Friedrich Gerstäcker
Südamerika
Friedrich Gerstäcker

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6. Die Pampas. Fortsetzung.

Am 21. kamen wir in die Provinz Santa Fé, und was in Buenos Ayres vielleicht kaum mehr als ein Gerücht gewesen, »daß die Pampasindianer nämlich wieder ausgebrochen seyen und die Ansiedlungen der Argentiner bedrohten« – fand hier volle Bestätigung. Die Leute sprachen von nichts als Indianern – ein Gefecht sollte schon zwischen ihnen und einem Trupp Soldaten stattgefunden, und sie selber auch mehrere junge Leute im »Campo« überfallen und getödet haben; dabei war das Unangenehme daß sie sehr selten in kleinen Trupps von acht bis zwölf, sondern meistens in größeren, von fünfzig bis hundert und mehreren gingen; was hätten wir drei, die andern beiden nur mit ihren Messern bewaffnet, gegen eine solche Uebermacht ausrichten wollen. Die einzige Aussicht in diesem Falle blieb, wie uns der Alte versicherte, schleunige Flucht gen Norden. Fliehende Heerden und aufgescheuchtes Wild sollten in dem Fall, daß die Indianer in Masse herankamen, das erste und ziemlich gewisse Zeichen ihrer gefürchteten Ankunft seyn, und dann kam es in der That darauf an, wer die besten und schnellsten Pferde unter sich hatte – die Indianer oder wir.

Der Arroyo de Pavon, ein kleines seichtes Flüßchen bildet hier die Grenze zwischen den Provinzen Buenos Ayres und Santa Fé und in mehr als einer Hinsicht sollten wir den Unterschied zwischen beiden Ländertheilen kennen lernen.

Zuerst, was mich aber nichts weiter anging, da der Correo sämmtliche Kassengeschäfte zu besorgen hatte, galten von hier an nicht mehr die Buenos Ayres Papierthaler, die sogenannten pesos, das Stück etwas über zwei Neugroschen an Werth, die in der ersten Provinz wechselnden Cours haben, und damals lieber als selbst Silber genommen wurden. Von hier ab mußte der Correo Alles mit Silber selber bezahlen. Dann aber erreichten wir hier erst das wirklich wilde Land der Steppen – den Schauplatz der häufigsten indianischen Einbrüche, und fast war es auch als ob dieser kleine Bach, der die Provinzen schied, selbst eine Scheidewand in der Vegetation bilde.

Der ganze Anblick der Pampas bekam, wie durch den kleinen Fluß abgeschnitten, etwas Winterlicheres als er bisher gehabt. Bis dahin war das Land eine weite, durch nichts unterbrochene, fast maigrüne Ebene gewesen; saftiger Klee und frisches Gras, in dem das wohlgenährte Vieh in ungeheuren Massen weidete oder ruhig gesättigt ausruhte. Hier aber wurde das Vieh schon seltener, die Heerden weniger und kleine und nur eine Art breiter dorniger Kletten überzog die grüne Unterdecke mit einem grauen, aber noch immer oft durchbrochenen Schleier, und noch auffallender sollte dieser Wechsel am nächsten Tage werden, wo auch das Land selber mehr wellenförmig wurde und in langen grauen Hängen den Blick des Reisenden ermüdeten.

Diesen Abend ritten wir bis spät in die Nacht hinein, soviel als möglich von dem am meisten durch Indianer bedrohten Terrain zurückzulegen. Noch mit Dunkelwerden wechselten wir die Pferde – etwas das ganz gegen die Natur meines alten Correo schien, der es sich Abends gewöhnlich, sobald es nur irgend gehen wollte, bequem machte. Wenn ihn aber etwas aus seiner Ruhe bringen konnte, so war es das Zauberwort los Indios, und wo er das erwähnen hörte ging er auch gewiß nicht eher fort, bis er Alles wußte was er darüber hören, und was vielleicht auf seinen jetzigen Ritt Bezug haben konnte.

Es war schon stark dunkel als wir an den Rand eines andern kleinen Flusses mit schlammigen Ufern kamen, an dem wir in der Nacht keine Furth finden konnten. Wir ritten ein paarmal an der einen Biegung wo sie der Correo vermuthete, auf und nieder, und ich fand endlich eine Stelle an der ein paar ältere Pferdespuren niedergingen. Ich ritt dort hinunter, die anderen Beiden wollten aber nicht hinein und müde des langen Umhersuchens beschloß ich endlich den Durchgang zu versuchen. Das wäre mir aber beinahe theuer zu stehen gekommen, denn eben behielt ich noch Zeit die Büchse in die Höhe zu reißen, daß sie nicht naß wurde, so rasch sank mein Thier in Schlamm und Wasser unter, und es war ein Glück daß ich erst vor wenigen Leguas ein so munteres kräftiges Pferd bekommen hatte; das vorige hätte sich aus dem zähen Schlamm gar nicht mehr herausgearbeitet. Hartnäckig geworden versuchte ich aber jetzt etwas weiter unten zum zweitenmal den Fluß und fand hier, wohl etwas tieferes Wasser aber auch harten Boden und kam, von dem Correo und Postillon gefolgt, glücklich hinüber.

Die Flüsse dieser Steppen sind nicht gerade tief, ihre schlammigen Ufer dem Reisenden aber nur zu oft hinderlich, und manchmal wohl auch gar gefährlich, doch sollen sie in einer nasseren Jahreszeit als wir sie gerade trafen auch nicht selten mit stürmender Strömung förmliche Fluthen hinabwälzen, daß sie den Durchgang zu Zeiten selbst unmöglich machen.

Boote, oder nur irgend eine Art anderer Fahrzeuge habe ich übrigens auf dem ganzen Weg auch nicht an einem einzigen Ufer gesehen.

Am 22. Morgens hüllte ein so dichter entsetzlicher Nebel die Ebene ein, daß mein alter Correo in diesem unter keiner Bedingung aufbrechen wollte. Gerade hier schien eine Art Wechsel der gefürchteten »Indios«zu seyn, die sich in dieser Gegend früher sehr häufig gezeigt hatten und nicht allein waren wir der Gefahr ausgesetzt die rechte Richtung zu verfehlen und die nächste Station gar nicht anzutreffen, von der wir in solchem Wetter auf fünfzig Schritt Entfernung nichts gesehen und gespürt hätten, und dann lag sogar die Möglichkeit vor daß wir, trieb sich wirklich ein Indianertrupp in der Nähe herum, diesem eben so leicht gerade in die Fänge laufen konnten. Bei solchem Nebel sollen diese Söhne der Steppe nämlich gar gern die Ebenen durchstreifen und überall ihre Wächter hinsenden, wenn sie sich in der Nähe besiedelter Striche wissen; trafen sie aber auf uns, so blieb uns in der freien Ebene, ohne jeden Vorsprung, nur sehr wenig Hoffnung zum Entrinnen.

Anders war es wenn man schon von weit ab den Staub flüchtiger Heerden aufwirbeln sehen konnte – viele Meilen lagen dann noch zwischen den Feinden und den Fliehenden und möglich war es daß diese nicht einmal ihre Spur bekamen, also paciencia amigo – wie mir mein alter Correo wohl fünfzigmal den Tag zurief, paciencia, kräftige Pferde bringen nachher in wenigen Stunden ein was wir jetzt versäumen.

Endlich lichteten sich die Schleier, zuerst brach die Sonne hindurch und oben in dünnen duftigen Massen theilte sich die Decke die bis dahin zäh und hartnäckig auf uns gelagert, über den matt blauen Himmel hin suchten die einzelnen abgerissenen Flecken ihre Bahn – tiefer und tiefer arbeitete sich das helle freundliche Sonnenlicht hinein und grub und drängte und schob endlich die weißgelben Schwaden wie riesige Coulissen zurück von der Bühne, aus der uns jetzt schon wieder grüne lachende Wiesenflecke und weidende Heerden, nur noch wie von einem luftigen Flor überhaucht, entgegentraten. Jetzt schwand auch dieser, der letzte Windstoß der mit der siegenden Sonne daherstrich, nahm ihn hinweg auf seinen kräftigen Armen und weiter und weiter zurückwich der düstere Geist der diese thaublitzenden schimmernden Ebenen so lange verdeckt und verhüllt gehalten.

Kaum gewannen wir aber erst einen richtigen und vollständigen Ueberblick über die Ebene, den mein alter Correo auch nach besten Kräften benutzte und den Horizont wohl mehre Minuten lang mit seinen dunklen Adleraugen scharf fixirte. Wir sahen nun, denn ich ließ mein Taschentelescop ebenfalls seine Dienste thun, daß so weit das Auge nach Süden reichte, die wenigen Heerden die noch sichtbar waren still und unbelästigt, ungeschreckt weideten. Die schon lang gesattelten und bepackten Thiere wurden vorgeführt – vamos lautete der Ruf und von den Sporen kaum berührt, flogen die Klepper weit aus über die Steppe.

Wir hatten aber den Platz nur erst wenige Leguas verlassen, als sich das ganze Aussehen der Steppe wirklich merklich veränderte; selbst die bis dahin einzeln zerstreuten Heerden hörten hier auf, dem Auge einen Ruhepunkt zu bieten. Kein Klee gab dem Vieh mehr die saftige Nahrung, ziemlich hohes, schon gelbendes Büschelgras vertrat jetzt dessen Stelle, und siehe da – als wir rasch eine kleine Anhöhe hinansprengten, schreckte ein Hirsch aus seinem Lager auf und floh, den hohen weißen Wedel zeigend, rasch einem sicherern oder doch wenigstens ungestörterem Platze zu. Nicht ein einziges Stück größeres Wild – Enten und Wassergeflügel natürlich genug – hatte ich gestern bemerkt, und heute, wohin das Auge sah, fand es theils äsende, theils fliehende Hirsche, die sich das hier etwas höhere Land zu ihrem Sammelplatz ausersehen zu haben schienen. Es war dem Auge eines Jägers ein wohlthuender, freudiger Anblick, der bald noch durch einen neuen Genuß verstärkt werden sollte.

Wir mochten kaum eine Stunde geritten seyn, als ich vor uns eine Schaar sich wunderlich bewegender Gestalten entdeckte. »Was ist das?« war mein fast unwillkürlicher Ausruf, und der Postillon zeigte lachend hinüber und sagte: »Avestruz.«

Strauße, die ersten wilden, die ich sah – denn zahm hatte ich sie schon hie und da in den einzelnen Ansiedlungen gefunden – Strauße, die sich dort, in den weiten Pampas, jagten und mit den unbehülflichen Flügeln schlugen, die langen Beine rechts und links hinauswarfen, und endlich, als sie unser Nahen hörten, pfeilschnell über die Ebene dahinstoben – ein Pferd hatte ihnen mit der Schnelle kaum folgen können. Mich drängte es fast, meinem Thiere die Hacken einzusetzen und hinter der wilden, wunderlichen, in der Flucht miteinander spielenden und sich bald rechts bald links hinüberhetzenden Schaar herzusprengen, aber sie flohen nach Süden hinunter, und mein Begleiter warf noch fortwährend viel zu mißtrauische Blicke nach jener Himmelsrichtung, mir je zu gestatten, ihr entgegenzujagen. Ueberdieß hatten wir an dem Morgen auch viel Zeit versäumt, und es galt jetzt vor allen Dingen, erst die wieder einzubringen. Später sahen wir noch eine zweite Heerde, aber weiter entfernt als die erste.

Das Wild ist hier in den Steppen entsetzlich scheu, und der europäische Jäger soll es sich nicht etwa leicht denken, trotz der sehr großen Anzahl, viel zu schießen. Der Gaucho hat kein Feuergewehr, überhaupt keine Schußwaffe, nur den Lasso und, die Bolas, und mit diesen ist er genöthigt, will er einmal Wildpret essen, sein Wild zu fangen. Mit diesen Waffen verfolgen deßhalb die Gauchos Hirsche und Strauße, und hetzen das Wild so lange, bis sie es überholen. Natürlich muß dieses, auf solche Art fortwährend abgetrieben, ungemein scheu werden, und wo es nur ein Pferd galoppiren hört, flieht es schon, die unvermeidlichen Verfolger fürchtend, in ängstlicher Hast über die Ebene, und ruht nicht eher, bis die Gestalten der vermutheten Feinde in neblicher Ferne verschwimmen. Zu Fuß läßt sich schon eher ankommen, doch darf man auch nicht darauf rechnen, bei kleinem Fluchtwild ausgenommen, leicht anzuschleichen. Nöthig ist es hier übrigens, daß ich Bolas und Lasso dem Leser zuerst etwas näher beschreibe, denn wenn wir auch in Deutschland wissen, daß der Lasso eine Schlinge ist, und Bolas Kugeln bedeuten, die geworfen werden, machen wir uns doch im Ganzen einen falschen Begriff davon.

Der Lasso besteht aus einem langen Seil, meist, ja fast stets, von ungegerbter Rindshaut fest geflochten. Das eine Ende desselben trägt einen kleinen eisernen oder Messing, ja in manchen Ländern ebenfalls von Leder geflochtenen Ring, und durch diesen gezogen bildet das Seil oder der Lasso eine Schlinge, die, wenn zum Gebrauch fertig, von dem Gaucho so gefaßt wird, daß sie acht bis zehn Fuß Leine in sich faßt. In diese Schlinge selber greift er beim Wurf hinein, während er vielleicht noch dreißig Fuß loses Tau in der linken Hand locker aufgerollt hält, schwingt den Lasso drei- bis viermal um den Kopf, um ihm beim Wurf den rechten Nachdruck zu geben, und schleudert ihn dann mit solcher Sicherheit, daß er ihn nicht allein um den Hals jedes nur in Wurfsnähe gebrachten Thieres, sondern sogar beim vollen Lauf um jedes Bein des Wildes legen kann, das er haben will.

Ist der Gaucho zu Pferd, so hat er das andere Ende des Lasso an seinem breiten, ebenfalls aus Rohhaut gefertigten Sattelgurt befestigt, und das Thier das er reitet, ist so vortrefflich auf diese Art Fang eingerichtet, oder weiß vielmehr so gut was ihm selber droht wenn es nicht feststeht, daß es sich gleich nach dem Wurf gegenstemmt, dem ersten in den Lassoreißen des getroffenen Thieres zu begegnen.

Die Bolas sind in der Natur des Wurfs dem Lasso ähnlich, denn sie werden ebenfalls wie dieser um den Kopf des Werfenden geschwungen und wie dieser geschleudert, sind aber für den Gegenstand, nach dem sie geworfen werden, gefährlicher, da sie nicht selten selbst die Knochen eines starken Pferdes brechen. Der Pampasindianer gebraucht sie deßhalb auch zur Kriegswaffe.

Sie bestehen aus drei, in Rindshaut fest eingenähte, etwa zwei bis dritthalb Zoll im Durchmesser haltende Steine – nicht selten auch, wo es sich die Gauchos verschaffen können, aus kleineren Stücken Blei, die jedes an einem etwa fünf Fuß langen Streifen ungegerbter Haut befestigt sind und zu einem Mittelpunkt zusammenlaufen. Der Werfende erfaßt, die eine Kugel, schwingt sich die anderen beiden, wie beim Lassowurf, um den Kopf und schleudert sie dann mit einer eben solchen Biegung der Hand, als es beim Lasso nöthig ist, nach vorn. Im Wurf stieben aber die schweren Gewichte auseinander, und während sie sich, ein förmliches etwa acht Fuß im Durchmesser haltendes Dreieck bildend rasch umkreisen, schlagen, sobald der eine Stein oder das Seil an dem er befestigt ist einen Gegenstand trifft und dadurch Widerstand findet, die anderen beiden mit Gewalt umher, umschlingen und verwickeln was sie fassen, und treffen mit tödtlicher Gewalt, was also in den Bereich ihrer Schwingung gebracht wird.

Pferde, mit solchen Bolas geworfen, habe ich zusammenbrechen sehen, als ob sie vom Blitz erschlagen gewesen wären.

Ein hübsches Beispiel vom Lassowerfen hatte ich am 23. Morgens. Diese Stationen sind, wie schon gesagt, nur meistens kleine, roh aufgerichtete Hütten, in denen die Gauchos leben, und nach eingegangenem Contrakt mit dem Staat dem postreitenden Correo so viel Pferde stellen wie er gerade braucht. Sehen sie ihn von Weitem über Tag ankommen – denn die Zeit, wo er etwa passiren muß wissen sie ungefähr – so sprengen ein Paar von ihnen, mit den stets am Haus bereitgehaltenen Pferden, hinaus, die nächste Heerde einzutreiben und dort, wenn sie eine Umzäunung haben, jagen sie die Thiere hinein, und ist das nicht der Fall, so gehen zwei von verschiedenen Seiten auf sie zu und werfen mit fast nie fehlender Sicherheit dem Thiere, das sie haben wollen, den Lasso um den Hals. Die Pferde aber, wie alle Thiere der Steppe, kennen den Lasso, und den Ruck fürchtend, der sie gewöhnlich niederreißt, stehen sie nicht selten, wenn sie erst einmal die Schlinge um sich fühlen, stockstill, obgleich sie ihr vorher meist in voller Flucht zu entgehen suchen.

An diesem Morgen waren ihrer vier mit Lassos hinausgegangen, die schon dicht zum Haus gejagten Pferde zu umzingeln, die Thiere zeigten sich aber heute ganz außergewöhnlich scheu, und schienen den Wurf, da sie vielleicht erst kürzlich durch Bolas beschädigt worden, ungemein zu fürchten. Die drei ersten, mit Lassos Gefangenen, rissen so furchtbar in die Schlinge, daß die Gauchos, die zu Fuß hinausgegangen waren, sie nicht halten konnten und loslassen mußten, und mit dem anhängenden Lasso stürmten sie, von der ganzen Heerde gefolgt, wieder hinaus in die Steppe, zwei berittene junge Bursche trieben sie aber wieder zurück und fingen eines dabei, das sie zugleich zum Hause brachten, und die Hetze begann dann von Neuem.

Dreimal brannten sie also durch, dreimal wurden sie wieder zurückgejagt und sechs Lassos schleiften schon in der Heerde, bis wir endlich unsere nöthigen vier Thiere, aber so abgehetzt und wild gemacht, zusammen hatten, daß sich weder mit Sporen noch Peitsche etwas mit ihnen ausrichten ließ. Wie die wilde Jagd stob es, endlich einmal im Sattel, mit uns davon – sie gingen förmlich mit uns durch, und es war ein Glück, daß wir an diesem Morgen zuerst nur eine kleine Station hatten.

Herrlich ist übrigens der Anblick der wilden Heerden, die von ihren fast noch wilderen Herren verfolgt mit fliegenden Mähnen und schnaubenden Nüstern durch die Steppen donnern. Dahinter her dann die tollen sonnverbrannten Gauchos mit ihren flatternden Ponchos und Kopftüchern, den Lasso fortwährend im wirbelnden Schwung, die eigenen Thiere ununterbrochen zum Aeußersten anspornend – dazu die erschreckten auseinanderstiebenden Heerden der Rinder, durch und über die hin manchmal die tolle Hetze geht, die aufgescheuchten kreisenden oder scheu abstreichenden Falken, die grüne Steppe, oder der blaue Himmel, die in jedem Moment wechselnden, malerischen Gruppen, das Alles macht einen Eindruck auf den Beschauer, den es wohl ungemein schwer werden möchte, bei ruhigem Blut in todter Schriftsprache wiederzugeben. So etwas muß erlebt, gefühlt seyn – die Nerven müssen dabei selbst erregt gewesen seyn, das eigene, von Uebermuth sprudelnde Thier unter Einem getanzt und in die Zügel geschäumt haben und dann weit ausgreifend mitten in dieß Leben hineingeflogen seyn; dann aber bleibt es auch mit unvertilgbaren Zügen in das Herz gegraben, das diesem wilden Treiben einst mit so frohem Klopfen entgegenschlug und keine Zeit, kein anderes Leben kann es je daraus wieder verwischen.

Am 23. machten wir in einer kleinen Stadt, Cruz alta, Station – Stadt, ja was wir uns in Deutschland darunter denken, darf man hier freilich nicht erwarten; es sind Lehmhütten, die dem Anschein nach schon eigentlich bei dem ersten ordentlichen Regen zusammenschmelzen müßten – und die Bewohner? – lieber Leser, ich weiß wahrlich nicht wie ich dir, ohne die Leute selber zu kränken, ohne aber auch ihnen zu schmeicheln, einen recht treuen Begriff von ihnen geben könnte. Die jungen Leute sind meist lauter kräftige, selbst interessante Gestalten, die sich in der malerischen Landestracht (wenn sie nur nicht gar so oft die verwünschten europäischen schwarzen Seidenhüte zu ihren Ponchos und Cheripas tragen wollten) nur noch pittoresker und eigenthümlicher ausnehmen, leider aber kann ich dem schönen Geschlecht nichts so Rühmliches nachsagen. Es sollte mir leid seyn den Frauen der Pampas Unrecht zu thun, was ich aber bis dahin von ihnen gesehen, diente wahrlich, mit nur sehr wenig Ausnahmen, nicht dazu mir einen günstigen Begriff von ihnen beizubringen. Unreinlichkeit und ein, unseren deutschen Begriffen wenigstens nach förmlich widriges Benehmen waren die vorherrschenden Eigenthümlichkeiten und ich fand das, je mehr ich von ihnen sah, auch immer nur mehr und mehr bestätigt. Das so fatale, und den Nordamerikanerinnen besonders eigene laute Aufstoßen ist hier etwas so gewöhnliches, daß es keinem Menschen mehr auffällt. Selbst bei Tisch geniren sich die guten señoras und señoritas im mindesten, und dergleichen Unanständigkeiten kamen manchmal so laut und unschuldig zum Vorschein, daß ich oft an mich halten mußte, trotz allem Ekel nicht laut aufzulachen. Das allerdings darf ich nicht unerwähnt lassen, daß ich erst über einen Gegenstand später aufgeklärt wurde, nämlich gar keine hübschen jugendlichen Gesichter unter den Frauen zu finden; das aber hatte eben seinen Grund in den indianischen Feindseligkeiten, vor denen alle junge Mädchen nach den befestigten oder wenigstens durch Militär besetzten Plätze geschafft waren. Etwas reinlicher hätte es also gewiß, wären sie gegenwärtig gewesen, in den Häusern ausgesehen, jedenfalls freundlicher, die Männer blieben aber immer dieselben, und wahrscheinlich auch die alten Frauen, und ein warmes Bad mit ein paar Stücken Bimsteinseife würde keinem von ihnen geschadet haben.

In solchen kleinen Städtchen genießt man übrigens auch den Luxus eines Stuhls oder einer Bank, denn in den gewöhnlichen Hütten der Gauchos bedient man sich fast nur der Erde zum Sitzen oder, wenn es hoch kommt, zu diesem Zweck hereingeschaffter Pferdeschädel, die dann aber auch das vollständige Ameublement einer solchen Wohnung bilden.

Keineswegs appetitlich ist dabei die Kocherei selber. Die Pampas sind so holzarm, daß sogar die paar Stücken Holz, die der Gaucho zu den Eckpfählen seiner Einzäunung braucht und von denen er dann, von einem zum anderen, dünn geschnittene Streifen ungegerbter Haut herüberspannt, viele viele Tagreisen weit mit Pferden herbeigeschafft werden müssen. An Holz zur Feuerung ist deßhalb, die Stengel einiger holzartigen Gräser ausgenommen, gar nicht zu denken, und das vorzüglichste und Hauptbrennmaterial ist Kuhdung, um das dann noch, es etwas besser zusammenzuhalten, einzelne Knochen gelegt werden. Diese brennen allerdings nicht selber, aber sie concentriren die Hitze und – stinken – und auf dieß qualmende schauerlich duftende Material, wird dann sehr häufig ein anderer Knochen, an dem noch etwas Fleisch sitzt, gelegt und gebraten, und meint es der Gaucho, lieber Leser, recht gut mit dir, so nimmt er den Knochen für dich aus dem Feuer, klopft ihn an seinem Bein ab, reißt ein paar Stücken mit den eigenen Zähnen herunter, um zu sehen ob er geröstet ist, und reicht ihn dir dann, und du sagst, muchas gracias señor, mit einem etwas sauersüßen Lächeln und nagst, weil du einen wahrhaft schmähligen Hunger hast, weiter.

Das Gespräch drehte sich übrigens hier, wie überall, um die Indianer und ihre befürchteten Angriffe, und mein etwas geschwätziger alter Begleiter erzählte den aufmerksam und ängstlich lauschenden Städtern all die fürchterlichen Berichte, die er »im Lande drinn« über die wilden blutdürstigen Stämme der Pampas gehört hatte, und auch alle, wie ich das fest überzeugt bin, auf Wort und Gewissen glaubte.

Ich fand jedoch nur zu bald, daß die gehörten Berichte keineswegs so ganz übertrieben seyn mochten, denn auf den nächsten Plätzen die wir erreichten, waren die Frauen mit ihren Kindern schon nach den nächsten kleinen Städten, die Ankunft der feindlichen Stämme fürchtend, geflohen, und die zurückgebliebenen Männer hielten theils bei ihren Heerden Wacht, theils hatten sie für sich die Pferde dicht am Haus und gesattelt stehen, um ohne Säumniß, sobald sie die Ankunft der blutdürstigen Indianer entdeckten, einem sonst, wie sie sagten, gewissen Tode entfliehen zu können. Wieder lagen wir hier wohl bis 11 Uhr Morgens, ehe mein alter Correo, des starken Nebels wegen, zum Aufbruch rief.

Als wir endlich, und die Sonne stand schon bald im Zenith, durch die Steppe sprengten und etwa acht oder zehn englische Meilen zurückgelegt haben mochten, sah ich plötzlich, zu meinem nicht geringen Erstaunen, einen Gegenstand in der Ferne, der sich augenscheinlich gerade auf uns zu bewegte, von dem wir aber zuerst gar nicht ausmachen konnten was er eigentlich bedeute.

Im Anfang griffen wir unseren Thieren in die Zügel – es konnte ein dicht gedrängter kleiner Trupp Indianer seyn, das aber, fanden wir bald, war nicht der Fall, und je näher das wunderliche Ding jetzt kam, desto mehr schien es mir, als ob ich etwas Aehnliches schon einmal in meinem Leben gesehen haben müßte. Die dunkle, fast verwischte Vorstellung einer gelben Landkutsche die vor Erfindung der Eisenbahn unglückliche Passagiere von einem Landstädtchen zum andern räderte, tauchte in mir auf, obgleich der Gedanke fast zu absurd war, die gelbe Landkutsche hier mitten in den Pampas zu suchen. Als es aber näher und näher herankam, gewann der kolossale Gegenstand auch mehr und mehr Form und Gewißheit, und endlich – nein wahrlich es war zu komisch und ich mußte laut auflachen – rollte die gelbe Landkutsche (aber keineswegs mit gewöhnlicher gelben Landkutschenschnelle, sondern von sechs galoppirenden Pferden gezogen) rasch durch den Sand heran, und abenteuerlich genug sah der Zug aus.

Die Pferde, sämmtlich an die Sattelgurte gespannt, hatten weiter kein Geschirr als den Zaum und Sattel, und auf jedem saß eine, in den flatternden Poncho gekleidete wilde Gauchogestalt, mit den langen Sporen und breiten schweren Revencas. Die Achsen und Speichen der Räder aber, sowie alles Feder- und Holzwerk des langen omnibusartigen Kastens war fest und sicher mit Streifen ungegerbten Leders umwickelt, und jedes Plätzchen dabei auf dem ganzen Wagen, es mochte sich nun befinden wo es wollte, zu einem Kistchen, Fäßchen, Kasten oder Pack benutzt. Zu der gelben Landkutsche aber, sollte sie nicht ganz aus der Rolle fallen, gehörten aber ein paar alte gemüthliche Gesichter, die in lobenswerther Geduld, und sich ruhig in ihr Schicksal fügend, eine solche Reise machten, und wahrlich, als bei unserer Annäherung der Wagen hielt und das Fenster niederfiel, sah ein, mit Runzeln bedecktes und von hoher Brille überragtes Schulmeistergesicht aus dem Schlag, und erkundigte sich mit nicht geringer Genauigkeit bei dem jetzt erkannten Correo nach den Gerüchten über die Indianer. Die Gauchos auf den Pferden hatten zu viel eigenes Interesse bei dieser Antwort, als daß sie hätten gleichgültig bleiben sollen, sie wandten sich alle gespannt dem alten Correo zu, und lauschten seinen Worten, die wieder viel des Entsetzlichen kündeten – der Alte war ordentlich wie eine reitende Hiobspost. Das berichtet, was er berichten wollte, wandte er sich ab und sprengte wieder davon, ich aber hatte indessen ausgefunden daß ein junger Bursche, ein Knabe von etwa vierzehn Jahren mit im Wagen saß, der englisch sprach, und es drängte mich natürlich ebenfalls zu erfahren, was er mir über den Schnee der Cordilleren – ein für mich sehr interessantes Capitel – etwa sagen könnte. Mit Fragen kam ich aber bei dem jungen Bürschchen im Anfang gar nicht an, denn dieser wollte nur von Indianern hören, und frug mich, ob alle die Mordgeschichten wahr wären, die der Correo da eben seinem Professor erzählt hätte. Ich sah mich nach dem Correo um – dieser war kaum noch zu erkennen, ließ ich mich auf langes Erzählen ein, erfuhr ich nie was ich wissen wollte, Trost konnte den guten Leuten aber auch nicht schaden, und ich versicherte ihn, es sey kein wahres Wort an der ganzen Geschichte – ich glaubte nicht, daß ein Indianer auf 200 Meilen im Umkreis sey – die Straße wäre so sicher wie Buenos Ayres selber – aber die Cordilleren.

»Sind vortrefflich zu passiren« – lautet die Antwort – »aber im Sommer – wenn der Schnee geschmolzen ist –«

»Im Sommer? – aber ich will, ich muß jetzt hinüber.«

»Jetzt?« der kleine Bursche lachte – »nonsense« sagte er – jetzt kann nicht einmal mehr ein Brief herüber von Valparaiso – ich habe von meinem Vater, der dort wohnt, seit zwei Monaten keine Nachricht – die Cordilleren sind »geschlossen.«

Die Gauchos, die eine kurze Zeit unserem, für sie Kauderwelsch mehr neugierig als geduldig gelauscht hatten – drückten, dessen jetzt müde, ihren Thieren die Sporen wieder in die Seiten – der Wagenschlag fiel zu, und fort brausten die muthigen Thiere, und schleppten das unbehülfliche Fuhrwerk in wilder Eile durch den wirbelnden Sand.

Ich hatte, die »geschlossenen« Cordilleren im Kopf, eine volle Stunde Arbeit meinen Correo wieder einzuholen.

Die Hütten, die wir jetzt erreichten, kündeten uns übrigens fast alle die Nähe der Indianer – in der einen fanden wir einen jungen Burschen, dessen Vater sie vor kurzer Zeit überholt und ermordet hatten, und nur selten fand man noch in einer der Wohnungen eine alte Frau, die kleine Wirthschaft besorgend, d. h. den Mateh kochend. Fast überall waren die Frauen nach den hie und da gelegenen festen Plätzen geflüchtet, erstlich selber in Sicherheit zu seyn, und dann auch, im Fall eintretender Gefahr die Männer nicht, mit der Sorge um sie, zu behindern.

Jetzt fing ich auch an zu begreifen, weßhalb ich schon seit vielen Tagen kein hübsches junges Gesicht mehr gesehen hatte – die Wilden schleppen die jungen Mädchen, selbst Kinder, alle mit fort in die Gefangenschaft, und die Señoritas der Pampas scheinen keinen Geschmack an solchen Eheherren zu finden.

Aber nicht die Indianer allein sind dem Wanderer in der weiten Steppe gefährlich, die Gauchos selber sollen ein ziemlich wildes, blutdürstiges Volk seyn, und Streitigkeiten unter sich, wie auch wohl Habgier und Rache, sind die Ursachen manches offenen Todtschlags, manchen heimlichen Mords.

Einen fatalen Eindruck machen, die Folge dieses Charakters, die vielen Kreuze an der Straße – einfache, mit Riemen von ungegerbtem Leder gewöhnlich zu einem Kreuz verbundene Stücke Holz, welche die Stelle bezeichnen, an der ein Reisender oder Einheimischer – ermordet worden, und die allerdings viel zu häufig vorkommen, als daß sich der Fremde einem Gefühl vollkommener Sicherheit je hingeben könnte, selbst wenn er nicht auch noch, gerade wie wir jetzt, der Gefahr eines Ueberfalls wilder Horden, der doch jeden Augenblick stattfinden konnte, ausgesetzt gewesen wäre. Kein Tag verging, an dem ich nicht zwei, drei, oder gar mehr dieser fatalen Memento moris erblickte.

Am 25. machten wir 22 Leguas und übernachteten wieder in einem einsamen Haus, das übrigens, wie alle anderen Estancias, ebenfalls seinen besonderen Namen trug. Hier war die Unreinlichkeit wieder zu Hause: als uns Abends das Essen in einer schmutzigen hölzernen Schüssel gebracht wurde legte die Frau – nicht einmal ausgebreitet, sondern wie ein zusammengedrücktes Taschentuch – einen Lumpen darunter, der die Spuren verschiedener fetten Speisen und Rußflecke seit Gott weiß wie vielen Wochen trug und mich so anekelte, daß ich kaum ein paar Bissen hinunterwürgen konnte. Dabei saß der »Herr vom Hause« daneben und langte mit Fingern, die keinenfalls in diesem Monat Wasser gesehen, fortwährend in unsere Schüssel hinein, einzelne Stücke Fleisch herauszuholen, und – doch ich will den Leser nicht mit der Wiederholung all des Ekelerregenden, was ich dort sehen mußte, ermüden – es erreichte aber, gerade in dieser Provinz, seinen höchsten Grad, denn die Frauen suchten und verzehrten sogar das Ungeziefer eine vom Kopf der andern und boten mir dann wieder die Matehröhre, an der sie vorher mit denselben Lippen gesogen. Ich kann gewiß viel vertragen, aber das war mir doch ein klein bischen zu stark.

So viel übrigens zur Rechtfertigung der Pampas, daß diese letzte scheußliche Sitte nur in der Provinz Santa Fé vorkommen soll, und die Bewohner derselben haben sogar einen Ekelnamen danach bei den übrigen Argentinern.

Bis hierher war die Ebene über die wir gekommen durch keinen Hügel, durch keinen Baum unterbrochen worden, hier aber, und zwar vom Rio tertio aus, an dem wir einen ganzen Tag hinritten, zeigte sich uns Morgens in der Ferne ein ausgebreiteter Wald mit stattlichem Holzwuchs, der mir der Formation der Bäume nach aus Eichen zu bestehen schien, was sich aber – denn er mußte noch viele Meilen entfernt liegen, auf solche Distanz nicht deutlich unterscheiden ließ.

Ich machte meinen Begleiter darauf aufmerksam, weil ich etwas derartiges gar nicht erwartet hatte; er schien mich aber nicht zu verstehen, denn er sagte nur arboles? und schüttelte dann lachend mit dem Kopf. Ich schwieg, denn ich war überzeugt, wir würden bis Mittag nahe genug gekommen seyn, genau unterscheiden zu können, von welcher Ausdehnung der Wald hier sey, griff aber ordentlich dem Pferd vor Erstaunen in die Zügel, als nach etwa viertelstündigem Ritt ein Hirsch vor uns aufstand, mit flüchtigen Sätzen über die Steppe und zwar gerade dem Wald zusetzte, in dem er gleich darauf verschwand, aber bei jedem hohen und flüchtigen Satz hinter den ersten Bäumen wieder mit dem halben Körper zum Vorschein kam. Nicht fünf Minuten später erreichten wir das, was ich für einen Wald stattlicher Eichen gehalten hatte, und fand nichts als – ein breites Dickicht niederer Dornbüsche, die aber in ihrer ganzen Form und Gestalt, nur in Miniatur, unsern deutschen Eichen auf ein Haar glichen und jetzt, da man die Umrisse der einzelnen deutlich und genau erkennen konnte, gar so lieb und zierlich aussahen.

Die meisten glichen, wie gesagt, unsern Eichen, andere aber wieder Aepfel- und Birnbäumen und die Verhältnisse zwischen Stamm und Laub stimmten auf das Genaueste und Täuschendste.

Am 26. zeigten sich die ersten Berge: zur Rechten breitete sich noch in blauer Ferne die Córdobahügelkette aus, und unsere Richtung lag jetzt der äußersten Spitze derselben zu. Die Nacht blieben wir in einem kleinen Städtchen am Rio Quarto, und ich freute mich auf den Ort, weil mir gesagt war ich würde dort einen Engländer finden. Leider befand sich der aber gerade zufällig in Córdoba, dafür jedoch erhielt ich die, wie sich der Leser gewiß denken kann, freudige Nachricht, daß ein Deutscher, ein Landsmann von mir, im Orte schon seit langen Jahren wohne – es sey ein Hutmacher, hieß es, und es gehe ihm ganz wohl. Aus dem Haus schickten sie gleich jemand ab, der ihn bitten mußte doch einmal auf die Post zu kommen, weil ein Landsmann von ihm gerade von Deutschland eingetroffen sey; vergebens wartete ich aber den ganzen Abend, und zwar so lange, bis es zu spät geworden war ihn selber aufzusuchen; er kam nicht, und da ich selber vom langen Ritt ermüdet keine große Luft mehr verspürte weit herumzulaufen, der Correo mir auch sagte, daß wir am nächsten Morgen nicht so gar früh aufbrechen würden, so verschob ich den Besuch auf den anderen Tag.

Mit uns zugleich war ein anderer, gerade von Mendoza kommender Correo eingetroffen, der nach Córboba bestimmt war. Er hatte außer seinem sonstigen Gepäck noch vier kleine Körbe mit eben so vielen Kampfhähnen bei sich, die er in Córdoba zu einem sehr bedeutenden Preis zu verkaufen hoffte. Die Gauchos sind nämlich ganz versessen auf Hahngefechte – sie scheinen eine Vorliebe für dieß Vergnügen zu haben, weil Blut dabei fließt – und die beiden Correos vergaßen im ersten Augenblick wirklich die Indianer, um nun erst die verschiedenen Tugenden und Eigenschaften der Hähne zu besprechen und zu bewundern. Dann aber ging es natürlich auch auf Los Indios über, und der junge Correo erzählte meinem Alten, daß die Pampas kürzlich Desaguadero überrumpelt, von den Männern aber Niemanden erwischt und nur eine alte Frau zu Hause gefunden hätten. Sie schienen sich jedoch dort ziemlich gut benommen oder wenigstens nichts mehr gestohlen zu haben, als was sie gerade für ihren eigenen Bedarf brauchten.

Für uns war das allerdings keine tröstliche Nachricht, denn Desaguadero lag gerade in unserem Weg, doch hatten wir ja auch den Beweis, daß der erst getroffene Omnibus von den Wilden ebenfalls nicht gesehen worden und glücklich durchgekommen war – Glück muß der Mensch haben, und wir rechneten etwas darauf.

Ich schrieb den Abend etwas an meinen Notizen, und warf mich dann ermüdet auf meine Decke, den wenigen Stunden und vielen Flöhen ein paar Stunden Schlaf abzuringen. Dahin sollt' ich es aber noch lange nicht bringen; erstlich hatten die Correos sich noch so entsetzlich viel zu erzählen, und so manches Gläschen Caña mitsammen zu trinken, daß es ein paarmal schien als ob sie heute Abend unter keiner Bedingung mehr fertig werden konnten, und dann mußten die Hähne noch untergebracht werden, und zwar so, daß sie sich eines Theils die Nacht über im Stande waren zu erholen, und doch auch wieder nicht zu einander kommen konnten, sich Schaden zuzufügen. Der Córdoba-Correo hatte darin übrigens schon, wie es schien, eine Art Uebung erlangt, denn er band die vier verschiedenen Hähne in die vier verschiedenen Ecken des Zimmers je an einem Beine fest, und überließ es ihnen dann die Nacht so gut zu verbringen, wie sie eben konnten.

Dicht neben der Stelle wo ich lag war ebenfalls einer angebunden – das heißt man konnte nirgends im Zimmer liegen, ohne sich wenigstens neben einem zu befinden.

Endlich war Ruhe, ich schloß die Augen und war auch im Nu fest eingeschlafen. Wie viel Uhr es damals gewesen, davon hab' ich keine Idee, Uhren gab's in der Villa del Rio quarto keine, wenigstens keine Schlaguhren, Nachtwächter ebensowenig, aber soviel weiß ich daß ich kaum glaubte eingenickt zu seyn, als mich ein Ton weckte, den ich im ersten schreckhaften Emporfahren für nichts Geringeres als den Schlachtschrei der einbrechenden Wilden hielt, und von dem ich mich nun erst nach wenigstens einer halben Minute besinnen konnte, wie es weiter nichts sey, als mein Nachbar, der Satanshahn, der in seiner Ahnung des anbrechenden Morgens, eine Stimme entwickelte, die der Lunge eines Straußes Ehre gemacht haben würde. Ehe ich übrigens meinen Ingrimm nur gegen ihn wenden konnte, antwortete es ihm erst aus der zweiten, dann aus der dritten und vierten Ecke, in eben solchen schmetternden, herausfordernden Tönen und die Hähne stimmten im nächsten Augenblick ein Quartett an, das seines Gleichen wohl noch nicht auf der Welt gehabt hat. – Und da lag ich mitten drin und wollte schlafen.

Die Satansbestien zu Ruhe zu bringen, daran war gar nicht zu denken, und ich mußte mich zuletzt, nach mehren vergeblichen Versuchen, damit begnügen mit meinem Ladestock, den ich zu diesem Zweck ausgezogen hatte, wenn der mir nächste den Schnabel aufthat nach ihm hinüber zu drohen – die Töne blieben ihm dabei jedesmal im Halse stecken, das hielt ihn aber nicht ab, in der nächsten Secunde einen neuen Versuch zu machen und ich hatte eine volle Stunde lang reichliche Beschäftigung. Komisch genug müssen wir beide aber dabei ausgesehen haben.

Endlich wurde es Tag, und mir waren die Glieder wie zerschlagen, danach wartete ich kaum Sonnenaufgang ab, meinen mir versprochenen Landsmann aufzusuchen – der Correo gab mir zu diesem Zweck einen der jungen Burschen aus dem Gasthaus – Hahnkorb wäre ein passenderer Name gewesen – mit, und durch ein paar enge Gassen und über die Plaza hingehend, erreichte ich bald darauf das Haus.

Hätte ich fünf Meilen deßhalb marschiren müssen, der Mann wäre mir nicht zu theuer erkauft gewesen.

Es war ein kleines ausgetrocknetes Männchen, mit einem dünnen melancholischen Gesicht und hellblauen müden Augen – er trug einen schwarzen alten Seidenhut – Schraube, wie ihn die Matrosen nennen – und einen sehr schmutzigen rothen Poncho – die Cheripa wie die Argentiner statt der Hosen, und nicht einmal Unterkleider darunter, denn die nackten dünnen Waden schauten aus dem Faltenwurf der letzten wie mit leisem Vorwurf heraus, und die ebenfalls nackten Füße staken in einem paar gerade so abgetragenen rindledernen Schuhen.

Der Mann hieß Hüter und war aus der Gegend von Mainz gebürtig. Früher Steinhauer gewesen, hatte er das Geschäft aber in den Pampas, wo es nur höchstens an einigen Flüssen Kieselsteine gab, nicht fortsetzen können, die Hutmacherei angefangen, und natürlich eine Frau genommen.

Mit der Frau bekam er eine unbestimmte Anzahl von Kindern und ein kleines Materialgeschäft, eine Art Kramladen, mit dem er aber auch noch als Zweiggeschäft eine Art Speisehaus zu verbinden schien, denn selbst während ich dort war, kamen mehre Soldaten herein, und verzehrten gleich am Ladentisch ein Stück Wurst und Brod.

In einer Reihe von siebzehn Jahren, die er jetzt im Lande lebte, hatte er sich aber ein sehr schlechtes, halb Mainzer Spanisch und nebenbei noch all die Unreinlichkeit der Eingeborenen angeeignet; es sah wahrhaft gräulich bei ihm aus, und wenn ich auch für die frühe Morgenstunde etwas Entschuldigung gelten lassen will, so könnte das doch nicht all den entsetzlichen Schmutz subtrahiren. Das Eigentümliche dabei war, daß der Mann fast gar kein Deutsch mehr sprechen konnte; Deutschland war ihm dabei auch ganz fremd geworden und Nachrichten von dort schienen ihn wenig zu interessiren.

Wunderbarerweise hatte auch er hier schon davon gehört, daß in Deutschland eine Revolution gewesen sey, er glaubte es aber noch nicht so recht; überhaupt schienen seine Ansichten über deutsche Verhältnisse etwas verworren. Nur an Mainz erinnerte er sich noch, wie er meinte, ziemlich deutlich, und sagte kopfschüttelnd, als ich ihm versicherte auch dort seyen Unruhen ausgebrochen, »Mainz wäre eine gute Stadt und die könnten sie nicht sogleich nehmen.«

Trotzdem übrigens, daß er doch nach so langem Aufenthalt in den Pampas von Südamerika und durch seine Familie hier ganz eingebürgert war, schien es ihm keineswegs so gut zu gefallen als sich das vermuthen ließ. – Das Land war, wie er mich versicherte, gut, aber die Leute bauten hier nichts weil, wie er sich ausdrückte, zu viele »schlechte hombres« (Menschen) in der Nähe wären, welche die Produkte viel schneller wegstählen als sie wachsen könnten. Er selbst hatte früher etwas gebaut, es aber auch wieder aufgegeben, er mochte nicht »für die Spanier« arbeiten. – In Buenos Ayres sey es jetzt dabei wohl ruhig, man könne aber nie wissen wie lange das dauern werde, und stürbe Rosas einmal, dann sey es auch wieder eine Frage wer an die Oberherrschaft käme, und ob die überhaupt gleich wieder Jemand, und sicher, in die Hände kriegte.

Diese Furcht schien mir im Lande der Hemmschuh jedes vernünftigen und sonst gewiß schon aus sich selber entstehenden Fortschritts, und daß sie nicht unbegründet ist beweist schon ihre Allgemeinheit. Obgleich Rosas auch jetzt gestürzt ist, und eine andere, anscheinend mildere Regierung an der Spitze steht, wird das diese Furcht nicht heben; wer weiß wie lange es dauert, und das Volk der Gauchos ist eine wilde, schwer zu bändigende Menschenrace die wie die Lava der arbeitenden Vulkane wohl eben eine harte, scheinbar kalte Rinde anzusetzen gestattet, innerlich aber fortwährend kocht und gährt und einmal über Nacht wieder Alles was sich ihr anvertraut, über den Haufen wirft.

Das gesellige Leben hier war, wie der alte Mann weiter erzählte, nun gar erst trüb und traurig; zwischen all den Spaniern lebte er seine Tage still und einförmig hin und sein einziger Wunsch sey, wieder einmal nach Deutschland zurückkehren zu können, dazu gehörte aber Geld, baares Geld, und das könne man sich hier nur ungemein schwer verdienen. Andere Deutsche lebten nicht, weder in seiner Nachbarschaft noch sonst in der Nähe, und wenn ja einmal einer dort kleben geblieben wäre (er sah wirklich so aus), so hätte er es doch nie lange ausgehalten – bei ihm wäre das aber was anderes, er hätte Frau und Kinder, und müsse wohl.«

Trotzdem schien es mir nicht als ob er sich wirklich speciell nach Deutschland zurücksehnte – er wollte nur fort von Südamerika. In einer Sache freute ich mich aber auch wieder einen ächten Deutschen in ihm gefunden zu haben – die Ursache nämlich, weßhalb er mich gestern Abend nicht aufgesucht hatte, war Niemand anders als die Polizei gewesen, vor der er sich gefürchtet. – Es lagen in dem Nest nämlich, der draußen herumspuckenden Indianer wegen, eine Masse Soldaten und die Polizei hatte deretwegen den Befehl erlassen, zu später Stunde nicht mehr in den Straßen herumzuschwärmen. – Nun ging das allerdings gar nicht auf ihn, die Polizei hätt' es aber doch vielleicht übel nehmen können wenn er draußen gesehen würde, und mit der mochte ers nicht gern verderben.

Leider durfte ich nicht so lange mit ihm plaudern als ich es wohl gewünscht hätte, denn der Correo stand schon wieder zum Abmarsch gerüstet, und wir nahmen Abschied von einander. Er sagte, als er mir die Hand reichte, »es kämen wohl manche Deutsche in die Gegend, sie gingen aber immer wieder gleich fort, wie ich, und dann bleibe er wieder mit den Spaniern allein;« so erfuhr er denn auch sehr wenig von dem, was in »Allemanje« vorfiele.

Der Ritt am 27. ging fast den ganzen Tag durch eine jetzt wirklich traurige Einöde; das Steppengras stand überall gelb und welk und der Winter übte hier augenscheinlich seine Macht aus. Vor uns hatten wir dabei die starren, von keiner Vegetation bedeckten niederen Hügelkuppen, die weiterhin mit den Córdobabergen in Verbindung zu stehen schien, und nicht einmal Wild fand sich in dieser trostlosen Steppe. Die ganze Natur war wie ausgestorben, und eine entsetzlich lange Station ermüdete die armen Thiere noch außerdem bis zum Niedersinken. Endlich erreichten wir die ersten Felsklippen, die wahrlich nicht aussahen, als ob sie einen freundlichen Wechsel in der Scenerie hervorbringen könnten, wild über einander geworfenes Gestein starrte uns eben so monoton entgegen und die einzige Abwechselung schien die, aus einer sandigen in eine steinige Wüste gekommen zu seyn. Als wir aber darüber hinritten, fanden wir uns plötzlich in einem Thale, das in diese Einöde wie hineingezaubert, einen wirklich überraschenden Eindruck auf mich machen mußte. Draußen die ganze Natur verdorrt, eine fast erstorbene Vegetation, kein Grün das dem Auge einen einzigen Ruhepunkt geboten, kein lebendes Wesen zu hören und zu sehen, als die schnaubenden Thiere unter uns und ein einsamer kreisender Falke – hier dagegen, wie aus dem Boden heraufbeschworen, blühende Bäume und saftiges Laub, weicher Rasen und reges Leben, denn selbst eine Menge von Hausthieren gab es hier, Truthähne, Hühner, ja selbst zahme Strauße.

Es war ein so freundliches Plätzchen, wie man es nur auf der Welt finden konnte.

Von hier ab ging der Weg, mit frischen Pferden, durch kühle, mit Schilf und Buschwerk bewachsene Schluchten eine weite Strecke lang hin, und ein murmelnder Bach folgte unserer Bahn.

Den Bach muß ich übrigens denunciren – er hat Gold – damals ritt ich allerdings daran hin, ohne auf solche böse Gedanken zu kommen, seit ich aber die kalifornischen und australischen Berge gesehen habe, bin ich ziemlich fest überzeugt davon, denn selbst damals fielen mir die großen, schönen und schneeweißen Quarzblöcke auf, die überall daran hin zerstreut lagen. Nicht weit davon entfernt sind auch die Carolinagoldminen, wie ich später erfuhr, und ich bin jetzt fest überzeugt, daß dort Gold eben so gewaschen werden könnte, und gewiß auch einmal so gewaschen wird, wie in Californien.

Wir hatten übrigens noch einen ziemlich weiten Ritt, und der Mond leuchtete hell und klar unserer Bahn; plötzlich sah ich in dem schmalen Pfad in dem wir hingaloppirten, etwas Weißes blitzen, das mir ein zusammengefaltetes Papier schien; ich ließ meine Begleiter weiter sprengen, kehrte um, denn mein Pferd war indeß schon rasch vorübergeflogen, und fand wirklich einen wer weiß durch wen verlorenen und noch versiegelten Brief; die matte Dinte ließ sich übrigens bei dem Mondlicht nicht lesen, meine Begleiter kamen mir auch zu weit voraus, ich sprang also rasch wieder in den Sattel und nach einer Stunde etwa erreichten wir den kleinen Ort wo wir übernachten sollten.

Wenn man so den ganzen Tag im Sattel gehangen hat, freut man sich nicht wenig auf die Zeit, wo man den Kopf einmal auf den Sattel legen kann, besonders wenn es erst einmal über Nachtschlafenszeit hinausgeht; – wenn sich auch die Glieder bald vollständig an das Reiten gewöhnen, wollen sie doch auch manchmal Ruhe haben, und sich strecken und dehnen. Außerdem kommt für den Magen Abends noch ein besonders wichtiger Moment, denn das ist die einzige Zeit, wo es wirklich etwas zu essen gibt. Morgens setzt es gewöhnlich nur einen Schluck Mateh, denn ich habe mich in mein Schicksal, und meine Lippen preisgegeben, die nun doch einmal durchgebrannt sind und keine Haut wieder ansetzen werden, bis ich die letzten verzweifelten Bombillas im Rücken habe – dann halten wir höchstens um 10, 11 oder 12 Uhr, wie es gerade mit der Station paßt, und nehmen eben einen Imbiß Fleisch – früher wo wir Milch bekommen konnten, tranken wir einen Schluck Milch, denn viel Essen verträgt sich über Tag nicht mit dem raschen Reiten, und erst Abends wird tüchtig eingelegt, um nachher wieder vierundzwanzig Stunden auszuhalten. Am Abend verlangt aber auch der Magen etwas Ordentliches, und wenn er das nicht bekommt, knurrt er und läßt sich krank melden; dennoch aber wollte ich, wir hätten an diesem Abend, ohne einen einzigen Bissen zu sehen, in freier Steppe gelagert, denn noch nie ist mir der Schmutz und die Unreinlichkeit beim Essen wie im ganzen Wesen der Leute so furchtbar widerlich vorgekommen, als bei den Menschen gerade, bei denen wir an diesem Abend übernachteten. Ich hatte bis jetzt noch alles Essen, was mir geboten worden, so unreinlich die Umgebung auch immer gewesen seyn mochte, hinuntergewürgt, hier aber weigerte sich der Magen standhaft etwas weiteres zu sich zu nehmen, und ich ließ mir zuletzt heißes Wasser geben und machte mir eine Tasse starken Kaffee, um nur nicht krank zu werden. Der Leser mag dieß vielleicht für übertrieben halten, er soll aber nur hierher kommen, und ich will dann sehen, ob er sagt ich habe unrecht gehabt.

Der Brief, den ich um Mondenschein im Wege gefunden, war an eine Señora in demselben kleinen Ort (Achiras hieß das Städtchen, ich werde den Namen nie vergessen) bestimmt, ich schrieb mit deutschen Buchstaben einen Gruß darauf und ließ ihn dort – die Spanierin mag sich den Kopf zerbrechen, was die wunderlichen Zeichen bedeuten. Auf dem Brief, obgleich an eine Dame gerichtet, also wohl schwerlich politischer Natur, standen übrigens auch, wie auf jedem argentinischen Brief stehen müssen, die unvermeidlichen Worte als oberste Überschrift: »Viva la confederacion Argentina – mueran los salvajes Unitarios.«

28. Der Weg, den wir an diesem Tage ritten, lag ebenfalls durch eine wüste Steppe hindurch, mein Alter hatte aber in Achiras wieder so schreckliche Geschichten über die Indianer gehört, die indeß wirklich erst ganz vor Kurzem sich bis dicht zu der hier lagernden Garnison hinangewagt, daß er seine gewöhnliche Station zu umgehen beschloß – wir sahen deßhalb den ganzen Tag weder Weg noch Steg – überall umgab uns die hier todte öde Pampas. Nur im Hintergrund tauchte nach und nach ein eben nicht sehr hoher Berg, der El Morro, auf, und als wir ihm endlich näher kamen, lag er ebenso starr und unfruchtbar vor uns als die vorigen. Kein Haus ließ sich an seinem Fuß erkennen, keine Umzäunung, nur an einem Punkte – und es schien als ob sich der Weg gerade dorthin ziehe – stand ein einzelner niederer Baum. Rechts von uns tauchten auch noch in der Ferne mehre scharf am Horizonte abgezeichnete Bergkuppen aus dem flachen Lande vor, und mein alter Correo sagte mir das seyen die Berge, in denen sich die Carolinagoldminen befänden. »Wären wir,« setzte er hinzu, »Indianern in den Weg gekommen, so hätten wir uns nördlich durch jene Berge gewandt, denn so hoch nach Norden trauen sie sich nicht hinauf. So aber ists besser, wir haben kürzeren Weg und sparen auch Geld, denn dahin geht keine Post und wir müßten uns Pferde kaufen.«

Indessen waren wir dem Berge nah gekommen und fanden uns plötzlich vor einer kleinen, aus seinen eigenen Steinen errichteten Hütte, so daß sie gegen den Hintergrund nicht einmal durch das schon ebenfalls wettergraue Binsendach abstach. Vor der Thür, so dicht daß er den Schatten selbst auf die Schwelle werfen mußte, stand ein gewaltiger alter Feigenbaum, und eine kleine Umzäunung halb von Steinen halb von Holz und Dornen errichtet, vollendete alles was zur Ansiedlung des kleinen Platzes gehörte. Der Raum aber vor der Hütte war sauber gekehrt, und das Innere der stillen Bergeswohnung (ärmlich zwar bis zum äußersten, und nur den unentbehrlichsten Bedürfnissen genügend) so nett, so reinlich, so wohnlich gehalten, daß mir nach all dem Schmutz und Unrath den ich bis jetzt gesehen, der kleine, kaum fünf Schritt im Durchmesser haltende Raum wie ein Palast erschien, und der Trunk Milch, den mir die Leute reichten, so herrlich mundete als sey es das kostbarste Labsal gewesen.

Ein junges Ehepaar bewohnte mit der alten Mutter diesen friedlichen, freundlichen Platz, und selbst die Matrone war so reinlich gekleidet, wie ich bis zu diesem Ort, im Innern des Landes, noch nicht einmal ein junges Mädchen gekleidet gesehen hatte. Um so wohlthuender war das hier, da gerade die Unreinlichkeit der Frauen mir bis dahin so widerlich gewesen.

Nach einer kurzen Station am Fuß des Berges hin erreichten wir eines der gewöhnlichen kleinen Städtchen, das voll von Soldaten lag. Sie hatten sich überall kleine, oft nicht einmal gegen den Regen geschützte Hütten gebaut, und das ganze Leben hier, von den starren Felsen umschlossen, bot ein bewegtes, heiteres Bild.

Wohin das Auge auch sah weideten, hier von kleinen wild genug ausschauenden Burschen gehütet, Heerden von munteren Pampaspferden, die fortwährend zum raschen Aufsitzen bereit gehalten werden mußten; Lagerfeuer wohin der Blick auch streifte mit Gruppen, die einem Zigeunerlager keine Schande gemacht haben würden und förmliche Massen von Mädchen und Frauen, die entweder in den Hütten wirthschafteten oder am kleinen Bache Geschirr oder Wäsche reinigten.

Wir bekamen von hier aus drei frische Pferde, von denen sich zwei als gut genug auswiesen, das dritte aber, das unglücklicher Weise mir zu Theil wurde, schon nach drei Leguas nicht mehr von der Stelle wollte. – Hätten uns heute die Indianer überfallen, so mußte ich einfach Stand halten, denn der Correo würde sich verwünscht wenig um mich gekümmert haben. Da das Pferd aber zuletzt förmlich stehen blieb und in der That nicht mehr weiter konnte, während der alte Bursche von Correo schon seit einer halben Stunde meine ungemeine Thätigkeit mit der Peitsche bewundert hatte, mochte er wohl zuletzt glauben das Pferd sey nicht Schuld, sondern ich, kam rasch zurückgesprengt, gab mir sein Pferd und stieg nun in meinen Sattel, um da sein Glück zu versuchen. Wenn er dem armen Geschöpf, was ich nicht hatte thun wollen, die scharfen entsetzlichen Sporen aber auch tief in die Seiten rannte, daß seine gelbledernen Reitstiefeln von Blut förmlich bespritzt waren, es konnte nicht mehr, und fluchend schickte er endlich den Postillon, der überdieß schon ganz unschuldiger Weise die schönsten Grobheiten wegen dem nichtswürdigen Thier bekommen hatte, etwa eine halbe englische Meile nach Norden hinauf, wo acht oder neun andere Pferde ruhig weideten. Dem jungen Burschen gelang es auch bis in Lassoswurf an die nichts Böses ahnenden hinanzukommen, denn mit dem schweren Felleisen hinten auf, hätte er sie nicht verfolgen können, und als die Schlinge erst um seinen Kopf schwirrte und die, dadurch gewarnten Thiere fliehen wollten, war es zu spät; das kräftigste der Heerde, einen prächtigen kleinen Hengst, hatte er gefaßt, und nach wenig Minuten Ankämpfens ergab sich das Thier auch soweit in sein Schicksal, daß es sich wenigstens von uns dreien meinen Sattel auflegen und mich hinauf ließ. Kaum fühlte es sich aber wieder soweit frei, daß es seinen Kopf in die Höhe bringen konnte, als es an zu steigen und tanzen und gleich darauf an auszuschlagen fing, als ob es sich verpflichtet hätte, mich in einer gewissen gegebenen Zeit, Gott weiß in welchem Theil der Steppe abzusetzen. Ich hielt mich jedoch im Sattel und mit Sporn und Revenka machte ich es zuletzt wenigstens soweit mürbe, daß es seinen Eifer auf den Weg selber richtete, und nun mit mir davon flog, als ob wir noch heute Abend Mendoza erreichen wollten.

Meine beiden Begleiter blieben weit zurück, und brauchten nachher lange Zeit mich wieder einzuholen.

Heute Abend sollte ich aber auch ein Beispiel von einer argentinischen Rebhühnerjagd sehen, von der ich früher wirklich keine Ahnung gehabt. Ein paar der kleinen Steppenhühner stiegen dicht vor uns auf und eines fiel, von den andern abgesondert, etwa hundert Schritt von uns an einer Stelle nieder, die durch einige kurze Grasbüschel markirt war. Der alte Correo winkte mir zu ihm in einiger Entfernung zu folgen, und die lange aber kurz stielige Peitsche wie einen Lasso um den Kopf schwingend, vermied er die Stelle wo das Huhn eingefallen war, und sprengte in einem weiten Kreise darum hin. Immer enger und enger zog er diesen, die Peitsche fortwährend schwingend und jetzt das Huhn schon im Auge, das sich, durch nichts gedeckt und von der kreisenden Schnur eingeschüchtert, fest auf den nur mit dünnen Grasbüscheln bewachsenen Boden drückte, bis das Pferd selbst in Sprungsnähe vor ihm war und die schwere Peitsche mit scharfem, aber sicheren Schlag das arme kleine, zitternde Geschöpf zu Tode traf.

Es war dieß jedenfalls eine merkwürdige Hühnersuche.

Ohne abzusteigen nahm der Correo dann das noch flatternde Huhn vom Boden auf, so weit bog er sich, mit dem rechten Fuß im Steigbügel bleibend, zur Erde nieder, und fort gings wieder über die Steppe in neuer und toller Hast.

Ziemlich spät in der Nacht erreichten wir den Rio Quinto, wo wir, in etwas reinlicherer Umgebung als bisher, Halt machten.

Als wir am nächsten Morgen aufbrachen nahm der Postillon wieder, wie die Leute das schon mehrmals gethan, ein dünn geschnittenes breites Stück rohes Rindfleisch und legte es – ja, warum soll ich's dem Leser nicht erzählen, wenn ich's habe essen müssen – unter sein eigenes Sitzfleisch auf den Sattel, allerdings deckte er noch zuerst, der Reinlichkeit wegen, ein altes ungegerbtes Schaffell darüber, was vielleicht schon seit Jahren zur Satteldecke gedient hatte, aber auch das blieb nicht darauf liegen, und die cheripa des Postillons sein einziger, etwas zweifelhafter Schutz.

»Aber davon hätte ich keinen Bissen essen können.«

Ach ja, lieber Leser, wenn man so sechzig bis achtzig englische Meilen galoppirt ist, verlangt der Magen wenigstens einen Imbiß, und wenn man weiter nichts bekommen kann, versöhnt man sich selbst mit solchem Fleisch.

Mittags etwa begegneten wir einer Mendozacaravane, die nach Buenos Ayres bestimmt war. Einige dreißig große Wägen knarrten dicht hintereinander her, und daneben hin gehen die Wächter und Begleiter mit ihren langen Lanzen auf den Schultern, und im Wagen vorn – unter den langen Bambusstacheln – manchmal sogar ein geladenes Gewehr neben sich, sitzen die Ochsentreiber und schauen schläfrig über ihre Thiere hin.

Diese Wägen verdienen wohl eine kurze Beschreibung. Sie ruhen auf nur zwei, aber dafür auch kolossalen, oft zehn Fuß hohen Rädern. Ihre sonstige Bauart ist leicht, und wenn auch das eigentliche Gestell aus festem Holz gearbeitet ist, bestehen die Seitenwände doch nur aus geflochtenem Schilf, und der obere Theil ist mit Häuten überdeckt. Die hohen Räder mögen wohl in den oft sehr sumpfigen Pampas nöthig, ja unentbehrlich seyn. Sechs oder acht Ochsen sind gewöhnlich vorgespannt, und zwar, je zu zweien, in einem, aus einem einzigen Stück bestehenden hölzernen Joch, das ihnen im Nacken liegt, ziehend. Sinnreich und der Bequemlichkeit der Südländer angemessen ist aber die Art, mit der sie ihre Zugtiere antreiben. Die lange Peitsche die der Hottentot führt wäre ihnen viel zu beschwerlich, dafür haben sie eine gewaltig lange Stange, fast stets aus leichtem, an der Wurzel vier und mehr Zoll im Durchmesser haltendem Bambus, der aus Brasilien kommt. Die hängt nun, weil sie zu regieren auch zu beschwerlich seyn würde, an einer, je nach Verhältniß vorn herausstehenden anderen Stange, schwebend fest, und mit der vorn daran befestigten Spitze können sie solcher Art die vordersten Thiere auch leicht anstacheln, wahrend eine andere Stahlspitze gerade da herunterhängt, wo sie, wenn die Stange niedergedrückt wird, die zweitvordersten Ochsen berühren kann. Für die dem Wagen nächsten Thiere liegt noch neben dem Führer eine schwächere kürzere Stange; die leicht zu regieren ist.

Die Wägen führen in solchen Caravanen die Produkte Mendozas, der Kornkammer der argentinischen Republik, nach der Hauptstadt. Die vorzüglichsten Artikel darunter sind übrigens Mehl und Wein, dann getrocknete Früchte, Rosinen etc. Unter dem Wagen, wo die hohen Räder noch einen ziemlichen Raum gestatten, tragen sie dabei durch die wirklichen Pampas ebenfalls ihr Brennholz mit, und hintenauf ist ein langer, eigenthümlicher Steinkrug befestigt, in dem sie ihr Trinkwasser bewahren und von einem Fluß zum anderen, durch die salzigen Wüsten, die jetzt vor uns lagen, aber auch manchmal noch weiter nehmen.

Werden sie von Indianern bedroht, denn sie sind mehrere Monate unterwegs, so bilden sie mit ihren Karren rasch eine Wagenburg, in deren Mitte sie ihr Vieh treiben und sich von den Karren aus vertheidigen. Da sie stets einige Schießwaffen mit sich führen ist solche Befestigung, besonders bei ihrer Anzahl, auch fast stets hinreichend, und ehe sich die Wilden in großer Masse zu sammeln vermögen ihnen wirklich gefährlich zu werden, können sie leicht eines der kleinen, überall durch die Pampas zerstreuten Städtchen erreichen und militärische Hülfe bekommen. Natürlich erkundigten sie sich sehr angelegentlich bei uns nach den Indianern, da wir jetzt gerade aus der meist bedrohten Gegend kamen, und mein alter Correo erzählte den armen Teufeln zu ihrer Beruhigung wieder schreckliche Geschichten.

Unser nächstes Ziel war jetzt San Luis, die Hauptstadt der Provinz gleichen Namens, und ich hoffte hier wieder Deutsche zu finden, doch sollte ich mich darin leider getäuscht sehen.

Wir erreichten den Ort Nachmittags, und als wir eben aus dem niederen Lande heraus und auf der flachen Anhöhe, auf der San Luis liegt, hinsprengten, sah ich in weiter blauer Ferne einen Gebirgsstreifen, der sich am Horizont in ungeheurer Kette hinzog – es waren die Cordilleren, von denen wir noch wenigstens dreißig deutsche Meilen entfernt seyn mußten. Dort also lagerten jene ungeheuren schneebedeckten Gebirgsmassen über die ich jetzt, mitten im Winter, hinüber mußte; dort gähnten jene Schluchten und starrten die bis hoch über die Wolken hinausragenden Felsen empor, in denen schon so mancher Reisende verunglückt, hinabgestürzt, oder in Eis und Schnee erstarrt seyn sollte. Ein ganz eigenthümliches Gefühl durchzuckte mich, als ich das riesige Rückgrat der neuen Welt wie ein lauerndes Ungethüm so vor mir liegen sah; waren die Berichte alle wahr, die ich über einen Wintermarsch über jene Höhen gehört, so erwartete mich Fürchterliches. Doch ich hatte schon zu oft gefunden daß solche Berichte aus weiter Ferne übertrieben und unwahr gewesen; darauf und auf mein gutes Glück, das mich ja noch nie stecken gelassen, vertraute ich auch jetzt, und ritt guten Muths in die breiten, von niederen Lehmhäusern gebildeten Straßen der kleinen Stadt ein.

San Luis hat vor Kurzem viel durch ein Erdbeben gelitten, und eine Menge von Häusern waren von oben bis unten auseinandergerissen; das ist aber auch wohl das einzige was die kleine Stadt manchmal zu bewegen scheint, denn sonst sahen die Straßen wie ausgestorben aus, und die wenigen Menschen, die sich wirklich zufällig darin begegneten, schienen sich ordentlich darüber zu verwundern. In San Luis ist weder Deutscher noch Engländer (ein ganz alter Engländer ausgenommen, der aber schon einige vierzig Jahre im Lande seyn soll), sonst leben jedoch einige Franzosen und Italiener dort, die aber auch, soviel ich von ihnen hören konnte, sehr bedeutende Absichten haben, nach Kalifornien – wie sich das von selbst versteht – auszuwandern.

Bei San Luis soll ein nicht sehr großer See seyn mit einem so bedeutenden Strudel nach der Mitte zu, daß sich kein Boot hinauf wagen darf – so wenigstens wurde es mir erzählt; ich erfuhr es leider zu spät den See selber besuchen zu können.

Mein alter Correo bekam aber hier vom Gouverneur von San Luis eine Nachricht, die ihn nicht wenig bestürzt machte und zugleich auch in Erstaunen setzte. Als er seine Depeschen abgegeben hatte und zu mir zurück in das kleine Haus kam, in dem wir unser Lager aufgeschlagen, wünschte er mir und sich Glück, einer bedeutenden Gefahr glücklich entgangen zu seyn. Durch einen expressen Boten sollte der Gouverneur nämlich vor kaum einer Stunde die Nachricht bekommen haben, daß die Wilden zu derselben Zeit, wo wir dem El Morro zuritten, in einem Trupp von circa 200 Mann über dieselbe Steppe, und zwar nach den nordwärts gelegenen Bergen, die der Correo damals für so sicher gehalten, geritten seyen – sie streiften jetzt in jener Gegend umher, und wie behauptet wurde, sogar mit weißen Führern. In San Luis vermuthete man, es seyen einzelne Flüchtlinge der Unitarios, die dort in den Bergen, weil es bekannt war daß der Correo bei indianischen Unruhen gewöhnlich stets die nördliche Route nahm, diesem aufpassen wollten. Und sie hätten gerade keine üble Beute gemacht, denn außer seinen Depeschen führte er in der schweren Satteltasche, die der Postillon hinten aufgeschnallt trug, eine nicht unbedeutende Quantität Unzen mit.

Fielen wir ihnen in die Hände, so konnten sie uns, waren wirklich Weiße dabei, schon gar nicht am Leben lassen, wenn sie sich nicht der Gefahr aussetzen wollten verrathen zu werden, und dann das ganze argentinische Militär hinter sich her zu haben. Gerade dadurch also, daß wir den nächsten und gewöhnlichen Weg beibehielten, entgingen wir ihnen, und gebe nur Gott daß sie die kleine friedliche Hütte am Fuße des Berges verschont haben. Von San Luis wurde übrigens augenblicklich Cavallerie abgesandt, sie wo möglich von den Ihrigen abzuschneiden, oder doch jedenfalls aus der Nähe der Ansiedlungen zu verjagen.

Der Weg von San Luis aus lag durch lauter niedere dornige Büsche und das Land schien hier dürr und trostlos – es war entsetzlich sandig und wir galoppirten den ganzen Tag in einer förmlichen Staubwolke.

Wo wir die Nacht lagerten trafen wir einen jungen Burschen der etwa zwanzig Leguas von dort vor einigen Tagen einen Kampf mit einem kleinen Trupp Indianer gehabt hatte – also überall streiften diese Wölfe der Steppen umher. – Sein Bruder war dabei getödtet und ein anderer Gaucho schwer verwundet worden, ein Gewehr aber das sie bei sich führten schien den Sieg entschieden zu haben, die Indianer hatten sich wenigstens mit einem Verlust von drei Mann zurückgezogen. Eine Lanze die er damals erbeutete, hing hier als Siegstrophäe an der Wand – sie war von Bambus, genau vierzehn englische Fuß lang und hatte oben darin ein altes, aber sehr scharf geschliffenes Bajonett, das die Indianer wohl in einem früheren Scharmützel erbeutet haben mochten, befestigt.

Mit diesen Lanzen sollen sie eine furchtbare Geschicklichkeit besitzen, den Stoß an der rechten Stelle so anzubringen, daß der Bedrohte kaum, oder nur sehr schwer, im Stande ist ihn zu pariren. Sie halten dieselben nämlich beim Ansprengen in fortwährender schwingender, schaukelnder Bewegung – die Spitze auf und nieder führend – etwa nach demselben Princip wie der australische Wilde seinen Speer, ehe er ihn schleudert, erschüttert und in zitternde Bewegung bringt – bis die Lanze, zum Stoß bereit, plötzlich Festigkeit und fast stets zugleich ihr Ziel gewinnt.

Außer den Lanzen führen sie nur noch Lasso und Bolas, aber auch die letztere Waffe ist furchtbar in ihrer Hand.

Am nächsten Tage wurde die Umgebung noch trauriger und trostloser – eine förmliche Wüste war es, die wir durchschnitten, eine Wüste voll Dornen und Myrthenbüschen und weißen Sands – kein kühler schattiger Platz bot Thier oder Menschen Kühlung und Erfrischung. Nicht ein einziges lebendes Thier sahen wir auf der ganzen Station von über 12 Leguas, als einmal einen Sperling und später einen Aasgeier, und der letzte strich so still und hungrig über die dürren Büsche hin, als ob er den ersteren suchte und nie und nimmer finden könnte. An dem Abend ward uns jedoch, in Gestalt einer Wassermelone, wenigstens eine Art Belohnung für langes angestrengtes Reiten und die unberechenbaren Quantitäten Staub die wir verschluckt, wobei wir nicht einmal den Trost eines ordentlichen Trunks Wasser hatten, denn all das Wasser hier was wir fanden war brakisch oder salzhaltig, und an kleinen Lachen die wir hie und da trafen, lag der Salpeter ordentlich in weißem Anflug am Boden. Die Melone mundete deßhalb auch vortrefflich und ich schlief die Nacht – die erste in der wir nicht von Flöhen bis aufs Blut gepeinigt wurden, sanft und süß.

An diesem Tag machten wir zwei Stationen, eine von 13 und eine von 16 Leguas. Sechzehn Leguas, also über zehn deutsche Meilen mit einem Pferd, und zwar in einem fast ununterbrochenen Galopp; mich wunderte es nur daß das Packthier aushielt. Am nächsten Tag sollten wir aber erfahren daß nicht alle Packthiere solche Riesennaturen haben. Durch eine eben solche Wüste wie am vorigen Tag, nur daß wir heute am Rand eines Flusses hinritten, und uns doch wenigstens an der Aussicht auf Wasser erfreuen konnten, wollten wir eine, ebenfalls wieder 10 Leguas lange Station zurücklegen; das Packpferd aber, dessen schon von früheren Lasten wundgedrückter und mit Blut und Eiter bedeckter Rücken sich unter der neuen Ladung gleich von Anfang an gebogen hatte, konnte diese neue Qual nicht lange ertragen. Weide gibt es hier fast gar keine oder nur höchst spärliche, sowohl für Pferde als Rinder, abgemattet sind die armen Geschöpfe schon ohnedieß, selbst wenn sie gar nichts zu arbeiten brauchen; so ist es denn kein Wunder daß die, von dem Thier geforderte Anstrengung seine Kräfte überstieg und es auf halbem Weg, sich nicht etwa weigerte weiter fort zu galoppiren, denn es that bis zum letzten Augenblick sein möglichstes, sondern förmlich zusammenbrach. Zwar wurde ihm jetzt die Last abgenommen und auf eines der stärkeren geladen, und es selber sollte nur den Postillon tragen, aber auch das vermochte es nicht mehr, und wir sahen uns endlich genöthigt, es mit diesem selber in einer Gegend, wo es nicht einmal einen Grashalm zu seiner Stärkung pflücken konnte, zurückzulassen. Der arme Postillon hatte ebenfalls keinen Bissen Brod und nichts als seinen dünnen Poncho bei sich, die Nacht im Freien zuzubringen, der Correo bezeigte aber weder mit ihm noch mit dem Pferd nur das mindeste Mitleiden. Das eine war ja bloß ein Pferd, das andere – bloß ein Peon, ein Knecht, den der Südamerikaner ebenfalls kaum höher als das Vieh selber achtet.

Diese armen Teufel werden kaum besser behandelt als die farbigen Leute in Nordamerika, und die argentinische Republik wird deßhalb auch ihren Charakter noch sehr ändern müssen, ehe sie den Namen einer wirklichen Republik verdient. So lange die Söhne derselben noch die Abzeichen ihrer Freiheit, die Bänder und Schleifen nur gezwungen tragen, und Gefängnißstrafe zu erwarten haben, wenn sie die livreeartige Weste auslassen, so lange brauchen sie auf den Namen »Republikaner« gerade nicht stolz zu seyn. Ja wenn sie auch selber, wie das bei dem jetzigen Regierungswechsel wohl der Fall gewesen ist, die Farben ändern, und statt roth hellblau oder grün nehmen, so macht das aus den Knechten doch immer noch keine Republikaner, und die wirkliche Regierung wird stets in den Händen intelligenter oder ehrgeiziger Menschen bleiben, bis das Volk selber einmal gebildet genug ist zu fühlen welches Recht ihm auch zugleich der Name gibt.

Wir brauchen daheim nur aus dem Fenster zu schauen, um uns ein recht deutliches Bild von dem Allem machen zu können.

Am 23. Juli erreichten wir Abends ziemlich spät nach einem, für die Thiere wirklich entsetzlich ermüdenden Ritt den kleinen Ort Pescara ó rodeo Chacon – die letzte Station vor Mendoza wo wir übernachten mußten, und noch gerade 23 Leguas davon entfernt.

Diese Stadt zu sehen wurde ich aber wirklich immer neugieriger gemacht, da alles, was ich bis jetzt im Lande getroffen, von Mendoza und stets von Mendoza gebracht worden war. Selbst das Brod, obgleich es die Leute an mehrern Orten mit nur geringer Mühe hätten selber bauen können, kam von dort her, und Wein, recht guten wohlschmeckenden und geistvollen Wein bekamen wir von dort zu trinken. Der Weg wurde auch etwas freundlicher und die Pferde hielten sie in dieser Gegend in besonders dazu eingefenzten Weiden, in denen ein ungemein nahrhaftes Futter wuchs. Wir durften uns also darauf verlassen wenigstens gut genährte, kräftige Thiere zu bekommen.

Den Abend saßen wir wieder in einem der kleinen »Gastzimmer« – vier leere Wände und eine breite Lehmbank – etwa lang genug, daß zwei Menschen darauf liegen konnten »einsam bei der Lampe Scheine« und mein alter Correo fing schon an sich für die Nacht einzuwickeln – was ihm jedesmal etwa zehn Minuten Zeit wegnahm, als ich draußen plötzlich den Ton einer Guitarre und gleich darauf eine wohltönende Männerstimme hörte, die mich veranlaßte meinen Schlaf noch etwas hinauszuschieben, und erst einmal der Melodie da draußen ein wenig zu lauschen.

Der Correo brummte etwas von Unsinn in den Bart, als ich ihm sagte daß ich dem Singenden noch ein wenig zuhören wollte, und meinte ich sollte mich auch lieber aufs Ohr legen, denn wir müßten ein paar Stunden vor Tag morgen aufbrechen, Mendoza noch früh genug zu erreichen; ich ließ mich aber nicht irre machen, folgte dießmal meinem eigenen Willen und sollte es nicht bereuen.

Im nächsten kleinen Haus saß eine ziemlich bunte Gesellschaft von Männern und Frauen, denn in der Nähe des Städtchens hielten sich die Gauchos geschützt genug gegen die Einfälle der Indianer selbst die jungen Mädchen bei sich zu behalten, da auch überdieß die weite Wüstenstrecke, die zwischen hier und dem eigentlichen Terrain der Wilden lag, diese meistens abhielt, sich weit herüber zu verirren. – Die Frauen hatten aber mit einem Theil der Männer nur einen Kreis zum Zuhören gebildet, nur Einer, ein junger kräftiger Bursch, mit rabenschwarzem Haar und blitzenden Augen, das Gesicht von einem eigenen milden Humor belebt, hielt im linken Arm die leichte Guitarre und während die rechte Hand nur leis und flüchtig die etwas monotone Begleitung der argentinischen Lieder anschlug, sang er mit einer wirklich melodischen glockenreinen Stimme ein wunderlich gestelltes Lied, das eher Recitativ als Lied zu seyn schien und manchmal, selbst die Begleitung des Instrumentes verschmähend, in reimlose wilde Weisen ausbrach.

Lautes Lachen bald oder donnernde Bravos unterbrachen ihn, wie der Inhalt des Vorgetragenen die Hörer hinriß, und der junge Mann hatte kaum unter einem Beifallssturm geschlossen, als ein anderer, in einer entfernten Ecke sitzender Bursche aufsprang, ebenfalls eine Guitarre ergriff, und dem ersten antwortete. Leider verstand ich nicht genug von der Sprache den, durch den Gesang auch noch undeutlich gemachten Worten so rasch folgen zu können, den Inhalt ganz zu fassen, das Lied begriff aber, so viel ich davon herausbekommen konnte, die Werbung eines der ihrigen um ein junges Mädchen, das ihn nicht wollte, und wahrscheinlich waren die Persönlichkeiten sehr gut gekannt und treffend geschildert, denn das Gelächter wollte manchmal kein Ende nehmen.

Sinn für Musik hat der Südamerikaner gewiß, denn so ärmlich die Hütte auch seyn mag, die man durch die Pampas zerstreut findet, so sehr ihr auch jede, selbst die geringste Bequemlichkeit mangeln mag, so findet man doch fast in allen eine Guitarre, und es gibt die Art, wie sie sich derselben bedienen; dem wilden ungeordneten Leben der Gauchos noch etwas besonders Romantisches. Ihr Spiel nämlich – wenigstens was ich davon gehört – ist nicht gerade ausgezeichnet, auf das Spiel wird aber auch nicht so viel gesehen als auf den es begleitenden Gesang, denn der Gaucho benutzt die Guitarre größtentheils nur dazu seinen extemporirten Gesang, mit dem er irgend eine That, eine Leidenschaft, die Geliebte besingt, zu begleiten. Hierauf antwortet nicht selten ein anderer, und sucht das eben vorgetragene Lied zu übertreffen, oder er erwiedert auch die Verse und es entsteht dann ein Wettgesang, um den sich die Zuhörer mit der gespanntesten Aufmerksamkeit schaaren. Gar häufig und meistentheils sind diese extemporirten Gesänge trivialer und keineswegs poetischer Natur, manchmal fällt es aber auch vor, daß die jungen Söhne der Steppe mit begeistertem Gefühl in die Saiten greifen, und höchst interessant soll es dann seyn ihren Worten zu lauschen.

Wir brachen an dem Morgen, um Mendoza recht früh zu erreichen, wohl zwei Stunden vor der Tagesdämmerung auf. Es war noch stockfinster und der Weg ließ sich nur schwach und unbestimmt zwischen den hier ziemlich niederen Büschen erkennen, der Postillon aber, ein Peon aus der Ansiedlung selbst, der doch Weg und Steg hier eigentlich kennen mußte, ritt voran, und sollte die Tiere im richtigen Gleise halten. Eine halbe Stunde mochte das so gut gegangen sein, plötzlich aber sah ich, wie wir nach dem Wolkenzug, den ich in Ermangelung einer besseren Beschäftigung bis dahin beobachtet, eine ganz andere Richtung nahmen und nach Norden hinauf hielten. Gleich darauf erklärte der Postillon, er habe die Straße verloren, und als wir diese endlich, rechts einbiegend, wieder fanden, nahm er ohne weiteres den Rückwechsel an und ritt nach Osten zurück, wo wir hergekommen. Dagegen protestierte ich aber auf das feierlichste, denn mich verlangte nach Mendoza und in die Cordilleren, nicht wieder in die kaum verlassene Sandwüste; die beiden Leute wollten mir aber erst nicht glauben, daß sie verkehrte Richtung hätten, bis ich abstieg, Feuer machte und ihnen nun mit dem Compaß bewies, wir hielten die Köpfe unserer Pferde gerade wieder gen Osten. Wir wandten um und folgten von da an aufmerksamer der schwachen, und kaum erkennbaren Spur, bis die aufsteigende Sonne nicht allein bewies daß ich recht gehabt, sondern auch unsern Pfad erhellte.

Die blauen Berge der Cordilleren, wenigstens das was ich dafür hielt, waren jetzt, da das hohe Buschwerk die Aussicht nicht mehr hemmte, deutlich sichtbar, und darüber, hoch, hoch darüber hing ein wunderlicher, schlangenartiger Wolkenstreifen, wie ich ihn noch nie vorher gesehen. Zuerst gab ich mir Mühe herauszubekommen, was das eigentlich seyn könne; die Berge nahmen aber meine Aufmerksamkeit viel zu sehr in Anspruch mich heute nach den Wolken umzusehen, und es wunderte mich nur daß man, doch so nah gekommen wie wir uns eigentlich befanden, doch noch keinen Schnee auf den gewiß damit bedeckten Gebirgen erkennen konnte.

Von dem Ort aus wo wir geschlafen, hatten wir die ersten zehn Leguas noch immer dürres sandiges Land, mit nichts als den ewigen Dornen, Myrthen und anderen niederen Büschen bewachsen, bald zeigten aber hohe Reihen von Pappelbäumen, die aus der Ferne aus dem Flachlande emporragten, die Nähe von besiedelten Plätzen an, und wir erreichten jetzt eine förmliche Reihe von Plantagen, in denen Fruchtgärten, Felder, Wiesen und Weinpflanzungen auf das freundlichste abwechselten. Schaaren von wilden Papagayen strichen hier kreischend von einem Feld ins andere, ganze Völker von Turteltauben saßen girrend in Feigen- und Pfirsichbäumen, und wohlgenährtes Vieh bestätigte überall den Segen geregelten Fleißes.

Hier machten wir wieder Station und ritten dann, eine Art Allee oder breite Straße entlang, die zwischen den verschiedenen Ansiedlungen hinführte, einem kleinen Hügel zu, von dem aus sich das niedere Land vor uns öffnen mußte. Wir hatten prächtige muntere Thiere und sprengten rasch den ebenen Weg dahin – jetzt erreichten wir den ersten freien Platz, weit vor uns lag eine mit Wohnungen und Plantagen bedeckte Ebene, und dort drüben – ich griff meinem Pferde fast erschrocken in die Zügel, denn dort drüben – heiliger Gott, war denn das Wirklichkeit, oder baute sich die erregte Phantasie Zaubergebilden in das blaue Aethermeer hinein? – Das Pferd schäumte unter dem fest angezogenen Zaume, aber ich konnte den Blick nicht abwenden von dem fernen Horizont, während das Auge noch immer nicht das was es sah fassen und begreifen und deßhalb zu einem festen Ganzen gestalten konnte. Endlich aber schied sich dem staunenden Blick jene riesige Gebirgsmasse ab, von dem darüber ausgespannten Himmel, von den darunter wegziehenden Wolken, und ich schwelgte in dem Genuß eines Anblicks den ich nie, nie im Leben wieder vergessen werde, und der mich, o wie reich, für alles das entschädigte, was ich bis dahin an Mühseligkeiten und Beschwerden ertragen haben mochte.

Wie aber sollt ich das mit Worten beschreiben können, wo mir im ersten Augenblick das Auge fast den Dienst versagte es zu fassen? – Ich versuche das Unmögliche, und doch will ich's versuchen. Vor mir ausgebreitet lag, so weit der Blick zur Rechten oder zur Linken reichen konnte, die blaue Hügelkette, die ich schon von weitem als die der Cordilleren erkannt hatte – darüber hin aber lag jener wunderliche schlangengleiche Wolkenzug, den ich im Anfang für Nebel gehalten, und schied sich jetzt ab, als Fels und schneebedeckte Schlucht, über der der Nebel in schweren Massen lag. Und drüber? – Herr der Welten, was stiegen da für gigantische Gipfel empor – in der Sonne funkelnd mit ihren eis- und schneegekrönten Häuptern – hoch über die Wolken hinausragend, in andere hinein, und als auch über diese der Blick hinausschweifte, da – da war es, daß ich in staunender Bewunderung das Ungeheure dieser Berge nicht gleich zu fassen vermochte. Noch über den zweiten Wolkensaum reckten sie die gigantischen Kuppen hinaus, und es war fast, als ob der Himmel auf ihren Zackenkronen ruhe. Worte hatte ich nicht, und keine Seele war bei mir der ich das, was ich fühlte, hätte mittheilen können, aber eine Thräne trat mir ins Auge – das Herz war zu übervoll, es mußte einen Ausfluß haben.

Meine Begleiter waren indeß weit vorausgeritten und ich mußte endlich daran denken sie wieder einzuholen, dem Pferd also die Sporen gebend, sprengte ich die leise Anhöhe nieder die sich, jedoch noch immer hie und da durch kleine flache Hügel unterbrochen, gegen Mendoza zu ausdehnte; die Augen konnte ich aber kaum abwenden von dem eisigen Gebirgsgürtel, der dieß ganze Land mit seinen Riesenarmen umspannt hielt, bis ich mich endlich genöthigt sah mehr auf den Pfad zu achten, weil die Straße, die Nähe einer größeren Stadt anzeigend, belebter wurde, und uns zahlreiche Maulthierzüge, so wie einzelne Reiter begegneten, die theils Produkte in die Stadt gebracht, theils in größeren Quantitäten Wein, Mehl, getrocknete Früchte, Orangen, spirituöse Getränke u. s. w. dem inneren Lande zuführten.

Das Land war hier auch stark besiedelt, überall standen kleine freundliche Häuser, einzeln hier, dort zu kleinen Villen zusammengebaut, und man begriff, sah man die weite Fläche die hier in Kultur lag, wie Mendoza die Korn- und Fruchtkammer fast der ganzen argentinischen Republik genannt werden konnte.

Da, wo eine schilfige Fläche, eine Art Sumpf, die Bebauung bis jetzt hinderte, hörten die Plantagen für eine Strecke auf und ich gewann wieder Zeit den Blick jenen herrlichen Bergen zuzuwenden, die mich aber doch mit einer Art Schauder erfüllten, daß ich kleines schwaches Menschenkind es wagen wollte dort hinüberzuwandern, wo der eisige Winter all seine Schrecken zusammengeballt hielt, und oft nur in so furchtbaren Stürmen und Wettern entfesselte, daß er alles vernichtete was ihm Trotz zu bieten wagte. Ein eigener Reiz lag aber auch wieder in diesem Gefühle selbstbewußter Kraft, mit dem der schwache Mensch selbst Schweres überwinden kann, und ich hatte bis jetzt nur Gefühl für das Große, Herrliche jener Gebirge – ihre Schrecken lagen mir noch zu fern, um dem Anblick auch nur einen Teil seines Genusses zu rauben.

Und hier nun diese weiten fruchtbaren Flächen in dem warmen sonnigen Tal (denn das Wetter war, obgleich wir uns mitten im Winter befanden, so mild wie bei uns im Mai) und rings umher ein Anblick, der das Herz des Menschen nur mit Bewunderung und frommer Scheu erfüllen konnte, wie gut mußten da die Menschen sein die hier lebten, wie mußte das Schöne und Herrliche was sie täglich vor Augen hatten, ihr Herz läutern und es dem Besseren zuwenden. Compañero, sagte da plötzlich mein alter Begleiter, der jetzt dicht neben mir ritt, und deutete mit dem rechten Arm in die Höhe – »seht einmal dort!«

Ich blickte empor, und wieder griff ich, fast unwillkürlich dem Pferd in die Zügel, aber dießmal nicht aus staunender Bewunderung, sondern aus einem Gefühl des Schreckens und Grausens. Dicht neben der Straße war ein langer starker Pfahl, etwas schräg nach vorn neigend, in die Erde geschlagen, und von der Spitze desselben herab grinste das von langem schwarzem Haar wild umflatterte, bärtige leichenblasse Angesicht eines Menschenhaupts.

»Ein Raubmörder, der eine ganze Familie umgebracht hat,« erzählte mein Alter; »gerade hier an der Stelle war es, wo er und seine Kameraden von dem Sumpf begünstigt, ihre meisten Verbrechen an Reisenden ausübten. Der Gouverneur ließ seinen Kopf hier aufstecken und seitdem hat man nicht mehr viel von Anfällen in der Gegend gehört. Arme, Hände und Beine desselben sind an anderen Orten ebenfalls ausgehangen.«

So lautete der kurze Bericht, und da oben starrte indeß das gräßliche Haupt des Verbrechers still und unverwandt nach den herrlichen, von flüssigem Gold umflutheten Bergen – den Zeugen göttlicher Allmacht hinüber – ein furchtbarer Punkt in diesem sonst so freundlichen Thal.

Mir war dadurch der Genuß um vieles verbittert worden – der Mord tritt uns zu oft entgegen in der ganzen Republik, und jene Massen von Kreuzen die stillen Ankläger vergossenen Blutes die ich täglich auf meiner Bahn gefunden, kamen mir jetzt vor wie die blutigen Spuren einer Schreckenstat, der ich den ganzen Weg gefolgt sey, und deren Ziel ich jetzt erreicht habe.

Doch fort fort mit den finstern Gedanken, wo die Natur in solcher Schönheit uns umlacht; die munteren Pferde trugen uns rasch und fröhlich dem nicht mehr fernen Ziele, der kleinen freundlichen Berg- und Grenzstadt Mendoza entgegen, und als wieder überall geschäftige Villen, mit Weingärten erfüllte Flächen und fruchtbare, von thätigem Fleiß zeugende Felder uns umschlossen, als reges Menschengewühl uns umgab, war auch der Eindruck verwischt, der einen Augenblick den vollen Genuß all des Neuen, Herrlichen was ich erblickte, getrübt hatte.

Nachmittags um 2 Uhr etwa ritten wir in Mendoza's freundliche breite Straßen ein. Die Stadt ist ganz nach der altspanischen Art mit den niederen flachen Häusern erbaut, aber weit reinlicher als Buenos Ayres, und mir schien fast jedes Haus ein Freund zu seyn, denn hinter mir lag jetzt die am La Plata mit solchen Schrecknissen bevölkerte Pampas, hinter mir der lange Ritt und die wilde Horde der blutdürstigen Indianer – ausruhen konnte ich, von all den überstandenen Strapazen und selbst Landsleute waren mir in dem freundlichen kleinen Gebirgsplätzchen versprochen. – Was dann noch vor mir lag – die vom Schnee geschlossenen Cordilleren, die Abgründe dort und die Gefahren der Schneestürme lag zu weit – wenigstens drei, vier Tage, voraus, mir darüber jetzt schon den Kopf zu zerbrechen oder Sorgen zu machen. Das war Zeit, wenn sich einmal eine wirkliche Ursache dafür fand, und hatte mir der alte Herr da oben durch die Pampas geholfen, würde er mich ja auch wohl nicht acht Tage später im Schnee stecken lassen. Also den Kopf oben und der Gefahr in's Auge geschaut und jetzt vor allen Dingen erst einmal im neuen Gefühl wirklicher Sicherheit ausgeruht von dem Ueberstandenen.


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