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3. Kapitel. Unsere Wohlthätigkeit.

a) Wir essen für die Armen.

»Mein liebes Fräulein Bach! Würden Sie die Liebenswürdigkeit haben und sich morgen Nachmittag um fünf Uhr bei mir zu einem Gläschen Thee einfinden? Ihre verehrte Frau Mutter und Ihre Frau Schwestern haben mir ihr Erscheinen bereits gütigst zugesagt. Wir haben eine Beratung über mein Heim für Arme und Kranke. Sie kennen ja meine Absichten! Jetzt soll die Sache in Gang gebracht werden! Ich habe sehr große Gönner und Freundinnen für meine Pläne gewonnen. Ein anständiger Fonds ist vorhanden. Morgen wollen wir uns nun über alles Weitere besprechen. Dazu brauche ich Ihr kluges Köpfchen, Ihr flinkes Mündchen und Ihre noch flinkere Feder. Wollen Sie mir alles drei zur Verfügung stellen, kleine Range? –

Ihrer Antwort entgegensehend, zeichne ich mit allseitig besten Empfehlungen und herzlichem Gruße für Sie

Ihre Lucia von Walden.«

Lotte hatte ihrem Bräutigam den Brief vorgelesen. »Wirst Du gehen?« – fragte er. »Hast Du etwas dagegen, Liebster? Dein Ton ist nicht gerade ermutigend! Oder bist Du vielleicht auch auf die Gräfin Walden eifersüchtig?« – Feller packte sie um die Taille: »Nein, Irrwisch! Den Kreis dort kenne ich von dem letzten Bazar her. Die Leutchen sind alle viel zu fein, um Dich ordentlich zu umarmen! Was mir entschieden zu viel wäre! »Mein ist der Helm, und mir gehört er zu!« sagt die Jungfrau. Ich aber behaupte: »Mein ist die Lotte, und mir gebührt der Kuß!« – Dort aber heuchelst Du den üblichen Handkuß, und dafür hauchen Dir besonders wohlwollende Vorstandsdamen den flüchtigen Hauchkuß auf die Stirn!« – – »Na, warum brummst Du also und grinst sarkastisch?« – fragte sie und schaute lachend zu ihm auf. –

Er zog sie neben sich auf den Stuhl, welcher neben dem seinen stand. »Das will ich Dir sagen, Lotte! Weil mir diese Art Wohlthätigkeit der großen Welt verhaßt ist. Die Leute werfen sich in kostbare Toiletten oder Kostüme, tanzen, flirten, essen, trinken und amüsieren sich wie die Götter, alles unter dem Vorwand: Gutes zu thun! Pure Heuchelei! Diese Komtessen und Millionärinnen sollen 'mal im Norden und Osten durch die Hinterhäuser treppauf treppab eilen! Im einfachen Kleide, aber mit einem Korb Lebensmittel. Persönlich sollen sie das Elend sehen und lindern. Dann kommen die Gaben an die richtigen Stellen; aber nicht an die schlauen Vereinsarmen, die sich bei den Einflußreichen einzuschmeicheln wissen.« – – »Ja, Schatz, das ist alles schön gesagt und schwer gethan! Der Zweck heiligt das Mittel. Es ist jedoch eine bekannte Thatsache, daß beim Amüsement der Geldbeutel am lockersten sitzt. Denke nur an den großen Bazar bei Kroll, wo ich allein gegen vierhundert Mark abliefern konnte!« – –

»Ekelhaft war mir der Bazar, diese öffentliche Zuschaustellung der sogenannten besten Gesellschaft« – meinte er heftig. – »Wenn uns niedrige Frauen der Straße ansprechen und animieren, schreitet die Polizei ein. Ausruferinnen von Waren, Geschäftsleute, die ihr Zeug anpreisen, schilt man aufdringlich und frech. – Aber wenn auf solchen Bazaren unsere jungen Damen die Herren mit kokettem Blick und Lächeln anrufen, ihnen nachrennen, auf jede fade oder unverschämte Bemerkung irgend eines Laffen antworten, da ist es erlaubt! Ich sage Dir in allem Ernst, Lotte, auf keinen Fall darfst Du wieder auf einem öffentlichen Fest mit verkaufen oder herumrennen. Es war mir mehr als unangenehm, meine Braut, die mein Glück und mein Heiligtum ist, da als Tirolerin umherlaufen zu sehen! Wenn diese Fremden Dich ansahen, über Deine Witze lachen oder gar, ohne zu kaufen, weitergingen – – – – – – ich hätte sie niederschlagen können. Wie besudelt kamst Du mir damals vor, als ich Dir abends in den Mantel half. So blaß, so abgespannt und zerdrückt! Äch! Gar nicht meine frische, freche Range!« – – Lotte blickte ihn ernst an: »Du hast nicht unrecht, Liebster! Die erste Stunde machte mir die Sache um des edlen Zwecks willen Spaß; aber nachher ekelte mich die Bettelei auch an!« – – »Ich kenne ja Deinen gesunden Sinn, Schatz!« – sagte der Arzt. – »Also Du läßt Dich nicht wieder einfangen? Versprich es mir!« – – »Eigentlich ist das ein Eingriff in meine persönliche Freiheit, über die sich meine Borsten gen Himmel sträuben sollten! Aber uneigentlich bist Du ein so geliebter Wonnekloß, daß – – – – – – –« – – »Nun?« – – »Daß ich abwarten werde und sehen, ob es mir im gegebenen Augenblick passen wird »Auf höheren Befehl« oder »Aus eigenem Recht« zu handeln!« – – »Ach, Du Strick Du! Was hat die Walden bloß an Dir? Unter die steifen grandes mondaines paßt Du mit Deinem Berliner Schnäuzchen gar nicht! Du mußt dort doch Anstoß erregen oder gräßlich heucheln! Ich möchte 'mal Mäuschen sein!« – – »Bah, Du Affenschwanz! Du kennst mich eben nicht!« – – »Oho!« – – »Du weißt nicht, daß zwei Seelen in meiner Brust wohnen! Du, ich kann sehr ernst und sehr würdig sein!« – – »Wahrhaftig, Lotte? Warum kriege ich Dich nie von dieser Seite zu sehen?« – – »Ach, Du Schöps? Du bist doch nur ein ganz gewöhnlicher Wald- und Wiesenbräutigam! Du bist für die Wochentage. Wenn ich aber da »mang« bin, dann benehme ich mich sonntäglich! Capisko?« – – »Zu dienen, Herrin meiner Seele!« – – »So, na da geht es, allzu dumm bist Du ja eben nicht! Was man so fürs Haus gebraucht, ist vorhanden!« – – »Lotte, schäume nicht über!« – – »Doch – stolz magst Du Deinen Spanier sehen, wenn auch der Becher schäumend über – – – pantscht. Also vernimm, Wilhelm Feller, glücklicher Besitzer der süßesten – – – – – Range! Morgen Abend um neun Uhr werde ich zu Euch kommen. Direkt von der Gräfin aus, weil sie Euch so nah wohnt! Da werde ich unserem Schwiegermütterlein Etepetetchen und Dir den Verlauf der Konferenz zum Besten geben!« – – »Ja, Schatz, das ist eine treffliche Idee. Da höre ich den Verlauf, und Mama hat auch etwas von Dir! Wir werden mit dem Abendbrot warten. Was befiehlst Du auf dem »Tischlein deck dich« vorzufinden?« – – »Das überlaß ich Deinem Taktgefühl!« – erwiderte Lotte. »Aber ich mache Dich darauf aufmerksam, daß alle Damen der großen Welt meist sehr schlank sind!« – – »Wieso?« – – »Weil die Feinheit bekömmlich; aber nicht nahrhaft ist, Schöps! Je vornehmer das Haus, um so auserlesener und kleiner die Petits Fours, die schwedischen Brötchen. Bei den Diners zwanzig Gänge; aber winzige Ratiönchen, und nachher als Beweis der höchsten Wohlgelungenheit – – – – – tüchtigen Hunger!« – – »Verstanden! Also Emilie soll für nahrhafte Kost sorgen!« – entgegnete er lachend und wurde zärtlich. –

Am nächsten Abend stand Willi im Erker. Er schaute hinaus in brennender Ungeduld. Endlich fuhr eine Equipage in schlankem Trabe vor der Villa vor. Seine Braut entstieg ihr. Sie sprach noch in den Wagen hinein, drückte eine weiß bekleidete Hand und drehte sich um. Im Lichte der beiden Laternen sah er deutlich, wie sich der verbindlich lächelnde Ausdruck ihres Gesichtchens blitzschnell veränderte. Übermütig drang zwischen den roten Lippen eine tüchtige rote Zunge hindurch, die sie ihm hinter der seitlich vorgehaltenen Rechten entgegenstreckte. – Er eilte bis zum Hausthor. »Du wirst sofort in einer Droschke nach Hause fahren und Dich zu Bett legen!« – rief er ernst und heftig. Lotte erschrak. »Ich? Weshalb?« – – »Weil Du sonst wegen zu reichlicher Nahrungsaufnahme eine Magenerweiterung bekommen könntest! Ich hab' es deutlichst an Deiner Zunge gesehen!« – sagte er lachend und zog sie überströmend an sich. »Mich so anzublaffen und so zu erschrecken!« – schalt sie. – »Aber sei unbesorgt, mein alter Liebster! Weder der Thee mit Küchlein. Noch der Portwein mit Schnittchen konnten mir schaden. Im Gegenteil, mir ist hundeelend! Ich fühle eine Magenverengung, der nur Eure Emilie abhelfen kann! – – – – – Guten Abend, Muttchen!« – –

Sie traten in das Zimmer, in welchem Frau Feller ihrer harrte. Die steife, bleiche Dame umschlang die Schwiegertochter mit einem Ausdruck aufrichtiger, strahlender Zärtlichkeit. Das Glück ihres Sohnes und der frische Reiz des vielseitigen, jungen Mädchens hatte ihre Zurückhaltung endlich besiegt. – Man ging zu Tisch. Lottes Geplänkel mit Willi schallte unausgesetzt durch den Raum. Erst nach der Mahlzeit, im Salon, kam man zu einer richtigen Unterhaltung. Das Hausmädchen besorgte den Samovar. »Nee, Liese, schon wieder Thee, das können Sie nicht verlangen. Ich bin keine Russin und auch keine karrierte, englische Miß. Thun Sie mir den Gefallen, und bringen Sie dem Herrn Doktor zwei Flaschen Bier!« – – »Warum mir zwei?« – fragte dieser erstaunt. »Schweig, Liebster, es macht sich schöner! Wenn ich zarte Mädchenblüte mir eine ganze Pulle von Eurem schweren Echten bestelle, so verliere ich Etepetetchens Achtung! Lasse ich sie für Dich kommen, so ist es selbstverständlich, daß Du mir dann eine abgiebst. Ach, Menschenskinder, nach dem ewigen Theegelabber freut man sich auf einen kräftigen Schluck!« – – Die andern lachten. Das Mädchen verschwand. Zurückkehrend servierte es der Herrin den Thee, dem Brautpaar das Bier und zog sich zurück. –

»So, Kinder, ich kenne Eure Scheu vor den Dienstboten, daher schwieg ich beim Abendbrot und jetzt. Nun ist Liese verduftet, nun kann es losgehen! Bleibt sitzen und schaut her, ich mime den Beginn der Beratung!« – – Lotte erhob sich und schritt zur Thür. »Das Milieu, die wunderbare Einrichtung, kennt Ihr ja aus meinen Beschreibungen. Ein Lakai an der Thür. Zwei Diener am Theetisch. Gräfin Walden im sammetnen Teagown mit Zobel besetzt. Hinten Medicikragen, vorn Dékolté. Fünfreihige Perlenschnur mit Brillanten um den Hals. Brillantkämme im Haar und Ringe – – – uff! Also, wie ich herein kam, saßen schon eine ganze Masse Damen und Herren da. Die bekannten Kommerzienräte, Professoren der Medizin und hohen Offiziere z. D., welche unter allen solchen Veranstaltungen stehen: die Renommiernamen. – Natürlich Mama und die Schwestern und noch ein paar bescheidene Füllsel in den Ecken. Ich hoch aufgerichtet 'rin ins Vajniejen. Die Gräfin empfängt mich herzlichst von ihrem Stuhl aus. Sie bleibt sitzen und grinst nur holdselig so: (Sie imitierte es so drollig, daß selbst Frau Feller lachte.) – – – – Dies ist die erste Nuance für uns gewöhnliche Pinscher, die nur bürgerlich und nicht Millionäre sind! – – – – – –

Die zweite Kategorie ist Adel ohne Million oder Million ohne Adel. Bei dieser erhebt sich die entzückende Frau und macht einen Schritt mit ausgestreckter Hand. Ungefähr so: Seht her, etwas mehr Neigung des Oberkörpers, vertieftes Lächeln! – – – – – – – – Bei der dritten und vornehmsten Gruppe: nämlich tadellosem, lang ererbtem Adel mit unverfälschtem Voll- und Blaublut, reich oder nicht reich, gleichviel! Paßt auf! Der Lakai ruft: »Ihre Durchlaucht die Prinzessin X. X.« oder »Ihre Erlaucht, die Frau Gräfin P. P.« oder nur »Die Gräfin Z. Z.!« – – – – – –

Unsere Wirtin schnellt wie von der Tarantel gestochen empor, eilt mit vorgestrecktem Arm der Eintretenden entgegen. Ganz Lächeln, ganz die überströmende Gastlichkeit. Meist erfolgt dann an der Thür schon eine Umarmung. »Ach, meine herzige Tobarowsky, wie lieb!« – – »Durchlaucht, welche hohe Ehre!« – – »O beste Gräfin, endlich!« Dann führt sie die Neugekommenen immer zu irgend einem Plätzchen. Nur der Eintretende wird vorgestellt, die andern verneigen sich stumm. Bekannte begrüßen sich. Mit der raffiniertesten Grazie und Diskretion weiß Lucia von Walden ihre Gäste zu setzen und zu gruppieren. Mit rührender Selbstverständlichkeit hockt der Hochadel exklusiv beisammen, plaudernd, als ob sie allein vorhanden wären. Bescheidener flüstert die Mittelgruppe mit den Renommierunterzeichnern. Zuwartend, nur lieblich lächelnd, sitzen schweigend in seltener Demut einige Brillantenfeen und der Füllsel da. Gehoben, weil er mit der Crême de la Crême zusammen in einem Salon sein darf! – – – – – – – – Uff, Du Willi, mein Puffschnuteken, gieß mir ein Schluckchen Bier ein! Ich verdurste!«

Er that es und holte sich seinen Lohn dafür. Dann führte Lotte mit unbeschreiblicher Drastik vor, wie die Damen und Herren den Thee schlürfen und das Gebäck knabbern. »Lottchen, Du bist eine gefährliche Person! Mit Deiner Beobachtungsgabe, Deinem Schauspieltalent und Deiner Satire kann man sich freuen, wenn man ungerupft bleibt!« – – »Ach nee, Etepetetchen, so schlimm ist es nicht! Sieh mal, ich mach' mich ja nur in aller Harmlosigkeit ein bischen lustig! Du weißt ja, daß ich im Grunde die größte Menschenfreundin bin!« – – »Gewiß, Liebling, wenn Du nur scharf und satirisch wärst, so hätte ich Dich nicht ausstehen können! Weil aber bei Dir immer der Sonnenschein des Herzens, des wahren Humors durchleuchtet, darum habe ich Dich so unsinnig lieb, Du Unhold! – Aber nun weiter im Text!« – rief der verliebte Bräutigam und setzte sich, neben die Mutter, ihre Hand ergreifend und streichelnd. –

»Also! O weh, mein Aufsatzlehrer wäre entsetzt, wenn er hörte, daß ich alle Reden mit diesem Wort beginne. Aber nichtsdestotrotziger! Also die Diener nehmen die Tassen und Teller fort und verschwinden lautlos. Die Gräfin reicht Zoë von Wegner und mir die Protokollhefte und die Federn. Wie immer begeben wir uns an unsere Tische, auf denen schon die elektrischen Lampen brennen. Die Durchlaucht und unsere Wirtin setzen sich auf das Ecksofa, vor sich ein Tischchen. Sie sitzen isoliert und übersehen den Saal. Die Gräfin läutet eine Glocke. Es wird bummsstill. – Sie giebt ein kurzes Referat über ihr Unternehmen, das ja wirklich höchst segensreich ist! Darauf nennt sie die vorhandenen Summen, die Geber der Grundstücke, und ausstehend die Namen der allerhöchsten Herrschaften, welche die Protektion übernehmen wollen. Alle erheben sich einen Moment. – Nun bittet sie um Vorschläge für ein Fest, das dem Fonds auf einen Schlag eine beträchtliche Summe zuführen könne! – – Ganz parlamentarisch wird einzelnen Rednern und Rednerinnen das Wort erteilt.

Herr Kommerzienrat stimmt für ein Koloniefest mit Bazar und Ball. – – – – – Herr Direktor für einen Marineball in Kostüm. Herr Medizinalrat für einen Markt in Kiautschou. Graf Steifleinen behauptet, diese Kretiundpletisachen wären längst überwunden und ihm durch ihre Gemischtheit entsetzlich. Gräfin Himmelfahrtsnase plaidiert für ein Matinee mit Aufführungen. – Dafür finden sich viele Stimmen, denn jede Familie hat talentierte Kinder, welche gern öffentlich, unter dem Schutz der Wohlthätigkeit, ihre Künste zeigen. Ferner schaffen die vielen Proben Gelegenheit zum Anbandeln, Verloben, Heiraten. – Eine große Debatte findet statt. – Ein Kostenanschlag! – Die Sache ist erledigt, weil die Kosten zu groß werden! – Immer neue Vorschläge. Keiner gefällt. Die Gräfin Walden erstarrt langsam in der Wut, daß ihre Konferenz so gar keine Erfolge zeitigt. Schließlich erhebt sich die Durchlaucht. Atemlose Stille! – –

Sie beweihräuchert die Hausfrau als geistvollste, liebenswürdigste, schönste Volksbeglückerin. Danach bittet sie diese, doch selbst Vorschläge zu machen! Allgemeiner Jubel. Frau von Walden taut auf. Aber – fährt die Prinzessin fort – sie erlaube sich die dringende Bitte auszusprechen, daß die edle Vorsitzende von den Festen für Jedermann absehen möchte. Lieber mehr, lieber zu viel fordern! Nur die Veranstaltung exklusiv lassen, denn – – – – –! Unsere Gräfin schnellt elastisch empor. Sie spricht frisch und froh für ein Souper im Prinzenhaus. Nur für die erste Gesellschaft, nicht mehr als fünfhundert Karten dürfen verteilt werden. Eine Tombola und einige gestiftete Buden von und für »unser junges Völkchen«. Danach für dieses ein Tänzchen. Zwischen den Tafelfreuden einige Ohrenschmäuse bezahlter Künstler. Violà tout! Das koste nicht viel, brächte aber durch den Wetteifer edler Menschenfreunde viel ein! Und man sei doch unter sich! –« – – »Und der Vorschlag ging durch?« – – »Einstimmig, man juchte man so und katzenbuckelte vor dem Genie, welches etwas so Unerhörtes erdacht. Noch kleine Nebendinge werden zur Tagesordnung erledigt. Einzelne Kommissionen ernannt. Ich habe den vorläufigen Kostenanschlag kopiert und werde ihn Euch vorlesen! Die Hauptsache ist: Wir essen sehr, sehr gut für unsere Armen! Wir amüsieren uns – – – eben unter uns, fern von dem Elend – – – als Menschenfreunde!« – – Lotte kramte ein Zettelchen hervor und entzifferte es sorgsam: »Also hört, Wonneklöpse! Die Logik imponiert mir, weil auf diese Weise nicht nur die Armen etwas haben! Die Logik der grande dame setzt die Gärtner, Schneider, Köche, Bedienten, Elektrizitätsgesellschaften, Kutscher, Handschuhmacher, Juweliere und alle Lieferanten in Bewegung. Das Geld rollt feste! Und da quatschen die Sozialdemokraten von dem Unheil des Kapitals! So ein Nonsens! Überlegt nur, wieviel Segen solch' ein Fest bringt, wieviel Verdienst! Ist das nicht segensreicher, als wenn es lauter Gleichbemittelte gäbe?« – – »Lotte, politisier nicht! Wir wollen Deine Aufstellung hören; da wir heute wenigstens noch ein bischen von Liebe reden wollen!« – rief der Bräutigam ungeduldig. –

»Na bon! Also das Billet kostet dreißig Mark. Fünfhundert werden untergebracht, gleich fünfzehntausend Mark. Die Tombola bringt, nach dem Durchschnitt der letzten Feste gerechnet: siebentausend Mark. Die von dem Vorstande gestifteten Buden cirka zehntausend Mark. Das sind im ganzen zweiunddreißigtausend Mark! Nicht wahr, es wäre großartig, wenn man die für das Asyl glatt nehmen könnte? – – – Nun aber gehen davon ab: Fünfhundert Couverts mit Wein für das »Prinzenhaus« zehntausend Mark. Hört, hört! Dafür hat man anständiges Essen und Trinken, Saal und Beleuchtung frei! Anständig muß man doch selbst für die kranken Armen essen? Nicht wahr? Weniger thäte es nicht! –

Für die Kapelle hundertundfünfzig Mark. Für fünf Primakünstler mit Primaleistungen, während der Tafel, mit gestellten Wagen und Blumen cirka dreitausend Mark. Für kleine Blumenspenden, den Aufbau der Bühne, Buden und sonstige Scherze bei Hoppenworth noch ungefähr zweitausend Mark. Trinkgeld für den Oberkellner zum Verteilen, pro Kopf 1½ Mark geschätzt, giebt siebenhundertfünfzig Mark. Also belaufen sich die Kosten auf fünfzehntausend neunhundert, rund sechzehntausend Mark. Das ist netto die Hälfte! Also bleibt für das Heim der Gräfin noch die immerhin annehmbare Summe von sechzehntausend Mark als Reingewinn!

Nun die Kehrseite der Medaille! Rechnet aus, was jeden einzelnen noch das Fest kostet an Bekleidung, Schenkungen etc. Schlagt das drauf! So!!! – – – – – Wäre es da nicht besser, man ließe das Fest im Prinzenhaus fallen? Und jeder gäbe das, was es ihn dort gekostet hätte, für das Heim? Kämen da nicht vielleicht gleich fünfzigtausend Mark für den Fond zusammen? O, gute Leutchen! Welche Logik, wir amüsieren uns und essen für die Armen!« – –

Lotte lachte bitter. »Ich bin des trockenen Tons nun satt!« – rief Willi – »Thu mir den Gefallen, und löse die soziale Frage erst nach der Brautzeit«! – – –

»Ach, Du hast für gar nichts mehr Interesse, nicht wahr, Muttchen? Das ewige Geküsse! Äx!« – – »Du, nimm das Äx zurück oder ich gehe mit Dir nicht auf das Waldensche Fest!« – – »Sollst Du auch gar nicht! Wir geben die sechzig Mark lieber in die Kasse direkt!« – – »I bewahre, Lotte! Wir beide ändern die Gesellschaft mit unserer Logik nicht. Und dann sind wir doch keine Sozialdemokraten! Wir beide gehen; wenn Du mir jetzt zwei feste Küsse giebst, unbedingt ins Prinzenhaus und essen für die Armen! Verstanden, Range?« – – – –

* * *

b) Wir spielen und tanzen für die Armen!

Komtesse Cilly und Baronesse Lilly standen in ihrer Garderobe. Sie spielten in einem Körnerschen Lustspiel die Hauptrollen. Die Theaterfriseurin und Lillys Zofe hatten die reizenden Mädchen angezogen. Jetzt waren sie allein und benutzten die gute Gelegenheit, ordentlich Umschau zu halten. Schon bei den Proben waren sie mit ihren Freunden und Partnern überall herumgeführt worden. Die Bühne, der Schnürboden, der Maschinenraum, die Requisitenkammern, alles war ihnen gezeigt worden. – Nun lernten sie doch die bunte, geheimnisvolle Welt einmal kennen, welche sie sonst nur vom Theatersaal, vor dem Souffleurkasten, betrachtet. Dies Land, das Gebiet soviel heimlich verschlungener Romane, war ihnen eine Terra incognita. Und die Luft, welche hier wehte, übte auf die jungen Aristokratinnen einen zauberhaften Reiz aus. Nachdem sie sich lachend im Spiegel beschaut und gegenseitig bewundert hatten, setzten sie sich vorsichtig nieder, um die Kostüme nicht zu drücken. – Es war noch früh, denn zuerst wurde vor dem bis zum letzten Platze ausverkauften Hause der musikalische Teil des Programms erledigt. Auf dem Tische standen zwei Kelche mit Sekt, ein Teller mit Kaviar- und Lachsbrötchen und ein Korb Konfekt. Das hatte ihnen der Vorstand zur Stärkung geschickt. Daneben lagen eine Anzahl Blumensträuße, auch von den Leitern der Wohlthätigkeitsmatinee und von Verehrern. – Vorsichtig, der Schminke wegen, genossen die jungen Mädchen die Erfrischung.

»Du, Cilly, hast Du Angst? Kannst Du Deine Rolle noch?« – – »Gewiß! Angst habe ich gar nicht. Unsere Kreise wissen, daß wir keine Berufsschauspielerinnen sind. Und bei den übrigen, pah! Der gute Zweck und unsere Namen genügen. Ich kümmere mich wenig darum, ob ich Hinz und Kunz gefalle! Beifall haben wir ja doch! Denke nur, wie entsetzlich Hildegard und Zoë das vorige Mal spielten? Und wie hat man gejubelt!« – – »Hoffentlich blamieren wir uns nicht, es wäre mir vor den Hoheiten gräßlich! – – – Du, Cilly, chérie, findest Du es hier in der Garderobe, hinter der Scene, himmlisch oder nicht?« – – »Ich denke, wie Dagobert, man encanailliert ein wenig! Denke doch an den Roman, den ich Dir neulich schickte. Diese Räume sind ja gewöhnlich die wahren Lasterhöhlen. Ich möchte wohl wissen, was sich hier so allabendlich abspielt? Du auch, Lilly?« – – »Gewiß!« – rief diese mit funkelnden Augen. – »Hier ist ja der Ankleideraum von der berühmten Tina!« – – »Eigentlich ist es doch enorm liebenswürdig von uns, daß wir uns dazu hergeben, hier öffentlich geschminkt aufzutreten. Papa war sehr ungehalten!« – – »Nein, der meine nicht! Wir sind durch unsere etwas exponierte Stellung schon daran gewöhnt. Papa ist stets im Vorstand, da müssen wir immer mitwirken. Clarisse hat Ehrfried bei dem Bazarfestspiel für die Überschwemmten kennen gelernt! Hansjörg hat sich bei der Soiree im Opernhause Barbara erklärt. So zwanglos kommt man doch auf dem Parkett nie zusammen!« – – »Ich bin überzeugt, Lilly, daß Graf Jörger sich Dir auch heute noch erklären wird! Sein Benehmen bei den Proben und das charmante Bouquet deuten doch darauf hin! Würdest Du Dich freuen?« – – » Sans doute!« – erwiderte die Gefragte errötend. – »Mama glaubt es auch. Dazu sind diese Feste herrlich. Schau, bei Excellenz hat er mich doch nur zweimal, bei Hof nur einmal gesehen. Jetzt waren wir wochenlang so viel beieinander, da findet man sich. Dagobert wird auch nicht mehr lange zögern. Dein Wohl, sweatheart, auf baldige Nachfolge!«

Das junge Mädchen hob graziös das Sektglas, grüßte die Freundin damit und nippte daran. Lilly that das Gleiche. »Schade, daß wir nicht ein paar Cigaretten hier haben. Soviel Süßes ist unangenehm!« – – »Cilly, weißt Du, was mich besonders freut?« – – »Bitte?« – – »Daß wir nachher bei Excellenz zum Diner geladen sind. Erstens wird man uns sicher Dagobert und Jörger zu Tischherren geben. »Sie« ist darin eine geschickte Diplomatin! Zweitens tanzen wir doch sicherlich noch einige Stunden. Und der lauschige Wintergarten grenzt an den Saal!« – – »Oh, wie schön! Das heißt, Mama perhorresciert es, wenn ich mich mit einem Herrn isoliere!« – – »Aber bei einer solchen Gelegenheit? Jamais! Komme nur mit ihm zum Vorschein und gestehe ihr, daß er am nächsten Tage in Galauniform oder Frack, Claque, Lack bei Deinem Herrn Papa antritt, so versöhnt sich Deine verehrte Mama sofort mit Dir! Ich kenne das von uns aus. Sei nur diplomatisch!« – –

Es klopfte an die Thür. Die Freundinnen sprangen auf: »Herein!« – Zwei Vorstandsdamen und einer der Herren traten ein. »Es muß bald so weit sein. Der Attaché geigt bereits. Sind Sie ängstlich, Komtesse, Sie scheinen etwas erregt?« – – »Oh nein, gnädigste Gräfin!« – – »Dann können wir Cillychen noch einmal die Garderobiere senden. Sie muß dem lieben Kinde noch etwas Rot auflegen. Sonst wirken Sie zu blaß, Liebling!« – – »Wie Sie denken, Excellenz!« – Cilly verneigte sich tief. – – »Und Sie, Baronesse, vergessen Sie nicht! Recht laut sprechen, recht laut! Sonst trägt Ihr süßes Stimmchen nicht! Das Haus ist groß!« – – »Ich werde mich bemühen, Excellenz!« – –

»Ich muß Sie, meine Gnädigsten, bitten, sich dann beim Klingelzeichen auf die Bühne zu begeben. Der Regisseur wird Ihnen dort die nötigen Winke geben. Nur keine Angst! Auf der Generalprobe ging es so vortrefflich, als hätten Sie stets auf den weltbedeutenden Brettern gestanden! Mut, Mut! Sie dienen einem so edlen Zweck! Ihre Charaktergröße und Hingabe zur Sache kann nur belohnt werden. Das Komitee wird Ihnen Ihre Opferwilligkeit nicht vergessen! Mut, meine Damen, Mut und Ruhe!« – fügte der Herr hinzu und zog sich mit den älteren Damen zurück. –

»Ich bin so ruhig! Ich freue mich sogar aus das Spiel! Das Proben war viel langweiliger!« – – »Fraglos, im übrigen quand même! – – – – Die Garderobiere kam noch einmal und verstärkte das Rot auf Cillys anmutigem Gesichtchen. Dann verließen sie die Garderobe. In den Couloirs, im Konversationszimmer wogte eine animierte Gesellschaft auf und ab. Die Dilettanten und Künstler, welche bereits ihr Pensum erledigt hatten, schwatzten heiter und erleichtert. Die anderen waren erregt. Die Freundinnen wurden begrüßt und bewundert. Dann kam das Lampenfieber!

Sie spielten schlecht und recht wie verängstigte, kleine Aristokratinnen. Was that es? Der Beifall war laut und gutmütig. Und später dinierten, tanzten und verlobten sie sich! Alles für oder durch den wohltätigen Zweck!

* * *

c) Für die Kegelwitwen.

Der Kegelklub: »Mannesmuskel« hatte zwanzig Mitglieder, darunter fünf verheiratete. Früher unter der Leitung des Schriftsetzers Fietschker hatte er eine ausgesprochene konservative, königstreue Tendenz. Jetzt hatte sich Hugo Pullwig das Präsidium angeeignet. Er war Vertrauensmann der sozialdemokratischen Partei und hatte, wie sein Klub sagte: »einen janz kiebijen Sprechanismus.« – So wahrte er sich denn klug seine Oberherrschaft und siehe da! Ganz allmählich färbten seine Ideen ab. Der Klub bekam eine bedenklich rote Tendenz. – Neuerdings kam Pullwig mit einem neuen Vorschlag, für den er sich mächtig ins Zeug legte. Der Verein sollte eine Kasse gründen, um für seine eventuellen Witwen mannhaft eintreten zu können. Pullwigs Plan fand viel Gegner und Widerspruch. Aber er ließ nicht nach. Jede neue Zusammenkunft der »Mannesmuskel« benutzte er für seine Zwecke. Mit flammender Begeisterung malte er die entsetzliche Lage armer Witwen und Waisen aus. Er rief die Freunde bei ihrer Ehre und Mannhaftigkeit an. Er mahnte sie, wie in seiner Partei, solidarisch für einander, für Weib und Kind einzustehen! – – Alle lauschten gerührt. Alle waren hingerissen. Selbst Fietschker wagte nur eine kleine Einwendung. »Du, Fietschker, bist der Rechte!« – brüllte Pullwig – »Du schweij Dir man in alle Tonarten aus, dastanden? Du stehst ja auf die Seite von de Jeldprotzen, von de notleidende Landwirtschaft. Deine Ajrajier sind jrade die, welche was jeben! Püh! Die trinken Champagner und lassen Euch verhungern! Sterb' Du 'mal! Es kann passieren! Wer weiß? Du kriegst leicht 'n roten Kopp! Das is Blutandrang, und wenn der 'mal doll kommt, denn ist son Schlaganfall fertig, man weiß nich wie! Dann lieg' Du 'mal da: tot oder jelähmt, Du! Ob denn Deine vornehme Partei was for Dir und Deine Emma thut oder for Deinen Justav, he? Die Junker lassen Dir simplemeng krepieren wie ein' Hund!« – –

»Wat thut denn Deine sozialdemokratische Pattei, Hujo? Die sorcht woll for all de Witwen, wat? – – Komisch, des es noch so ville Unjlück in de Welt jiebt, wo Ihr doch da sein thut!« – höhnte Fietschker. Aber der Präside war heute klug wie der feinste Diplomat. »Sei jut, Paule! Hier handelt es sich nich um Polletik oder Partei! Hier jeht's um de reine Menschlichkeit. Jeh 'mal bei Deinen Hofprediger und erkundje Dir! Wir Kegelbrüder von de »Mannesmuskel« wollen einen idealen Jleichheitsstaat im Staate machen. Auf uns soll man zeijen un sagen: Des sind brave Deutsche, die foreinander einstehen! Die sorgen for ihre Familien aus Freundestreue! Seht Ihr, so soll es sein! Un nich anners! Und keine heimliche Ideen. Wir wollen sammeln und einen Fond jründen. Des Vaeinskapital lejen wa in ein Sparkassenbuch. Und stirbt denn Männe Heinerich oder sonst einer aus unse Mitte, dann is für sein Weib und seine olle Mutta oder für sein Kind jesorgt. Wir stehen ihr aus den Fond bei. Seht Ihr, so meine ich dat! Un damit Ihr seht, daß ich es ernst meine, schmeiße ich zur Eröffnung der Sammlung für unse Kejelwittfrauen drei March in diesen Hut! Und wer nich zulejt oder sich noch sträubt, den erkläre ick, Hujo Pullwig, für einen hundsjemeinen Schuft! Vastand'n?« – –

Es wurde still, alle Sorten Geldstücke flogen in den hingehaltenen Filzhut. Schweigend trank man seine Weiße, während der Präside herumging und sammelte. Dann setzte er sich, legte den Hut auf den Tisch, holte ein Notizbuch heraus und leckte den Bleistift. »Sind alle zwanzig Brüder da?« – – »Nee, Kampfer und Fleischmann fehlen!« – – »So, also haben achtzehn Mitjlieder zur Witwenkasse« – er zählte die Summe in sein rotes Taschentuch – siebenundzwanzig Mark, achteinhalben Groschen jespendet. Des is for den Anfang durchaus nicht schlecht! Die kommen morjen früh auf de Sparkasse. Des besorjt Ihr, Stallkert und Fiede, Ihr seid Kassenwarte! – – – – – – – Nu noch eine Frage an anständige Menschen!« – Pullwig räusperte sich stark. – »Seid Ihr bereit, jedes Mal ein Viertel von unse Jewinne hinzuzulejen? Ick bin dabei!« – –

Ein großer Kampf für und wider erhob sich. Besonders die Unverheirateten aus der »Mannesmuskel« waren wütend. Sie sollten sich in ihrer Vergnügungskasse beschneiden lassen; warum eigentlich? Weil sie später einmal heiraten konnten und früh sterben? Wer garantierte ihnen, daß sie nicht vor ihren zukünftigen Gattinnen sterben? – – Der Streit wurde sehr heftig. – Erbittert sprang Pullwig endlich mitten auf den Tisch. Er brüllte mit Stentorstimme solange »Ruhe«, bis wirklich Stille eintrat. Dann nahm er von neuem das Wort. Kein ergrauter Parlamentarier konnte seine Sache besser verfechten als dieser Mann. Er setzte auch diesen Wunsch durch. –

»Damit alleine is es nich jethan!« fuhr er fort. – »Ordentlich Putput, eine nette Summe auf einmal muß in den Witwenfond fließen. Dazu is aber ein richtiger Festrummel die beste Jelejenheit. Wir laden alle Bekannte zu ein echtes Wohlthätigkeitsfest in de »Mannesmuskel« ein. Das letzte Mal war'n wa dreihundert. Diesmal könn' wa es och auf vierhundert bringen. Wa annoncieren in de Morjenzeitung, den Lokalanzeijer und in de Morjenpost. Denn schicken wa Einladungen an alle befreundeten Vaeine, besonders an den Athletenklub und den Jesangsvaein. Die haben de meisten Mitjlieder. Unse Frauen, Vawandten, unse Brautens, alle müssen kommen und tüchtig wat springen lassen for unse Witwen. Den Leuten sollen nachher die Augen überjehen! Aber uns och, vor Wonne nämlich!« – –

Der nächste Kegelabend wurde einer erneuten Beratung gewidmet. Dann trat die erprobte Vergnügungskommission zusammen. Das Resultat derselben brachte Herr Hugo Pullwig dem Herrn Doktor Feller in Gestalt zweier bedruckter Pappkarten in die Sprechstunde. Er führte ihm nämlich seine älteste Tochter zu einer Untersuchung hin und erlaubte sich dabei folgende Rede: »Hochverehrter Herr Doktor! Als Trudchen, was meine Jüngste war, damals an Zahnkrämpfen verschied, haben Sie eine so jütige und erfolgreiche Beihilfe am Tode meines Kindes jeleistet, daß meine Frau und ich es den Herrn Doktor nie versessen werden! Nie – nich, nie! Wir haben lange nachjedacht, wie wir den Herrn Doktor das verjelten könnten! Und da meint meine Frau, der Herr Doktor sein doch verlobt. Ein junges Pärchen tanzt aber jerne und amesiert sich ein bischen. Nich wa? – – Nun jiebt der Kegelklub »Mannesmuskel«, dessen Vorsitzender ich bin, am nächsten Sonntag ein jroßes Fest: Tanzerei, Kaffeepause und Vorstellungen, aber chike! Wir werden uns jroße Mühe jeben und jlauben, deß es sehr schön wird. Sehr viele Vaeine haben ihre Mitwirkung zujesagt. Auch große Schauspieler von de Theater. Wenn nun Herr Doktor und sein Fräulein Braut uns die Freude machen wollten und als unse Jäste mit an de Ehrentafel kommen, so würden wa uns sehr jeschmeichelt fühlen!« Pullwig brachte dies sehr bescheiden und schüchtern heraus. Er liebte den schönen, großen Herrn, der immer so freundlich und dabei doch ein so guter Arzt war. Gar nicht wie sonst »Söhne aus alleinigen Villen von Jroßkapital«. Herr Doktor war eine Ausnahme! –

Willi sah auf die Karte nieder. »Das wäre etwas für Lotte! Ob ich ihr diese Freude mache und mit ihr eine Stunde hingehe?« – Er malte sich ihre Wonne aus und sagte deshalb: »Ihre Einladung, mein lieber Herr Pullwig, ehrt mich außerordentlich. Jedenfalls werde ich noch heute mit meiner Braut Rücksprache nehmen. Wir sind sehr viel eingeladen, und offen gesagt, ich weiß nicht, ob wir an dem Tage noch frei sind! Sie sollen noch heute Bescheid haben. Jedenfalls danke ich Ihnen sehr für Ihre freundliche Aufforderung!« – –

»Herr Doktor brauchen nichts zu befürchten. Wir wissen, was sich gehört! Und es kommen sehr feine Leute, sogar Hausbesitzer auf unser Fest!« – – »Aber davon bin ich überzeugt, ich kenne Sie und Ihre wackere Frau, Herr Pullwig! – sagte Feller begütigend. – Übrigens sehe ich ja, daß von einem Wohlthätigkeitsfest die Rede ist, lieber Freund! Welchen Zweck haben Sie im Auge?« – – »Für unsere Witwen zu sorgen. Aber von Ihn', Herr Doktor, würden wir nichts nehmen! Es macht uns eine Freude!« – – »Daran zweifle ich keinen Augenblick, Herr Pullwig; jedoch ist es nicht schicklich, sich für ein Wohlthätigkeitsfest Billete schenken zu lassen! Nicht wahr? Ich nehme also in diesem Fall diese beiden Eintrittskarten dankend an. Dafür müssen Sie meiner lieben Braut gestatten, daß sie dieses Zwanzigmarkstück dem Verein für seinen edlen Zweck überreicht. Ich bitte!« – – Pullwig wehrte sich. »Aber, Herr Doktor, nein, der Eintritt kostet nur eine Mark, und Sie wollen – – –« – – »Bitte, sprechen wir nicht mehr davon! Heute noch gebe ich Ihnen Bescheid! – Linchen gurgelt mit Alaun und wird in der Nacht gründlich schwitzen. Morgen bleibt sie noch daheim; aber übermorgen kann sie ruhig wieder in die Schule. Lassen Sie das Kind zur Vorsicht weiter gurgeln und warm ankleiden. Es hat gar nichts auf sich. Sollte Ihre Frau keine Besserung sehen, so lassen Sie mich bitte rufen! Adieu, Linchen; adieu, Herr Pullwig!« – –

Dem entschiedenen Tone des jungen Doktors gegenüber, wagte der sonst so dreiste Mann keinen Einwand. Er verneigte sich stumm und zog sich mit seiner Tochter auf Fußspitzen zurück. Willi fertigte noch zwei weitere Patienten ab. Dann machte er seine Notizen und zog sich um. Seine Braut erwartete ihn bei Seffmanns. Sie wollten alle zusammen in ein Theater gehen. Noch im letzten Augenblick ergriff er die beiden Eintrittskarten und steckte sie in seine Westentasche. Ungeduldig nahm er sich eine Droschke und fuhr die kurze Strecke. Seine Verliebtheit in sein keckes Bräutchen nahm von Tag zu Tag zu! Es war ein Wunder, wozu sie ihn alles brachte! Früher wäre ihm der Gedanke an ein Fest unter diesen Kleinbürgern schon unangenehm gewesen. Er war nun einmal der Sohn seiner Mutter, der in stillster, vornehmster Abgeschlossenheit, nur unter weiblichem Einfluß groß geworden. Heute, durch seine Lotte verändert, sträubte er sich nicht gegen diese Menschen. Sie war ein modernes Mädchen ohne Prüderie, ohne Angst! Jeder Mensch war ihr lieb und des Beachtens wert. In jedem entdeckte sie irgend etwas Interessantes, sei es nach der guten oder nach der schlechten Seite. Ihre eigene Herkunft, ihre ansehnliche Bildung galten ihr nichts, waren ihr nie ein Hindernis, weder nach oben noch nach unten. Mit jedem traf sie den richtigen Ton! – Er lernte von ihr. Als Arzt war ihm seine Art eher hinderlich. Er war für die gesamte kranke Menschheit da, nicht nur für die vornehme Welt. Durch Lottes praktischen Verstand wurde er umerzogen, nicht zum Schaden seiner jungen Praxis.

Dies alles überlegte er unterwegs und kam in einer solchen Aufwallung von Liebe zu seiner Braut, daß diese überrascht war. »Habe ich irgend etwas verbrochen oder hast Du irgend etwas ausgefressen?« – fragte sie sinnend. »Weil ich zärtlich bin?! Komische Person! Ich habe mich nach Dir gebangt!« – sagte er fast ärgerlich. – – »Du verwöhnst sie zu sehr! Laß sie einmal laufen, dann wird sie schon kirre werden! Folge mir, Willi!« – riet Frau Grete Seffmann freundschaftlich. »Gewiß, Doktor, immer den Brotkorb höher hängen!« – meinte ihr Gatte. Lotte drohte ihnen mit der Faust. »Auch noch! Schämt Euch, anstatt daß Ihr die Partei des Schwächeren nehmt, hetzt Ihr noch!« – – »Du bist die Richtige! Du und schwach!« – – »Doch, es ist gar nicht so lächerlich! Wenn ich einen Menschen so unsinnig lieb habe wie den Willi, dann bin ich wie Wachs!« – rief die Braut und schmiegte sich innig an ihn. Er umschlang sie. »Du, Range, wir sind zum Sonntag bei einem Patienten eingeladen. D. h. erst in acht Tagen! Haben wir da schon was vor?« – – Lotte überlegte gar nicht erst, sondern stieß selig hervor: »Bei einem Patienten? Himmlisch! Seht Ihr, so beliebt ist er bei seinen Kranken! Selbstverständlich gehen wir! Man muß die Praxis poussieren! Wir sollten zu Neuwalds kommen; aber da können wir jederzeit hin! Die laufen nicht fort! Im übrigen bin ich sowieso fuchtig auf die ganze Blase. Warum haben sie Dich nicht schon längst zum Hausarzt genommen?« – – »Sei nicht so praxishungrig, Lotte!« – – »Man kann es nicht genug sein. Du unpraktischer Knopp! Also bei wem sind wir gebeten?« – – Er zog die Karten aus der Tasche und reichte sie ihr lachend. »Eine Wohlthätigkeits-Veranstaltung der unteren Zehntausend im Gegensatz zu der Geschichte der Gräfin Walden! Hast Du Lust?« – – Lotte ergriff die Karte und las sie laut vor: »Wohlthätigkeits-Ball des Kegelklubs »Mannesmuskel«. – Kaffeetafel. – Vorstellungen und Tanzkränzchen. »Ein Sommerfest in Halensee«. Eintritt: M 1. Garderobe: 10 Pf – – – – – – Und im Saale der Brauerei Salzberg? – – – – Himmlisch!« – – »Willst Du wirklich gehen?« – fragte er erstaunt. Sie tanzte vor Freude: »Na aber natürlich! Und den dicken Ernst Georgy nehmen wir mit! Denke doch, was das für ein Jux wird, und was für Studien wir machen werden! Mannesmuskel! Allein der Name ist göttlich! Ich liebe die Spießer mit ihrer Urwüchsigkeit mehr als die geleckten Parkettschleicher! Und dann, Willi, Menschenskind! Siehst Du denn nicht, wie großartig die Sache für Deine Praxis werden kann? Himmel, wenn wir uns ein bischen populär machen, kriegst Du die gesamten Muskeln zu Patienten!« – – »Mädel, wo hast Du bloß den Kaufmannskopf her?« – – »Schöps, von Mutter Berolina! Das ist kein unlauterer Wettbewerb, sondern nur die natürliche, selbstverständliche Ausnutzung ideal gegebener Verhältnisse! Denk' mal, wenn es da eine Keilerei giebt, und wir verbinden sofort!? Du, wär' das nicht pompös?« – – Ihre Augen funkelten. »Von diesen Gründen will ich meinerseits ganz absehen!« – sagte Feller. – »Aber um Deinet- und Georgys willen, bin ich bereit, mit Euch auf ein Stündchen hin zu gehen!« – – »Du, Paul, Grete! Wollt Ihr nicht mit? Solche Gelegenheit bietet sich nicht wieder, seid klug!« – – Das Ehepaar dankte in herrlichster Übereinstimmung gleichzeitig. Lotte konnte das absolut nicht verstehen. Sie brannte vor Ungeduld auf dieses Fest. Alle andern Diners und Soupers, welche in die Zwischenzeit fielen, waren ihr gleichgültig. –

An dem betreffenden Sonntag holte Willi sein Bräutchen ab. Nach vorheriger Vereinbarung trugen beide zu dem Sommerfest ihre weiß und schwarz gestreiften Tennisanzüge, helle Strohhüte und Spazierstock und weißen Sonnenschirm. Es war einer der kältesten Tage des Winters. Das junge Paar präsentierte sich lachend der Geheimrätin und Herrn Georgy, der bereits harrte. »Ihr seid alle drei total bestrampelt!« – erklärte die offenherzige Dame energisch. – »Man friert, wenn man Euch ansieht. Bei dieser Kälte diesen entsetzlichen Weg in hellen Sommersachen! Ich sehe noch, daß Ihr in eine Keilerei verwickelt und im grünen Wagen abgeholt werdet. Wo kommt die Lotte zu diesen plebejischen Neigungen?« – – »Verzeihung, Frau Miez, aber das verstehen Sie nicht! Solche Studien sind für die künftige Arztfrau genau so wichtig wie für meine Schriftstellerei!« – erklärte Georgy fest. – – »Warum sind meine andern Töchter nie auf solche Ideen gekommen?« – – »Weil sie keine Berliner Vollblutmenschen und nicht die berühmte Range waren! Ich garantiere Ihnen, morgen sind wir mit der ganzen Mannesmuskel auf Du und Du! Ich kenne doch Lotte! Die wird so populär, daß man ihr im Herzen von Berlin ein Denkmal setzen wird!« – – »Machen Sie keinen Summs, Ernst, sondern los! Uff den Klimbim freu ick mir!« – rief Lotte ungeduldig. – – »Also, Willi, bloß eine Stunde, thu mir den Gefallen! Bleibt da nur nicht zu lange!« – bat die Geheimrätin. Er winkte ihr beruhigend zu, und sie atmete auf. Auf ihn war Verlaß. Er verstand sie am besten. »Adieu, meine geliebte, alte Wonnemiez, bleib gesund! Ich verspreche Dir, nicht eher heim zu kommen, als bis ich wie unsere verflossene Emma nach ihren Ausgehsonntagen – einer Parfümflasche mit Schweiß- und Cigarrenodeur gleiche!« – – »Pfui, Lotte! Erbarm Dich, Du bist's kapabel!« – – »Na, aber feste!« – – Willi blinzelte der Schwiegermama wieder zu. Sie schwieg und sah, daß sich die Tochter recht warm einpackte, ehe sie diese entließ. –

Nach einer bitter kalten Fahrt landeten unsere drei Leutchen endlich hoch im Norden vor der Brauerei. Sie durchschritten den Vorgarten, das Restaurant und stiegen in die erste Etage hinauf. »Kiek doch die an! Die war woll mit Nansen uff'n Nordpol!« – meinte eine Frau. »Ja, ich soll Sie herzlich von dem Herrn Wallroß grüßen. Er ist Witwer und würde sich freuen, wenn er Ihre Bekanntschaft machen könnte!« – entgegnete die junge Dame postwendend. »Lotte, schweig um Himmels willen! Du kannst in Teufelsküche kommen!« – warnte Willi flüsternd. – – »Ach, laß mich, ich kenne doch meine Pappenheimer!« – entgegnete sie zappelnd. Aber andere Eintretende hatten sie bereits von der Fremden getrennt. –

»Seh doch, des scheene Fräulein hat zwee Kafaliere!« – meinte ein Jüngling und schaute Lotte scharf an. – »Natürlich, ich habe doch zwei Arme! Da muß ich für jeden einen Herrn haben!« – – »Lotte!« – – »Sei still, Etepetetensohn, ich werde mit den Leuten fertig! Sie, junger Herr, wissen Sie hier mit der Garderobe Bescheid?« – – »Na, ob nich!« – »Sie sind wohl Berliner?« – – »Natierlich!« – – »Na, das ist ja famos! Also helfen Sie uns einmal ein bisken drängeln. Wir stehen hier wie die gepökelten Häringe und können nicht vor und zurück. Meine Herren sind etwas schüchtern. Ich habe aber keine Lust, hier Eisbeine zu kriejen! Schubsen Sie 'mal zu, ich hol' Sie auch bei der Damenwahl!« –

Der stämmige Bursche lachte Lotte vertraulich an. Er ließ sich das nicht zweimal sagen. Und trotz des fabelhaften Gedränges hatte er zur Empörung der andern Wartenden die drei in wenigen Minuten bis zu den Schranken bugsiert. Alle schalten. »He, Sie! Man sachte mit de jungen Störche!« – »Wat fällt denn Ihn in, Mussjöh? Hier jeht es nach de Reihe! Se sind doch nich in 'n Volksuflauf.« – – »Ick wer' Ihn helfen, Sie oller Dämel, pufft mir der Kerl da een Hühnerooge an de Rippe!« – so schalt man durcheinander. Inzwischen legte Lotte ab. Auch ihre Begleiter thaten es. »Ich danke Ihnen schön, Herr – – – wie heißen Sie denn?« – – »Schlossergeselle Fiede, Fräuleinchen!« – – »Also, Herr Fiede! Sie sind wohl auch Vereinsmitglied.« – – »Jewiß, von de »Mannesmuskel«!« – – »Das ist herrlich! Dann gehen Sie 'mal schnell in den Saal, und rufen Sie uns Herrn Pullwig heraus. Er erwartet uns. Sagen Sie ihm man, Fellers: seine Gäste, wären da! Wollen Sie?« – – »Jewiß doch!« – – »Na, dann hoppen Sie man Beine!« – –

Fiede verschwand wieder wie der Blitz. »Seht Ihr, Ihr seid doch Kaffern! Wenn es nach Euch ginge, ständen wir noch in dem Gedränge. Ich werde schon Zug in die Sache bringen!« – rief Lotte ärgerlich. – »Sei bloß vorsichtig und provoziere nicht, Liebstes! Wir sind nur zwei zu Deinem Schutze!« – bat Willi. – »Lächerlich! Ich werde Euch schützen! Paßt bloß auf, ich werde hier Ballkönigin. Aber mit Eurer Thuerei kommt man hier nicht vom Fleck! Mitulken und immer gemütlich! Nur damit kann man den Berlinern imponieren! Ete thun, ärgert sie nur!« – – Alle blickten auf die drei, sich doch durch ein undefinierbares Etwas von den übrigen merklich abhebenden. Vom Saale schallte Orchestermusik heraus. Noch mehr Aufsehen erregte es, als plötzlich Fiede mit zwei Männern herbeistürzte, die durch lange rote Atlasschleifen auf den Schultern sich als Vorsitzende entpuppten. »Herr Pullwig wart' schon auf Ihn, Herr Doktor! Uns ist der ehrenvolle Auftrag geworden, Ihn' hinzujeleiten!« – – sagte der eine, sich verneigend. Sie nahmen die drei in die Mitte und flankierten sie rechts und links. »Himmlisch, die reine Einholung!« – raunte Lotte ihrem Freunde zu. – »Hier, Sklave, nimm meine Toga, mein Peplon und das Scepter!« – Damit packte sie ihm ein Helles Tuch, einen Pompadour und ihren Schirm auf, um besser an Willis Arm gehen zu können. – Die Umstehenden bildeten Spalier, als die fünf davonschritten. An dem Eingang zum Saal harrte bereits der Klubvorstand mit der gelben Vereinsfahne. »Tusch, sie kommen!« – schrie Pullwig begeistert und dienerte ununterbrochen. Die Musik spielte den bestellten Tusch, und unter Voranzug von Fahne und Vorstand zogen sie zur Ehrentafel. – – »Höchst peinlich!« – flüsterte Willi, dem dieser Auftritt in tiefster Seele verhaßt war. Auch Georgy war das allgemeine Anstarren unangenehm. Nur Lotte schwamm in Wonne. Daß ihr Bräutigam so geehrt wurde, war ihr nur ein neuer Beweis von seiner Vortrefflichkeit! –

»Jestatten de Herrschaften, daß ich Ihn' nu bekannt mache?« – rief Pullwig, der schon stark nach Bier roch und höchst aufgeregt war. Wenigstens überschrie er sich fürchterlich. Die Nächstsitzenden erhoben sich, wurden genannt, knixten oder machten Bücklinge. Die weiter ab Sitzenden plauderten. »Haltet doch Eure Mäuler, ich will Euch doch meine Ehrenjäste bekannt jeben. Immer de Reihe nach, Ihr Dösköppe! Also, die mit der blaue Fahne is der Rauchvanin: »Süße Giftnudel«. – Dahinter die mit de lila Mützen der Athletenklub: »Sanfter Heinrich«. – Die mit weiße Schleifen, Mützen und die weiße Standarte der Jesangsverein: »Harmonika«. Die Herren mit die Pappnasen und den Klohwnhüten vom Ulkklub: »Killekille«. – – Die schwarzen Brüder ans Ende mit de bunte Fahne sind der »Männliche Jungfrauenklub mit Tanz und Jesang: »Gleichheit«. Die Damen mit den Häubchen: Der Witwenverein »Uns kann keiner«! – Stille doch! – Des da sind vier befreundete Kejelklübse: »Kampfhahn – Rote Nelke – Juden raus – Einigkeit«. Die haben uns alle die Ehre jejeben! – So – Na, und des is der Herr Doktor Feller! Der edle Mann, wo ich Euch schon von erzählt habe, wo mein Trudchen so schöneken unter de Erde jebracht hat! – Herr Doktor, des vergeß ich Ihn nie! Jeden Tag ein Mitbringsel und nachher so'n schönen Kranz aufs Sarg! Nee, nee!« – Pullwig wurde gerührt, schüttelte des Arztes Hand, raffte sich aber gewaltsam auf und fuhr fort:

»Dem Herrn Doktor seine Braut, Fräulein – – –« – – »Bach!« – half sie lachend ein. »Fräulein Bach und der Herr – – –« – – »Das ist ein bekannter Schriftsteller, Herr Georgy!« – sagte Lotte vor. »Und der Herr« fuhr Pullwig ausatmend fort – »ist der bekannte Schriftsetzer Herr Georgy. So, nu nehmen Se Platz, meine Herrschaften, und amesieren Se sich. – Julchen, jieß ein und sorg dafür, daß unse Gäste nach den weiten Weg tüchtig heißen Kaffe kriejen und feste von Deinen selbst jebackenen Napfkuchen präpeln!« – –

Willi, Ernst und Lotte nahmen Platz. Feller fühlte sich in seiner Haut sehr unbehaglich. Georgy beobachtete ringsum die Leutchen. Lotte war at Home. Sie trank, ohne eine Miene zu verziehen, den jämmerlichen Cichorienaufguß und biß herzhaft in ihre Riesenscheibe. Dazwischen plauderte sie mit Frau Pullwig und den andern Damen des Vorstandes. Sie wunderte sich über all' die vielen Kinder, welche man mitgebracht hatte. Die ganz kleinen saßen auf den Knieen der Mütter. Die andern kleinen Blaßschnäbel mit altklugen, frühreifen Gesichtern spielten ungeniert um die langen Tafeln herum. In der Mitte des Saales, vor der Bühne und dem Musikerpodium wurde flott getanzt. – Wer etwas essen wollte, konnte sich im Nebensaal an die Tischchen setzen. In dem Hauptraum standen nur die beiden langen Tafeln für die Vereinsvorstände und die Ehrengäste. –

Ungefähr dreißig, sehr verrupfte Tannenbäume, eine Würfel- und eine Kuchenbude, Guirlanden und Fähnchenschmuck markierten Halensee und Sommer. Die umherwogende Menschenmenge in billiger Sommerkleidung die Gäste des alten Grunewalds. Dennoch fiel Lotte auf, was für reizende und geschmackvolle Kleider die jungen Mädchen trugen. In Handschuhen, Lackschuhen an den Füßen, große Federhüte auf dem Kopfe konnten gar manche den Wettkampf mit dem Westen aufnehmen. Sie kam sich selbst sehr einfach vor, neben diesen vielen Foulard-, Stickerei- und Mullroben mit Schleifen und Schärpen garniert. Dabei waren doch all' die Festteilnehmerinnen aus den unteren Bevölkerungsschichten, die sich mühsam ihr Geld verdienen mußten. Lotte wollte Klarheit haben. Sie wandte sich an Frau Pullwig und teilte dieser ihre Beobachtung mit. »Verdienen die jungen Mädchen denn soviel Geld, daß sie sich diesen Staat kaufen können? Wo ist denn da die besprochene Arbeiterinnen-Not?« – endete sie erstaunt ihre Frage. »Arbeiterinnennot is jut. Die leben besser als unsereins, Fräuleinchen, und amesieren sich mehr wie die Reichen, wenn se auch tüchtig schuften!« – sagte die Pullwig lachend. – – »Aber sie müssen doch viel verdienen?« – – »Schultzen, Brenker, hert doch! Ville vadienen, ach herrjeh! Nee, Fräuleinchen, des ist nich so doll! Aba wat für reiche Vahältnisse haben sone Mechen nich auch? Püh! Buchhalter und Beamte und Offiziere und Künstler! Ja doch! Tz! Und manche jehen de Woche in Lumpen und hungern, aba uff'n Sonntag müssen se in feinste Kleidaje jehen! Dafür jeht allens drauf! Un manche die kaufen alte aufjearbeitete Sachen bei de Trödeljuden, da kriejt man jelejentlich sehr jute Sticke und janich teuer. Se halten man bloß nischt! Ville sind auch Lehnepumpen seine Jäste und Kunden!« – –

Lotte wollte sich dies erklären lassen; aber Willi verhinderte die Fortführung dieser Unterhaltung geschickt. Er forderte Lotte zum Tanz auf und schritt nach diesem mit ihr durch den Saal. – Schon stiegen dicke Rauchwolken gen Himmel, resp. zur Decke empor. Und das Kraut, welches sich die anwesende Herrenwelt gewählt, war nicht gerade Havanna. »Kannst Du Dich nun hier wohl fühlen, mein Schatz?« – fragte er sie leise. – – »So lange diese harmlose Gemütlichkeit herrscht, gewiß, Liebster! Sieh 'mal, welch intelligente Gesichter ringsum! Lausch 'mal auf die vernünftigen, lebensklugen Gespräche! Wenn auch der Kampf mit der Grammatik tobt, das geniert mich nicht. Ich wette darauf, ich könnte mit den Leuten mich besser unterhalten, als mit so manchen meiner verflossenen Tischherren. Siehst Du, da ist übrigens wieder mein Fiede!« – – »Ja, der Schlosser scheint sich in Dich verliebt zu haben. Er folgt Dir wie ein treuer Trabant!« – – »Dem Mann kann geholfen werden!« – entgegnete Lotte übermütig. – »Sie, Herr Fiede, kommen Sie 'mal 'n bischen 'ran, und wandeln Sie mit uns!« – – Bereitwillig und stolz eilte er hinzu und begann mit dem Paare einen neuen Rundgang. »Haben Sie eigentlich keine Frau oder Braut hier?« – fragte Lotte. »Nee, Fräuleinchen, ich bin noch nich verheiratet. Und mit feste Brautens lasse ich mir noch nich ein!« – schmunzelte er. – »Warum nicht?« – – »Jott, des hat sich noch nich jemacht! Un was mein Sonntagvahältnis is, die hat von ihre Herrschaft keenen Urlaub jekriegt, weil wa erst vorgte Woche bei »Killekille« den Maskenball mitgemacht haben!« – – »So, dann sind Sie wohl sehr enttäuscht?« – – »Nich forn Sechser, erstens wo ich Ihn doch jetzt hab, so'n hübschet, frischet Mechen und denn, weil doch die Frieda eine Klinge schlagen thut, des mein Jeldbeutel nach acht Tage krank is. Wat meinen Sie, würde die hier nach de Kuchenbude jnurkeln! Un würfeln und pietschen! Vier Tage Lohn kriejt die kleen; aba nich schlechte! So wat von Präpelei hab ich noch nich jehabt. All' die annern wa'n doch hal'weje; aba die Frieda kommt imma so ausjehungert von ihre Stelle!« – – »Geben die Leute ihr nicht satt zu essen?« – – »Ach, die haben alleene nischt, trotz's Materialjeschäft!« – – »Haben Sie Ihre Frieda lieb?« – – »Jott, Fräuleinchen, man bleibt eben so een armet Wurm treu – – – –« – »Das ist brav!« – – »So lange et eben dauert!« – – »Ach so!« – meinte Lotte enttäuscht. – – »Dürfte ick woll 'mal um den Polka bitten, Fräuleinchen?« – – Schon wollte Lotte dankend annehmen, da fühlte sie Willis festen Druck am Arm. »Nein, lieber Herr Fiede, als Arzt kann ich meiner Braut heute keinen Tanz mehr gestatten. Ich bedaure sehr! Aber nicht wahr, Liebling, Du klagtest über Stiche?« – – »Gewiß, den ganzen Vormittag, als ich unsere Küchenhandtücher zeichnete. So 'was von Stichelei – – – –« – – Sie sehen, Herr Fiede, ich muß vernünftig sein! Übrigens bat uns Herr Pullwig, bald an die Tafel zurückzukehren. Er wollte das Fest mit einer Rede eröffnen.« – sagte Feller schnell und sprach dann noch einige freundliche Worte mit dem enttäuschten Manne. –

Sie kehrten zu dem Ehrentisch zurück. Lotte, ärgerlich auf ihren Bräutigam. Pullwig saß neben ihr und kritzelte etwas auf ein Blatt Papier. »Aha, der Kaisertoast!« – sagte Fräulein Bach. »Mein Mann und'n Kaisertoast, des is jut!« – lachte die Frau. – »Na, nun wird's Tag, Herr Pullwig, sind Sie ein Deutscher?« – – »Natierlich.« – – »Haben Sie gedient?« – – »Jewiß, bei de Franzer!« – – »Sind Sie avanciert?« – – »Na, ob! Ich hab den höchsten Jrad von de Jemeinheit erreicht!« – – »Na also! Sehen Sie, mit Ihrem braven, deutschen Gesicht und als gewesenen Militär habe ich Sie doch richtig taxiert! Ich kenne doch meine Leute!« – sagte Lotte sehr energisch und laut. – »Ihre Frau lacht zwar; aber ich weiß, in unserm Berlin würden nur Schubiake,« – »Lotte, Lotte!« – »ach was, laß mich! – ein öffentliches Fest feiern, ohne erst unserm Kaiser sein Hoch darzubringen! Es ist sehr nett und ehrend für Sie, daß man Sie damit beauftragt hat. Prosit, Herr Pullwig!« – – Sie trank ihm zu. Er saß verlegen, wie ein begossener Pudel da. »Bravo, Fräuleinchen, janz meine Meinung!« – rief Fietschker. Ein Schweigen entstand ringsum. Willi war außer sich auf Lotte, die seelensruhig dasaß. »Na los, Herr Pullwig! Seine Majestät soll leben! Und fertig sind Sie! Haben Sie Angst?« – – »Mein Mann und Angst! Der redt' immer! Er is doch Vertrauensmann von seine Partei und reist for ihr!« – verteidigte die Gattin. – – »Für welche Partei?« – – »Für de Sozialdemokraten!« – schrie Fietschker triumphierend. – »Sooo?« – Lotte krauste die Stirn. – »Soo? Na, ich hätte es von Ihnen nicht erwartet! Aber Ihre politische Meinung geht uns nichts an. Die haben Sie als Privatmann! Hier stehen Sie als öffentlicher Vertreter Ihres Vereins. Sie haben Gäste eingeladen, darunter uns! Wir denken anders als Sie! Daher müssen Sie für heute Ihre privaten Gefühle lassen und Ihr Präsidentenamt richtig erfüllen. Da oben hängt das Kaiserbild, sehen Sie es an, Herr Pullwig! Unser Kaiser steht über den Parteien und sorgt für uns alle wie ein echter, treuer Landesvater, mögen wir nun als Privatleute fühlen und denken, was wir wollen! So müssen Sie es heute auch thun, sonst – – – – los, Herr Pullwig, los! Oder denken hier alle wie Sie?« – – »O nein!« – schrie Fietschker und einige andere. Nach einem kurzen Kampf und kurzem hin und her erhob sich Pullwig endlich. Und das Unglaubliche geschah: Er klingelte. Langsam wurde es still. Dann ließ Hugo Pullwig den Kaiser leben. – – Die Musik blies den Tusch und spielte: »Er lebe hoch!« Und bis auf wenige, stimmten alle begeistert ein, wenn sie nachher auch Witze rissen. Lotte schüttelte Pullwigs Rechte: »Sehen Sie, Sie sind ein famoser Knopp! Ich sah es ja!« – –

Die verschiedenen Vereinspräsiden hielten kurze Ansprachen und überreichten die gesammelten Geldgeschenke für den neuen Witwenfond der »Mannesmuskel«. – Pullwig dankte jedem geschickt und temperamentvoll. Dann holten alle Stühle herbei. Die Ehrentafel – Leute setzten sich auf bereit gestellte Bänke vor die Bühne. Die Vorstellungen begannen. Das Programm war so vielseitig wie nur möglich. Zuerst sang der gemischte »Männliche Jungfrauenklub: Gleichheit«. Dann tanzten drei Herren vom Ulkklub »Killekille« einen Kankan und sangen Schelmenlieder. – Willi und Georgy wechselten entsetzte Blicke. – Es folgten Vorträge vom Witwenverein: »Uns kann keiner«, die stürmische Begeisterung entfesselten. Die Athleten vom »Sanften Heinrich« führten drei Ringkämpfe auf. Und die acht Vorsteher der vier Kegelvereine kamen als Balleteusen und von Zurufen aus dem Zuschauerkreise begleitet, ulkten und tanzten sie. – Dann fand die erste Pause statt. – Alle Künstler kamen aus den Garderoben, hinter der Bühne, in den Saal herab. Sie gingen mit Tellern umher und sammelten für die Witwenkasse. Lotte staunte über die vielen Geldhäufchen, welche zusammenkamen. Lauter gute Groschen, keine Sechser und keine Pfennige.

Das Theaterstück sollte erst mit dem Rest der Aufführungen nach der zweiten Kaffeetafel, um Mitternacht stattfinden. Der Tanzmaitre arrangierte eine Polonaise. Willi und Lotte mußten sie anführen. Danach aber half Lottes Ärger und ihre Bitten nichts. Willi bestand darauf, daß sie sich verabschiedeten. Die Luft, das Geschrei ringsum, die unheimlich gesteigerte Lustigkeit fiel ihm auf die Nerven. Sie verzögerte ihren Fortgang immer wieder. – Plötzlich wurde auch ihr der Boden unter den Füßen heiß. –

Zwischen den Vereinen: »Einigkeit«, »Rote Nelke« und »Killekille« diesseits – und »Mannesmuskel«, »Süße Giftnudel« und »Sanfter Heinrich« jenseits – entstand ein scharfer Wortwechsel. Man stellte sich förmlich in Kämpferreihen auf. Bedrohliche Schimpfreden gingen hin und her. Das Publikum drängte sich ringsum und nahm laut hetzend Partei. Nur der Verein: »Harmonika« und die von der »Gleichheit« redeten gut zu und versuchten zu versöhnen. »Mierige Knöppe, schluckt unsa Jeld! Wer weiß, in wem seine Witwenkasse das jeht?« – – »Haltet Eure – – –« – – – – Jetzt floh Lotte schleunigst mit ihren Kavalieren. Die allgemeine Aufmerksamkeit war so in Anspruch genommen, daß man ihr Verschwinden nicht merkte. Als Willi kopfschüttelnd sein erblaßtes Bräutchen einwickelte, meinte die Garderobenfrau beruhigend: »Rejen Se sich man derowejen nich auf, Frauchen! Keilerei jiebt et imma, wenn so ville Vaeine beisammen kommen. Det kenn' wa schon! Drei Schutzleute sitzen stets bein Direktor bereit, um in Notfall da zu sind!« – – »Ja, Himmel, was geschieht denn mit den Frauen und Kindern? Hört denn das Fest auf?« – – »I wo! Nachher vatra'n se sich alle wieder. Und die, wo wat Ordentlichst ausjewischt jekriegt haben, lassen sich uf de Rettungswache vabinden und kommen meist wieder. Det sind ja allens hochfeine Vaeine, die stert sowat doch nich! Da jiebt et janz annere, wo de Radaubrüder nachers den Saal demolieren. Wa allens da!« – –

Wildes Gebrüll drang aus dem Saal. Lotte stürzte mit ihren Herren davon. Sie atmete erst wieder auf, als sie fernab in der Droschke fuhren. »Eigentlich hätt' ich es vom Balkon aus ganz gern mit angesehen!« – – »Ich danke! Einmal und nie wieder!« – – »Unverbesserliche Berlinerin! »Und haut sich für'n Fremden de Nase entzwee, des is mein Berliner von Kopp bis zur Zeh!« Und ähnlich sind Sie, Lotte!« – –

Herr Pullwig hat Doktor Feller ein paar Wochen später erzählt, wie großartig das Wohlthätigkeitsfest verlaufen wäre. Vierhundert Mark Reinertrag. Und getanzt bis sieben Uhr früh: »Zu schade, daß Sie nicht geblieben waren! Das Schöne kam ja erst, Herr Doktor!« – – »Wie fiel die Keilerei aus?« – – fragte Willi. – – »Keilerei?« – wiederholte Pullwig sinnend. – »Ach so, die kleine, harmlose Auseinandersetzung zwischen uns und de Jastvaeine? Des wurde nischt! Wir sind nich so jefährlich! Es gab ein paar blutje Köpfe und 'n Nasenbluten. Krüger vom »Sanften Heinrich« hat Ludewich von de »Einigkeit« eens auf die Nase geknazt! Es that mir sogar leid, daß der Herr Doktor fort waren. Wa mußten die Kerle bis zu de Rettungswache spedieren. Und Sie hätten des so schön besorgen können. Nee, so 'ne kleene Zankerei hebt doch nur de Laune! – – – – – Des nächste Mal, zu unsa Sommerfest, müssen uns de Herrschaft wieda die Ehre schenken. Da hab'n wa unsa'n eijenen Dampfer und machen nach Treptow!«

»Danke bestens, Herr Pullwig! Na, das hat ja noch Zeit, und wir können es uns noch überlegen! Ich freue mich, daß Sie so viel für Ihren guten Zweck übrig behalten haben!« – – »Es war wirklich schön, Herr Doktor!«


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