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1. Herr »Niemand«.

Es war an einem regnerischen Frühlingsabend, zehn Minuten vor acht Uhr, als Fred Sellers, der berühmteste Detektiv New-Yorks, von einer kurzen Geschäftsreise aus Boston zurückkehrend, dem dunklen Hauseingang an der »Bowery« zuschritt, wo sich sein berühmtes und zugleich gefürchtetes Hauptquartier befindet.

Die »Bowery« ist eine der ältesten, bekanntesten, aber auch verrufensten Straßen New-Yorks, doch darum gerade und auch wegen ihrer zentralen Lage für einen Detektiv wie geschaffen. Mit sicheren, elastischen Bewegungen sprang Sellers die finstere, steile Treppe empor, kaum aber hatte er die Tür zum Vorzimmer geöffnet, so daß ein schwacher Lichtschein daraus hervordrang, als er rasch an die Treppe zurücktrat und hinablauschte, denn hinter ihm wurden plötzlich eilige Schritte hörbar und im nächsten Augenblicke tauchte vor ihm eine in einen dichten Regenmantel gehüllte Gestalt aus der Dunkelheit empor, die hastig vorwärts strebte.

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Well, Sir? sagte der Detektiv, den späten Ankömmling fragend musternd.

Ich suche das Detektiv-Bureau von Mister Sellers, klang es atemlos, doch in scharfem, abstoßendem Tone zurück.

Ohne das Gesicht des Besuchers deutlich zu erkennen wußte Sellers, daß derselbe jener Klasse von Menschen angehörte, die ihn sonst nicht aufsuchen, sondern sich von ihm suchen und nicht gern finden lassen.

Sie sind am richtigen Platze, Sir, antwortete er höflich, aber kurz, und Sie sprechen zu dem, den Sie zu sehen wünschen.

O wirklich! rief der Fremde, den Detektiv scharf anblickend. Ich – ich dachte mir's. Ihr scharfgeschnittenes Gesicht, der helle Hut und –

Wenn Sie mir etwas Wichtigeres als meine Personalbeschreibung zu sagen haben, Sir, unterbrach ihn Sellers, so dürfte es sich wohl empfehlen, einzutreten. Ich möchte vor allem meinen nassen Mantel ablegen.

Etwas sehr Wichtiges, Mister Sellers, ein Geschäft, das möglicherweise für uns beide großen Vorteil bringt. Der Sprechende zögerte noch immer, einzutreten.

Wünschen Sie, daß ich den Fall übernehme? fragte Sellers kurz.

Gewiß, gewiß, das heißt, wenn wir uns verständigen können.

Wie ist Ihr Name?

O, der tut nichts zur Sache! erwiderte der Fremde leise auflachend. Ich möchte Mister Niemand heißen, bis wir über den Fall verhandelt haben.

All right, Sir. Wie Sie wollen. Treten Sie ein. Ich will hören, was Sie mir zu sagen haben.

Fred Sellers öffnete die Tür und ließ den seltsamen Burschen in einen kleinen Empfangsraum treten. Ihre Ankunft war natürlich bereits bemerkt worden, Scipio, der schwarze Diener, stand bereit, Mäntel und Hüte abzunehmen und im Vorzimmer aufzuhängen.

Der Detektiv entschuldigte sich höflichst bei dem Fremden und fragte dann: Scipio, ist mein Assistent, Mr. Patsy, da?

Gewiß, Sir. Er ist vor wenigen Minuten zurückgekehrt und befindet sich in seinem Zimmer.

Sellers schloß hinter sich die Tür zum Empfangsraum und flüsterte dem Neger zu: Rufe ihn schnell in mein Sprechzimmer. Sag ihm, er soll möglichst rasch machen!

Im nächsten Augenblick kam Patsy eine Wendeltreppe herab und begrüßte seinen Chef. Schon wieder zurück, Sir? fragte er in leisem Tone.

Soeben. Wie ist alles gegangen während meiner Abwesenheit?

Ausgezeichnet! Nichts zu tun für mich!

Haha, lachte Sellers, die alte Geschichte: Wenn die Katze aus dem Haus – aber Scherz beiseite! Ich glaube, ich bringe gleich Arbeit mit. Da drinnen sitzt ein Mann, der uns wahrscheinlich zu schaffen machen wird. – Der junge Assistent rieb sich vergnügt die Hände. Du gehst, sobald ihn Scipio zu mir herein geführt hat, in den Empfangsraum, stellst dich dort an die innere Tür und notierst sorgfältig alles, was zwischen uns verhandelt wird.

All right, Sir. Aber wer ist der Mann?

Ich weiß es nicht. Ich traf ihn draußen auf der Treppe, wo er um eine Unterredung bat. Nach seiner Stimme ist er ein geriebener Spitzbube.

Unglückseliger! lachte Patsy leise. Er täte besser, er ginge mit seinem Fall sonstwohin, nachdem Sie schon im voraus so ein Vorurteil gegen ihn gefaßt haben.

Geschäft, sagte Sellers und verschwand im nächsten Augenblicke im Empfangszimmer, die Tür rasch hinter sich zuziehend.

Der Fremde war eben damit beschäftigt, sich eine Zigarette anzuzünden. Ist es Ihnen unangenehm, wenn ich rauche? fragte er.

Nicht im geringsten!

Vielleicht darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?

Danke, danke, Sir. Ich rauche nie. Beginnen wir mit unserem Geschäft! Kommen Sie!

Sie traten durch eine Seitentür in das Sprechzimmer des Detektivs, wo sich dieser vor seinem Schreibtisch und der Fremde in einem Schaukelstuhl niederließ. Nach einer kurzen Pause der Erwartung sagte Mr. Niemand endlich mit einem unangenehmen Lachen: Ehe ich beginne, muß ich erst eine Frage stellen, Sir.

All right, fragen Sie.

Sind Sie zu haben für ein Geschäft, das nicht ganz gesetzmäßig ist, aber viel Geld einbringt?

Darauf kann ich erst dann eine bestimmte Antwort geben, wenn ich den Fall selber kenne.

Sie würden also einen solchen Fall nicht absolut zurückweisen? fragte Mr. Niemand wieder mit lauerndem Blick.

Es gab offenbar nur einen Weg, um den unheimlichen Burschen zum Sprechen zu bringen, man mußte scheinbar auf seine Idee eingehen. Sellers gab also eine entsprechende Antwort: Vielleicht, wenn die Bezahlung darnach ist!

Natürlich, natürlich, jedermann hat seine Preise.

Stimmt! Also beginnen Sie, bitte!

Ich weiß von verschiedenen Seiten, daß Sie eine große Erfahrung in der Verfolgung von Bankräubern, Zugräubern, Minenräubern und ähnlichem Gesindel, wie es sich drüben in den West-Staaten herumtreibt, haben.

Das ist allerdings eine meiner Spezialitäten.

Ich setze den Fall, Sie erhielten von mir einen derartigen Auftrag. Was würde Ihr Preis sein, wenn Sie einen solchen Straßenräuber für mich auf die Seite brächten? Verstehen Sie mich recht: Nicht im Gefängnis will ich ihn haben, sondern vollständig beiseite gebracht.

Mit anderen Worten: Ich soll Ihnen den Preis dafür nennen, wenn ich einen Menschen umbringe, von dem ich noch niemals gehört habe?

Ja, so ungefähr.

Und so wie ich die Sache bis jetzt beurteile, haben Sie auch keine Lust, mir mitzuteilen, aus welchem Grunde Sie den Räuber auf die Seite gebracht haben wollen?

Der Gefragte lachte laut auf. Was haben meine Gründe mit der Geschichte zu tun, wenn ich gewillt bin, Ihnen irgend einen Preis für die Erledigung des Auftrags zu zahlen, den Sie verlangen?

Sie verweigern mir also jede Erklärung.

Ganz gewiß. Sie ist überhaupt nicht nötig. Der Mann, um den es sich handelt, ist der Schrecken der ganzen Gegend, in der er lebt. Eine Belohnung steht auf seinen Kopf, er ist vogelfrei, doch Sie wissen, wie solche Sachen im Westen erledigt werden. Der Bursche hat gute politische Verbindungen, er wird niemals gehängt werden. Man wird ihn wohl zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilen, aber dann bald wieder begnadigen. Und das will ich eben verhindern, ich will, daß er für immer beseitigt wird und – dafür will ich zahlen.

Wie heißt der Mann und wo treibt er sich herum?

Das kann ich Ihnen nicht sagen, bis wir handelseinig geworden sind.

Sie scheinen mir also möglichst wenig sagen zu wollen?

Wenn ich auch wenig sage, so zahle ich doch viel.

Ah, wieviel? In dieser Beziehung scheinen Sie gesprächiger zu sein. Wieviel offerieren Sie?

Fünfzigtausend Dollar bar, Mr. Sellers.

Wenn wir Erfolg haben, aber wenn es nicht gelingt?

Ihre Auslagen, Sir.

Ich begreife, und das ist alles, was Sie mir zu sagen haben?

Alles, bis wir zu einem Abschluß kommen.

Sie müssen sehr zwingende Gründe für die Beseitigung dieses Menschen haben.

Die habe ich allerdings. Also was ist Ihre Antwort?

Die werde ich Ihnen morgen abend geben, wenn Sie sich dann um dieselbe Zeit hier wieder einfinden wollen.

All right. Ich werde kommen.

Vorausgesetzt – –

Ah, Sie stellen eine Bedingung!

Gewiß.

Und welche?

Daß Sie mir zuerst den Namen und den Wohnsitz des Mannes nennen.

Sie bestehen darauf?

Sicher, ich verlange das als einen Beweis Ihres Vertrauens. Vergessen Sie nicht, daß ich nicht einmal Ihren Namen weiß.

Sie sind mir allerdings aufs höchste empfohlen worden, Mr. Sellers, als der einzige Mann für dieses Geschäft.

Der Detektiv verbeugte sich dankend.

Aber es wäre mir doch lieber, zuerst Ihre Antwort zu erhalten, fuhr Mr. Niemand hartnäckig fort.

Well, dann werden Sie dieselbe niemals bekommen, erwiderte Sellers kurz. Und so sind wir wohl nun mit unserer Unterredung jetzt zu Ende. Ich habe noch vieles andere heute abend zu erledigen, also – Sie entschuldigen mich.

Sellers machte ein Zeichen der Entlassung und erhob sich, um die Tür zu öffnen. Doch Mr. Niemand ging nicht.

Und wenn ich Ihnen jetzt den Namen und den Platz nenne, werden Sie mir morgen eine bestimmte Antwort geben?

Das habe ich Ihnen bereits wiederholt erklärt, also adieu!

Und Sie werden meine Eröffnung nicht mißbrauchen?

Alle meine Fälle werden streng vertraulich behandelt. Auf andere Weise läßt sich überhaupt in unserem Geschäft nicht arbeiten.

Well, der Mann, um den es sich handelt, ist unter dem Namen Kapitän Thunderbolt bekannt und er hat seinen Schlupfwinkel in den Big Horn-Bergen in Wyoming, in der Nähe des Städtchens Tensleep.

Sein wirklicher Name?

Das werde ich Ihnen morgen abend sagen.

Um jeden weiteren Einwand von seiten des Detektivs zu vermeiden, schritt der seltsame Besucher nun selbst nach der Tür.

Well, sagte Sellers, ihn begleitend, kommen Sie morgen abend wieder, ich denke schon, daß wir den Fall übernehmen.

Ich danke Ihnen, erwiderte der Fremde, offenbar befriedigt. Und wann würden Sie an die Ausführung gehen?

Sofort.

All right, Sir. Guten Abend.

Guten Abend, Mr. Niemand, erwiderte Sellers, mit einer höflichen Verbeugung die Tür öffnend und auf einen Klingelknopf drückend, worauf sofort an Stelle Scipios der junge Assistent Patsy mit dem Mantel und Hut des Fremden erschien, um beim Anziehen behilflich zu sein.

Mr. Niemand musterte ihn mit einem kurzen, scharfen Blicke, ließ sich dann aber schweigend helfen und entfernte sich mit einem leisen Danke. Als die Tür hinter ihm ins Schloß gefallen war, blickten sich die beiden Detektive mit einem Lächeln an und traten dann sofort in das Sprechzimmer.

Well, begann der junge Mann, nachdem sie sich gesetzt hatten, so etwas ist uns in unserer Praxis auch noch nicht vorgekommen! Eine seltsame Idee von dem Burschen, uns engagieren zu wollen, um einen Mord für ihn auszuführen. Warum haben Sie ihn nicht genötigt, seinen Namen zu nennen?

Weil ich dachte, den würdest du mir nennen können, mein Sohn, erwiderte Sellers wieder lächelnd.

Ich? klang es erstaunt zurück. Woher soll ich ihn wissen?

O, verstelle dich nur nicht, mein Lieber! Du müßtest nicht bei mir in die Schule gegangen sein, wenn du dich nicht darum gekümmert hättest!

Ich hatte allerdings Glück, wie gewöhnlich, gestand Patsy lächelnd zu. Der Stempel in seinem Hutfutter war noch ganz frisch.

Und welchen Eigentümer hatte der verräterische Hut?

Mr. J. Steel Grayball.

Seine Adresse?

Die fehlte allerdings, aber wird hoffentlich in irgend einem Adreßbuche zu finden sein.

Davon wollen wir uns gleich überzeugen.

Sie traten in einen Nebenraum, das Bibliothekzimmer, das eine vollständige Sammlung von Adreßbüchern aller nur einigermaßen bedeutenden Städte der Vereinigten Staaten enthält. Mr. J. Steel Grayball wurde sofort gefunden in dem Adreßbuch von New-York, wie nicht anders zu erwarten war. Sein Beruf war angegeben mit »Rechtsanwalt« und sein »Office« befand sich am unteren »Broadway«, der vornehmsten Geschäftsstraße New-Yorks.

Was beabsichtigen Sie in dem Falle zu tun? fragte Patsy.

Wenn er wieder kommt, werde ich ihn arretieren, erwiderte Sellers. Inzwischen können wir ihn morgen früh etwas beobachten. Wahrscheinlich ist ihm die Nachlaßregelung irgend eines reichen Mannes übertragen worden, und der, den wir beiseite bringen sollen, ist jedenfalls der Erbe.

Kapitän Thunderbolt? Haben Sie diesen Namen je gehört?

Nie. Thunderbolt – Donnerschlag – ist jedenfalls auch nicht sein wirklicher Name. Diese westlichen Banditen machen's gerade so wie die Schauspieler und europäischen Fürstlichkeiten, sie reisen gern inkognito.

Warum verhafteten Sie diesen Mr. Niemand, recte Grayball nicht heute abend schon?

Sehr einfach, weil ich bereits ahnte, daß ich niemand anders als einen solchen New-Yorker Winkeladvokaten vor mir hatte, der leicht aufgespürt werden kann, wenn man ihn braucht. Wenn ich ihn morgen arretiere, werde ich von ihm alles wissen, was ich wünsche, heute wäre er mir entschlüpft. Da wir jetzt nichts weiter vorhaben, kann sich jeder von uns für sich in Gedanken mit der Verfolgung dieses sogenannten Kapitäns Thunderbolt beschäftigen. Hahaha! Ah! Was noch? Sellers wandte sich nach der soeben von Scipio geöffneten Tür. Ist der Bursche von vorhin zurückgekommen?

Ein Telegramm, Sir! sagte der Schwarze. Antwort bezahlt. Der Bote wartet draußen.

Fred Sellers öffnete die Depesche rasch und las die folgenden Worte:

 

»Cheyenne, Wyoming, Mai 10. 19..

Detektiv Fred Sellers, New-York, Bowery: Können Sie sofort kommen. Wünsche Sie zur Verfolgung des Banditen Kapitän Thunderbolt. Antwort.

F. S. Lansing, Gouverneur.«

 

Als Sellers diese Worte laut gelesen hatte, starrte ihn sein junger Assistent einen Augenblick verwundert an, dann begann er hell aufzulachen. Ein komisches Zusammentreffen in der Tat! rief er.

Seltsam genug! erwiderte Sellers, überlegend vor sich hinblickend.

Gehen wir?

Selbstverständlich, mein Boy. Eine Aufforderung vom Gouverneur kann nicht zurückgewiesen werden.

Und Mr. Niemand?

Mag warten. Möglicherweise erledigen wir seinen Auftrag zugleich mit dem, der jetzt kommt, und er erreicht sein Ziel, ohne daß er einen Cent dafür auszugeben braucht.

Der Detektiv schrieb seine telegraphische Zusage an den Gouverneur, und der Bote wurde entlassen.

Früh am nächsten Morgen waren die beiden Detektive bereits unterwegs. Ihr Reiseziel war Cheyenne. Ihr Aufenthalt dort konnte, wenn Mr. Niemand ihnen die Wahrheit gesagt hatte, nicht von langer Dauer sein, denn ihr eigentlicher Bestimmungsort war in letzterem Falle das Städtchen Tensleep in den Big Horn-Bergen.

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