Christian Fürchtegott Gellert
Abhandlung für das rührende Lustspiel
Christian Fürchtegott Gellert

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Ich komme nunmehr auf den zweiten Einwurf. Rührende Komödien, sagt man, widersprechen sich selbst; denn eben deswegen, weil sie rühren wollen, können entweder die Laster und Ungereimtheiten der Menschen darinne nicht zugleich belacht werden, oder wenn beides geschieht, so sind es weder Komödien noch Tragödien, sondern ein drittes, welches zwischen beiden inneliegt und von welchem man das sagen könnte, was Ovidius von dem Minotaurus sagte:

Semibovemque virum, semivirumque bovemArs amatoria, 2, 24..

Dieser ganze Tadel kann, glaube ich, sehr leicht durch diejenigen Beispiele nichtig gemacht werden, welche unter den dramatischen Dichtern der Franzosen sehr häufig sind. Denn wenn Destouches, de La Chaussée, Marivaux, Voltaire, Fagan und andre, deren Namen und Werke längst unter uns bekannt sind, dasjenige glücklich geleistet haben, was wir verlangen, wann sie nemlich, mit Beibehaltung der Freude und der komischen Stärke, auch Gemütsbewegungen an dem gehörigen Orte angebracht haben, welche aus dem Innersten der Handlung fließen und den Zuschauern gefallen; was bedarf es alsdann noch für andre Beweise? Doch wenn wir auch ganz und gar kein Exempel für uns anführen könnten, so erhellet wenigstens aus der verschiednen Natur derjenigen Personen, welche der Dichter auf die Bühne bringt, daß sich die Sache ganz wohl tun lasse. Denn da, wie wir oben gezeugt haben, den bösen Sitten ganz füglich gute entgegengesetzt werden können, damit durch die Annehmlichkeit der letztern die Häßlichkeit der erstern sich desto mehr ausnehme; und da diese rechtschaffnen und edeln Gemütsarten, wenn sie sich hinlänglich äußern sollen, in schwere und eine Zeitlang minder glückliche Zufälle, bei welchen sie ihre Kräfte zeugen können, verwickelt sein müssen: so darf man nur diese mit dem Stoffe der Fabel gehörig verbinden und kunstmäßig einflechten, wenn diejenige Komödie, die sich am meisten mit Verspottung der Laster beschäftiget, nichtsdestoweniger die Gemüter der Zuhörer durch ernsthaftere Rührungen vergnügen soll. Zwar ist allerdings eine große Behutsamkeit anzuwenden, daß dieses zur rechten Zeit und am gehörigen Orte und im rechten Maße geschehe; ja der komische Dichter, wenn er unser Herz entflammen will, muß glauben, daß jene Warnung, »nihil citius inarescere quam lacrimas«, welche man dem Redner zu geben pflegt, ihm noch weit mehr als dem Redner angehe. Vornehmlich hat er dahin zu sehen, daß er nicht auf eine oder die andere lustige Szene sogleich eine ernsthafte folgen lasse, wodurch das Gemüt, welches sich durch das Lachen geruhig erholt hatte und nun auf einmal durch die volle Empfindung der Menschlichkeit dahingerissen wird, ebenden verdrüßlichen Schmerz empfindet, welchen das Auge fühlt, wenn es aus einem finstern Orte plötzlich gegen ein helles Licht gebracht wird. Noch viel weniger muß einer gesetzten Person alsdann, wenn sie die Gemüter der Zuschauer in Bewegung setzt, eine allzu lächerliche beigesellet werden; überhaupt aber muß man nichts von dieser Gattung anbringen, wenn man nicht die Gemüter genugsam dazu vorbereitet hat, und muß auch bei ebendenselben Affekten sich nicht allzu lange aufhalten. Wenn man also die rührenden Szenen auf den bequemen Ort versparet, welchen man alsdann, wann sich die Fabel am meisten verwirret, noch öftrer aber, wenn sie sich aufwickelt, findet: so kann das Lustspiel nicht nur seiner satirischen Pflicht genugtun, sondern kann auch noch dabei das Gemüt in Bewegung setzen. Freilich trägt hierzu der Stoff und die ganze Einrichtung des Stückes viel bei. Denn wenn dasjenige, was der Dichter, Glückliches oder Unglückliches, wider alle Hoffnung sich ereignen läßt und zu den Gemütsbewegungen die Gelegenheit geben muß, aus den Sitten der Personen so natürlich fließt, daß es sich fast nicht anders hätte zutragen können: so überläßt sich alsdann der Zuschauer, dessen sich Verwundrung und Wahrscheinlichkeit bemächtiget haben, er mag nun der Person wohlwollen oder nicht, willig und gern den Bewegungen und wird bald mit Vergnügen zürnen, bald trauren und bald über die Zufälle derjenigen Personen, deren er sich am meisten annimmt, für Freuden weinen. Auf diese Art, welches mir ohne Ruhmredigkeit anzuführen erlaubt sein wird, pflegen die Zuschauer in dem letzten Auftritte des ›Looses in der LotterieKomödie von Gellert. gerührt zu werden. Damons Ehegattin und die Jungfer Caroline haben durch ihre Sitten die Gunst der Zuschauer erlangt. Jene hatte schon daran verzweifelt, daß sie das Los wiederbekommen würde, welches für sie zehntausend Taler gewonnen hatte, und war auf eine anständige Art deswegen betrübt. Ehe sie sich's aber vermutet, kömmt Caroline und bringt ihrer Schwägerin mit dem willigsten Herzen dasjenige wieder, was sie für verloren gehalten hatte. Hieraus nun entstehet zwischen beiden der edelste Streit freundschaftlicher Gesinnungen, so wie bald darauf zwischen Carolinen und ihrem Liebhaber ein Liebesstreit; und da sowohl dieser als jener schon für sich selbst, als ein angenehmes Schauspiel, sehr lebhaft zu rühren vermögend, zugleich auch nicht weit hergeholet, sondern in der Natur der Sache gegründet und freiwillig aus den Charakteren selbst geflossen sind: so streitet ein solcher Ausgang nicht allein nicht mit der Komödie, sondern ist ihr vielmehr, wenn auch das übrige gehörig beobachtet worden, vorteilhaft. Mir wenigstens scheint eine Komödie, welche, wenn sie den Witz der Zuhörer genugsam beschäftiget hat, endlich mit einer angenehmen Rührung des Gemüts schließet, nicht tadelhafter als ein Gastgebot, welches, nachdem man leichtern Wein zur Gnüge dabei genossen, die Gäste zum Schlusse durch ein Glas stärkern Weins erhitzen und so auseinandergehen läßt.

Es ist aber noch eine andre Gattung, an welcher mehr auszusetzen zu sein scheinet, weil Scherz und Spott weniger darinne herrschen als die Gemütsbewegungen und weil ihre vornehmsten Personen entweder nicht gemein und tadelhaft, sondern von vornehmem Stande, von zierlichen Sitten und von einer artigen Lebensart sind, oder, wenn sie ja einige Laster haben, ihnen doch nicht solche ankleben, dergleichen bei dem Pöbel gemeiniglich zu finden sind. Von dieser Gattung sind ungefehr die ›Verliebten Philosophen‹ des Destouches, die ›Mélanide‹ des La Chaussee, das ›Mündel‹ des Fagan und der ›Sidney‹ des Gressets. Weil nun aber diejenige Person, auf die es in dem Stücke größtenteils ankömmt, entweder von guter Art ist oder doch keinen allzu lächerlichen Fehler an sich hat, so kann daher ganz wohl gefragt werden, worinne denn ein solches Schauspiel mit dem Wesen der Komödie übereinkomme? Denn obschon meistenteils auch lustige und auf gewisse Art lächerliche Charaktere darinne vorkommen, so erhellt doch genugsam aus der Überlegenheit der andern, daß sie nur der Veränderung wegen mit eingemischt sind und das Hauptwerk ganz und gar nicht vorstellen sollen. Nun gebe ich sehr gerne zu, daß dergleichen Schauspiele in den Grenzen, welche man der Komödie zu setzen pflegt, nicht mit begriffen sind; allein, es fragt sich, ob man nicht diese Grenzen um so viel erweitern müsse, daß sie auch jene Gattung dramatischer Gedichte mit in sich schließen könnenWenn der Endzweck der Komödie überhaupt eine anständige Gemütsergötzung ist und diese durch eine geschickte Nachahmung des gemeinen Lebens verschafft wird: so werden sich die verschiednen Formen der Komödie gar leicht erfinden und bestimmen lassen. Denn da es eine doppelte Art von menschlichen Handlungen gibt, indem einige Lachen und andre ernsthaftere Gemütsbewegungen erwecken: so muß es auch eine doppelte Art von Komödie geben, welche die Nachahmerin des gemeinen Lebens ist. Die eine muß zu Erregung des Lachens und die andre zu Erregung ernsthaftrer Gemütsbewegungen geschickt sein. Und da es endlich auch Handlungen gibt, die in Betrachtung ihrer verschiednen Teile und in Ansehung der verschiednen Personen, von welchen sie ausgeübt werden, beides hervorzubringen fähig sind: so muß es auch eine vermischte Gattung von Komödien geben, von welcher der ›Cyclops‹ des Euripides und der ›Ruhmredige‹ des Destouches sind. Dieses hat der jüngst in Dennemark verstorbene Herr Prof. Schlegel, ein Freund, dessen Verlust ich nie genug betauren kann, und ein Dichter, der eine ewige Zierde der dramatischen Dichtkunst sein wird, vollkommen wohl eingesehen. Man sehe, was in den Anmerkungen zu der deutschen Übersetzung der Schrift des Herrn Batteux, ›Les beaux Arts reduits à un même principe‹, welche vor einiger Zeit in Leipzig herausgekommen, aus einer von seinen noch ungedruckten Abhandlungen über diese Materie angeführet worden.. Wenn dieses nun der Endzweck der Komödie verstattet, so sehe ich nicht, warum es nicht erlaubt sein sollte? Das Ansehen unsrer Vorgänger wird es doch nicht verwehren? Es wird doch kein Verbrechen sein, dasjenige zu versuchen, was sie unversucht gelassen haben, oder aus ebender Ursache von ihnen abzugehen, aus welcher wir ihnen in andern Stücken zu folgen pflegen? Hat nicht schon Horatius gesagt:

Nec minimum meruere decus, vestigia graeca
Ausi deserere
Ars poetica, Vers 285 f..

Wenn man keine andre Komödien machen darf als solche, wie sie Aristophanes, Plautus und selbst Terenz gemacht haben; so glaube ich schwerlich, daß sie den guten Sitten sehr zuträglich sein und mit der Denkungsart unsrer Zeiten sehr übereinkommen möchten. Sollen wir deswegen ein Schauspiel, welches aus dem gemeinen Leben genommen und so eingerichtet ist, daß es zugleich ergötze und unterrichte, als welches der ganze Endzweck eines dramatischen Stücks ist; sollen wir, sage ich, es deswegen von der Bühne verdammen, weil die Erklärung, welche die Alten von der Komödie gegeben haben, nicht völlig auf dasselbe passen will? Muß es deswegen abgeschmackt und ungeheuer sein? In Dingen, welche empfunden werden und deren Wert durch die Empfindung beurteilet wird, sollte ich glauben, müsse die Stimme der Natur von größerm Nachdrucke sein als die Stimme der Regeln. Die Regeln hat man aus denjenigen dramatischen Stücken gezogen, welche ehedem auf der Bühne Beifall gefunden haben. Warum sollen wir uns nicht ebendieses Rechts bedienen können? Und wenn es außer der alten Gattung von Komödie noch eine andre gibt, welche gefällt, welche Beifall findet, kurz, welche ergötzt und nützt, übrigens aber die allgemeinen und unveränderlichen Regeln des dramatischen Gedichts nicht verletzet, sondern sie in der Einrichtung und Einteilung der Fabel und in der Schilderung der menschlichen Gemütsarten und Sitten genau beobachtet; warum sollten wir uns denn lieber darüber beklagen als erfreuen wollen? Wenn diese Komödie, von der wir handeln, abgeschmackt wäre, glaubt man denn, daß ein so abgeschmacktes Ding sich die Billigung sowohl der Klugen als des Volks erwerben könne? Gleichwohl wissen wir, daß dergleichen Spiele sowohl in Paris als an andern Orten mehr als einmal mit vielem Glücke aufgeführet worden und gar leicht den Weg zu den Gemütern der Zuhörer gefunden haben. Wenn nun also die meisten durch ein solches Schauspiel auf eine angenehme Art gerühret werden, was haben wir uns um jene wenige viel zu bekümmern, welche nichts dabei zu empfinden vorgeben? Es gibt Leute, welchen die lustige Komödie auf keine Art ein Genüge tut, und gleichwohl hört sie deswegen nicht auf, gut zu sein. Allein, wird man sagen, es gibt unter den sogenannten rührenden Komödien sehr viel trockne, frostige und abgeschmackte. Wohl gut; was folgt aber daraus? Ich will ja nicht ein jedes armseliges Stück verteidigen. Es gibt auch auf der andern Seite eine große Menge höchst ungereimter Lustspiele, von deren Verfassern man nicht sagen kann, daß sie die allgemeinen Regeln nicht beobachtet hätten; nur schade, daß sie, mit dem Boileau zu reden, die Hauptregel nicht innegehabt haben. Es hat ihnen nemlich am Genie gefehlt. Und wenn dieser Fehler sich auch bei den Verfassern der neuen Gattung von Komödie findet, so muß man die Schuld nicht auf die Sache selbst legen. Wollen wir es aber gründlich ausmachen, was man ihr für einen Wert zugestehen müßte, so müssen wir sie, wie ich schon erinnert habe, nach der allgemeinen Absicht der dramatischen Poesie beurteilen. Ohne Zweifel ist die Komödie zur Ergötzung erfunden worden, weil es aber keine kunstmäßige und anständige Ergötzung gibt, mit welcher nicht auch einiger Nutzen verbunden wäre, so läßt sich auch von der Komödie sagen, daß sie nützlich sein könne und müsse. Das erstere, die Ergötzung nemlich, wird teils durch den Inhalt der Fabel selbst, teils durch die neuen, abwechselnden und mit den Personen übereinstimmenden Charaktere erlangt. Und zwar durch den Inhalt; erstlich, wenn die Erwartung sowohl erregt als unterhalten wird; und hernach, wenn ihr auf eine ganz andere Art ein Genüge geschieht, als es anfangs das Ansehen hatte, wobei gleichwohl alle Regeln der Wahrscheinlichkeit genau beobachtet werden müssen. Dieses hat so gewiß seine Richtigkeit, daß weder eine wahre noch eine erdichtete Begebenheit, wann sie für sich selbst auch noch so wunderbar wäre, auf der Bühne einiges Vergnügen erwecken wird, wenn sie nicht zugleich auch wahrscheinlich ist.

Respicere exemplar vitae morumque iubebo
Doctum imitatorem
Horaz, Ars poetica, Vers 317 f. .

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