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4. Kapitel.

a) Das Pflichtdiner.

»Professor Dr. Heinrich Pallas und Frau beehren sich, Herrn Doktor Felix Munkert – auf Sonntag, den 14. – – – zum Mittagessen ergebenst einzuladen.

Gefl. 6 Uhr.
Schönestraße 18a.

U. A. w. g.«

Doktor Munkert schleuderte das Pappkärtchen mit der bedruckten Einladung zornig auf den Tisch. »Haben Sie auch diesen Wisch bekommen, Kollege?« – – »Natürlich, wir sind Leidensgefährten!« – – »Auch Ring und Schulze und Fritzsch?« – – »Die letzteren ja! Also wird auch Ring nicht verschont geblieben sein! Danken wir dem Herrn, daß wir wenigstens zusammendulden!« – – »Ich danke durchaus nicht! Im Gegenteil, ich habe förmliche Mordgedanken gegen den Alten!« – sagte Doktor Munkert und hängte seinen Überzieher an den Nagel und stülpte den Hut darauf. Sein Kollege saß am Schreibtisch und schrieb verschiedene Eintragungen in das Journal der Klinik. Er zuckte phlegmatisch die Schultern. »Warum sind Sie so entrüstet?« – –

»Himmeldonnerwetter! Aus X-Gründen, Sonntag um zwei Uhr esse ich gewöhnlich bei meinen Eltern und diene der Familie. Habe ich keinen Jour hier, dann widme ich mich einer kleinen Freundin!« – – »Aha, also in Amors Banden?! Und grade diesmal stört es Sie derart?« – – »Gewiß, denn um Mizzi bewirbt sich noch ein Stallmeister von Busch. Sie neigt ›ihm‹ als ›feste Sache‹ bedenklich zu. Nun nimmt mir der Alte die letzte Gelegenheit, den Kerl auszustechen.« – – »Seien Sie froh, und sorgen Sie für Ersatz!« – – »Leicht gesagt!« – Der junge Arzt schlüpfte in seinen weißen Kittel und desinfizierte seine Hände durch eine Waschung. »Ich hasse ohnehin diese pflichtschuldige Abfütterung der Assistenten!« – – »Einmal muß er es doch thun!« – – »Warum? Ich schenke ihm sein großartiges Diner. Ordentlich satt essen kann man sich ja doch nicht!« – – »Ich stehe meinen Mann!« – versicherte der Andere. – »Ich aus Rache diesmal bestimmt auch! Wenn ich nur nicht wieder die Tochter vom Hause führen muß?!« – – »Sicher! Sagen Sie mal, Munkert, sind Sie noch so naiv oder haben Sie nicht auch schon Lunte gerochen?« »Inwiefern denn, Kollege?« – –»Na, glauben Sie, der Alte würde uns bei seiner stadtbekannten Knickrigkeit dreimal in einem Winter einladen, wenn er nicht seine Absichten hat?« – erklärte Heine. – »Absichten?!« – – »Natürlich, er hat doch zwei Töchter und drei Nichten. Daher nimmt er doch nur unverheiratete Assistenten. Diesmal scheint er von seinen Gehülfen besonders begeistert. Umsonst werden wir nicht soviel eingeladen!« – – »Heiliger Strohsack, brat mir einer 'n Storch; aber Sie haben recht! Donnerwetter, was thun?« – Munkert setzte sich auf eine Stuhlecke und sah den Andern an.

»Annehmen, hingehen, tüchtig essen, und wenn einem eins der Mädel zusagt – – – – heiraten! Es muß garnicht schlecht sein, vom Alten der Sohn oder der Neffe zu werden. Reich ist er und die Connektionen! Fein – fein!« – – »Ich danke! Ich bin froh, wenn er mir außer Seh- und Hörweite ist! Und nun noch Onkel oder gar Vater sagen? Brr! Und wenn die Mädel mit Gold gepolstert würden!« – – »Überlegen Sie sich die Sache, Kollege, und verschwören Sie nichts! Fräulein Dora soll sich sehr nett über Sie geäußert haben!« – – »Sie soll sich nur nicht irren!« – meinte Munkert; aber ein sinnender Ausdruck trat in sein Gesicht, und sein Ton klang etwas sanfter. Heine lächelte und schrieb weiter. »Haben Sie schon angenommen?« – – »Ja, anstandshalber! Oder soll ich mich wieder seinen Rüffeln aussetzen?« –

In diesem Augenblicke wurde die Thür aufgerissen. Der Chef stürzte in das Zimmer. »Morgen, meine Herren! Was, noch nicht auf den Stationen? Natürlich, die Kranken laufen nicht davon!« – rief er grimmig. – – »Es ist in drei Minuten neun Uhr, Herr Professor! Ich war eben im Begriff, hinaufzugehen!« – erwiderte Munkert entschlossen. Er sah, daß heute schlechtes Wetter war. Der berühmte Arzt kleidete sich aus und rannte nervös im Zimmer hin und her, dabei von Zeit zu Zeit mit den Fingern den Kragen lüftend, als sei ihm dieser zu eng geworden. – Heine schrieb ruhig weiter. Nur eine Minute hob er den Kopf: »Ich gestatte mir, namens meiner Kollegen noch einmal mündlich bestens für die liebenswürdige Einladung zu danken, Herr Professor!« – sagte er ironisch und wechselte mit Munkert einen vielsagenden Blick.

»Einladung, – – – – welche Einladung?« – wiederholte Pallas und blieb stehen. »Zu Ihrem Diner am vierzehnten, Herr Professor!« – – – »Diner am vierzehnten? – – – Ach so! – – Hol der Teufel das Diner!« – – »Sehr richtig!« – bemerkte Munkert wütend. – Pallas blieb stehen und schaute dem kühnen Sprecher betroffen in das erblaßte Gesicht. Dann wandte er sich um, als habe er den Zwischenruf nicht vernommen.

»Nicht ein Tag vergeht ohne Ärger!« – brummte er. – »Man kommt nicht zur Ruhe! Haben Sie den infamen Angriff aus Leipzig gelesen? Nein! So, dann nehmen Sie sich das Schmutzblatt daheim vor, und studieren Sie, wie man Ihren Chef zu verunglimpfen versucht! Haha! Natürlich, da nimmt man sich Assistenten und arbeitet sich ab, um die Herren zu lebensfähigen Doktoren zu erziehen, ihnen einen Namen zu schaffen! Resultat: Grade diese Herren werden unsere grimmigsten Feinde und Angreifer. Grade sie benutzen meine Waffen, um mich zu schlagen! – – – – – Dabei – – – – – – kommen Sie nur in andere Kliniken, und sehen Sie sich da um! Höhere Krankenwärter mit militärischer Disciplin sind diese Herrchen da! Meine verehrten, alten Kollegen gehen ganz anders mit Ihnen um, meine jungen Kollegen! Glauben Sie es mir! Machen Sie nur ungläubige Gesichter! Aber erkundigen Sie sich einmal bei den Herren Ihrer Semester, und lassen Sie sich die Wahrheit sagen! – – – – – Bin ich nicht immer fein und liebenswürdig zu Ihnen? Verletze ich je die vorgeschriebene Form? Stehen wir nicht in dem Verhältnis von Vater zu Sohn – – – – –« Er raste hin und her. Eine Uhr schlug. – – »Zum Teufel, Kollege Munkert, es ist ein Viertel auf zehn Uhr, und Sie stehen mit einer wahren Lammsgeduld an der Thür. Ich bewundere dies erhabene Pflegma, ich beneide Sie darum. Steht der Mann hier, während oben die Pflegerinnen und die Kranken Geduld üben lernen! – Wenn Sie Famulus oder Volontärarzt wären, könnte ich diese göttliche Ruhe allenfalls verstehen! Aber bei einem besoldeten Assis – – – – – –«

Der Professor sprach seinen Satz nicht aus, denn Munkert war verschwunden und hatte die Thür höchst energisch ins Schloß gedrückt. Er überlegte eine Sekunde, strich mit dem Handrücken verschiedene Male über die Stirn und wandte sich dem Schreibenden zu: »Melden Sie Schwester Marie, daß das Zimmer »Drei« in der ersten Station nicht besetzt wird. Die russische Gräfin hat abgeschrieben. Den Intriguen meiner Feinde ist es geglückt. Die reiche Dame läßt ihre Operation bei meinem grimmigsten Widersacher vornehmen. Na, wohl bekomm's!« – – –

Heine fühlte eine echte und rechte Schadenfreude. Er verneigte sich nur schweigend und schrieb. Dabei war er erstaunt, daß Pallas nicht in die Klinik ging, um seinen üblichen Rundgang zu machen. Von zehn Uhr ab waren drei große Operationen angesagt. Ein wenig Eile war am Platze. – Er musterte seinen Chef. Dieser stand am Fenster und schaute in den Garten. Auf dem kühngeschnittenen, nervösen Antlitz malte sich eine merkwürdige Befangenheit, deren Eindruck noch verstärkt wurde durch die aufgeregte Art, mit der er seinen Bart malträtierte. »Aha, Du hast noch etwas in Petto!« dachte er und wartete geduldig. – Richtig, plötzlich wandte sich Pallas um, blätterte in seinem Notizbuch und fragte schnell, wie ganz nebenbei: »Nicht wahr, Kollege, Munkerts Vater hat doch die bekannte Ziegelei am Wasser?« – – »Ja, Herr Professor.« – – »So! Es wurde gestern bestritten. Also hatte ich recht! – – – – – – – Übrigens,– – – – – es ist schade, daß dieser fähige und tüchtige, junge Mann verlobt ist!« – – »Dies kann ich energisch bestreiten, Herr Professor! Munkert ist noch gänzlich unverlobt.« – – »So, in der That? Na, das freut mich sehr! Das heißt, ich meine – – – – – – – man sah ihn im Metropoltheater mit einer jungen Dame sitzen – – – –«

»Das wird wohl eine entfernte Cousine gewesen sein!« – entgegnete Heine mit vielsagendem Lächeln. – – »So? Sieh da! Nun – – – auch ich war jung und in Arkadien. – – – Aber es ist die höchste Zeit, ich muß hinüber. Schreiben Sie ruhig weiter; aber nachher erwarten Sie mich im Operationssaale!« – – »Zu dienen, Herr Professor!« – –

Heine traf Munkert in dem bezeichneten Saale, noch ehe der Chef seine Tour beendet hat. »Sie haben es gut, Kollege! Der Alte hat sich nach Ihnen erkundigt und gefragt, ob Sie verlobt seien? Lassen Sie daher von Ihrer Fahne ruhig den Namen »Mizzi« abnehmen, und schreiben Sie »Dora« auf das Panier! Die Kleine hat vorgearbeitet.« – – »Na, ich danke! Nachdem er uns so angehaucht? Jeder Liebesgedanke kann bei mir im Keim ersticken, wenn ich nur an den Alten denke, brr! – Ich ersinne noch irgend einen annehmbaren Grund, um bei dem Diner abzusagen. Die kleine Dora ist niedlich. Ich möchte ihr eine Enttäuschung ersparen!« – – »Ach Unsinn, seien Sie nicht dumm, Kollege! Der Alte hat heute seinen bösen Tag. Eine zahlungsfähige Patientin hat abgesagt, und die paar tausend Mark verschmerzt der alte Harpagon nicht so leicht! Im übrigen rafft er doch nur zum besten seiner Kinder. Überlegen Sie es sich!« – – »Brr! Ich lasse Ihnen Vorhand, Heine!« – – »Ernstlich?« – – »Wort darauf!« – – »So, danke! Wundern Sie sich nicht, wenn ich meine Chancen ausnütze!« – – »Im Gegenteil, glückauf!« – –

Doktor Schulze stürmte in den Saal. Er sah rot aus, und seine Augen funkelten erregt. »Ich könnte einen Mord begehen!« – sagte er leise mit einem Blick auf die Schwestern und den Krankenwärter. – »Der Alte hat mich wieder behandelt? Infam! Und so etwas muß man ertragen!« – – Fritzsch kam mit einem Verbandkasten an. »Sie glühen ja, Schulze! Auch Du, Brutus? Wollen wir dieses Unsal einfach kalten Blutes abthun?« – – »Wir sind bereit!« – –

Pallas kam händereibend in den Saal. Er war in freudig animierter Stimmung, wie stets vor einer einträglichen und ruhmbringenden Operation. Ein Blick zeigte ihm, daß alle Vorbereitungen richtig getroffen. Die Hilfsbeamten verschwanden, um den Patienten zu holen. Der Professor wusch sich mit Sublimat. »Na, meine Herren, ich, d. h. wir, haben also am vierzehnten das Vergnügen, Sie bei uns zu sehen? Sie kommen doch hoffentlich alle vollzählig?« – –

»Mit größtem Vergnügen!« – versicherte Schulze.

»Es wird mir eine Ehre sein!« – dienerte Fritzsch.

»Ich habe Ihrer verehrten Frau Gemahlin bereits meine Zusage gesandt!« – sagte Heine. Nur Munkert verneigte sich schweigend und verbissen.

»Das ist recht, daß Sie kommen! Sehr brav!« – lobte Pallas. – »Der Russe sagt in einem Sprüchwort: Man ist erst ganz Freund, wenn man ein Pud Salz zusammen gegessen! Oder wenigstens so ähnlich! – Wir beeilen uns, es zu thun! Meine verehrten Kollegen von der Fakultät stehen in streng konventionellem Verkehr mit ihren Assistenten. Wir, meine Gattin und ich, denken anders darüber! Wir wollen Ihre Freunde werden! Daher laden wir Sie recht oft zu einem gemütlichen Essen in unser Heim! – – – – – Aha, da ist sie ja!« – – – –

Die vier Herren hatten sich vielsagend angesehen, dann aber seinen Wortschwall über sich ergehen lassen. Jetzt nahm die Operation ihre volle Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie mußten die bewundernswerte Kühnheit und Ruhe ihres Chefs bewundern und vergaßen darüber ihre Wut. –

In der folgenden Zeit herrschte in der Klinik des Professor Pallas stürmische Gewitterstimmung. Allerhand Ärger schien den berühmten Mann zu verbittern, und in Ermangelung anderer Blitzableiter, schlug es bei den Assistenten ein. Daheim, das war stadtbekannt, durfte Pallas seine Mißstimmung nie zeigen. Die höchst energische Frau Professor, eine sehr hochgeborene Dame, war »Herr im Hause«. – Und jetzt, vor dem Diner, machte sie es den Ihren nicht grade behaglich. Mit vier Dienstboten, die frisch zugezogen waren, mußte sie alles in Stand setzen. Es war ein Glück, daß wenigstens auf Huster Verlaß war. Seiner Küche und seinen Lohndienern konnte sie vertrauen. Sie waren erprobt. –

»Ich verstehe Vater nicht! Wir kommen garnicht aus den Festlichkeiten heraus!« – jammerte die würdige Dame. – »Zwei Bälle, unsere Jours fixes, das Souper während des Kongresses für die fremden Koryphäen! Zwei Diners für die Kollegen von der Fakultät und den Krankenhäusern, und jetzt noch dieses dritte für den medizinischen Nachwuchs und die Assistenten. Ich verstehe ja Vaters Politik; aber diese Pflichtabfütterungen – – – – gräßlich!«

»Aber, Mutti, wenn all die jungen Ärzte später Praxis haben, konsultieren sie aus Dankbarkeit mit Vater. Das bringt sich doch ein!« – erwiderte Olga, die älteste Tochter, die bereits mit einem Privatdocenten verlobt war. – »Felix sämtliche Freunde, zum Beispiel, wenden sich jetzt nur an ihn. Wenn ich erst verheiratet bin, lasse ich nur Ärzte bei mir verkehren. Das ist das Klügste!«

»Gewiß hast Du Recht, Olga! Aber dieses Diner war doch überflüssig!« – entgegnete Frau Pallas. Sie inspirierte ihren Gatten stets, kehrte aber später immer den Spieß um und spielte das Opferlamm. – – »Vater hat jetzt doch so besonders gute Assistenten aus so wohlhabenden Familien. Und Dora und Ilse, Lotte, Frieda – – – – – – – man kann nie wissen? Dora mag Munkert sehr gern. Er hat sich die letzten Male höchst angeregt mit ihr unterhalten!« – – Frau Professor lächelte verständnisvoll. Ihre Älteste war doch in allem ihr Ebenbild und für die Welt wie geschaffen. Die jüngere Schwester dagegen war mit ihren achtzehn Jahren noch ganz weicher Wachs. Sie mußte schon mit Olga für sie handeln. Darum hatte »sie« sich nach dem hübschen Munkert erkundigt. Sie hatte dem unglücklichen Gatten die Notwendigkeit dieses Diners eingeredet und ihn ermahnt, den jungen Assistenten schonungsvoll zu behandeln.

An diese Mahnung erinnerte sich Herr Pallas mitten in einem furchtbaren Donnerwetter, welches er auf Munkert herabbrüllte. Kreideweiß vor verhaltener Wut stand dieser vor ihm und machte ein sehr erstauntes Gesicht, als der »Alte« plötzlich abbrach und sagte: »Na, das thut nichts, junger Freund! Sie sind noch der Zuverlässigste von allen! Sie wissen ja, wie wir Sie schätzen! Übermorgen, bei einem Glase Sekt wollen wir auf gute Freundschaft anstoßen!« – Damit drehte er sich und schritt gemütlich fort. – »Sehen Sie, Kollege, das war ein deutlicher Wink. Sie sind ein Glückspilz! In Pallas Sonnenschein gedeihen die Bäume. Denken Sie an das Heupferd, den Felix! Was der für Carriere macht. Der Alte wird nach Polen berufen, schickt seinen Schwiegersohn an seiner Stelle. Dieser bringt den Starosten freundlichst um und schluckt die zehntausend Mark! Und das blüht Ihnen!« – – »Ich verzichte! Ich gehe – – – –.« – – »Gewiß ist es Ihre Pflicht zu gehen, die Cour zu schneiden, Dora noch verliebter zu machen und glücklicher Schwiegersohn zu werden!« – – »Niemals! Ich glaube, daß ich den Alten schon beim Anhalten erwürgen würde. Ich gehe nicht auf das Diner, aber am Tage danach, bitte ich um meine Entlassung! Ich hab's satt! Lieber besetze ich mich irgendwo als xter überzähliger Berliner Arzt und verhungere in meinen Schweigestunden neben dem leeren Wartezimmer!« – – »Dazu waren Sie zu vorsichtig in der Wahl Ihrer Eltern, Munkert! Wenn ich Sie wäre, machte ich es auch so! Aber – – – – –.« – – »Bemühen Sie sich um Dora, und versuchen Sie Ihr Heil, Kollege! Der Alte giebt viel auf Sie, das Gänschen kriegen Sie leicht rum, und meinen Segen haben Sie!«

Heine dachte nach. »Nicht übel!« – meinte er. – »Na also, 'ran! Jetzt werde ich dieser verfluchten Pflichtfresserei durch ein kräftiges Gegenmittel die Spitze abbrechen!« – – Munkert nahm von dem im Schreibtisch liegenden Papier, klebte eine Marke auf das schnell adressierte Couvert und sagte lachend: »Warte, alter Knicker, mein Vergnügen will ich wenigstens Deiner Klinik danken. Du giebst's ja so gern!« – – – – Er schrieb und sagte dabei die Worte laut vor sich hin: »Meine süße Mizzi! Übermorgen um fünf Uhr erwarte ich Dich an bekanntem Ort. Wenn Du artig und zärtlich bist, sollst Du einen so schönen Sonntag haben, wie noch nie in Deinem Leben! Gruß und Kuß Dein Willi.« Er verschloß den Brief und steckte ihn in die Tasche. »So, mein Teurer! Ich werde mich für Dein Diner und Deinen Sekt entschädigen. Bei Dir würde mir der Bissen im Mund stecken bleiben. Aber Mizzi wird mit mir zu Dressel soupieren gehen. Aus Rache! Die Enttäuschung Deiner niedlichen Pflanze sei Deine Strafe! Wenn Du nicht Doras Vater wärst – – – – wer weiß? Aber so – – – brr! Kollege Heine, die Bahn ist frei!« – –

Die Dinerstunde war da. Familie Pallas in künstlich erzeugter, liebenswürdiger Wirtsstimmung. Als erster Gast, zugleich mit dem Depeschenboten, trat Doktor Heine an. Die Hausfrau empfing ihn und nahm angenehm überrascht einen mächtigen Fliedertuff von ihm entgegen. »Denken Sie nur, Herr Doktor, welche ärgerliche Geschichte! Soeben schreibt oder vielmehr telegraphiert mir Ilschen, Ihre Tischdame, wegen plötzlicher Erkrankung ab!« – – »So sehr ich das bedaure, meine hochverehrte, allergnädigste Frau, bitte ich als Entschädigung um ein Plätzchen an Ihrer Seite, und ich werde es mir zur höchsten Ehre anrechnen!« – Er verneigte sich tief und begrüßte Fräulein Dora, die gerade eintrat, mit solcher feurigen Ritterlichkeit, daß sie ganz verdutzt war. –

Andere Gäste kamen. Die erzwungene, unangenehme Wartezeit vor dem Essen, welche bei Pflichtabfütterungen oft herrscht, wurde durch den steifen zurückhaltenden Ton der jungen Herren und die liebliche Herablassung der Damen des Hauses nicht schöner. Der Professor stand mit seinem Schwiegersohn in dem Herrenzimmer und simpelte Fach. Seine Gemahlin in braun Damast rauschte hinzu: »Alle sind da bis auf den Munkert. Was thun?« – – »Er wird in der Sekunde kommen!« – – »Ein liebenswürdiger Mensch mit angenehmen Formen ist Doktor Heine und ein vorzüglicher Unterhalter. Er ist drinnen der Einzige, welcher über das Warten davonhilft!« – – »So?« – fragte der Professor zerstreut. – »Reinhold, hältst Du etwas von Heine?« – sagte Frau Pallas stark. Er erwachte aus seiner Gedankenwelt und überlegte. »Heine, meinst Du, liebe Anna?! O, der ist der Gescheuteste von Allen! Der Mensch hat Zukunft!« – –

»Ein Telegramm für den Herrn Professor!« – meldete der Diener. Der Hausherr öffnete es. »Zu größtem Bedauern plötzlich am Kommen verhindert, bittet um gütige Nachsicht mit besten Empfehlungen allerseits sehr ergebenst – Munkert.« – – »So!« – rief die Wirtin. – Dann lasse ich auftragen. Wie gut, daß Ilse abgesagt hat. Nun habe ich den Heine frei. Er kann Dora führen!« – –

Heine führte Dora und hielt einen glänzenden Toast auf den Professor und seine Gattin. Er half über den steifen Dinerton mit kluger Gewandtheit fort. Munkert war vergessen! – Nach drei Wochen stand die Verlobung von Dora Pallas und Heinrich Adolf Heine in den Blättern. Auch Munkert, der nach einem riesigen Skandal am Tage nach dem Diner, plötzlich die Klinik verlassen hatte, gratulierte dem Bräutigam bei einer Begegnung auf der Straße. »Herzlichen Glückwunsch, Kollege! Sie wissen nicht, wie neidlos ich mich freue! Was macht das Fräulein Braut?« – – »Meine Dora ist ein kleiner Engel!« – glücklich und verliebt, Herr Kollege! Sehen Sie, wie das Schicksal waltet! Damals hatten wir beide uns gründlich geirrt! Wir dachten doch, daß jenes Diner Ihnen galt! Ich schwor sogar darauf, daß Dorchen sich für Sie interessierte? Es war ein grobes Mißverständnis! Das herzige Ding hat Sie, Pardon, aber der Wahrheit die Ehre, nie, nie leiden können! Und in meinem Schwiegervater haben wir uns auch getäuscht! Der Mann ist in der Klinik stets nur nervös und abgearbeitet. Zu Hause ist Vater ein Engel an Güte!« – –

»So?!« Na, mich freut Ihr reines Glück herzlich, Herr Kollege! Möge es Ihnen bewahrt bleiben! Es gönnt es Ihnen keiner so sehr wie ich! Mein Kompliment an das Fräulein Braut!« – – »Ich werde versuchen, es auszurichten aber leider sind Sie in großer Ungnade!« – meinte Heine bedächtig. –

»Ich? O wie ungerecht! Wie gut, Herr Doktor Heine, daß ich Ihren Rat nicht befolgt habe, sonst wäre ich zweifach bestraft!?« – – »Meinen Rat??« – – »Gewiß! Denn wenn ich von meiner Fahne voreilig den Namen, »Mizzi« hätte abreißen lassen – – – – – – ich bitte Sie!?« – – »Ach so! Bitte, meinen Gruß an Dame Mizzi unbekannter Weise!« – – Danke, Herr Kollege, wird sogleich bestellt! Guten Morgen!« – – »Guten Morgen, Herr Kollege!« – –

Doktor Munkert ist wegen des übermütig verabsäumten Pflichtdiners noch heute ein unverheirateter Arzt mit wenig Praxis! –

Heinrich Adolf Heine, der jeder Pflicht getreulich nachkam, ist an einer Universität in der Provinz bereits Professor und Krankenhausdirektor. In seinen Mußestunden spielt er mit seinen zwei kräftigen Bengels vergnügt Pferdchen!


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