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6. Kapitel. Hochzeitsvorbereitungen

Alice Hutten gab es nicht mehr. Aus ihr war eine glückselige junge Frau Doktor Greif geworden. Abwechselnd versicherten sie und ihr junger Gatte schriftlich und mündlich, wieviel tausendmal schöner es doch in der Ehe sei, als sie erwartet! Georg erklärte, daß er sein kleines »Nuckelchen« immer für die Verkörperung alles Vortrefflichen angesehen hätte. Trotzdem würde er nie zu wagen geglaubt haben, daß sie ein solches »Engelsbild« sein könnte! – Und das »Engelsbild« seinerseits behauptete kühn, daß »Schnuckelchens« ganze Größe und Vollkommenheit ihr jetzt erst aufgehe! Das war sehr kühn, denn es ging die dunkle Sage, daß Frau Doktor als Fräulein Alicechen bereits in der Anerkennung ihres prächtigen Gatten das Menschenmögliche geleistet hätte! – –

Wie zwei fröhliche, kindliche Reisekameraden waren beide nach einer echt Huttenschen urgemütlichen Hochzeitsfeier ins bayerische Hochland abgedampft. Und von dort waren sprudelnde, begeisterte Schilderungen eingetroffen. Ebenso auf der Höhe des Glückes waren die beiden Leutchen in ihr neues reizendes Heim zurückgekehrt, welches ihnen die treue, sorgsame Mutter inzwischen eingerichtet hatte. Nun begann am eigenen Herd die bei Greifs wirklich herrliche Zeit der Flitterwochen. – Lotte Bach hatte an dem jungen Glück mit treustem Mitempfinden, wie es einer echten Freundin gebührt, teilgenommen. Sie selbst stand jetzt in einer überaus aufgeregten Zeit ihres Lebens, die nicht nur ihren Körper, sondern all ihre Sinne, ihr Fühlen und Denken auf das Äußerste anspannte. – Gerade jetzt fühlte sie den Segen der Freundschaft. Von Frau Grete Seffmann zu Frau Alice Greif eilte sie, um alle Zweifel zu besiegen, um sich auszusprechen. Nur diese beiden kannten den tief erschütterten Seelenzustand der jungen Braut. Vor der Welt war sie die alte, lustige Lotte, die man jetzt allerdings stets beschäftigt fand. – Für Doktor Feller kam wieder eine schwere Zeit. Noch im Harz hatte seine Zukünftige ihn mit all ihrer launigen Neckerei bald stürmisch zärtlich, bald frech und kaltscheinend behandelt. Immer aber hatte er aus dem Tone ihrer Stimme, dem Blick ihrer Augen die heiße Zärtlichkeit durchgefühlt, die sie für ihn hegte. In Thüringen und im Harz! Ja, da war es anders gewesen! Jetzt dagegen? –

Georg Greif und Willi saßen in dessen schmuckem Sprechzimmer rauchend und plaudernd im Abenddämmern beisammen. Aus dem Nebenzimmer, dem Salon, drang gedämpftes Flüstern zu ihnen. Dort saßen Alice und Lotte Hand in Hand auf dem Erker und plauderten, plauderten über unerschöpfliche Themen! – Frau Geheimrat Bach hatte das Brautpaar, trotz seiner Müdigkeit, aus ihren Räumen vertrieben. Eine wichtige Konferenz sollte über die Feierlichkeiten und Aufführungen stattfinden, dabei konnte man die Beiden nicht gebrauchen! Die Heimlichkeit und die vollständige Überraschung mußten gewahrt werden. – Feller schob seine Zigarre von dem rechten in den linken Mundwinkel. Er lehnte in dem bequemen Stuhl mit einer Miene, als säße er zum mindesten in der ›Eisernen Jungfrau‹ – Sein Kollege beobachtete ihn ein Weilchen, dann kam er mit der sehr berechtigten Frage: »Sagen Sie 'mal, Willi, schmeckt Ihnen das Kraut nicht?« – – Der Angeredete fuhr aus seinem Sinnen auf: »Das Kraut? Ach, Sie meinen die Zigarre?« – Er nahm einige Züge, schnupperte an dem Rauch und sagte: – »Gewiß, die Marke ist gut! Ein wenig schwer; aber das liebe ich gerade! Wieso meinen Sie?« – – »Nun, nehmen Sie es nicht übel; aber Sie kauen daran und wälzen sie im Munde umher, als wäre es eine der echten altmärkischen Giftnudeln.« – – »So, das that ich? Oh, pardon! Nein, die Zigarre ist gut!« – – Von neuem eine Pause – – »Sitzen Sie in dem Lutherstuhle unbequem?« – fragte Greif wieder lächelnd. – »Was? In dem Stuhle? Ich bitte Sie, Kollege, ich habe mir den gleichen bestellt. Eben diese Art Sitzgelegenheit ist mir ja die liebste! Wie kommen Sie denn auf die Idee?« – – »Na, zum Teufel! – brach Georg lachend aus – Dann ist Ihnen just sonst etwas über die Leber gelaufen. So mißgestimmt habe ich Sie noch nicht gesehen! Jedoch, da ich selbst noch vor kurzem in Ihrer Branche mitgearbeitet habe, kann ich Ihnen nachfühlen. Kommen Sie, wir wollen zu den Damen. Die Trennung hat auch schon zu lange gedauert!« – –

Er wollte sich erheben; aber der Andere drückte ihn auf seinen Stuhl zurück: »Nein, nein, lieber Freund, bleiben wir hier!« – – »Potztausend, was ist Ihnen in die Krone gefahren?« – rief Greif jetzt wirklich erstaunt. – – »Ich habe nicht Lust, mich von meiner Braut hinausweisen zu lassen! – Das aber kann ich gewärtigen!« – – antwortete Willi tief verstimmt. – »Nanu, – haben Sie sich gezankt?« – – »Das ist es ja eben, nicht im geringsten!« – – »Was hat sie denn?« – – »Das möchte ich Sie fragen, weiß der Himmel, was? Ich verstehe sie nicht mehr; aber ich kann Ihnen sagen, was Lotte mir in der letzten Zeit zugesetzt hat, das geht, in Worte gefaßt, auf keine Kuhhaut!« – – »Ich bitte Sie, Willi! Da muß doch etwas vorliegen! Warum fragen Sie Lotte nicht ganz gradezu nach der Ursache?« – – Willi lachte bitter: »Das habe ich bereits versucht, sie ist aber garnicht zu fassen. Sie behandelt mich mit der gleichen Herbheit, ja Animosität, wie einst vor unserer Verlobung, noch vor meiner Reise! Und das Mädel kann einen teuflisch, bis aufs Blut quälen!« – – »Ei, Du Donner, ich wollte ihr die Mucken austreiben! – sagte der junge Ehemann bedächtig – Sie binden sich da sonst eigenhändig eine Rute, wenn Sie die Krabbe so verwöhnen. Lieber beizeiten Mores lehren!« – – »Ratschläge sind billig!« – meinte Willi seufzend. Georg lachte: »Allerdings, wenn man vorher eine zu große Lippe riskiert, zahlt man meist nachher die Buße und kommt unter so ein ganz kleines Pantöffelchen. Ich habe mich manchmal energisch aufgerafft; aber noch stets den Kürzeren gezogen! Oh diese Weiber!« – – »Man kennt sie nie aus! Was hat mir meine Braut schon für Rätsel zur Lösung aufgegeben!« – – »Na, Kollege! – tröstete Georg – Die Hauptsache ist und bleibt doch, daß Lotte bis über beide Ohren in Sie verliebt ist. Da läßt sich doch vieles machen! Im übrigen haben Sie die Widerspenstige doch, wie ich hörte, schon einmal durch Energie gezähmt?« – –

Feller rauchte gedankenvoll: »Ja, damals! Wenn ich das heute versuchen würde! Sie ist ja ewig beschäftigt, abgehetzt, nervös! Wann sehe ich sie denn überhaupt noch allein vor lauter Besorgungen?! Heute wieder auf dem Herwege mußte die Droschke dreimal halten, weil sie noch Bestellungen zu machen hatte. Ich glaube, wenn ich jetzt streng werde, dann bricht sie mir zusammen.« – – »Probieren geht über studieren! Ich würde es versuchen!« – ermunterte Georg freundlich. – »Wenn ich bedenke, wie Ihre Frau, Kollege, vor der Hochzeit war, dann könnte ich wirklich außer mir geraten. Alice hatte keine Erholungsreise hinter sich, die gleichen Strapazen und dennoch – – – – – bei aller Nervosität war sie doch zu Ihnen stets voller Zärtlichkeit!« –

»Ja, meine Frau!? Mein süßes Nuckelchen! So etwas giebt es aber auch nicht mehr in der Welt!« – sagte Doktor Greif ernst und überzeugt. Trotz seiner Verstimmung mußte Feller lächeln. »Einfach etwas aus der Armenkasse, wenn Lotte frech wird. Besser vorher den Klaps als nachher!« – schlug Georg weiter weise vor. Willi atmete tief, lächelte bitter und warf den Rest seiner Zigarre in den Aschbecher. »Wenn sie noch frech wäre! Anders kenne ich sie garnicht, und gerade so finde ich sie entzückend. Sie liebt mich nicht mehr, sie bereut ihren Schritt, sie traut sich des Skandals wegen nicht mehr zurück, das ist es!« – – Greif lag in seinem Stuhl und schüttelte sich über diese Idee vor Lachen. »Pardon! Aber – – – – – das ist ja zum Strampeln – – – – Kollege – – – – Kollege!« – stieß er dabei hervor. – – »Lachen Sie nur, Georg! Aber Sie sollten nur sehen, wie sie stets wie unter schwersten Gedanken umhergeht! Wie sie meine Nähe meidet, meine Küsse flieht! Schon die Angst, mit der sie mich immer anblickt! Die prüfenden Blicke, mit denen sie mich ernst sinnend mustert! Das sollten Sie nur sehen!« – – »Ja, das muß ich allerdings, denn so etwas kenne ich vom Alicerich noch nicht! Kommen Sie, Kollege, ich will als consultierender Arzt meine Diagnose stellen! Nebenbei habe ich mein kleines Nuckelchen schon eine halbe Ewigkeit nicht gesehen!« – –

Der junge Ehemann erhob sich und klopfte dem Sitzenden auf die Schulter. Dieser folgte seinem Beispiel mit einem tiefen Seufzer. – Sie traten unter die Portiere des Salons. Grade in diesem Augenblick sagte Frau Doktor: »Nimm es mir nicht übel; aber Du bist ein Schaf!« – – Sie ließ Lottes Hand los und stürmte dem Gatten entgegen. »Endlich, Dicker, Schnuckelchen, ich dachte schon, Du hättest mich vergessen!« – Ein Zärtlichkeitsausbruch folgte. Willi eilte bis zu der Ballustrade und streckte die Rechte darüber, um Lotte, wie es seine Lieblingsgepflogenheit war, beim Kinn zu nehmen und ihr Antlitz sich zuzuwenden. Sie wich zurück bis an die andere Ecke der Bank: »Warum kommt Ihr denn herein?« – fragte sie mürrisch und ungeduldig. – – »Weil ich mich nach Dir gesehnt habe! Hast Du garnicht an mich gedacht, Liebstes?« – sagte er leise und weich. Er kletterte die drei Stufen empor und setzte sich neben sie, seinen Arm um ihre Taille legend. Ihren Versuch, sich davon zu befreien, bemerkte Greif, der sie beobachtet hatte. Er kam mit seiner kleinen Frau auf die andere Seite des Erkers. »Potztausend, Lotte, was hast Du denn? – donnerte er sie heftig an, so daß sie ihn erschreckt und erstaunt anschaute – Was ist denn das für ein Gehabe und Gethue? Genierst Du Dich etwa vor uns? Das war doch bisher noch nicht der Fall! Wir thun es auch vor Dir nicht! Paß auf, wie wir es machen! Ein artiges Weib muß gehorchen. Du kennst doch Deinen Goethe! Also, 'ran Alicerich, und Deinem süßen Männchen drei schöne Küsse gegeben! Marsch, marsch!« – – Lachend und nur zu willig gehorchte diese. – »Jetzt giebst Du Willi das gleiche Deputat, allons!« – – »Ich liebe kein Schauturnen und lasse mir nischt befehlen!« – murrte Lotte. – »Hol Dich der – – – – –«

»Wenn ich Dich aber bitte?« – sagte Willi und beugte sich zu ihr. Sie blickte ihn, die Dämmerung durchdringend, scharf an. Ein Schauer kroch ihren Rücken entlang. Hastig reichte sie ihm ihren Mund und schlang die Arme um seinen Hals. Er küßte sie innig und zart. Plötzlich fühlte er, wie sie ihn in heftigem Drucke an sich preßte. Gleich darauf ließ sie ihn los und erhob sich, in das schon im Halbdunkel liegende Zimmer hinabsteigend. »Immer braucht Ihr solche Dummheiten! Ist denn das nötig? Ich hasse das!« – – »Du bist ein unausstehlicher Borstwisch, weißt Du das, liebe Freundin? – fragte Georg äußerst gemütlich – Dir müßte einer aufs Dach steigen und mal tüchtig den Schornstein kehren. Du! Der Meinung bin ich!« – – »Laß doch!« – warnte Alice leise und eilte zu der Freundin, die in der dunkelsten Ofenecke saß. Sie streichelte Lotte: »Du bist wirklich dumm, was hast Du denn? Quäle doch Willi nicht, er hat Dir doch nichts gethan! Denke an früher!« – meinte sie flüsternd. – – »Himmeldonnerwetter! Was wollt Ihr denn von mir? – rief Lotte – Ich bin müde und abgespannt und hungrig, weiter nix! Was fuhrwerkt Ihr mich denn wie eine Belämmerte an? – – Willi, Du scheinst mich da angepetzt zu haben, das ist ja recht nett! Was habe ich Dir gethan?« – –

»Na, ich danke, Du weißt schon garnicht mehr, daß Du mich bis auf das Blut peinigst! – entgegnete dieser – Ich fange schon an, Deine Liebe zu bezweifeln!« – – Lotte lachte schallend auf; aber es klang gezwungen. »Quatschkopp, entschuldige; aber Willi, das grenzt an Raptus mit Eichenlaub!« – – »Gott sei Dank, sie schimpft und berlinert!« – stieß er zum Vergnügen seiner Wirte hervor. – – »Das ist garnichts! – schalt Greif – Mit Quatschkopp ist die Sache nicht begraben. Du selbst sagst stets, daß Du Menschen nicht magst, die ihre Gefühle verstecken. Was nutzt mir die ganze Liebe, wenn sie nicht zum Ausbruch kommt? Ganz niederträchtig quälst Du Deinen Bräutigam! Du! Eine pimpliche Zierliese bist Du, so kurze Zeit vor der Hochzeit! Wenn Dich die Geschichte reut, zum Donnerwetter, noch ist Zeit, zurückzutreten! Besinne Dich! Glaubst Du, Willis Liebe hält solchen infamen Launen stand? Seine Geduld hat auch 'ne Grenze! Und einmal hattest Du ihn ja schon ins Ausland spediert. In China sind auch heute noch Ärzte willkommen! Überlege Dir das! So, und Du, Nuckelchen, komm, wir wollen nach dem Abendbrot sehen! Wenn Du mich so behandelt hättest, wahrhaftig, ich wäre noch vor der Hochzeit ausgekniffen!« – –

Das Ehepaar zog sich zurück. »So, nun können sie sich gegenseitig Luft machen! – flüsterte er der Gattin zu – Feller leidet unter der kleinen Kröte, dabei ist es nur ganz gemeiner Wald-, Feld- und Wiesen-Brautbammel bei Lotte. Den kriegen viele kurz vor der Hochzeit; den muß man aber beizeiten austreiben, sonst artet er aus.« – – »Dicker, Du hast recht, ich fühlte es auch, konnte es nur nicht bezeichnen! Du bist ein einziger Mordskerl! – sie lehnte sich an ihn – Weißt Du, was mich freut? Bei Seffmanns haben sie solch große Versöhnungsscene gehabt, jetzt bei uns – – – – – bei Greifs! Wie das famos klingt! Greifs! Nicht?« – – »Mein Nuckelchen!« – – »Elise hat schon gedeckt! Wie schön sieht es doch bei uns aus, nicht? Das Eßzimmer ist zu gemütlich! So ein Tisch mit all dem Neuen drauf, famos! Du, wie schmeckt es Dir bei uns?« – – Georg seufzte, Pickte mit seiner Gabel ein Stückchen Aufschnitt auf und verspeiste es: »Der Schinken ist brillant. So etwas Gutes kann auch nur mein Alicerich kaufen! Die Quellen kennt gar kein Anderer! Du, ich habe Bullenhunger, wenn die nur nicht so lange zum Aussprechen brauchen! Oder können wir immer anfangen?« – – »Nein, Du geliebter Vielfraß, es ist auch noch nicht so weit. Es giebt noch Rührei mit Pfefferlingen!« – – »Sieh, sieh, so nobel! Gott, was bezahlt man bloß in den Restaurants für Unsummen! Man lebt doch viel teurer als Junggeselle! Was machst Du nur alles aus dem bißchen Wochengeld? Du bist wirklich eine ideale Hausfrau!«

Sehr betreten über das Gehörte, war Lotte sitzen geblieben. Sie hatte also den geliebten Bräutigam derart gepeinigt, daß er und andere an ihrer Liebe zu zweifeln ein Recht hatten? Wie war das möglich? Wie hatte sie sich so weit von ihrer Stimmung hinreißen lassen können? Sie seufzte vor Schreck laut und schwer, ihr Herz pochte und eine verzehrende Unruhe, ein Gemisch von jubelndem Glück, von Zweifeln und Angst durchzuckte sie. In der letzten Zeit war die ganze Vergangenheit lebendig geworden. Wie in einem guten Spiegel sah sie jede Kleinigkeit wieder vor ihren geistigen Augen und kam sich so unwert ihres Glückes vor! Die Zukunft lag wie eine versperrende Mauer vor ihr. Alle Ehen ihrer Bekanntschaft ging sie durch. Alle Warnungen und Philosophieen, die sie je über die Ehe gehört, fielen ihr dann ein, und Zweifel tauchten auf. Ernst, sehr ernst ging sie dem Unbekannten, Kommenden entgegen. Sie war ein Kind der Übergangsepoche. Nicht mehr das Passive, nur fühlende, in demütiger Liebe ausgehende, unerfahrene Mädchen, wie die Bräute früher. Aber auch noch nicht das ganz unabhängige, ideallose und mitschaffende Weib der Zukunft. An ihr klebten glücklicher Weise noch die Schranken der Erziehung. Der schützende Wall eines guten bürgerlichen Elternhauses umfriedigte sie. Obgleich nicht mehr blind, obgleich voller Erfahrungen und Lebenskenntnis, hingen noch die alten Ideale an ihr. Sie klammerte sich an diese Vorstellungen in liebendem Vertrauen zu dem geliebten Manne. Und doch lag jetzt schon ein Gefühl von Auflehnung in ihrer Liebe, die Angst vor dem Aufgeben vieler Freiheiten und ihrer bisher eisern gewahrten Individualität! Sie war eine Rebellin, die sich ungern unterjochte. Eine Kampfnatur, die in die Ehe wie zu einem Tournier ging, mit dem Ehrgeize, trotz aller Liebe Siegerin bleiben zu wollen! – Lotte wußte, daß Willis blinde, leidenschaftliche Zärtlichkeit und Bewunderung nicht anhalten konnte! Daß die Leidenschaft dem ruhigeren, edleren Liebesempfinden weichen mußte. Und vor diesem Wandel zitterte sie. Würde – – – – konnte sie ihm dann noch genügen, wenn sie im täglichen Nebeneinander waren – – – – –? Angst, Scham, Auflehnung ihrer Keuschheit gegen seine Besitzergreifung tobten in ihr. Sie liebte ihn zu tief, zu demutsvoll für ihre moderne Verstandesthätigkeit. Sie grübelte darüber. Wo sollte das hinaus, wenn sie ihre Empfindungsallgewalt verriet und doch Kameradin bleiben wollte? Darum hatte sie sich wieder, sich selbst beinah unbewußt, in den Verteidigungszustand gesetzt. Hinter einer Dornenhecke verbarg sie ihr blühendes, reiches Innenleben. Sie traute sich nicht mehr, ihre Liebe zu offenbaren, um nicht zu unterliegen!

Eine brennende Angst verzehrte Lotte, während zahllose Gefühle sie durchtobten. In dem Salon der Freundin wurde es schnell stockdunkel. Die Wohnung lag parterre. Von draußen drang der gelbe Laternenschein herein, und ab und zu flammten Blitze auf, wenn die elektrischen Bahnen dröhnend vorübersausten. Sie blickte nach dem Bräutigam. Er saß unbeweglich. Sie sah seine Silhouette sich schwarz von dem durch die Stores einfallenden, gelblichen Straßenschein abheben. Dieses stille Beieinander im Finsteren machte ihr Mut. Jetzt konnte er ihre Gefühle nicht von ihren Augen und ihrem Gesicht ablesen. Sie raffte sich auf – – – – – – – – – – aber zu ihrem sonstigen, neckischen Widerstand fehlte ihr die Stimmung. Wo alles in ihr antönte und klang, da konnte sie nicht die alte, flotte Berlinerin herausbeißen. – Er seufzte unterdrückt. Es schnitt Lotte ins Herz. Langsam, widerstrebend beinah und doch wie magisch angezogen, erhob sie sich und tastete sich vorsichtig durch Stühle, Tische, Ständerlampen über den weichen Teppich, der den Laut ihrer Schritte verschlang. Daher tauchte sie plötzlich vor dem Erker auf und trat auf die Stufen. Er hörte das Rauschen ihrer Kleider und wandte sich ihr zu. Seine ganze Leidenschaft erwachte. Er streckte die Arme aus. Sie näherte sich ihm scheu widerstrebend. Da riß er sie an sich und auf seine Kniee nieder. – »Du, oh Du!« – – »Bist Du mir böse?« – flüsterte sie und verbarg den Kopf an seiner Schulter. Sie spürte erschauernd, daß der starke Mann bebte und sie wild an sich preßte. Sein Mund versenkte sich in ihre Haare, die er küßte. »Ob Du mir böse bist, Liebster?« – – »Böse, nein, Lotte, aber ich werde irre an Dir und an mir! Wie peinigst Du mich jetzt noch, so kurz vor unserer Hochzeit! Ich darf Dich ja kaum berühren, so fliehst Du mich! Einen Kuß von Dir bekomme ich schon lange nicht mehr! Wenn ich Dich ansehe, siehst Du gedankenvoll oder finster aus, immer ablehnend! Du arges, böses, kleines – – – –« – – »Stachelschwein! – ergänzte sie leise seine geraunten Worte – Ja, Willi, schilt nur tüchtig, und sei streng mit mir! Ich hasse mich ja jetzt selbst immer. Aber ich bin nun 'mal ein Ekel! Ach, wenn Du wüßtest – – – –« – – »Was denn, Geliebtes?« – – »Ach wenn ich es selbst wüßte! Ich bin ja so ein Schaf, so ein dummes! Ich habe solche Angst!« – – »Angst? – wiederholte er erstaunt – Um Himmelswillen, Lotte, wovor denn?« – – »Das weiß ich nicht!« – sie schmiegte sich fest an ihn. Er lächelte plötzlich und streichelte sie zart: »Dann vertraust Du mir aber recht wenig, Du!« – – »Ach, Quatsch! Ich vertraue Dir ganz und gar; aber – – – –« – – »Nun? Aber?« – – »Ach, ich weiß selbst nicht! Vielleicht wird es doch ganz anders, als Du es Dir denkst oder ich es mir vorstelle, Willi!?« – – »Schon möglich, Schatz, warten wir es eben ab!« – erwiderte er gemütlich. – »Hast Du denn gar keine Furcht, wenn Du an die Zukunft denkst?« – Er nahm sie wie ein Kind und schaute zärtlich auf sie nieder: »Nein, mein Ein und mein Alles, ich habe es Dir ja so oft geschrieben, daß ich den Kampf mit dem Dasein liebe! Ich freue mich darauf! Und jetzt, wo ich so eine kleine, dumme Person noch mein eigen nenne, jetzt fühle ich mich erst recht stark und kampfbereit. Es ist mir, als wüßte ich erst, wofür ich lebe!« – – »Du, ich will mitkämpfen, ich bin keine kleine, dumme Person!« – stritt sie. Er küßte ihre Lippen: »Das sollst Du auch, tüchtig mit heran mußt Du als mein kleiner Kamerad!« – sagte er klug. Sie dachte nach, ohne sich zu rühren. »Du – meinte sie dann – hast Du vor mir gar keine Angst?« – – Ihr eigenes Empfinden trat darin zutage, doch Willi hütete sich, es merken zu lassen, daß er sie durchschaute. Er biß sich auf die Lippen, ehe er sagte: »Na, weißt Du – – – – – manchmal – – – – ein bißchen! Nach den vielen Erfahrungen mit Dir in den langen Jahren unserer Bekanntschaft kann ich es nicht leugnen, daß ich zuweilen etwas Bangigkeit empfinde. Ich bin kein Lamm und Du, wie Du selbst sagst, ein kleines Stachelschwein! Es wird ab und zu einen kleinen Krach geben, doch das thut gut! Gewitter reinigen die Luft!« – – »Ich danke, Du! Ich kann nicht nachgeben!« – – »Ich auch nicht!« – – »Oho, kleiner Schäker, bisher hast Du es stets gethan!« – – »So? Na, so dumm ist man wohl als Bräutigam; aber nachher nicht mehr!« – – »Nette Aussicht; Du, und unser Zauberwort ›Seffmanns‹?« – – »So etwas pflegt auch nur vor der Hochzeit zu wirken – Willi wurde sehr vergnügt und übermütig – Später zieht man andere Saiten auf!« – – »Ich auch, Du, aber nur Dur-Saiten!« – – »Na, dann giebt es eben Krach, was thut es, solange wir uns nicht prügeln? Wenn Du zum Beispiel nach der Hochzeit so kratzbürstig bleibst wie jetzt, dann fackele ich nicht so lange!« – – »Oho, erst können vor Lachen. Erst die Nase und dann die Brille!« – – »Bah, das habe ich ja dann alles beides in sicherem Besitz!« – – Er küßte sie überströmend auf ihre kleine Nase. »Ach, daß es erst so weit wäre, daß all der Hochzeitstrubel, der Polterabend und dies ganze gräßliche Zurschau-Stellen vorbei wäre! – flüsterte er – Wer wie ich so Jahre hindurch auf sein Glück in brennender Sehnsucht geharrt hat und dann noch diese Foltern durchmachen muß, nur der kann mir nachfühlen. – Mein Glück wird erst dann ganz eintreten, wenn ich Dich allein für mich habe! Dich nicht zu teilen brauche! Lotte, Lotte, ist Dir denn dieses ewige Warten nicht ebenso zur unerträglichen Qual geworden wie mir?« –

Sie hatte sich losgerissen und floh auf die andere Seite des Erkers, dort die Stores zurückziehend und hinausschauend. Ihre Stirn lehnte sie gegen die kalte Scheibe, als könnte diese ihre brennende Hitze kühlen. »Antworte!« – drängte er. – »Ich bin so müde, – entgegnete sie heiser – und es giebt noch soviel zu thun. Morgen stellen wir den Trousseau auf, die Verwandten und Bekannten wollen ihn so gern betrachten. Hinterher kommt dann die Kritik. Und die vielen Anproben noch, mir graut davor! Aber das Standesamtskleid wird so schön, Willi, und das Hochzeitskleid erst – – – – – Du wirst staunen, wie groß und schlank ich aussehe!« – Sie sprach fieberhaft und wollte ihn ablenken. Der junge Arzt fand sich erst nur schwer in das Thema hinein. Er wischte mit dem Taschentuch über seine heiße Stirn. Da er aber die Art seiner Braut kannte, beherrschte er sich: »Ich möchte Dich so gern in den neuen Kleidern sehen, Lotte! Kann ich nicht mit in das Schneideratelier kommen?« – – »Nein, oh nein, das würde Mutter nicht erlauben, dazu ist sie zu abergläubisch! Der Bräutigam soll die Braut erst am Hochzeitstage im Staat erblicken!« – – »So? Schade!« – – »Aber schlank sehe ich aus in schwarz, nobel!« – sagte Lotte hastig. – »Warte, Du, das habe ich mir auch vorgenommen – – –« – – »Was denn?« – – »Eine kleine Entfettungskur mit Dir zu machen! Schatz! Dicker darfst Du nicht werden! Mehr laufen und mehr Diät. Die Speisekarte stelle ich zusammen!« – meinte Willi scherzend und lachte. Die schwüle Stimmung war überwunden. Im Augenblick saß Lotte kampfbereit neben ihm: »So? Irr Dich man bloß nicht, Freundchen! Wenn mal die Dicke in einem liegt, hilft doch nischt! Also laß mich gefälligst in Ruhe!« – – »Gott sei gelobt, daß die Ausreden erfunden sind!« – – »Oh nein! Aber ich weiß es doch bereits aus Erfahrung, ich habe doch probiert – – – –« – – »Du? – rief er lachend – Du siehst mir ganz danach aus mit Deiner Liebhaberei für Konfekt, Kuchen, Kartoffeln, kurz für alles, was stark macht! Das hört auf, Süßes bringe ich Dir nicht mit, verstanden, Liebstes? Nur gut, daß ich mir selbst nichts daraus mache!« – – »Oho! Hätte ich bloß Heinrich Wegener geheiratet, der liebte so das Süße! – seufzte sie – Also Du bringst mir keine Bonbonnieren mehr nach der Hochzeit?« – – »Ich werde mich hüten!« – – »Ja, hüte Dich wirklich, denn das könnte zu Konflikten führen. Im übrigen habe ich ja Wochengeld!« – – »Das verrechnet wird!« – – »Oh, nur keine Schwachheiten einbilden! Nie! Du giebst das Geld, ich führe den Haushalt. Wenn Du nur Dein Futter hast, mußt Du zufrieden sein, Jungeken. Aber daß ich je eine Rechenschaft ablegen sollte, davon steht nichts in der Weltgeschichte! Ich schwöre es hiermit energisch und feierlich, verstehste?« – – »Baubau, beiß nicht!« – neckte er. – »Ebenbürtig, nie subordiniert, Du!« – – »Bon, Lotte, dann lege ich auch nie Rechenschaft ab, wo ich die Abende verbracht habe!« – – »Abwarten und Thee trinken, Bürschchen!« – meinte sie fidel und zauste seinen Bart. Er griff nach ihren Fingern und küßte sie.

»Die Versöhnung scheint erfolgt! Dem Himmel sei Dank! 'rin in die gute Stube, Elise bringt gerade das Essen. Ihr werdet staunen, was mein Nuckelchen für eine Hausfrau ist! Lotte, nimm Dir ein Beispiel daran!« – rief Georg Greif von der Thür her und öffnete diese weit, so daß das helle Licht hereinströmte. Das Brautpaar kam herbei, mußte aber zuerst die Augen geblendet schließen. »Gottlob, daß die Fütterung losjeht, – rief Lotte – ich hatte einen Mordshunger, habe aus Anstand mich aber nichts zu sagen getraut!« – – »Bravo! – sagte Greif – Selbst im Gemütsaffekt bleibt Dein Magen auf der Höhe der Situation!« – Er klopfte sie auf die Schulter und gab ihr einen kleinen Stoß. Sie eilte zu Alice, die, sehr niedlich und hausfräulich mit einem weißen Schürzchen umgethan, neben dem Anrichtetisch stand und die Theemaschine beobachtete. –

»Na, alles in Ordnung, Kollege?« – raunte Georg. – »O ja, danke! Kenne jetzt die Ursache!« erwiderte Willi. – – »Und die Diagnose wie die meine – – – – Bammelino Brautstandis?« – scherzte der Hausherr. – »Richtig, ausgezeichnet benannt! – sagte Willi lachend – Kommt nur zuweilen vor; tritt aber dann mit großer Heftigkeit auf wie in vorliegendem Falle. Patient neigt zu Kongestionen, die sich teils als aufsteigende Hitze in Ausbrüchen mit Heftigkeit oder abwechselnd mit Melancholie offenbart – läßt sich nicht untersuchen – – –« – – »ist aber bereits zwei Tage nach der vollzogenen Eheschließung völlig geheilt!« – ergänzte der andere lachend. – – »Na, ist's gefällig, die Eier gerinnen, und die Pilze werden kalt!« – schalt die kleine Hausfrau wichtig. –

Während das Brautpaar bei der Familie Greif in angenehmer Verbannung war, wie dies jetzt so oft sein mußte, glich die Bachsche Wohnung einem Variété-Theater vor der Eröffnung. Im Salon am Flügel wurden die Couplets geübt und einstudiert. – Im Wohnzimmer wurde unter geschickter Regie der Akt des kleinen, eigens gedichteten Theaterstückes durchgegangen, welcher ohne Gesangseinlagen war. – Im Speisezimmer mußten die Kinder aus der Bekanntschaft ihre Reigen noch einmal tanzen und dann die lebenden Bilder stellen, in denen Lottes tolle Streiche vor ihre Erinnerung gezaubert werden sollten. – Einige hilfreiche Cousinen unterstützten die Tante und trugen Erfrischungen umher. Kläre wurde mit Kostümfragen bestürmt. Anna Neuwald überwachte das artistische Arrangement.

An Lottes Schreibtisch saß der Amtsgerichtsrat Neuwald und notierte die Reihenfolge der Vorstellungen, die angemeldeten Toaste und Carmina. Direktor Harter hatte die Tischkarten nach Lottes Notizen zu schreiben und die Tafelordnung zu notieren, welche der Besitzer des Hotels, wo die Feste stattfinden sollten, dringend erbeten hatte. »Also Du sprichst als älterer Schwager auf die Familie Feller und die rührende Familienverbrüderung!« – – »Bene! Du nimmst die Rede auf das Brautpaar, Neuwald? An Stoff fehlt es nicht!« – – »Angenommen! Wer spricht auf Mama Bach?« – – »Admiralitätsrat Feller!« – – »Oh weh, der Mann neigt zur Ausführlichkeit, richte es ein, daß er zwischen den Gängen kommt! Wer hat sich sonst noch angesagt?« – – Neuwald sah nach. »Drei Damen! – – – – Die Weiber entwickeln sich auf allen Gebieten, bin neugierig, was sie zu Tage fördern, und wie oft sie stecken bleiben!« – – »Glaube ich nicht, es sind gute Sprecherinnen! Übrigens, wer spricht auf uns Geschwister?« – – »Der Gutsbesitzer, Willis Pate! Ferner hat sich Ernst Georgy angemeldet mit einer Rede über ›Tugenden von Range‹, wird ulkig, denke ich! Lotte wird es abkriegen! Seffmann über ›Freundschaft‹, Greif über – – – –« – – »Du, Neuwald, das werden zu viele! – unterbrach Harder – Man muß doch mal essen und plaudern auf einem Hochzeitsdiner. Diese Tischreden-Seuche ist gräßlich, nun bedenke, daß noch mindestens fünf Lieder gesungen werden. Können wir die Geschichte nicht teilen? Die Hälfte am Polterabend?« – – Der Gefragte dachte nach. »Die Idee ist nicht schlecht! – – – – – Aber nein, es geht nicht! Am Vorabend ist nur kaltes Büffet aufgestellt, und man speist an kleinen Tischen. Dann hat sich Lotte, das Karnickel, doch für den Hochzeitstag alle Aufführungen verbeten.« – – »Immer etwas Besonderes! Auch die frühe Trauung ist überflüssig!« – – »Das finden wir auch! Aber der Eigensinn will nicht anders! Sie meint, der Tag ist ihr zu hoch und heilig, sie will ihn ernst verleben und nicht profanieren. Um zehn Uhr ist die standesamtliche Trauung, um vier Uhr die kirchliche – – – ich bin überzeugt, um elf 'rum liegen wir alle im Bette!« – – »Das wäre herrlich, denn das Brautpaar und Mama sind überreizt und abgehetzt, und die Ausgelassenheit am Polterabend wird sehr anstrengend. Da kommen wir vor sinkendster Nacht nicht heim!« – – »Davon bin ich auch überzeugt! Der ganze Kreis freut sich auf das Fest, die werden es toll treiben, die Leutchen!« – – »Um auf den Hammel zurückzukommen, so bin ich der Ansicht, wir machen es doch ruhig so, wie Du meinst. Die Tischreden aus der Freundschaft und die Vorstellungen am Polterabend, trotzdem keine einige Tafel ist. Ich lasse unser Gong aufstellen und verkünde die Anfänge derart auf durchdringende Weise. Beim Diner – – – nur die feierlichen gegenseitigen Begrunzungen aus der Familie! Vor zwei Sachen habe ich Angst!« – – »Und die wären?« – – »Zu große Thränenströme bei Erwähnung der Verstorbenen; wenn nur der Pastor uns nicht martert!« – – »Nein, ich habe ihm bereits einen Wink gegeben. Und das Andere?« – – »Zu große Feierlichkeit auf der Hochzeit. Wenn nur durch Lottes Wünsche die Sache nicht langweilig würde. Wir sind kein großer Kreis, nur die nahe Familie.« – – »Ihre nächsten Freundinnen sind doch auch da, die vermitteln zwischen den lustigen Bachs und den ernsten Fellers, nee, das macht mir keine Sorge weiter. Und im übrigen geschähe es ihr recht. Sie ist jetzt – – – –« – – »Überhaupt kaum mehr zurechnungsfähig. Ich bitte Dich, Schwager, dies Gehetze ewig; die innere Erregung? Wenn es Lotte einmal packt, schüttelt es sie gründlich durch. Dabei will sie es nie wahr haben und zwingt sich zu Verstellungen, die sie noch mehr anstrengen. Willi thut mir jetzt leid!«

»Väterchen, komm doch bitte hinein, und vertritt die exekutive Gewalt im Eßzimmer. Molly und Else haben den Kindern Moselweinbowle gebraut. Sie sind jetzt außer Rand und Band, besonders unser Walter und Ilse Bach. Käte und Werner streiken, Lotte Seffmann heult nach ihrer Mama, und unser süßer Amor Annemi ist eingeschlafen!« – klagte Frau Anna. Er erhob sich unwillig: »Wozu holst Du mich zu solchen unangenehmen Scenen, Weibchen? Gebrauch die Frauenbewegung, und zieh dem Bengel die Hosen stramm!« – – »Du weißt doch, daß ich nicht schlage!« – entgegnete sie prinzipienfest. – – »Daher wachsen sie Dir auch über den Kopf! Bengels brauchen Keile. Schade, daß Lotte nicht hier ist!« – Brummend eilte er mit der Gattin ins Speisezimmer, wo es wie in einem Ameisenhaufen zuging. Mit Aufgebot von viel Energie und laut erhobener Stimme, mit Hilfe von zwei Katzenköpfen für seine Söhne, stellte er die Ordnung wieder her. Die Proben zu den lebenden Bildern nahmen ihren Fortgang. –

Herr Direktor Harter notierte inzwischen neue Besorgungen, die nicht vergessen werden durften: – »Theaterfriseurin – Schmuckkasten – drei Perücken. – – – – – Ausgestopfte Katze auftreiben – Papierkorb, recht groß, wenn möglich Holz – Chinesisch-japanische Kostüme – Carmen in Druck geben – fünf Equipagen bestellen – Papiere für die Trauung von Willi.« – – Er seufzte, denn ihm schwirrte der Kopf: »Donnerwetter, bald hätte ich es verschwitzt! – sagte er laut – Meinen Frack aufbügeln und Chapeauclaque kaufen, Bombenelement!« – – Gerade wollte er das Zimmer verlassen, da stürzte Franz Hutten herein. Dieser liebenswürdige Bruder von Frau Doktor Greif war Lottes Freund. Sein allgemein bekanntes, dichterisches Talent machte ihn zum beliebten Familiendichter. Die launigen Kaffeelieder und die sinnigen Theaterstücke waren seine besondere Spezialität. – Auch diesmal hatte der tüchtige, junge Kaufmann seine kostbare Zeit geopfert und ein reizendes, hochpoetisches Stückchen geschaffen. – Er sah recht müde und angegriffen aus: »Na, mein bester Herr Hutten, macht Ihnen Ihre Truppe so viel zu schaffen? Sie glühen ja ordentlich!« – fragte Harter teilnehmend. – – »Ich muß etwas ändern, die Geschichte klappt nicht recht! – – – – – Wenn doch die Menschen schon für die Proben besser lernen wollten. Immer verlassen sie sich auf das Ablesen und Soufflieren. Erst zur Generalprobe geht dann die Lernerei los, dadurch entgehen so viele Feinheiten, auf die ich besonders Gewicht lege!« – – »Brüllen Sie tüchtig dazwischen!« – – »Thue ich bereits, Herr Direktor! Das Unangenehme ist, daß meine Schwester heute nicht hier sein kann, und eine der andern Schauspielerinnen ihre Rolle markieren muß!« – – »Die kleine Frau Doktor ist Ihre Hauptstütze, das weiß ich! Sie aber macht ihre Sache gut, auch ohne Probe!« – – »Ja, ja; aber – – – entschuldigen Sie, die Leutchen warten! Nicht wahr, Herr Direktor, ich kann mich doch darauf verlassen, daß ich bei der Generalprobe am Montag die Kostüme und Perücken im Saal, respektive in der Garderobe vorfinde?« – – »Selbstredend, ist bereits notiert!« – –

Franz Hutten schrieb eifrig in seinem Manuskript. Herr Harter stand im Vorzimmer und hörte nach der Melodie der »Kleinen Witwe« noch die Schlußworte des Couplets: »Ich bin die Range, die kleine freche Range« etc. – Er lächelte amüsiert, während drinnen ein lautes Lachen hörbar wurde. Rasch benutzte er diese Pause und trat ein. »Du hättest nur dies Lied hören müssen, zu niedlich! – rief seine Schwiegermutter heiter – Lotte wird sich ja amüsieren, wie sie mitgenommen ist. Ich glaube, von ihren losen Streichen ist auch nicht einer vergessen. Georgy hat eben noch an einen erinnert und einen Vers dazu gedichtet!« – – »Zum Teil hörte ich ihn im Korridor, liebe Mama! Ich finde, wir müssen meiner kleinen Schwägerin recht dankbar sein!« – entgegnete Harter lächelnd. »Weswegen dankbar?« fragte jemand. »Na erlauben Sie, gnädige Frau – meinte er eifrig – bei uns gewöhnlichen Sterblichen müssen die Familienpoeten sich den Kopf zerbrechen, um nur Stoff zum Verwerten herauszutüfteln. Zuletzt sind es dann meist die gleichen Fadheiten, welche sich durch alle Dichtungen ziehen! Dagegen bei unsrer Lotte wußten wir vor Überfülle an Stoff absolut nicht, wie wir ihn verwerten konnten. Immerfort mußten wir ausmerzen und streichen, damit nur die tollsten Streiche zu ihrem Rechte kamen!« – – »Mamachen, willst Du Dir nicht Fräulein Else als Berolina anschauen? – fragte Frau Kläre aus dem Nebenzimmer – Sie sieht bei ihrer pompösen Gestalt einfach herrlich aus!« – – »Gewiß, ich komme schon!« – Frau Geheimrat erhob sich, denn nebenan wurde die Schlußapotheose des Theaterstückes gestellt. Lottes Freundin Else als »Berolina« entsendet in Werni Neuwald ihr Wappentier, den Bären, um dem jungen Paar die mit Lorbeeren und Myrten durchflochtene Bürgerkrone zu überreichen. Die andern allegorischen Gestalten verkörperten die bekanntesten Eigenschaften der Berliner: die beiden bejahenden Elemente »Güte« und »Treue« und die beiden verneinenden »Spottsucht« und »Schnoddrigkeit«. Dazu gesellten sich als männliche Begleiter zu der Gruppe: der »Fleiß« und der »Patriotismus«. – – »Wirklich treffend und poetisch haben Sie das gemacht, mein werter Herr Hutten! – versicherte jetzt auch der Amtsgerichtsrat Neuwald dem herbeigeeilten Dichter – Sie werden Lottes helle Begeisterung entfachen! Es ist ausgezeichnet, wie Sie nicht nur die Charakteristik der Berliner brachten, sondern gleichzeitig die unserer Berliner Range. Gerade jetzt wieder habe ich erkannt, wie typisch berlinisch unsere Lotte ist!« – –

Als diese spät, sehr spät heimkehrte, da war der wilde tolle Spuk aus den gemütlichen Räumen verschwunden. Nur der Salon blieb ihren Augen verschlossen. Lotte gab sich auch keine Mühe, in die streng gewahrten Geheimnisse einzudringen. Sie ließ sich gern überraschen. – Wie in einem Traume rollten die nächsten Tage an ihr vorüber. Sie kam kaum zur Besinnung. Nur, wenn sie nach des Tages Anstrengungen endlich in ihrem kleinen Zimmer zur Ruhe kam, nur dann überwältigte sie der Ernst und die knospende Seligkeit der Zeit, welche sie durchlebte. Sie ward sich selber zum Rätsel. Manchmal, während des Tages, fragte sie sich, ob sie denn wirklich lebe, spreche, lache und scherze oder ob sie nur so erregt träume. – Sie erschien sich wie eine Schlafwandlerin. –

Da kamen stündlich die herrlichsten Geschenke und Blumenaufsätze und wurden auf langen Tafeln zur Besichtigung aufgestellt. Sie erklärte und zeigte alles und führte die Besucher in die hinteren Räume, wo ihre Wäsche und Kleiderausstattung in reizvoller Neuheit prangte. Unermüdlich erklärte sie immer und immer wieder. – Wie im Traum präsidierte sie dem Nachmittagskaffee, welchen sie allen unverheirateten Damen ihrer Bekanntschaft gab. Eigenhändig hatte sie das silberne Herzchen in den Kuchen gebacken, welches der Besitzerin dieses Stückes eine frohe Prophezeiung auf eine baldige Vermählung sein sollte. –

Die Hochzeitsgäste aus der Provinz trafen in Berlin ein. Es galt, sie zu empfangen, mit ihnen beisammen zu sein. – Herr Doktor Feller hatte in seiner Praxis besonders zu arbeiten und den Vertreter einzuweihen, um ruhig auf die Reise gehen zu können. – Er war still glücklich und ernst gestimmt. – Zum Glück nahmen all diese unangenehmen Vorbereitungen auch einmal ein Ende.

Es lag noch blendender, goldener Mittagssonnenschein über der Reichshauptstadt, als Willi im neuen Frack und Cylinder, ein Myrtensträußchen im Knopfloch und ein wundervolles Brautbouquet in der Hand, in die mit weißer Seide ausgeschlagene Equipage stieg. – – Am Vormittag hatte ihn seine Lotte im feierlichen, schwarzen Seidenkleid empfangen. Der Staat hatte ihm sein geliebtes Weib in einer ernüchternden Ceremonie angetraut. Jetzt eilte er über den blumenbestreuten Läufer die Treppen empor, um die junge Gattin zum Altar zu geleiten. – Die Mütter führten ihm die bleiche, liebliche Braut im reichen Hochzeitsstaate entgegen. An seinem Arme schritt sie bebend wieder zum Wagen hinab. – Vor dem Hausthor hatten sich viele Neugierige angesammelt. Das liebenswürdige Paar wurde von allen Zuschauern betrachtet und nachher kritisiert. –

Die eine der Frauen kannte Lotte von klein auf. Sie wischte sich gerührt die Augen und sagte kopfschüttelnd: »Jotte doch, wenn man Bachs Lotte heite so pompees und scheen und so ernst in den Staat sieht, ahnt man ja nich, wat det frieher for 'ne Range wa'! Ick aber weiß et; ick hab's mit anjesehen! Ja woll, aus Kinder wer'n Lette!« – – Und mit dieser unanfechtbaren Weisheit hatte sie doch recht, nicht wahr?


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