, dort hinten läuft einer und fuchtelt mit den Armen ... Aber bis der bei uns ist! Also steh' ich auf, ich muss doch vor, der Leutnant hat es befohlen ... Ich lad' das Maschinengewehr auf die Schulter, sag' noch einmal: »So, Seppl!« Da tänzelt der Seppl vor mir her. Immer zwei Schritte Distanz hält er, so dass ich ihn nicht am Halfter packen kann. Tänzelt vor mir her, dem Feind entgegen, der gerade gegen uns anreitet. Und wieder, wie vorhin, zweihundert Meter etwa vor uns, schiesst er aus allen Flinten, macht kehrt, jagt davon ...

Vor mir tanzt der Seppl, tanzt wirklich. Er deckt mich mit dem ganzen Körper und tänzelt seitwärts, wie ein dressiertes Pferd im Zirkus. Er schüttelt unwillig den Kopf, weil die Leute da vor uns soviel Lärm machen ... Dann ist der Lärm vorbei, dort vorne haben sie kehrt gemacht ... Ich sehe, dass einer sich noch im Sattel umwendet, zielt, schiesst ...

Der Seppl zuckt zusammen. Sein Hals, sein glatter grauer Hals, den ich so oft getätschelt habe, ist gerade vor meinen Augen. »Hopp, Seppl!« ruf ich noch, »wir müssen pressieren!«

Da fällt der Seppl um. Es ist wie beim Tränken. Auf einmal ist er nicht mehr da. Doch, da ist er ja ... Zwei Schritte, links von mir, wälzt er sich auf dem Boden, alle viere gen Himmel gestreckt, und seine winzigen Hufeisen glänzen in der Sonne. Dann liegt er auf der Seite, rührt sich nicht mehr. Da seh' ich, dass er ein grosses Loch im Hals hat – die Dschischs schiessen immer mit runden Bleikugeln, die grosse Wunden schlagen –, und aus dem Loch in seinem Hals gurgelt das Blut, und dann wird das dürre Alfagras ringsum rot, nicht lange, denn der Sand schluckt die Flüssigkeit ...

»Aus!« sagt mein Kamerad.

Ich bin dann vor und habe immer den Kopf geschüttelt, so arg den Kopf geschüttelt, dass ich mich ein paarmal am Rohr gestossen habe. Eigentlich hatte mir der Seppl das Leben gerettet. Wie kam das Tier dazu? Tier! Tier! Er hatte etwas gemerkt, das schien mir sicher. Und gelacht hat er auch noch!...

Dann waren wir wieder in Stellung. Aber ich hab' nicht schiessen wollen. Dummerweise haben mir die Pferde der Räuber leid getan. Blöd, so etwas. Ich habe das Maschinengewehr auseinandergenommen, und dann habe ich das Ventil ausgeblasen, so stark, dass mir die Tränen in die Augen getreten sind.

»Ladehemmung!« habe ich zum Leutnant gesagt, der hat reklamieren wollen. Und dann habe ich an den alten Kainz denken müssen, der auch in das Mundstück seiner Pfeife geblasen hatte, bis er Tränen in die Augen bekam, damals, als er Abschied genommen hatte vom Seppl ...


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