Friedrich Gerstäcker
Die Südsee-Inseln
Friedrich Gerstäcker

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7. Tahiti.

Schon eine Stunde vorher etwa hatte ich mich ans Steuer gesetzt – meine drei Indianer ruderten, und es erforderte meine ganze Aufmerksamkeit, in der rasch einsetzenden Dämmerung den überall nach dem Fahrwasser zu auszweigenden Korallenbänken auszuweichen. – Aber – was bedeuteten die gleichmäßig brennenden Lichter in den regelmäßigen Entfernungen am Strande? – Straßenbeleuchtung? – der Gedanke war zu kühn, diese auf eine der Südseeinseln zu suchen, und doch sah es von Weitem ganz genau so aus – es war wunderbar.

Näher und näher kamen wir den Lichtern, zwischen einem paar dort vor Anker liegenden Schiffen fuhren wir durch, und mein alter Indianer, der schon mehrmals hier gewesen war, zeigte jetzt auf eines der Lichter als unseren Landungsplatz. Ich hielt darauf zu und bei allen Sonnen sämmtlicher Welten – es war eine Straßenlaterne, eine ehrliche alte Straßenlaterne mit trübem gemüthlich flackernden Oellicht, dicht unter einem Palmbaum, und darüber strahlt und funkelt das südliche Kreuz.

Ich war ordentlich gerührt, als ich die alte Laterne sah – o was für süße liebe freundliche Erinnerungen knüpften sich an ihre Schwestern, und hier, mitten in der Südsee ein solches liebes memento zu finden, war mehr als ich erwartet hatte, war eine förmliche Ueberraschung.

Unser Boot stieß indeß auf den Strand, ich sprang ans Land und küßte nicht etwa den gewonnenen Pomareklassischen Boden, nein, aber ich umarmte die Straßenlaterne und sagte ihr, daß ich mich ungemein freue, ihre werthe Bekanntschaft zu machen.

Der Strand war, gerade da wo wir landeten, sehr belebt, eine Masse Indianerinnen und Indianer und Weiße aller Gattungen trieben sich unter einander herum, und es schien ein ganz außergewöhnliches Leben hier zu herrschen, als plötzlich die kriegerischen Töne eines Trommelwirbels, und zwar gar nicht weit von uns entfernt, herüber tönten.

»Revolution« war mein erster Gedanke, Aufforderung an das Volk, auseinander zu gehen, kurze Rede des Kommandanten, langweiliges Verlesen der Aufruhrakte und drei Salven, oder auch erst drei Salven, und nachher eine Entschuldigung. – War das Alexanderregiment etwa hier herübergekommen und half es den Franzosen die Eingebornen zu beglücken? – Nein, meine Befürchtungen waren ungegründet; allerdings enthielt dieser Trommelwirbel und der darauf folgende, sich jetzt mehr und mehr in der Ferne verlierende Marsch eine Aufforderung, auseinander zu gehen – sie war aber total friedlich, und weiter nichts, als der regelmäßige Abendappell. Eine halbe Stunde später etwa folgte ein Kanonenschuß, und nach diesem darf kein Indianer mehr in den Straßen gefunden werden. Noch vor diesem hatten sich aber die Schaaren sämmtlich verlaufen, und die ganze kleine Stadt lag um 8 Uhr so still und öde, als ob die Pest in ihren Mauern herrsche.

Ich wanderte indessen am Ufer auf und ab, um ein ordentliches Gasthaus zu finden, wo ich nicht allein übernachten, sondern auch logiren konnte; trotz der Masse von Trinkbuden und Schenkständen aber, ja trotz einiger wirklich so benannten Hotels war kein solcher Platz aufzutreiben, und ich beschloß, diese Nacht lieber noch einmal an Bord meines Bootes zu schlafen; bei Tag konnte ich dann eher ein passendes Logis ausfindig machen.

Das war übrigens leichter gedacht als ausgeführt; wegen dem Wellenschlag dicht am Ufer hatten die Indianer das Boot fast hundert Schritte in See hinausgenommen und schliefen schon wie die Ratten; am Strand mochte ich auch nicht liegen bleiben, zog also meine Kleider aus, watete, so weit das gehen wollte, hinüber, und nahm endlich, als das Wasser zu tief wurde, den kleinen Pack in die linke Hand und schwamm zum Boot.

Eine Viertelstunde später lag ich, mein Gesicht der freundlichen Straßenlaterne zugekehrt, warm in meiner Decke eingewickelt im Boot und verträumte meine erste Nacht in Tahiti.

Mit dem Kanonenschuß, der den dämmernden Tag verkündete, wachte ich auf, und konnte auch nicht wieder einschlafen, denn ich war neugierig, den Hafen von Papetee, von dem ich so viel schon gehört und gelesen, bei Tageslicht zu bewundern. Wie es aber gewöhnlich geht, wenn die Erwartungen von irgend etwas zu hoch gespannt sind, so ging es auch mir hier; ich fand sie, wo ich etwas großartig Schönes erwartet hatte, keineswegs in dem Grade befriedigt. Die Gebirge, die den Hintergrund bildeten, sind allerdings hoch und, wie schon gesagt, bis in die höchsten Gipfel, in die schroffsten Hänge hinein bewaldet, sie laufen aber allmählich zu weit von der Küste zurück und haben zu wenig scharfe Conturen, irgend ein pittoreskes Panorama zu liefern.

Aber ein liebliches Bild bot der stille, an drei Seiten von freundlichen Wohnungen und Gärten, auf der andern von schäumenden Riffen eingefaßte Hafen der schönen Insel, und ein kleines, Palmen bewachsenes Eiland, Motuuta , das gerade neben der Einfahrt liegt, und früher den Königen dieser Gruppe zum Aufenthalt gedient hat, stach wahrhaft reizend gegen den Hintergrund der Seeseite ab, den zur einen Hälfte das weite Meer, zur andern die zackigen Bergrücken Imeo's bildeten. Oben und unten formten zwei, gegen die Riffe auszweigende Landzungen einen förmlichen Halbkreis, in dessen inneren Bogen die Stadt Papetee dicht am Strande hin mit ihren Gärten und lauschigen Häusern lag.

Von der See aus glich der Ort nun freilich weniger einer Stadt, als einer ununterbrochenen Reihe von mit Gärten umgebenen Landhäusern, wie sie sich in der Nähe einer großen Stadt finden, hätten nicht die hie und da ausragenden ächt Yankeeartigen »Hotel«-Schilde den Eindruck ländlicher Zurückgezogenheit zu Nichte gemacht, und auch dieser abgelegenen Insel den kalifornischen Stempel – das californische Motto – »Geld um jeden Preis« – aufgedrückt.

Schiffe lagen nicht so viel in der Bai, als ich erwartet hatte hier zu finden; und nur ein paar Wallfischfänger, ein Franzose und ein Amerikaner, zwei oder drei Kauffahrteischiffe, ein für diesen Tag nach Sidney bestimmter Schooner und mehrere Gouvernementsschooner, unter diesen auch der Schooner »Kamehameha« – ein allerliebstes Fahrzeug, das die Franzosen vor 13 oder 14 Monaten etwa, bei der schon früher erwähnten Gelegenheit, neben 20,000 Dollars baar Geld, den armen Sandwich-Insulanern einfach weggenommen hatten – (ich würde das nach meinen Begriffen vom Recht stehlen nennen) – und den sie auch wohl je schwerlich wieder zu sehen bekommen.

Die Indianer hatten mit Tagesanbruch das Boot dicht an Land gebracht, wobei sie, beiläufig gesagt, nicht wenig erstaunt waren mich an Bord zu sehen, da mich niemand von ihnen kommen gehört, und schleppten ihren (unterwegs gefangenen) Haifisch zu Strand. Kaum wurden diesen aber die Eingeborenen gewahr, als sie auch schon in Hast herandrängten, und so rasch die Stücke nur abgeschnitten werden konnten, rissen sich die Käufer darum. Der Marktmeister legte sich aber hier bald ins Mittel: sämmtliche zum Verkauf nach Papetee gebrachten eßbaren Sachen müssen auf den Markt geschafft und dort ausgeboten werden, wobei sie einen von der Regierung bestimmten festen Preis haben. Meine Indianer wurden beordert, ihren Hai zum Markthaus zu nehmen. Es war aber nur noch der Schwanz des ganzen sieben Fuß langen Fisches übrig geblieben, mit diesem machten sie sich bereit, dem Befehle Folge zu leisten. Zwei der gierigsten Käufer überhoben sie dabei der Mühe des Tragens, denn sie faßten, damit ihnen niemand anders zuvorkommen konnte, an beiden Seiten das Stück Fisch an, und marschirten auf solche Weise damit ab.

Ich machte mich jetzt auf die Wanderung nach einer Wohnung, fand aber, daß das nicht so leicht war. Vor allen Dingen mußte ich mir auch wieder einige Kleidungsstücke anschaffen, und ging deßhalb in einen der englischen Kaufläden, von denen ich mehrere Firmen sah.

Nach meinem Anzug konnten sie dort wohl bald sehen, daß ich erst kürzlich hier angekommen war, und als ich den einen der im Laden Stehenden auch noch frug, wo hier wohl das beste Gasthaus zum Logiren sey, meinte er, das würde sehr schwer halten, da die Hotels hier keineswegs auf Logiren eingerichtet seyen, und jeder, der hier längere Zeit bliebe, sich gewöhnlich ein kleines Zimmer miethe und dann nur zum Essen in ein Wirthshaus ginge.

»Uebrigens,« setzte der gute Mann mit einem freundlichen Lächeln hinzu, »mit welchem Schiff sind Sie denn eigentlich gekommen; es ist doch seit drei Tagen keines hier eingelaufen?«

Ich sagte ihm, daß ich mit einem Wallfischfänger bis Maiao gekommen, und von dort in einem Boot hier herüber gefahren sey.

»In einem Boot? – also mit einem Wallfischfänger – Bootsteurer?«

»Bootsteurer,« erwiederte ich ihm jetzt, vollkommen in mein Schicksal ergeben, und nur noch die Kleinigkeit Ehrgeiz für mich rettend, nicht für einen gemeinen Matrosen gehalten zu werden.

»Dann wird es aber Schwierigkeiten haben daß Sie hier eine Aufenthaltskarte bekommen,« fuhr der Mann fort; »die Polizei ist hier sehr streng, und ohne Aufenthaltskarte darf Sie niemand über Nacht behalten.«

Aufenthaltskarte, Straßenlaternen, Polizei – o süße, süße Erinnerungen! – weiter fehlte mir jetzt gar nichts, als auch noch die bescheidene Forderung eines Heimathscheins. Und hier, mit all diesen wehmüthigen Anklängen aus der Heimath, sollte man nicht das Heimweh bekommen? Mir wurde ganz weh und weich ums Herz, und ich sah den Mann gerührt an. Dieser hielt das aber wahrscheinlich für Angst, denn er suchte mich zu beruhigen, und meinte das ließe sich alles machen, wenn ich hier nur einen guten Freund fände, der für mich gutsagte.

Ich versicherte ihn, daß ich mein möglichstes thun würde mich zu beruhigen, kaufte was ich brauchte, und mehr, als er wahrscheinlich erwartet hatte, und wanderte dann mit ihm – denn als er sah, daß ich Geld hatte, wurde er auf einmal ungemein gefällig und zuvorkommend – die Straße hinunter, wo ein Landsmann von ihm – ein Schotte – und die Schotten sind wahrhaftig über die ganze Welt zerstreut – ein ausgezeichnetes und für die hiesigen Verhältnisse auch billiges Hotel hielt. Wir brauchten nicht lange zu gehen den Platz zu erreichen, und fanden ein ziemlich geräumiges, aber auch fast uneingerichtetes Gebäude, schmutzig und unwohnlich, mit einem so diebisch aussehenden Gesell zum Wirth, als sich nur irgend Jemand hätte wünschen können. Ueberall in den Ecken lehnten müßige Eingeborene mit dem Zeichen des Trunks in den stumpfen Zügen, Burschen, die hier an Arbeit verrichteten, was zu verrichten war, und in Branntwein bezahlt wurden, und der Platz sah wüst und öde aus. – Ich ging flüchtig hindurch und wollte wieder ins Freie, der Kaufmann aber, der wohl ein besonderes Interesse dabei haben mochte, wollte mich gar zu gern veranlassen dem Mann zuzusagen, daß ich bei ihm einziehen würde, und ich mußte mich zuletzt ordentlich mit Gewalt von ihm losmachen. – Und ich hatte es nicht zu bereuen, denn nur zwei Tage später hörte ich, daß gerade in demselben Wirthshaus das Zimmer des einzigen dort logirenden Fremden erbrochen und ihm eine Summe Geld gestohlen war.

Vor allen Dingen übrigens die Sache mit meiner Aufenthaltskarte in Ordnung zu bringen, ging ich erst einmal auf die Polizei hinunter, mich nur zu erkundigen was eigentlich von mir verlangt wurde. Der Polizeicommissär war nicht da, und ich wurde eine Stunde später hinbeordert; der Schreiber, der dort war, sagte mir aber, daß eine Bürgschaft wohl nöthig seyn würde.

Ich ging jetzt zum amerikanischen Consul, einem Hrn. Gray, dem ich meine Empfehlungsschreiben unseres amerikanischen Consuls in Leipzig, des Hrn. Dr. Flügel, überreichte. Dadurch konnte ich mich jedenfalls legitimiren, und das wenige, was er zu thun brauchte, war mir ein paar Zeilen an das Polizeibureau zu geben. Statt dessen zog er es vor, mir das »American Hotel« zum Aufenthaltsort zu empfehlen; der Wirth desselben würde für mich gut sagen; ich sollte ihn nur zu ihm bringen, er wolle mit ihm sprechen.

Da ich nicht gesonnen war, einen Wirth für mich Bürgschaft leisten zu lassen, empfahl ich mich Hrn. Gray, dessen Benehmen, das wenigste zu sagen, höchst undelikat war, und ging einfach wieder auf die Polizei zurück, zeigte dem jetzt anwesenden Commissär meine Papiere, wurde von diesem auf das freundlichste empfangen und erhielt ohne weiteres meine Aufenthaltskarte, einen lithographirten »Permis du Sejour à Papetee.«

Bei meinem Morgenspaziergang war mir übrigens ein Schild mit der Aufschrift:

Merz
tailleur, tailor
Schneider

aufgefallen, und diesen beschloß ich jetzt aufzusuchen. Vielleicht konnte ich dort ein Zimmer miethen, und dann hatte ich wenigstens meine Sachen sicher verwahrt, wenn ich einmal einen kleinen Ausflug in die Insel machen wollte.

Der kleine Schneider saß gerade mit einem Engländer – ein Geselle der bei ihm arbeitete – einem Franzosen und einer Indianerin – der Frau des Franzosen, beim Frühstück, und ich war nach den ersten fünf Minuten schon fest entschlossen bei diesem Schneiderlein, wenn es nur irgend möglich seyn sollte, zu wohnen.

Es war dieß wahrlich ein »Charakter;« er unterhielt sich bei Tisch mit uns allen vieren; mit jedem in seiner Sprache, und radebrechte alle vier Sprachen – ich kann nicht sagen auf eine so schauerliche – nein auf eine so lustige Weise, daß ich eine ganze Weile gut aufpassen mußte, herauszubekommen welche er gerade bearbeitete. Er war ein Straßburger, und hatte sich damit ein Recht erworben kein Deutsch zu sprechen, aber er sprach auch kein Indianisch, kein Englisch und kein Französisch, obgleich er in allen vier Sprachen Geschichten erzählte. Eine halbe Stunde später kam auch noch ein Spanier dazu, mit dem er sich aber indianisch unterhielt, nachdem er ihm vorher gesagt hatte: me no sabe you speak; zu deutsch: mich nicht weiß Ihr sprecht.

Außer meinem alten Freund Schwarz von Sacramento und Bockenheim (oder Buckingham, wie ihn die Amerikaner nannten) am Fourche la Fave in Arcansas, habe ich noch nie einen Menschen in der weiten Welt gesehen, der so vollkommen keine lebende Sprache redete, als mein kleiner Schneider. Er war ein personificirtes Miniatur-Babel.

Glücklicherweise hatte er ein Zimmer zu vermiethen, und er freute sich ebenso es los zu werden, als ich es zu bekommen. Nur eine Schwierigkeit war noch, meine Aufenthaltskarte; ich wollte gern hören was seine Ansicht darüber sey, und sagte ihm, daß ich wahrscheinlich Bürgschaft haben müsse um eine solche zu bekommen.

»Ja, ich will Ihnen was sagen,« meinte er, (ich gebe hier übrigens nur die Übersetzung dessen, was er mir auf Straßburg-Tahitisch mittheilte) ich will alles für Sie thun, was ich kann – worin das bestand, wußten wir noch nicht – »aber Bürgschaft – ne, Bürgschaft kann ich nicht für Sie leisten, die leist' ich für keinen Menschen.«

»Aber mein lieber Hr. Merz,« erwiederte ich ihm mit großer Milde, »Sie werden mir zugeben, daß das etwas ist, um das ich Sie noch gar nicht im entferntesten ersucht habe. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich Ihre Bürgschaft noch gar nicht verlangt.«

»Nein,« sagte mein kleiner Wirth ganz ruhig, »nein, das weiß ich wohl, aber ich bin so ein guter Kerl, ich kann keinem Menschen etwas abschlagen, und darum sag' ich es allen Fremden lieber gleich vorher, daß ich keine Bürgschaft für sie leisten will, damit sie mich gar nicht darum bitten.«

Das war ein vortrefflicher Grund, und es ließ sich nicht gut etwas dagegen einwenden. Unsere Hauptsorge war nun meine Sachen jetzt aus dem Boot, das wir bis ungefähr 150 Schritt vom Haus bringen konnten, unter Dach und Fach zu schaffen. Der Kanaka, den er im Hause hatte, sollte mir dabei helfen, und er zeigte sich selber bereit mit mir herunter zu gehen. Die Miethe für das Zimmer, aber auch nur für das Zimmer, ohne Tisch, Bett oder Stuhl, betrug einen Dollar für die Woche.

»Das bleibt jedoch ausgemacht,« sagte der kleine Schneider, sich noch einmal gegen mich herumdrehend, »ich will alles für Sie thun was ich kann, aber Bürgschaft –«

»Aber lieber Hr. Merz –«

»Nein wahrhaftig, Bürgschaft kann ich nicht für Sie leisten, sehen Sie, ich bin schon zu oft schlecht angekommen; da wohnte einmal –«

»Aber ich habe meine Aufenthaltskarte ja schon in der Tasche.«

»Sie haben Ihre Aufenthaltskarte schon? ja warum sagen Sie denn das nicht gleich?«

Er setzte mir seine Scheu vor Bürgschaften noch unterwegs weitläufig auseinander, unterdessen schafften wir die Sachen ins Haus, und eine halbe Stunde später war ich vollkommen eingerichtet.

Vor allen Dingen that mir jetzt ein Bad noth, und mein kleiner Schneider versicherte mich, daß etwa eine Viertelstunde von da ein reizender Badeplatz in frischem Wasser, und zwar in dem Bergbach läge, der in der nächsten Schlucht aus dem Gebirge niederkam. Salzwasser hatte ich in der letzten Zeit genug gehabt, ich sehnte mich nach frischem Wasser, und da mein Wirth sich geneigt zeigte mich zu begleiten (er versicherte mich noch oft, daß er alles für mich thun wolle etc.), so wanderten wir langsam einen hübschen breiten Weg zwischen Gärten und Orangebäumen ins Freie. Rechts in ein Dickicht von Guiaven einbiegend, folgten wir etwa hundert Schritt einem kleinen Fußpfad, und erreichten bald darauf einen wirklich reizenden, unter Büschen halb versteckten Badeplatz, in dessen klarem Wasser sich schon ein halbes Dutzend Franzosen lachend herumtrieb.

Der Platz war gänzlich von Guiaven und einzelnen Citronenbäumen beschattet, und das Bad wahrhaft stärkend und erfrischend. Noch nicht lange waren wir übrigens im Wasser gewesen, als plötzlich aus den dichten Büschen eine der indianischen Schönheiten, ein junges, vielleicht achtzehnjähriges braunes Mädchen vortauchte. Sie war in einen der gewöhnlichen langen rothen Cattunröcke gekleidet, und hatte einen weißen Blumenkranz in den vollen rabenschwarzen Haaren.

»Hallo, Wahine?« riefen ihr die Franzosen lachend zu, »komm mit herein zu uns, das Wasser ist kühl und Platz genug.«

Das Mädchen hatte sich dicht am Ufer niedergekauert, und schaute uns mit halb lachendem, halb trotzigem Gesichte an; sie hatte augenscheinlich Lust der Einladung Folge zu leisten, und die Franzosen mochten ihr das auch wohl ansehen, denn sie wurden immer dringender.

Der eigentliche Badeplatz bestand hier aus einem kleinen, vielleicht zwanzig Schritt langen und acht Schritt breiten Bassin, das durch einen gleich darunter quer durch den Bergstrom gezogenen Steindamm gebildet wurde, und an der tiefsten Stelle gegen sieben Fuß hatte. Auf der andern Seite stand, auf einem etwas vorragenden Stück Ufererde, das nur durch die Wurzeln des alten Baums noch zusammengehalten wurde und schon ganz unterhöhlt war, ein trockener, etwa zehn Fuß hoch abgebrochener Baumstamm; unter diesem war die tiefste Stelle. Der Bach mochte im ganzen etwa 20 Schritt breit seyn.

Das Mädchen kauerte noch immer am Ufer, und seine Augen blitzten und funkelten; plötzlich, als einer der jungen Leute gegen sie hinschwamm, war sie in den Büschen verschwunden.

»Ich glaubte sie würde zu uns hereinkommen,« rief der junge Mann, sich wieder zurückwendend, »sie sah gerade so aus.«

»Sie wäre auch gekommen wenn du sie nicht weggescheucht hättest,« sagte ein anderer, »wenn man die wilden Dirnen sich selber überläßt, haben sie den Teufel im Leib.«

»Miri, miri,« rief in dem Augenblick eine klare lachende Stimme, die aus der Luft zu kommen schien – wir sahen rasch empor, und oben auf dem kaum sechs Zoll breiten Stamm, mit den langen flatternden Haaren, das Obergewand abgeworfen, und nur mit dem schmalen, in der Brise wehenden Lendentuch bekleidet, stand das junge Mädchen, warf die Arme empor und sprang mit einem Jubelgeschrei, sich blitzwenig darum kehrend wem sie auf den Nacken kam, mitten zwischen uns hinein. Wir hatten eben noch Zeit unter ihr wegzukommen. Im nächsten Moment war sie wieder am Ufer, kletterte wie eine Katze an dem Stamm hinauf, und stand jetzt, während die klare Fluth an ihr hinabträufte, sich die nassen Haare aus der braunen Stirn streichend, zum zweitenmal auf ihrem Platz.

Es war wirklich ein reizendes Bild und ich konnte mich nicht satt sehen an der jugendlich schlanken braunen, so wild trotzigen und doch so lieblichen Gestalt.

Wieder warf sie die Arme empor, und im nächsten Augenblick schlug die Fluth über ihr zusammen. Dießmal hatten sich auch die Franzosen näher zu ihr gehalten, und suchten sie zu fassen, das bekam ihnen aber schlecht; mit Händen, Füßen und Zähnen wehrte das wilde Ding die zudringlichen von sich ab, schwamm ein paarmal im Kreise herum und glitt dann plötzlich, so rasch und unerwartet als sie gekommen, wieder in die Büsche hinein um nicht mehr zurückzukehren.

Wir gingen jetzt selber in die Stadt zurück, und es war hohe Zeit, denn kaum eine Viertelstunde später goß ein ächt tropischer Regen auf die Insel nieder. Die Regenzeit fällt hier sonderbarerweise gerade in den Sommer, und zwar sollen die Monate Januar, Februar und März die schlimmsten seyn.

Auch hat die Fluth etwas eigenthümliches, sie wechselt so regelmäßig daß um Mittag und Mitternacht immer höchstes, um sechs Uhr Morgens und Abends immer niedrigstes Wasser ist, und Mitternacht und Hochwasser sogar gleichen Namen im Tahitischen haben.

Vor allen Dingen richtete ich mich nun bei meinem kleinen Schneider, bei dem es übrigens kriegerisch genug aussah, häuslich ein. Dieser hatte nämlich seine Wände voll Indianischer Waffen hängen, die ihm ein nach Kalifornien gezogener deutscher Uhrmacher zur Bewahrung übergeben hatte und die grimmen Pfeile und Lanzen, die Streitäxte und Wurfspeere der Fidjees stachen allerdings wunderbar gegen die friedliche Beschäftigung ab, mit der mein kleiner Merz darunter saß und Nanking-Unflüsterbare nähte.

Wir kochten uns selber, d. h. wir hatten einen kleinen indianischen Jungen der Morgens kam, Feuer anmachte, Wasser kochte, Brodfrucht und Fische oder Fleisch röstete, und dann den übrigen Tag noch besorgen sollte, was etwa zu besorgen war, den übrigen Theil des Tages aber gewöhnlich gar nicht wieder aufgefunden werden konnte, und uns nicht selten zwang unser eben so frugales Mittagsbrod selbst zu bereiten.

Eine Frau hatte Merz nicht, aber er sprach stark davon »sich eine zu nehmen;« als ich ihn aber frug wo er ein weißes Mädchen hier finden wolle, das geneigt sein könne in den Stand der heiligen Ehe zu treten, meinte er ganz treuherzig: es komme ihm gar nicht so genau auf die Farbe an, wenn nur der Stoff gut wäre und ich sollte auch noch wirklich, ehe ich Papetee verließ, Zeuge sein wie er all die Freuden und Leiden eines sorgenden Hausvaters, ähnlich an Schnelle mit den Tagfliegen, von Anfang bis Ende durchlebte, und wie ich ihn gefunden, einen unzufriedenen aber sonst heiteren Junggesellen – so verließ ich ihn wieder.

Papetee – wie Stadt und Hafen dieser Insel genannt wird – böte, was ich schon oben bemerkte, von der Seeseite den Anblick einer Reihe von Lusthäusern, störten nicht eben die vorragenden Hotelschilder diesen freundlichen Eindruck. Die nächste Straße aber, welche zugleich das ganze Innere der Stadt bildet, gleicht, einem kleinen Theil derselben, wo mehrere Wirthshäuser und Läden sind, ausgenommen, ganz und gar einem Garten, und ein dichter Wald von Brodfruchtbäumen, Bananen, Papayas und Orangen verbirgt mehr als er umgibt die in seinen Schatten hineingeschmiegten freundlichen Wohnungen, die theils aus Indianerhütten, theils aus mehr europäischen Gebäuden gleichenden Häusern bestehen. Hohe Cocospalmen ragen überall aus dem dunkeln Laub der niederen Bäume heraus, und der Anblick dieses stillen ländlichen Platzes ist wirklich reizend.

Die französische Regierung hat in Papetee schon mehrere ziemlich bedeutende Gebäude angelegt und auch sonst viel nützliche Anlagen gemacht. Die sogenannte Broom-road oder Besenstraße, welche die ganze Insel umzieht, ist eine von diesen, obgleich die Indianer, die umsonst daran arbeiten mußten, mit der ersten Anlage keineswegs einverstanden sein mochten.

Eine andere vortreffliche Einrichtung ist die Wasserleitung, wodurch das Wasser durch eine eiserne Röhre bis an ein steinernes, die Bay begränzendes Werft geführt wird, und dort in einem etwa 2 Zoll starken Strahl in die See läuft. Die in der Bay liegenden Schiffe brauchen ihre Boote nur mit den Wasserfässern dorthin zu senden, und können dieselben solcher Art auf die leichteste und bequemste Weise füllen. Das Ganze ist aber immer nichts weiter als ein Kriegshafen, Soldaten liegen überall vertheilt, halten alle Plätze besetzt, und ziehen schwerbewaffnet durch die Straßen, während die halbnackten Eingeborenen, selbst ohne ein Messer an der Seite, wunderlich gegen solche Truppenzüge abstechen.

Merkwürdig ist dabei daß nicht allein die Franzosen auf Tahiti, sondern auch alle europäischen Nationen fast, die in fremden Zonen Eroberungen gemacht, dem alten Kamaschendienst treu der nichts abändern und anrühren darf, weil man dann immer gleich fürchtet das ganze künstlich aufgebaute System fiele über den Haufen, ihre schwere unzweckmäßige, warme und puppenartige Kleidung richtig beibehalten und die armen Teufel von Soldaten nicht allein durch den Dienst, nein mehr noch durch das quälen, was sie höchst unnützer Weise auf und über sich hinhängen müssen. Wenn das geschieht um den Eingeborenen zu imponiren, so irrt man sich sehr, denn diese lachen nur darüber und viele der Soldaten gehen dabei zu Grunde.

Die Engländer machen es dabei ebenso in Indien, die Holländer ebenso in ihren Besitzungen, und wollen neue Führer an dem alten Systeme ändern, so fällt ihnen gleich der Zopf um den Hals und bittet sie um Gotteswillen sich nicht unnützer Weise zu bemühen.

So ziehn denn die Franzosen hier wirklich in ihrer vollen europäischen Uniform genau so auf Wache, als ob sie in einer Winternacht im Freien liegen wollten – und Alles nur pour la gloire.

Noch besteht die frühere Befestigung der Stadt ein hoher Wall und Graben, hinter dem sich die Franzosen einst gar wacker gegen die rüstig anstürmende Schaar der Eingeborenen vertheidigen mußten, doch ist der Frieden jetzt wohl für immer, wenigstens für eine lange Zeit gesichert, denn die Franzosen sind gute Colonisten oder wissen sich vielmehr den Sitten und Gebräuchen der fremden Stämme viel leichter anzuschmiegen als die Engländer. Der Beweis schon ist das leichte und rasche Erlernen der fremden Sprache, während der Engländer stets hartnäckig auf seinem eigenen Dialekt beharrt. Auch die katholische Religion, wenn sie nun doch einmal Christen seyn müssen, sagt den wilden Stämmen mehr zu – sie bietet ihnen etwas für das Auge, ihren Sinnen wird eine Art von Ersatz für Alles das gegeben, was man ihnen genommen hat, und – der Katholicismus raubt ihnen auch nicht ihre Tänze, ihre Blumen, ihre Vergnügungen. Sich mehr selber überlassen, vergißt das Volk endlich nach und nach daß es früher Fürsten und seinem eigenen Blute huldigte und eine selbstständige Nation gewesen.

Das einzige das sie manchmal kränkt, ist, wenn sie zu Arbeiten gezwungen werden, die sie selber bis dahin natürlich für vollkommen unnöthig hielten; im Ganzen wird aber doch wenig von ihnen gefordert, und sie leisten eben das Wenige – weil sie müssen.

Mit den Verhältnissen der Insel sollte ich aber später schon noch näher bekannt werden, und mir lag jetzt nur daran vor allen Dingen soviel als möglich von dem äußeren Leben der Eingeborenen zu sehen, die für mich von ganz besonderem Interesse waren.

Am nächsten Morgen, einem Sonntag, denn wie schon gesagt, haben die Franzosen hier wieder die richtige Feier des christlichen Sabbath eingeführt, ging ich aus, eine der Kirchen der Eingeborenen zu besuchen. – Es hatte in der Früh ein wenig geregnet, aber die Sonne lachte schon wieder am wolkenreinen Himmel, und die Luft trug den balsamischen Hauch von tausend Blumen und Blüthen.

Ziemlich am äußersten Ende der Stadt stand die mir nächste Kirche – ein großes hölzernes Gebäude, einfach, aber seinem Zweck vollkommen entsprechend und luftig gebaut. Vier Thüren an den vier verschiedenen Ecken standen sämmtlich geöffnet, der innere Raum war schon mit geputzten Kanakas fast ganz gefüllt, und die Stimme des Predigers, eines englischen Missionärs, schallte, in der Sprache der Eingeborenen natürlich daraus hervor.

Ich trat ein und ließ mich auf der mir nächsten Bank nieder. Die Kirche roch entschieden nach Cocosnußöl und Haifisch – die Ausdünstung der Eingeborenen hat einen dem ziemlich ähnlichen Geruch. Die bunte Tracht der Eingeborenen aber, die dunkeln ausdrucksvollen Gesichter, die schwarzen funkelnden Augen, dazu der weiße Mann, der hinter dem einfach mit einem weißen Tuch bedeckten Altar stand, den Kindern einer fremden Race eine fremde Religion gebracht hatte, und ihnen diese nun in ihrer eigenen Sprache verkündigte, dazu draußen die wehenden Palmen und das dumpfe murmelnde Brausen der Brandung, das deutlich bis zu uns herüber tönte – ich weiß nicht, es machte einen wunderlichen Eindruck auf mich, und wunderliche Gedanken waren es, die mir Herz und Sinn dabei durchkreuzten.

Der Prediger war ein alter, ehrwürdig aussehender Mann mit schneeweißen Haaren (ein Hr. Orsmond), der schon seit dreißig Jahren auf dieser Insel lebte, und wenn ich nicht irre, einer der ersten gewesen ist, die Gottes Wort zu diesen »heidnischen Völkern« brachten. Der Mann stand dort und predigte noch dasselbe, was er ihnen vor dreißig Jahren gepredigt hatte, und ich bin fest überzeugt, er ist einer von denen, die das auch fest glauben, selber glauben, was sie den »Ungläubigen« sagen. Er kam auf diese Insel, verwarf die Religion, welche die Kinder dieses Landes von ihren Vätern geerbt, in der sie glücklich waren, und lehrte sie ein anderes Wesen? nein, dasselbe Wesen, das sie bis dahin angebetet, nur unter einem andern Namen kennen. Er verkündete ihnen andere Wunder und Zeichen, wie sie bis hierher gekannt, oder bestätigte auch alte – (wie z. B. die Sage von Adam und Eva und der Sündfluth, die sie ganz wie wir nur etwas verändert haben, und auf die ich später wieder zurück kommen werde) und der Indianer, der sich vor dem neuen Gott in den Staub warf, und doch noch nicht Alles aus seinem Herzen bannen konnte, was dort seit frühster Kindheit Wurzel geschlagen, und das ihm die Mutter unter dem flüsternden Rauschen seiner Palmen gelehrt, und zu dem die Sterne, lauter alte liebe Bekannte aus früherer Zeit, ihr funkelndes Licht geliehen, sah einen zürnenden rächenden Gott vor sich aufsteigen, der da strafte »bis ins neunte oder zehnte Glied.«

Das Predigen jedes andern würde mich auch wahrscheinlich kalt und gleichgültig gelassen haben: das ganze Missionärwesen ist leider den meisten eine Art Geschäftssache, ein Beruf wie Kaufmann oder Handwerker haben, ihr Leben dadurch zu fristen und sich eine Existenz zu gründen. In Europa selbst geht es auch ziemlich spurlos an uns vorüber; wir lachen vielleicht einmal, wenn für die »Heiden in fremden Welttheilen« wollene Unterröcke und Strümpfe oder dergleichen Sachen gesammelt und Unterstützungen gefordert werden, wo so viel Elend ungelindert gerade unter unsern Augen existirt; wundern uns auch wohl, wie es Menschen geben, kann, die wirklich Summen daran verschwenden; oder ärgern uns, wenn selbst sogar blutarme Leute, die ihr bißchen sauer erworbenes Geld selber nöthig genug brauchen, veranlaßt werden, ihr »Scherflein,« und »sey es auch noch so wenig,« zu solchen fernen Expeditionen beizutragen, denken aber doch selten weiter und genauer darüber nach. Ich, meines, Theils, hatte bis jetzt die Klasse der Missionäre immer nur in zwei Sekten getheilt: in Schwärmer und Heuchler, d.h. in solche die sich der Bekehrungssache wirklich mit vollem uneigennützigem Eifer hingeben, die Leben und Eigenthum daran setzten, Vaterland und Familie verließen, einen Beruf, wie sie glaubten, zu erfüllen, der ihnen vom Himmel selber auferlegt sey, die eigene Religion in der Welt zu verbreiten und fremde Stämme, denen noch nicht der Segen derselben geworden, vor ewiger Verdammniß zu retten – und dann in solche, die eben aus der wirklichen Religion – der eigentlichen Seele des Menschen – ein gewöhnliches Geschäft, einen Handelsartikel machen, von dem sie berechnen, wie viel solcher Seelen sie nicht selig – denn sie können nicht wissen was jenseit des Grabes liegt, so lange selbst Katholiken und Protestanten noch den trostlosen Kampf fortsetzen – nein, sich contributionspflichtig gemacht haben.

Hier nun fand ich einen einfachen, schlichten weißhaarigen Mann, der mir nichts weniger als ein Schwärmer aussah, und sicherlich kein Heuchler war, der dabei den Indianern seit dreißig Jahren die christliche Religion als die einzig reine und wahre predigte. – Was müßten nun gerade eines solchen einfachen schlichten Mannes Gedanken seyn, wenn er sich einmal sagte: außer der Lehre, der wir Christen anhängen, haben wir diesen Menschen, die wir als ein glückliches harmloses Volk fanden, mit der Versicherung jetzt, daß ihre Väter und Vorväter als blutige Heiden im ewigen Feuer brodeln, auch Civilisation und Cultur gebracht, und dadurch die Länder selber dem Verkehr der Weißen mit öffnen helfen – haben wir den Stämmen selber aber halten können, was wir ihnen damals versprochen?

Neinnein und tausendmal nein – ein Segen mag die Civilisation für den Acker seyn, den indianischen Völkerstämmen war sie noch immer ein Fluch, und nur neue Bedürfnisse wecktet ihr in ihnen, die, selber befriedigen zu können. – Wenn ich aber einen Menschen verwunde, und heile ihn nachher wieder, so habe ich ihm doch wahrlich keine Wohlthat erwiesen. Eine ungeheuere Verantwortung habt ihr dabei, und wie viele unter euch mit gränzenlosem Leichtsinn auf euere Schultern genommen, und wohl euch, wenn euere Absicht wirklich rein und gut war, wenn ihr wirklich geglaubt habt, was ihr die Armen lehrtet, so daß ihr ihnen den Geist und nicht bloß die Formen der christlichen Religion brachtet, und mit dem Geist in etwas dem Elend und Blutvergießen entgegenwirktet, das durch die Civilisation noch über alle wilden Stämme gekommen.

Capitän Cook, als er diese schönen Inseln zuerst besuchte, erzählt auch von den Spaniern, die vor ihm gelandet waren, und den Eingeborenen versprochen hatten wieder zu kommen, und Häuser mitzubringen und bei ihnen zu bleiben, und der damalige vertrauungsvolle Monarch Otu freute sich darüber, daß er so viele neue Unterthanen bekommen sollte, wenig denkend, daß ein solcher Fall ihn zugleich seines Reiches und das Volk seiner Freiheiten berauben würde. – »Das aber beweist« – setzt der Entdecker hinzu, »mit welcher Leichtigkeit eine Ansiedlung auf Tahiti gegründet werden könnte, was – wie ich dankbar für die vielen dort erhaltenen Wohlthaten – ich hoffen will daß es nie geschieht. Unser kurzer und gelegentlicher Besuch mag ihnen in mancher Hinsicht nützlich gewesen seyn, eine bleibende Ansiedlung aber zwischen ihnen in der Art, wie die meisten europäischen Niederlassungen zwischen Indianern unglücklicherweise errichtet sind, müßte sie, ich fürchte, gar sehr beklagen lassen, daß unser Schiff sie je gefunden hätte. Es ist aber auch nicht wahrscheinlich, daß etwas derartiges je ernstlich unternommen werden sollte, denn der Erfolg könnte weder öffentlichem Ehrgeiz noch eigener Selbstsucht der Einzelnen genügen, und ohne solche Lockungen würde es schwerlich unternommen werden.«

Und der Rev. Doctor, der diese Stelle citirt, ergeht sich dann in eine wohlgefällige Betrachtung, wie sich der große Entdecker geirrt habe, daß nur solche Motive die Menschen in ferne Welten und zu heidnischen Völkern bringen könnten, und erzählt mit frommem Stolz wie fromme Männer nur des Christenthums wegen das Kreuz auf sich genommen hätten und ausgezogen wären »alle Heiden zu lehren« – Und wie genau kannte Cook seine Welt.

Nein, mir steigt jedesmal der Zorn in die Adern, wenn ich die schwarzröckigen scheinheiligen Gesellen in der demüthig frommen Maske umherkriechen sehe – die Worte »ich bin ein elender erbärmlicher Sünder« immer auf den Lippen – und in alle Welt hinausposaunend, welche Opfer sie gebracht, was sie Alles nur um des Heilands und des Heils wegen gethan und geleistet. – Vor Augen haben sie dabei was sie leisten – sie sind nicht blind, denn sie wissen ihren eigenen Vortheil genau genug dabei zu unterscheiden. – Jahrzehende haben sie auch die Folgen gelehrt, die ihre Civilisation und Christenthum überall auf die Stämme hatten. Die Indianer verschwinden nach und nach von der Erde – große steinerne Kirchen werden gebaut und ihre Höfe zu gleicher Zeit mit den Leichen der neuen Christen gefüllt – einer Seuche gleich haben die neuen Sitten und Gewohnheiten unter ihnen gewüthet; aber das Land verwerthete sich, Städte und Dörfer erstanden, Europäer legten Niederlagen bei ihnen an und wurden reich, die Indianer selber mußten Frohndienste leisten und wurden entweder zu Sklaven der Weißen erniedrigt, oder mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt, bis sie sich selber ein ruhiges Plätzchen aussuchen konnten, zu sterben. Und die Missionsgesellschaften zu Hause rühren indessen den Brei; »für die Heidenkinder in fremden Welttheilen werden Strümpfe gestrickt und Unterröcke genäht – für die Heidenkinder werben Gelder gesammelt, Kirchen für sie zu bauen und »ein Dach für die frommen Männer nur, die dort in Lebensgefahr in der Wüste predigen.« Für die Heidenkinder, die armen verlornen Heidenkinder muß der Arme sich den Bissen vom Munde sparen, seinen Dreier wenigstens der allgemeinen Steuer mit beizulegen, und Tausende werden dabei außer Landes geschleppt ein paar müßige Gauche zu füttern, und ein armes Volk draußen, das glücklich und in Frieden lebt, mehr und mehr in Banden schlagen zu helfen, während man ihm vorschreit, daß es erst glücklich gemacht wird. Und daheim hungert und darbt das Volk und zittert vor Frost in der dürftigen nicht genügenden Bekleidung – die armen Kinder im nordischen Vaterland laufen barfuß, und den »Heidenkindern« einer tropischen Sonne schickt ihr die Strümpfe. –

Aber der Leser soll mir nicht allein glauben – er mag denken, ich habe ein Vorurtheil gegen die Schwarzröcke – Kotzebue, der Weltumsegler sah schon damals dieselben Sachen, und nach Beschreibung einer religiösen Ceremonie auf Tahiti oder Otaheiti, und während er ihre damalige Lage mit dem früheren Zustand vergleicht, als sie noch nicht zum Christenthum übergetreten waren, beschreibt er die Zeit, wo die Wirkung der ersten Missionäre sichtbar wurde.

»Nachdem diese,« erzählt er, »den damaligen König irgend eines Distrikts zu ihrer Lehre übergewonnen hatten, wirkte solche Bekehrung auf die friedliche Bevölkerung, wie der Funke, der in ein Pulverfaß geschleudert wurde, und eine furchtbare Explosion folgte. Die alten Tempel wurden zerstört – jedes Andenken früherer Anbetung vernichtet, und wer sich weigerte den neuen Glauben anzunehmen, wurde grausam ermordet. Mit dem Eifer Proselyten zu machen, wuchs ein sonst stilles friedliches Volk zu Tigern an. Ströme Blutes flössen, ganze Stämme wurden ausgerottet, und manche erduldeten entschlossen den Tod, ehe sie dem Glauben ihrer Väter entsagten. Einzelne entkamen in die steilen unzugänglichen Berge, und lebten dort einsam und abgeschlossen, aber ihrer alten Religion treu.«

Derselbe Autor gibt zu, daß die Lehre der Missionäre neben vielem Uebel auch manches Gute gehabt, heidnischen Aberglauben gestürzt, und manche Irrthümer abgeschafft, andere aber nur dafür eingeführt habe. Einzelne Laster habe sie bekämpft, anderen dagegen wieder Thür und Pforten geöffnet, wie besonders dem bigotten und hypokritischen Wesen und der Unduldsamkeit jedes anderen Glaubens. Sie verhinderte die anerkannten und gewöhnlichen Menschenopfer, aber mehr Menschen wurden gerade durch die neue Lehre förmlich hingeschlachtet, als je den heidnischen Göttern zum Opfer fielen, und die blutige Verfolgung, die durch die Missionäre ins Leben gerufen wurde, wirkte mit demselben furchtbaren Erfolg, als eine Pest es gethan haben würde. »Ich glaube dabei,« fügt er hinzu, »daß jene »frommen Männer« selbst über die Folgen ihres Eifers erschraken, sie trösteten sich aber bald darüber, und haben seit dem nicht aufgehört, die genaue Befolgung auch der geringsten Gebräuche ihres Glaubens zu überwachen. Der frühere Fleiß, die frühere Elasticität des Geistes jenes Stammes ist denn auch deßhalb in ein ewiges Beten und Brüten über Dinge verwandelt, von denen die Lehrer so wenig verstehen, als die Lernenden.«

»Ihr behauptet wir geben hier die Gesetze,« sagten die Missionäre auf den Sandwichsinseln, als ihnen vorgeworfen wurde, daß sie sich mehr um die Politik des Landes, als das Seelenheil der Bewohner bekümmert hätten, wie sie denn auch in der That eben durch die Häuptlinge das ganze Land regierten – »wie können wir die Gesetze geben? – sitzen wir mit in den Versammlungen der Häuptlinge und Edeln? – hat der König nicht seinen freien, unbeschränkten Willen? – können wir, arme unbedeutende Fremde ein ganzes Volk regieren? – ist es wahrscheinlich, daß es sich von uns würden regieren lassen? –

Sie gaben auch dabei keine Gesetze, aber sie legten dem jungen König die Bibelstellen aus, wie sie es für nöthig fanden, oder kündeten ihm in besondern Fällen nicht allein die Stimme, nein den Willen Gottes, und war es dann ihre Schuld, wenn die Häuptlinge danach handelten?

»Ihr behauptet, wir haben die christliche Religion mit Gewalt und Blutvergießen eingeführt,« entgegnen sie wieder mit nie zu störender Milde und Sanftmuth – »ist es wahrscheinlich, daß wenige unbewaffnete Männer, noch mit ihren Frauen und Kindern belastet, abhängig von den Eingeborenen dabei zu jeder Zeit, der Nahrungsmittel wegen, ein wildes Volk zwingen könnten, ihren Glauben abzuschwören, ihre alten Götter zu zertrümmern und ihre bisherigen Freunde und Brüder zu morden?«

Oh Tartüffe – und die tausenden von Leichen des Glaubens wegen auf jenen friedlichen Inseln Erschlagenen, sind die stummen aber beredten Zeugen der Wahrheit jenes Vorwurfs, und ihr Blut wird nicht umsonst zu Gott aufschreien.

Der Streit wie jenes höchste unerforschte Wesen mit Namen heiße, hat schon mehr Blut vergossen, schon mehr Leben gekostet, als alle Pesten und Fluthen des Erdballs, und zwischen Christen und Juden, zwischen Heiden und Muhamedanern ja mehr noch zwischen Christen und Christen künden rauchende Altäre die blutige Bahn, die der Fanatismus mit seinen Schrecken gezogen.

Ueber die Heuchler unter den Missionären kein Wort, ihre Zahl ist überdieß Legion und die einzige Strafe, die ich ihnen nach dem Tode wünsche, wäre allein einst auf einen abgelegenen Stern versetzt zu werden, wo sie keine »Schafe« mehr zum Bekehren fänden, und auf ihre eigene liebenswürdige Gesellschaft beschränkt blieben. Aber nothwendig ist es, daß das Publikum, gerade in unserer jetzigen Zeit, wo der religiöse Fanatismus wieder einmal mit fabelhafter Frechheit sein Haupt erhebt, ein freies Wort über das Unwesen der Missionäre hört, während die »fromme« Brüderschaar einander selber Weihrauch streut, einzelne Fälle wirklichen Erfolgs in die Wolken hebt, andere vertuscht und glättet. Welche Macht sie dabei haben, da ausführliche Berichte über all ihre Verhältnisse fast nur in ihren Händen sind, läßt sich denken. Und dennoch rückt uns gerade die neuste Geschichte die Beispiele ihres Unwesens wieder vor Augen. Wie die Zeitungen melden, schicken die Franzosen eben wieder Kriegsschiffe von Papetee aus nach den Navigatorinseln zu gehen und Rechenschaft dort zu fordern für an katholischen Priestern verübte Unbill. Protestantische Prediger hatten sich dort früher niedergelassen, und wahrscheinlich da nun dasselbe Spiel getrieben, wie auf den Sandwich- und Gesellschaftsinseln, nördlich und südlich vom Aequator – die Indianer gegen die Katholiken aufgereizt und auf jener Armen Haupt die Rache und Strafe eines fremden Volkes herabgezogen, vor der sie sich dann, jede Schuld von sich abwälzend, in die geheimsten Maschen ihres Netzes zurückziehen. – Und wie viel Blut wird wieder deßhalb vergossen werden.

Ein anderer Fall ist mit der chinesischen Missionär Gützlaffs Wittwe, und wie leicht schlüpften die Zeitungen darüber hin – Tausende und Tausende wurden gesammelt und zusammengescharrt die chinesischen Heiden zu bekehren, in Hessen war ja wohl zu dem Zweck eine besondere Mission, und der Missionär Gützlaff stirbt als reicher Mann, während seine Wittwe unklugerweise – sie hätte nicht in das Wespennest stören sollen – gegen den Berliner Missionär Neumann in Hong-Kong im December v. J. als Klägerin auftrat. »Sie nahm,« dem Bericht nach, »eine Anzahl chinesischer Typen als Eigenthum ihres Mannes in Anspruch, während Herr Neumann behauptete, sie gehörten dem chinesisch-christlichen Vereine, über dessen bedeutende Geldmittel Gützlaff niemals Rechenschaft abgelegt hätte. Habe Gützlaff doch einst, so erzählt der höchst ehrenwerthe Herr Rienäcker vor Gericht, blos innerhalb dreier Monate die Summe von 2010 Dollars erhalten. Auch der Missionär Hemberg ist gegen die, unter den bestehenden Verhältnissen anmaßliche und unkluge Forderung der reichen lachenden Erbin aufgetreten. Die Typen sind Herrn Neumann, als Agenten des chinesisch-christlichen Vereins zugesprochen und die Wittwe ist überdieß in die Kosten verurtheilt. Dieser Proceß hat zu Aeußerungen Veranlassung gegeben, die dem verstorbenen Landsmann aus Pommern nicht zur Ehre gereichen.«

Der Leser sieht, starre Unduldsamkeit ist nicht immer die einzige Untugend die sie haben, mit Gottes Wort auf den Lippen, und wäre der liebe Gott nicht eben ein viel gnädiger und barmherzigerer Herr, als sie ihn schildern, er hätte schon oft seinen Donner zwischen sie geschleudert und ihnen zugerufen: »Bis hierher, und nicht weiter.«

Doch um wieder zurück nach Papetee in die Kirche zu kommen, so machte das Aussehen dieses Predigers – und wie ich später fand hatte ich mich nicht geirrt – keineswegs einen unangenehmen sondern einen selbst wohlthätigen Eindruck auf mich. Die Art schon wie er sprach, ohne Prunk, ohne Salbung (ein wirklich bezeichnender Ausdruck) in schlichter einfacher Weise, hatte etwas ungemein zum Herzen Sprechendes. Seine Bewegungen waren dabei natürlich und anspruchlos, er erzählte ihnen augenscheinlich etwas das ganz in ihrer Art zu denken lag. Er steht auch, wie ich später hörte, bei den Eingebornen in hoher Achtung. Leider verstand ich aber nicht die Worte seiner Rede, doch meine Augen hatten dafür um so reicheren Schmauß unter der Auswahl von indianischen Charakteren, die der Gottesdienst hier versammelt.

Neben mir saßen ein paar tahitische Stutzer, die offenbar einen ungemeinen Fleiß auf ihre heutige Toilette verwandt hatten. Komisch war bei ihnen die Vereinigung der europäischen und tahitischen Tracht. Oben waren es würdige, allerdings etwas braun aussehende Mitglieder der menschlichen Gesellschaft, in einem so unbequemen schwarzen Frack, wie nur je einer in der ganzen civilisirten Welt getragen wird, mit weißem Hemd, weißer Halsbinde, weißer Weste, weißen Handschuhen und auf das sorgfältigste frisirten Haaren; aber der untere Mensch gab der ganzen Geschichte den Todesstoß. Der stak, dem schwarzen feierlichen Frack zum unmittelbaren Trotz, in einem rothcattunenen Lendentuch, und aus diesem schauten die rothen, nach obenhin tättowirten Beine so unschuldig und nackt in die Welt hinein, als ob nicht etwa hinten zwei schwarze Zipfel mißtrauisch nach ihnen hinunterschielten, und, wenn auch noch in weiter Ferne, ein paar eben solche unerträglich warme Hosen ihrer bis dahin unbehinderten Freiheit drohten.

Am interessantesten war mir eine Frau, die mir schräg gegenüber auf einer der hölzernen Bänke saß, und im Anfang als ich eintrat aufmerksam der Predigt gefolgt war, jetzt aber – als ob diese eine andere Ideenfolge in ihr geweckt hätte – des Redners weiter nicht mehr achtend, ihren Gedanken nachzuhängen schien. Es war eine etwas corpulente Person, hoch in den Dreißigen, sie trug die schwarzen Haare schlicht heruntergekämmt, und als Schmuck nur ein paar breite Ringe in den Ohren. Ein schwarzes weites Seidenkleid fiel ihr erst bis auf die Knöchel herunter; jetzt aber hatte sie die Füße auf die Bank heraufgezogen, die sie mit der linken Hand hielt, und die bis zum untern Theil der Waden unter dem Kleid hervorsahen.

Die Beine waren vom Knöchel etwa eine Spanne aufwärts tättowirt, und ihre Blicke hingen mit einem eignen Ausdruck an diesem alten, jetzt durch die neue Religion verbannten Schmuck. Was mußten ihre Gedanken seyn als sie diese blauen wunderlich durchschlungenen Linien, die ihrer Haut für das ganze Leben eingegraben waren, betrachtete! Das Tättowiren dieses Körpertheils bei den Frauen galt früher als ein Zeichen ihrer Mannbarkeit, und war sie nicht in diesem Augenblick bei den früheren Spielen und Tänzen ihrer Jugend, bei der Feierlichkeit selbst vielleicht, mit der sie ihr Kindesalter hinter sich ließ? Sie zupfte an ihrem langen seidenen Kleid, und griff sich, wie unbewußt, nach den Ohren, die keine Sternblumen mehr, sondern nur die breiten goldenen Ringe trugen, dann warf sie das Kleid wieder über ihre Füße, als ob sie die Tättowirung derselben nicht länger sehen wollte, ließ sie herunter, bog die Stirn über ihre auf der Lehne der Vorderbank gefalteten Hände nieder, und schien tief und brünstig zu beten.

Die Ceremonie wurde jetzt unterbrochen; die Predigt war geendet, und der Prediger stimmte einen Gesang an. Er las erst den Vers einer tahitischen Hymne vor, und fing dann selber an ihn zu singen. Die erste Linie sang er ganz allein, in der zweiten fielen hie und da ein paar schwache schüchterne Stimmen ein; mit jeder Strophe schienen die Sänger mehr Muth zu bekommen, und das im Anfang so leise Lied schwoll bald zu einem vollen, gar nicht unmelodischen Gesänge an, in dem sich zweite Stimmen, Baß, Tenor und Sopran deutlich und angenehm schieben.

Diese Insulaner haben überhaupt Sinn und Ohr für Musik, und mehrmals während meines dortigen Aufenthalts sah ich Abends vier oder fünf junge Bursche an irgend einer Straßenecke, bald von einer Anzahl Eingeborner umgeben, niederkauern und einen mehrstimmigen, wirklich melodischen Gesang beginnen.

Nach einem kurzen Gebet, während dessen sämmtliche Kirchengänger sich erhoben und dem Prediger den Rücken drehten, war der Gottesdienst geschlossen.

Ich wanderte jetzt langsam wieder meiner Wohnung zu. Der Himmel hatte sich indeß umzogen, und es sah wie ein neuer Regenguß aus. Vor mir hin wackelte eine dicke behäbige Gestalt; es war der Küster der Gemeinde in einem langen braunen Ueberwurf, dem die halbe Tonsur, da er, wahrscheinlich der Wärme wegen, seinen Hut in der Hand trug, fast ganz das Aussehen eines feisten Barfüßers gab. Ein herablassendes protegirendes Lächeln arbeitete sich durch die dicken fettigen Falten seines Gesichts, als er rechts und links die raschen an ihm vorbeischreitenden Gemeindemitglieder grüßte. O was hätte ein armer deutscher Dorfküster und Schulmeister um einen solchen Bauch gegeben – und doch auch nicht – wie wollten sie den je in ihr spärliches abgetragenes Sonntags- und Alltagsfräcklein hineinknöpfen können; er hätte müssen draußen bleiben, und was wäre da bei der magern deutschen Küsterkost aus ihm geworden? Einer exotischen Pflanze gleich – mit dem unter diesem Klima dieser Bauch auch verglichen werden durfte – wär' er in wenig langen Zwangs- und Hungerwochen eingeschrumpft und verwelkt – der Bauch paßte hier viel besser her.

Was die frühere Religion der Bewohner dieser Inseln betrifft, so hatten diese fast eine so schöne und poetische Mythologie als die alten Griechen, und viele von jenen Persönlichkeiten finden wir auch in der That hier wieder, wenn auch natürlich unter einem anderen Namen.

Taaroa ihr Jupiter oder Gott, der vom Beginne da war, tritt zu einer bestimmten Zeit aus dem Chaos, und die bekannte Welt beginnt.

Und was sagen die Missionäre selber über den Glauben dieser »wilden gottvergessenen« Heiden, deren Seelen rettungslos von dem Allerbarmer in ewige Verdammniß geschleudert wären, wenn nicht mit dem »Duff« und einigen anderen englischen Schiffen sie, die Missionäre sich aufgemacht hätten sie zu retten? –

»Was auch die Mythologie der alten Polynesier gewesen seyn mag, sie waren gewohnt, ihre Götter in den Wolken zu sehen und in dem Winde zu hören – ein Zauber war über jeden Platz, über See, über Land gezogen, und sie wußten sich wo sie auch waren und die thätigen Kräfte der Natur bewunderten, von heimlich wirkenden Kräften umgeben. In der aufgehenden Sonne, im milden Licht des Mondes, in dem fallenden Stern, in der Flamme des Meteors, im Rauschen des Meeres und dem Brausen des Sturmes sahen sie die Gegenwart mächtiger Geister. Selbst ihre Vergnügungen waren nicht ganz von frommen Gebräuchen des Dankes oder der Verehrung ausgeschlossen; auch in den Spielen erkannte der Tahitier einen schützendett Geist – jedes Handwerk, jede Kunst hatte ihre beschützende Gottheit, und der Arzt, der Krankheiten oder Wunden heilte erbat sich die Hülfe Tamas und Oitilis, die in sich dem Charakter Aesculaps vereinigten, oder Ariitapiripiri's, wie er noch genannt wurde.«

»Oro war der Gott des Krieges, Hiro der der Diebe, und Beiden wurden mit vielen Ceremonien Knaben geweiht, daß sie der Gott durch ihr Leben beschützen möge. –« – Das Alles lebt jetzt nur noch in der Erinnerung der Stämme, wenn sie nicht doch noch heimlich manchmal den alten Gebräuchen obliegen. – Aeußerlich sind sie aber Christen, und folgen den Gebräuchen, Ceremonien und Lehren der christlichen Religion.

Interessant und bedeutungsvoll sind dabei die Fragen, die von den Eingebornen im Beginne des Christenthums, und selbst jetzt noch, an die Missionäre, der neuen Religion wegen von den »unwissenden Heiden« gethan wurden, und die Missionäre haben dieselben besonders aufgeführt, zu beweisen wie kindlich unerfahren die armen Eingebornen selbst in den einfachsten Sachen des Glaubens gewesen wären.

In Mr. Ellis »Polynesian Researches« sind darüber ganz interessante Daten gegeben. Unter anderen die folgenden:

»Häufig kamen sie auf die Geschichte von Adam und Eva zurück und wollten wissen, ob diese, nach ihrem Fall und der Verstoßung aus dem Paradies, durch wahre Reue endlich Vergebung ihrer Sünde erlangt hätten und jetzt im Himmel wären. Als ihnen nun gesagt wurde, es sey wahrscheinlich daß ihnen verziehen sey und sie jetzt ebenfalls die himmlischen Freuden genößen, frug Einer von ihnen wieder, wie dann noch Adams Nachkommenschaft durch seine Schuld leiden könnte, wenn diese selbst denen vergeben wäre, die sie vollbracht hatten.«

»Mit der Neugierde von Kindern erkundigten sie sich, ob der Teufel Eva versucht hätte, und dadurch die Sünde in die Welt gebracht haben würde, wenn die Frucht der Erkenntniß – eben nicht verboten gewesen wäre.

Bei einer anderen Gelegenheit wollte Einer von ihnen wissen, weßhalb die Engel im Himmel gesündigt hätten, und aus welchem Grunde Satan ein böser Geist geworden wäre. Es wurde ihm gesagt, daß Stolz die Ursache seines Falles gewesen, daß aber die Offenbarung über den ersten Grund, der in dem Herzen des Dämons Ungehorsam gesäet, schweige.«

»Häufig frugen die Indianer, wie eben nur Kinder fragen, warum denn Gott, wenn er ein so allmächtiges Wesen und der Teufel von ihm abhängig, nichtsdestoweniger aber die Ursache alles Bösen auf der Erde sei, den Teufel nicht gleich mit einem Mal vernichte und damit alten üblen Folgen desselben gleich von Grund auf entgegen komme.«

»Die Missionäre kamen auch dann und wann auf die Qualen der Dahingeschiedenen in einem nächsten Leben zu sprechen, und die armen Eingebornen frugen mit großem Eifer, ob keine ihrer Vorfahren, oder der früheren Einwohner ihrer Insel in den Himmel der Seligen gekommen wäre, diese Frage konnten aber die Missionäre wohl freilich nicht genügend beantworten.«

Nicht genügend beantworten – heiliger Gott im Himmel! und Jammer und Elend streuten diese Menschen, die sich Diener des Herrn nannten und Gottes Kinder in den freien herrlichen Inseln glücklich machen, ihre Seelen retten wollten, in die Herzen der armen Unglücklichen aus – »nicht genügend beantworten –« und die Herzen brachen den Armen während ihnen solche Erzählungen das Blut in den Adern gefrieren machten. Ich sehe sie vor mir die armen vertrauungsvollen Kinder jenes Paradieses, wie sie sich um den finstern starren Mann schaaren, der ihnen die Sagen eines fremden Landes vor dem entsetzten Blick heraufbeschwört, und mit fanatischem Eifer geschwundene Generationen in den Pfuhl der Hölle schleudert. – Und sind sie Alle verdammt.? – fragt die zitternde Lippe – alle? – der Vater, der mich zuerst lehrte mit dem Ruder das schlanke Canoe durch die Brandung zu treiben? – die Mutter, die mich an ihrem Herzen getragen – genährt? – Und der finstere Mann zuckt die Achseln – sein Schweigen läßt sie mehr fürchten als das beredeste Wort vielleicht gethan hätte – und traurig schleichen sie in die Haine ihrer Heimath zurück. Wo ist das fröhliche Rauschen des Blatts aus dem sonst sein schützender Geist zu ihm sprach und ihm die Märchen des Waldes erzählte – in dem Rascheln des Laubes hört er jetzt nur die flüsternde Stimme des zürnenden Gottes; und das Brausen des Windes über die Berge – heiliger Vater, was er bis dahin für die grüßenden Laute der Eltern gehalten, es sind die Wehklagen der Verdammten – die Nothrufe der zu ewigen Strafen rettungslos geschleuderten unglücklichen Indianer. – Arme – arme Menschen! –

Den Berichten der Missionäre nach scheinen sie übrigens so ziemlich Alles zu glauben, nur die Auferstehung der Leiber am jüngsten Tag will ihnen noch nicht so recht einleuchten, und sie machen sich darüber allerlei Gedanken und Berechnungen. Viele von ihren Verwandten oder Landsleuten sind von Haifischen verschlungen – die später wieder von Menschen gefangen und gegessen wurden, während diese wieder anderen gefräßigen Raubfischen zum Opfer fielen. Auch Canibalen gab es früher und gibt es noch heute auf manchen der Inseln, und wie soll da nachher jeder seine Knochen wieder herausfinden. Ihr Geist hat sich noch nicht zu dieser Höhe des Begriffes aufgeschwungen – für später ist ihnen aber Alles zuzutrauen.

Tahiti hat auch seine Sündfluth, und eine ungeheure Fluth muß in der That über den größten Theil der Erde geherrscht haben, denn bei fast allen wilden Stämmen finden sich ähnliche Traditionen; die tahitische hat Mr. Orsmond selber aus der Ursprache übersetzt.

»O Tahiti,« sagt er, »wurde durch die See zerstört (überschwemmt), kein Mensch, kein Hund, kein Vogel blieb übrig, Bäume und Steine wurden durch den Wind hinweggeführt – sie wurden vernichtet, und die Tiefe lag über dem Land; nur diese beiden Personen (als es ankam) der Mann und die Frau. – Er nahm das junge Ferkel und sie nahm die jungen Hühner; er nahm den jungen Hund, und sie die junge Katze. Sie gingen aus und schauten nach Orosena (die höchste Kuppe auf der Insel), der Mann sagte: hinauf wir Beide nach jenem Berge hoch. – Die Frau erwiederte: nein, laß uns dort hinauf gehn. Der Mann sagte: es ist ein hoher Felsen und wird nicht von der See erreicht werden, aber die Frau erwiederte: erreicht wird er werden von der See, laß uns Opitohito (rund wie eine Brust) hinaufsteigen – es wird nicht von der See erreicht werden.«

»Sie beide kamen dort an, Orosena wurde von den Wogen bewältigt, Opitohito allein blieb trocken und ihr Schutzort.

»Dort harrten sie zehn Nachte; die See ebbte und sie sahen die zwei kleinen Kuppen des Gebirges in ihrer Erhöhung. Als aber die Wasser weggefallen waren blieb das Land ohne Früchte, ohne Menschen und die Fische verdarben in den Löchern der Felsen. Die Erde war geblieben, aber das Buschwerk zerstört worden.«

»Sie stiegen nieder und blickten erstaunt um sich her – keine Häuser sahen sie, keine Cocospalmen, keine Brodfruchtbäume, kein Gras; Alles war durch die See zerstört worden.«

»Die beiden wohnten zusammen, und die Frau gebar zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. In jenen Tagen war das Land mit Früchten bedeckt, und von zwei Menschen wurde die Erde wieder bevölkert.«

Auch die Geschichte der Erschaffung des ersten Paares wollen die Missionäre hier gefunden haben, jedenfalls war die ihnen aber schon vorher von den Spaniern, oder noch wahrscheinlicher von einem englischen Schiff gebracht worden, denn die darin figurirende Eva wird Ivi genannt, und die Engländer sind so viel ich weiß die einzige Nation, die das E wie I aussprechen: Ivi, was auch zugleich ein Knochen heißt, im Tahitischen, war aus des Mannes Seite genommen und ihm zum Weib gegeben – und soweit stimmt Alles.

Einen naiven Gebrauch hatten sie übrigens, der Seele des Gestorbenen Zutritt zu den ewigen Freuden und sich selber Ruhe zu verschaffen. Der Leichnam wurde so gut angezogen, als es die Umstände der Verwandten erlaubten, das Haupt mit Blumen bekränzt, dann ein Ferkel gebacken und mit den verhältnißmäßigen Vegetabilien auf den Körper gelegt.

»Geh mein Freund!« sprach dann der Haupttrauernde – »so lange du lebtest bin ich dir ein Freund gewesen, so lange du krank warst that ich mein Bestes, dich wieder gesund zu machen, da du aber jetzt gestorben bist ist hier dein letztes Geschenk. So gehe denn und gewinne dir damit den Eingang in Tikis-Palast – aber sei so gut und komme uns nun hier nicht wieder auf die Welt herunter, uns zu stören und zu ängstigen.«

Noch eine Masse solcher kindlich reinen Gebräuche gab es unter den Stämmen, aber der Raum ist zu beschränkt hier weitläufiger darauf einzugehen, und ich muß mir die Skizzirung derselben auf eine spätere Zeit aufbewahren.

Am nächsten Morgen besuchte ich Herrn Orsmond; ich suchte, so viel als möglich, die in den verschiedenen Indianersprachen erschienenen Bücher wie Dictionnäre und Grammatiken zu sammeln, und Herr Orsmond war da gerade der Mann der mir die beste Auskunft darüber geben konnte. Er empfing mich auf das freundlichste, und versprach mir alles was in seinen Kräften stände zu thun, mir das was ich wünschte zu verschaffen, meinte aber gleich daß es schwierig seyn würde, da ein Lexikon der tahitischen Sprache, obgleich längst als Bedürfniß anerkannt, doch jetzt erst im Druck begonnen und noch nicht ganz vollendet sey.

Am nächsten Tag hatte er mir nicht allein die bis jetzt erschienenen Aushängebogen des Lexikons, sondern auch eine alte Grammatik verschafft, und gab mir noch außerdem mehrere Tractätchen und religiöse Hefte in der tahitischen Sprache. Ein neues Testament in derselben hatte ich schon. Ebenfalls erhielt ich von ihm mehrere sehr interessante Berichte über das frühere Leben der Eingebornen, sogar mit den Modellen einiger ihrer Werkzeuge.

Herr Orsmond, früher Missionär, ist jetzt von der französischen Regierung als »Direktor der indianischen Angelegenheiten« angestellt, und hat deßhalb auch seinen Wohnsitz, der früher an der entgegengesetzten Seite der Insel war, verlassen. Wie ich übrigens von Andern gehört, so scheinen ihn die übrigen protestantischen Missionäre, Herr Howe und Consorten, deßhalb anzufeinden; jedenfalls ist diesen die französische Regierung, mit der auch die katholische Religion auf die Insel gekommen, ein Dorn im Auge. Es ist nichts mehr und nichts weniger als eine Concurrenz, eine Sache die ihrem Geschäft Abbruch thut, und sie eifern deßhalb in Wort und Schrift aus Leibeskräften dagegen an. So wird denn jetzt hier dasselbe Spiel getrieben, das auch auf den Sandwichsinseln den Indianern den Kopf verwirrt. – Kaum haben sie ihren alten Glauben abgeschworen und sind zum Christenthum übergetreten, so kommt eine andere Sekte und sagt »das ist Alles nicht wahr was die Euch erzählen – Ihr müßt so und so handeln,« und den Eingebornen darf man's dann wahrlich nicht verdenken, wenn sie sich einmal eine Weile »als gar Nichts« betrachten, die Entwickelung solcher Streitigkeiten unter den Weißen selber abzuwarten.

Was die Sprache dieser Inseln sowohl, wie der ganzen polynesischen Gruppe betrifft, um doch auch darüber einige Worte zu sagen, so war ich selber freilich nicht lange genug, dort eigene Studien machen zu können, und wenn ich auch meine Seereisen fleißig genug benutzte so viel davon zu lernen als möglich, würde ich doch nicht aus eigener Erfahrung im Stande sein dem Leser einen auch nur ungefähren Begriff davon beizubringen. Interessirt er sich aber dafür, so mag ihm dieser kurze Ueberblick aus einer alten tahitischen Grammatik der eine gedrängte Uebersicht über sämmtliche polynesische Sprachen gibt, genügen.

»Die Bewohner der meisten so zahlreichen Inseln der Südsee – durch neuere Geographen Polynesien genannt, haben eine gemeinschaftliche Sprache, die deßhalb ebenfalls den Namen der polynesischen verdient. Es erstreckt sich diese auch über einen großen Theil Australiens, hat jedoch weiter keine Annäherung an die Sprachen oder Dialekte des größten Theils der Australier.

»Die polynesische Sprache, ob man sie nun als eine Mutter- oder nur Schwestersprache der malayischen betrachtet, die dann von einer gemeinschaftlichen Wurzel abstammen, ist jedenfalls sehr alt, da das Volk das sie spricht seit Jahrhundert von jedem Verkehr mit der übrigen Welt abgeschnitten war, und bis ganz kürzlich auch wirklich geglaubt hat, daß es das einzige, auf der Welt existirende wäre.

»Während sie dabei, als die Sprache eines rohen uncivilisirten Volkes natürlich, wenn mit den übrigen Sprachen der civilisirten Welt verglichen, manches Mangelhafte haben mag, so läßt sich zugleich nicht leugnen, daß sie in andern Fällen, wie z. B. bei den persönlichen Fürwörtern, eine Kraft, Einfachheit und Genauigkeit entwickelt, die vielleicht allen übrigen überlegen ist.

»Eine Aehnlichkeit der hebräischen ließe sich beiläufig gesagt, in der Conjugation der Verben und in manchen ihrer primitiven Wörter nachweisen; manche von diesen haben wirklich hebräische Wurzeln, wie z.B. mate Tod, mara oder maramara bitter, rapaau heilen, pae Seite etc.

»Da sich die polynesische Sprache übrigens über einen so großen Theil der Südsee erstreckt, und von Völkern gesprochen wird, die oft nur auf kleine, einzeln in wenig oder gar keiner Verbindung mit einander stehenden Inseln wohnen, so läßt es sich leicht erklären, daß sie eine große Verschiedenheit von Dialekten haben muß; sie alle lassen sich aber leicht auf eine Muttersprache zurückführen.

»Die hauptsächlichsten Dialekte sind: der hawaische, oder der der Sandwich-Inseln, der der Marquesas, der von Neuseeland, der tongatabuische oder der der »freundlichen Inseln« und der tahitische. Die übrigen, soweit sie bekannt sind, schließen sich mehr dem einen oder andern von diesen an.

»Es gibt in der polynesischen Sprache eine große Anzahl primitiver Wörter, die sich durch alle Dialekte zu verzweigen scheinen, indem sie fast dieselbe Aussprache und Bedeutung haben. Wie z. V. mate Tod, vai Wasser, ua Regen, fenua Land, tai die See, uta das Ufer, medua die Eltern, atua Gott etc.

»Andere Wörter, wie die Zahlwörter, die besitzenden oder persönlichen Fürwörter, sind sich ebenfalls beinah überall gleich, und dasselbe könnte auch von dem Gebrauch der Adjektiven und Verben gesagt werden.

»Manche Worte scheinen dabei eine große Verschiedenheit zu haben, wenn dieß in Wirklichkeit gleich keineswegs der Fall ist, denn in manchen Dialekten wird die erste Sylbe eines Wortes nur fallen gelassen, oder verwechselt, wie z. B. t für k, h für l, n für ng, l für r, oder umgekehrt. Das Wort Mann oder Mensch ist z. B. in der hawaiischen Sprache kanaka, ebenso in Parata, einer der Pomatu-Dialekte, im Marquesas-Dialekt heißt es dagegen anata, im tongatabuischen tangata, eben so im neuseeländischen; im Fedjee-Dialekt ist es tamata und in Tahiti taata. Ika ist das gewöhnliche Wort für Fisch, in den verschiedenen Dialekten, ia im tahitischen, ebenso buaka Schwein, was im tahitischen buaa heißt. Ra heißt die Sonne, auf den Marquesasinseln aber A , auf den freundlichen Inseln La. Ariki und aiki sind die gebräuchlichsten Worte für König oder Häuptling, im tahitischen heißt er arii.

»Von den obenerwähnten Dialekten haben der hawaiische, der Marquesas- und der neuseeländische die meiste Aehnlichkeit mit einander; dann kommt der tahitische und dieser unterscheidet sich meistens in der Abkürzung der Worte von ihnen, indem er eine große Anzahl von Consonanten fallen läßt und die Gaumenlaute n, g und k total vermeidet.

»Der tongatabuische Dialekt unterscheidet sich von den übrigen dagegen in mehrfacher Hinsicht; er setzt das l für das r und gebraucht das j als Consonant, was bei den übrigen nie der Fall ist. Hat auch ferner starke Hauchlaute, die den griechischen χ Greek gleichen, und eine große Anzahl von, in den übrigen polynesischen Dialekten nicht vorkommenden Wörtern; doch lassen sich diese vielleicht aus denen der Fedjees, Neu-Caledoniens und der Ladronen-Inseln ableiten. Im Dialekt der freundlichen Inseln kommt übrigens Nichts vor was uns vermuthen ließe, daß der Neuseeländer von ihnen abstamme.

»Die Fidje- oder Fedjee-Insulaner sind übrigens jedenfalls eine von den freundlichen Insulanern ja von allen andern Polynesiern ganz verschiedene Race, obgleich ihre Sprache großen Theils polynesisch ist; dennoch hat sie eine Mischung von Worten, die einen verschiedenen Ursprung anzeigt. Die Wörter Ralao Gott, leva Frau, singa Sonne, to la to la Schulter, sala Bein etc., scheint keine Verwandtschaft mit den polynesischen Dialekten zu haben, eher mit den malayischen, wie auch ihr Wort bulam oder bulan malayisch ist.«

Von drei der polynesischen Dialekte sind Grammatiken zusammengestellt; zuerst von dem der Marquesas-Inseln durch den Missionär S. Greatheed, dann Mortings Grammatik der Tonga-Insulaner, wie er die Bewohner der freundlichen Inseln nennt, und die dritte eine Grammatik der neuseeländischen Sprache, von Prof. Lee in Cambridge. Vor 16 Jahren etwa (dieß 1823 geschrieben) wurde ein Versuch gemacht, ein tahitisches Wörterbuch zusammen zu stellen, dem man die rohen Umrisse einer Grammatik beifügte. Eine Copie derselben kam nach London, wo man aber zu der Zeit wenig Notiz davon nahm.

In der hawaiischen Sprache ist noch keine ordentliche Grammatik ausgearbeitet; nur in einem Heft des früher herausgegebenen »Hawaiian Spectators« Vol. 1, Nr. 44. Oktober 1838 erschien eine kurze Skizze von Lorrin Andrews, einem Missionär unter dem Titel »Eigenthümlichkeiten der hawaiischen Sprache«.

Der Missionär Bingham gibt ebenfalls in seinem allerdings die Missionsverhältnisse sehr umfassenden, sonst aber viel zu bigott und egoistisch geschriebenen Werk über die hawaiischen Inseln eine kurze Skizze über die Sprache, bei der sich übrigens, wie bei einem großen Theil des ganzen Werks, das meiste darum dreht, mit welchen Schwierigkeiten die Missionäre bei der »Einrichtung« der hawaiischen Sprache zu kämpfen hatten, und mit welcher Ausdauer sie dieselben beseitigten. Wörtlich sagte er unter anderem darüber, da für rein hawaiische Wörter nur allerdings zwölf Buchstaben nöthig sind: »Wir konnten doch nicht mit gutem Gewissen alle Consonanten in den Namen von Obed, Boaz, Ruth, David, Ezra, Russia und Gaza, und fast alle aus solchen wie Sabbath, Christ, Moses, Joseph, Boston, und Genessaret weglassen, weil dieselben nicht in den von den Insulanern gekannten Wörtern vorkommen.«

Neun vollkommen fremde Buchstaben mußten also hinzugefügt werden, ehe z. B. die Bibel übersetzt werden konnte, und man kann sich denken wie den Insulanern zu Muthe gewesen sein muß, als ihnen in einer fast neuen Sprache, denn mit den fremden Buchstaben kannten sie ja die eigene gar nicht wieder, eine vollkommen neue und fremde Welt geöffnet wurde.

Doch auf die Einzelnheiten der Sprachen einzugehen, dazu ist hier kein Raum – von der Hawaiischen will ich nur erwähnen daß sie mit dem Zählen besonders viel Aehnlichkeit mit dem Malayischen hat, auch die eilf als zehn und eins bildet, nur in dem allgemeinen System ihres Zählens die Grundzahl nie festhält. Die regelmäßige Steigerung findet dabei von vier bis 400,000 statt, immer mit zehn steigend.

Was die Annäherung und Aehnlichkeit polynesischer Sprachen mit denen der benachbarten oder angrenzenden Continente betrifft, ob diese Inseln von Osten oder Westen sind bevölkert worden, wenn wir denn einmal nur unseren eigenen Traditionen glauben und die Ivi der Polynesier gar nicht wollen gelten lassen, ob das tangata der erste Mann, dieser Inseln eine Abstammung habe mit dem tangatanga der Hauptgottheit der Südamerikaner, oder eine Verbindung existire zwischen dem tua der Südsee und dem teo Mexikos, dem deviyo der Singalesen, dem Deva des Sanscrjt und dann mit eben dem Recht dem englischen devil; oder dem marai Tempel, Polynesiens und maraian Balis mögen andere untersuchen. Nur so viel noch von der tahitischen Sprache was den Namen der Hauptinsel betrifft, der aus einem Mißverständnis Derselben gewöhnlich falsch Otahaiti gesprochen wird.

»Das O der Tahitier scheint die Eigenschaft eines Artikels zu haben, denn es wird dem Pronomen, wenn ein Nominativ, beigegeben, als: o vau – o oia :etc. Ebenso wird es vor Eigen- und Ortsnamen gestellt, als: o Pomare, o Tu etc.; – o Moorea, o Uabeine, o Raiatea, o Tahiti oder Taheiti. Fremde haben deßhalb irrthümlich den Namen der Hauptinsel selber Otaheiti geglaubt, obgleich man mit eben dem Recht Oengland, Ofrankreich schreiben könnte.«

Herr Orsmond hat, wie ich von ihm hörte, in den langen Jahren seines dortigen Aufenthalts eine Mythologie und Geschichte der Inseln zusammengestellt, und freundlicher Weise der französischen Regierung zur Veröffentlichung überlassen; das Manuskript war derzeit schon in Frankreich, und wir dürfen da wenigstens hoffen ein treues Bild der früheren Verhältnisse dieser schönen Inseln, die jetzt leider mit jedem Jahre unkenntlicher werden, zu bekommen.


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