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8

Fünfhundert Meter unter mir blitzte das blaue Wasser auf, aber dieser Anblick war mir so entsetzlich, daß ich die Augen schloß. Es war mein erster Fallschirmabsprung, und ich fürchtete, daß es auch mein letzter sein würde.

Während ich mich im Fallen um mich drehte, zwang ich mich, langsam bis vier zu zählen, und dann zog ich an dem stählernen Ring. Es schien mir eine Ewigkeit zu dauern, bis der Seidenschirm, von dessen Funktionieren mein Leben abhing, sich öffnete.

Dann kam ein Ruck, den ich wie einen heftigen Schlag in das Kreuz empfand. Ich wurde umhergewirbelt wie das Ende einer geschwungenen Peitsche. Der Fallschirm hatte Luft gefaßt – ich schwebte hinunter.

Ein leichter Seewind trieb mich landeinwärts auf die weiße Brandungslinie im Osten des Hafens von Puerto Mexiko zu. Ich sah einige Patrouillenboote auf die Gegend zuschießen, in die der Wind mich treiben mußte. Eines von diesen war keine fünfzehn Meter von mir entfernt, als ich den Wasserspiegel berührte und mich von dem noch aufgeblasenen Fallschirm befreite.

Ich wurde mit einem Bootshaken an Bord gezogen und stand einem amerikanischen Matrosen gegenüber, der mir eine Pistole vor den Magen hielt und mir »Hände hoch!« zurief. Das Boot machte eine Linkswendung und nahm Binney auf, der keine hundert Meter neben mir niedergegangen war.

Wir versuchten Erklärungen abzugeben, aber es war ganz sinnlos. Der nervöse Matrose hatte etwas davon läuten gehört, daß feindliche Flugzeuge Spione abspringen ließen, und wollte nichts riskieren. Fünfzehn Minuten später wurde ich vor meinen Freund General Phelan Logan gebracht, den Marinekommandeur der Stadt, der mich sofort erkannte und meine Ankunft nach Vera Cruz und Washington meldete.

Mit noch nassen Kleidern und mit den beiden Koffern, die der an alles denkende Boyar nach uns mit Fallschirmen hatte abwerfen lassen, fuhren Binney und ich in einem großen Marineflugzeug nach Vera Cruz ab. Noch am gleichen Abend speisten wir mit Generalmajor McArthur, dem Befehlshaber der amerikanischen Expeditionstruppen, und General Mendoza, dem Führer der mexikanischen Bundesgenossen.

Auf meinem Teller lagen zwei Heeresradiogramme. Das erste war das folgende:

 

»GRATULIEREN ZUR GLUECKLICHEN RUECKKEHR STOP PRAESIDENT SMITH WUENSCHT SIE VOR DER MORGEN ABEND STATTFINDENDEN KABINETTSSITZUNG ZU SPRECHEN

HAND«

 

Diese Nachricht schmeichelte mir sehr, und voll Stolz reichte ich sie General McArthur. Ich kam mir sehr wichtig vor. Während er diese Depesche las, öffnete ich das zweite Radiogramm. Es lautete:

 

»HABEN SEIT ELF MONATEN KEINE SPESENRECHNUNGEN VON IHNEN BEKOMMEN STOP HONORARABTEILUNG BRAUCHT ALLE HOTELRECHNUNGEN UND TELEGRAMMQUITTUNGEN STOP BEILEGET BESTAETIGUNGEN FUER ALLE VALUTENEINWECHSLUNGEN

TRIBUNE
CHICAGO«

 

In dieser Nacht schliefen Binney und ich fest wie Säuglinge in dem großen Marine-Transportflugzeug, hoch über dem Wasser des Golfs von Mexiko; wir flogen in nordwestlicher Richtung über New Orleans nach Washington, wo wir am nächsten Tag zu vorgerückter Stunde auf dem Bolling Field landeten. Unrasiert und in unseren mittlerweile getrockneten, aber ganz zerdrückten Kleidern, wurden wir im Automobil zum Weißen Haus gebracht, und bald führte mich Charles Hand, der Sekretär des Präsidenten, in den Sitzungssaal.

Präsident Smith, der ein wenig grauer und etwas schwerer geworden war, begrüßte mich freundlich. Von den anderen Mitgliedern des Kabinetts kannte ich persönlich den Staatssekretär Conger Reynolds, den Generalanwalt Frank Comerford und die Landwirtschaftssekretärin Ruth Hanna McCormick.

»Floyd, erzählen Sie uns, was Sie von Karakhan wissen«, sagte Präsident Smith. »Was ist die Quelle seiner Macht, was ist das Geheimnis seiner wiederholten Erfolge? Wo liegt seine Stärke? Was ist sein Ziel? Worauf will er eigentlich hinaus?«

Während ich mich darauf vorbereitete, diese Fragen zu beantworten, herrschte Schweigen an dem langen Tisch. Ich erzählte, wie die »Chicago Tribune« mich im Jahre 1932 nach Moskau geschickt hatte. Wie ich Nachforschungen angestellt und Artikel geschrieben hatte über den Ursprung des Roten Napoleons, über seine Knabenzeit bei den Pferdehirten auf den Abhängen des Urals und seine Erlebnisse bei der alten kaiserlich russischen Armee.

Ich berichtete über seine Laufbahn während der Russischen Revolution; seine führende Stellung unter Stalin; wie er die Macht in Rußland an sich riß; über seine militärischen Vorbereitungen zur Expansion; seine Angriffe auf Polen und Rumänien; die Eroberung Zentraleuropas; den Einmarsch in Italien; die Vernichtung der französischen, englischen und belgischen Armeen in der dritten Marneschlacht; seine Mitwirkung bei der Englischen Revolution und die Besetzung der britischen Inseln; die unbarmherzige Anordnung zum Abschlachten von sechs Millionen Weißen in Australien; seine wissenschaftliche Organisierung aller Kräfte auf den Kontinenten Europa, Asien und Afrika; und schließlich über seinen Entschluß, die letzte große Macht zu besiegen und aus der ganzen Welt eine rote Sowjetfamilie unter seiner persönlichen Herrschaft zu machen.

Es war ein langer, häufig von Fragen unterbrochener Bericht, und als ich zu Ende gesprochen hatte, wurden mir von allen Seiten Fragen gestellt.

Staatssekretär Reynolds erkundigte sich nach der innerpolitischen Organisation der Roten Union und nach meiner Ansicht über die Festigkeit ihrer Struktur.

Schatzsekretär John J. Raskob fragte nach der Geldsituation in der Union.

Marinesekretär Maidland Davidson wollte über die Organisation der Roten Flotte informiert werden, über ihre Stützpunkte, ihr Offiziersmaterial und die Moral ihrer Mannschaften.

Handelssekretär William Eberhardt wollte etwas über die innere Verfassung der Industrie, die Produktionskraft der Fabriken und die Leistungsfähigkeit der Bahnen wissen.

Kriegssekretär Myron G. Wallace fragt nach der Organisation und Stärke der Roten Armee, der Taktik der gelben Truppen, nach Offiziersmaterial, Waffen, Ausrüstung, Artillerie, Tanks, Gas.

Der Sekretär des Inneren Peter Cuneo stellte Fragen nach der Verwertung der Bodenschätze – Kohle, Eisenerze, Nickel, Kupfer, Zinn, Petroleum, Mangan – in allen Ländern der Roten Union.

Die Verfassung der Bauern, die Leistungsfähigkeit der Güter, der Zustand der Viehherden, die Nahrungsmittelvorräte – das waren die Gegenstände, welche die Landwirtschaftssekretärin Frau McCormick interessierten.

Generalpostmeister Emory Olds wollte wissen, ob der Nachrichtendienst – Telephon- und Telegraphenlinien – unter der kommunistischen Leitung gut funktionierte.

Arbeitssekretär James Ryan befragte mich nach der Bezahlung, den Arbeitszeiten und den Wohnverhältnissen der kommunistischen Arbeiter.

Dieses Verhör dauerte mehr als vier Stunden, und die Luft im Zimmer war blau von Zigarren- und Zigarettenrauch. An Stelle eines Essens war uns Kaffee serviert worden, und infolge des ununterbrochenen Sprechens konnte ich schließlich nur noch flüstern.

Obgleich die Lage, der sich das Land gegenüber sah, sehr ernst war, mußte ich im Verlauf der Unterredung stets stärker empfinden, daß man sich über die Gefahren, die der Nation drohten, durchaus nicht ganz im klaren war. Ich hatte den Eindruck, daß ein Teil des Kabinetts meine Ansichten über die Macht Karakhans für gehörig übertrieben und ungerechtfertigt alarmierend hielt.

»Ist es nicht möglich, Mr. Gibbons«, fragte Kriegssekretär Wallace, mir in die Augen sehend und mit dem Finger auf mich weisend, »ist es nicht ganz einfach möglich, daß Ihr Zusammensein mit den Roten, Radikalen und Kommunisten Ihr Urteil getrübt hat? Ist es nicht möglich, daß Sie etwas von Ihrem Amerikanertum vergessen haben? Könnte es nicht sein, daß Sie, Sie selbst, unter die Herrschaft dieser, wie Sie sagen, furchtbaren Persönlichkeit und Willenskraft des Gelben Schreckens gekommen sind? Ich bin der Ansicht, daß viele der Artikel, die im letzten Jahr in der amerikanischen Presse erschienen sind, für die Propagandazwecke Karakhans geschrieben wurden. Er scheint Sie wie einen Kameraden, nahezu wie einen Vertrauensmann, behandelt zu haben, und Sie kommen direkt von ihm zu uns. Ich glaube, die größte Stärke des Gelben Schreckens ist der Gelbe Journalismus.«

Seine plumpen Anwürfe verletzten mich. Ich hatte mich einigen Gefahren ausgesetzt, lange und angestrengt gearbeitet, so gut beobachtet, wie es nur möglich war, und so klar berichtet, wie ich nur konnte. Ich war ebenso stolz auf mein Amerikanertum wie jeder andere Mann, der hier an diesem Tisch saß. Ich schluckte die bittere Antwort hinunter, die sich mir auf die Zunge drängte, und bemühte mich, Mr. Wallaces Insinuationen ruhig zu entgegnen.

»Herr Präsident, ich habe nicht drei Viertel des Erdumfanges zurückgelegt, bloß um Sekretär Wallace Angst einzujagen. Ich bin hier, weil ich Amerikaner bin, und weil ich glaube, daß meine Beobachtungen über die militärischen Angelegenheiten, die innere Politik und die Wirtschaft der Roten Union meinem Land von größtem Nutzen sein können.

Ich habe Hunderttausende von Toten auf den Schlachtfeldern Europas gesehen. Ich habe gesehen, wie in den Straßen der italienischen Städte Frauen und Kinder niedergesäbelt wurden. Ich habe die organisierte Schlächterei in London gesehen. Ich war der Zeuge unbeschreiblicher Schreckenstaten in den Heeren der Gelben Geißel.

Herr Präsident, ich habe dem Präsidenten der Republik Österreich ins Antlitz gesehen, als er hingerichtet wurde, und ich sah, wie die Mitglieder seines Kabinetts erschossen wurden. Sie müssen begreifen, daß der Mann, der uns jetzt mit der ganzen Wucht und Macht dreier Kontinente angreift, daß dieser Mann ein erhabenes Genie des Bösen ist, eine kalte, grausame, berechnende, gewaltige Kraft, die keinen Moralkodex, keine Skrupel, keine Prinzipien, keinen Gott kennt. Und dieser Mann, meine Herren, dieser Asiate, der uns haßt, wie nur Gelbe Weiße hassen können, sagte mir vor kaum einem Monat in London, daß er die Absicht habe, Amerika zu zermalmen.

Meine Herren, wenn Sie mir nicht glauben – wenn ich Sie nicht überzeugen kann, dann stehe uns Gott bei.«

Meine Kehle war heiser vom übermäßigen Sprechen und den zahllosen Zigaretten, ich war erschöpft von den langen See- und Luftreisen und der endlosen Diskussion mit dem Kabinett.

In dem Wartezimmer nebenan stolperte ich nahezu über Whit Dodge. So vieles war geschehen, so weit war ich gereist, daß ich eine Minute lang glaubte, meine Augen täuschten mich.

»Ich freue mich sehr, Sie zu sehen«, sagte ich, ihm die Hand drückend. »Wie sind Sie weggekommen? Wo ist Margot? Wie geht es ihr?«

»Das ist eine lange Geschichte, aber ich bin glücklich hergekommen«, antwortete Dodge. »Erinnern Sie sich noch an den Zettel, den ich in London in Ihr Necessaireköfferchen gelegt habe? Ich schrieb Ihnen, daß ich durchkommen würde, und es ist mir auch gelungen. Ich komme eben vom Nachrichtenbüro der Marine. Gratulieren Sie mir. Ich bin Leutnant in Onkel Sams Flotte.«

Dodge brachte Binney und mich in seine Wohnung im Mayflower Hotel, wo wir wieder auflebten, sobald wir gebadet und rasiert waren und saubere Pyjamas angezogen hatten. Dodge erzählte, wie er mit einem Agenten des amerikanischen Geheimdienstes geflohen war.

»Eine Weile hielt ich mich in London versteckt. Nachdem Sie abgereist waren, wurde eine Anzahl von Amerikanern erschossen; sie wurden wie Ratten von gelben Detachements gejagt und umgebracht oder in Konzentrationslager gesteckt.

In Irland war es am sichersten für uns. Die Roten halten das Land zwar besetzt, aber die Iren fügen sich ihnen ebensowenig wie seinerzeit den Engländern. Die alten Sinnfeiner machen wieder Kleinkrieg wie in den Tagen Micky Collins'.

Sie wissen doch noch, daß die Deutschen die Westküste Irlands im alten Krieg für ihre U-Boote benutzten? Nun, heute bieten die Iren den amerikanischen Unterseebooten die gleichen Schlupfwinkel. Mein Kamerad und ich gingen in Bantry Bay in der Nähe von Queenstown an Bord eines U-Bootes, und so konnte ich hierherkommen.

Ganz in der Nähe von Liverpool torpedierten wir den alten britischen Passagierdampfer Cedric, und unsere Offiziere und Mannschaften schworen, daß das der erste Erfolg der amerikanischen Marine im Krieg wäre.«

»Wo ist Margot?« fragte Speed. Ich sah, daß die beiden jungen Menschen einen Blick tauschten, in dem nicht viel Freundliches lag.

»Mit Lin in Irland«, antwortete Dodge. »Karakhan hat beide dorthin schaffen lassen und in einem Schloß an der Westküste untergebracht. Er will seine Frau nicht sehen, alle beide will er nicht sehen. Er will Lin unbedingt von London fernhalten.

Im Augenblick amüsiert er sich mit Lady Blaysden – Sie wissen ja, wer das ist. Eine Schmach für die weiße Rasse und eine Verräterin an ihrer Klasse. Dieser gelbe Teufel wird ebenso rasch mit ihr Schluß machen wie mit der kleinen österreichischen Gräfin in Wien und mit Madame Duprey in Paris.

Er ist jetzt ganz besessen von der Idee, von weißen Frauen Kinder zu kriegen – London und Paris werden voll von seinen halbgelben Bastarden sein. Alle seine Offiziere haben weiße Geliebte, von denen die meisten es aus freien Stücken sind.«

»Ich bin froh, daß Margot in Irland ist«, sagte ich. »Und ich hoffe, daß Karakhan sie nicht zu Gesicht bekommt.« Speed stieß einen Fluch aus und fragte dann Dodge in scharfem Ton:

»Warum haben Sie sie dort gelassen? Warum konnten Sie sie nicht im U-Boot hierherbringen?«

»Ich habe es versucht. Sie wollte nicht mitkommen«, antwortete Dodge. »Sie hat eine Pflicht übernommen, und die hält sie dort fest. Darüber kann nicht gesprochen werden.«

Während des Gezänks, das sich jetzt zwischen Speed und Whit erhob, schlief ich ein, aber am nächsten Morgen sprach Dodge noch einmal mit mir und sagte mir, auf welche Weise ich mich mit Margot in Verbindung setzen könnte. Sie selbst war auf die Idee gekommen, daß ich in meinen Radioberichten, die sie in Irland abhören konnte, einige Codemitteilungen an sie einschließen sollte.

Da sie seit langem daran gewöhnt war, mein Diktat aufzunehmen, würde sie meine Radioberichte mitstenographieren, das Schlüsselwort feststellen und die Geheimbotschaft dechiffrieren. Es war wirklich sehr einfach.

Dodge vertraute mir an, daß er wohl auf einem Unterseeboot Dienst tue, aber der Nachrichtenabteilung unterstehe und häufige Fahrten an die irische Küste zu machen haben werde, bei denen er sich auch mit Margot in Verbindung setzen könne.

»Sie ist eine tapfere kleine Engländerin«, sagte er stolz. »Sie dient der Sache der Weißen hinter den feindlichen Linien, obwohl sie genau weiß, was ihr bevorsteht, wenn sie erwischt wird.«

In diesem aufregenden Februar 1934 erlebte ich in Washington einen Schrecken nach dem anderen. Die Auswirkung des Krieges auf die Volkswirtschaft war viel größer, als ich erwartet hatte. Am meisten beunruhigte es mich jedoch, daß das amerikanische Volk die furchtbare Bedeutung des Unheils gar nicht erfaßte.

Infolge der überwältigenden Übermacht der Roten Flotte sowohl im Atlantischen wie im Stillen Ozean war die amerikanische Flagge von den Meeren verschwunden. Die größere Hälfte der amerikanischen Handelsmarine – zwanzigtausend Schiffe mit etwas mehr als fünfzehn Millionen Gesamttonnage – war teils in fremden Häfen beschlagnahmt, teils auf hoher See gekapert oder versenkt worden.

Die jähe Unterbrechung des gesamten amerikanischen Exports, der sich im Vorjahr auf die Summe von 5 000 000 000 Dollar belaufen hatte, brachte die Räder der amerikanischen Industrie zum Stillstand, während die Magazine der amerikanischen Häfen und Küstenstationen vollgestopft waren mit Maschinen, Metallwaren, Seide, Wolle, Papier, Baumwolle, Weizen und chemischen Produkten.

Die Unterbindung jedes Imports zog eine Knappheit an Zinn, Mangan, Gummi, Chinin, Kampfer, Pflanzenfetten, Tee, Kaffee und Holzölen nach sich. Die amerikanischen Hausfrauen begannen die Knappheit zu spüren, als die Lebensmittelrationierung eingeführt wurde.

Der Krieg machte augenblicklich alle amerikanischen Hoffnungen auf Bezahlung der alten Kriegsschulden zunichte, und neue Steuern und Anleihen sollten die ungeheuren Ausgaben decken. Dem Krach in der Wall Street, der viele Maklerfirmen und Kaufleute in den Bankrott stürzte, folgte im ganzen Land ein Sturm auf die Banken – eine wahre Panik – dem nur eine allgemeine Moratoriumserklärung der Regierung Einhalt bieten konnte.

Bei der Spezialsitzung des Kongresses, die Präsident Smith einberufen hatte, um den bereits existierenden Kriegszustand zu legalisieren, brachte das Kriegsministerium seinen bereits vorbereiteten Gesetzentwurf zur Dienstpflicht ein, der in beiden Häusern mit großer Majorität verabschiedet wurde. Die pazifistische Opposition, die freiwilligen Militärdienst vorschlug, wurde überstimmt.

Die Wahlmaschinerie des Landes wurde sofort zur Erfassung aller Männer zwischen achtzehn und fünfundvierzig Jahren verwendet. Die Zählung im ganzen Lande ergab 19 000 000 Männer, fünfzehn Prozent der Bevölkerung. Washington sandte Quoten an die einzelnen Staaten, und augenblicklich wurde die ERSTE MILLION von Präsident Smith unter die Fahnen gerufen.

Die Mobilisierungs- und Ausbildungsmaßnahmen des Kriegsministeriums begannen sofort unter der Führung der aktiven Offiziere, aber das Rückgrat, das Skelett und das Nervensystem der ERSTEN MILLION waren die 110 000 Mitglieder des Reserveoffizierkorps, die sich der rasch zusammengerufenen Einheiten in Siedlungen, Dörfern und Städten des ganzen Landes annahmen.

»Wir sind verflucht knapp mit unserer Ausrüstung«, erzählte mir ein Freund vom Heeresequipierungsamt. »Die Erhöhung der mobilisierten Miliz von 280 000 auf 300 000 Mann hat unsere Reservevorräte fast völlig verbraucht.

Wir lassen die Leute in Zivilanzügen mit Besenstielen exerzieren, weil wir nicht genug Uniformen und Gewehre haben. Es fehlt uns an Traktoren für die Feldartillerie und an Munition für das Scheibenschießen.

Unsere Organisation soll sich plötzlich auf das Zehn- bis Zwölffache ausdehnen – es ist genau so, als sollte Milch in dem gleichen Verhältnis verwässert werden.«

Die Kriegsindustrie des Landes war selbstverständlich der Situation weniger gewachsen als 1917 bei unserem Eintritt in den Weltkrieg. Damals hatte man schon lange Zeit vor unserer Teilnahme am Krieg für die Kriegsbedürfnisse der Alliierten gearbeitet.

»Die europäische und asiatische Industrie arbeitet mit Volldampf für die Heeresbedürfnisse«, sagte mir Jimmy Hodgins vom Handelsministerium. »Sie haben es selbst gesehen und wissen es am besten. Und hier sind alle Drehmaschinen darauf eingerichtet, Grammophonnadeln, Radiobestandteile, Ventilatorenzubehör und Manikürinstrumente zu erzeugen.«

Am furchtbarsten zeigte sich der Mangel an Ausrüstungsgegenständen in dem Vorrat an Gasmasken. Die Zivilbevölkerung wurde von Angst vor den letzten Kriegsmitteln gepackt – vor dem Gasbombardement aus der Luft.

Es gab in den Vereinigten Staaten nicht genug Gasmasken zur Ausrüstung der zum Militärdienst Einberufenen – geschweige denn für die ganze Zivilbevölkerung.

Es bedurfte keiner Anregung aus Washington, damit unternehmende Fabrikanten mit der eiligen Herstellung verschiedener, nicht normalisierter Typen sogenannter Gasmasken begannen, die zu Tausenden auf den Markt geworfen und von der erschrockenen Öffentlichkeit zu phantastisch hohen Preisen aufgekauft wurden.

Die Tatsache, daß diese ungeprüften Masken zum größten Teil völlig wertlos waren, führte später, als das Leben überall in den Vereinigten Staaten vom Gasschutz abhing, zu Tausenden von Todesfällen unter der Zivilbevölkerung.

Die Angst vor den Gas- und Luftangriffen lenkte das öffentliche Interesse auch auf die von innen drohenden Gefahren, und eine furchtbare Spionenphobie erfaßte das ganze Land. Es kam zu einem verheerenden Brand in New Yorks Chinesenstadt – in Chikagos schwarzem Gürtel wurde ein Negerpogrom veranstaltet, und in Kalifornien wurden drei japanische Farmer auf die schändlichste Weise geteert und gefedert.

Gorkus Marvey, der Präsident des Äthiopischen Ordens zur Schwarzen Feder, wurde in seinem Harlemer Hauptquartier verhaftet, bei welcher Gelegenheit eine Menge Flugschriften, die die amerikanischen Neger zu Revolten aufreizten, konfisziert wurden.

Razzien des Geheimdienstes in amerikanischen Kommunistenklubs brachten groß angelegte Sabotagepläne für die Industriegebiete an den Tag. Gedruckte Anweisungen zur Lahmlegung von Dynamomaschinen, zur Zerstörung von Wasserpumpen, zur Sprengung von Dampfkesseln und Zerstörung lebenswichtiger Verbindungszentren wurden beschlagnahmt.

Politisch zeigte die Nation eine geschlossene Front, aber jede Kabinettssitzung enthüllte neue Mängel. Zwischen dem Kriegs- und dem Marineministerium kam es zu einem Konflikt wegen der Priorität in der Belieferung mit Proviant und Material. Diese Konkurrenz, die statt Zusammenarbeit herrschte, führte zu Verzögerungen, Reibungen und Verschwendungen.

Die Hauptaufmerksamkeit galt jedoch den Nachrichten von der mexikanischen Front. Die hart bedrängten amerikanischen Linien auf dem Isthmus von Tehuantepec hielten stand. Kamkus an Zahl stets wachsende Truppen waren jetzt, alle Widerstände überwindend, an der pazifischen Küste nach Guatemala und Salvador vorgestoßen. Jeder neue Hafen, der im Westen den Roten in die Hände fiel, erleichterte es ihnen, weiter nach Süden vorzurücken. Es wurde klar, daß diese Südbewegung, ganz abgesehen von den Ergebnissen in Mexiko, schließlich Panama erreichen würde.

Einen schweren Schlag erlitt die Nation am 9. Februar, als das Truppenschiff City of Memphis, das zwei Regimenter von New Orleans nach Panama transportierte, bei der Fahrt durch die Yucatan Straße torpediert wurde und sank. 2700 amerikanische Soldaten kamen ums Leben. Die wenigen Geretteten wurden in der Nähe von Kap Catoche an der Spitze der Yucatanhalbinsel an Land gesetzt.

Statt die Überlebenden von Kap Catoche abzutransportieren, sandte das Kriegsministerium Verstärkungen dorthin und baute eine starke Stellung aus, welche die eine Seite der Yucatan Straße beherrschte. Auf den amerikanischen Kriegskarten wurde dieses Gebiet als »Dardanellen« bezeichnet.

Die Katastrophe der Memphis lenkte das öffentliche Interesse auf die maritime Situation, und bald wurde bekannt, daß Kingston auf Jamaika den roten Unterseebooten als Operationsbasis diente.

Diplomatische Komplikationen, die dem Ausbruch des Krieges folgten, hatten die Erledigung der Jamaikafrage verzögert. Die Negerbevölkerung der Insel, die unter der Führung von einigen tausend Chinesen und Ostindiern stand, hatte schließlich die Frage selbständig gelöst, indem sie den englischen Gouverneur und fünf Mitglieder seines Rates umbrachte und die Regierung in ihre Hände nahm. Daß dies alles mit Karakhans Plänen übereinstimmte, bewies die Tatsache, daß die Insel von den Roten als Unterseebootbasis benutzt wurde.

Die Hafenschutzanlagen in Kingston ließen einen Angriff vom Meer aus nicht zu, und zur Aussendung einer Expedition von Kuba hatte das Kriegsministerium nicht genug ausgebildete Truppen zur Verfügung. Es blieb also dabei, daß Jamaika, das eine Gefahr in unserer Flanke bildete und unsere Verbindungen mit dem Panamakanal bedrohte, zur Zeit nicht genommen werden konnte.

Die überlegene Rote Flotte, die ihre Stützpunkte in Bermuda und Trinidad hatte, bewachte scharf die atlantische Küste, was die amerikanische Flotte zwang, ihren Stützpunkt in Colon aufzugeben und sich in den Golf von Mexiko zurückzuziehen.

An der ganzen atlantischen Küste erhob sich ein Protestgeschrei, und man fragte wütend, warum die Flotte nicht in Boston, New York, Philadelphia oder Norfolk konzentriert worden sei.

Das hatte einen sehr einfachen Grund. Karakhan war nicht nur auf dem Meer, sondern auch in der Luft überlegen. Ein Luftangriff, ausgehend von längs der Küste postierten Flugzeugmutterschiffen, konnte jederzeit Flottenstützpunkte an der atlantischen Küste zerstören. Das Gebiet des Golfs von Mexiko verbot einen derartigen konzentrierten Angriff aus der Luft, und die Minenfelder, die jetzt die Yucatan- und die Floridastraße sperrten, machten einen Angriff von der Meeresoberfläche aus unmöglich.

Es blieb eine unleugbare Tatsache, daß Karakhan alle Gewässer der Erde unter seiner Herrschaft hatte. Der Atlantische und der Stille Ozean, die beiden Meere, die nach der Ansicht der Pazifisten als Verteidigung genügen sollten, waren zu roten Binnenseen geworden.

Amerikas erste Verteidigungslinie – die Flotte – war im Golf von Mexiko eingeschlossen, wie seinerzeit die deutsche Flotte in der Helgoländer Bucht.

Die zweite Verteidigungslinie der Nation waren die Küstenschutzanlagen, Forts, Küstenbahnen und Automobilstraßen, über die schwere Artillerie zum Entsatz bedrohter Punkte verschoben werden konnte.

Karakhan untersuchte diesen Verteidigungsring und legte seinen Finger auf den einzigen schwachen Punkt.

Mehr als ein Jahrhundert alte friedliche Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada hatten es möglich gemacht, daß diese beiden Staaten sich der längsten unbefestigten Grenze der Welt rühmen konnten. Kein Kriegsschiff patrouillierte auf den großen Seen; keine Forts standen einander an der amerikanisch-kanadischen Grenze gegenüber.

Stützpunkt der roten Flotte im Atlantic

Die darauf bezüglichen Vereinbarungen galten vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean. Diese Beweise freundschaftlicher Beziehungen lieferten Karakhan den Angriffspunkt für seinen nächsten Schlag.

Am Abend des 1. März 1934 wurde das amerikanische Unterseeboot V 29, das sechzig Kilometer vor Kap Flattery im Staate Washington patrouillierte, von japanischen Zerstörern, die als Schutzwand für eine Flotte japanischer Kreuzer, Schlachtschiffe, Flugzeugmutterschiffe, Transportdampfer und Tankschiffe fungierten, außer Gefecht gesetzt und gekapert.

In der Morgendämmerung des 2. März erschienen zwei ungeheure Flotten von Hydroplanen, Bomben- und Kampfflugzeugen in einer Höhe von dreitausend Metern über der Straße von Juan de Fuca, hundert Kilometer landeinwärts vom Stillen Ozean. Amerikanische und kanadische Kampfflugzeuge stiegen von den Flugfeldern in Victoria, Vancouver, Seattle und Bremerton auf und stellten den Feind, wurden jedoch überwältigt.

Die Bewohner von Victoria in Britisch Kolumbien wurden von ungeheuren Detonationen geweckt. Die Wolke der feindlichen Flugzeuge beschäftigte sich zuerst mit den Gebäuden des alten britischen Marinearsenals in Esquimalt und zerstörte diese völlig mit schweren Bomben. Fünf Minuten später flog das Munitionsdepot der Station in die Luft.

Die feindliche Luftflotte, der jetzt kein Widerstand mehr entgegengesetzt wurde, flog in östlicher Richtung über die Straße auf die amerikanischen Verteidigungsanlagen am Eingang des fünfundsechzig Kilometer entfernten Puget Sundes zu.

Die alten Dreißigzentimeter-Mörser von Fort Worden in Port Townsend und die aus vier Dreißigzentimeter-Geschützen bestehende Batterie wurden von der ersten Ladung von Tausendpfund-Bomben zerstört.

Fort Casey, neun Kilometer östlich von der gegenüberliegenden Küste des Admiralty Inlet, erlitt das gleiche Schicksal, und den noch älteren Dreißigzentimeter-Geschützen des Forts Flagler, acht Kilometer südlich von Port Townsend, erging es ebenso.

Die amerikanischen Bemannungen dieser Geschütze wurden abberufen – kein Schuß war abgefeuert worden. Alle Geschütze waren gegen Angriffe von der See gerichtet gewesen. Die amerikanisch-kanadischen Vereinbarungen gegen jede Verstärkung des Grenzschutzes hatten Umbauten zur Abwehr von Luftangriffen verhindert.

Die Luftabwehranlagen der drei alten Forts waren nicht imstande, die angreifenden Flugzeuge zu vertreiben. Die kleinen Neunzentimeter-Kanonen des Forts Whitman, weit im Norden auf einer Insel in der Mitte des Deception Pass, kamen überhaupt nicht in Betracht.

Unter dem Schutz des Morgennebels fuhr eine Kette dreißig roter Minensucher, die mit Abständen von dreiviertel Kilometern die ganze Breite der Juan de Fuca Straße einnahmen, langsam vom Stillen Ozean landeinwärts.

Als die rote Luftflotte die Häfen des Puget Sunds zerstört hatte, schlug sie einen westlichen Kurs ein, folgte der Linie der Milwaukee-Eisenbahn vom Port Townsend zu den Twin Rivers und Deep Creek und warf Bomben auf die Eisenbahn und die Automobilstraßen ab, die durch Sequin, Port Angeles und Piedmont führen.

Zwei amerikanische Feldartillerie-Regimenter und ein Zug Zwanzigzentimeter-Eisenbahnartillerie, die an der Bahnstrecke rasch in Stellung gingen, wurden zerstört.

So hatten Karakhans Luftgeschwader in der kurzen Spanne eines Märzvormittags ohne Unterstützung durch ein Flottenbombardement und ohne Mitarbeit von Landungstruppen ihre Kräfte mit solchem Erfolg konzentriert, daß aller amerikanische und kanadische Widerstand in der Luft überwältigt und alle weitreichenden Verteidigungsmittel zu Lande zerstört waren.

Die Wirkung dieser Nachrichten auf die Nation war furchtbar.

Am Tage des Angriffes waren Binney und ich in St. Louis bei seinem Vater, meinem Freund und alten Flugkameraden aus den Tagen des Weltkrieges, zu Besuch. Nach Ablauf einer Stunde waren wir im Flugzeug unterwegs zu der neuen Front im Nordwesten.

Die aufregenden Stunden des 2. und 3. März brachten Amerika mit einem Ruck die Erkenntnis seiner Lage. Obgleich unsere Flotte eingeschlossen war, obgleich unser kleines aktives Heer in Zentralamerika kämpfte, obgleich wir eine Million Mann in Ausbildungslagern hatten, klammerte das Land sich noch immer an die falsche Sicherheitsidee seiner völligen Isolierung. Seit 1812 war es keinem Feind gelungen, den Fuß auf amerikanischen Boden zu setzen. Diese Zeiten waren vorbei.

Wir landeten in Spokane, um Brennstoff einzunehmen. Keine Maschine war auf dem Flugfeld. Truppenzüge fuhren über die transkontinentale Strecke der Milwaukee-Eisenbahn. Spokane, die »Metropole des Binnenreiches«, war von einer Panik ergriffen, obwohl es durch das ganze Cascade Gebirge von der Front getrennt war. Wir ließen uns die letzten Neuigkeiten erzählen.

Minensucher hatten die Juan de Fuca Straße gesäubert, japanische Kreuzer und Truppenschiffe hatten die zerstörten Verteidigungsanlagen von Fort Worden und Fort Casey passiert und waren in den nach Seattle führenden Admiralty Inlet eingefahren. Hunderte von Petroleumtankschiffen, die die rote Flagge führten, waren im Washington Sund verankert, und die Oberfläche des Wassers schien von Tausenden roter Marineflugzeuge bedeckt zu sein.

Karakhans Fähigkeit, eine so enorme Streitmacht von einer etliche tausend Kilometer entfernten Basis aus in die Luft zu entsenden, überraschte Armee und Marine völlig. Das Geheimnis dieser Leistung lag darin, daß jedes der die rote Flotte begleitenden Schiffe sowohl Transportdampfer wie improvisiertes Flugzeugmutterschiff war. Diese überraschende Neuerung, die zum erstenmal in der Geschichte der Kriege durchgeführt wurde, war dadurch ermöglicht, daß Karakhan die Meere kontrollierte und dreiviertel der Handelsmarine der ganzen Welt in Händen hatte. Ruhige See und ein für Kap Flatterey ungewöhnlich gutes Wetter hatten das Ihre zu dem Erfolg der Operation beigetragen.

Die Führermaschine dieser rasch gesammelten Luftstreitkraft kam von dem aktiven japanischen Flottengeschwader, das von zwei Flugzeugmutterschiffen begleitet war.

Völlig gesichert gegen Angriffe aus der Luft und vom Meer, begann die Ausschiffung der Truppen. An der ganzen Ostküste des Sundes von Bellingham bis Everett wurden Landungen vorgenommen. Tausende von Infanteristen wurden in Port Angeles, Port Townsend und anderen Punkten an der Westküste ausgeschifft.

Der amerikanisch-kanadische Widerstand war heldenhaft, aber ergebnislos.

Die Männer und jungen Burschen der Ortschaften vereinigten sich, bewaffnet mit Jagdgewehren, mit den ankommenden Einheiten der Miliz, die den Feind mit Maschinengewehren und in fürchterlichen Nahkämpfen mit Bajonetten aufzuhalten suchten. Das tragische Geschehen war fast überall das gleiche. Jeder von den Verteidigern gehaltene Widerstandspunkt wurde zuerst von der Luft aus angegriffen, mit Bomben zugedeckt und dann von den gelben Horden gestürmt.

Von Traktoren in Stellung geschleppte amerikanische Feldgeschütze wurden zu Zielscheiben für Bombenflugzeuge und niedrig fliegende Kampfmaschinen. Die Mannschaften der beweglichen Flugzeugabwehrbatterien schwitzten und keuchten in ihren Gasmasken, während sie ihre Geschütze auf den nicht enden wollenden Strom roter Flugzeuge richteten.

Die Beherrschung der Luft durch die Roten in der Gegend des Puget Sunds war so vollständig, daß Binney und ich, als wir von Spokane in westlicher Richtung flogen, gezwungen wurden, einen Umweg nach dem Südwesten zu machen und südlich von Olympia zu landen. Wir kamen während eines furchtbaren Luftangriffs im Automobil nach Tacoma und fuhren bald darauf, wieder im Wagen, nach Seattle weiter, das in Flammen stehen sollte.

Tausende flüchtiger Zivilisten, die nach Süden zogen, verstopften die Straße. Lange Heeressäulen amerikanischer Infanterie marschierten in nördlicher Richtung. Ingenieure arbeiteten an der Ausbesserung zerstörter Eisenbahnstrecken und Brücken.

Freiwillige aus der Bevölkerung, darunter viele Mädchen und Frauen, bemühten sich, die bombardierten Straßen von den Trümmern zu befreien und den notwendigen Verkehr zu ermöglichen.

Jede Nachricht von der Front wußte von neuen Katastrophen zu erzählen. Binney raste.

»Zum Teufel, was taugt ein Pilot auf dem Erdboden«, rief er. »Ich muß schauen, daß ich zur Front komme und mich irgendwie nützlich machen kann. Wir sehen uns im Hauptquartier wieder, wo es auch sein wird. Jetzt sieht es allerdings so aus, als ob wir bis nach Kansas zurückgehen müßten.« Wir drückten uns die Hand, und er schloß sich einer Infanteriekolonne an.

Ich kam in die brennende Stadt Seattle gerade zur rechten Zeit, um mich umzudrehen und wieder hinauszugehen. Rote Flammen und schwarzer Rauch drangen aus den Fenstern eines weißen Wolkenkratzers, und während ich dieses Bild betrachtete, wurde das Gebäude in der Nähe des vierzigsten Stockwerks von einer Granate getroffen. Eine weiße Rauchwolke, umherfliegende Trümmer, und eine Ecke des Gebäudes stürzte in sich zusammen.

Die letzten Flüchtlinge waren in südlicher Richtung verschwunden. Aus dem Zentrum der Stadt kam der Lärm von leichtem Artillerie- und Maschinengewehrfeuer. Granaten heulten durch die Luft und explodierten in den südlichen Vorstädten.

Ein Junge, der ein Motorrad schob, stellte mir eine Frage, die mir sehr dumm vorkam; er wollte wissen, ob ich ihm etwas Benzin geben könnte. Als er meinen erstaunten Blick sah, zeigte er mit dem Finger auf die Reservoirs einer verlassenen Tankstelle, vor der ich stand.

»Nimm dir, was du brauchst, mein Junge, mir gehört es nicht. Warte, ich werde dir helfen«, sagte ich und nahm den Pumpengriff in die Hand, während er den Schlauch in den Benzintank seines Rades einführte.

»Ich kann es ja ruhig nehmen, bevor die Chinks es kriegen«, sagte er. »Sie haben schon alles, und aufhalten kann man sie doch nicht.«

So lernte ich Bobbie Pierson kennen, mit dem ich dann von Seattle nach Tacoma fuhr. Und von ihm hörte ich die jetzt berühmt gewordene Geschichte des entsetzlichen Lambert-Falles, die ganz Amerika in so furchtbare Aufregung versetzte.

Dieser zwölfjährige Knabe war der einzige Amerikaner, der aus der eroberten Stadt Everett entkam. Er war der Bruder der einundzwanzigjährigen Vivian Lambert, die vor zwei Jahren den ersten Preis in der Schönheitskonkurrenz der pazifischen Küste gewonnen hatte. Walter Lambert, ein Garagenbesitzer in Everett, war vor den Augen seiner Frau getötet worden. Bobbie war Zeuge des Mordes gewesen und erzählte mir alle Einzelheiten.

»Viv und Walt pflegten die Verwundeten seit der Ankunft der Chinks. Ich half ihr, und Doktor Kirkwood auch. Er operierte die verwundeten Soldaten. Sie lagen im zweiten und dritten Stockwerk des Garagengebäudes, und viele mußten draußen auf dem Bürgersteig bleiben.

Viv holte das ganze Verbandzeug aus Bartletts Apotheke, und als das alle war, zerrissen wir Leintücher und Bettzeug und alle möglichen Sachen. Viv hat auch für alle gekocht.

Unsere Soldaten waren sehr tapfer, aber ein paar von ihnen waren fürchterlich zugerichtet. Immer wieder starben welche, und die schafften wir auf den Hof hinaus.

Ununterbrochen beschossen die Schiffe, die in der Bai hinter der Indianerreservation lagen, die Stadt.

Das Warenhaus Goldberg brannte ab, und dann schlug eine riesengroße Granate in das Dach des Kasinotheaters ein, das über den Verwundeten zusammenstürzte; ungefähr hundert müssen dabei umgekommen sein.

Der Turm der Baptistenkirche wurde umgeschossen, und eine Granate legte den ganzen amerikanischen Legionssaal um. Die ganze Nacht warfen sie schwere Dinger auf den Bahnhof ab, bis er nur noch ein Trümmerhaufen war.

Alle anderen verzogen sich nach dem Süden, über die Eisenbahnstrecken und Straßen, aber es war nicht viel Platz, weil unsere Soldaten in Lastautomobilen heraufkamen und auf den Bahnstrecken marschierten.

Walter wollte, daß Viv mit den anderen nach dem Süden geht, aber sie sagte, sie will die Verwundeten nicht verlassen, und ich blieb bei ihr. Tag und Nacht hat sie gearbeitet.

Dann kamen die Chinks vom Norden in die Stadt. Es hat ausgesehen, als ob es mindestens eine Million wäre. Unsere Soldaten kämpften in den Straßen mit ihnen, und bald wurde so viel geschossen, daß wir nicht rausgehen konnten. Schließlich kamen die Chinks mit aufgepflanztem Bajonett in die Garage. Einer von ihren Offizieren schickte sie durch die Seitentür in Bergdolls Eisenwarengeschäft hinüber.

Die ganze Nacht wurde in der Stadt gekämpft, aber am nächsten Morgen hörte es auf, und die Chinks begannen durchzumarschieren. Den ganzen Tag und die ganze Nacht marschierten sie, und an dem Lärm konnten wir hören, daß weiter im Süden von der Stadt noch gekämpft wurde.

Sie ließen eine Wache von vierzig Chinks und einem Offizier in der Garage, und die Leute schliefen unten, aber der Offizier kam hinauf in Vivs Wohnung im obersten Stockwerk. Er war auch ein Chink, oder ein Jap. Wir mußten an einem Tisch mit ihm essen.

Viv weinte ununterbrochen nach Walt, und drei Tage später erzählte uns Mrs. Mehaffey, daß Walt drüben im Rangierbahnhof als Gefangener war, und daß die Chinks alle Amerikaner die Eisenbahn reparieren und die Straßen säubern ließen.

Gerade als ich weggehen wollte, um ihn zu suchen, kam Walt mit Jim Durkin und Mr. Rasmussin und dem alten Burton und noch zehn oder zwölf anderen unter Bewachung, und sie bekamen den Befehl, alle Verwundeten aus der Garage hinauszutragen und Platz für die verwundeten Chinks zu machen.

Ein Chinkoffizier in einem Automobil hielt gerade an, als Viv herunterkam. Viv sah, daß Walt ganz unrasiert war, und seine Kleider waren zerrissen, und auf dem Hemd hatte er Blut, das kam von den Verwundeten, die er getragen hatte, und Viv schrie auf und rannte auf ihn zu.

Der Chinkoffizier packte sie bei der Hand und riß sie zurück, und Walt ließ das Ende der Bahre los, die er trug, und sprang auf ihn zu. Der Offizier nahm seine Pistole raus und schoß ihn direkt an der Garagentür nieder.

Viv und ich rannten zu ihm. Jetzt war noch mehr Blut auf seinem Hemd, und es kam auch immer welches aus seinem Mund, und er suchte die ganze Zeit zu schlucken. Dann sackte er zusammen.

Viv rief ihm immer ins Ohr, daß er ihr etwas sagen sollte, und dann schrie sie auf und hob ihn hoch und machte sich ganz blutig auf ihrem neuen Kleid, und der Offizier nahm sie und hob sie auf. Dann mußten wir beide mit ihm ins Automobil steigen.

Er fuhr uns zu Carters großem Haus und sperrte sie im Schlafzimmer im ersten Stock ein, und als ich mit ihr hineingehen wollte, rief er mich zurück und sagte seinen Soldaten etwas auf chinesisch, und die nahmen mich dann und sperrten mich in der Dachkammer ein.

In der Nacht hörte ich Viv schreien, und in dem Zimmer unten waren alle möglichen Geräusche, und dann muß sie ans Fenster gelaufen sein, weil ich sie nämlich weinen hörte, und dann wurde es still.

Am nächsten Tag ließen die Soldaten mich heraus, und ich mußte in der Küche Kartoffeln schälen, und am Nachmittag ging ich auf die Wiese vor dem Haus, und da sah ich Viv am Fenster. Sie weinte.

Ich schlich mich hinauf und redete mit ihr durch die versperrte Tür, und sie sagte mir: ›Geh weg, wenn du kannst, Bobbie. Geh zurück zu den Unseren. Erzähl ihnen, was sie mit Walt gemacht haben, und was sie jetzt mit mir machen‹. Und ich sagte ihr, ich werde gehen und mit dem Gouverneur sprechen, und der wird den Rest der Miliz herbringen und die Chinks verjagen, und dann kam jemand über den Flur, und ich mußte gehen.

In der Nacht schlich ich mich dann hinaus und ging zu Petersons Farm hinaus und holte mir sein Motorrad aus der Scheune. Und seitdem bin ich ununterbrochen unterwegs.«

Von einer Eisenbahnstation im Süden von Tacoma telegraphierte ich Bobbie Piersons lebendige Schilderung Wort für Wort nach Chicago, von wo sie an die Zeitungen im Lande weitergegeben wurde. Sie erschien mit Photographien der Schönheitspreisträgerin. Die Empörung der Bevölkerung kannte keine Grenzen.

Speed Binney kam von der Seattle-Front zurück und stieß in Portland in Oregon zu mir, gerade als ich von Washington den Auftrag bekam, noch einmal einen genauen Bericht über diese Ausschreitung durch das Radio zu sprechen.

»Die ganz Gescheiten in Washington können es immer noch nicht ganz glauben«, knurrte Speed. »Das Propagandabüro glaubt, es ist genau so eine Lüge, wie seinerzeit die Geschichten von den Deutschen, die angeblich in Frankreich Kanadier gekreuzigt haben. Der Bericht hat einen fürchterlichen Stunk aufgerührt, und Washington will Sie verantwortlich machen, wenn sich herausstellt, daß es eine Lüge ist.«

Ich erzählte den Lambert-Fall zum zweitenmal, und da die Sendestation der Roten in London nach wie vor täglich ihre Propaganda machte, wurde zuversichtlich ein offizielles Dementi erwartet. Am folgenden Abend saß Binney mit mir vor dem Lautsprecher in unserem Zimmer, als der rote Ansager am Londoner Mikrophon folgende Erklärung abgab:

»Der Lambert-Zwischenfall ist so, wie er in Amerika durch Zeitungen und Radio publik gemacht wurde, abgesehen von einigen sentimentalen Variationen, im wesentlichen richtig. General Krassin, der Befehlshaber der roten Truppen am Puget-Sund, hat darüber berichtet.

Der amerikanische Garagenbesitzer Walter Lambert wurde von Oberst Harvey Wu, dem Kommandeur des 248. Sanitätsbataillons der Nordpazifischen Expeditionstruppen, erschossen. Lambert versuchte als Gefangener den Offizier zu schlagen.

Oberst Wu entstammt einer der ältesten Familien Chinas. Jetzt ist er zwar nicht Christ, aber er wurde seinerzeit in China getauft und erhielt bei dieser Gelegenheit den Namen des weißen Gelehrten, der die Blutzirkulation entdeckte. Oberst Wu hat in Oxford promoviert und gehört dem Londoner Ärzte- und Chirurgen-College an. Er ist überaus gebildet und intelligent, er ist ein anerkannter Gelehrter und hat als Offizier eine gute Conduite.

Oberst Wu und Mrs. Lambert haben heute nachmittag vor den Militärbehörden in Everett, Washington, geheiratet. Dem jungen Ehepaar wurden die Glückwünsche des roten Oberkommandos übermittelt, dem die Heirat durchaus genehm ist.

Die Eheschließung Dr. Wus und Mrs. Lamberts ist eine glückliche und durchaus herkömmliche Beendigung eines Zwischenfalls, der in Kriegszeiten weder ungewöhnlich noch absonderlich ist.

Jahrhundertelang haben weiße Männer von den schwarzen, gelben, roten und braunen Rassen, die sie besiegt haben, Frauen genommen.

Amerikanische Männer, sowohl Zivilisten wie Soldaten, haben sich in den Besitz der Frauen von amerikanischen Negern und amerikanischen Indianern zu setzen gewußt. Die heute in den Vereinigten Staaten existierende Anzahl von Halb- und Viertelbluten, von Mulatten und Oktoronen bestätigt diese Tatsache.

In den Philippinen gibt es heute Tausende amerikanischer Mestizen, welche diesen ungesetzlichen Vereinigungen zwischen den Soldaten der im Jahre 1900 einrückenden Armee und Marine mit den philippinischen Frauen der diese Insel bewohnenden Chinesen, Moros, Polynesier und Neger entsprossen sind. Sowohl Europa wie Asien sind voll eurasischer Mischlinge, die die Kinder gelber Mütter und weißer Väter sind.

Die Vermischung verschiedenfarbiger Rassen hat in Amerika viele Präzedenzfälle. Auch in Europa ist sie nichts Neues. Der Einschlag dunkleren Blutes in Spanien stammt von den Männern erobernder Rassen.

Spanien stand nach seiner Eroberung und Besetzung durch die Mauren auf dem höchsten Punkt seiner Entwicklung. Das farbige Blut der Eroberer hatte seinen Einfluß gezeigt.

Die Paneurasische Union kämpft für Rassen- und Blutgleichheit auf der ganzen Erde.

Der unvermeidliche Sieg der Roten in dem augenblicklichen Kampf mit den Vereinigten Staaten wird alle Rassen- und Farbenvorurteile für immer vernichten, so wie die Kriege der Vergangenheit bereits religiöse und nationale Vorurteile zum Verschwinden gebracht haben.

Heiden und Christen töteten einander einst zu Tausenden, und Katholiken und Protestanten taten das gleiche. Das Resultat aller dieser Kämpfe war sehr gut. Religiöse Intoleranz verschwand aus der Welt.

Und nach den Religionskriegen kamen die Nationalitätenkriege, in denen die ebenso törichten Vorurteile der Nationen gegeneinander nur in furchtbaren Jahrhunderten der Kämpfe und des Mordens aus der Welt geschafft werden konnten.

Religiöse, nationalistische, Rassen- und Farbenvorurteile existieren in der Roten Union nicht, in der Männer, Frauen und Kinder aller Farben, aller Rassen, aller Nationalitäten und aller Religionen auf den drei Kontinenten Europa, Afrika und Asien Brüder sind.

Die unwissenden Massen der Vereinigten Staaten, die von ihren kapitalistischen Beherrschern irregeführt und aufgehetzt sind, bilden heute das letzte Bollwerk der Rassenreinheit, die letzte Festung des arischen Mythos.

Die Bevölkerung der Paneurasischen Union, die eineinhalb Billionen weiße, gelbe, rote, braune und schwarze Menschen zählt, kämpft, um die letzte Ungleichheit zum Verschwinden zu bringen, die dem Weltfrieden im Weg steht. Unsere Feinde repräsentieren die Mächte in blindem Rassenvorurteil verstrickter Unwissenheit und Intoleranz.

Wir erkennen nur eine Rasse an – die Menschenrasse.«

Amerika hörte entsetzt zu.

Und Speed Binney, der gespannt und erschüttert vor dem Lautsprecher saß, sprach den Gedanken aus, den alle amerikanischen Zuhörer in dieser Minute im Herzen hatten.

»Karakhan – dieser glatte, gelbe Teufel – wenn ich ihm nur den Hals umdrehen könnte, diesem – diesem –«

Speeds Gefühle waren zu stark, um in Flüchen abreagiert werden zu können. Er würgte und hörte auf zu sprechen. Plötzlich packte er mich am Arm, mit einem Griff, der weh tat.

»Margot –! Herrgott, sie ist da drüben mitten unter diesen Schweinen!«


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