Christian Fürchtegott Gellert
Die zärtlichen Schwestern
Christian Fürchtegott Gellert

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Fünfter Auftritt

Die Vorigen. Julchen.

Julchen. Da sind Sie ja alle beisammen. Der Papa wollte gern wissen, wo Sie wären, und ich kann ihm nunmehro die Antwort sagen. (Sie will wieder gehn.)

Lottchen. Mein liebes Julchen, warum gehst du so geschwind? Weißt du eine bessere Gesellschaft als die unsrige?

Julchen. Ach nein, meine Schwester. Aber wo Ihr und Herr Siegmund seid, da wird gewiß von der Liebe gesprochen. Und ich finde heute keinen Beruf, einer solchen Versammlung beizuwohnen.

Lottchen. Warum rechnest du denn nur mich und Herr Siegmunden zu den Verliebten? Was hat dir denn Herr Damis getan, daß du ihm diese Ehre nicht auch erweisest?

Julchen. Herr Damis ist so gütig gewesen und hat mir versprochen, lange nicht wieder von der Liebe zu reden. Und er ist viel zu billig, als daß er mir sein Wort nicht halten sollte.

Damis. Ich habe es Ihnen versprochen, meine liebe Mamsell, und ich verspreche es Ihnen vor dieser Gesellschaft zum andern Male. Erlauben Sie mir, daß ich meine Zärtlichkeit in Hochachtung verwandeln darf. Die Liebe können Sie mir mit Recht verbieten; aber die Hochachtung kömmt nicht auf meinen Willen, sondern auf Ihre Verdienste an. Scheun Sie sich nicht mehr vor mir. Ich bin gar nicht mehr Ihr Liebhaber. Aber darf ich denn auch nicht Ihr guter Freund sein?

Julchen. Von Herzen gern. Dieses ist eben mein Wunsch, viele Freunde und keinen Liebhaber zu haben; mich an einem vertrauten Umgange zu vergnügen, aber mich nicht durch die Vertraulichkeit zu binden und zu fesseln. Wenn Sie mir nichts mehr von der Liebe sagen wollen: so will ich ganze Tage mit Ihnen umgehen.

Lottchen. Kommen Sie, Herr Siegmund. Bei diesen frostigen Leuten sind wir nichts nütze. Ob wir ihr kaltsinniges Gespräch von der Freundschaft hören oder nicht. Wir wollen zu dem Papa gehen.

Sechster Auftritt

Julchen. Damis.

Julchen. Ich bin meiner Schwester recht herzlich gut; aber ich würde es noch mehr sein, wenn sie weniger auf die Liebe hielte. Es kann sein, daß die Liebe viel Annehmlichkeiten hat; aber das traurige und eingeschränkte Wesen, das man dabei annimmt, verderbt ihren Wert, und wenn er noch so groß wäre. Ich habe ein lebendiges Beispiel an meiner Schwester. Sie war sonst viel munterer, viel ungezwungener.

Damis. Ich habe Ihnen versprochen, nicht von der Liebe zu reden, und ich halte mein Wort. Die Freundschaft scheint mir in der Tat besser.

Julchen. Ja. Die Freundschaft ist das frohe Vergnügen der Menschen und die Liebe das traurige. Man will einander recht genießen, darum liebt man; und man eilt doch nur, einander satt zu werden. Habe ich nicht recht, Herr Damis?

Damis. Ich werde die Liebe in Ihrer Gesellschaft gar nicht mehr erwähnen. Sie möchten mir sonst dabei einfallen. Und wie würde es alsdann um mein Versprechen stehen?

Julchen. Sie könnten es vielleicht für einen Eigensinn, oder ich weiß selbst nicht für was für ein Anzeichen halten, daß ich die Liebe so fliehe. Aber nein. Ich sage es Ihnen, es gehört zu meiner Ruhe, ohne Liebe zu sein. Lassen Sie mir doch diese Freiheit. Muß man denn diese traurige Plage fühlen? Nein, meine Schwester irrt: es geht an, sie nicht zu empfinden. Ich sehe es an mir. Aber warum schweigen Sie so stille? Ich rede ja fast ganz allein. Sie sind verdrießlich? O wie gut ist's, daß Sie nicht mehr mein Liebhaber sind! Sonst hätte ich Ursache, Ihnen zu Gefallen auch verdrießlich zu werden.

Damis. O nein, ich bin gar nicht verdrießlich.

Julchen. Und wenn Sie es auch wären, und zwar deswegen, weil ich nicht mehr von der Liebe reden will: so würde mir doch dieses gar nicht nahegehen. Es ist mir nicht lieb, daß ich Sie so verdrießlich sehe; aber als Ihre gute Freundin werde ich darüber gar nicht unruhig. O nein! Ich bin ja auch nicht jede Stunde zufrieden. Sie können ja etwas zu überlegen haben. Ich argwohne gar nichts. Ich mag es auch nicht wissen... Doch, mein Herr, Sie stellen einen sehr stummen Freund vor. Wenn bin ich Ihnen denn so gleichgültig geworden?

Damis. Nehmen Sie es nicht übel, meine schöne Freundin, daß ich einige Augenblicke ganz fühllos geschienen habe. Ich habe, um Ihren Befehl zu erfüllen, die letzten Bemühungen angewandt, die ängstlichen Regungen der Liebe völlig zu ersticken und den Charakter eines aufrichtigen Freundes anzunehmen. Die Vernunft hat nunmehr über mein Herz gesiegt. Die Liebe war mir sonst angenehm, weil ich sie Ihrem Werte zu danken hatte. Nunmehr scheint mir auch die Unempfindlichkeit schön und reizend zu sein, weil sie durch die Ihrige in mir erwecket worden ist. Verlassen Sie sich darauf, ich will mir alle Gewalt antun; aber vergeben Sie mir nur, wenn ich zuweilen wider meinen Willen in den vorigen Charakter verfalle. Ich liebe Sie nicht mehr; aber, ach, sollten Sie doch wissen, wie hoch ich Sie schätze, meine englische Freundin!

Julchen. Aber warum schlagen Sie denn die Augen nieder? Darf man in der Freundschaft einander auch nicht ansehen?

Damis. Es gehört zu meinem Siege. Wer kann Sie sehen und Sie doch nicht lieben?

Julchen. Sagten Sie mir nicht wieder, daß Sie mich liebten? O das ist traurig! Ich werde über Ihr Bezeigen recht unruhig. Einmal reden Sie so verliebt, daß man erschrickt, und das andere Mal so gleichgültig, als wenn Sie mich zum ersten Male sähen. Nein, schweifen Sie doch nicht aus. Sie widersprechen mir ja stets. Ist dies die Eigenschaft eines guten Freundes? Wir brauchen ja nicht zu lieben. Ist denn die Freiheit nicht so edel als die Liebe?

Damis. O es gehört weit mehr Stärke des Geistes zu der Freiheit als zu der Liebe.

Julchen. Das sage ich auch, warum halten Sie mir's denn für übel, daß ich die Freiheit hochschätze, daß ich statt eines Liebhabers lieber zehn Freunde, statt eines einfachen lieber ein mannigfaltiges Vergnügen haben will? Sind denn meine Gründe so schlecht, daß ich darüber Ihre Hochachtung verlieren sollte? Tun Sie den Ausspruch, ob ich bloß aus Eigensinn rede. (Damis sieht sie zärtlich an.) Aber warum sehen Sie mich so ängstlich an, als ob Sie mich bedauerten? Was wollen mir Ihre Augen durch diese Sprache sagen? Ich kann mich gar nicht mehr in Ihr Bezeigen finden. Sie scheinen mir das Amt eines Aufsehers und nicht eines Freundes über sich genommen zu haben. Warum geben Sie auf meine kleinste Miene Achtung und nicht auf meine Worte? Mein Herr, ich wollte, daß Sie nunmehr...

Damis. Daß Sie gingen, wollten Sie sagen. Auch diesen Befehl nehme ich an, so sauer er mir auch wird. Sie mögen mich nun noch so sehr hassen: so werde ich mich doch in Ihrer Gegenwart nie über mein Schicksal beklagen. Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.

Julchen. Hassen? Wenn habe ich denn gesagt, daß ich Sie hasse? Ich verstehe diese Sprache. Weil Sie mich nicht lieben sollen, so wollen Sie mich hassen. Dies ist sehr großmütig. Das sind die Früchte der berühmten Zärtlichkeit. Ich werde aber nicht aus meiner Gelassenheit kommen, und wenn Sie auch mit dem kaltsinnigsten Stolze noch einmal zu mir sagen sollten: Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen. Das ist ja eine rechte Hofsprache.

Damis. Es ist die Sprache der Ehrerbietung. (Er geht ab.)

Siebenter Auftritt

Julchen allein.

Wie? Er geht? Aber warum bin ich so unruhig? Ich liebe ihn ja nicht... Nein, ich bin ihm nur gewogen. Es ist doch ein unerträglicher Stolz, daß er mich verläßt. Aber habe ich ihn etwan beleidiget? Er ist ja sonst so vernünftig und so großmütig... Nein, nein, er liebt mich nicht. Es muß Verstellung gewesen sein. Ich habe heute ein recht mürrisches Wesen. (Lottchen tritt unvermerkt herein.) Wenn ich nur meine Laute hier hätte, ich wollte...

Achter Auftritt

Julchen. Lottchen.

Lottchen. Ich will sie gleich holen, wenn du es haben willst. Aber, mein Kind, was hast du mit dir allein zu reden? Es ist ja sonst deine Art nicht, daß du mit der Einsamkeit sprichst?

Julchen. Wenn hätte ich denn mit mir allein geredet? Ich weiß nicht, daß ich heute allen so verdächtig vorkomme.

Lottchen. Aber woher wüßte ich's, daß du die Laute hättest haben wollen, wenn du nicht geredt hättest? Mich hast du nicht gesehen, liebes Kind, und also mußt du wohl mit dir selbst geredt haben. Ich dächte es wenigstens, oder bist du anderer Meinung?

Julchen. Ihr müßt euch alle beredt haben, mir zu widersprechen.

Lottchen. Wieso? Ich habe dir nicht widersprochen. Und wenn es Herr Damis getan hat, so kann ich nichts dafür. Warum ziehst du deine guten Freunde nicht besser? Er sagte mir im Vorbeigehen, du wärest recht böse geworden, weil er es etliche Mal versehen und wider sein Versprechen an die Liebe gedacht hätte.

Julchen. Schwester, ich glaube, Ihr kommt, um Rechenschaft von mir zu fordern. Ihr hört es ja, daß ich mich nicht zur Liebe zwingen lasse.

Lottchen. Recht, Julchen, wenn dir Herr Damis zuwider ist: so bitte ich dich selber, liebe ihn nicht.

Julchen. Was das für ein weiser Spruch ist! Wenn er dir zuwider ist... Muß man denn einander hassen, wenn man nicht lieben will? Ich habe ja noch nicht gefragt, ob dir dein Herr Siegmund zuwider ist.

Lottchen. Nein, du hast mich noch nicht gefragt. Aber wenn du mich fragen solltest, so würde ich dir antworten, daß ich ihn recht zärtlich, recht von Herzen liebe und mich meiner Zärtlichkeit nicht einen Augenblick schäme. Es gehört weit mehr Hoheit des Gemüts dazu, die Liebe vernünftig zu fühlen, als die Freiheit zu behaupten.

Julchen. Ich möchte vor Verdruß vergehen. Herr Damis hat gleich vorhin das Gegenteil behauptet. Wem soll man nun glauben? Nehmt mir's nicht übel, meine Schwester, ich weiß, daß Ihr mehr Einsicht habt als ich; aber erlaubt mir, daß ich meinen Einfall dem Eurigen vorziehe. Und warum kann Herr Damis nicht so gut recht haben als Ihr? Ihr habt ja immer gesagt, daß er ein vernünftiger und artiger Mann wäre.

Lottchen. Das Beiwort artig hätte nicht eben notwendig zu unserer Streitfrage gehört; aber vielleicht gehört diese Vorstellung sonst in die Reihe deiner Empfindungen. Herr Damis ist ganz gewiß verständiger als ich; aber er ist auch ein Mensch wie ich; und der beste Verstand hat seine schwache Seite.

Julchen. Lottchen, also seid Ihr hiehergekommen, um mir zu demonstrieren, daß Herr Damis ein Mensch und kein Engel am Verstande ist? Das glaube ich. Aber, mein liebes Lottchen, Eure Spöttereien sind mir sehr erträglich. Ich könnte Euch leicht die Antwort zurückgeben, daß Euer Herr Siegmund auch unter die armen Sterblichen gehörte; aber ich will es nicht tun. Ihr würdet nur denken, daß ich aus Eigensinn den Herrn Damis verteidigen wollte. Nein, er soll nicht den größten Verstand haben; er soll nicht so galant, nicht so liebenswürdig sein als Euer Siegmund. So habe ich noch eine Ursache mehr, meine Freiheit zu behaupten und ihn nicht zu lieben.

Lottchen. Mein liebes Kind, du kömmst recht in die Hitze. Du schmälst auf mich und meinen Geliebten, und ich bleibe dir doch gut. Man kann dich nicht hassen. Du trägst dein gutes Herz in den Augen und auf der Zunge, ohne daß du daran denkst. Du bist meine liebe schöne Schwester. Deine kleinen Fehler sind fast ebenso gut als Schönheiten. Wenigstens kann man sie nicht begehen, wenn man nicht so aufrichtig ist, wie du bist. Kind, ich habe diese Nacht einen merkwürdigen Traum von einer jungen angenehmen Braut gehabt und ich...

Julchen. Ich bitte dich, liebe Schwester, laß mich allein. Ich bin verdrießlich, recht sehr verdrießlich, und ich werde es nur mehr, je mehr ich rede.

Lottchen. Bist du etwan darüber verdrießlich, daß ich in der Heftigkeit ein Wort wider den Herrn Damis...?

Julchen. O warum denkst du wieder an ihn? Willst du mich noch mehr zu Fehlern bringen? Laß ihm doch seinen schwachen Verstand und mir meinen verdrießlichen Geist und das Glück, einige Augenblicke allein zu sein. Die ältern Schwestern haben doch immer etwas an den jüngern auszusetzen.

Lottchen. Ich höre es wohl, ich soll gehen. Gut. Komm bald nach, sonst mußt du wieder mit dir allein reden.


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