Friedrich Gerstäcker
Südamerika
Friedrich Gerstäcker

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2. Rio de Janeiro.

Die Stadt selber, – und mit wie Manchem auf der weiten Gottes Welt geht es nicht ebenso – verliert indessen gewaltig, wenn man erst ihre nähere Bekanntschaft macht. Die Straßen sind, mit wenigen Ausnahmen, eng und schmutzig, und die Masse der Sklaven, mit ihren unzähligen farbigen Abstufungen, die dem Auge überall in den Weg tritt, macht einen zu widerlichen Eindruck auf den Europäer, ihn, in dem scharfen Kontrast nicht selbst die herrliche Natur – der man übrigens in den schmalen Straßen auch fast entrückt ist – vergessen zu machen.

Im Hafen von Rio de Janeiro lagen Massen von Fahrzeugen; so stark ich aber auch die schon begonnene Auswanderung nach Californien vermuthet haben mochte, so hatte ich doch nie geglaubt, daß eine solche Anzahl von Schiffen dahin bestimmt seyn könnte, wie sie schon, mit Passagieren, diesen Port berührt hat, und noch, fast jeden Tag, berührt. Besonders viel amerikanische Schiffe lagen im Hafen von Rio, und die Bewohner der Stadt sind so daran gewöhnt, in jedem Fremden einen kalifornischen Candidaten zu finden, daß vorzüglich die Neger ohne Unterschied schon von weitem jedem etwas fremdartig aussehenden Mann ihr »Californier« entgegenrufen – und sie begehen selten einen Irrthum.

Wo wir gingen und standen tönte uns der Ruf: »oho Californier!« nach, und besonderen Spaß machte mir Einer unserer Mitpassagiere, der fest überzeugt war, ganz in die Landestracht – weiße Beinkleider und dunklen Frack gekleidet zu seyn, und dieß Beiwort nur einzig und allein auf seinen, durch das Seewasser etwas mitgenommenen Hut bezog. Er beschloß also sich jedenfalls einen neuen, ächt brasilianischen zu kaufen und verließ uns auch bald darauf in dieser löblichen Absicht. Den Hut kaufte er allerdings, und noch dazu in guter Qualität, – wer beschreibt aber sein Entsetzen, als er kaum um die nächste Ecke schon wieder mit dem fürchterlichen Wort – »oho Californier!« begrüßt wurde. Unser Kamerad hat die Neger, von denen dieser Zuruf besonders ausgeht, für eine »barbarische Nation« erklärt, die ihre Sklavenfesseln im reichsten Maße verdient.

An demselben Tage war ein »Stiergefecht« mit noch einer Menge anderer Anpreisungen und Versprechungen angekündigt, und da ich hörte daß diese Art Vergnügungen hier nach und nach mehr in Verfall käme und überhaupt nicht so oft stattfände, so beschloß ich es jedenfalls zu besuchen. Ein Stiergefecht in Brasilien hatte überhaupt an sich schon eine eigene Anziehungskraft, und in höchst gespannter Erwartung ging ich mit einigen befreundeten Passagieren des Talisman dem angegebenen Orte, wo der Kampf stattfinden sollte, entgegen.

Wir fanden eine ziemlich geräumige Arena, ringsum Logen und vor diesen freie Bänke, alles übrigens von rohem Holze und eben genug mit weißer Wasserfarbe bestrichen, um Beinkleider und Röcke zu beschmutzen. An den sich gegenüberliegenden Stellen der Arena waren große viereckige Pappscheiben mit grob gemalten Figuren aufgestellt, hinter die sich, wie ich später fand, die Stierkämpfer im Fall der Noth retirirten und rings an der Einfassung liefen gleichfalls breite Latten hin, auf welche die verfolgten »Streiter« hinaufspringen konnten. Ein paar ziemlich fade Hanswurste durften auch hier nicht fehlen; der eine war, wie es in Nordamerika gewöhnlich Sitte ist, schwarz gemalt, und führte in den Pausen komische Negertänze aus; der andere schien nur an sich selber den meisten Gefallen zu haben, wenigstens lachte niemand anderes über ihn.

Die Hauptfiguren der Arena waren zwei Personen; ein Spanier der die ganze Anordnung des Schauspiels zu leiten schien, ein bildschöner junger Mann in altspanischer Tracht auf kleinem, feurigem Roß, und neben diesem ein anderer Reiter, der jedoch eher einem preußischen Kürassier aus dem dreißigjährigen Kriege, als einem spanischen Stierkämpfer glich. Er trug einen dreieckigen Hut und langen Pallasch an der Seite, hatte aber eine so fabelhafte Aehnlichkeit mit Napoleon (d. h. dem wirklichen) daß es uns Allen zugleich auffiel.

Dieser war der Hauptgegner des gehetzten Thieres, und erntete auch den meisten Beifall.

Außer den Fußkämpfern, die, wie unsere Bauerjungen in gelbe Hosen und rothe Westen gekleidet gingen, stolzirte noch eine Persönlichkeit in der Arena umher, welche um so mehr die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zog, da sie auf dem Zettel ganz besonders, und noch dazu mit großen Buchstaben angekündigt und der Menge also förmlich versprochen war. In dieser Person kann ich dem Leser aber Niemand Geringeres als el Diabo, den Teufel selber, vorführen, der in seine Lieblingsfarben, gelb und roth, gekleidet, mit langen Hörnern und längerem hintennachschleifendem Schweif die Stiere, ganz herausfordernd zu erwarten schien, sich aber, als später das Zeichen gegeben wurde, bescheidener als man es hätte glauben sollen, auf die Barriere zurückzog, und hier ebenfalls einen »stillen Beobachter« abgab.

Der spanische Ritter gab endlich das Zeichen zum Beginne, – ein Neger öffnete von innen das eine Thor und zog sich blitzesschnell auf seinen Stand zurück. Seine Eile schien übrigens ziemlich unnöthig gewesen zu seyn, denn der erste Bulle der in dem Eingang bald darauf erschien, sah harmlos genug aus, schaute sich zuerst einen Augenblick ganz erstaunt um – denn er hatte wohl kaum erwartet hier so zahlreiche Gesellschaft zu finden – und suchte dann, so rasch ihn seine Füße trugen, das gegenüberliegende Thor.

Damit schien aber dem Publikum keineswegs gedient; wildes Pfeifen und Trommeln begrüßte das arme friedliche Thier von allen Seiten, und ein paar Männer sprangen in die Arena und mit rothen Tüchern darauf zu und suchten es zu reizen und anzufeuern. Im Anfang wollte ihnen das aber nicht gelingen, der Bulle schien fest entschlossen gar nichts übel zu nehmen, und leistete nur einen höchst lobenswerthen passiven Widerstand. Nur erst als Napoleon mit einer Holzlanze auf ihn zusprengte, ihm diese in den Nacken stieß und einen mit flatterndem Papier umhüllten Stachel darin zurückließ, verließ ihn seine gute Laune etwas und er machte einige schwache Angriffe.

Es mag sonst in jeder Hinsicht ein höchst schätzbares Thier gewesen seyn, zur Arena eignete es sich aber nicht, und als ihm endlich zum Abgang das Thor wieder geöffnet wurde, folgte ihm ein solches Zischen und Pfeifen, wie ich es selbst bei der ersten und einzigen Aufführung eines Oettinger'schen Lustspieles in Leipzig nicht gehört hatte – es fehlten ihm nur die faulen Orangen um ihn vollständig zu demüthigen.

Der zweite Bulle »war eine Kuh,« aber ein kleines munteres, keckes Ding, das sich dem ersten, der sich ihm in der Arena zeigte, mit trotzigem Muthe entgegenwarf und, ganz das Gegentheil von seinem stillen Vorgänger, förmlich auf Krakeel auszugehen schien.

Hier muß ich übrigens bemerken, daß der brasilianische Stierkampf keineswegs wie der altspanische, auf Tod und Blutvergießen hinausläuft – den Stieren sind deßhalb auch die Hörner mit großen hölzernen Futteralen und Knöpfen bedeckt, so daß sie weder Roß noch Reiter verwunden können; aus gegenseitiger und nicht mehr als billiger Höflichkeit wird dann aber auch das Thier zum Schluß nicht von dem Matador abgestochen, sondern einfach hinausgejagt, oder, soll das Vergnügen noch größer seyn, eingefangen und hinausgeworfen.

Unsere Kuh hatte indessen schon einige der papierrauschenden Stacheln eingesetzt bekommen, und Napoleon sprengte ihr jetzt entgegen, den Kampf zu vollenden, fand aber hier einen weit gewandteren und schnelleren Gegner als an dem vorigen Kopfhänger, und eine einzige ungeschickte oder ängstliche Bewegung des Pferdes brachte dieses so weit in den Bereich seines gehörnten Feindes, daß es ihm mit dem raschen Seitensprung nicht mehr entgehen konnte. Die Kuh faßte es unter dem Bauch und würde ihm diesen, wären ihre Hörner in ihrem natürlichen Zustand gewesen, aufgeschlitzt haben, so aber fanden die stumpfen Kuppen, in allem Grimm und Kampfesmuth vorwärts gestoßen, einen zu harten Widerstand, und das rechte Horn des armen Thieres brach dicht über dem Kopfe weg, so daß nur der blutende innere Stumpf stehen blieb; mit diesem kämpfte sie aber noch unverdrossen, uneingeschüchtert fort, und bot den stets neu auf sie einstürmenden, doch nie Stand haltenden Angreifern trotzig die blutige Stirn. Es war ein widerlicher Anblick, und ich freute mich als man das arme Thier endlich erlöste, damit es einem anderen, kräftigeren, Bahn machen konnte.

Eine Zwischenpause folgte hier, die wieder mit einigen höchst matten Tänzen des Bemalten ausgefüllt wurde, bis endlich der dritte Stier erschien. Es war dieß ein junger, feuriger, schwarzer Bursche, mit hohem Hocker auf den Schultern und ein paar düster und wild blickenden Augen. Er strafte auch sein muthiges Aussehen keineswegs Lügen, und hielt sich tapfer genug, das ganze Necken und Verfolgen blieb aber doch immer dasselbe und wurde schon langweilig, als einer der Fußkämpfer dem Gefecht eine ganz unerwartete Wendung gab. Er stellte sich nämlich dem Stier mit eben den papierumhüllten Stacheln, wie das früher geschehen war, entgegen, anstatt diese aber dem Thier an den Hals zu werfen, und darin rasch zur Seite zu springen, begegnete er muthig dem Angriff, umfaßte das gegen ihn anstürmende niedergebogene Haupt des Feindes mit den Armen, und suchte es durch sein Gewicht niederzudrücken. Seine Kameraden eilten ihm natürlich gleich zur Hülfe und warfen sich ebenfalls auf den gemeinsamen Feind; dieser aber schleifte trotz allen Widerstandes den kühnen Gegner mit sich bis zur Einfassung der Arena und preßte ihn gegen diese mit aller Kraft seines schweren Körpers. Der Stierkämpfer wußte sich aber geschickt zwischen den Hörnern zu halten, und als nun der erste Anlauf vorüber war, gewannen die vier Kämpfer endlich die Ueberhand, und schleppten den sich machtlos sträubenden Stier, unter dem donnernden Beifallsruf der Menge, hinaus. Der Mann kam allerdings dießmal gut davon – d. h. er hinkte nur etwas und verließ bald darauf den Kampfplatz – wäre hier aber, wie vorher, dem Stier das Horn abgebrochen, so mußte er ihn rettungslos gegen die Bretterwand zerquetschen, es bleibt deßhalb jedenfalls ein etwas riskantes Handwerk.

Die Sonne war jetzt ihrem Untergange nahe und gleich danach bricht in den Tropen die Nacht ein; das Stiergefecht näherte sich also jedenfalls seinem Ende, und noch immer hatte der »Teufel« auch nicht den mindesten Antheil an dem Kampf genommen, sondern sich wirklich den Teufel um das Ganze gekümmert. Das einzige, was ihn vor den übrigen Zuschauern auszeichnete, war seine gelbe und rothe Tracht, und Hörner und Schwanz – die Sinnbilder Sr. höllischen Majestät. Damit war aber das lebendige brasilianische Publikum nicht zufrieden, einen Theil des auf dem Anschlagzettel Verzeichneten hatten sie nun gehabt, und jetzt verlangten sie auch den versprochenen Teufel.

»Oh Diabo – Diabo!« tönte es zuerst von einer, und gleich darauf im wilden stürmischen Chor, von allen Seiten – oh Diabo – Diabo! ohrengellendes Pfeifen, Stampfen, Trommeln und mit den Stöcken gegen die Bänke Schlagen – wildes Geschrei und Getobe – »oh Diabo, oh Diabo!«

Der Spanier sprengte dem Orte zu, wo Diabo noch immer in stiller Beschauung saß, dieser aber erwartete sein Kommen nicht, sondern tauchte lieber, sich unangenehmen Erörterungen zu entziehen, hinter die Bretterwand unter und verschwand. Damit aber war das jetzt einmal gereizte Publikum nicht zufriedengestellt; ob bei der Ankündigung des Teufels auf dem Zettel die Direktion beabsichtigt hatte, diesen eine aktive, oder nur rein passive Stellung einnehmen zu lassen; ferner, welche Ansicht der Teufel selber von der ganzen Sache hatte, blieb sich vollkommen gleich – der Lärm wurde immer toller – der Teufel sollte und mußte vor, und der Spanier sah sich so lange genöthigt, ab- und zuzureiten, bis Diabo endlich unter Gelächter und Pfeifen mißmuthig genug erschien, in die Arena langsam hinunterkletterte und auf den, indessen nur ärger gereizten Stier zuschlenderte.

Dieser gewahrte aber kaum die grellfarbige, abenteuerliche Gestalt, als er seinen anderen Feind ganz vernachlässigte und mit eingelegten Hörnern ohne weitere Warnung, blitzesschnell auf den nicht wenig Erschreckten zusprang. Der arme Teufel mußte jedenfalls eine Ahnung des ihm bevorstehenden Unfalls gehabt haben, er machte auch fast gar keinen Versuch, der drohenden Gefahr zu entgehen – im nächsten Moment hatte ihn der Stier auf die Hörner gefaßt, schleuderte ihn zu Boden, stürmte über ihn hin und wurde nur durch die anderen herbeieilenden Kämpfer daran verhindert, dem gestürzten Fürsten der Finsterniß weiteren Schaden zuzufügen. Der unglückliche Teufel ließ aber seinerseits Schwanz und Hörner hängen und schlich unter dem donnernden Hohn und Jubelruf der Menge, hinkend, und sich nur noch manchmal scheu nach dem wilden Gegner umschauend, zu seinem sicheren Sitz hinter der Barriere zurück.

Es war indessen ziemlich dunkel geworden, immer aber verlangte das aufgeregte Publikum nach längerem Kampf und neuen Anstrengungen des schon ermatteten Thieres, bis sich dieses endlich auf das entschiedenste weigerte, auch nur das mindeste weiter zum Vergnügen der nicht zufrieden zu stellenden Menge beizutragen. Es warf sich brüllend auf die Erde nieder, und als wir, der Quälerei satt, die Arena verließen, zerrten noch im Dunkeln fünf oder sechs Menschen an dem armen gequälten Geschöpf herum und suchten es vergebens wieder aufzustacheln.

Das war ein Sonntagsvergnügen der Brasilianer, an dem auch zahlreiche Damen Theil nahmen.

Am nächsten Abend besuchte ich das, dem heiligen Januarius geweihte Theater; das große und Haupttheater der Stadt steht gegenwärtig unbenutzt, dieß aber ist ein kleines, gemüthliches Gebäude mit zwei Rängen, und in der Mitte die dicht verhangene, kaiserliche Loge. Die Einrichtung ist übrigens ganz nach europäischer Art, nur daß in den Logen, schon des Klimas wegen, Rohrsessel stehen.

Eine Eigenthümlichkeit hat aber dieß brasilianische Theater, die einige von unseren Passagieren selber ein kleines Intermezzo spielen ließ.

Ich besuchte es mit drei Mitpassagieren des Talisman, zwei jungen Kaufleuten aus Bremen und einem unvermeidlichen Weinreisenden; als wir aber das Parterre betraten, richteten sich Aller Blicke nach uns, und ich fing mich schon an von oben bis unten zu betrachten, ob ich vielleicht irgend etwas Auffallendes, Ungewöhnliches an mir trage, das die Aufmerksamkeit des ganzen Publikums so plötzlich angezogen hätte. Ich konnte aber nichts Derartiges an mir, noch an meinen Begleitern entdecken, ebensowenig in der Nachbarschaft, denn wir alle Viere sahen uns gleichzeitig danach um, und setzten uns endlich ruhig auf die nächsten Bänke, in der Hoffnung nieder, das Publikum bald mit einem anderen Gegenstand als unseren werthen Personen beschäftigt zu sehen, als plötzlich ein ehrwürdig dreinschauender Logenschließer zu uns trat und sich – o wie freundlich die uns umgebenden Gesichter alle lächelten – an meine drei Begleiter wandte, denen er, da sie seine portugiesische Anrede ungemein passiv hinnahmen, durch Zeichen und mehrmaliges Antupfen kund that, daß sie mit ihren hellen Röcken hier wohl erschienen seyen, aber durchaus nicht bleiben könnten. Ich schaute mich jetzt um und sah wirklich, daß alle Männer ohne Ausnahme dunkle Ueberkleider trugen; die Gesticulationen des Alten wurden aber immer ungeduldiger und deutlicher, das Publikum in den Rängen freute sich ungemein, und die drei armen Teufel – ich selber trug ganz zufällig einen dunklen Rock – mußten, mit dem Weinreisenden an der Spitze – das Orchester spielte indessen immer fort – das Haus wieder verlassen.

Es wurden einzelne Akte aus Tragödien und Lustspielen gegeben; zwei davon hielt ich aus, aber es war nichts als Dialog, bei dem sich das Publikum ebenfalls zu langweilen schien. Alle Augenblick meldete der Bediente einen Fremden oder brachte einen Brief, der dann, regelmäßig vier Seiten haltend, laut vorgelesen wurde. Applaudiren hörte ich nur einem der Schauspieler, der sehr beliebt schien, und den sie dreimal hintereinander empfingen.

Am nächsten Morgen beschloß ich eine kleine Landpartie zu machen und ritt mit einigen Freunden zusammen hinaus ins Freie.

Die brasilianischen Pferde sind kleine, muntere, ausdauernde Thiere und gehen meistens, was ich wenigstens daran sah, Paß oder Galopp. Die auf dem Land wohnenden Pflanzer und Kaufleute aber, die Morgens in die Stadt kommen und Abends wieder hinausreiten, gebrauchen auch nicht selten Maulthiere – ebenfalls eine kleinere Race als ich sie in Nordamerika gefunden habe – und erreichen mit diesen ihr Ziel wohl nicht ganz so rasch, aber doch jedenfalls weit bequemer und sicherer. Die Umgegend von Rio ist wirklich paradiesisch – die stille Bai mit ihren zahlreichen Masten und lebendig hin- und wiederschießenden Booten – die niedlichen Gärten mit ihren Orangen, Bananen und Palmen, Kaffeebäumen und Blumenbüschen, die hohen pittoresken Berge und Felskuppen, die weit übereinander herüber schauen – die eigenthümliche Tracht und Farbe der Eingeborenen und Sklaven, die zu Markt ziehenden Neger, die Viehtreiber und Verkäufer, das Alles macht mit seinen wechselnden phantastischen Gestalten auf den Fremden einen eigenthümlichen, wohl kaum zu vergessenden Eindruck. Der Unterschied mit der Heimath ist zu auffallend; man fühlt, daß man in einem fremden, tropischen Lande ist, und jeder Schritt, jede Biegung der Straße, jede uns begegnende Persönlichkeit bringt dem mehr und mehr erregten Geiste, dem gierig umherschweifenden Auge Neues, Interessantes.

Leider konnte ich aber nicht lange in diesem schönen Lande verweilen, denn ein neuer, erst in den letzten Tagen an Bord flüchtig gefaßter Plan war mir so lieb geworden, daß ich beschloß, es koste was es wolle, ihn durchzuführen.

An Bord des Talisman war nämlich ein junger Italiener, von englischen Eltern geboren, der, mehr aus Prahlerei wahrscheinlich, als einer ernsten Absicht wegen, eine Wette gemacht hatte (und zwar mit eins gegen zwanzig), daß er die Landreise durch Südamerika durchführen wolle. Mir selber war die Landreise schon bis dahin fortwährend im Kopf herumgegangen, – das damalige Reichsministerium hatte mir einen Zuschuß unter dem Vorbehalt bewilligt, daß ich bestimmte Länder, zu denen die La Platastaaten gehörten, dafür besuchen wolle, und wenn ich auch die feste Absicht hatte, diese jedenfalls auf dem Rückweg, um das Cap der guten Hoffnung heimkehrend, zu bereisen, so lag dazwischen doch noch ein langer Zeitraum und außerdem die ganze Welt, und ich beschloß endlich, mich in Rio de Janeiro wenigstens genau nach einer solchen Landreise zu erkundigen und dann, vernünftiger Weise, meinen Plan danach zu fassen.

In Rio erhielten wir aber zu unserem Erstaunen so mißliche Nachrichten über die argentinische Republik, durch die hier mein Weg, querüber durch die Pampas lag, es wurden uns solche entsetzliche Geschichten von den jetzt empörten Indianern und nachher dem Schnee der Cordilleren, die wir gerade hätten mitten im Winter passiren müssen, erzählt, daß mein Begleiter die Sache in Verzweiflung aufgab und seinen Dollar Wette bezahlte. War ich aber vorher noch unentschlossen gewesen, so schien es, als ob mich diese, sonst keineswegs ermuthigenden Nachrichten erst hartnäckig gemacht hätten. Schon in Nordamerika hatte ich erfahren wie oft solche Berichte weit entfernter Strecken übertrieben seyen und Manches in der Nähe eine ganz natürliche Färbung bekomme, was uns, weit davon entlegen, in fabelhafter Weise ausgeschmückt wurde. Nicht wenig vertraute ich dabei auf mein gutes Glück, das mir in früherer Zeit schon manchmal durchgeholfen, und das Resultat war, daß ich mit einem kleinen deutschen Schooner der unter argentinischer Flagge zufällig im Hafen lag und nach Buenos Ayres bestimmt war, meine Passage abschloß, und mich schon am 16. Mai auf diesem nach der argentinischen Republik hin, einschiffte. In den La Platastaaten und den weiten Pampas Südamerika's lernte und sah ich mehr, als an Bord eines, von Passagieren dicht gedrängten Schiffes, und was die Gefahren betraf so besaß ich zu vielen Leichtsinn, an die eher zu denken, als sie mir wirklich entgegentraten.

Für alle solche übrigens, welche nach mir Lust haben sollten dieselbe Tour zu unternehmen, möchte ich eine wohlmeinende Warnung hier beifügen, und diese besteht darin, ihre Papiere bei guter Zeit fertig zu machen, damit sie nicht im entscheidenden Augenblick durch irgend eine erbärmliche Kleinigkeit, die ihnen aber förmlich unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg wirft, aufgehalten werden. Nicht allein muß man nämlich seinen Paß von dem Buenos Ayres Consul visirt und ebenfalls von der Polizei die Erlaubniß darauf verzeichnet haben, auf einem anderen Schiffe als mit dem man angekommen, den Hafen wieder verlassen zu dürfen, sondern es ist auch noch eine Erlaubnißkarte nöthig »das Passagiergut von einem Schiff auf das andere schaffen zu dürfen,« und befindet sich zufällig ein »Gewehr« bei diesen Effecten, so fangen Aufenthalt und Kosten an ins Fabelhafte zu gehen, denn das Gewehr muß dann, wenn man nicht andere Mittel und Wege findet dem Rechtsschlendrian zu entgehen, erst ans Ufer geschafft, und – ich glaube mit 40 Procent versteuert, und dann erst wieder an das neugewählte Schiff gebracht werden. Nach zwei Uhr Nachmittags ist aber auch selbst dieß nicht mehr möglich, und der ganze wie der nächstfolgende Tag versäumt, da die Schiffe nur mit der, bis 10 Uhr etwa wehenden Landbrise auslaufen können. Ich meinestheils habe es nur der Freundlichkeit und wirklich aufopfernden Gefälligkeit des Herrn Viceconsuls Heymann in Rio Janeiro zu danken, daß es mir überhaupt möglich wurde allen Anforderungen zu genügen, und mit den nöthigen Papieren von Bord des Talisman und an Bord des San Martin zu kommen; eine geraume Zeit meines kurzen Aufenthalts in Rio ist mir aber durch diese entsetzlichen Weitläufigkeiten wirklich auf das fatalste verbittert worden.

In Rio de Janeiro bekam unser Capitän übrigens noch mit seinen Passagieren, erstlich wegen der Kost und dann unfreundlichen Betragens wegen, Scandal, und außerdem noch sämmtliche Capitäne der dort liegenden deutschen Schiffe auf den Hals, das aber einzig und allein durch eine seiner gewöhnlichen Prahlereien.

Um eine etwas kürzere Reise gemacht zu haben zog er sich zwei Tage von der Ueberfahrt ab, und gab statt 49 Tagen nur 47 an. Dabei hatte er aber die dänische Blokade ganz vergessen, denn statt den 24. mußten wir also den 26. in See gegangen seyn, und in Rio wußte man noch gar nicht anders, als daß an dem Tage die Blokade der Weser und Elbe wieder vollständig in Kraft getreten sey. Capitän Meyer konnte also nicht gut mehr zurück, und log den Leuten nun eine lange Geschichte vor, wie er sich durch die dänischen Kreuzer durchgestohlen, und wie schlau und vortrefflich er es dabei angefangen habe. Damit stieß er aber ganz unerwarteter Weise in ein noch weit schlimmeres Wespennest, denn hierdurch gerieth er in die materiellen Interessen der Capitäne, die in Rio sehnlichst auf Fracht warteten, und nur immer noch durch die schwankenden Nachrichten über die dänische Blokade, ob sie eintreten würde oder nicht, zurückgehalten waren. Verhielt sich aber die Sache so, wie sie Capitän Meyer erzählte, so blieb es ja gar keine Frage mehr – die Weser und Elbe waren blokirt und die Kaufleute von Rio konnten es für jetzt gar nicht riskiren, Ladungen dorthin zu senden.

Natürlich konnte, bei so vielen Passagieren, der genaue Tag unserer Abfahrt aber gar nicht lange geheimgehalten werden; der alte Capitän Valentin bekam es einmal zufällig in einem Gasthaus von einem der Passagiere heraus, und nun ging das Wetter los. Ich selber hatte übrigens zu viel mit meinen eigenen Sachen zu thun mich darum etwa zu kümmern, und hörte nun, daß sie tüchtig zusammengekommen wären.

Der Talisman mußte noch wenigstens eine volle Woche im Hafen bleiben, und da der San Martin augenblicklich segelte, hatte ich die Hoffnung Buenos Ayres zu erreichen ehe mein altes Schiff nur wieder in See ging. Dort konnte ich mich dann einige Wochen aufhalten, und hoffte so immer noch Valparaiso am stillen Meere zu erreichen, ehe der Talisman im Stande war die oft sehr langwierige Reise um Cap Horn zu beenden. Für den Fall aber daß mir irgend etwas passire, oder ich aufgehalten würde, hatte ich vom Cargadeur wie Kapitän des Talisman das feste Versprechen erhalten, daß sie meine Effecten in dem Geschäft von Lampe, Müller und Fehrmann einsetzen wollten, und ich konnte dann später mit einem andern Heydorn'schen Schiffe nach San Francisco nachkommen.


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