Friedrich Gerstäcker
Irrfahrten
Friedrich Gerstäcker

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7. Herr Doktor Raspe nebst Familie.

Fritz fühlte sich, als er, seinen eigenen Gedanken nachhängend, am Rhein hinabschritt, eigentlich nicht recht mit sich zufrieden, denn er war fest überzeugt, wieder einmal einen dummen Streich gemacht zu haben. Er konnte das verwünschte Pfeifen des Oberkellners nicht aus dem Gedächtnis bringen; wußte er doch genau, was dieser damit meinte. Und wenn er sich nun wirklich wieder hatte anführen lassen? – Aber das junge Mädchen sah so lieb und gut aus – ebenso hatte freilich auch jene »Komtesse« Olga ausgesehen – aber diese hatte so treue, ehrliche Augen und nichts Kokettes, gar nichts in ihrem ganzen Wesen, während ein tiefer Schmerz, wie ein geheimer Kummer, in ihren Zügen lag. – »Aber manche kokettieren auch damit,« sagte er sich selber, »und wenn die ganze Geschichte erfunden war – wie wenigstens der Oberkellner zu denken schien – bah,« setzte er sich tröstend hinzu, »so bin ich eben um zwanzig Taler ärmer und habe doch wenigstens den Glauben, ein gutes Werk getan zu haben – und Olga? – Ich werde jedenfalls noch einmal zurück nach Ems gehen! – Zum Henker auch, die Polizei selbst ist mir dort Genugtuung schuldig, und vielleicht erfahre ich dann auch etwas Näheres über die Familie Rosowska. Ich habe den Blick noch nicht vergessen, den mir die gnädige Komtesse zuwarf, als sie die Polizeidiener aus meinem Zimmer kommen sah.«

Er war ausgegangen, um sich an dem Anblick des prächtigen alten Stroms zu weiden; aber die Gedanken schwirrten ihm so wirr und bunt durch den Kopf, daß er wie träumend an dem Ufer hinwanderte und wirklich nichts sah als den Pfad, auf den er den Fuß setzte. Ein stromabgehender Dampfer brachte ihn erst wieder zu sich selbst; und da es indessen auch elf Uhr geworden war, beschloß er, umzudrehen und wieder in die Stadt zurückzukehren, und eben die Familie Raspe aufzusuchen, die jetzt doch wenigstens zu sprechen war.

»Doktor Raspe zu Hause?« fragte er auch den Portier, als er wieder in das Hotel trat. – »Nun? Haben Sie mich verstanden? – Ich fragte Sie, ob Doktor Raspe zu Hause sei,« wiederholte er die Frage, als ihn der Portier statt einer Antwort nur so unverschämt als möglich anstierte. Der Mann kam auch dadurch erst wieder zu sich selber und sagte dann etwas verlegen:

»Bitte um Entschuldigung – ja! – Nicht wahr, der Herr wohnen selber hier im Haus?«

»Ja.«

»Nr. 36?«

»Ja – weshalb? – Hat jemand nach mir gefragt?«

»Nein – noch nicht!« erwiderte der Portier mit einem verwünscht zweideutigen Lächeln. Fritz achtete aber nicht darauf und erst, als er sich von ihm abwandte, fielen ihm die jungen Damen ein und er fragte noch einmal:

»Können Sie mir nicht sagen, ob die Damen ebenfalls oben sind?«

»Die beiden Fräulein sind gleichfalls zugegen,« erwiderte der Portier. »Kennen Sie die Familie?«

»Nein – aber ich möchte sie kennen lernen. – Wollen Sie mich anmelden, oder soll ich es einem Kellner sagen?«

»Bitte, das werde ich selber besorgen,« rief der Portier, jetzt plötzlich ungemein höflich werdend. – »Haben Sie vielleicht eine Karte?«

»Ja, hier. Seien Sie so gut und sagen dem Herrn Doktor, ich wünsche ihm meine Aufwartung zu machen. Ich werde jetzt auf mein Zimmer gehen und Sie können mir dann dort gleich Antwort sagen – der Doktor hat doch vier- und fünfunddreißig, nicht wahr?«

»Jawohl, Herr Wessel,« sagte der Portier, auf die Karte sehend, – »werde es Ihnen pünktlich besorgen.«

Fritz kümmerte sich nicht weiter um ihn, drehte sich ab und stieg langsam die Stufen hinauf zu seinem Zimmer; der Portier aber faltete, sobald sich der Fremde entfernt hatte, hastig ein Zeitungsblatt zusammen, steckte es in die Brusttasche und eilte dann rasch in den Speisesaal hinüber, wo er den Wirt selber wußte. Diesem zeigte er eine Stelle in der Zeitung und die erhaltene Karte und flüsterte eine Weile mit ihm, dann stieg er nach oben, um den erhaltenen Auftrag auszuführen.

Etwa zehn Minuten später klopfte er an Nr. 36 an und meldete hier, Herr Doktor Raspe würde ihn empfangen, er möge sich nur gefälligst hinüber bemühen.

Fritz war noch unschlüssig, ob er seines Vaters Brief abgeben oder sich nur selber einführen solle – er haßte alle Arten von Empfehlungsbriefen und wenn er sich auch daheim fast vollständig von seinem Vater leiten ließ, war es ihm doch ein unangenehmes Gefühl, sich auch hier auf Reisen, wo er doch eigentlich selbständig austreten sollte, nur von einem beschriebenen Stück Papier abhängig zu machen, dem er vielleicht allein einen freundlichen Empfang verdanken könnte. »Ei, zum Henker,« sagte er bei sich, »selber ist der Mann; ich werde mich deshalb auch selber einführen, und wenn sie mich ohne beglaubigten Geburtsschein nicht herzlich empfangen, nun, dann lassen sie es eben bleiben und ich habe nichts an ihnen verloren.«

Mit dem Entschluß nahm er Hut und Handschuhe, um der Aufforderung Folge zu leisten. Vor der Tür fragte er aber noch einmal:

»Apropos, Portier, hat die junge Dame, mit welcher der Oberkellner vorher einen Streit hatte, das Hotel verlassen?«

»Jawohl, Herr Wessel,« sagte der Mann, »wie das bergangehende Boot signalisiert wurde, ist sie an die Dampfbootlandung gegangen und mit fortgefahren; aber wohin, weiß ich nicht.«

»Sehr gut!« nickte Fritz ihm zu und trat jetzt zu der nächsten Tür, an welche er leise anklopfte.

»Herein!«

Fritz öffnete und übersah auch schon in demselben Moment mit einem Blick, daß er die Familie Raspe vor sich habe. Der Vater, ein ältlicher Herr, der, wenn er immer so aussah wie gerade jetzt, eben nicht viel Einnehmendes in seinem ganzen Wesen hatte, saß, mit der Brille auf der Nase, in einem Fauteuil am Fenster und hielt ein Zeitungsblatt in der Hand – das nämliche, das der Portier vorher von unten mit herauf gebracht hatte – und an dem nächsten Fenster standen nebeneinander, der Tür zugewandt, die jungen Damen, jedenfalls seine beiden Töchter Rosa und Viola, und Fritz freute sich schon im voraus darauf, jetzt zu erraten, welches Rosa und welches Viola sei, und war überzeugt, daß ihm das leicht gelingen werde.

Übrigens war der Empfang nicht so herzlich, wie er ihn wohl erwartet haben mochte, denn nach seiner eingeschickten Karte mußten sie doch jedenfalls wissen, wer er sei. Der alte Doktor blieb aber, die Zeitung noch immer in der Hand, fest auf seinem Stuhl sitzen und sah ihn nur forschend über die Brille an, während die beiden jungen Damen näher zusammenrückten und sich leise etwas zuflüsterten. Fritz aber, als der Eintretende, fühlte doch, daß er die Unterhaltung eröffnen müsse, denn die Anwesenden schienen nicht geneigt dazu und wollten jedenfalls erst abwarten, wie er sich einführen würde. Fritz war übrigens nichts weniger als blöde, und mit einem artigen Gruß zuerst gegen die Damen, den diese aber nur halb – die eine nämlich gar nicht – erwiderten, ging er direkt auf den alten Herrn zu, streckte ihm die Hand entgegen und sagte herzlich:

»Mein lieber Herr Doktor, erlauben Sie mir, daß ich Ihnen in mir den Sohn eines alten Freundes und zugleich dessen herzlichste Grüße bringe. – Auch für eine der jungen Damen habe ich noch einen besonderen Gruß – mein Name ist Friedrich Wessel,« setzte er dann aber mit noch schärferer Betonung hinzu, als er zu seinem Staunen bemerkte, daß der alte Herr die dargereichte Hand keineswegs so bereitwillig nahm, als sie ihm geboten wurde, – »der Sohn des Regierungsrats Wessel aus Haßburg.«

»Sehr angenehm, Ihre werte Bekanntschaft zu machen,« sagte Doktor Raspe höflich, aber doch auch merkwürdig kalt; und wenn er auch nun wohl nicht mehr umhin konnte, die dargereichte Hand zu nehmen, erwiderte er doch deren Druck nicht, während die jungen Damen genau solch ein Gesicht machten, als ob sie am liebsten gleich aus dem Zimmer hinausgelaufen wären.

»Hm,« dachte Fritz, »die Freude, mich zu sehen, scheint allerdings nicht so besonders groß und die Leute tun hier genau so, als ob sie gar nicht wüßten, daß Papa auf der Welt wäre.«

»Sagen Sie einmal, mein lieber Herr Wessel,« bemerkte der alte Herr, indem er ihn scharf betrachtete; – »es kommt mir doch so vor, als ob Sie sich, seit wir uns nicht gesehen, sehr bedeutend verändert hätten; wie?«

»Das ist wohl möglich,« lächelte Fritz, »denn soviel ich weiß, ist auch schon eine Zeit von acht oder zehn Jahren darüber verflossen. Ich glaube, ich kann das nämliche von den jungen Damen sagen.«

Die jungen Damen lächelten nicht einmal; sie sahen so unbeholfen wie möglich aus, und doch verwandten sie keinen Blick von ihm. Hübsch waren sie auch, das ließ sich nicht leugnen, alle beide; aber, ob die Ursache vielleicht in dem kalten Empfang lag, sie ließen ihn selber vollkommen kalt, und zum erstenmal überkam ihn jenes unbehagliche Gefühl, das wir empfinden, wenn wir uns in irgend einer Umgebung treffen, in der wir uns nicht willkommen glauben. Fritz hatte sich deshalb auch noch nicht einmal gesetzt, als er schon wieder an den Rückzug dachte; er wußte nur nicht gleich, wie er sich in schicklicher Weise und ohne gerade unhöflich zu sein, aus der Affäre ziehen könne.

Der alte Doktor Raspe hatte ihm auf seine letzte Bemerkung gar keine Antwort gegeben, ja sonderbarerweise schien er nicht übel Lust zu haben, seine Lektüre in der Zeitung fortzusetzen, denn er nahm das Blatt wieder auf und sah hinein. – »Ei, zum Henker,« dachte Fritz da, »wenn der Alte so wenig Lebensart besitzt, so brauche ich auch nicht viel Umstände zu machen. Da bin ich einmal und wenn ich jetzt Hals über Kopf weglaufe, lachen sie mich am Ende gar noch aus; ich werde mir also erst einmal die jungen Damen in der Nähe besehen.« – Dem Gedanken die Tat folgen lassend, und ohne von dem alten Herrn weiter die geringste Notiz zu nehmen, ging er auf die beiden Mädchen zu, nahm sich unterwegs einen Stuhl mit, und den Hut auf den Tisch stellend, sagte er, indem er vor ihnen stehen blieb:

»Nun, meine Damen, muß ich erst an Sie einen Gruß ausrichten. Da ich aber noch nicht weiß, an welche von Ihnen, so erlauben Sie mir, daß ich vorher einmal raten darf, welches die Braut ist – aber wollen denn die Damen nicht Platz nehmen?«

Keine von ihnen erwiderte ihm ein Wort; ja es war weit eher, als ob sie sich vor ihm zurückzögen, so scheu bebten sie zusammen und schlossen sich enger aneinander an, so daß Fritz endlich lachend sagte: »Aber fürchten Sie sich denn vor mir? – Sehe ich wirklich so gefährlich aus und haben Sie ganz vergessen, daß wir uns schon als Kinder gekannt?«

»Nein, wir fürchten uns gar nicht,« erwiderte die eine junge Dame und es kam Fritz fast so vor, als ob ihre dunkelbraunen Augen bei den Worten blitzten und funkelten, was ihr aber außerordentlich gut stand; – »nicht im mindesten, Herr Wessel.«

»Aber Viola,« sagte die Schwester.

»O weh, jetzt haben Sie sich selber verraten,« lachte Fritz, »nun weiß ich auf einmal, wer von Ihnen die Braut ist. Fräulein Rosa, ich habe Ihnen die freundlichsten Grüße von jemandem zu bringen, der mich gewiß schmerzlich beneiden würde, wenn er wüßte, daß ich in diesem Augenblick das Glück Ihrer Gegenwart genieße.«

»Glauben Sie wirklich?« sagte Viola, aber mit einem so eigentümlich spöttischen Blick und Ausdruck selbst im Ton, daß Fritz sie ganz verdutzt ansah.

»In der Tat, mein Fräulein,« erwiderte er auch endlich, »oder trauen Sie mir zu, daß ich Ihnen eine Unwahrheit sage?«

»Du lieber Gott,« meinte Viola achselzuckend, »das Wort Unwahrheit ist so außerordentlich elastisch und kann nach so viel verschiedenen Seiten hin in eine andere Form gebracht werden, daß man es kaum wieder heraus erkennt.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Das sollte mir leid tun – wenn es nicht ebenfalls wieder eine Abzweigung wäre.«

»Aber können Sie mir Ihre Behauptung nicht erklären?«

»Und warum nicht,« erwiderte das junge hübsche Mädchen, und ein eigener Ausdruck von fast zornigem Trotz zog sich um ihre Lippen. – »Das Wort Lüge bezeichnet allerdings am schärfsten und genauesten, was ich meine, die gesellschaftliche Form hat ihm aber schon durch das Wort ›Unwahrheit‹ eine Abschwächung gegeben und ist dadurch in sich selber eine Unwahrheit geworden; doch dabei blieben wir nicht stehen. In vielen Fällen klingt der höflichen Menschenwelt das Wort Unwahrheit noch viel zu schroff; bitte um Verzeihung, sagt man dann, wie ich die Sache aufgefaßt habe; oder: Sie scheinen in einem Irrtum befangen – es ist ein Mißverständnis – Entstellung der Wahrheit wird schon selten gebraucht, weil es zu scharf klingt; ja, wir gehen noch weiter: wir nehmen sogar oft direkte Lügen als Schmeichelei oder Galanterie, wo wir derartige – Beleidigungen, ich habe eigentlich keinen anderen Namen dafür,« setzte sie mit einem fast verächtlichen Wurf ihres kleinen Lockenkopfes hinzu, – »mit Zorn und Entrüstung zurückweisen sollten.«

An dem glücklichen Temperament unseres jungen Freundes prallte der von der Dame direkt gegen ihn geführte Hieb insofern vollkommen ab, als er total vergessen hatte, was eigentlich diese Erörterung hervorgerufen, und in der ganzen Zeit nur emsig beschäftigt gewesen war, die beiden jungen Mädchen miteinander zu vergleichen. Er konnte nämlich nicht herausbekommen, welche von ihnen die ältere sei; denn obgleich er auf den ersten Blick Rosa dafür gehalten haben würde, so hatte diese doch auch wieder viel mehr Schüchternes und Jugendliches in ihrem ganzen Wesen, während Viola mit einer Entschiedenheit und fast Keckheit auftrat, die weit über ihre Jahre ging.

»Sie haben vollkommen recht, mein liebes Fräulein,« sagte er deshalb auch so unbefangen als möglich und bemerkte dabei nicht einmal, daß der Doktor, noch mit dem Zeitungsblatt in der Hand, hinter ihn getreten war; – »die deutsche Sprache ist in Umschreibungen außerordentlich reich und, ich möchte auch sagen, bequem, so daß wir eigentlich alles damit sagen können, ohne es scheinbar doch gesagt zu haben; doch was ich Sie gleich fragen wollte –«

»Sie entschuldigen,« unterbrach ihn in diesem Augenblick der Doktor, der Viola, die eben heftig erwidern wollte, heimlich zuwinkte; – »erlauben Sie mir vielleicht, Ihnen einen kurzen Artikel aus dieser Zeitung vorzulesen?«

Die Frage kam so plötzlich und wurde, ohne jede möglich denkbare Veranlassung, in einem so merkwürdigen Tone gestellt, daß sich Fritz fast scheu gegen den alten Herrn wandte, denn nach den Erfahrungen, die er in Mainz gemacht, war er wirklich mißtrauisch geworden. Viola aber, die ihn scharf beobachtete, zuckte empor, als sie das scheinbare Erschrecken des jungen Fremden bemerkte, und rief aus:

»O, fürchten Sie sich nicht, Herr Wessel. Was Vater eben lesen will, ist nur eine Erläuterung dessen, was Sie eben selber ausgesprochen.«

»In der Tat, mein Fräulein?« sagte Fritz jetzt, doch etwas betroffen von dem Tone und nicht angenehm davon berührt; »wenn Sie das schon im voraus wissen, kann es natürlich nur von Interesse für mich sein, zu sehen, wie weit Ihr Ahnungsvermögen geht.«

»Vom Ahnungsvermögen kann hier nicht die Rede sein,« sagte der Doktor trocken, »da ich diesen Artikel unmittelbar vorher, ehe Sie unser Zimmer betraten, meinen Töchtern vorgelesen habe – wollen Sie mir also erlauben?«

»Mit dem größten Vergnügen!« sagte Fritz, den Kopf aufmerksam nach dem Doktor zurückwendend.

»Schön,« sagte der Doktor, indem er sich seine Brille zurechtrückte. – »Also, bitte, hören Sie: Am 3. d. M. wurden dem Hotelbesitzer Braun in Bonn neun silberne Löffel, eine silberne Cylinderuhr mit Goldrand und Sekundenzeiger gestohlen. Die Uhr hat 19 Linien im Durchmesser – doch die Beschreibung derselben kann ich mir vielleicht ersparen. – Also weiter: Ferner wurde einem Reisenden ein noch ganz neuer Paletot entwendet. Des Diebstahls dieser Gegenstände ist ein junger Mann dringend verdächtig, der sich auch aus dem Hotel entfernte, ohne seine ziemlich bedeutende Zeche zu bezahlen. Die Sicherheitsbehörden werden deshalb ersucht, auf den nachstehend signalisierten Verbrecher zu vigilieren, denselben im Betretungsfall zu verhaften und mit den bei ihm befindlichen Sachen mir vorführen zu lassen. Bonn, den 5. Juli 18–. Der Staatsanwalt.«

Fritz lachte.

»Aber, verehrter Herr Doktor,« sagte er, »glauben Sie denn, daß diese, vielleicht stilistisch sehr schöne Anzeige für mich oder die jungen Damen nur das geringste Interesse haben könnte?«

»Bitte, hören Sie weiter,« sagte aber der Doktor, »das Signalement wird vielleicht von größerem Interesse für Sie sein. Also – Signalement: Alter etwa 28 bis 30 Jahre, Größe fünf Fuß neun Zoll, Haare dunkelbraun, Gesicht oval, Gesichtsfarbe gesund. Statur gewöhnlich, trägt einen kleinen, noch nicht alten Schnurrbart; besondere Kennzeichen: ein gewandtes und sehr anständiges Benehmen.«

»Das Signalement paßt jedenfalls auf zehntausend Menschen!« lachte Fritz.

»Reiste zuletzt,« fuhr der Doktor fort, »unter dem Namen Friedrich Wessel aus Haßburg –«

»Alle Teufel!« rief Fritz emporfahrend. – »Bitte tausendmal um Entschuldigung,« setzte er freilich rasch hinzu, »aber Sie werden mir zugeben, daß mir ein solcher Namensvetter nicht besonders angenehm sein kann.«

»Hat aber auch,« las der Doktor ruhig weiter, »zu dem gegründeten Verdacht Veranlassung gegeben, daß er seinen Namen nach Bequemlichkeit wechselte. Bis jetzt schien sein Bestreben, sich in anständigen Familien einzuschwärzen, indem er sich besonders aufmerksam gegen die Damen zeigte, dabei aber nur eine Gelegenheit abwartete, um irgend einen bedeutenden Diebstahl auszuführen und dann spurlos zu verschwinden.«

»Allerliebst!« nickte Fritz.

»Zu seiner Kenntnisnahme könnte das noch vielleicht beitragen,« schloß der Doktor, noch immer aus der Zeitung ablesend – »daß er eine Zeitlang mit einer polnischen Familie in Verbindung stand und besonders in Bonn für dieselbe Quartier bestellte, ohne daß sie aber eingetroffen wäre. Er ist später nicht mehr mit derselben gesehen worden, aber jedenfalls als ein gefährliches und gemeinschädliches Subjekt zu betrachten: und man hat erst in Mainz wieder eine Spur von ihm bekommen, wo er sich aber, wieder unter anderem Namen – und diesmal ohne Bart – in das Fremdenbuch eintrug und dann plötzlich spurlos verschwand. Eine Belohnung von fünfzig Talern ist durch den betreffenden Wirt in Bonn auf seine Einlieferung gesetzt.«

Der Doktor schwieg, und Fritz, der zufällig zu den Damen aufsah, bemerkte, wie deren Blicke in ängstlicher, erwartungsvoller Spannung auf ihm hafteten. Da er natürlich nicht anders glauben konnte, als daß sie selber das Unangenehme seiner Lage empfanden, mit einem solchen anerkannten und steckbrieflich verfolgten Schwindler einen Namen zu tragen oder den seinigen wenigstens von ihm gemißbraucht zu wissen, sagte er achselzuckend:

»Ja, was läßt sich da machen? Der Name Wessel kommt allerdings wohl nicht so häufig vor; aber die Möglichkeit ist doch da, daß er wirklich so heißt, und in dem Fall kann ich nur wünschen, bald von meinem Namensvetter durch die Polizei befreit zu werden.«

»Und Sie selber wissen gar nichts von jenen polnischen Damen?« sagte Viola, indem ihr Blick mit der Schärfe eines Inquisitionsrichters an ihm hing.

»Von welchen polnischen Damen, mein Fräulein?« fragte Fritz, jetzt wirklich zum ersten Male stutzig gemacht.

»Ei nun, von denen,« erwiderte das junge Mädchen, »von deren Kammerjungfer Sie heute morgen an der Treppe so zärtlichen Abschied nahmen und noch die Schulden bezahlten, die sie hier gemacht hatte.«

»Alle Wetter!« rief Fritz und sah die junge Dame erstaunt an; – »die Frage mag allerdings indiskret erscheinen, aber: wie alt sind Sie, mein gnädiges Fräulein?«

»Die Frage,« zürnte die kleine Juno majestätisch, »ist nicht allein indiskret, sie ist unverschämt.«

»Ich selber muß Sie bitten, diese Unterredung abzubrechen, mein Herr,« sagte jetzt der Doktor, »denn Sie müssen doch fühlen, daß Sie nach dem, was wir Ihnen eben mitgeteilt, hier nur eine sehr undankbare Rolle weiter spielen.«

Fritz lachte jetzt gerade heraus. – »Also halten Sie mich für den Fälscher, der unter meinem eigenen Namen reist?« rief er. – »Dann ist es aber wirklich großmütig gehandelt, nicht einmal die fünfzig Taler verdienen zu wollen, welche der Wirt in Bonn auf meine Einbringung gesetzt hat.«

Violas Auge blickte ihn zornig an; ehe sie aber etwas darauf erwidern konnte – denn sie schien hier wirklich das Wort zu führen – klopfte es ziemlich stark an die Tür und auf das laute Herein! des Doktors traten, von dem Oberkellner begleitet, zwei Polizeidiener ins Zimmer.

»Das ist der Herr, den Sie wünschen,« sagte die Oberserviette, mit wohlwollendem Lächeln auf Fritz deutend; – »schade, daß die Mamsell schon heute morgen abgefahren ist, denn ich glaube fast, das Pärchen gehört zusammen.«

»Du verdammter tellerschleppender Frackträger!« rief jetzt Fritz, die Gegenwart der Damen ganz vergessend, in ausbrechendem Zorn emporfahrend, – »wenn du dich unterstehst, noch ein einziges Wort –«

»Bitte, mein Herr!« unterbrach ihn aber der eine Polizeidiener, »ich ersuche Sie, uns zu folgen, und tun Sie das, wenn ich Ihnen raten soll, gutwillig, denn Sie könnten sonst Ihre Lage nur verschlimmern.«

»Bravo,« lachte Fritz, bei dem der Humor jetzt wieder die Oberhand gewann, denn das Komische der Situation war doch vorwiegend; – »das hat noch gefehlt. Sorgen Sie sich auch nicht, würdiger Vertreter der strengen Gerechtigkeit, daß ich Ihnen die geringste Schwierigkeit bereiten werde; nur eins erlauben Sie mir, dem Herrn Doktor hier vorher einen Empfehlungsbrief meines Vaters abzugeben, wenn auch nicht zu dem Zweck, daß er meine Identität vor Gericht bezeugen kann. Hier, mein werter Herr; da ich es nicht mehr zu benützen gedenke, so genügt es Ihnen vielleicht in zwei Hälften, wird Ihnen aber doch wohl, wie Ihrer liebenswürdigen, sanften Tochter Viola, die Überzeugung beibringen, daß ich der bin, für den ich mich ausgegeben, der Maler Friedrich Wessel.«

Damit nahm er den Brief an Doktor Raspe aus seiner Tasche, riß ihn mitten entzwei und legte ihn dann mit einer artigen Verbeugung auf den Tisch. Achtungsvoll grüßte er jetzt die Damen, und es konnte ihm nicht entgehen, daß Rosa schüchtern und wie verlegen zu ihm aufsah, während ihm Viola noch trotzig gegenüber stand; und dann seinen Arm ruhig in den des darüber etwas erstaunten Polizeidieners legend, schritt er mit diesem hinaus auf den Gang.

Sein Gepäck mußte natürlich mitgenommen und auf dem Amt untersucht werden; er bestellte indessen eine Droschke, aber auch zugleich einen Dienstmann, den er an den Kanzleirat Bruno abschickte und ihn mit wenigen Worten auf einem offenen Zettel bat, ungesäumt auf die Polizei zu kommen, um dort einen Brief in Empfang zu nehmen und ihn selber aus einer unbequemen Lage zu befreien. Der Kanzleirat kannte ihn außerdem persönlich.

 


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