Friedrich Gerstäcker
Sträflinge
Friedrich Gerstäcker

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21

Das ›Saaldorf-Hotel‹ lag in der Hauptstraße des kleinen Ortes und war ein breites, aus Backsteinen errichtetes Gebäude, das von außen eigentlich mehr versprach, als es im Innern hielt. Nichtsdestoweniger befand sich doch eine ziemlich gemütliche Gaststube darin, und die Bar war mit allem reichlich versehen, was einen durstigen Menschen erfreuen oder einen nichtdurstigen zum Trinken verlocken kann. Außerdem hielt Jakob Meier, der Wirt, ein vortreffliches Bier.

Eigentlich versammelten sich die Stammgäste des Hotels erst mit der Dämmerung, wo sie dann bis zehn oder elf Uhr abends zusammenblieben. Das Gesellschaftszimmer war heute auch noch ziemlich leer; nur an einem Tische saßen drei, und an einem anderen dicht dabei ein Mann, wie es schien aber in gemeinsamer Unterhaltung begriffen.

»Hallo, Doktor – das ist gescheit, daß Sie kommen!« rief ihm Schelling, der Apotheker von Saaldorf, entgegen, während der zweite der Zechenden etwas verlegen aufstand und auf Doktor Spiegel zuging, um ihn zu begrüßen – es war Herr von Pick. Nur der dritte, Kapitän Helger von der ›Albertine‹, blieb ruhig sitzen, nickte dem Ankommenden freundlich zu und sagte lachend, indem er ihm einen Stuhl mit dem einen Fuße herbeischob:

»Kommen Sie an Bord, Doktor, wir wollten eben nach Ihnen hinüber signalisieren lassen.«

»Lieber Doktor«, sagte von Pick, des Freundes Hand ergreifend, mit leiser Stimme, »ich warte hier noch auf Johnson – unsern Engländer. Er hat mir versprochen, um fünf Uhr hier zu sein – es ist mir lieb, daß ich Sie noch sehe.«

Der Doktor drückte ihm bloß die Hand, wobei er freilich einen flüchtigen Blick nach den Rheinweinflaschen warf, die vor Pick standen, doch lenkte der Kapitän bald seine ganze Aufmerksamkeit auf sich.

»Kapitän«, sagte Doktor Spiegel, »ich habe das Vergnügen, Ihnen hier Herrn Doktor Schreiber aus – ich weiß jetzt wahrhaftig selber nicht einmal, woher Sie stammen.«

»Kommt auf die Flagge nicht an, wenn wir nur den Handgriff zum Menschen, den Namen haben«, unterbrach ihn treuherzig der Seemann, »aber bitte, setzen Sie sich doch, meine Herren, oder ich muß sonst auch aufstehen – ja so, wollen erst noch ringsherum salutieren – na, da schießen Sie los!«

»Herr Apotheker Schelling von Saaldorf – Herrn von Pick kennen Sie – ah, und hier unsern wackeren Ornithologen, Herrn Breyfeld, von dem ich Ihnen schon vorhin erzählt habe.«

»So – wenn Sie nun bald klar sind«, sagte der Kapitän ungeduldig, »so kommen Sie einmal hier vor Anker, und da – Kellner, noch ein paar Gläser für die Herren – unser Nachbar da drüben will keinen Wein trinken.«

»So, lieber Kapitän, nun steh' ich ganz zu Ihren Diensten.«

»Seid ihr weitläufiges Volk am Land«, – lachte der Seemann.

»War im Augenblick abgemacht, lieber Kapitän, und nun zum Geschäft. Dieser Herr hier wünscht eine Kiste mit Vogelbälgen – schlägt in Ihr Fach, lieber Breyfeld – nach Deutschland zu verschiffen, und da hab' ich ihm Sie und Ihr Schiff empfohlen; Sie wären gewiß so freundlich –«

»Wollen das besorgen«, nickte der Seemann, »brauchen sie nur mit Adresse an Bord zu schicken.«

Die Gäste stießen miteinander an, als die Tür aufging und ein junger Mann, der kaum einundzwanzig Jahre zählen konnte, mit einem blonden Flaumbärtchen, mit Reithosen und Sporen und Reitpeitsche, hereintrat, und schon in der Tür ein Glas Bier bestellte.

»Guten Abend, meine Herren!« sagte er dabei, während er Mütze und Reitpeitsche auf einen Tisch und sich selber, wie zu Tode erschöpft, in einen Stuhl warf. Die anderen erwiderten den Gruß, nur der Apotheker trank langsam an seinem Glase und murmelte einen halblauten Fluch.

»Guten Abend, Doktor Fiedel!« sagte Spiegel, über die Schulter nach ihm hinübersehend.

»Auch ein Doktor?« murmelte der Kapitän halblaut dem Apotheker zu. – »Hier wimmelt's ja ordentlich davon.«

»Der ist seiner Mutter weggelaufen«, brummte Schelling, »aber Bier kann er trinken.«

»Noch ein Glas, Kellner«, sagte der junge Mann, wie um diese Worte zu bestätigen, indem er das Glas mit einem Zuge leerte. Er blieb übrigens nicht lange, da er noch, wie er sagte, mehrere Besuche in Saaldorf machen mußte.

Es entspann sich bald eine angeregte Unterhaltung, aber Mac Donald brannte der Boden unter den Füßen, denn in ein öffentliches Gasthaus konnte jeden Augenblick einer seiner Verfolger kommen und ihn erkennen, so sehr er auch sein Äußeres verändert hatte. Er war deshalb aufgestanden und hatte seinen Hut genommen, um zu Lischkes zurückzukehren.

»Sagen Sie mal, Herr von Pick«, fragte da der Kapitän, indem er die geleerten Gläser wieder füllte – »kennen Sie nicht vielleicht zufällig hier in der Nachbarschaft, oder in Adelaide einen Gutsbesitzer Hohburg? – Hol's der Henker! – er soll doch hier in Südaustralien ansässig sein, und ich kann nicht herausbekommen, wo? – Ich kenne ihn von Deutschland her, und es wäre mir lieb, wenn ich wenigstens erfahren könnte, wie es ihm geht.«

»Gutsbesitzer Hohburg? – Nein«, sagte der Angeredete kopfschüttelnd. »Der Name ist mir allerdings bekannt, aber auf einen Hohburg kann ich mich nicht besinnen.«

»Eine Frau Hohburg wohnt hier irgendwo in der Nähe«, bemerkte Mac Donald, der bei Nennung des Namens aufmerksam geworden war – »aber sie ist Näherin und, soviel ich weiß, Witwe.«

»Ja, das ist die sogenannte arme Witwe«, sagte Schelling, »die kenn' ich auch – die kam damals mit ihrem Mann vom Mount-Barker, glaub' ich, herüber. Der war aber Handlanger und Schäfer und Gott weiß was sonst noch, und ist nachher verschollen – ein ganz verworfenes Subjekt, der Bursche.«

»Nein, die mein' ich nicht«, erwiderte der Kapitän; »der Hohburg muß hier irgendwo in der Nachbarschaft eine sehr bedeutende Besitzung haben – ist ein steinreicher Kauz und ein junger hübscher Kerl – war das früher wenigstens, wenn er auch jetzt in die Jahre gekommen ist.«

»Kenne ich nicht«, sagte von Pick – »steckt vielleicht irgendwo in einer der anderen Ansiedelungen, denn Deutsche gibt es hier überall genug.«

»Mein bester Herr Doktor«, sagte Breyfeld, der ebenfalls aufgestanden war, zu Mac Donald, »wenn Sie erlauben, begleit' ich Sie ein wenig – wie ich höre, interessieren Sie sich ebenfalls für die australische Vogelwelt, und ich bin da vielleicht imstande, Ihnen Auskunft zu geben.«

Mac Donald fühlte, daß er durch seine Notlüge eine, wenn auch nicht unangenehme, doch augenblicklich lästige Bekanntschaft zu machen gezwungen war. Das ließ sich aber jetzt nicht ändern, ja im Gegenteil diente es vielleicht gerade dazu, wenn er anscheinend ernstlich auf das Geschäft einging, jeden Verkehr von sich abzuwälzen.

»Hören Sie, lieber Schelling«, sagte Spiegel, als er sah, daß sich Mac Donald zum Aufbruch rüstete, »ich habe Ihnen die angenehme Nachricht mitzuteilen, daß mein Freund, Doktor Schreiber hier, nicht übel Lust hat, sich als Arzt bei uns niederzulassen.«

»Das wär' recht!« rief Schelling vergnügt. »Sie sollen einmal sehen, was Sie hier für eine Praxis bekommen, besonders jetzt nach diesem Doktor Fiedel. Sonst ist unser Klima hier eigentlich ein wenig zu gesund, sowohl für Arzt als Apotheker. Wenn aber der Doktor noch eine kleine Zeit hier wirtschaftet, so kriegen wir Kranke genug, und dann machen Sie eine famose Ernte.«

Mac Donald sagte freundlich: »Ich danke Ihnen für den guten Willen, den Sie mir entgegenbringen. Unter solchen Umständen werde ich denn wirklich versuchen, mir hier eine Stellung zu gründen. Für jetzt, meine Herren, wünsch' ich Ihnen einen vergnügten Abend.«

»Auf Wiedersehen, lieber Doktor!« sagte Spiegel, ihm die Hand reichend; »also auf Wiedersehen! – Ich rechne darauf, daß Sie Ihr Versprechen für Dienstag abend nicht vergessen.«

»Gewiß nicht«, sagte Mac Donald, und verließ mit Breyfeld, der ihn eine Strecke begleitete, das Haus, um nach Lischkes Wohnung zurückzukehren.

»Ist denn das ein Deutscher?« sagte Kapitän Helger, als Mac Donald das Zimmer verlassen hatte. – »Seine Aussprache klingt doch so sonderbar, und seine ganze Takelage sieht mir eher nach einem Engländer aus.«

»Er hat, wie er mir unterwegs sagte, lange in England gelebt«, erklärte Spiegel – »und mag allerdings viel von den dortigen Sitten angenommen haben.«

»Scheint übrigens ein ordentlicher Mann«, meinte Schelling, »und ich bin fest überzeugt, er wirft den jungen Biertrinker wie nichts aus dem Sattel.«

»Unser Engländer läßt lange auf sich warten«, sagte Spiegel leise zu seinem Kompagnon. »Sie sind doch sicher, daß er kommt, lieber Pick?«

»Der bleibt nicht aus«, versicherte der Angeredete.

»Desto besser«, lächelte Spiegel, »aber ich muß jetzt fort«, setzte er hinzu. »Meine Herren – ehe ich mich von Ihnen verabschiede, möchte ich Sie noch sämtlich auf Dienstag abend, wenn Sie nichts Besseres vorhaben, zu einem Butterbrot bei mir einladen. Werde ich das Vergnügen haben, Sie bei mir zu sehen? Sie auch, lieber Kapitän, ich rechne fest darauf, daß Sie kommen. – Schön! Das freut mich herzlich – also auf Wiedersehen! – Guten Abend, lieber Pick!«


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