Christian Fürchtegott Gellert
Abhandlung für das rührende Lustspiel
Christian Fürchtegott Gellert

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Bei jeder Erdichtung nemlich verursacht nicht sowohl die Fabel selbst als vielmehr das Genie und die Kunst, womit sie behandelt wird, bei den Zuschauern das Vergnügen. »Denn derjenige«, sagt Werenfels, »erlangt einen allgemeinen Beifall, derjenige ergötzt durchgängig, welcher alle Personen, Sitten und Leidenschaften, die er auf der Bühne vorstellen will, vollkommen und soviel möglich mit lebendigen Farben abschildert; welcher die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu fesseln und ihrem Busen alle Bewegungen mitzuteilen weiß, die er ihnen mitzuteilen für gut befindet.« Denn nicht nur deswegen gefällt die Komödie, weil sie andrer abgeschmackte und lächerliche Handlungen den Augen und Gemütern darstellet (denn dieses tut eine jede gute Satire), sondern auch weil sie eine einfache und für sich selbst angenehme Begebenheit so abhandelt, daß sie überall die Erwartung des Zuschauers unterhält und durch dieses Unterhalten Vergnügen und Beifall erwecket. Denn wie hätten sonst fast alle Stücke des Terenz, soviel wir deren von ihm übrig haben, und auch einige des Plautus, als zum Exempel die ›Gefangnen‹, in welchen durch die Darzwischenkunft eines Simo, eines Chremes, eines Phädria, eines Hegio ein großer Teil derselben nicht nur nicht scherzhaft, sondern vielmehr ernsthaft wird; wie hätten sie, sage ich, sonst gefallen können? Wenn nun aber zu dem Ergötzen nicht notwendig eine lächerliche Handlung erfordert wird; wenn vielmehr eine jede Fabel, die der Wahrheit nachahmet und Dinge enthält, welche des Sehens und Hörens würdig sind, die Gemüter vergnügt: warum sollte man denn nicht auch dann und wann der Komödie einen ernsthaften, seiner Natur nach aber angenehmen Inhalt geben dürfen? »Auch alsdann empfinden wir eine wunderbare Wollust, wenn wir mit einer von den Personen in der Komödie eine genaue Freundschaft errichten, für sie bekümmert sind, für sie uns ängstigen, mit ihr Freund und Feind gemein haben, für sie stille Wünsche ergehen lassen, bei ihren Gefahren uns fürchten, bei ihrem Unglücke uns betrüben und bei ihrer entdeckten Unschuld und Tugend uns freuen.« Es gibt viel Dinge, welche zwar nicht scherzhaft, aber doch deswegen auch nicht traurig sind. Ein Schauspiel, welches uns einen vornehmen Mann, der ein gemeines Mägdchen heiratet, so vor die Augen stellet, daß man alles, was bei einer solchen Liebe Abgeschmacktes und Ungereimtes sein kann, genau bemerket, wird ergötzen. Doch laßt uns diese Fabel verändern. Laßt uns setzen, der Entschluß des vornehmen Mannes sei nicht abgeschmackt, sondern vielmehr aus gewissen Ursachen löblich oder doch wenigstens zu billigen; sollte wohl alsdann die Seltenheit und Rühmlichkeit einer solchen Handlung weniger ergötzen als dort die Schändlichkeit derselben? Der Herr von Voltaire hat eine Komödie dieses Inhalts, unter dem Titel ›Nanine‹, verfertiget, welche Beifall auf der Bühne erhalten hat; und man kann auch nicht leugnen, daß man nicht noch mehr dergleichen Handlungen, welche Erstaunen erwecken und dennoch nicht romanenhaft sind, erdenken und auf das gemeine Leben anwenden könne, als welches von dem Gebrauche selbst gebilliget wird.

Wir müssen uns nunmehr zu den guten Charakteren selbst wenden, welche hauptsächlich in der Komödie, von welcher wir handeln, angebracht werden, und müssen untersuchen, auf was für Weise Vergnügen und Ergötzung daraus entspringen könne. Die Ursache hiervon ist ohne Zweifel in der Natur der Menschen und in der wunderbaren Kraft der Tugend zu suchen. In unsrer Gewalt wenigstens ist es nicht, ob wir das, was gut, rechtschaffen und löblich ist, billigen wollen oder nicht. Wir werden durch die natürliche Schönheit und den Reiz dieser Dinge dahin gerissen: und auch der allernichtswürdigste Mensch findet, gleichsam wider Willen, an der Betrachtung einer vortrefflichen Gemütsart Vergnügen, ob er sie gleich weder selbst besitzt noch sie zu besitzen sich einige Mühe gibt. Diejenigen also, aus welchen eine große und zugleich gesellschaftliche Tugend hervorleuchtet, pflegen uns so wie im gemeinen Leben also auch auf der Bühne wert und angenehm zu sein. Doch dieses würde nur sehr wenig bedeuten wollen, wenn nicht noch andre Dinge dazukämen. Die Tugend selbst gefällt auf der Bühne, wo sie vorgestellt wird, weit mehr als im gemeinen Leben. Denn da bei Betrachtung und Bewunderung eines rechtschaffnen Mannes auch oft zugleich der Neid sich mit einmischet, so bleibt er doch bei dem Anblicke des bloßen Bildes der Tugend weg und anstatt des Neides wird in dem Gemüte eine süße Empfindung des Stolzes und der Selbstliebe erweckt. Denn wenn wir sehen, zu was für einem Grade der Vortrefflichkeit die menschliche Natur erhoben werden könne, so dünken wir uns selbst etwas Großes zu sein. Wir gefallen uns also in jenen erdichteten Personen selbst, und die auf die Bühne gebrachte Tugend fesselt uns desto mehr, je leichter die Sitten sind, welche den guten Personen beigelegt werden, und je mehr ihre Güte selbst, welche immer mäßig und sich immer gleichbleibet, nicht sowohl die Frucht von Arbeit und Mühe als vielmehr ein Geschenke der Natur zu sein scheint. Mit einem Worte, so wie wir bei den lächerlichen Personen der Bühne uns selbst treuen, weil wir ihnen nicht ähnlich scheinen; ebenso freuen wir uns über unsere eigne Vortrefflichkeit, wenn wir gute Gemütsarten betrachten, welches bei den heroischen Tugenden, die in der Tragödie vorkommen, sich seltner zu ereignen pflegt, weil sie von unsern gewöhnlichen Umständen allzu entfernt sind. Ich kann mir leicht einbilden, was man hierwider sagen wird. Man wird nemlich einwerfen, weil die Erdichtung alltäglicher Dinge weder Verlangen noch Bewunderung erwecken könne, so müßte notwendig die Tugend auf der Bühne größer und glänzender vorgestellet werden, als sie im gemeinen Leben vorkomme; hieraus aber scheine zu folgen, daß dergleichen Sittenschilderungen, weil sie übertrieben worden, nicht sattsam gefallen könnten. Dieses nun wäre freilich zu befürchten, wenn nicht die Kunst dazukäme, welche das, was in einem Charakter Maß und Ziel zu überschreiten scheinet, so geschickt einrichtet, daß das Ungewöhnliche wenigstens wahrscheinlich scheinet. Ein Schauspiel, welches einem Mägdchen von geringem Stande Zierlichkeit, Witz und Lebensart geben wollte, würde den Beifall der Zuschauer wohl nicht erlangen. Denn:

Si dicentis erunt fortunis absona dicta,
Romani tollent equites peditesque cachinnum
Horaz, Ars poetica, Vers 112 f..

Allein, wenn man voraussetzt, dieses Mägdchen sei, von ihren ersten Jahren an, in ein vornehmes Haus gekommen, wo sie Gelegenheit gefunden habe, ihre Sitten und ihren Geist zu bessern: so wird alsdann die zuerst unwahrscheinliche Person wahrscheinlich. Weit weniger aber können uns auserlesene Sitten und edle Empfindungen bei denjenigen anstößig sein, von welchen wir wissen, daß sie aus einer ansehnlichen Familie entsprungen sind und eine sorgfältige Erziehung genossen haben. Die Wahrscheinlichkeit aber ist hier nicht sowohl nach der Wahrheit der Sache als vielmehr nach der gemeinen Meinung zu beurteilen; so daß es gar nicht darauf ankömmt, ob es wirklich solche rühmliche Leute und wie viele es derselben gibt, sondern daß es genug ist, wenn viele so etwas zu sein scheinen. Dieses findet auch bei den tadelhaften Charakteren statt, die deswegen nicht zu gefallen aufhören, ob sie schon die Beispiele des gemeinen Lebens überschreiten. So wird der ›Geizige‹ in dem Lustspiele, ob er gleich weit geiziger ist als alle die Geizigen, die man alltäglich sieht, doch nicht mißfallen. Der Thraso bei dem Terenz ist so närrisch, daß er den Gnatho und seine übrigen Knechte, als ob es Soldaten wären, ins Gewehr ruft, daß er sich zu ihrem Heerführer macht und einem jeden seine Stelle und seine Pflicht anweiset: ob nun aber gleich vielleicht niemals ein Soldate so großsprechrisch gewesen ist, so ist dennoch die Person des Thraso, weil sie sonst alles mit den Großsprechern gemein hat, der Wahrheit nicht zuwider. Ebendieses geschieht auch auf der andern Seite, wenn nemlich die Vortrefflichkeit einer Person auf gewisse Art gemäßiget und ihr, durch die genaue Beobachtung der Wahrscheinlichkeit in den andern Stücken, nachgeholfen wird. Es finden sich übrigens in uns verschiedne Empfindungen, welche dergleichen Charaktere glaubwürdig machen und das Übertriebne in denselben zu bemerken verhindern. Wir wünschen heimlich, daß die rechtschaffnen Leute so häufig als möglich sein möchten, gesetzt auch, daß uns nicht sowohl der Reiz der Tugend als die Betrachtung der Nützlichkeit diesen Wunsch abzwinget; und alles, was der menschlichen Natur in einem solchen Bilde Rühmliches beigeleget wird, das glauben wir, werde uns selbst beigelegt. Daher kömmt es, daß die guten Charaktere, ob sie gleich noch so vollkommen sind und alle Beispiele übertreffen, in der Meinung, die wir von unsrer eignen Vortrefflichkeit und von der Nützlichkeit der Tugend haben, ihre Verteidigung finden. Wenn nun also diese Charaktere schon des Vergnügens wegen, welches sie verursachen, billig in dem Lustspiele können gebraucht werden, so hat man noch weit mehr Ursache, sie in Betrachtung ihrer Nützlichkeit anzuwenden. Die Abschilderungen tadelhafter Personen zeigen uns bloß das Ungereimte, das Verkehrte und Schändliche; die Abschilderungen guter Personen aber zeigen uns das Gerechte, das Schöne und Löbliche. Jene schrecken von den Lastern ab; diese feuern zu der Tugend an und ermuntern die Zuschauer, ihr zu folgen. Und wie es nur etwas Geringes ist, wenn man dasjenige, was übel anstehet, kennet und sich vor demjenigen hüten lernet, was uns dem allgemeinen Tadel aussetzt; so ist es gegenteils etwas sehr Großes und Ersprießliches, wenn man das wahre Schöne erkennt und gleichsam in einem Bilde sieht, wie man selbst beschaffen sein solle. Doch diese Kraft haben nicht allein die Reden, welche den guten Personen beigelegt werden; sondern auch dasjenige, was in dem Stücke Löbliches von ihnen verrichtet und uns vor die Augen gestellet wird, gibt uns ein Beispiel von dem, was in dem menschlichen Leben schön und rühmlich ist. Wenn also schon dergleichen Schauspiele, dem gewöhnlichen und angenommenen Gebrauche nach, sich mit Recht den Namen der Komödien nicht anmaßen können; so verdienen sie doch wenigstens die Freiheiten und Vorzüge der Komödie zu genießen, weil sie nicht allein ergötzen, sondern auch nützlich sind und also denjenigen dramatischen Stücken beigezehlt werden können, welche Werenfels, am angeführten Orte, mit folgenden Worten verlangt: »Endlich sollen unsre Komödien so beschaffen sein, daß sie Plato in seiner Republik dulden, Cato mit Vergnügen anhören, Vestalinnen ohne Verletzung ihrer Keuschheit sehen und, was das Vornehmste ist, Christen aufführen und besuchen können.« Diejenigen wenigstens, welche Komödien schreiben wollen, werden nicht übel tun, wenn sie sich unter andern auch darauf befleißigen, daß ihre Stücke eine stärkere Empfindung der Menschlichkeit erregen, welche sogar mit Tränen, den Zeugen der Rührung, begleitet wird. Denn wer wird nicht gerne manchmal auf eine solche Art in Bewegung gesetzt werden wollen; wer wird nicht dann und wann diejenige Wollust, in welcher das ganze Gemüt gleichsam zerfließt, derjenigen vorziehen, welche nur, so zu reden, sich an den äußern Flächen der Seele aufhält? Die Tränen, welche die Komödie auspresset, sind dem sanften Regen gleich, welcher die Saaten nicht allein erquickt, sondern auch fruchtbar macht. Dieses alles will ich nicht darum angeführt haben, als ob jene alte fröhliche Komödie aus ihrem rechtmäßigen Besitze zu vertreiben wäre (sie bleibe vielmehr ewig bei ihrem Ansehen und ihrer Würde!), sondern bloß darum, daß man diese neue Gattung in ihre Gesellschaft aufnehmen möge, welche, da die gemeinen Charaktere erschöpft sind, neue Charaktere und also einen reichern Stoff zu den Fabeln darbietet und zugleich die Art des Vortrags ändert. Wenn es Leute gibt, welche nur deswegen den Komödien beiwohnen wollen, damit sie in laute Gelächter ausbrechen können, so weiß ich gewiß, daß sich die Terenze und die Destouches wenig um sie bekümmern werden. Denjenigen aber zu mißfallen, welche nichts als eine ausgelassene und wilde Possenlust vergnügt, wird wohl keine allzugroße Schande sein. Es werden auch nach uns einmal Richter kommen; und auch auf diese sollten wir sehen. Flaccus hat schon einmal sein kritisches Ansehen gebraucht und den Ausspruch getan:

At proavi vestri Plautinos et numeros et
Laudavere sales, nimium patienter utrumque,
Ne dicam stulte, mirati
Horaz, Ars poetica, Vers 270 ff. .

Vielleicht werden sich auch einmal welche finden, die uns darum tadeln, daß wir bei Annehmung des rührenden Lustspiels uns allzu unleidlich, ich will nicht sagen, allzu hartnäckig erwiesen haben.


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