Friedrich Gerstäcker
Sträflinge
Friedrich Gerstäcker

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19

Frau Hohburg, die am Beginn der Unterredung Lischkes mit Pick aus dem Zimmer gegangen war, hatte wieder ihren Sitz am Fenster eingenommen. Eine Stunde etwa mochte vergangen sein. Lischke pochte in der Werkstatt auf das Blech los, daß die Funken flogen, als ein Fremder an dem Hause vorüberging, stehen blieb, die Wohnung betrachtete und dann auf die Werkstätte zuschritt.

Der Fremde, der an Lischkes Tür klopfte, war ein alter Bekannter von uns, der seinen Weg durch Busch und Wildnis glücklich in diesen dichtbesiedelten Teil von Südaustralien gefunden hatte – Mac Donald – und doch hätten ihn selbst seine alten Bekannten und Freunde auf Powells Farm kaum wiedererkannt.

Der Squatter hatte sich in einen Städter verwandelt, mit dunklen Tuchkleidern und leichten Stiefeln. Der starke Bart war verschwunden bis auf einen kleinen, kurz geschnittenen Backenbart, das Haar ebenfalls verschnitten, und eine lichtblaue Brille machte das Gesicht fast ganz unkenntlich.

»Womit kann ich Ihnen dienen?« fragte Lischke.

»Sie sind Deutscher – nicht wahr?« lautete die Gegenfrage in ziemlich reinem Deutsch, dem nur ein etwas fremdartiger Dialekt beigemischt schien.

»Ja – allerdings –« meinte Lischke etwas überrascht, »aber Sie doch nicht – wie?«

»Doch – allerdings«, lächelte der Fremde, – »aber ein jahrelanger Aufenthalt in England und Frankreich hat meiner Aussprache vielleicht etwas beigemischt, das sie Ihnen fremd erscheinen läßt. Erlauben Sie mir nichtsdestoweniger, Sie als Landsmann begrüßen zu dürfen, und gestatten Sie mir, als Fremder hier im Orte, Sie um manches zu fragen.«

»Von Herzen gern«, rief Lischke, ihm die Hand reichend und sie schüttelnd, »dann seien Sie aber auch so gut und kommen Sie mit in mein Zimmer, denn hier hört man vor dem Klopfen sein eigenes Wort nicht.«

Mac Donald betrat mit ihm das Wohnzimmer, in dem er nur an dem einen Fenster die dort arbeitende Frau Hohburg bemerkte, die er grüßte.

»Und woher des Wegs?« fragte Lischke, seinem Gast einen Stuhl hinschiebend und sich selber einen anderen herbeirückend – »bitte, machen Sie es sich bequem. Es ist heut warm draußen, und das Reisen greift an. Ich wenigstens will lieber einen ganzen Tag am Amboß stehen als eine Stunde im Sattel sitzen.«

»Ich komme zu Fuß«, sagte Mac Donald.

»Zu Fuß? Das ist noch schlimmer – aber doch wohl nur von Adelaide.«

»Von anderer Richtung«, erwiderte Mac Donald, – »von Melbourne.«

»Von Melbourne zu Fuß?« rief der alte Lischke erstaunt, und warf dabei einen etwas mißtrauischen Blick auf die allerdings staubigen, aber doch ganzen und feinen Stiefel des Fremden.

»Nein«, lachte dieser, »das wäre des Guten etwas zu viel – nur etwa zehn oder zwölf Meilen. Bis dahin bin ich geritten, hatte aber das Unglück, daß mein Pferd von einer ›schwarzen Schlange‹ gebissen wurde.«

»Alle Wetter, das kann einen freuen!« sagte Lischke, sich hinter dem Ohr kratzend, »aber nach solchem Marsch werden Sie auch hungrig sein –«

»Hungrig nicht«, wehrte ihm Mac Donald, als er aufstehen wollte – »wenn ich Sie nur um ein Glas Milch bitten dürfte.«

»Jawohl – mit dem größten Vergnügen – aber jetzt sind die Frauen alle beide nicht da. Ach, Frau Hohburg, wären Sie wohl so gut und holten ein Glas Milch herein?«

Die Frau stand auf und verließ das Zimmer. Bei Nennung des Namens hatte der Fremde rasch emporgesehen.

»Hohburg sagten Sie?« fragte er seinen Wirt – »wer ist die Dame?«

»Dame? Du lieber Gott!« sagte Lischke, »eine arme Frau, die hier in der Nachbarschaft wohnt und sich mit Arbeiten bei fremden Leuten ihren kümmerlichen Unterhalt verdient. Sie war verheiratet, aber ihr Mann, ein liederlicher Halunke, brannte durch, kein Mensch wußte wohin, und ist, wie man glaubt, mit einem Schiff nach Kalifornien oder sonst wohin gegangen. Jetzt sitzt sie hier allein. Almosen nimmt sie aber nicht, und da geben wir ihr nun hier und da Arbeit, daß sie doch wenigstens zu leben hat.«

»Arme Frau!«

»Ja, lieber Herr, das ist hier in Australien eine schlimme Sache«, sagte Lischke; »ob's in der Luft liegt, oder in was sonst, aber die Menschen fangen hier an zu saufen, und wo da nur erst einmal der Anfang gemacht ist, da geht es mit Riesenschritten ins Elend hinein. Aber da kommt Ihre Milch; ach bitte, Frau Hohburg, setzen Sie doch auch ein wenig Butter und Brot mit auf den Tisch.«

Wieder hatte der Fremde bei Nennung des Namens die ihm jetzt zugewandten Züge der Frau forschend betrachtet.

»Wie ist denn wohl Ihr Name?« sagte Lischke endlich, der mit stillem Behagen dem von dem Gaste entwickelten Appetit zusah. »Ich heiße Lischke und bin Klempnermeister und Bauer.«

»Mein Name ist Schreiber«, erwiderte Mac Donald.

»Erst hielt ich Sie für einen Squatter aus dem Lande«, meinte der Deutsche – »weil Sie mir gar so englisch aussahen – das sind Sie aber wohl nicht?«

»Nein – allerdings hatte ich früher die Absicht, mich irgendwo anzusiedeln, und wenn ich einen passenden Fleck finde, tu' ich's vielleicht noch.«

»Das beste, was ein Mensch tun kann in der Welt«, sagte Lischke.

»Sie wissen wohl nicht, ob jetzt viel Schiffe im Hafen von Adelaide liegen?«

»Schiffe?« sagte Lischke, dem diese Querfrage zu rasch kam, um sie gleich beantworten zu können. »Hm, das weiß ich wirklich nicht. Davon hören wir hier nur wenig.«

»Kann man das wohl hier in der Nachbarschaft erfahren?«

»Wegen Schiffen? O ja, – der Doktor Spiegel hält die englische Zeitung; da stehen alle Schiffe drin, die kommen und gehen, und wann sie abfahren und was sie geladen haben.«

»Und wo wohnt der?«

»Keine Pfeife Tabak von hier. Aber weshalb erkundigen Sie sich denn nach Schiffen? Wollen Sie Australien wieder verlassen?«

»Nein«, sagte Mac Donald, der nicht für gut fand, eine solche Absicht hier kundzugeben, und rasch eine Notlüge erdachte. »Ich habe unterwegs von einem Engländer eine ganze Kiste mit australischen Vogelbälgen gekauft, die er in diesen Tagen mit seinem Karren nach Adelaide schicken wird, und möchte sie gern so bald als möglich nach Deutschland verschiffen.«

»Ah – Sie sind wohl selber so eine Art von – Naturforscher, nennen sie's, glaub' ich«, – meinte Lischke, »die ganze Säcke voll Steine und Unkraut und tote Vogelfelle zusammenpacken und in Kästchen aufheben. Hier in Saaldorf haben wir auch so ein Exemplar, der alle Vögel totschießt, die er kriegen kann, und nachher Leute sucht, die sie ihm abkaufen.«

»Nein«, lächelte Mac Donald – »obgleich mich die australische Tierwelt von jeher interessiert hat, ist das doch nur immer Nebenbeschäftigung bei mir geblieben. Ich bin meinem Berufe nach Arzt.«

»Arzt? – Doktor?« rief Lischke, und sprang von seinem Stuhle auf – »ja, da dürfen Sie gar nicht wieder fort von hier; der fehlt uns ja hier in Saaldorf wie das liebe Brot.«

»Haben Sie gar keinen Arzt in Saaldorf?« fragte Mac Donald, der plötzlich eine Gelegenheit sah, die ihn den günstigen Zeitpunkt finden ließ, um aus Australien entfliehen zu können.

»Schlimmer als gar keinen«, rief Lischke – »einen richtigen Kiek-in-die-Welt, so einen verkrachten Studenten, der das Maul immer voll nimmt und von weiter nichts wie seinen ›Kuren‹ spricht.«

»Haben Sie denn eine Apotheke hier?«

»Das wollt' ich meinen, und eine richtig gute, aber eben niemanden, der 'was draus verschreiben kann, als den Hans Guck-in-die-Luft. – Nein, bester Doktor, wenn Sie nur halbwegs die Absicht haben, in Südaustralien zu bleiben, dann siedeln Sie sich um Gottes willen hier in Saaldorf an, und Sie sollen sehen, es wird Sie nicht gereuen.«

»Ich müßte mich jedenfalls erst einmal im Orte umsehen«, sagte Mac Donald.

»Hören Sie – ich will Ihnen etwas sagen«, rief da Lischke, »ich habe einen Einfall. Bleiben Sie ein paar Tage bei mir im Hause – wir haben ein Fremdenstübchen und Sie stören uns nicht im mindesten – besehen Sie sich hier in der Zeit einmal die Naturgeschichte und ich weiß gewiß, es wird Ihnen gefallen.«

»Die Einladung, mein verehrter Herr«, sagte Mac Donald lächelnd, »war etwas leichtsinnig gegeben. Wenn ich Sie nun beim Wort nähme?«

»Und eingeschlagen«, rief Lischke, ihm die Hand entgegenhaltend.

»Abgemacht, ich nehme Ihre Gastfreundschaft für einige Tage in Anspruch«, sagte Mac Donald nach kurzem Zögern.

»Übrigens – wie lange ist es her, daß Sie Deutschland verlassen haben?« fragte Lischke plötzlich, eben im Begriff, vom Stuhle aufzustehen.

»Erst wenige Jahre.«

»Desto besser; ich habe überdies lange niemanden gehabt, mit dem man einmal ein vernünftiges Wort reden könnte – dann sollen Sie mir viel von Deutschland erzählen.«

»Aber lieb wär' es mir«, unterbrach ihn Mac Donald, »wenn ich mich vorher doch nach den Schiffen erkundigen könnte, daß ich, wenn die Sachen eintreffen, die Abfahrtszeit nicht versäume.«

»Ja so, wegen Ihrer Vogelfelle«, meinte Lischke. »Nun gut, da will ich Ihnen etwas sagen. Da gehen Sie lieber jetzt gleich zu Doktor Spiegel hinunter und machen mit dem ab, was Sie abzumachen haben. Mein Mädel soll Ihnen indessen Ihr Stübchen zurecht machen und – aber Gott's Blitz!« unterbrach er sich plötzlich, »wo steckt sie denn eigentlich? – Haben Sie Susanna nicht gesehen, Frau Hohburg?«

»Sie ging vorhin in den Garten«, erwiderte die Frau.

»In den Garten? – Ich will doch nicht –« Er verließ rasch das Zimmer und ließ den Fremden mit der Frau allein.

»Der Name Hohburg«, sagte der Gast nach kurzem Schweigen, »weckt alte, liebe und schmerzliche Erinnerungen in mir. Aus welcher Gegend von Deutschland stammen Sie wohl, wenn ich fragen darf?«

»Ich?« sagte die Frau errötend, ohne von ihrer Arbeit aufzuschauen – »aus – Thüringen.«

»Dann habe ich mich geirrt; die Gegend ist mir fremd. Nur der Name fiel mir auf.«

Der Fremde hatte den Kopf in die Hand gestützt und sah träumend vor sich nieder, sah dann und wann aber auf die Frau, bis Lischke wieder ins Zimmer trat und ihm den Weg beschrieb, den er nach der Wohnung des Doktor Spiegel einzuschlagen habe. Er trieb ihn dabei zum Aufbruch an, damit er mit Dunkelwerden zurück sein könne.

Susanna, die sich bis jetzt der Autorität des strengen Vaters gefügt hatte, hielt nun, wo er ihr ganzes Lebensglück entscheiden wollte, die Zeit für gekommen, in der sie selbständig handeln müsse. Den Plan dafür zu überlegen, wobei sie die Mutter auf ihrer Seite wußte, war sie nach der heftigen Szene mit ihrem Vater in den Garten gegangen, und hatte sich dort kaum auf die Bank hinter der Olivenhecke gesetzt, als sie Schritte neben sich hörte, und von Pick vor ihr stand.

»Um Gottes willen, was tun Sie noch hier?« war ihr erster ängstlicher Ausruf; »wenn Sie mein Vater in seiner jetzigen Stimmung fände, setzen Sie sich dem Äußersten aus.«

»Fürchte nichts für mich«, bat der junge Mann, die kaum noch Widerstrebende in seine Arme ziehend, »welche Schrecken könnte er noch nach diesem letzten furchtbaren Schlage, mit dem er alle Hoffnungen zerstörte, für mich aufgespart haben?«

»Sie können alles verderben!« flehte Susanna, sich von ihm befreiend.

»Willst du dich dem Gewaltspruch des grausamen Vaters fügen? Darf er dich zu einer Heirat zwingen, gegen die dein Herz sich sträubt?«

»Nein – nein – nein!« rief Susanna, in Tränen ausbrechend; »ich hasse diesen Christian – hasse ihn wie die Sünde, und ehe ich ihn heirate, spränge ich in das Wasser, wo es am tiefsten ist.«

»Damit hat es keine Not, mein Herzchen«, beruhigte sie Pick. »Unseren Gesetzen nach kann und darf er dich nicht zwingen, und deine letzte Hilfe bleibe ich. Ich kann nicht ohne dich leben, und wir wollen nicht beide unser ganzes Lebensglück der Laune eines alten starrköpfigen Mannes geopfert sehen.«

»Aber was können wir tun?«

»Ich entführe dich!« rief Pick entschlossen. »Einen Geistlichen, der uns traut, finden wir überall. Hat er erst einmal unsere Hände ineinander gelegt, so kann uns dein Vater nicht trennen, und wenn er dich glücklich sieht, wird er sich auch beruhigen.«

»Mir schwindelt der Kopf und ich kann keinen Gedanken fassen«, klagte Susanna.

»So laß mich für dich denken, Susanna. Kannst du mir nicht morgen auf irgend eine Weise brieflich Nachricht geben, wo wir uns treffen wollen?«

»Das geht nicht – das erführe der Vater gleich. Durch wen sollte ich den Brief auch schicken? – Aber an Christian soll ich morgen schreiben und ihn zu uns einladen, die Verbindung in Ordnung zu bringen. Eher sterbe ich!«

»Das trifft sich herrlich!« rief von Pick – »wenn nur Christian nicht zugleich erfährt, daß ich sein Nebenbuhler bin.«

»Mein Vater hat der Mutter streng befohlen, Ihre Werbung vor ihm geheim zu halten.«

»Vortrefflich!« lachte der junge Mann, sich vergnügt die Hände reibend.

»Aber ich begreife nicht –«

»Die Sache ist unendlich einfach«, lachte Pick. – »Christian und ich wohnen, wie du weißt, in Adelaide in einem Hause – das heißt, ich wohne bei ihm zur Miete. Christian aber kann kaum Geschriebenes notdürftig buchstabieren und hat vom Schreiben selber wenig mehr Ahnung als eine Kuh. Ich besorge seine ganze Korrespondenz, und sobald er einen Brief bekommt oder irgend einen Auftrag zu lesen hat, kommt er jedesmal zu mir, damit ich es ihm entziffere.«

»Aber was hilft das mir, wenn ich an ihn schreiben muß?«

»Den Brief bekomme ich doch jedenfalls in die Hände, Schatz, und du hast weiter gar nichts zu tun, als mir darin den nötigen Wink zu geben. Vielleicht läßt es sich durch einen harmlos eingeschalteten Satz machen, den du mir nur durch einen Gedankenstrich bezeichnest. Geht das aber nicht, so richte es so ein, daß die ersten Worte der Zeilen für mich sind.«

»Wenn aber Christian nachher erfährt«, sagte sie leise, »daß ich nur meinen Spott mit ihm getrieben habe, so nimmt er sich's vielleicht zu Herzen.«

»Ja«, lachte von Pick – »betrinkt sich im nächsten Wirtshause und schläft mit dem Rausche nachher Liebe und Gram aus. Also du schreibst, Herzchen, und Christians Antwort will ich schon so einrichten, daß du in den ersten Worten der Zeilen das, was ich dir zu sagen habe, ebenfalls herausfinden kannst.«

»Mir zittern die Glieder, wenn ich an die Folgen denke«, flüsterte Susanna – »o, tun Sie es lieber nicht!«

»Susanna!« rief in diesem Augenblick des Vaters Stimme aus dem Hause, und die beiden jungen Leute hörten, wie eine Tür zugeschlagen wurde. Herr von Pick hielt es deshalb für die höchste Zeit, sich zu entfernen, denn er hätte gerade jetzt dem alten Lischke nicht begegnen mögen.


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