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7. Kapitel. Der Lendemain

»Kinder, erzählt mir bloß, wie sich Lotte, unsere Range, vor und auf ihrer Hochzeit benommen hat? Als alles kann ich sie mir nun vorstellen, bloß nicht als Braut in züchtig keuscher Anmut!« – meinte Alfred lachend. Er sah seine Schwester antwortheischend an. – Sowohl für diesen besonders geliebten Vetter, wie für Fräulein Bach war es ein großer Schmerz gewesen, daß er an ihrem höchsten Tage nicht teilnehmen konnte! Jedoch der Mensch denkt, und Gott lenkt! Eine unaufschiebbare Reise entfernte den jungen Arzt von Berlin. Er kämpfte stark gegen seine vorherrschende Unlust. Er berief sich mit mühsam aufrecht gehaltenem Mannesstolze auf das ethische Bewußtsein der Pflicht. – Im Urinnern gab er Base Lotte jedoch völlig recht. Sie schimpfte nämlich wie ein Rohrspatz und behauptete kühn, daß sie schon lange wüßte, wie berechtigt der Ausruf »Verflixte Pflicht und Schuldigkeit« wäre! – Daß sie – Lotte – ohne seine Beihilfe Hochzeit feiern müsse, schiene ihr undenkbar. Besonders toll wäre es, daß er ihr Hochzeitsmahl versäume! Das wäre ideal in der Zusammenstellung! Und die Weine, die Süßigkeiten – – – – ach! Lotte genoß das Diner stets schon im voraus, wenn sie mit glänzenden Augen davon sprach! Sie bat und bettelte. – Aber – – – der Doktor Alfred war trotzdem nicht dabei gewesen!

Jetzt saß er auf einem Stuhl neben Großmutter. Mutter und Schwester. Alle drei sollten ihm das Fest beschreiben. Jeder hatte es auf seine Weise gesehen und genossen. Daher lauteten gleich die ersten Antworten etwas frappierend. »Die Lotte war totenbleich und entsetzlich erregt. Nach der standesamtlichen Trauung war sie kaum im stande, zu sprechen. In der Kirche weinte sie entsetzlich. Ich hatte den Eindruck, als wäre sie in einer Hypnose!« – sagte die gute Tante von Lotte Bach, die alte Frau Rat. – – »Aber, Großma, was sprichst Du! – rief Else – Lotte war die ausgelassenste Braut, die es wohl giebt! Was hat die bloß angestellt! Beim Diner hat sie so viel gegessen, daß Tante Mieze außer sich war. Alle Tischlieder hat sie schallend mitgesungen und sich über die Aufführungen und Carmina halbtot gelacht!« – – »Das kam erst viel später! Ich sage Euch, sie war so gerührt (die liebe alte Dame sprach dies in echt ostpreußischem Tonfall) wie Ihr keine Ahnung von habt!« – beharrte sie bei ihrer Meinung. – – »Nun, und was denkst Du, Mutter?« – fragte Alfred. Diese dachte längere Zeit nach. »Ja, weißt Du, wer Lotte nicht genau kennt, wie ich, der kann sie überhaupt nicht beurteilen! Sowohl Großma wie Else haben richtig gesehen. Um ihre innere Erregung nicht zu offenbaren, geriet sie wieder in ihre übermütige Stimmung. Sie tollte und lachte; aber ihre Hände waren eiskalt. Ich merkte ihr an, wie entsetzlich zuwider ihr das ganze Treiben war. Sie gestand es mir sogar zu. ›Es ist ein heller Wahnsinn – sagte sie – mit diesen ernsten heiligen Gefühlen in die Öffentlichkeit als Schauobjekt zu gehen. In die stillste Stille sollte man flüchten. Aber wenn man sich vorstellt, daß ich mich hier als zu Mus gerührte Äppelfrau aufspiele, irrt man! Nu, jrade nich!‹ So spielte sie denn Komödie!« – – »Ich kenne ja Lottes Ansichten und teile sie ganz – erklärte Alfred – Und dann weiß ich auch, was sie empfunden, trotzdem sie tollte und tobte!«

»Sie war sehr geriehrt und blaß wie ein Leinentuch!« – behauptete Großmama. – – »Na ja, weil sie ja halbtot und abgehetzt war von der ganzen Zeit vorher! – gab Else zu – Sie war einfach müde und wurde nach dem vielen Wein wieder frisch!« – – »Wie war denn Willi?« – – »Sehr ernst und ruhig viel mehr ergriffen als Lotte. Und verliebt wie am ersten Verlobungstage. Mindestens zehnmal hat er mich gefragt, ob sein Frauchen nicht entzückend wie ein Rosenknöspchen oder wie ein Borsdorfer Äpfelchen aussähe?« – – »Na, wie war es denn, stand ihr das Brautkleid?« – – »Na aber! Wirklich zum Anknabbern war sie!« – Darin schienen alle Drei sich einig. – Alfred rauchte nachdenklich. »War sie auch sehr zärtlich?« – – Seine Mutter lachte hellauf. Auch die andern Damen stimmten bei. »Lotte und zärtlich! Ich habe so etwas überhaupt noch nicht gesehen. Außer bei der Trauung und beim Diner und während der Aufführungen am Polterabend, wo sie dazu gezwungen war, blieb sie nicht eine Sekunde in seiner Nähe. Immer saß sie in der entferntesten Ecke und floh, wenn er sich nur näherte. Oder sie behandelte ihn erbärmlich!« – – »Dabei flüsterte sie mir wohl viermal zu, von allen anwesenden Herren sei ihr Willi doch wieder der Schönste und Beste. Ich sollte ihr ganz objektiv meine Meinung darüber sagen!« – sagte Else. – – »Am niedlichsten war es – fiel Frau Luni der Tochter ins Wort – als der Vetter vom Amtsgerichtsrat, der Hauptmann Neuwald, sie nach der Trauung beglückwünschte und sie mit: ›meine gnädigste Frau‹ anredete. Erst wurde sie blaß, dann dunkelrot und sagte erschreckt: ›Ach Quatsch!‹ Ist das nicht gelungen?« – – »Jedesmal, wenn man sie ›Frau Doktor‹ nannte, schüttelte sie sich vor Lachen!« – – »Das war alles nur Theater, sie war sehr geriehrt!« – versicherte Frau Rat Lehmann von neuem.

»Wie waren die Aufführungen?« – fragte der Enkel ablenkend. – »Reizend! Nur hatte Ernst Georgy einem natürlich alle Streiche und alle Pointen fortgenommen! Aber die ›Lebenden Bilder‹ von Neuwalds Jungens, den goldigen kleinen Bachs: Käte, Ilse und Anne-Marie, sowie Lottes Paten und Freundinnenbabies dar gestellt, waren entzückend. – Alice Hutten, jetzige Alice Greif, zeigte sich wieder bei dem reizenden Theaterstück in höchstem Glanze. An der ist eine Soubrette verloren gegangen!« – – »Das kann ich mir denken. Sagt 'mal, hockte Lotte wieder soviel bei ihren Freundinnen und tuschelte?« – – »Ja, sie hatte fortwährende Geheimnisse mit ihnen. Darin war sie unverändert! Und getanzt hat sie wie noch nie, trotzdem sie doch sonst die Dreherei nicht mag!« – – Alle dachten nach: »Weißt Du was, Alfred, Du könntest eigentlich zu Tante Marie hinüber gehen und fragen, wie ihr das Fest bekommen ist? Sie wird schon längst auf sein. Vielleicht hilfst Du ihr über die erste Bangigkeit fort!« – schlug die Mutter vor. Der Sohn war sehr einverstanden. Er erhob sich und nahm von den Seinen Abschied.

Dann eilte er zu der sehr geliebten Tante, mit der er auf ausnahmsweise innigem Fuße stand. Wie denn überhaupt das Verhältnis dieser beiden Familien ein ganz besonders verwandtschaftliches war. – Lottes »dicke Wonne« empfing den Neffen freudestrahlend. Sie machte schon alle Qualen der Sehnsucht durch und war selig, ihr Trennungsweh mit ihm teilen zu dürfen. Trotz aller Ermüdung und Abspannung der letzten Zeit kam sie ihm mit ihrer energischen, fröhlichen Frische entgegen. »Na, Junge, Gottlob, wieder ein menschliches Gesicht! Ich komme mir wie auf einer wüsten Insel vor. Diese Stille, diese unheimliche Ruhe! Grauenvoll, das halte ich auch nicht aus! – – – – – Als wir noch mitten in dem Trubel waren, habe ich mir frivoler Weise stets gewünscht, daß bloß die Hochzeit erst vorüber wäre! Und jetzt, brr! Überall fällt mir die Öde auf die Nerven, und das Mädel fehlt mir an allen Ecken und Enden! Zu verrückt diese Heiraterei! Da kommen stockfremde Menschen daher und stehlen einem die Töchter fort, die man mit so unendlicher Liebe aufgezogen hat! Und gerade im schönsten Alter, wo man etwas von ihnen haben könnte, wo man erst die Früchte seiner Mühen genießt! Nicht allein das! Die undankbaren Geschöpfe gehen sogar gern! Trotz Lottes Rührung und Thränen beim Abschiede, war sie ja garnicht mehr bei mir! Sie wußte überhaupt nicht mehr, was mit ihr vorging. Sie, die doch sonst ein so klares, vernünftiges Geschöpf war!« – klagte die liebe Vereinsamte erregt. Der Neffe umschlang sie tröstend. »Ja, alte Mieze, das ist nun einmal der Weltenlauf! Du hast es nicht anders gemacht, und Lottes Töchter werden es ebenso machen. Die Liebe ist, wie ein bayerisches Volkswort richtig sagt, ein ›Schindluder, wen's packt, den hat's!‹«

»Na, und es hatte meine Range ganz tüchtig! – konstatierte die Geheimrätin – Am Tage heuchelte sie immer Gleichmut und Fröhlichkeit; aber nachts hörte ich sie in ihrem Zimmer umhergehen oder in ihre Kissen schluchzen!« – – »Ja, mein Himmel, aber weshalb denn bloß, sie ging doch nicht zur Schlachtbank? Sie heiratete den Mann ihrer Wahl und kam in klare, gute Verhältnisse. Ich hätte ihr diese Sentimentalität nicht zugetraut!« – erklärte der Vetter, welcher sich neben dem Nähtisch, wo der Tante bequemer Sorgenstuhl stand, niedergelassen hatte. – – »Sentimentalität? Oho! – verteidigte die Mutter empört ihr abwesendes Kind – Junge, was hast Du für Begriffe! Ich würde es meiner Tochter sehr verübelt haben, wenn sie einen so ernsten Lebensabschnitt lachend und gedankenlos begonnen hätte! Lotte ist kein junges Kind mehr. Sie ist reif und erfahren genug, um die ganze Tragweite ihres Schrittes zu empfinden. Vor einer Ehe heißt es: abrechnen mit dem Gewesenen und kalkulieren mit dem Kommenden! – Wie man mit guten neuen Sachen in das neue Heim übersiedelt, so muß man auch als neuer Mensch in die Ehe eintreten! – – Meine Lotte bezeichnete es ganz richtig, als sie vor dem Standesamt mit mir unter des entschlafenen Vaters Bild trat: ›Mutter – sagte sie – ich habe innerlich groß Aufräumen abgehalten. Guter Wille ist genug vorhanden. Jetzt muß Gott weiter helfen!‹« – – »Ihr Frauen mit Euren großen Gefühlen! Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Du kennst doch das Sprichwort?« – fragte Alfred skeptisch. – »Du wirst doch erlauben, daß Mutter und Tochter sich aussprechen? Wenn Ihr Männer das nicht braucht oder thut, bon, so ist das Eure Angelegenheit. – Aber alle sind nicht so! Mein Schwiegersohn, der Willi, ist darin anders. Er hat vor der standesamtlichen Trauung mit seiner Mama und mit mir noch ernst gesprochen. Er ist auch ein Idealmensch!« – – »Aha, da höre ich Lotte! Das heißt, Du warst mindestens ebenso verliebt in ihn wie sie! Gezeigt hast Du es ihm sogar mehr als sie!« – –

Eine Pause trat ein. Die Geheimrätin blickte vor sich hin. »Ja, sie ist ein komischer Mensch – meine Lotte! In der letzten Zeit war sie wieder so widerspenstig und abstoßend zu ihm, wie nur möglich. Ich bewunderte seine Engelsgeduld und sein feines Verständnis für ihren Charakter. Als ich ihn einst trösten wollte, wies er mich lachend zurück: ›Laß nur, Mutterchen, ich kenne sie ja! Gerade jetzt steht ihr Empfinden für mich auf einem Höhepunkt. Und um mir den nicht zu offenbaren, zeigt sie das Gegenteil. Ich werde meine Widerspenstige schon zähmen!‹« – – Alfred lachte: »Glaubst Du wirklich, daß er Lotte ändert?« – – »Ich hoffe es bestimmt. Leider hatte ich keine Macht über sie, sonst hätte ich ihr längst ihre Derbheit und die burschikosen Ausdrücke abgewöhnt. Wer sie nicht kannte, konnte sie leicht genug empfindlichst verkennen. Für ein Mädchen aus unseren Kreisen und von ihrer Bildungsstufe ließ sie sich zu sehr gehen!« – – »Ihr stand, was keine andere wagen durfte!« – – »Das ist richtig! Denn bei ihr fügte sich ein Zug zum andern und schuf ihre originelle Eigenart!« – – »Darum wird sie sich auch nicht ändern, sondern er wird es thun müssen!« – – »Oh nein, sie haßt weiche Männer und freute sich oft, daß ihr Wille an dem seinen abprallte. Und dann ist sie vernünftig, sobald es sich um ernste Dinge handelt!« – – »Gewiß, Tantchen. Dennoch vermute ich, daß es bei Fellers manchmal kleine Ungewitter geben wird!« – – »Schon möglich! Ehen sind keine Paradiese. Es kommt überall mal etwas vor. Die Hauptsache ist, daß zwei Gatten sich lieben und verstehen wie Lotte und Willi. Dann schaden Gewitter nichts, sondern reinigen sogar die Luft! Gott, wird das Kind mir fehlen! – – – – – – Vom frühen Morgen bereits gab das an, sang und lachte und war zärtlich und drollig! Wenn ich sie weckte, jubelte sie: ›Die Sonne geht auf, 'n Morgen, Wonnemieze!‹ Und wenn sie abends zu Bette ging, waren die letzten Worte sicher noch ein paar gute Wünsche in harmlos derben, zärtlichen Worten!« – –

Zwei perlende Thränchen wurden zerquetscht und sorglich abgewischt. Der Neffe streichelte die kleine dicke Hand: »Nanana! – Man keine Wasserfälle, Tante Mieze, Du kriegst sie wieder. Gönne ihr doch die schöne Reise! Im übrigen war sie doch sehr viel unterwegs. Du mußtest sie ja oft monatelang entbehren!« – – »Da kam sie doch wieder zu mir ins Haus; aber jetzt – – – – – müssen wir uns erst besuchen, wenn wir uns sehen wollen!« – – »Paß nur auf, wie schön es Dir bei Fellers schmecken wird, wenn Du Deine Tochter als Hausfrau erblicken wirst!« – tröstete Alfred. Und siehe, das gute Tantengesicht, eben noch zum Herausweinen verzogen, verklärte sich mit einem Schlage. –

»Apropos – Schmecken! – meinte Frau Bach halb lachend, halb weinend – Das hättest Du nur sehen sollen! Ich habe mich vor den Lohndienern im Kaiserhof geschämt! So etwas haben die doch noch nicht erlebt! – – – – Die Lotte in ihrem zarten, duftigen Hochzeitsstaat hat einen Appetit entwickelt! Himmel, als ob sie ausgehungert gewesen wäre! – – – Von vielen Gängen hat sie zweimal genommen. Und beim Eis hat sie derart zugelangt, daß Willi sie fragte, ob sie sich im Magen eine Eisbahn anlegen wollte?« – – »Was hat sie da geantwortet? « – – »Das kannst Du Dir doch denken! Lottes Erwiderung? »Ja – hat sie gesagt – das thäte sie, damit all die Mikroben und Kokken, die sie hinunterschlinge, in ihr, zu Ehren ihrer Hochzeit, Schlittschuh laufen könnten!« – – – Und dann hat sie sich Tüten geben lassen und die Dessertkörbe und Fruchtaufsätze für ihre kleinen Lieblinge geplündert. – – – – – – Am peinlichsten war es mir in der Kirche. Erst dachte ich, sie würde ohnmächtig werden – – während der Predigt. Dann hauchte sie das ›Ja‹ ganz unverständlich und wiederholte es danach mit einer so freudigen Vehemenz, daß der Pastor und alle sie überrascht ansahen. Bei der Gratulation in der Sakristei beschäftigte sie sich beinah nur mit den Kindern und lachte oder wurde rot, wenn man sie ›Frau Doktor‹ anredete.«

»Ja, das haben sie mir drüben schon erzählt! Ich kann sie mir so recht dabei vorstellen, als sie dem Hauptmann Neuwald ihr »Quatsch!« entgegenschleuderte und dann erschreckte« – sagte der Arzt. – »Das hat sie auch gethan, die unglaubliche Person? Das wußte ich ja garnicht. Tz tz!« – stöhnte Frau Bach. Ein Klopfen an der Thür wurde hörbar. Auf das Hereinrufen erschien Agnes, der dienstbare Geist des Hauses. Sie trug einen Brief in der Hand und sprach lächelnd: »Ich habe Fräulein Lottels, – ach nee ock – der Frau Doktor ihre Stube aufgeräumt. Und da lag auf dem Schreibtisch, unter der Löschblattmappe, ein Brief für die gnädige Frau von der Fräul – – – – – Frau Doktorn!« –

»Ein Brief? Zeigen Sie her!« – Wie ein Turner, so flink und gewandt, schnellte die alte Dame in die Höhe und packte das Schreiben. Agnes verschwand in ihr Bereich. Alfred entzündete eine Zigarre und zog sich diskret mit der Zeitung in den Salon zurück. – Nach einem Weilchen, als auch das Schluchzen nebenan nachgelassen, schaute er durch die Portiere. »Na, altes Tantchen?« – – »Komm nur her! Du kannst den Brief doch ruhig lesen! Dummer Junge, Du gehörst doch zur Familie!! Sie ist doch nicht zu ändern, immer und immer bleibt sie die Range. Wenn mein Mann das doch erlebt hätte!« – –

Der Arzt entfaltete die Bogen und wollte sich in den Inhalt versenken, da erklang das kurze Kommandowort: »Laut, selbstverständlich!« – So begann er denn noch einmal bei der Überschrift, und zwei begierige Mutterohren horchten auf und sogen jedes Wort mit rührendem Interesse in sich ein.

»›Mein dickes Bestes, mein altes Geliebtes, mein einziges Mutterlein, meine dicke, gute Wonne!‹«

Da liegt das nun nebenan in seiner molligen Baba und schläft den Schlaf der Gerechten. Tiefe, ruhige Atemzüge dringen zu mir her. Ja, ja, das Dicke kann feste pennen, Gottlob! Unsereins findet die Ruhe nicht, sondern wandert schlaflos auf und ab! – Denn morgen ist Feiertag! – Herrlich, daß ich darauf bestanden habe, daß wir einen Polterabend veranstalteten. Schon das Souper bei Etepetetchen, meiner Schwiegermama in Ehren, war mir zuviel! Habe ich denn Willi allein sprechen können? So ein Wahnsinn! Wenn ich Kirchenfürst wäre, dann ordnete ich für Brautpaare eine Klausur an. Jeder drei Stunden für sich zur Selbstreinigung. Und eine Stunde zusammen zur Herzausschüttung. Da plagt man uns, am Abend vor der Hochzeit mit Festessen und Gesellschaft. Und bestmeinend mit lustigen Tollheiten! Das war nix für Lotte Bach! Basta!

Mein Willi dort! – – Ich hier! – – So ein Unsinn! – – – – – – – Weißte, Mieze, für Phrasen bin ich nicht! Da kennst mich ja nun schon einige Zeit! Und lieb haste mich auch! Und was Du mir bist? Herrjeh!

Mutter, ich liebe Dich, und ich danke Dir für alles! alles! – – – So ist es genug! Nich' Du? – Morgen ist Feiertag! – Die Hausfrauen machen, wie wir in meinem schönen Berlin so schön und bezeichnend sagen, dazu ›groß reine‹. Ich habe auch 'mal meine Wohnung umgekrempelt. Donnerschock, was gab es da zu scheuern! So etwas von Schlacken! Solch ein Staub! Na, alte Dame, ich gebe Dir die tröstende Versicherung, daß ich ihn erkannte. Gerubbelt und geschrubbt habe ich und ehrlich bereut! Schrumm! Nun ists sauber! – So! – Leider kann man geschehene Dinge nicht ändern! – Himmel, was mußt Du mit mir ausgestanden haben! Abgesehen von den jugendlichen, unbewußten Windelsünden und Kinderkrankheiten! Dafür konnte ich nicht und verstehe Deine himmlische Geduld! – Nun aber die bewußten Sünden und Streiche! – Brr! Arme Lehrer! So ein Schulrowdy etc.! – Warum hast Du Engel mich nicht mehr versohlt? – Meine Tochter dürfte mir mit solchen Zeugnissen im Betragen nicht kommen! Ich gebe Dir die tröstende Versicherung, daß Deine dermaleinstige Enkeltochter braver sein wird als ich. Sonst? Meine Hand ist lose und kräftig. Na, daß es die Deine nicht war, schadet nichts! Mach Dir nicht etwa Vorwürfe, mein Wonnchen! – Ich habe ja einen Mann gefunden. Und was für einen! Von morgen ab bin ich sein für immer! Heute kann ich nicht umhin: ich muß Dir noch einmal zugestehen, wie grenzenlos glücklich, wie überselig, wie unbeschreiblich dankbar ich dem Geschick bin! Ganz unverdient ist diese Seligkeit! – – Mein, mein, mein Willi! – Daß ich die besten, heißesten Vorsätze gefaßt habe, glaube mir, Marie Bach, genannt dicke Wonne! – Daß ich nur den zehnten Teil von dieser Überfülle halten kann, ist mir ebenso klar. Ich bin nun einmal so ein Scheusal! – – – Na, Liebe und guten Willen bringe ich mit! Und dann hoffe ich vom lieben Gott, daß unsere Ehe eine lange, lange sein wird! – Da bleibt Zeit genug zum Bessern! Wenn ich mich gleich als tadelloser Engel zeige, gäbe es keine Steigerung und mein Mann (komische Bezeichnung für Herrn Doktor Willi Feller) und mein Gatte (meine Feder sträubt bei diesen Worten ihre Zinken) und mein Abgott (so geht es!) soll doch an meiner Seite von Tag zu Tag glücklicher werden! – Bis zur silbernen: glücklich, also Positiv! Bis zur goldenen: Komparativ! Bis zur diamantenen: am glücklichsten, gleich Superlativ! – Nun weißte es!

Ich bin kein Backfisch mehr! Ich habe zuviel in Ehen hineingesehen! Bin zu erfahren. Leider! – Mein dummes Herz malt sich ein Paradies aus; aber mein gewitzigter Kopf – – – – – – – – Darum habe ich eine Unruhe und eine Angst in mir. Zum Ersticken! Am liebsten, wenn es nicht Willi wäre, möchte ich nach Hinterindien fliehen! Ging es Dir auch so, Mama, und geht es andern Bräuten so? Alles bebt in mir! Warum? – Alice war so selig. Grete konnte kaum die Zeit erwarten! Minni in Hamburg schwamm in Wonne. – Ich schwimme ja auch, bin ja auch selig, kann ja auch kaum die Zeit erwarten. – – – – Jedoch! Wenn es doch noch ein Jahr dauerte! Werde ich ihm genügen? Wird er mit mir glücklich? Passe ich zu ihm? – Er ist so schön und so vollendet! Und ich – pah – so 'ne lumpige Berliner Range! – Na, ich werde mir schon Mühe geben! Hab keine Angst, Willi! – – Ich habe sie oder Fieber! Oder ich werde verrückt! Aber ängstige Du Dich nicht etwa, Mieze, ich werde schon wieder klar! – –

So'ne Dummheit! Das kommt bloß davon, weil wir Bräute uns vor unseren Hochzeiten mit Besorgungen, Anprobieren, Besuche machen etc. derart abhetzen, daß wir halbtot zur Trauung kommen! Und dann noch die unglaubliche Festiererei: Tanzen, plaudern, essen, beobachtet werden! Brr! Ich hasse das! Du weißt es, wenn es nach mir gegangen wäre: Trauung, kleines Frühstück, Geschwister, liebste Freundinnen, und dann ins Heim! Basta! Keine Hochzeitsreise! – – – – Na, Ihr wolltet es – – die Welt – – – die Sitte! – – – Sogar Willi! Darum füge ich mich! Bin ich denn allein solch Oppositionsgeist oder so frei, daß ich so ganz unabhängig von der edlen Mitwelt und ihrem Gerede bin? Ich hätte auf sie, pardon, gepfiffen! – – Fast ärgere ich mich, daß ich meinen Willen nicht durchgedrückt habe! Na, ich durfte Euch die Freude nicht verderben. Und schön war es ja heute! Also bon, und rin ins Vergnügen! Willi darf sich nicht wundern, wenn ich halbtot bin oder zusammenklappe! Fast bin ich so weit! Nur meine Energie und meine eiserne Gesundheit werden mir helfen! –

Du, Wonnchen! Altes! Morgen, wenn Du dies findest, rutscht Frau Doktor Feller, zum Totlachen, adieu Lotte Bach, vielleicht schon dem Lande der reizenden Frau Wilhelmina zu. Guten Tag, Frau Königin, mein Mann (zum Schießen) und ich, möchten Ihre fliegenden Holländer und Ihren Käse sehen, ehe wir in das neblige Land der Beefsteake ziehen. Ich nach England! Ich?! Brr! Na, warte, Willi, ich werde Dir Deine Englandschwärmerei schon austreiben. Ich bin eine Deutsche! Und der Burenkrieg? Und so weiter? –

Du wirst es ja hören, geliebte Mutter, was ich von der Reise gewinne. Aus meinen Briefen, Karten und später aus dem Reisetagebuch, das Willi und ich zu führen beschlossen haben! – Vorläufig bin ich wie im Traum. Morgen ist meine – – – meine Hochzeit! Ist das nun ein Traum oder Wahrheit? Ach, Mumpitz! Hoffentlich benehme ich mich würdig, wie es einer Braut zukommt! – – Brr! Das Programm! Allein die Umzieherei hasse ich. Um neun Uhr ins schwarzseidene: Standesamt. Dejeuner, mit Überreichung von Kranz und Schleier. Dasitzen wie ein Ölgötze und sich andichten lassen. Gerührt thun. Huldvolle Küsse verteilen. Wieder umziehen, pfui! – Um vier Uhr: kirchliche Trauung, Hôtelfahrt, Diner, Ball! Brr, immer beguckt, ob man sinngemäß gerührt, beglückt ist? Diese Beobachterei! Gut, daß ich nur einmal heirate, das nächste Mal, wahrhaftig, Mutter, hätte ich gestreikt!

Und doch danke ich Dir, daß Du mir alles in so reicher, schöner Weise giebst! Daß Ihr diesen Tag mit Eurer Liebe so verklärt, Ihr, Du und die geliebten Geschwister, die teuren Verwandten und Freunde! – Dank, Dank! – – – Kneift den Daumen für das Glück Eurer Kinder: Willi und Lotte! Und vergeßt nicht, daß zu unserm Glück Ihr, besonders Du, meine geliebte Mutter, gehört! Auf frohes Wiedersehen, dicke Wonne!

Dein treues Kind, heute noch
Lotte Bach.«


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