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Der Hypnotiseur und Suggestionist.

»Jeder Mensch vermag andere Menschen zu hypnotisieren.« So lautet ein anerkannter Lehrsatz der Wissenschaft von der Hypnose. Dennoch lehrt die Erfahrung, daß es hervorragende und minderwertige Hypnotiseure und Suggestionisten gibt.

Woran liegt das? Sind besondere Eigenschaften erforderlich nicht nur bei dem zu Hypnotisierenden, sondern auch beim Hypnotiseur? Unbedingt. – Wohl kann ein jeder die Technik der Hypnose erlernen, auch wohl die Art, in geschickter Weise Suggestionen zu erteilen, aber neben der technischen Sicherheit kommen doch noch andere Momente in Betracht, die im Temperament, im Charakter und der Individualität des Hypnotiseurs zu suchen sind.

Der Wille des Hypnotiseurs soll den Willen des zu Hypnotisierenden bezwingen, er soll also stark genug sein, um den bewußten oder unbewußten Widerstand zu besiegen.

Weiter ist zu berücksichtigen, daß die Suggestion nicht nur darin besteht, dem Geiste einer Person die Idee einer zu produzierenden Erscheinung zu übermitteln, sondern die Idee soll auch stark sein. Das jedoch, was der Idee Stärke verleiht, ist die Art, wie dieselbe suggeriert wird, der Ton der Stimme, die Autorität der Person, die Energie der Behauptung, die Anpassung an den Ideengang des Schläfers usw. Auch das geschlechtliche Moment spielt eine Rolle. Binst weist mit Recht darauf hin, daß der Hypnotisierte wie ein begeisterter Liebhaber zu betrachten sei, für den es nichts auf der Welt gibt als – den geliebten Hypnotiseur. Daraus ergibt sich, daß die entgegengesetzten Geschlechter am besten aufeinander wirken müssen. Der Hypnotiseur soll dem Hypnotisierten sympathisch sein. Danach hat der Erstere sein Verhalten einzurichten. Niemals darf er sich vor dem Hypnotisierten »gehen lassen«, nie vor ihm »schwach« erscheinen. Daß das Temperament des zu Beeinflussenden (Empfangenden) für die Empfänglichkeit und Aufnahmefähigkeit von hoher Bedeutung sein muß, ist klar. Sehen wir doch im gewöhnlichen Leben, wie verschiedenartig sich die verschiedenen Individuen Eingebungen gegenüber verhalten. Der eine ist leicht überzeugt und gewonnen, der andere erst nach langem Zögern oder entschiedenem Widerspruch, mancher überhaupt nicht.

Aber auch das Temperament des Hypnotiseurs bezw. Suggestionisten übt einen bedeutenden Einfluß.

Die alten Unterscheidungen lauteten: cholerisch, melancholisch, phlegmatisch und sanguinisch; Kant unterschied leicht- und schwerblütig, warm- und kaltblütig. Noch vollkommener ist die Unterscheidung von Wundt, der darauf hinweist, daß der Choleriker und Melancholiker zu starken, der Sanguiniker und Phlegmatiker zu schwachen Affekten hinneigt. Umgekehrt, daß Choleriker und Sanguiniker zu raschem Wechsel, Melancholiker und Phlegmatiker zu langsamem veranlagt sind. Eine gute Uebersicht gibt diese Zusammenstellung:

 

  Starke Starke
Schnelle: Cholerisch Sanguinisch
Langsame: Melancholisch Phlegmatisch

 

Die starken Temperamente neigen zu Unluststimmungen, die schwachen zum Vorwiegen der Lustgefühle. Die beiden raschen Temperamente leben vorwiegend in der Gegenwart, denn ihre Beweglichkeit läßt jede neue Vorstellung sie sofort annehmen, die beiden langsamen Temperamente leben vorwiegend in der Zukunft oder Vergangenheit, da sie ihren Gedanken und dem Strom ihrer Gefühle sich ausdauernder und unbeeinflußter hingeben.

Am besten befähigt zum Austeilen von Eingebungen jeder Art ist der Choleriker, er versteht, mit starken Affekten ungezwungen zu arbeiten, sein lebhafter Gedankengang ist begleitet und mannigfach durchsetzt von einem ebenso rasch strömenden Gefühlsablauf, sein sprachlicher Ausdruck für die beiden Erscheinungen seines Vorstellungslebens ist knapp und meist in der eindringlichen Präsensform gehalten. Der Nachteil dieses Temperaments, der beim Austeilen von Eingebungen weniger, bei der damit verbundenen Eigenschaft des Operateurs jedoch mehr ins Gewicht fällt, ist seine, durch den rascheren und intensiveren Vorstellungsablauf gegenüber allen anderen Temperamenten leicht zu beobachtende Ungeduld.

Auch der reine Melancholiker ist psychologisch zum Erteilen von Eingebungen sehr befähigt, allein in der Praxis wird diese Befähigung durch die einseitige Richtung seines Vorstellungsverlaufes meist unbrauchbar. Sein intensiver Vorstellungsverlauf prägt sich so lebhaft in seinen Mienen aus, daß von seiner Eingebung die beruhigenden, tröstlichen (wohl darum, weil er selbst nicht daran glaubt) Eingebungen meist nicht, aber die entgegengesetzten wegen ihrer instinktiven Verstärkung durch ein eingelebtes Mienenspiel meist sofort angenommen werden. Auch der reine Sanguiniker ist nicht besonders für das Erteilen von Eingebungen beanlagt. Sein Vorstellungsverlauf ist bei geringer Stärke der Einzelglieder so rapid, daß ihm die Aufmerksamkeit ziemlich schwer wird, welche zum Erteilen nachhaltiger Eingebungen nötig wird.

siehe Bildunterschrift

Abbildung 4.
Gerlings Methode (Fixation und Suggestion).

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß ein bei aller Lebhaftigkeit doch geduldiger, mit reicher Erfindungs- und starker Kombinationsgabe ausgestatteter Mensch auch der erfolgreichste Suggestionist sein wird, wie der mit starkem Willen Begabte stets ein geschickter Hypnotiseur sein muß. Der Hypnotist E. Kampmann in Frankfurt a. M. hat eine Suggestionsmethode kombiniert, die sich bei den verschiedensten nervösen Störungen bestens bewährte. Es erfolgt keine Einschläferung, sondern der Patient empfängt eine einfache, sehr leicht ausführliche Anleitung zur Bekämpfung schädlicher Gegensuggestionen. Hier wird also der starke Wille des Hypnotiseurs nicht nur übertragen, sondern er wird sogar bis zu einem gewissen Grade Eigentum des Kranken. Ich habe mich von der überraschenden Wirkung dieser eigenartigen Methode persönlich überzeugt und regte den strebsamen Praktiker dazu an, diese seine Neuerung in einer besonderen Arbeit zu veröffentlichen. Der Verfasser.


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