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Am 18. Februar 1932 wurde Benito Mussolini durch eine Flugzeugbombe getötet, die inmitten des Hauptquartiers der italienischen Armee in Udine niederging.

Es war am dritten Morgen nach dem Einsetzen der furchtbaren roten Generaloffensive gegen Italien, die von Karakhan persönlich geleitet wurde.

Bestürzung und Schrecken griffen in Italien um sich. Amerika und Westeuropa, die schon seit geraumer Zeit Besorgnisse um Italiens Zukunft nach dem Tod seines starken Führers hegten, standen jetzt der lange gefürchteten Tatsache gegenüber.

Radikale und antifascistische Organisationen, die von dem Diktator unterdrückt und verfolgt worden waren, machten sich jetzt unter der Führung seiner zahlreichen Feinde breit. Die fascistischen Heere kämpften verzweifelt und suchten sich dem Druck entgegenzustemmen, den die Roten von Innsbruck, Lienz und Klagenfurt in südlicher, und von Agram in westlicher Richtung ausübten.

Persönlicher Haß und Rachegeist stachelte die österreichischen und slowenischen Divisionen auf, die sich unter dem Kommando gelber Generäle einen Weg über die Halbinsel Istrien bahnten. Die erste Stadt, die der Herrschaft der Italiener entrissen wurde, war Fiume. Als nächste fühlte Triest die Faust des Eroberers, und als die rote Flut sich durch das Isonzotal wälzte, fiel die wichtige Stadt Görz.

In einem von Speed Binney gesteuerten Flugzeug beobachteten Oberst Boyar und ich die zehnstündige Wolkenschlacht zwischen den massierten Luftflotten.

Zwei Tage vor seinem Tod sah Mussolini, der in dieser Schlacht seine Luftstreitkräfte selbst dirigierte, seine Kampfstaffeln abgeschossen, zerstreut und vernichtet, und erkannte, daß die Überlegenheit in der Luft endgültig bei seinem Feind war.

Auch Karakhan führte seine Kriegsvögel an diesem Tag von der Luft aus.

In Mailand wurden fünfzehn italienische Kommunisten auf der Piazza Duomo von fascistischen Gendarmen exekutiert. Aber trotz derartigen strengen Maßnahmen gelang es nicht, den Überfällen auf Truppentransporte, den Zerstörungen von Strecken und Brücken und allgemeinen Sabotageakten in der Etappe Einhalt zu tun.

Revolution und politische Streitigkeiten im Rücken, brach das italienische Heer an der Nordfront zusammen, und das Debacle begann.

Wütende Aufstände in Florenz trugen am 28. Februar das ihre dazu bei, daß die von General Martino geführten Verteidiger der Stadt sich ergeben mußten.

Die Straße nach Rom war offen. Acht Tage später, am 6. März, fiel die ewige Stadt, ohne daß die Regierungstruppen auch nur einen einzigen Schuß abgegeben hätten.

Auf einer Steinbalustrade am Tiberufer beobachteten Boyar, Binney und ich den kurzen, aber entsetzlichen Kampf auf der Piazza San Pietro, in dem die treuen Verteidiger des Vatikans, Schweizer, Franzosen und päpstliche Garden, unter Cellinis schöner Säulenkolonnade an den Toren des heiligen Palastes fielen.

Die strenge Disziplin der Roten rettete die Kunstschätze des Vatikans vor der Plünderung. Aber das Schicksal des Papstes hing an einem Faden.

Karakhans Entschluß, Pius XI. nicht hinzurichten, wurde von den Katholiken als Wunder ausgelegt, als Erhörung der unzähligen Gebete, die um die Sicherheit des Pontifex Maximus emporgestiegen waren.

»Dieser Beschluß hat nichts mit Sentimentalität zu tun«, erklärte Boyar gefühllos. »Wenn Karakhan den Papst töten ließe, würde das heilige Kardinalskolleg sich irgendwo anders versammeln und ein neues Kirchenhaupt wählen. Solange Karakhan den Papst gefangen hält, behalten wir die Kontrolle über den Papststuhl.«

»Warum soll er gefangen gehalten werden?« fragte ich.

»Warum nicht!« war Boyars Antwort. »Andere Päpste sind auch schon gefangen gehalten worden – die Italiener haben das ein halbes Jahrhundert hindurch getan. Gefangenschaft ist für das Haupt der katholischen Kirche nichts neues. Bis 1929 war der Papst fünfzig Jahre freiwilliger Gefangener im Vatikan.«

Vor der Besetzung Roms war König Viktor Emanuel III. mit der königlichen Familie in Neapel an Bord des Panzerkreuzers Trento gegangen und nach Lissabon geflohen. Karakhan besetzte den Quirinal, wo Boyar auch für Binney und mich Quartier machte.

Eine Woche lang, in welcher die heilige Stadt Tag und Nacht von den wilden Feiern, dem Singen und Tanzen der siegreichen roten Truppen in den Straßen widerhallte, sandte ich täglich Berichte über die Hinrichtungen zahlreicher vornehmer Italiener des alten Regimes nach Amerika und schilderte die peinliche Situation der amerikanischen Touristen und Studenten, die Italien über die verstopften Häfen Brindisi, Neapel und Genua zu verlassen suchten.

Die Sorgen und Befürchtungen dieser Amerikaner, unter denen viele Frauen waren, ließen Binney und mich mit Angst an Margot Denison denken, deren Lage in Wien durch die heimliche Anwesenheit von Karakhans Frau in den Räumen der Tribune sehr erschwert war.

Die Tatsache, daß Whit Dodge gleichfalls in Wien geblieben war, bereitete Speed Binney, der zweimal um die Erlaubnis gebeten hatte, Margot von Wien nach Rom zu holen, auch nicht gerade ein besonderes Vergnügen. Wie gewöhnlich, tröstete uns Boyar lächelnd.

»Eine Intrigue lastet schwer auf euch harmlosen Abendländern«, verkündete er beim Mittagessen. »Habt ihr vergessen, daß ihr Weiße in eurer Reinheit den heidnischen Asiaten das Monopol auf dunkle Wege zuerkannt habt? Karakhan wußte von Anfang an, daß seine Frau sich bei Ihrer Sekretärin in Wien versteckt hat.«

Binney und ich tauschten überraschte Blicke.

»Ein Nachrichtendienst ist das erste Erfordernis aller erfolgreichen Befehlshaber«, sprach Boyar weiter. »Aber machen Sie sich keine Sorgen mehr. Sie werden Frau Karakhan und Margot morgen sehen. Die beiden sind zusammen und werden uns erwarten. Wir brechen um drei Uhr mit Karakhans Stabsgeschwader nach dem Norden auf. Halten Sie sich bereit.«

Unser Kurs folgte der Küstenlinie nördlich des Golfs von Livorno. Als wir über die Insel Elba flogen, dachten wir an einen anderen Eroberer, für dessen Willen die Grenzen dieser Insel zu klein gewesen waren.

»Es ist bald zehn Wochen her, daß Karakhans Heere die Grenzen Polens und Rumäniens überschritten haben«, bemerkte Boyar, »und im Verlauf dieser Zeit haben Sie mehr Krieg gesehen, als Bonaparte in einem ganzen Jahr geschafft hat. Sehen Sie einmal hier auf die Karte«, sagte er. »Jetzt, wo unsere Heere sowohl in Deutschland wie in Italien stehen, können Sie eine gerade Nordsüdlinie von Genua am Mittelmeer nach Wilhelmshaven an der Nordsee ziehen.

Alles, was östlich von dieser Linie liegt, bis zum Stillen Ozean, ist rot.

Unsere Feinde stehen noch im Westen. Sie haben den Erfolg der Truppen Karakhans in ganz Zentraleuropa und einem Teil Westeuropas gesehen. Es hat einigen Widerstand gegeben, aber überall sind uns die politischen Zwistigkeiten in den Reihen unserer Feinde zu Hilfe gekommen. Jetzt werden wir unsere Kraft mit einer Front der Alliierten messen, die siegreich aus dem Weltkrieg hervorgegangen sind.

Während die roten Streitkräfte in Italien die französisch-italienische Grenze bedrohen, werden wir die größte Schlacht des Krieges sehen, und wahrscheinlich den Kampf, der über das Schicksal der alten Welt entscheiden wird.«

Wir überflogen in der ersten Morgendämmerung Genua, ließen das Mittelmeer hinter uns und flogen über der breiten Mailänder Automobilstraße ins Innere. Zu unserer Linken stiegen die Seealpen majestätisch empor. Vor uns tauchten die schneebedeckten Gipfel wie eine unübersteigbare Mauer auf. Hoch über den Alpen weckte mich Boyar in dieser Nacht auf, um mir zu sagen:

»Es ist noch gar nicht lange her, daß der andere Napoleon diese Mauer aus Stein und Eis überstiegen hat. Er hat es in südlicher Richtung getan. Unser Onkelchen überfliegt sie heute, ohne einen Gedanken daran zu wenden. Wahrscheinlich schläft er dort vorn in der Kajüte seines Flugzeugs. Was sind die Alpen vor einem Willen?«

Wir überflogen die Schweiz und landeten in Friedrichshafen am Bodensee, wo unsere Flugzeuge mit der Hilfe von einigen hundert Mechanikern der Zeppelinwerke tankten – vor den Hallen, von denen der Graf Zeppelin im Jahre 1928 zu seinem ersten transatlantischen Flug aufgebrochen war. Wir setzten unseren Flug über Württemberg fort, überflogen Stuttgart in der Dunkelheit und landeten noch vor der Dämmerung in Frankfurt am Main.

Während der Fahrt informierte mich Boyar über den letzten Bericht des Generalstabs über die roten Truppen und ihre Linien in Deutschland, und über die Stärke und Aufteilung der gegnerischen Heere.

»Die russisch-sibirischen Armeen im Verein mit den chinesischen, japanischen, türkischen und ostindischen Korps und den reorganisierten Divisionen der Polen, Ungarn, Bulgaren, Österreicher und Serben ergeben eine Totalsumme von 1 300 000 Mann an der Kampffront in Westeuropa. In dieser Zahl sind das gesamte alte stehende Heer Deutschlands mit 100 000 Mann und die 125 000 Mann starke Sicherheitspolizei eingerechnet, die jetzt an der Rheinlinie stehen.«

»Wie hoch schätzen Sie die Stärke der gegnerischen Kräfte ein?« fragte ich.

»Die belgische Armee schätzen wir auf 150 000 Mann.

Die englischen Truppen in Frankreich haben ungefähr 300 000 Mann. Zwei Drittel davon sind über den Kanal aus England gekommen, der Rest aus Nordafrika.

Die französischen Truppen in Nordfrankreich schätzen wir auf ungefähr 900 000. Außerdem müssen Truppen an der italienischen Grenze eingesetzt werden.

Meiner Schätzung nach stehen den 1 300 000 Mann Karakhans französische, englische und belgische Truppen in einer Stärke von etwa 1 350 000 gegenüber.

Ich glaube, ihr Amerikaner werdet diesmal euren Alliierten an der Westfront fehlen. Ihr Land wird England und Frankreich diesmal nicht im Kampf beistehen, Gibbons, weil ihr auf unserer Seite seid.«

»Seit wann?« fragte ich.

»Seitdem der Kongreß der Vereinigten Staaten die Burton-Resolution angenommen hat. Die Rolle, die Amerika in dem bevorstehenden Kampf spielen wird, mag vielleicht passiv sein, aber sie ist ein sehr wichtiger, vielleicht der entscheidende Faktor.«

Boyar sah mir meine Ungläubigkeit an, und deshalb beeilte ich mich zu sagen:

»Wenn Sie recht haben, dann ist das eine aufregende Geschichte für meine Leser. Wie wollen Sie es erklären?«

»Sie waren so eifrig damit beschäftigt, über den Krieg in Europa zu schreiben, daß Sie gar nicht beobachtet haben, was bei Ihnen zu Hause vorgeht. Seit dem Ausbruch des Krieges ist Amerika von Kriegsekel gepackt. Dazu haben übrigens Ihre Berichte nicht wenig beigetragen. Es ist dasselbe Gefühl, das sich schon beim Ausbruch des Weltkrieges in Ihrem Land gezeigt hat.

Sie werden sich darauf besinnen, daß Ihr ausgezeichneter Staatsbürger Alfred E. Smith wohl den Präsidenten Hoover bei der Wahl im Jahr 1932 schlug, als die Republikaner wegen Ihrer absonderlichen Prohibition sich zersplitterten, daß er sich aber dann in die Notwendigkeit versetzt sah, mit einer republikanischen Mehrheit im Kongreß zu regieren. Die Burton Bill, die von den pazifistischen Gesellschaften unterstützt wurde, ging mit Hilfe Tausender von Telegrammen, die von den Mitgliedern dieser Gesellschaften kamen, gegen das Veto des Präsidenten im Kongreß durch.

Sie verbietet die Lieferung amerikanischer Waffen und Munition an kriegführende Völker. Frankreich und England haben den Fehler gemacht, sich auch diesmal, wie im letzten Krieg, darauf zu verlassen, daß die amerikanische Industrie ihnen aus den Schwierigkeiten heraushelfen wird. Zum Glück für Karakhan steht Amerikas Industriemacht nicht wie damals hinter Frankreich und England. Nicht eine amerikanische Granate, nicht ein Geschütz ist aus den Vereinigten Staaten ausgeführt worden.

Unsere Kriegsindustrie aber arbeitet mit voller Kraft. Die versteckten Munitions- und Waffenvorräte Deutschlands und die Erzeugnisse aller deutschen Fabriken sind in unseren Händen. Vom Stillen Ozean bis zur französisch-italienischen und zur deutsch-französischen Grenze arbeitet jetzt jedes Rad, das sich dreht, für uns.

Deshalb sagte ich, daß die Burton Bill die Vereinigten Staaten endgültig zum Verbündeten Karakhans macht.«

Dieser Satz leitete den ersten Bericht ein, den ich noch am gleichen Morgen über den Beginn des großen Vormarsches abschickte. Wir waren in Karakhans Hauptquartier in Frankfurt, wo wir Lin und Margot im größten Appartement des Hotels Kaiserhof vorfanden.

Viele Strategiker haben versucht, eine technische Analyse der fünftägigen Vorbereitungskämpfe anzustellen, in denen Karakhan seine mächtigen Gegner in die Stellung zwang, in der er ihnen den entscheidenden Schlag versetzen wollte.

In Paris, London, Washington und allen Hauptstädten Südamerikas saßen verblüffte Generalstabsoffiziere über Kriegskarten gebeugt und konnten die Vorwärtsbewegung der roten Truppen in Nordostfrankreich nicht fassen.

Die stärksten Erinnerungen, die mir von den fünf unwirklichen Tagen und Nächten geblieben sind, in denen Binney, Boyar und ich viele Hunderte von Kilometern flogen, um alle Kampfstellen kennenzulernen, sind folgende:

Ein einarmiger Bursche von den wallisischen Füsilieren, der vor dem Palasthotel in Brüssel wahnsinnig durch die Scharen chinesischer Infanteristen taumelte.

Die Leiche eines graubärtigen belgischen Bauern, die an der Straße südlich von Namur über einem grünweißen Holzzaun hing.

Ein sinnlos betrunkenes weißes Mädchen, das bei einem schwarzbärtigen Kosaken im Sattel saß.

Ein blinder französischer Poilu, der sich mit dem Stock über eine Wiese tastete.

Seinen ersten Luftangriff richtete Karakhan gegen die schwächeren Kräfte der Engländer und Belgier. Er zog vom linken Flügel alle Luftstreitkräfte ab und vereinigte seine gesamten Lufttruppen zu einer gewaltigen, beweglichen Einheit in der nördlichen Flanke, die er gegen den schwächsten Punkt der Alliierten einsetzte.

Dieses Manöver überraschte die französischen Luftstreitkräfte, die sich auf eine gewaltige Defensivanstrengung über ihren eigenen Stellungen vorbereitet hatten.

Karakhans Zentrum schob sich durch Luxemburg vor, und trotz fürchterlichen Verlusten, die ihnen durch die französische leichte Artillerie und Gasbeschießungen zugefügt wurden, sprangen seine frischen asiatischen Divisionen vor, bis das Zentrum des Vormarsches sich auf Sedan und Metz stützte.

Dann überquerte das Zentrum in unterbrochenen Kämpfen, die auch nachts nicht aussetzten, die Meuse und stieß westlich von Verdun in die Argonnen vor.

Südlich von Verdun fielen Nancy und Toule, und die roten Truppen rückten auf Bar le Duc vor. Hinter Verdun schlossen die roten Linien sich bei Sainte Menhould.

Ortschaften, deren Namen aus den Kämpfen des Weltkriegs bekannt sind, fielen täglich in die Hände der Roten – Montefaucon, Grand Pré, St. Mihiel.

Marschall Pétain leistete mit der Blüte der französischen Armee letzten Widerstand in einer Linie, die sich von St. Quentin in südöstlicher Richtung über Reims, Châlons sur Marne, St. Dizier, Chaumont, Langres und Dijon hinzog.

Während dieser Kämpfe machte Karakhan plötzlich einen Ablenkungsangriff an der französisch-italienischen Grenze, und die französischen Divisionen, die zur Verstärkung von Pétains Stellung nach dem Norden verschoben werden sollten, mußten unter dem Befehl des Generals Lamont im Südwesten bei Annecy zurückbleiben.

So standen die Dinge am Morgen des 21. März, als der fürchterliche Kampf einsetzte, der von der Geschichte unter dem Namen der dritten Marneschlacht verzeichnet wird. Es war genau der fünfzehnte Jahrestag der großen deutschen Frühjahrsoffensive von 1918.

Wieder kämpften die alliierten Befehlshaber mit dem gleichen Hindernis wie damals. Eifersucht und Argwohn verhinderten, daß das Kommando in einer Hand vereinigt wurde.

Feldmarschall Sir Edward Wilkins, der die britischen Streitkräfte am linken Flügel kommandierte, kann einen Teil der Schuld für seine furchtbare Niederlage bei St. Quentin darauf zurückführen, daß er nicht imstande war, mit Pétain, der den Befehl im Zentrum hatte, zusammen zu arbeiten.

General Sanger, der belgische Oberstkommandierende, war weder mit Pétain noch mit Wilkins über die Verteilung der alliierten Kräfte einig. Alles bewies, daß man die Lehren aus dem »alten Kriege« völlig vergessen hatte.

Und diesmal war kein Pershing da, der die Einigung erzwungen hätte.

Der alliierte Verteidigungsplan war um nichts besser als die blinde Theorie des Abwartens, die in den letzten drei Jahren des Weltkrieges geherrscht hatte, während Karakhans Strategie nur Bewegung, Elastizität und rücksichtsloser Angriff war.

Sein Vormarsch war eine Flut – eine rastlos, unaufhaltsam sich vorwälzende Woge. Die Elastizität seiner Truppen sicherte ihm die stetige Zufuhr neuer Divisionen aus dem Hinterland.

Am ersten der fünf Tage, die die Schlacht währte, hatte er 70 000 Mann Verluste, am letzten nur noch 40 000. Die französischen Verluste, die am Eröffnungstag nur 20 000 Mann betragen hatten, erreichten in den letzten vierundzwanzig Stunden der Schlacht die gewaltige Ziffer von 100 000.

Reims fiel – und zum zweitenmal lagen die Mauern seiner Kathedrale in Trümmern.

Auf den gleichen Wegen wie die Deutschen am 28. Mai 1918 stürzten die gelben Horden sich über die Aisne, die Vesle, die Ourq und die Marne.

Zum zweitenmal wurde die Brücke von Château Thierry in die Luft gesprengt. Die französische Armee war zusammengebrochen, die roten Truppen bewegten sich im Marnetal westwärts.

Am 3. April wurde Paris besetzt.

Karakhans Sieg über die vereinigten französischen, englischen und belgischen Heere rang der Welt noch mehr Bewunderung für sein militärisches Genie ab, als seine Siege in Zentraleuropa und sein Einmarsch in Italien.

Die dritte Marneschlacht trug ihm den Namen ein, unter dem man ihn noch heute kennt – »Der Rote Napoleon« – wenn auch das Gebiet, das er sich schließlich unterwarf, weitaus größer war als das Reich des Mannes, der auf St. Helena gestorben ist.

In Paris, wo die französische Regierung nach einem vergeblichen Versuch, sich nach Bordeaux zu flüchten, gestürzt war, übernahm Navarre – der Apachenhäuptling, der zum erstenmal in die Öffentlichkeit getreten war, als er wegen Meuterei in der französischen Marine zum Tode verurteilt wurde – im Namen der Dritten Internationale die Zügel der Regierung.

Karakhan besetzte die französische Hauptstadt am 3. April und installierte sich im Palais de l'Elysée. Ich sah, wie der aufgeblasene Navarre sich mit allzu großer Selbstsicherheit Karakhan vorstellte, und fünf Minuten später sah ich, wie er im Hof des Palais erschossen wurde. Diese Exekution machte der Unverschämtheit der französischen radikalen Führer ein Ende, brachte aber die wilden Szenen in den Pariser Straßen nicht zum Aufhören.

Die Zustände in den Häfen Westeuropas waren entsetzlich. Als die alten Mächte des Kontinents vor dem Ansturm des roten Schreckens zusammenbrachen, waren die mittleren und oberen Klassen der besetzten Länder nach Westen geflohen. Hunderttausende von diesen Menschen hatten sich in Paris aufgehalten und waren während der dritten Marneschlacht gezwungen worden, ihre Flucht nach dem Westen fortzusetzen – diesmal vermehrt um die Bourgoisie und die kleinen und großen Kapitalisten Frankreichs.

Mit der Bahn und in Flugzeugen, in Automobilen, zu Pferde und zu Fuß strömten sie westwärts zur Küste und südwärts über die spanischen Grenzen. Tausende wollten nach Amerika überfahren, und die kleinsten Frachtdampfer bekamen Vermögen für Deckplätze.

Alles Papiergeld Europas wurde in den Häfen wertlos. Tausende amerikanischer Touristen wurden auf der Flucht aufgehalten. Die amerikanischen Reedereien bekamen den Auftrag, nur amerikanische Passagiere aufzunehmen, aber in vielen Fällen wurde von dieser Regel abgewichen.

Karakhans erster offizieller Akt in Paris, die Zurückziehung der französischen und italienischen Truppen aus Nordafrika, verbündete ihm alle farbigen Rassen der Erde. Dadurch wurden auch Großbritannien und Spanien gezwungen, ihre jetzt nutzlos gewordenen Truppen aus der Nordhälfte des schwarzen Kontinents abzuziehen.

Die Rückkehr der spanischen Truppen führte zu gleichzeitigen Revolutionen in Spanien und Portugal. König Alfons floh wie die anderen entthronten Herrscher Europas. Die gekrönten Häupter Dänemarks, Hollands, Norwegens und Schwedens folgten in der nächsten Woche seinem Beispiel; die meisten von ihnen suchten in Amerika Zuflucht, weil die Situation in England sich jetzt der größten Krise in der Geschichte des britischen Reiches näherte.

Im Verlauf von vier Monaten hatte Karakhan den ganzen europäischen Kontinent unter seine Gewalt gebracht. Peter Malik, Karakhans politischer Organisator, folgte den siegreichen roten Armeen auf dem Fuße. Obgleich die Regierung im Namen der proletarischen Diktatur ausgeübt wurde, wurde den neueroberten Staaten politische Autonomie innerhalb des Sowjetreiches versprochen.

Die europäischen Wechselkurse wurden gestrichen.

Die europäischen Banken stellten die Zahlungen ein. Moratorien wurden erklärt, und die Kriegsschulden zwischen Europa und den asiatischen Ländern null und nichtig erklärt – alles durch Diktaturerlässe.

Während Karakhan seine Heere in ständiger Bewegung erhielt, deutsche Truppen nach Italien und italienische Truppen nach Spanien schickte, richtete er seine Hauptaufmerksamkeit auf die Aufrechterhaltung der Industriearbeit, vor allem was die Erzeugung der wichtigsten Kriegsmaterialien betraf.

Der unvermeidlichen Nahrungsmittelhamsterei wurde durch genaue Haussuchungen und Konfiskationen entgegengearbeitet. Die Zivilbevölkerung begann die Folgen der Knappheit zu fühlen. Tausende von englischen, belgischen, spanischen, französischen und italienischen Soldaten, die mit dem System durchaus nicht sympathisierten, sahen sich nahrungsmittel- und geldlos und hatten nur eine Existenzmöglichkeit vor sich: die rote Armbinde anzulegen, die zeigte, daß sie zu den Roten übergegangen waren. Sich auf der Straße in einer Uniform ohne rote Armbinde zu zeigen, bedeutete Gefangenschaft und Zwangsarbeit.

Inmitten dieser Wiederaufbauarbeit erfuhr man in Paris, daß die Nation, die als nächste Karakhans Hand fühlen sollte, ein Volk seiner eigenen Farbe war.

Die Pariser Ausgabe der Chicago Tribune berichtete, daß die gesetzgebende Körperschaft der Philippinen-Republik sich weigerte, das berühmte Buchhaltungsgesetz aufzuheben oder auch nur einzuschränken, welches den japanischen und chinesischen Kaufleuten und Angestellten die Verpflichtung auferlegte, ihre Geschäftsaufzeichnungen nicht in ihrer Muttersprache, sondern spanisch zu führen.

Die Beziehungen zwischen Japan und den Philippinen, die nicht die besten waren, seitdem die Filippinos im Oktober des vorigen Jahres der japanischen Kaiserfamilie Obdach gewährt hatten, besserten sich auch nicht, als der Kaiser Hiroschito sich mit seinem Gefolge nach Amerika begab.

Die Haltung, welche die Philippinen zum Buchhaltungsgesetz einnahmen, wurden von den Japanern als unverantwortliche Zurücksetzung ihrer Rasse und ihrer Sprache aufgefaßt.

Karakhan gab funktelegraphisch den Befehl zur Abordnung japanischer Geschwader und Truppenschiffe in die Manila-Bai. Die Opposition der amerikanischen Pazifisten gegen jeden Schritt, der die Staaten in den Konflikt verwickeln könnte, verhinderte einen bewaffneten Protest.

Aber das kleine Australien beschwerte sich, allerdings ohne Erfolg, telegraphisch in London und wandte sich in sehr klaren Ausdrücken gegen die geplante Besetzung der Philippinen durch die Japaner.

Das ganze rote Paris lachte über alle Proteste. Boyar zeigte mir die geheimen funktelegraphischen Berichte, die Karakhan täglich über »den Philippinen-Zwischenfall«, wie er sich ausdrückte, erhielt.

Aus diesen Berichten erfuhr ich, daß die japanischen Transporte unter dem Schutz der roten Flotte im Golf von Lingayen gelandet waren und längs der Bahnstrecke auf Manila zumarschierten. 22 000 eingeborene Infanteristen, die zum größten Teil vor der Unabhängigkeitserklärung der Philippinen der Polizeitruppe angehört hatten und von amerikanischen Offizieren ausgebildet waren, leisteten zwei Tage lang einen tapferen, aber nutzlosen Widerstand, der mit der völligen Vernichtung der kleinen Streitmacht endete.

Manila ergab sich. Die rote Fahne wurde an Stelle der Standarte der Philippinenrepublik auf der Insel Corregidor aufgezogen, und die rote japanische Flotte fuhr, begleitet von dem französischen Linienschiff Paris, auf dem Karakhans Spezialvertreter gekommen war, in die Manila-Bai ein. Karakhan erklärte das Ende der alten Ordnung auf den Inseln und errichtete die Diktatur des philippinischen Proletariats unter Juan Espinosa, der eine Reihe von Jahren hindurch die Philippinen bei der Dritten Internationale vertreten hatte.

Boyars Voraussage, daß der Philippinen-Zwischenfall nur unbedeutend sei, erwies sich als richtig. Er wurde ganz vergessen, als der englische Arbeiterführer Joe Cook in Aktion trat und die Macht der Labour Party im englischen Parlament stets wuchs.

Die Schwierigkeiten zwischen der liberalen und der konservativen Partei in England hatten es der Labour-Minderheit im Parlament möglich gemacht, die Zurückziehung der britischen Truppen aus Ägypten und die Abberufung der britischen Flotte aus dem Mittelmeer durchzusetzen.

Am 1. Mai versuchte das Kabinett Churchill eine Verfügung durchzubringen, die eine Mobilisierung im gesamten Gebiet der vereinigten Königreiche gestattet hätte. Die Sozialisten, Kommunisten und Labour-Mitglieder des Unterhauses verließen geschlossen den Saal, und dreißig Minuten später verkündeten Extraausgaben der Londoner Zeitungen auf den Straßen einen zwölfstündigen Nationalstreik. Angesichts dieser revolutionären Drohung trat die Regierung Churchill zurück.

Drei Tage später legte Joe Cook die Namensliste eines neuen Kabinetts vor, und dem König blieb nichts anderes übrig, als sich vor dem neuen Führer zu beugen.

Der erste Schritt, den Joe Cook als Ministerpräsident unternahm, war die Ernennung eines neuen Ersten Lords der Admiralität. Der für diese Stellung erwählte Mann war der kommunistische Matrose Bill Brandon, ein ehemaliger Feuerwerkersmaat, der in der Seeschlacht vor Jütland mit dem Viktoriakreuz ausgezeichnet worden war.

Brandon, der unter der Leitung des neuen Kabinetts arbeitete, gab augenblicklich Verordnungen heraus, deren Ausführung bedeutete, daß die gesamte britische Flotte in ihren Heimatshäfen vor Anker gebracht werden und den Kanal für die Durchfahrt von Karakhans Truppen freigeben sollte. Diese Verordnung führte zu dem ersten bewaffneten Zusammenstoß zwischen den englischen Kommunisten und den Anhängern des alten Systems.

Fast ausnahmslos weigerten sich die Offiziere, die Autorität Brandons anzuerkennen, und leisteten mit Hilfe kleiner Gruppen treu gebliebener Matrosen Widerstand. Aber der Kampf war kurz. Brandon hatte Widerstand erwartet und durch geheime Befehle an die organisierten Roten auf allen Fahrzeugen die Meuterei vorbereitet. Innerhalb einiger Stunden waren alle Schiffe von einiger Bedeutung in den Händen der revolutionären Regierung.

Nach achtundvierzig Stunden waren Brandons Befehle ausgeführt, und die gewaltige Flotte, die so lange Englands Stolz gewesen war, lag still vor Anker.

Nur Bewachungsmannschaften blieben an Bord, die übrigen Leute und die Offiziere, die zu den Roten übergegangen waren, bekamen unbeschränkten Urlaub. Ministerpräsident Cook bezeichnete dieses Vorgehen als den größten Schritt, der jemals zur Erlangung des Friedens und zum Nutzen der Menschheit von einer Nation unternommen worden sei.

In Wirklichkeit war es das genaue Gegenteil, was er sehr genau wußte.

Diese Entwaffnung der größten Flotte der Welt – dieser Verzicht auf die traditionelle Verteidigungswaffe Englands – dieser Verzicht Britanniens auf die Seeherrschaft – wurde vom englischen Proletariat freudig begrüßt, aber in den konservativen Kreisen Englands und auf der anderen Seite des Atlantik mit Entsetzen vernommen.

Ich saß am nächsten Vormittag in der Pressegalerie des Unterhauses und war Zeuge der in diesen Räumen unerhörten Worte Cooks:

»Kameraden, das Parlament von England ist aufgelöst.«

Ein schweres, atemloses Schweigen wartete auf seine nächsten Worte, aber als sie ausgesprochen wurden, gingen sie ungehört in dem donnernden Beifall der radikalen Mitglieder des Hauses unter.

Die Konservativen – manche von ihnen trugen noch ihre hohen Seidenhüte – schritten auf die Türen zu, die jedoch versperrt wurden. Das war der Staatsstreich.

Speziell für diesen Zweck ausgewählte Konstabler bewachten die Ausgänge und ließen nur radikale Abgeordnete hinaus. Die übrigen waren gefangen. Ich hörte draußen schießen, und es gelang mir, durch eine der Türen der Pressegalerie auf die Straße zu kommen.

Menschenmassen ergossen sich auf den Platz vor dem Parlamentsgebäude. Sie trugen rote Fahnen und Banner mit den Bildern Lenins, Karakhans und Joe Cooks. Die Mengen teilten sich vor Whitehall – die einen bewegten sich auf den Trafalgar Square zu, die anderen marschierten in der Richtung der Knightsbridge. Ich folgte dem ersten Teil und suchte das Londoner Büro der Chicago Tribüne, Fleet Street 72, zu erreichen.

Auf dem Sockel des Mausoleums stand ein Hafenarbeiter in bis zum Knie aufgestrickten Hosen, ein rotes Taschentuch um den Hals gebunden, und forderte die Menge auf, zum Trafalgar Square zu gehen. Er sprach mit der heiseren, ausgeschrienen Stimme des berufsmäßigen Straßenredners:

»Auf zum Schloß! Auf nach Buckingham!

Vier beschissene Jahre habe ich für den König in Frankreich gekämpft – und wofür? Nur um nachher fünfzehn Jahre beschissenen Hungers und Drecks zu haben. Eine Million von uns ist für diesen beschissenen Nationalismus verreckt, und Tausende verfaulen noch heute in Ägypten, in Indien und China. Und Tausende – unsere Frauen und unsere Kinder – sind die Opfer des Systems, das er vertritt.

Auf nach Buckingham!«

Das Gesicht des Redners war fast violett vor Anstrengung, und seine hervorquellenden Augen hinter den Linsen seiner Brille ließen ihn aussehen wie einen boshaften Kobold.

Die Masse nahm seinen Schrei auf, und dann verbreitete sich das Gerücht, der König sei geflohen.

Die Mengen schoben sich durch den Bogen der Admiralität nach Pall Mall. Alles war schwarz. Von Piccadilly- und Oxford Circus kamen Demonstrationszüge, die sich durch die Haymarket-, Regent- und St. James Street wälzten.

Die schottischen Garden am Buckingham Palast eröffneten das Feuer, als die Spitze des Mobs vorüberkam und sich am Viktoriadenkmal aufstellte.

Ein alter Freund von mir, Major Aubrey Coker, wurde vor dem Bronzeportal des Palastes niedergeschlagen und buchstäblich in Stücke gerissen.

Die Schußdetonationen steigerten die Wut der Massen, die vor dem vernichtenden Feuer der Garden zurückwichen.

Barrikaden aus Parkbänken, Fässern, umgeworfenen Rollwagen und Autodroschken wuchsen wie durch ein Wunder in den zum Palast führenden Straßen empor. Pflastersteine und Bürgersteigplatten wurden mit bloßen Händen aus der Erde gerissen und vor die Brustwehren geworfen.

Ähnliche Szenen spielten sich an diesem Tag in ganz London ab. Überall, wo Polizei oder Militär Widerstand leistete, erschienen auf rätselhafte Weise Gewehre, Pistolen und alle möglichen Waffen. Gut ausgerüstete Kommunistenführer mit roten Armbinden leiteten die Kämpfe.

Am Spätnachmittag erhielten die Kommunisten Verstärkung durch die Vorhut einer von den Divisionen Karakhans, die über den Kanal geschafft worden waren, sobald man in Paris erfahren hatte, daß die Flotte gesichert sei. Diese Veteranen der europäischen Schlachten, denen die Straßenkämpfe ein Spaß waren, begnügten sich größtenteils damit, ihre britischen Kameraden kämpfen zu lassen und griffen nur ein, wenn diese auf ernsthaften Widerstand stießen.

Die Kämpfe in London dauerten drei Tage. Die schottischen Garden im Buckingham Palast wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht, das Schloß selbst geplündert – an dem Raub von Kunstschätzen, Möbeln und allen möglichen Wertgegenständen beteiligten sich Weiber und Strolche.

Später erfuhr ich, daß ähnliches sich in ganz England und Schottland ereignet hatte. Konservative Bürgermeister und Stadträte waren ermordet worden, zahlreiche alte englische Gutsbesitzer, die sich nicht ergeben wollten, wurden hingerichtet oder rücksichtslos abgeschlachtet.

Über das Schicksal der königlichen Familie wußte man zwei Wochen lang nichts, und dann erfuhr man, daß sie auf dem neuseeländischen Kreuzer Manganui Halifax erreicht hatte.

Speed Binney bekam dank einer Bestechung mit fünfundzwanzig Pfund in Gold das Tribune-Flugzeug in Croydon heraus und flog mit meinem Bericht nach Paris.

Bei seiner Rückkehr brachte er Boyar und Margot mit. Boyar verschaffte mir ein Interview mit Joe Cook, in dessen Verlauf der Arbeiterführer, der jetzt der Wortmann des englischen Revolutionsrates der Arbeiter, Matrosen und Soldaten war, mir mitteilte, daß die englische Flotte unter rotem Oberbefehl wieder bemannt werde.

Er sagte mir, daß jedes Schiff der britischen Flotte jetzt in den Händen kommunistischer Mannschaften sei, und schilderte die geheime Skelettorganisation der Kommunisten, die seit zehn Jahren in der Flotte an der Arbeit gewesen war.

Am 20. Juni verkündete Karakhan die Konstituierung der Paneurasischen Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und lud das Proletariat des alten Britischen Reiches formell ein, diesem neuen Bunde der Nationen beizutreten. Cook und sein Kabinett nahmen, was offenbar nur noch eine Formsache war, die Einladung offiziell im Namen des Reiches an.

England, Schottland und Wales sollten zusammen eine Sowjetrepublik bilden.

Zum erstenmal in der Geschichte waren Nord- und Südirland einig. Sie lehnten das Angebot ab.

Kanada, Australien und Neuseeland weigerten sich energisch.

Englische Radikale sagten mir, es überrasche sie, daß die kräftigste Opposition gegen das Programm der Dritten Internationale von der sozialistischen Arbeiterregierung Australiens komme. Tim Clapp, ein Freund, den ich in Australien hatte, kabelte mir, als er eine meiner Depeschen im Sidney Bulletin gelesen hatte:

»England ist vielleicht verrückt geworden, aber Australien verliert nicht den Verstand. Amerikaner, Kanadier, Neuseeländer, wir alle haben zusammen in Frankreich gekämpft. Das können wir wieder tun, sobald es notwendig wird. Australien hat eine Arbeiterregierung, aber diese wird niemals ihre Politik ändern und niemals auf ihren Stolz als Vertretung eines weißen Landes verzichten.«

Von der australischen Hauptstadt Cauberra gingen Funkbotschaften nach Vancouver, Ontario, Washington, Dublin und Belfast, den einzigen Hauptstädten auf der nördlichen Hemisphäre, die noch konservative Regierungen hatten.

In den Straßen Brisbanes und Sydneys wurde demonstriert, und die Regierung verbreitete funktelegraphisch die Nachricht, daß sie die rote Einladung endgültig abgelehnt habe.

Dieser Entschluß beschwor das Ende des weißen Australiens herauf.

Karakhan flog nach London und gab vom Admiralitätsgebäude auf dem Trafalgar Square telegraphisch die Befehle aus, welche die japanische Flotte und eine Expedition von zwanzig Truppenschiffen zu den Antipoden abgehen ließen.

In den ersten Julitagen wurden unter dem Schutz der Marinegeschütze die ersten Landungen im Hafen von Sydney bewerkstelligt. Dem Landungsmanöver ging ein Luftkampf voraus, in welchem Flugzeuge, die von drei japanischen Mutterschiffen aufstiegen, den Angriff der australischen Bombengeschwader abwehrten und diese vernichteten.

»Die Verluste der australischen Truppen, die unserer Landung Widerstand entgegensetzten, waren furchtbar«, lautete die Depesche des japanischen Kriegskorrespondenten Fergi, die am nächsten Morgen in London zu lesen war.

»Die weißen Verteidiger, die keinen Küstenschutz hatten und nur mit leichten Feldkanonen ausgerüstet waren, leisteten unter dem schweren Feuer unserer Schiffsgeschütze, Gewehre und Maschinengewehre tapferen Widerstand. Der Kampf war kurz.

Die Besetzung Sydneys fiel unserer tapferen Infanterie leicht, aber leider wurde dadurch, daß die Australier von Haus zu Haus verbissen kämpften, eine Taktik nötig, die zu völliger Vernichtung führen mußte.

In den Straßen Sydneys fließt ein roter Strom, und bis jetzt ist es noch nicht möglich gewesen, die Leichen zu entfernen, die allmählich eine Gefahr für unsere Truppen bilden.«

Viele Wochen später erfuhr die entsetzte Welt die furchtbaren Einzelheiten des Massakers auf dem »Antipoden«-Kontinent. Dasselbe wie in Sydney spielte sich in Brisbane, Melbourne und Adelaide ab. Die Stadt Hobart auf Tasmanien wurde bis auf den letzten Mann entvölkert. Wellington auf Neuseeland brannte bis auf den Boden aus, und Auckland erlitt ein ähnliches Schicksal.

Australische Miliz unter der Führung von Offizieren, die bei den alten neuseeländischen Truppen gedient hatten, warf sich den Eindringlingen entgegen und zog den Tod mit Frauen und Kindern einem Leben unter der Herrschaft gelber Eroberer vor.

Viele Tage später benutzte ich einen günstigen Augenblick, um Karakhan zu fragen, ob das erbarmungslose Hinmorden von 7 000 000 Menschen auf seinen Befehl geschehen sei. Mit ruhiger Überlegung, nahezu überrascht davon, daß ich eine solche Frage stellen konnte, antwortete er:

»Selbstverständlich. Es war nötig für das Menschengeschlecht.«

Speed Binney und ich saßen in dieser Julinacht im Londoner Büro der Tribune. Margot schrieb meinen Bericht mit diesem Zitat des Roten Napoleons.

»Gott helfe meinem Land und meinen Landsleuten«, sagte sie, als sie fertig war.

»Und unseren auch«, fügte Speed hinzu. »Wir sind die nächsten.«

Und das sollte rascher kommen, als wir alle dachten.


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