Christian Fürchtegott Gellert
Abhandlung für das rührende Lustspiel
Christian Fürchtegott Gellert

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Christian Fürchtegott Gellert

Abhandlung für das rührende Lustspiel
(Pro comoedia commovente)

Übersetzt von Gotthold Ephraim Lessing

Man hat zu unsern Zeiten, besonders in Frankreich, eine Art von Lustspielen versucht, welche nicht allein die Gemüter der Zuschauer zu ergötzen, sondern auch so zu rühren und so anzutreiben vermögend wäre, daß sie Ihnen sogar Tränen auspresse. Man hat dergleichen Komödie, zum Scherz und zur Verspottung, in der französischen Sprache comédie larmoyante, das ist die weinerliche, genennt, und von nicht wenigen pflegt sie als eine abgeschmackte Nachäffung des Trauerspiels getadelt zu werden. Ich bin zwar nicht willens, alle und jede Stücke, welche in diese Klasse können gebracht werden, zu verteidigen; sondern ich will bloß die Art der Einrichtung selbst retten und womöglich erweisen, daß die Komödie, mit allem Ruhme, heftiger bewegen könne. Dacier und andre, welche die von dem Aristoteles entworfene Erklärung weitläuftiger haben erläutern wollen, setzen die ganze Kraft und Stärke der Komödie in das Lächerliche. Nun kann man zwar nicht leugnen, daß nicht der größte Teil derselben darauf ankomme, obgleich, nach dem Vossius, auch dieses zweifelhaft sein könnte; allein, so viel ist auch gewiß, daß in dem Lächerlichen nicht durchaus alle ihre Tugend bestehe. Denn entweder sind die reizenden Stücke des Terenz keine Komödien zu nennen, oder die Komödie hat ihre ernsthaften Stellen und muß sie haben, damit selbst das Lächerliche durch das beständige Anhalten nicht geschwächt werde. Denn was ohne Unterlaß artig ist, das rührt entweder nicht genug oder ermüdet das Gemüt indem es dasselbe allzusehr rührt. Ich glaube also, daß aus der Erklärung des Aristoteles weiter nichts zu folgern ist als dieses, was für eine Art von Lastern die Komödie vornehmlich durchziehen soll. Es erhellt nemlich daraus, daß sie sich mit solchen Lastern beschäftigen müsse, welche niemandem ohne Schande, obschon ohne seinem und ohne andrer Schaden, anhängen können; kurz, solche Laster, welche Lachen und Satire, nicht aber Ahndung und öffentliche Strafe verdienen, woran sich aber doch weder Plautus noch diejenigen, die er unter den Griechen nachgeahmet hat, besonders gekehrt zu haben scheinen. Ja, man muß sogar zugestehen, daß es eine Art Laster gibt, welche gar sehr mit eines andern Schaden verbunden ist, als zum Exempel die Verschwendung, und dennoch in der Komödie angebracht werden kann, wenn es nur auf eine geschickte und kunstmäßige Art geschieht. Ich sehe also nicht, worinne derjenige Lustspieldichter sündige, welcher, in Betrachtung der Nützlichkeit, die Regeln der Kunst dann und wann beiseite setzt, besonders wenn man von ihm sagen kann:

Habet bonorum exemplum, quo exemplo sibi
Licere id facere quod illi fecerunt putat
Terenz, »Heautontimorumenos«.

Es sei also immer die sinnreiche Verspottung der Laster und Ungereimtheiten die vornehmste Verrichtung der Komödie, damit eine mit Nutzen verbundene Fröhlichkeit die Gemüter der Zuschauer einnehme; nur merke man auch zugleich, daß es eine doppelte Gattung des Lächerlichen gibt. Die eine ist die stammhafte und, so zu reden, am meisten handgreifliche, weil sie in ein lautes Gelächter ausbricht; die andere ist feiner und bescheidener, weil sie zwar ebenfalls Beifall und Vergnügen erweckt, immer aber nur einen solchen Beifall und ein solches Vergnügen, welches nicht so stark ausbricht, sondern gleichsam in dem Innersten des Herzens verschlossen bleibt. Wann nun die ausgelassene und heftige Freude, welche aus der ersten Gattung entspringt, nicht leicht eine ernsthaftere Gemütsbewegung verstattet; so glaube ich doch, daß jene gesetztere Freude sie verstatten werde. Und wenn ferner die Freude nicht das einzige Vergnügen ist, welches bei den Nachahmungen des gemeinen Lebens empfunden werden kann; so sage man mir doch, worinne dasjenige Lustspiel zu tadeln sei, welches sich einen solchen Inhalt erwählet, durch welchen es, außer der Freude, auch eine Art von Gemütsbewegung hervorbringen kann, welche zwar den Schein der Traurigkeit hat, an und für sich selbst aber ungemein süße ist. Da nun aber dieses alsdann sehr leicht geschehen kann, wenn man die Komödie nicht nur die Laster, sondern auch die Tugenden schildern läßt; so sehe ich nicht, warum es ihr nicht vergönnt sein sollte, mit den tadelhaften Personen auch gute und liebenswürdige zu verbinden und sich dadurch sowohl angenehmer als nützlicher zu machen, damit einigermaßen jener alten Klage des komischen Trupps bei dem Plautus abgeholfen werde:

Huius modi paucas poetae reperiunt comoedias,
Ubi boni meliores fiant
.

Wenigstens sind unter den Alten, wie Scaliger erinnert, sowohl unter den Griechen als unter den Römern, verschiedene gewesen, welche eine doppelte Gattung von Komödie zugelassen und sie in die sittliche und lächerliche eingeteilet haben. Unter der sittlichen verstanden sie diejenige, in welcher die Sitten, und unter der lächerlichen, in welcher das Lächerliche herrschte. Doch wenn man nicht allein darauf zu sehen hat, was in der Komödie zu geschehen pflegt, sondern auch auf das, was darinne geschehen sollte, warum wollen wir sie nicht lieber, nach Maßgebung des Trapps, also erklären, daß wir sagen, die Komödie sei ein dramatisches Gedicht, welches Abschilderungen von dem gemeinen Privatleben enthalte, die Tugend anpreise und verschiedene Laster und Ungereimtheiten der Menschen auf eine scherzhafte und feine Art durchziehe. Ich gestehe ganz gerne, daß sich diese Erklärung nicht auf alle und jede Exempel anwenden lasse; allein, wenn man auch durchaus eine solche verlangte, welche alles, was jemals unter dem Namen Komödie begriffen worden, in sich fassen sollte, so würde man entweder gar keine oder doch ein Ungeheuer von einer Erklärung bekommen. Genug, daß diese von uns angenommene Erklärung von dem Endzwecke, welchen die Komödie erreichen soll und auch leicht erreichen kann, abgeleitet ist und auch daher ihre Entschuldigung und Verteidigung nehmen darf.

Damit ich aber die Sache der rührenden Komödie, wo nicht glücklich, doch sorgfältig führen möge, so muß ich einer doppelten Anklage entgegengehen; deren eine dahinaus läuft, daß auf diese Weise der Unterscheid, welcher zwischen einer Tragödie und Komödie sein müsse, aufgehoben werde; und deren andre darauf ankömmt, daß diejenige Komödie sich selbst zuwider wäre, welche die Affekten sorgfältig erregen wolle.

Was den ersten Grund anbelangt, so scheint es mir gar nicht, daß man zu befürchten habe, die Grenzen beider Gattungen möchten vermengt werden. Die Komödie kann ganz wohl zu rühren fähig sein und gleichwohl von der Tragödie noch weit entfernt bleiben, indem sie weder ebendieselben Leidenschaften rege macht noch aus ebenderselben Absicht und durch ebendieselben Mittel als die Tragödie zu tun pflegt. Es wäre freilich unsinnig, wenn sich die Komödie jene großen und schrecklichen Zurüstungen der Tragödie, Mord, Verzweiflung und dergleichen, anmaßen wollte; allein, wenn hat sie dieses jemals getan? Sie begnügt sich mit einer gemeinen, obschon seltnen, Begebenheit und weiß von dem Adel und von der Hoheit der Handlung nichts; sie weiß nichts von den Sitten und Empfindungen großer Helden, welche sich entweder durch ihre erhabne Tugend oder durch ihre außerordentliche Häßlichkeit ausnehmen; sie weiß nichts von jenem tragischen, hohen und prächtigen Ausdrucke. Dieses alles ist so klar, daß ich es nur verdunkeln würde, wenn ich es mehr auseinandersetzen wollte. Was hat man also für einen Grund, zu behaupten, daß die rührende Komödie, wenn sie dann und wann Erbarmen erweckt, in die Vorzüge der Tragödie einen Eingriff tue? Können denn die kleinen Übel, welche sie dieser oder jener Person zustoßen läßt, jene heftige Empfindung des Mitleids erregen, welche der Tragödie eigen ist? Es sind kaum die Anfänge dieser Empfindung, welche die Komödie zuläßt und auf kurze Zeit in der Absicht anwendet, daß sie diese kleine Bewegung durch etwas Erwünschtes wieder stillen möge; welches in der Tragödie ganz anders zu geschehen pflegt. Doch wir wollen uns zu der vornehmsten Quelle wenden, aus welcher die Komödie ihre Rührungen herholt, und zusehen, ob sie sich vielleicht auf dieser Seite des Eigentums der Tragödie anmaße. Man sage mir also, wenn rühret denn diese neue Art von Komödie, von welcher wir handeln? Geschieht es nicht meistenteils, wenn sie eine tugendhafte, gesetzte und außerordentliche Liebe vorstellet? Was ist aber nun zwischen der Liebe, welche die Tragödie anwendet, und derjenigen, welche die Komödie braucht, für ein Unterscheid? Ein sehr großer. Die Liebe in der Komödie ist nicht jene heroische Liebe, welche durch die Bande wichtiger Angelegenheiten, der Pflicht, der Tapferkeit, des größten Ehrgeizes, entweder unzertrennlich verknüpfet oder unglücklich zertrennet wird; es ist nicht jene lermende Liebe, welche von einer Menge von Gefahren und Lastern begleitet wird; nicht jene verzweifelnde Liebe: sondern eine angenehm unruhige Liebe, welche zwar in verschiedene Hindernisse und Beschwerlichkeiten verwickelt wird, die sie entweder vermehren oder schwächen, die aber alle glücklich überstiegen werden und einen Ausgang gewinnen, welcher, wenn er auch nicht für alle Personen des Stücks angenehm, doch dem Wunsche der Zuschauer gemäß zu sein pflegt. Es ist daher im geringsten keine Vermischung der Kunst zu befürchten, solange sich nicht die Komödie mit ebenderselben Liebe beschäftiget, welche in der Tragödie vorkömmt, sondern von ihr in Ansehung der Wirkungen und der damit verknüpften Umstände ebenso weit, als in Ansehung der Stärke und Hoheit, entfernt bleibt. Denn so wie die Liebe in einem doppelten Bilde strahlt, welche auf so verschiedene Weise ausgedrückt werden, daß man sie schwerlich für einerlei halten kann; ja, wie sogar die Gewalt, die sie über die Gemüter der Menschen hat, von ganz verschiedner Art ist, so daß, wenn der eine mit zerstreuten Haaren, mit verwirrter Stirn und verzweifelnden Augen herumirret, der andere das Haar zierlich in Locken schlägt und mit lächelnd trauriger Miene und angenehm unruhigen Augen seinen Kummer verrät: ebenso, sage ich, ist die Liebe, welche in beiden Spielen gebraucht wird, ganz und gar nicht von einerlei Art und kann also auch nicht auf einerlei oder auch nur auf ähnliche Art rühren. Ja, es fehlt so viel, daß die Komödie in diesem Stücke die Rechte der Tragödie zu schmälern scheinen sollte, daß sie vielmehr nichts als ihr Recht zu behaupten sucht. Denn ob ich schon denjenigen nicht beistimme, welche, durch das Ansehen einiger alter Tragödienschreiber bewogen, die Liebe gänzlich aus der tragischen Fabel verbannen wollen; so ist doch so viel gewiß, daß nicht jede Liebe, besonders die zärtlichere, sich für sie schickt und daß auch diejenige, die sich für sie schickt, nicht darinne herrschen darf, weil es nicht erlaubt ist, die Liebe einzig und allein zu dem Inhalte eines Trauerspiels zu machen. Sie kann zwar jenen heftigern Gemütsbewegungen, welche der Tragödie Hoheit, Glanz und Bewunderung erteilen, gelegentlich beigefügt werden, damit sie dieselben bald heftiger antreibe, bald zurückhalte, nicht aber, damit sie selbst das Hauptwerk der Handlung ausmache. Dieses Gesetz, welches man der Tragödie vorgeschrieben hat und welches aus der Natur einer heroischen Tat hergeholet ist, zeiget deutlich genug, daß es allein der Komödie zukomme, aus der Liebe ihre Haupthandlung zu machen. Alles derohalben, was die Liebe, ihren schrecklichen und traurigen Teil beiseite gesetzt, im Rührenden vermag, kann sich die Komödie mit allem Recht anmaßen. Der vortreffliche Corneille erinnert sehr wohl, daß dasjenige Stück, in welchem allein die Liebe herrschet, wann es auch schon in den vornehmsten Personen wäre, keine Tragödie, sondern, seiner natürlichen Kraft nach, eine Komödie sei. Wieviel weniger kann daher dasjenige Stück, in welchem nur die heftige Liebe einiger Privatpersonen aufgeführet wird, das Wesen des Trauerspiels angenommen zu haben scheinen? Das, was ich aber von der Liebe und von dem Anspruche der Komödie auf dieselbe gesagt habe, kann, glaube ich, ebensowohl von den übrigen Stücken behauptet werden, welche die Gemüter zu bewegen vermögend sind; von der Freundschaft, von der Beständigkeit, von der Freigebigkeit, von dem dankbaren Gemüte und so weiter. Denn weil diese Tugenden denjenigen, der sie besitzt, zwar zu einem rechtschaffnen, nicht aber zu einem großen und der Tragödie würdigen Manne machen und also auch vornehmlich nur Zierden des Privatlebens sind, wovon die Komödie eine Abschilderung ist: so wird sich auch die Komödie die Vorstellung dieser Tugenden mit allem Rechte anmaßen und alles zu gehöriger Zeit und am gehörigen Orte anwenden dürfen, was sie, die Gemüter auf eine angenehme Art zu rühren, darbieten können. Allein, auf diese Art, kann man einwenden, wird die Komödie allzu frostig und trocken scheinen; sie wird von jungen Leuten weniger geliebt und von denjenigen weniger besucht werden, welche durch ein heftiges Lachen nur ihren Bauch erschüttern wollen. Was schadet das? Genug, daß sie alsdann, wie der berühmte Werenfels saget, weise, gelehrte, rechtschaffne und kunstverständige Männer ergötzen wird, welche mehr auf das Schickliche als auf das Lächerliche, mehr auf das Artige als auf das Grimassenhafte sehen: und wann schon die, welche nur Possen suchen, dabei nicht klatschen, so wird sie doch denen gefallen, welche, mit dem Plautus zu reden, »pudicitiae praemium esse voluntModifizierte Form des Schlußverses der Captivi:

Qui pudicitiae esse voltis praemium,
Plausum date.

»Und ein jeder, der von euch gute Sitten liebet, klatsche!«


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