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»Verdächtig«

1.

Wann dö Dein'n g'storben san,
Suach da wem andern,
Bist a Wengerl was wert,
Brauchst nit z'weit wandern.

 

Einen Tag nach ihres Vaters Begräbnis ging das Tinerl wie im Wahnsinn herum, legte das fadenscheinige, schwarze Gewand nicht ab, ließ das blonde Haar aufgelöst, ungekämmt in der Luft fliegen, stierte mit den großen Blauaugen immer geradeaus vor sich und stieß doch jeden Augenblick mit dem Kopf an einen Baumstamm oder stolperte über Stein und Stock und trat mitsamt den Feiertagsschuhen in Gräben und in Wasserlacken.

Am Abend fiel sie am Anger hinter der Hütte zusammen und blieb regungslos liegen mit bleichem Gesicht, offenem Munde und ausgespreizten Händen, als ob sie plötzlich der Schlag gerührt hätte und als ob sie nun endlich tot und selig wäre.

In der Nacht zog jenseits des Tales ein schweres Gewitter über die Berge. Das krachte, sauste, flammte, und der Wind trieb einen kurzen, klatschenden, jäh abzuckenden Regenguss nach dem andern von dem furchtbaren Wolkengespenst herüber.

Bei Sonnenaufgang war dann das ganze Firmament reingewaschen und gefegt, wie sich das eigentlich nur zu den heiligsten Zeiten geziemte. Nur an den Wipfeln und im Ästegewirr des Hochwaldes drüben hatten sich Nebelfetzen verwickelt, welche der Wind nicht loszukriegen schien, was er auch daran gezaust und geschoben haben mochte.

Dafür nahm der grimme Aufräumer dem großen Schreiberberg die graue Nachtkappe weg, welche der Letztere ohnedem schon seit Wochen alle Morgen so höflich vor der Sonne abtat und in die tiefe, linksseitige Felsentasche steckte.

Tinerl sah und hörte von alldem nichts. Sie ließ sich so ruhig von der Sonne trocknen und wärmen, wie sie sich von Wind und Regen erkälten und durchnässen ließ, aber ihr Gesicht war nun röter und nicht mehr so schlapp, entstellt wie gestern, als sie hinfiel. Und der Atem ging kräftig und regelmäßig. Ein klein wenig lächelte sie. Da sah man es schon wieder so ganz, wie schön sie war. Es hätte jetzt gewiss ein jeder biedere und dabei ängstliche Mensch, der ihre Schönheit erkannte, gerne da Wache gehalten. Indes hätte Tinerl da hinter der Hütte, die allein am obersten Rand der bergigen Hutweide und am Fuße einer grünbemoosten, waldbekränzten Lehne stand, lange, vor jedes Menschen Lust und Gier geborgen, liegen können und vor jedes Menschen Blick, wenn nicht der alte Dorfbote, Scherge und Gemeindediener von Reichental gerade jetzt in einer besonderen Angelegenheit herauf gemusst hätte.

Der Alte stieg und schwitzte schon seit einer Stunde den über und über mit Erika überwucherten Hang empor, welcher Tinerl leicht in einer dreimal kürzeren Zeit von dem stattlichen Dorfe aus erstieg, das sich im tiefsten Grund des üppigen Wiesentales den Bach entlang erstreckte. Der Bosimei, so hieß der Dorfbote – hätte sich zu dem Bergsteigen ein wenig sommerlicher anziehen sollen. Freilich war es seine allereinzige Kluft, die er am Leibe trug. Einen viel und unzünftig geflickten Lodenrock hatte er an, mit Ärmeln, die gewichsten Stiefelröhren gleichsahen und eine unkleidsame Lodenhose, deren abgefärbtes, abgewetztes Hinterteil sackartig bis gegen die Kniebeuge herabhing.

An den Füßen trug der Bosimei nichts, seine deutschen Sohlen ersetzten ihm zu gut lederne. Dafür stak der Kopf bis nahe an die Augen herab in einer dicken, schäbigen Pelzmütze, deren Innenfutter derart Farbe ließ, dass die von der Stirne rinnenden Schweißtropfen das hagere, ehrliche Gesicht bis zu dem grauen Soldatenschnurrbart schön braun und schwarz streiften. Der Bosimei hielt auf einen warmen Kopf, wie andere Leute auf warme Füße halten. Vor der Hütte blieb er eine Weile stehen und lächelte mitleidig über den zerlumpten, winzigen Bau. Da waren Wohnraum, Geißstall und Scheune unter einem verfaulten Strohdach, auf welchem so seltenes Grün wucherte, dass Tinerl das Letztere gewiss abgemäht hätte, wäre es nicht so schön und kurios anzusehen gewesen.

Die drei Stubenfenster standen offen; die kleinen Glasscheiben zerschlug heute Nacht der Sturm. Der Bosimei steckte den Kopf zu einem der kaum zwei Spannen hohen Löcher hinein. In dem kleinen Raum sah es nicht so übel aus. Einen Fußboden gab es da freilich nicht, und es mochte sich darum nicht selten eine Natter, eine Kröte und ähnliches Geschmeiß hier zu Gaste laden. Ein Kachelofen war auch nicht zu sehen, sondern nur ein kleiner, offener Herd, aber was man ohne Kostenaufwand in dem Stübchen rein und sauber machen konnte, war nicht versäumt. Bis weit hinauf in den Rauchfang hatte die Lehmmauer eine frische Tünche. Der rohe Tisch, die Wandbänke, die drei Stühle waren wachsgelb gescheuert, das Bett hatte einen frischen, wenn auch härnernen Überzug, und auf dem buntbemalten Hängekasten standen drei gläserne Heilige und vor einem jeden eine hölzerne Schnupfdose.

Als sich auf seinen Ruf in der Stube nichts regte, begann der Bosimei die Hütte zu umgehen. Weil die Türe offen stand, konnte des Alten Meinung nach Tinerl nicht fern sein. Zum Stallfenster rief er auch hinein. Da fing die Geiß erbärmlich zu meckern an. Das arme Tier hätte schon dreimal gemolken und gefüttert werden sollen, seit Tinerl diese Pflicht vergaß. Der Alte kannte sich an dem jämmerlichen Getue der Geiß gleich aus, und es packte ihn ein jäher Schreck. Nichts anderes mutmaßte der Gute, als Tinerl hätte sich etwas am Leben angetan. Aber er fand es am Vernünftigsten, vor allem die vernachlässigte Geiß zu betreuen und erst sodann nach der Hausfrau zu forschen. Der Geiß war bald geholfen. Sie gab einen großen Topf Milch. Die trank der Bosimei gleich zur Hälfte aus. Hernach sah er in der Scheuer um, ob sich Tinerl – erhängt hätte. Durch die halboffene hintere Scheunentür leuchtete gerade jene Stelle des hellgrünen Angers, auf welchem Tinerl lag, in den dunklen Raum herein.

Im ersten Augenblick hielt der Alte das Mädchen für tot. Er tummelte deshalb nicht einmal seine alten Beine zu sehr, um zu ihr hinaus zu kommen. Aber als er sich zu ihr niederbeugte, sie befühlte, da leuchtete ein heller Freudenschein in dem alten, ruhigen, gleichgültigen Gesichte auf. Er nahm nicht den mindesten Anstand, sie kräftig aus dem Schlaf zu rütteln. Sie riss alsbald die Augen auf und sprang, ohne sich lange zu strecken und zu dehnen, auf die Beine. Während sie dann rundum sah und sich mit der Hand über die Stirne fuhr, wankte der schlanke, formenschöne Leib ein wenig. Aber als ihr der Alte den Arm zur Stütze bot, lächelte Tinerl und sagte:

»Wann mir a is, als war i grad af d' Welt kema, geh'n kann i do. Wie lang bin i denn dag'leg'n? Woaßt nix?«

Der Bosimei schüttelte den Kopf und antwortete: »Wann deiner Goaß a Glaub'n z'schenka is, kannst an Tag und a Nacht dag'leg'n sei.« – »Jessas d' Hudl!« schrie Tinerl und wollte an dem Alten vorbei. Er erwischte sie gerade noch an der Rockfalte und zerrte sie zurück. »D' Goaß is scho z'fried'ng'stellt.«

»Hast es Du?« – »Na so ja.« – »Vergelt's Gott! Bosimei.« – »Nix zan Bedankn. Geh'n ma eini in d' Stub'n, und iss' und trink' Du was. Ausschau'n tuast scho – derfast just aus'n Grab g'stieg'n sei.« – »Kimm' ma eh nit anderscht vor«, sagte Tinerl. Und sie gingen miteinander in die Stube, der Alte voran und das Mädchen hinter ihm. Unter der Türschwelle blieb Tinerl stehen und sah mit starrem Blick in den Raum hinein. »Da wird's hiatzt fidel abageh'n, Bosimei! Gelt?« –

»Na, wia's halt is, a so muass's recht sei«, sagte er. »Und a Narr, der si nit in sei G'schick z' find'n woaß. Schaust nit a so drein, als obst mit'n Himm'l 's Prozestier'n anfanga wollt'st! Dirndl, Dirndl, gib di z'fried'n, sunst verspielst. Wer si unser'n Herrgod'n sei'n Urteil nit füg'n will, der nimmt si oft, ohne dass er's woaß, in Herrn Tuifl zu an Africkat'n.«

Tinerl hatte zu weinen anfangen wollen, aber die Rede des Alten hielt sie davon zurück.

»Wird's halt ruahi trag'n müassn«, sagte sie, setzte sich vor das erste Fenster auf die Wandbank, faltete die Hände und ließ den Kopf wie in demütiger Ergebung hängen.

»So is's recht«, lobte der Alte. »Bravo.«

Dann setzte er sich neben sie, und nach einer Weile sagte er: »Wannst ma nit dabei 's Rehr'n anfangst, verzähl ma's wia 's hergangen is mit dein'n sölig'n Vodan. Magst aber nit red'n, ohne dass d' Wasserschleuß'n afziahgst, so halt liaber 's Maul, denn i kann das fravlerisch', närrisch Gewinslat vo da Wölt nit vatrag'n. Woaßt, i bin mit dein'n Vodan alf Jahr ban Mülitari g'west. Da han i 'n aus- und einwendi kenna g'lernt. War a Mann, dass ma halt sag'n muass, a Mann! Den hätt'n statt der Bamersag' und statt der Hacka a Sabl oder a Federn in d' Händ g'hört. Na, hiatzt hat er das armsöli Leb'n vollend, und es is drum oan Ding wia er's vollend hat. Wollt i war a so weit wia er! Mit alte Bot'ngeher und alte Ross' is a traurige G'schicht. Ner dass ma manichsmal an alt'n Ross leichter 's Gnadenbrot gibt als Unseroa'n. Hät' a an anders G'schäft ergreifen soll'n. Wia i von Militari kema bin, hat ma das Umtrossier'n frali g'fall'n, wal i dazamal dö rechtschaff'n Bauernarbeit entwöhnt war. Na aber was nutzt hiatzt d' Reu!« Der Alte machte eine gar gleichgültige Miene und setzte dann hinzu: »Glei schaust hiatzt, dass d' a bissl was in di kriagst! Magst a küahwarme Goaßmili? Han grad a oani kost.«

Er holte den halbgeleerten Milchtopf und nötigte Tinerl zum Trinken. Sie trank wirklich in tüchtigen Zügen.

»So«, sagte der Bosimei. »Hiatzt verzähl meitsweg'n.«

»Nit viel zan Verzähl'n«, antwortete Tinerl. »Dass da Voda mit'n alt'n Schrenkfranz'n Holz g'macht hat, das woaßt. Dreiß'g Jahr san's Tag für Tag mitanand ganga und halt unter lauter Plag und Müah mitanand alt und schlecht word'n. Aso schneiden's am Pfintsta, neb'n a G'raisatschlag an Endstrum Fiacht'n um, hacken's z'erst af da auswendig'n Seit'n ein, wia's a si g'hört, und denkan an nix weniger, als dass da Bam wo anderscht hin als außi am Schlag fall'n kunnt. Wia 's aber kam mehr a parmal d' Sag' zan Hin- und Herziag'n hätt'n, kimmt a Windsprauka, verdraht ihner in Bam und mei Voda, der nimmer gut g'seg'n und g'hört hat, rennt grad af dö unrecht Seit'. Der Stamm is af eahm g'fall'n. In Schrenkfranz is koa Mackerl g'scheg'n. Na, da haben's man 'n daherbracht. I sing und dudl grad, wia's d' Stub'ntür afmachan! Wia a ausg'schaut hat, kann i da gar nit b'schreib'n. So gern i mein Vodan g'habt han, von dem broatquetscht'n Fleischhaufen hat ma g'graust, dass ma d' Haar geberg g'standen san. Von koan G'sicht und koan Leib was z' kenna g'west, da Fußbod'n da – war bald an oazige Bluatlock'n, und dö zwoa Tag, was da Voda af da Bank g'leg'n is, hat's allwal so schwarz und dick von eahm tropft. Froh bin i g'west, wia i 'n ausbracht han, God verzeih' ma's. Aber halt ganz alloa sitzen Tag und Nacht ba so was…«

»Hätt' ma sölber a graust«, meinte Bosimei. »Aber hiatzt denk' da draf nimmer. Wie steht's denn mit dein'n Vermög'n?« – »Mit was?« – »Na, was Dir hinterblieb'n is? Do a bissl was?« – »Was d' halt da siahgst. In der Truhe san zwoa Stückl Leiwad und a Wäsch. Und in Kast'n a G'wand. Sunst hab'n ma nix g'habt und a nix braucht. Was er ba da Holzhackerei durch dö Jahr derübrigt hat, is vor zwoa Jahr, wia d' Muatta g'storb'n is, vermedezinert und verdoktert word'n. Und seitdem is nix mehr überblieb'n von 'n Wochalohn. Woast ja, wia's bei den fürstlig'n Holzhacker geht. Wann ka Erdäpfelackerl ba da Hütt'n is und nit so viel Wies, dass ma a Kuah furtbringa kunnt. Ma hab'n halt von dö täglig'n dreiß'g Kreuzer amal all's kaf'n müss'n. Schlecht g'lebt hab'n ma freili nit. Warum hätt'n ma uns denn nix verginna soll'n? Da Voda, God tröst'n, hat gern g'schmalz'n g'gess'n und i bin halt a a bissl a hoakliga Schnabl.«

»Wird nit weit her sei mit dera Hoakli'keit!« warf der Bosimei ein. »Hast scho' amol a Bratl g'seg'n?«

»Aja. Unten ba Enk z' Reichatal am Jürg'nhof. Durt hi geh i alle Summa ins Tagwerk. Da kriag' i a weng a Winterfuada für d' Goaß – wal, was af unser'n Angerl wachst, damit fuada i das g'fraßige Viach koane drei Wocha lang. Und halt an Sack Erdäpfel gibt mir d' Jürg'bäu'rin alle Herbst.« – »Wirst di plag'n gnua dafür«, sagte der Alte. – »Tuas gern. Wenigstens bin i dabei d' Bau'rnarbat unterkemma. Steh' hiatzt draf an. Woaßt ma koan Bau'rn ?« – »Willst di für a Bauerndirn verdinga?« – »Was soll i denn andertscht's?«

»Kannst eh sunst nix anheb'n. A Pension kriagst desweg'n von der Herrschaft nit, wal dein'n Vodan da Bam daschlag'n hat. Brauchst eh koane. Deine g'rad'n Glieda hast, a bissl Hausverstand wahrscheinli a. Alsdann schau' ner in God'snam wiest weiterkimmst. In da Hütt'n werd'n's die nit lang lass'n. D' Holzhackerhütt'n san alle überfüllt, dass ma manichsmal nit begreift, wie hie und da a ganze Verwandtschaft in so aner Keusch'n Platz hat. Und d' Herrschaft baut nix für dö arme Tuifeln, da wal nit der äußerst' Muaß vorhanden is. Und d' Holzhacker trau'n si nit zan Klag'n und nit zan Mucks'n. Wann's ner a Zeitung lesen kunnt'n und versteh'n, wias hiatzt in der Wölt zuageht! Sö würd'n si scho a bissl um ihna Recht wihr'n. Aber ba uns is no dö rein' Leibeigenschaft, dö rein' Schglaferei. Aber davon verstehst Du nix. Eh g'sünda. Mit der Unwiss'nheit is ma am glücklichst'n, sagt unser Herr Pfarrer. Na aber nix für unguat, Dirndl. Dass ma halt wieder vo da Sach' red'n. I moa, da Jaga wird di bald aus da Hütt'n schaffn.«

»A, i geh' scho sölber«, sagte Tinerl. »Aber guat, dass d' mi afmirksam machst.« – »Was wirst denn mit den Sacherl da toan?« forschte der Alte. »Soll i Dir uman Kafer dafür schau'n?« – » Ja, sei so guat, Bosimei. War scho recht, wann i a paar Guld'n einnahm. D' Goaß muss i a verkaf'n.« – »Und nacha zahlst dein'n Vodan sei Begräbnis, gelt?« sagte der Alte. Da fuhr Tinerl erschrocken auf. »Jessas, richti! I bin ja 'm Pfarrer und in Lehrer 's Begräbnis schuldi. Han richti vergess'n, dass ma da was zahl'n muass. So durchanander bin i.«

»Na, schreck' di ner desweg'n nit«, sagte der Bosimei. »Der Herr Pfarrer hätt' di nit vergessen lass'n draf. Er schickt mi eh heut' scho zu Dir. Hab' nit glei' mit der Farb' außa woll'n, weil i mi a bissl schäm und a bissl Mitload mit Dir han. Alsdann, was soll i denn dö Herrn für a Post vo Dir ausricht'n, a höfliche oder a grobe? Dass d' zahl'n wirst, wannst dei Sacherl verkaft hast. Oder dass d' Herrschaft fodern soll'n?« »Dass i zahl'n werd, sag'«, bat Tinerl und setzte dann noch hinzu: »Wie viel bin i denn schuldi?« – »Acht Guld'n«, antwortete der Alte. »Soviel kunnst amend für d' Goaß einnehma.« – »War eh recht«, sagte Tinerl. »D' Goaß gab i gern für mei'n Vodan sei Begräbnis her.« – »Guat! Da nimm' i d' Goaß glei mit!« rief der Bosimei und hielt dem Mädchen, das gerne einschlug, die Hand entgegen.

»Amend schämen si die Herrn a bissl, wann i ihna d' Goaß bring'«, setzte der boshafte Dorfbote hinzu, und dann nach einem Lächeln: »Aber nehmen toan's d' Goaß af an jed'n Fall.« – »Beleidig'n will i 'n Herrn Pfarrer nit«, bemerkte Tinerl etwas ängstlich. – »A ba leib! Du beleidigst'n nit, Tinerl. Na und für dei anders Pedei werd i da, wia g'sagt, ehzeit an Kafer schicka. Hiatzt gibst ma d' Goaß.«

Tinerl ging mit ihm hinaus. Die Ziege gebärdete sich, als sie ihre Herrin sah, freudentoll. Umso schwerer wurde dem Mädchen der Abschied von dem guten Vieh. Tinerl gab mit der Geiß auch noch einen Strick her und schüttelte dann dem Alten freundlich lächelnd die Hand. Der hatte dann Mühe, das Tier fortzubringen. Die Geiß stemmte sich mit allen Vieren gegen den Boden und ließ sich lieber von dem Dorfboten, der mit Leibeskräften an dem Strick zerrte, würgen und den Abhang hinabschleifen, als sie freiwillig vom Flecke wich. Dabei meckerte sie und blickte hilfeflehend nach Tinerl um, die schnell in die Hütte ging, um das nicht sehen zu müssen.

 

2.

's Finkweiwl sitzt't in 'n Nest,
Und legt an Oar,
Und dawal singt ihr 's Mandl
Was kirzwalig's vor.

's Häuslwei vuaft in 'n Bett
Daneben ihr Maou:
»Hab'n eh scho sieb'n Kina,
Was stöll'n ma denn aou?«

 

Während das Mädchen in Truhe und Kasten seine Habseligkeiten musterte und ordnete, gedachte es sich mit seinem Geschicke ruhig zu bescheiden und fühlte nun einige Beschämung, dass es sich gestern so bedenkenlos dem Schmerz und der Verzweiflung hingab. Tinerl konnte sich jetzt auch, als sie nach dem vielstündigen Schlaf körperlich und durch eine gute Überlegung ihrer Lage seelisch gestärkt war, mit viel weniger Grausen die menschlichen Überbleibsel ihres Vaters vorstellen und bereute es, neben der Leiche nicht tapferer und gefasster ausgeharrt zu haben. Der Zukunft sah das Mädchen ohne Bangen entgegen.

Es verlangte ihm nach Arbeit, Menschen und anderen Orten. Wie es sonst der Heimat anhängen mochte, das vergaß es jetzt über die vielen Vernunftsgründe, die es für das Fortgehen fand. In einer kurzen Zeit war Tinerl mit dem Ordnen der Hinterlassenschaft fertig. Was sie gerne in die Fremde mittragen wollte, ein paar gute Kleidungsstücke und kleine Andenken an die toten Eltern, das band sie in ein blühweißes Grastuch. Dann setzte sie sich ans Fenster und beratschlagte, was sie tun sollte, bis der vom Dorfboten gesendete Käufer der da umstehenden Siebensachen kam. Ehe Tinerl langweilig werden konnte, kam sie in eine gelinde Erregung. Die Hutweide herauf strebte nämlich ein kleiner Trupp Menschen. Die konnten kein anderes Ziel als die Hütte haben. Tinerl erschrack ein wenig. Sie zweifelte keinen Augenblick daran, dass es eine Holzhauerfamilie sei, die fürderhin hier oben hausen sollte.

Übrigens war das dem Mädchen nicht so unangenehm. Es hoffte sich mit den ihm jedenfalls nicht ganz unbekannten Leuten ein wenig zu befreunden und so lange mit ihnen den Aufentalt in der Hütte teilen zu können, bis sie hier nichts zu besorgen hatte. Darum beschloss Tinerl, ihnen recht freundlich entgegenzukommen. Der kleinen Schar ging der Förster voran, zu dessen Revier der diesseitige Berghang gehörte.

Tinerl kannte den schwarzbärtigen Mann recht gut. Er war kein Freund seiner Holzhauer und von diesen arg verschrien. Diese Arbeiter, welche wohl die genügsamsten, bescheidensten, aufopferungsfähigsten und dabei die am übelsten behandelten unseres heutigen Staates sind, murren über keinen Vorgesetzten ohne Grund. Der Herrschaft gegenüber mochte der Förster ein sehr gewissenhafter Beamter sein. Nun, wenn er sich nur in der letzteren Eigenschaft stets gut bewährte, ob er seinen Untergebenen ein herzloser Bedrücker war, danach fragte die Herrschaft nicht.

Tinerl hatte mit dem Manne noch nicht viel zu schaffen gehabt. Er war ihr gleichgültiger als alle anderen Menschen, die sie kannte. Sie trat ihm aber doch vor der Hütte entgegen und entbot ihm einen höflichen Gruß. Die andern waren noch ein gutes Stück hinten. – »Bist Du no da?« fragte er, anstatt ihr vor allem auf den Gruß zu danken.

Tinerl wurde über und über rot vor Scham und Verlegenheit und stotterte nur schnell, damit er ihr nicht erst eine Grobheit sage, die Worte: »I halt' Neamd af, der einziahg'n will.« – »Hast Dein G'raffelwerk no drinn' in der Hütt'n?« fragte er weiter. – Da getraute sie sich nicht gleich zu antworten. Er sah, ohne eine Rede von ihr zu erwarten, zu einem der Fenster hinein und brummte dann: »Na, macht nix. Dö hab'n Platz gnua da drinn. Bringan eh nix mit«, und mit lauter Stimme setzte er fast drohend hinzu: » I geh' wieder. Dass de ihna nit amend hinter mein'n Ruck'n mit'n Einziahg'n Anständ' machst. Du g'hörst nimmer her da. Verstand'n?«

»Geh' eh gern«, erwiderte Tinerl. Der Förster hatte ihr aber schon den Rücken gewandt und ging die Steinwand entlang dem rechtsseitigen Bergwald zu. Indes langte die neue Partei an.

Voran zogen zwei kleine, braune, blondköpfige Jungen an der Stange eines mittelgroßen Handwägelchens, auf welchem zwischen Federkissen und einem Haufen alter Kleider der Oberkörper eines noch rüstigen, aber recht verhärmt aussehenden Weibes sichtbar war. An dem linken Hinterrad schob ein fünfzehnjähriger, strammer Junge und an dem rechten ein etwas jüngeres, mageres, gelbsüchtiges Dirndlein. Hintennach tauchte das Oberhaupt dieser Familie auf, ein langer, magerer Mann mit einem ausdrucksvollen Gesicht. Vor ihm saßen noch zwei kleine, bausbackige Mädchen, von welchem schon das eine recht altklug wie des anderen Wärterin tat. Den Zug beschloss die greise Mutter des Mannes. Das verschrumpfte Weiblein wackelte mühselig an einem Stocke, und sooft es ein wenig Atem fand, seufzte und ächzte es leise und murmelte: »Zahlt si nimmer aus, 's Afageh'n, zahlt si rein nimmer aus für mi.«

Von den Ziehenden und Schiebenden rann der Schweiß, und sie machten alle so trübe, kummervolle Mienen. Angetan war eines schlechter und dürftiger als das andere. Aber zigeunerhaft sah deshalb der erbärmliche Aufzug doch nicht aus. Es waren die Gesichter nicht danach. Tinerl lief ihnen ein Stückchen entgegen, ergriff die Wagenstange und lenkte das Gefährt bis hart vor die Hüttentüre. Dann wandte sie sich erst zu dem Weibe, das noch immer stumm saß und fragend, schüchtern auf sie sah. »Krank?« – » Ja, in Storch erwart's wieder und da wird's allweil krank«, sagte das gelbsüchtige Kind, ohne auch nur ein wenig die ernste Miene zu verändern. Dann fühlte Tinerl aller Augen auf sich gerichtet. Sie kannte die Leute vom Kirchgehen aus und wusste nur so viel von ihnen, dass sie bisher auf der drüberen Seite des Tales wohnten.

Der Mann tat dann zuerst den Mund auf, aber er schien entweder ein ungeschickter Redner zu sein oder seine Worte recht sehr wählen zu wollen. Nach einigem Stottern platzte er doch heraus: »Is a Platz?« – »Ja, freili«, sagte Tinerl. »Geht's ner eina und schaut's Enk den Palast an.« Die den Wagen hergebracht hatten, folgten ihr in die Stube, und da machten sie auf einmal staunende, zufriedene Gesichter. Die Greisin setzte sich aber draußen zu Boden und murmelte: »Bin gar nit neugierig. Nit a weng.« – »Ah, da is's schö«, sagten die drinnen. »Ah! So schö war's ba uns dahoam nit.« Selbst der Mann nickte befriedigt. – »Wann's Enk nur g'fallt«, sagte Tinerl. – »O ja, da scho!« riefen die Kinder, und die Gelbsüchtige setzte hinzu: »Wann ner dö schö Einricht' a unser g'hörat. – »Wo habt's denn ös Enker Einricht'?« fragte Tinerl.

»Ma hab'n das alt' G'rumpel nit mitzahr'n woll'n«, antwortete in einem entschuldigenden Tone der Mann und wurde ein wenig rot dabei. »Eigentli hab'n ma's unseren Nachfolger g'schenkt. Dö war'n scho glei no a bissl ärmer als mir. A weng a Bettstadl für mei Wei wird ja hiatzt glei z'sammzimmert sei – sonst brauch ma dawal nix. Dö Einricht' da irrt uns nit. Kannst es scho no steh'n lass'n. Willst no in der Hütt'n bleib'n?« – Tinerl überlegte ein wenig, ehe sie antwortete: »Ja, aber i schlaf' am Bod'n. Dei Wei leg'n ma in mei Bett. Das schenk i Enk wia's ös Entern Nachfolger d' Einricht' g'schenkt habt's.«

Da liefen die zwei Jungen aus der Stube, und draußen hörte Tinerl ihre jubelnde Stimme: »Muada, kriagt's ös a schö's Bett!« – Aus dem verbitterten Gesicht der Gelbsüchtigen bekam Tinerl jetzt einen bewundernden Blick. Aber der Holzhauer schüttelte den Kopf und sagte ernst mit weicher Stimme: »Na, na. Das geht nit. Ma hab'n unser Einricht' ner hint las'n, wal's Afatransportier'n nit wert war. Aber das is ja a herrschaftlich's Bett.«

»Geh, moch koani G'schicht'n«, rief die bisherige Stubeninsassin, und die Gelbsüchtige zupfte ihren Vater verstohlen am Rock. »Na, so wannst es halt nit anderscht tuast«, sagte er endlich leise und mit gesenktem Blicke, »so vergelt's God, z'tausendmal.« – »G'seg'ns God«, wünschte herzlich Tinerl.

Indes kam auch die Mutter der sechs Kinder herein. Sie führte das jüngste Mädchen, welches in seinem den Boden streifenden Rock recht spaßig aussah. Tinerl forderte die Ankömmlinge auf, sich zu dem Tisch zu setzen, und das kranke Weib bewog sie mehr mit Taten als mit Worten, sich ins Bett zu begeben. »Du legst di umi. Für di is 's Afbleib'n nit – wiast ausschaust.« – »Ma hab'n ja eh unser Bett mit«, wendete das Weib ein, um, wie man ihr ja anhörte, nur etwas einzuwenden.

»Das is hiatzt Enker Bett«, entgegnete Tinerl. – »Hab's eh scho g'hört und nit glaub'n kinna. Vergelt's God.« – »G'seg'ns God.«

Während sich alle zur Rast auf die Bänke setzten und auch die Großmutter hereingeholt wurde, brachte Tinerl einen Laib schwarzes Brot und einen Krug Milch. »Da esst's und trinkt's!« Sie ließen es sich nicht zweimal schaffen und lobten alsbald mit vollen Mäulern die Atzung.

Tinerl setzte sich endlich neben die Großmutter, von welcher sie erst mit den grauen, erloschenen Äuglein angeblinzelt wurde – auf die Bank. Dann hob die Alte an: » Ja, Du hast a guat's Herz. I kenn mi glei aus. Bin net umasunst alt word'n. A guldas Herz hast.«

Das Mädchen freute sich über die Worte, in deren Ton man erkannte, dass die Sprecherin unumwunden ihre augenblickliche Meinung sagte. – Aber es lachte, weil es nichts Rechtes, Passendes zu entgegnen wusste.

»Lach nit«, fuhr die Alte fort. »Mi betrüagst nit. I kenn Dei' Herz in Dei'n Lacha a. Schö bist a«, sagte das Weib nach einer Pause, »Drum g'hört da a groß's Glück.«

Indes hob der Mann mit seinen Kindern und dem Weib, das nun schon im Bette lag, ein Gespräch an. Die ersten Worte, welche da gewechselt wurden, hatte Tinerl überhört. Aber jetzt sagte der Mann: »Alf Gulden das is a Geld, aber desweg'n derf der Hanni koan Eintrag g'scheg'n. Dass 's ihr Pfleg' und ihr Treu' hat, das setz i durch.«

» Ja«, sagte darauf die Gelbsüchtige, – das war die Hanni, – »totschind'n willst di, dass d' nur für mi, 'n Doktor und das separati feine Essen zahl'n kannst. Was wird denn nachher aus dö andern?«

»Werd'n alle ihna Erbtal kriag'n«, sagte zuversichtlich und überzeugend der Mann. – »Nimmst Dir viel vor«, entgegnete das Weib im Bette. »God gib, dass Dir dei Rechnung ausgeht.« – » Ja, God gib«, flüsterte die Alte, der neben ihr Sitzenden zu und fuhr dann ebenso leise fort: »Woaßt, hab'n halt z'viel Kina.« Unter Sechse wachst scho hie und da a Kreuz af. Sechse is z'viel für arme Leut'. Und hiatzt is 's Sieb'nte in Anzug. A reins Wagnis, das Kina in d' Welt stell'n und a reiner Luxus für d' Bett'lleut. Warn i hiatzt no mal jung würd, mit mei'n Verstand – g'heirat würd' nit, denn i hätt' a bare Müllion. Nacha war's nit aus, wann a Würmal nit g'ra'n tat. Aber wias 's heutz'tags af da Wölt ausschaut, da is 's hellaus. Siahgst dö durt«, sie zeigte heimlich auf Hanni, »dö dankt ihre Öltern koan Augenblick für's Leb'n.«

»Ja freili«, sagte Tinerl, »wannst es Du derart b'lehrst.«

»I b'lehr's nit derart«, wehrte die Alte ab. »B'lüag'n tua i 's, so schö i kann. Aber si hat halt an hell'n Kopf und ihre eigene Moanung.«

»Das is nacha freili trauri«, gab Tinerl zu.

»Derfat all's nit trauri sei«, sagte die Ahne, »wann ma ner an andere Wölteinteilung hätt'n oder wann dö arme Leut geg'n dö Wölteinteilung protestier'n tat'n. Koan Kind mehr in d' Wölt stell'n, und der Protest ist eing'legt. Da würd'n dö Reich'n bald mit afg'hob'ne Händ kemma, denn zu oan, da kunnt dö arme Bagasch nit z'wunga werd'n.«

Tinerl lachte hell auf, so närrisch kam ihr die Rede der Alten vor.

»Haha! Gottlob! Dass 's Liab'n afhör'n, dazua kann ma dö arme Leut no viel weniga zwinga. Wann aber alle armen Leut 's Liab'n einstell'n kunnt'n, wann's za dem fähig war'n, da war'n 's eh nit mehr wert als 's Aussterb'n.«

»Schau, bist a nit dumm«, sagte die Alte. »Na ja, wer so a Herz hat, is nia dumm. Woaßt, i bin halt scho recht derbittert über dö ganz Wölt. Gott schenk Dir so viel Glück, dass d' nit amol a so wirst.«

»Bist recht unglückli g'west?« fragte Tinerl. Darauf machte ihre Nebensitzende einen Wink, der Unaussprechliches, Unendliches ausdrücken sollte. »Lass mi nit zan Derzähl'n anfang'n. Würd'st wenig Lustig's hör'n.«

Tinerl entgegnete nun nichts mehr. Eine Weile hörte sie noch dem fortdauernden Gespräch der andern zu und lernte dabei die Armut dieser Leute genauer kennen. Während dem überdachte sie noch ein wenig ihre eigene Lage. Das Herz riet ihr, nun den Binkel sofort auf den Rücken zu nehmen und keinen Käufer des übrigen Krames mehr zu erwarten. Es wäre ihr nun nicht nur peinlich gewesen, sondern auch abscheulich vorgekommen, angesichts dieser Dürftigen mit jemandem wegen der alten Sachen zu feilschen, welche jene schier glücklich machen konnten. Gedacht, getan. Sie erhob sich und sagte: »Han mi anderscht b'sunn. I geh. Dös bissl Einricht g'halt's Enk. In Kast'n habt's a G'wand und in der Truh'n an andern Pofel. Und kam ma wer nachfrag'n, so sagst's ner, dass er z'spat kemma is.« Die Leute sträubten sich nicht lange, das großmütige Geschenk anzunehmen. Sie überschütteten Tinerl mit Dank und Segenswünschen. Das Mädchen verbrachte nun keine Zeit mehr unnütz in der Hütte und trat alsbald mit dem Binkel am Rücken die Reise an.

 

3.

»Am See unter'n Bam,
Mir is's wie im Tram,
Durt han i Oan g'seg'n,
Sida is's um mi g'scheg'n.«

 

Oben um die Hütte kannte man nicht viel vom Hochsommer. Das Schmalgras, die Erika und die Wachholderstauden veränderten während der ganzen wärmeren Jahreszeit ihr Aussehen nicht sehr, der Hochwald hüben wie drüben stand immer gleich finster und stolz, nur nicht, wenn er im Winter die Schneelast tragen musste oder wenn im Frühjahr die frischen Triebe aufschossen.

Aber der uralte, tiefgrüne Moosteppich der Steinwand hatte einen frischen, prächtigen Aufputz von jungen Farren. Unten war die große Hutweide von Feldern begrenzt. Die standen jetzt in ihrem größten Prunk. Da blühte der Flachs so lieblich und so zart in seinem feinen und vornehmen Blau, daneben waren die üppigen Erdäpfelstöcke mit weißen Blüten übersät und dahinter schrien förmlich die grellroten Mohnblumen.

Das Anlegen dieser Felder hatte schwere Mühe gekostet. Um an dem Abhang ein Stückchen ebenen Bodens zu gewinnen, mussten die Leute oft klafterhohe Steinmauern aufführen. Stellenweise stiegen diese Anlagen in fünf Terrassen aus dem Wiesengrund empor. Zwischen den Äckern zogen grüne Raine und ausgefahrene, steile Fahrwege zu Tal.

Als Tinerl den äußersten Fuß des Berges erreichte, stand sie eine Weile unschlüssig still, sah bald geradeaus auf das ihr wohlbekannte Kirchdorf, bald wieder talauf oder talab. Oben schloss ein mächtiger Waldberg das Tal ab, unten verengte es sich zu einer Schlucht. Tinerl war in ihrem Leben nicht weiter als nach Reichental gekommen. Nur einige Mal hatte sie auf den jenseits des Dorfes liegenden Wiesen Heu gemäht. Es hatte sie immer gelüstet, ein mehreres von der Welt zu sehen. Eine süße Sehnsucht nach der Ferne wie schon oft zuvor verspürte sie jetzt zwar nicht, dazu war sie nun gar zu ernst gestimmt, aber es war ihr doch, als müsste sie neuen Lebensreiz in der Fremde suchen. Und unwillkürlich wandte sie sich talabwärts.

Längs des Berges führte ein ebener, aber bald steiniger, bald versumpfter Weg nach der Schlucht. Vor der Letzteren vereinigte sich mit dem Wege eine Straße, die neben dem wasserreichen Bache mitten durchs Tal lief und nun auch an seiner Seite blieb bei der Wanderung durch den düsteren, felsigen Grund. Bisher ging das Mädchen im sengenden Mittagssonnenschein. Aber zwischen dem furchtbaren Steingerölle, das sich nun da zu beiden Seiten unter mächtigen Fichtendomen auftürrnte, war ein angenehmes Wandern. Tinerl vergaß im Anschauen der Felsblöcke, die hier so kühn aufgeschichtet lagen und jeden Augenblick Straße und Bach begraben konnten, alles andere. Die Neugierde, noch mehr Schönes und Großartiges zu sehen, beschleunigte ihre Schritte, und so kam sie an das Ende der Schlucht, ohne zu wissen, wie bald. Zur Linken der Berg senkte sich jetzt, zwischen den Baumstämmen leuchteten immer größere Stellen des blauen Himmels herein, und plötzlich lag eine kleine, schöne Wiese da, ein helles Eiland in dem finsteren, majestätischen Hochwald. Rechts von dem üppigen Plan erstreckte sich die fichtengrüne Bergwand weiterhin bis an eine zweite, die sich ihr entgegenstellte und dann in stolzen Wellen hinabfiel in ein reizendes Durcheinander von niederen, waldbedeckten Bergen und Hügeln, hinter welchen eine riesige Teichfläche im Sonnenlicht blitzte und glitzerte.

Jenseits des Wassers aber blaute eine mit menschlichen Wohnstätten übersäte Ebene und verschwamm mit dem durchzitternden Horizont. Der Bach und die Straße machten inmitten der kleinen Wiese eine anmutige Biegung und wandten sich dem offenen Lande zu. Nach der entgegengesetzten Richtung stieg ein schmaler Pfad bergaufwärts. Wo der im Walde verschwand, ragte eine nackte, braune Felsenwand aus dem tiefen Grün. Von der beträchtlichen Höhe dieses Gesteines stürzte sich ein kleines Bächlein auf die Wiese herab, rieselte über die ganze grasige Fläche auseinander, sammelte sich an deren Ende aber wieder und mündete in den großen Bach.

Mit dem silberhellen Wasserstreif nahm sich die Felsenwund wie ein Wappenschild aus, welches die stolze Bergnatur dem ebenen Lande hinauszeigte. Tinerl überlegte nun nicht lange, ob sie hinauf oder hinunter sollte. Sie fand es vorderhand am vernünftigsten, eine Felsenspitze zu ersteigen, welche zu höchst aus dem Rücken des Berges stach. Von dort musste eine volle, herrliche Aussicht sein. Nach welcher Seite zu es ihm am besten gefiel, dahin wollte das Mädchen. Von der besagten Felsenwand wirbelte jetzt weißblauer Rauch empor. Dort trieben gewiss Menschen ihr Wesen, an welche Tinerl nötigenfalls eine Frage richten konnte. So stieg sie rüstig den Pfad hinan, der gleich am Anfang des Waldes rau wurde und immer beschwerlicher.

Nach einer Viertelstunde stand sie, für ihre Mühe entlohnt, in stiller Bewunderung auf der obersten Fläche der Steinwand neben einem kleinen Bergsee. Mochte es der düstere Wald sein, der sich in dem Wasser spiegelte, dasselbe schien gegen die Mitte hin tiefschwarz. Aber an den von hohem Ufergras umwucherten Rändern sah man durch die in Wirklichkeit kristallhelle Flut auf den steinigen Grund.

Dem Wasserfall – das war der Ausfluss des Sees – gegenüber, am hinteren Ende des Letzteren stieg zwischen riesigen Tannenstämmen der Rauch in die Höhe, den Tinerl schon von unten bemerkte. Sie musste nun trotz der unbedeutenden Entfernung lange und genau dorthin sehen, um zu erkennen, dass es nicht aus dem Boden herausrauchte, sondern aus einem niederen, steinernen Bauwerk, welches eine Ähnlichkeit mit einer menschlichen Heimstätte zeigte.

Tinerl ging alsbald schnurstracks auf die seltsame Behausung, welche ihre Neugier erregte, los. Da erhob sich durch einen schmalen Wiesenstreifen, von dem an dieser Stelle weißsandigen Seeufer getrennt, ein kaum andertalb Meter hoher viereckiger Bau aus Stein und Lehm. Die Vordermauer hatte einen Eingang, der halb in der Erde war und zu welchem man am leichtesten auf einer kleinen Rutschpartie hinabgelangte. Von Innen war ein Gitter aus rohen Baumstämmchen gegen die unförmliche Öffnung gelehnt.

Zu jeder Seite der Tür befand sich ein Loch, in welchem je eine Glasscheibe mit Lehm eingeklebt war. Als Seitenwände dienten bei diesem Gebäude hauptsächlich die dicken Stämme der beiden Tannen. Das Dach bestand aus dünnen Steinplatten und Moos, und der Schornstein war ein ausgehöhlter Baumstrunk. Über der Türe war ein kleines Brett angenagelt und darauf stand mit einem Rötel geschrieben: »Freiherrnschloss.«

Als Tinerl dieses Wort fertig buchstabiert hatte, musste sie hellauf lachen. Da erschien hinter dem Gitter ein Mannsgesicht. Im nächsten Augenblick flog aber das Gitter schon beiseite, und eine mächtige, hohe Gestalt kam so übermenschlich schnell und lautlos die glitschige Bodenstelle herauf, dass Tinerl nichts anderes als einen Spuk zu sehen meinte und in jäher, nie gefühlter Furcht flüchten wollte. Aber ehe sie noch zurückspringen konnte und seinem Anprall ausweichen, stand er schon still, und sie hörte ein nichts weniger als unheimliches und schreckliches Lachen. Diese Töne gaben ihr einen großen Teil der Fassung wieder, doch vor den Augen flirrte es ihr, und sie fühlte eine Gänsehaut am ganzen Körper.

Wie sie des Mannes Bild dann klar vor sich sah, verkehrten sich freilich Furcht und Schrecken in ganz andere Gefühle, die Tinerl noch weit seltsamer waren. Sie wäre von selber nie auf den Glauben gekommen, dass es Menschen von solchem Äußern geben könnte, und späterhin machte sie sich auch das Geständnis, dass sie nie vorher im Stande gewesen wäre, sich einen solchen vorzustellen.

Indes zweifelte sie selbst noch, als sie ihn mit unverhohlenem Staunen anstarrte, ob er denn wirklich ein natürlicher Mensch sei. Weil er so gar nicht zum Fürchten aussah, hätte sie sich nun freilich schon viel weniger entsetzt, wenn er ihr weitere Beweise seiner Übermenschlichkeit brachte.

Obwohl Tinerl zu den körperlich Entwickeltsten, Stattlichsten ihres Geschlechtes gezählt werden konnte, reichte sie diesem Manne doch nicht weiter als bis ungefähr zum Herzen und nahm sich dem Riesen gegenüber recht zart aus. Menschen von ähnlicher Kraft und Größe wie dieser haben zumeist etwas Ungeschlachtes. Aber an ihm war jede Bewegung von seltener Sicherheit und Natürlichkeit. Der ganze mächtige, herrliche Leib schien keiner unschönen Stellung und keiner rohen Geste fähig. Doch die helle Überkraft schwellte ihn, und der gesundeste Übermut zuckte in jeder Muskel. Und in dieses Gesicht konnte auch nicht der gleichgültigste Mensch ohne Vergnügen oder Neid blicken.

Aus den formvollendeten Körper hätte vielleicht ein männlich edlerer Kopf besser gepasst als dieser jünglingshafte, schwarzlockige, mit den schönen, weichen Zügen, welche indes an Ausdrucksfähigkeit nichts zu wünschen übrig ließen, sondern viel eher ein für die Jetztwelt nur zu deutlicher Spiegel der Seele waren. Das gleichmäßige, köstliche Braun des Antlitzes erstreckte sich bis hinauf unter die Haarwurzeln und hinunter über den Hals. Die gleich dem Kopfhaar tiefschwarzen, matt glänzenden Brauen zogen fast gradlinig über ein schönes, hellblaues Augenpaar, welches sich wie ein helles Wunder in dem dunklen Gesichte ausnahm und wie das verständlichste Zeugnis von der Harmlosigkeit und Gutherzigkeit des gewaltigen Menschen.

Die längliche Nase konnte man fast für die Nachbarschaft der bausbackigen Wangen etwas zu fein und vornehm halten, aber umso besser stand sie zu dem vollen, üppigen, stolzen Mund, über welchen sich ein junges Bärtchen kräuselte.

Von der Kleidung des Jünglings ließ sich kein gutes Wort sagen, außer dass sie höchst bequem und zwanglos war. An dem Oberkörper hing ein grobleinernes Hemd, welches erst kürzlich gewaschen, aber schlecht getrocknet worden zu sein schien und einen Riss neben dem andern hatte. Der rechte Ärmel fehlte vollends, und der linke ließ auch zur guten Hälfte den mehr fleischigen, runden, als sehnigen Arm frei. Die prächtig gewölbte weiße Brust durfte auch im Sonnenlicht leuchten.

Das Beinkleid war aus rauem Zwilch und musste für den Burschen verfertigt worden sein, als dieser noch bei Weitem keine so strammen Beine hatte. Wo indes die Fülle der Letzteren dieses Kleidungsstück sprengte, war es mit bestem Willen aber minderem Können geflickt und mit einem Zeug eingestückelt, welches wahrscheinlich die Hemdärmel hergeben musste. Von den unteren Rändern dieser Hosen wurde wohl schon manches Stückchen abgeschnitten und weiter oben eingefügt. An den schlanken Vorderfüßen und Knöcheln musste sich, ihrer Bräune nach zu urteilen, nur selten eine Bekleidung befunden haben. Aber wohlgepflegt waren die Füße trotzdem. Jedenfalls hielt der Mensch auf Reinlichkeit oder wenigstens auf fleißige Benützung des Seewassers. So elend er bekleidet war, einen Schmutzfleck konnte das schärfste Auge nicht an ihm entdecken. Er hatte früher nur kurz und lustig aufgelacht.

Jetzt sah er Tinerl voll an, als weidete er sich mit Vergnügen an ihrer Verwirrung. Während er dann das Hemd über der Brust zusammen nahm und ein geringschätzendes Lächeln zeigte, welches wahrscheinlich seinem Anzug galt, sagte er mit einer seltsam tiefen und weichen Stimme: »Übers Freiherrnschloss hast g'lacht, hiatzt kannst über'n Freiherrn a lacha.«

Tinerl rang nun nicht länger nach Worten. Sie antwortete ihm so ernst und ehrlich, wie sie das meinte: »A na. Über den Freiherrn gibt's nix z'lacha. Den steht sei G'schloss nit zoan G'sicht.«

Da machte ihr der Jüngling unwillkürlich eine so förmliche Verbeugung, als ob er diese einstudiert hätte, und welche umso verbindlicher aussah, weil er des Hemdes wegen die Hände nicht von der Brust wegtat. »Bild' ma a Menge was ei af dei Red'!«

Aber im grellen Widerspruch zu dieser Versicherung warf er gleich wieder übermütig den Kopf zurück und sah Tinerl mit einem stolzen, spöttischen Lächeln an, welches ihr ungerechtfertigt vorkam und sie ein wenig verletzte. Und etwas heiß und heftig erwiderte sie ihm:

»A Freiherr hat freili eh scho Einbildung g'nua, dass er von so gewöhnliche Leut, wi i bin, nimmer höher afg'richt z'werd'n braucht, aber wann eahm an eanerer Moanung nix liegt, warum will er's denn do hör'n? Ner grad dass er ihnen's dann zoag'n kann, wie weng eahm an ihna liegt, wiast ma's hiatzt Du mit Dein'n Lächeln zoagt hast? I han 'n Herrn af sei erste Red' a z'höflige und z'ehrlige Antwort geb'n, für dö i mi aber hiatzt schama muass. Oder moat der Herr Freiherr, i kenn mi in sein Lacha nit aus?«

Der Jüngling war von diesen Worten sichtlich überrascht, aber so heftig Tinerl gesprochen, er schien noch viel entschiedener gewillt, ihre Rede zu widerstreiten. »Dö Frau Madam kann si in mein Lächeln so weng auskenna wia i in ihrer Moanung, und wann si zwoa zan ersten Mal seg'n, geht's nit, dass sie si glei za da größt'n Ehrlichkeit affordern. I han das mit meiner Anred a nit tan, und drum han i über da Madam ihr schmeichhaft Red' wohl scho na a bissl lächeln derfa.«

Wie viel Verweisendes auch in diesen Worten lag, die Absicht und der Eifer des Burschen, sich zu entschuldigen und zu rechtfertigen, sprach ebenso deutlich daraus. Demnach war Tinerl schon halb überzeugt, dass ihn dieses Zusammentreffen im Allgemeinen nicht so gleichgültig ließ, und da fühlte sie auch pünktlich eine angenehme Genugtuung.

Wie gesagt, verwandelte sich ihre Furcht vor ihm bald in andere Gefühle, vorderhand in eine reine Bewunderung seiner Schönheit. Tinerl wäre nun in einem mächtigen, inneren Drang, ihn näher kennen zu lernen, fast ebenso gerne da bei dem Menschen stehen geblieben, als sie erstlich vor ihm davonlaufen wollte. Trotzdem sie aber seine letzten Worte nur freudig aufregten, reizte es sie doch ganz eigentümlich, ihm spitz darauf zu antworten und ihn zu prüfen, wie er ihr noch sonst augenblicklich gesinnt sei. Und sie versuchte dies, indem sie sprach: »Bitt' gar schö um Verzeihung, wal i ohne Afforderung ehrli g'west bin und den Herrn schöner g'hoaß'n han als sei G'schloss. I werd g'wiss za den Herrn nimma so ehrli sei, und dass i den guat'n Vorsatz nit vergiss, sag' i glei: Pfirt God!« –

Sie wollte ihm recht kühl, freundlich zulächeln, ehe sie sich zum Gehen anschickte, wusste aber nicht, wie ihr Ersteres gelang, sondern fühlte eine großmütige Rührung über die eigenen Worte, dass sie fast Mühe hatte, die Tränen zurückzuhalten, Aber mit einer raschen Wendung und eilenden Schritten entzog sie sich seinem prüfend auf ihrem Gesichte ruhenden Blicke, freilich nicht auf lange, und um ihm dann umso verlegener gegenüber zu stehen. Denn er hatte sie bald abgefangen, drehte die sich ohnmächtig Sträubende in seinen Armen um und beugte sein Gesicht zu dem ihren, um ihr in die tränenden Augen zu sehen, lange und unverwandt.

Dabei fiel ihr der Binkel vom Rücken. Wenn der Jüngling, während er Tinerl so ansah, nur wieder ein wenig spöttisch gelächelt hätte, wäre sie vor Scham vergangen, aber weil sein Gesicht gar so ernst blieb, wusste sie ihm Dank und Verehrung. Und zugleich hatte sie eine Ahnung, dass sie umso lieber hier bei ihm bleiben würde, je länger sie hier blieb, und dass sie darum augenblicklich fort solle. Mit seinen Armen machte er einen Ring um ihre Hüften, in welchen sie sich bewegen, nach welchen sie aber nicht flüchten konnte und der ihr mählich ein glühender Eisenring zu werden schien. Und mit den blauen Augen sengte er ihr förmlich ins Herz hinein, so dass sie mit Leib und Seele verbrennen zu müssen glaubte. Dabei färbte sich auch sein Gesicht immer röter, und seine Pupillen wurden immer größer und leuchtender. Aber er wagte es offenbar nicht, Tinerl fester zu umfassen, und sie wagte es darum nicht, sich zu regen, damit sie nur mit seinen Armen in keine festere Berührung käme.

Plötzlich seufzte er tief auf, ließ sie gleichzeitig frei und sagte: »Geh'!«

Sie wusste nun freilich nicht, aus welchen Beweggründen er sie so kurz fortwies und fühlte sich durch dieses einzige, vieldeutige Wort mehr beschämt als über ihre Freilassung beglückt. Indes bückte sie sich blitzschnell nach ihrem Binkel, nahm sich aber nicht Zeit, ihn regelrecht aufzupacken, sondern schleifte ihn an einem seiner vier fest verknüpften Träger auf dem Boden nach sich, während sie dann in wildem Lauf dem Walde zustrebte. Sie war noch keine fünfzig Schritte von dem Manne, der nun eigentümlich sieghaft lächelte, entfernt, als ihr dessen Stimme nachhallte: »Halt!«

Der Ton fuhr ihr in die Beine, sie stand jedoch nicht still, sondern sprang und stolperte über Stein und Stock dahin, ohne sich weiter um den Binkel zu sorgen, welcher ihr an den Trägern nachhupfte, und ohne daran zu denken, dass sie jeden Augenblick die Glieder brechen konnte.

Erst tief drinnen im Wald, als sie einen ebenen, feuchtmoosigen Grund unter den Füßen hatte, ihr von dem tollen Rennen schon fast der Atem ausblieb und das Herz furchtbar hämmerte, getraute sie sich, ihre Eile zu verringern und endlich ein wenig über die Achseln umzusehen, ob der Mann sie nicht verfolge. Aber sie sah und hörte nichts von ihm. Da blieb sie stehen und lehnte sich an einen Baumstamm. Sie fühlte über ihre seelische Aufregung die körperliche kaum. Es war ihr vor allem klar, dass diese Bewegung für sie von großer Bedeutung sei und ihr Herz einen unauslöschlichen, mächtigen Eindruck empfing. Nach einer Weile setzte sie sich vollends auf einen Baumstock, um mit Muse in sich zu gehen. Unterdessen brachte sie auch ihren Binkel in Ordnung, bemerkte es aber in ihrer Zerstreuung nicht, dass sie ein altes Gebetbuch verloren hatte, ein hoch in Ehren gehaltenes Andenken an ihre Mutter.

Tinerl meinte sich streng ins Gericht nehmen zu müssen, weil sie dem Fremden gegenüber diese Gefühle nicht niederzukämpfen und so schlecht zu verbergen verstand, welche sie freilich jählings überfallen hatten und welcher sie sich um desto ungeschickter erwehren konnte, weil sie ihr fremd und neu waren. Weil ihr jedoch solches zwei Tage nach dem Tode ihres Vaters geschehen konnte, rechnete sie sich das sofort zu einer großen Sünde an. Aber bei allem guten Willen, Reu und Leid darüber zu erwecken, brachte sie es doch zu keiner rechten Zerknirschung, und all der Selbstvorwurf fiel ihr so schwer auf das Gewissen, dass sie sich plötzlich wieder glücklich den Jüngling vorträumte, seinen Blick und die Gefangenschaft in seinen Armen. Freilich schrak sie alsbald aus dem Traum auf und wollte sich darüber christlich entrüsten. Jedoch ihr Herz war nicht zu zwingen, eine solche Entrüstung mitzufühlen, welche sie sich somit hätte vorheucheln müssen.

Tinerl hatte endlich an dem Streite zwischen anerzogener Rechtmeinung und natürlichem Gefühl genug, empfahl sich in ihrer Ratlosigkeit kurzweg Gott und etlichen Heiligen und setzte also getröstet ihre Reise fort. Bald kam sie auf ganz flachen, trockenen Waldgrund, auf dessen hoher Nadelstreu es sich gar weich und leicht ging. Und da kam es unwillkürlich von ihren Lippen und schwoll zu vollen, prächtigen Tönen:

 

's Dirndal in Wold
Hat a Wuna derfohr'n,
Ihr Herz is wia brinnada
Strohschober word'n.

Wüsst das der Bua,
So kam er amend,
Mit an brennhoaßen Schmalz
Zan Odämpfen g'rennt.

Manner dungt's Asch'n,
Kriagt's a schö's Gras,
In an ausbrunan Herzerl,
Groant wunasölt'n was.

 

4.

Wer si buckt,
Wird druckt.

 

Als Tinerl am Waldesrand ankam, warfen die Bäume schon ziemlich lange Schatten auf eine grüne Talmulde hinaus, welcher die Sonne gnädiger sein musste als allen Boden, welchen das Mädchen bisher gesehen.

Vor den finsteren Bergriesen, die sich in der Runde über die Häupter blickten, lag hier ein anmutiger Hügelkranz, der von reichen Saatgefilden eine prächtig bunte Färbung hatte und welcher in verschiedenartig wechselnden Lichtern erschien, weil von den gegenüberliegenden Bergen her leichtes, weißes Sommergewölk flott gezogen kam. In der Mitte des lieblichen Grundes schimmerten zwischen den Stämmen eines förmlichen Obstbaumwaldes ein Weiher und die weißen Mauern etlicher weitläufiger Gehöfte. Es war hier bereits der Kornschnitt im besten Zug. Auf den Roggenfeldern wimmelte es von geschäftigen und jedenfalls auch arbeitsfrohen Menschen, denn es ging ein beständiges Jauchzen und Singen durch die Luft.

Tinerl zollte dem Landschaftsbild, welches für sie viel Fremdartiges und Reizendes hatte, viel Bewunderung. Bei dem Anblick des Dorfes aber wurde sie plötzlich von einer besonders wohlbegründeten Sehnsucht überfallen, recht bald zwischen jene einladenden Mauern zu kommen. Was sie bisher auf ihrer Wanderung erlebte, war so ziemlich danach, dass sie darüber Hunger und Ermüdung vergessen konnte. Aber nun stellten sich diese natürlichen Gefühle mit einer außergewöhnlichen Heftigkeit ein. Tinerl meinte nun überhaupt schon weit genug gereist zu sein, und weil ihr das Dorf schon von der Ferne so gut gefiel, wünschte sie sich auch gleich darinnen eine Unterkunft als Magd oder Taglöhnerin zu finden. Für den Fall, dass man ihr nicht vorher etwas zu essen gab, ehe sie sich etwas verdiente, hatte sie gerade so viel Geld bei sich, um sich ein billiges Abendmahl zu kaufen.

Dass es in dem Dorfe keinen Dienst bekommen könnte, befürchtete das Mädchen kaum. Zur Schnittzeit ist ja nicht leicht wo um einen fleißigen Menschen zu viel und um einen solchen schon gar nicht, welcher sich im äußersten Fall erböte, für Kost und Unterschlupf zu arbeiten.

Also ging sie ziemlich guten Mutes geradewegs auf das nächststehende Gehöft zu. Dasselbe kehrte die einstöckige, grüngefärbelte Frontmauer dem Weiher zu. Vor den Fenstern waren kunstvoll verschnörkelte, ausgebauchte Gitter. Das Haustor hatte einen frischen Anstrich und die grauen Schindeldächer der weißgetünchten Nebengebäude weiße Flecke. Es war an dem Haus nicht im Mindesten eine Nachlässigkeit seines Besitzers bemerkbar. Sogar die Holzdielen des Hausflures waren frisch gescheuert, dass sich Tinerl respektvoll die staubigen Füße im Gartengrase wischte. Vor der Stubentür überlegte sie, wie sie wohl um Arbeit ansuchen sollte.

Aber währenddem ging die Stubentür auf und kam ein junges Weib heraus. Das hatte mollige, runde Formen und ein hübsches Gesicht, in welchem sich nichts so sehr als eine ungeheuere Hoffart ausdrückte. Die Kleidung war aus lauter gutem, teuerem Stoff, und auf der lichten Schürze nicht das kleinste Stäubchen. An den Fingern trug das Weib große, goldene Ringe, desgleichen Tinerl nie gesehen hatte.

Das arme Mädchen meinte, weiß wunder wen vor sich zu haben, und war so eingeschüchtert, dass es den Gruß mehr stotterte als sprach. »Was wollt's denn?« fragte eine hohe zuwidere Stimme. – »An Orbat suach i«, entgegnete Tinerl.

Da wies die eine der goldbeladenen Hände nach der Stubentür, und dann ging das Weib so schnell und stolz an Tinerl vorbei in den Hof hinaus, dass der Letzteren der Wind an der Nase pfiff. Nun klopfte das Mädchen ein wenig an die Türe.

Aber in der Stube verlautete nichts als ein Geplätscher, aus welchem Tinerl erkannte, dass drinnen Butter gemacht wurde. Endlich trat sie schnell entschlossen ein und sah sich in einer großen, reinlichen Bauernstube, die jedoch mit weniger Pracht eingerichtet war, als Tinerl erwartete. Wohl aber hingen an den Wänden Heiligenbilder, die Fensterwand war hinter lauter Efeugerank kaum zu sehen, und in einer Ecke ragte ein Bett mit seinen drei aufeinander gelegten, riesigen, roten Tuchenden bis nahe an die Stubendecke. An dem Kachelofen auf der Bank aber saß ein junger, schlanker Mann, der hatte vor sich ein rundes, großes Butterfass stehen und werkelte und drehte so emsig und war so sehr in diese Arbeit vertieft, dass ihm dabei der Schweiß in dicken Tropfen über das Gesicht rann. Es war ein gutes, angenehmes Gesicht mit ein paar hellen, scharf blickenden Augen. Ein Zug um den schmallippigen Mund sprach von Willenskraft. Den Rock hatte der junge Mann abgelegt und saß nun in einer tuchenen Weste und graugefärbten Leinenhosen hier. Seine bauschigen Hemdärmel waren blühweiß, desgleichen an seinen Füßen die Baumwollsocken. Er sah und hörte die Eintretende nicht. »Guat'n Abend«, sagte diese endlich laut. Da fuhr er herum und sah sie erschrocken an. Es war gleich zu merken, dass er sich seiner Arbeit schäme. Aber Tinerl, wiewohl es ihr ein wenig um die Mundwinkel zuckte, fand es doch nicht schicklich, zu lächeln und sagte ganz ruhig, nachdem der Mann ihren Gruß ganz artig erwidert hatte: »A Orbat suach i.« »So«, machte er. »Da kannst mi glei beim Budarühr'n ablösn. Woaßt«, setzte er erklärend hinzu, » i bin Bau'r und Bäu'rin in oaner Person. Am Föld han i heut Schnida, dö wart'n scho hart af a Jausn, und i rühr' hiatzt scho a ganze Stund, aber das Werk muass rein verhext sei.« Tinerl hatte den Binkel in die Stubenecke auf die Dielen gelegt und drehte nun schon gar anstellig und emsig an dem Butterfass. Der Bauer setzte sich neben sie auf die Bank. Es war nur das Butterfass zwischen ihnen. »Steht Dir ganz guat an«, sagte er und betrachtete sie mit einem Blicke unverhohlenen Wohlgefallens.

»Is denn das nit d' Bäu'rin, dö mir im Vorhaus begegn't hat?« fragte Tinerl. – »Schaut denn dö wia a Bäu'rin aus?« fragte der Mann dawider. – Tinerl zuckte mit den Achseln, » I kenn's halt no nit.« – »Mei Schwester is's«, sagte der junge Mann »und mei – Verwirtschafterin.«

Tinerl sah es ihm an, dass er von ihr eine missfällige Bemerkung über seine Schwester erhoffte, aber anstatt seiner Erwartung zu entsprechen, sagte sie: »Was i an der Ordnung und an der Reinlichkeit in Dein'n Haus erkenn, muass do a tüchtig's Wei da sei.« – »Hängt denn alle Ordnung und Reinlichkeit voa'n Weiwern o?« fragte der Bursche. »Gottlob na! das siahgst wohl sölber in dem Haus.« – Tinerl staunte: » Alsdann Du alloa stimmst das all's a so z'samm?«

»I alloa, aber dass D' nit amend moast, bild mir was ein af dö Kenntnis. Na, schama tua i mi, wal i mir d' Weiwerarbat im Haus sölber toa muass. Aber wann oan d' Not dazua zwingt.« Er machte eine kummervolle Miene. Tinerl wurde neugierig, ein Näheres über ihn zu erfahren, und während sie in stets gleichem Tempo fortdrehte, sagte sie: »Aber, aber! Is denn koa verlässliche Dirn z'kriag'n?« – »Bi dermal zu koaner kemma«, sagte der Bursche. »Mit a par han i's scho versuacht, aber, war mit koaner z'fried'n und zan Schluss han in allmal eig'sehgn, dass ma am best'n drauskimmt, wann ma si dö ganz Weiwerorbat sölber tuat. Es hat si koane für mi afg'opfert, wia i's verlangt han. Und oani, die mir nit mit'n besten Wüll'n in d' Händ' orbat, kann i nit brauchn. Aber desweg'n red' i koaner wos Schlecht's nach. Woaßt, wia i g'stellt bin, muass i fretten und knausen und af an jeden Kreuzer antrag'n, wenn i 's Haus derretten will. Und i will's derretten. Es derf in koani andern Händ kemma – schandhalber nit! Han mir's mol vorg'nommen, dass i mi aus meine Schuld'n außawirtschaft, und durchsetz'n muass i's. 's ganze Dorf lacht mi aus. Alle schreien, es is nit mögli, derzwingst es nit! Und i derzwings do. Af'n Földern han i an braven Knecht, der's mit mir so gnat moat, wia mit eahm sölber, und d' Hausorbat versiach i. Da enden ma 's ohne Weibsbild prächti. Aber was Di betriafft, – bis zan Herbst wollt' i Dir scho an Taglohn geb'n, wannst Hawern mahn, Heign und Erdäpfelgrab'n kannst, d' Weiwerorbat vertrau i Dir nit an, obwohl'st ma sunst recht guat g'fallst.«

Zum Schluss dieser Rede blinzelte er sie ein wenig schelmisch und verliebt an. »Na wann i Dir ner nit so guat g'fall, dass i mit guata Ruah dableib'n kann«, sagte Tinerl, »nachher bleib i scho gern.« – Vor mir hab'n alle Weibsbilder an Ruah«, entgegnete er ruhig. »Aber nit, dass D' moast, i will mi sölber lob'n. Wannst länger da bist, wirst von unser Dorfdirndeln schimpfen und spotten g'nua hör'n über mi. Und dö lob'n mi mit ihnrn Spott, ohne dass 's es wissen. Desweg'n sag i aber nit, dass oani in mi verliabt is. I estamir's halt z'weng und da haben's a Gall af mi.«

»Wia bist denn Du so Weiwerfeind word'n?« fragte Tinerl. – »I bin koa Weiwerfeind«, sagte er. »Kunnt mi augenblickli in oani verliab'n, wann's danach war.« – »Alsdann ner so hoakli!« sagte Tinerl scherzend. »Da werd i halt ja an Ruah vor Deiner hab'n.« – »G'rad Du g'fallst ma a weng«, sagte er ruhig, ohne von seinen ausgespreizten Beinen hinwegzublicken. »Sunst hätt i ja nit so lang mit Dir g'red't.« Da hörte Tinerl fast im Rühren auf. Sie wusste nicht, ob er es ernst oder scherzhaft meinte, rief aber für einen jeden Fall in einem entrüsteten Tone: »Na, sei so guat!« Er sah sie mit lachendem Munde, aber forschenden Augen an. »So geht's ma!« rief er. »Kam sticht ma oani a bisserl in d' Aug'n, pumpsti! sagt's ma scho, dass 's nix hören und nix wissen mag vo mir. Und nacha soll i a Zuatrau'n za dö Weibsbilder kriag'n. Na, na, fürcht Di nit.« Weil er lachte, stimmte sie auch ein wenig ein. »Eh fürcht i mi nit. Versteh ja a G'spaß.«

Nun wollte endlich der Bauer ein Näheres über sie wissen. Sie erzählte ihm kurz und klar ihre Verhältnisse und erfuhr dafür auch die seinen. Er kam da in den Sirnhof – so hieß das Gehöfte – zur Welt. Es erzog ihn eine gutmeinende Mutter, an welche er mit Liebe gedachte, welcher er aber doch nicht eitel Rühmenswertes in die Ewigkeit nachsagen konnte. Sie übernahm von ihren Eltern den Sirnhof ohne Schuldenlast und heiratete noch überdies den zu jener Zeit reichsten Bauernsohn des Dorfes. Aber nach etlichen Jahren trennten sich die beiden wieder. Er war ein Geizhals, sie eine Verschwenderin. Zwei Kinder waren da: Peter, der junge Bauer und Nani. Die Letztere erbte von ihrer Mutter gerade deren unglückseligste Eigenschaft. Der geizige Bauer stand alles Recht auf die Kinder dem Weibe ab. Er ersparte sich gerne die kostspielige Schererei. Sein Geld war ihm lieber als alles. Als er dann starb, setzte er einen jüngeren Bruder zum Universalerben ein. Die Bäuerin aber begann fortan ein wahres Prasserleben und unterwies hierin auch ihr einziges, verhätscheltes Töchterchen. Als Peters Verstand zu reifen anfing, lasteten auf dem Hause bereits mehr Schulden, als es wert war. Der junge Mann mochte nun noch so emsig schaffen und sorgen, Mutter und Schwester anerkannten dies kaum, beeinschränkten ihre Bedürfnisse spottwenig und wirtschafteten so nachlässig als je.

Die Alte war des festen Glaubens, dass Peter alles, was sie verschwendete, durch eine reiche Heirat wieder hereinbringen werde. Aber der junge Mann gab sich nicht auf diese Weise zum Opfer her, wie es seine Mutter hoffte, so innig er es auch wünschte, dass ihm das Gehöft erhalten bliebe. Im Auffinden einer reichen Braut für Peter hätte die Alte übrigens Glück gehabt. Freilich brauchte da die vorsorgliche Mutter nicht weit herumzusuchen. Im Nachbargehöfte schaltete eine ledige Bäuerin. Die war wohl einige Jahre älter als Peter und sonst nicht gerade die leibhaftige Liebenswürdigkeit, allein, weil sie nur Geld hatte, sahen in ihr die Sirnhofbäuerin und deren Tochter schon das Ideal einer Schwiegertochter, beziehungsweise Schwägerin.

Dass Peter gegen die Nesslbauernresi seit Kindheit eine natürliche Abneigung hatte und sich deshalb nicht ohne Weiteres zu der Heirat bereit erklären würde, machte den beiden Weibern anfangs die wenigsten Sorgen. Sie fanden es nicht klug, ihm zu sagen, was sie mit ihm vorhatten, ehe sie sich nicht der Willensmeinung der Nesslbauernresi vergewissert hatten. Darum huben sie mit der Letzteren eine großmächtige Freundschaft an und fanden gleich am Anfang ein großartiges, unmisszuverstehendes Entgegenkommen.

Die Nesslbauernresi hatte nämlich noch nie für einen Mann mehr Leidenschaft genährt als für Peter. Dieser ging ihr geflissentlich aus dem Wege. Wenn er sie ja schicklichkeitshalber ansprechen musste, zwang er sich wohl zu freundlichen Worten. Aber ein liebes Wort konnte er ihr nicht sagen. So hatte sie fast schon die Hoffnung aufgegeben, dass er sich ihr auf eine andere Weise nähern würde. Und plötzlich kamen ihr seine Mutter und Schwester mit schier überschwänglichen Liebes- und Achtungsbezeugungen und machten fast die Freiwerberinnen für Peter.

Der Rest lag an dem Besitze des stolzen, kalten Menschen mehr als an ihrem Vermögen. Sie war für die Partie Feuer und Flamme. Nanni redete oder log vielmehr auch noch, als ob sie ihrem Bruder auf eine bisher scheu verborgene Neigung für Resi gekommen wäre und versetzte damit die Letztere in immer höhere Gluten.

Aber die drei hatten die Rechnung ohne Peter gemacht. Als es seine Mutter an der Zeit fand, ihm zu zeigen, wie er sein Glück fassen müsse, stieß er dieses Glück rau zurück. Der Sirnbäuerin halfen alle Vorstellungen nichts, sie hätte sich vor Peter die Knie wundrutschen und die Augen herausweinen können, das waren für ihn nicht die rechten Ursachen, Resi zu heiraten. Deshalb gab aber die unglückliche Mutter doch nicht alle Hoffnung auf, dass Peter zur Erkenntnis und Einsicht zu bringen sein werde. Sie verheimlichte aus diesem Grunde die Willensmeinung ihres Sohnes der Resi ganz und gar und setzte die große Freundschaft fort. Resi konnte es nun kaum erwarten, bis der Peter selbst käme und Hochzeit würde, und die beiden Weiber vertrösteten die Ärmste darauf von einer Zeit auf die andere. Dabei war ihnen freilich angst und bange, und sie wandten alle List auf, um Peter zu bekehren.

Indes traf die Sirnbäuerin unversehens der Tod. Sie starb an einem Herzschlag und überließ Nanni die Schlichtung der ganzen Angelegenheit. Nanni fühlte sich aber ihrem Bruder gegenüber ziemlich machtlos und konnte im Sinne der Mutter rein gar nicht auf ihn einwirken.

Übrigens hielt sie es für klug, jetzt weniger an die Verheiratung ihres Bruders als an ihre eigene zu denken. Als das Mädchen sah, dass ihm aus der Freundschaft mit Resi nicht der erwünschte Gewinn erwachsen könne, setzte es die Beziehungen zu der Belogenen einfach nicht fort. Resi erkundigte sich in ihrer Ungeduld bald bei der vermeintlichen Freundin um den Stand der Dinge. Und da nahm der Verkehr zwischen den beiden mit einem gar schnöden Auftritt ein Ende.

Mit ihrem Bruder vertrug sich Nanni seither, wie man das erwarten konnte. In der Wirtschaft unterstützte sie ihn so schlecht wie bei der Mutter Lebzeiten. Nur dass er ihr jetzt mehr Einschränkung auferlegen konnte als damals. Er tat dies auch und nahm dafür die gröblichsten, ungerechtfertigsten Vorwürfe mit ziemlicher Geduld hin. Obwohl Peter sein mühseliges Hausen jeden Augenblick aufgeben und die verschuldete Wirtschaft den Gläubigern überlassen konnte, hoffte Nanni doch noch immer auf ein Heiratsgut. Ein Mann fand sich bisher nicht für sie. Nicht der und nicht ein anderer, – weder ein Bauernknecht, noch ein Gutsbesitzer.

Sie war als arbeitsscheu, verschwenderisch ausgeschrien, und niemand glaubte, dass ihr der Peter etwas werde auszahlen können. Um alle diese Eigenschaften einem Mann vergessen zu machen, dazu aber war sie nicht schön und lieb genug.

Für Peter aber hätte sich schon manche gute Partie geboten. Er genoss einen guten Ruf und die Achtung der Männer des ganzen Kirchsprengels. Viele vernünftig denkende, reiche Bauern hätten ihm ihre Tochter anvertraut. Aber es gefiel ihm keine von allen so gut, dass er sie zum Weibe nahm. Und eine, die er nicht liebte, heiratete er nicht. Eher wollte er bettelarm vom Hause gehen. Bisher hatte sich die Liebe bei ihm nicht eingestellt und deshalb auch nicht das wahre Bedürfnis zum Heiraten. Zu einer Verbindung zwingen aber wollte er sich durch keine noch so misslichen Verhältnisse lassen. – Um die Schulden seiner Mutter zu tilgen, plagte er sich gerne sein Leben lang, aber an ein ungeliebtes Weib kettete er sich darum nicht. Er war ein Freidenker und hielt sein Schicksal nicht für göttliche Bestimmung, sondern für eine blöde Verwicklung unvernünftiger Zufälle und Verhältnisse, welcher sich ein gut denkender Mensch um seines besseren Selbst willen nicht feige anschicken und fügen dürfe.

Peter erzählte seine Geschichte dem Mädchen nicht auf einmal, sondern hörte hie und da auf sie, die wie kein Mensch zuvor auf seine Gedanken einging und ihn verstand.

Er hatte sich vom Anfang nicht vorgenommen, ihr seine Lage so genau und wahrheitsgetreu zu schildern. Aber ihr Verständnis verlockte ihn, ihr bedeutende, gefühlte Eröffnungen zu machen. Demgemäß gestand er ihr auch ohne Heuchel, dass er glücklich sei, sich einmal mit jemandem vom Herzen aussprechen zu können, und Tinerl brachte darauf hin wieder ihre natürliche Freude darüber zum Ausdruck, dass er sie mit so viel Vertrauen und Offenheit beschenke.

Während des Gespräches wollte Peter die schnell gewonnene Freundin einige Male im Butterrühren ablösen, aber sie war davon nicht wegzubringen. Über der geistigen und körperlichen Arbeit vergaß sie auch noch einmal Hunger und Ermüdung. Als die Butter fertig war, tat dies dem Mädchen fast leid, so reizvoll war ihm das Geplauder an dem geplätschererfüllten Butterfass vorgekommen. Indes fand es Tinerl auch ganz gemütlich, als sie dem Bauern am Tisch gegenüber saß, zu einem großen Butterbrot Buttermilch trank und dann mit Peter auf eine gute Freundschaft anstieß.

Bei diesem feierlichen Akte zeigte Peter wirkliche Begeisterung und blickte sein Gegenüber an, dass dasselbe alle Ursache zu der Meinung hatte, er wünsche aus dieser Freundschaft eine sehr warme und innige zu kriegen. Vor den beredten, heißen Blicken wurde Tinerl bange. Sie hätte Peter, wenn sich das nur halbwegs geschickt hätte, um Gotteswillen bitten mögen, sich ja nicht in sie zu verlieben, denn sonst wüsste sie bei bester Vernunft nicht, wie sie sich zu ihm benehmen müsse, und liefe jetzt gleich wieder zu Anfang der Freundschaft auf und davon, wie freudig sie auch hoffte, dass ihr die Letztere noch lieber und werter würde, als dies bereits der Fall sei.

Wer weiß, ob Tinerl durch die Blicke Peters so ängstlich geworden wäre, hätte sie nicht unter dem Eindruck der Begegnung im Walde gestanden. Von dieser Begegnung erzählte sie Peter nichts. Sie barg ja die Erinnerung an jenen jungen Einsiedler bereits im geheimsten und besten Fache ihres Herzens.

 

5.

An z'widrig'n Gast
Schmeißt der Wirt aus 'n Haus.
Und Du ram in Dein Herzerl
Mit'n Gallhäf'n aus.

 

»So«, sagte Tinerl, als sie ihr Butterbrot und eine ansehnliche Menge Milch in sich hatte, »hiatzt darf schon wieder wos an mi kemma. I leist' Widerstand. Gib ma wos z'toan, Bauer.« »Geh«, sagte Peter, »bist heut' eh schon so weit ganga. Rast di g'höri aus, dass d' morgen was wert bist. I geh afs Feld mit der Jausn. Is eh scho höchste Zeit, sonst kemman ma d' Leut ehnder zan Nochtmohl hoam. Woaßt wos? 's Nochtmohl konnst uns koch'n. A sauri Supp'n und Erdäpfel. Schaust halt, dass d' gen Achte damit ferti bist.«

»Wann aber dei Schwester über mi kimmt und verjagt mi aus der Kuchl?« fragte Tinerl, dieses allen Ernstes besorgend.

»Das wird nit g'scheg'n«, entgegnete Peter. »Scho drum nit, wal's selber z'faul zum Koch'n is. Überhaupt wird's wo hin in d' Visit ganga sei und kimmt, woaß God wann, hoam. Kimmt's aber, so red' di ner af mi aus, da wirst glei a Ruah hab'n.« Und er zeigte ihr die Küche, die an die Stube stieß, und den Erdäpfelkeller, und um recht sein Vertrauen zu beweisen, händigte er ihr auch den Milchkammerschlüssel ein. Dann goss er die ganze noch übrige Buttermilch in einen Krug, holte aus der Tischlade einen Laib schwarzen, aber gut gearbeiteten, duftenden Brotes und tummelte sich fort, nachdem er Tinerl noch einen stummen, aber bedeutsamen Gruß zugenickt hatte. Das Mädchen wusste sich nun nichts anzufangen. Zum Nachtmahlkochen war noch lange Zeit. So blieb es denn eine Weile am Fenster sitzen, musterte die umliegenden stattlichen Gehöfte, in denen jetzt kein Mensch anwesend schien, und dachte über die neuen Verhältnisse nach.

Sie war glücklich ein solches Unterkommen gefunden zu haben, wenn sich nur der Bauer nicht veränderte, wie sie befürchtete.

Sie nahm sich vor, so viel zu seinem Besten zu tun, als ihr nur möglich war, und allen Leuten gegenüber, welche ihr hier begegneten, gar freundlich und bescheiden zu sein und sich überhaupt so musterhaft zu benehmen, als es nur anging. Aber während all' dem dachte sie doch fast unausgesetzt an jenen Jüngling im Walde und endlich an sonst nichts als an ihn.

Dabei sah sie über die grünen Wipfel der drüber dem Weiher stehenden Obstbäume nach dem tiefblauen Himmel, bis ihr die hellen Tränen über die Backen rannen. Sie machte im Geiste wieder den Weg zu ihm zurück und sah, wie er sie empfing und wie ihm dabei die Augen strahlten. Dass sie sich mit diesen Träumen gegen die Seele ihres Vaters versündige, glaubte sie noch immer, wollte nun aber um dieses Träumens willen gerne die Sünde begehen.

Sie saß schon lange, da schrillte hinter ihr die hohe Stimme Nannis: »Wo ist denn der Bauer?«

Tinerl drehte sich erschreckt um, und es bewältigte sich ihr diesem Weibe gegenüber gleich wieder dieselbe Schüchternheit wie früher draußen im Hausflur. – »Afs Föld mit da Jaus'n is er«, antwortete sie.

»Was hast denn da für an Schlüss'l in der Hand?« forschte Nanni. Und dann in plötzlicher Erregung: »Do nit amend gar unser'n Milikammernschlüss'l?«

Tinerl wurde unter dem scharfen, argwöhnischen Blicke feuerrot, und es verlegte ihr schier den Atem, als sie sprach: »Ja, ja, der Bauer hat ma'n geb'n.«

»So, der Bauer? Wannst do g'schickter lüag'n kunnst!« Somit entriss ihr Nanni den Schlüssel und schien dabei so empört, wie man wenigstens einem Diebe gegenüber tut, den man auf frischer Tat ertappt.

Da musste sich des arg verkannten Mädchens freilich ein Zorn bemächtigen. »Der Bauer hat mir den Schlüssel geb'n«, wiederholte sie, sich vor Nanni drohend zur vollen Höhe aufrichtend.

»Ah, ah«, staunte Nanni. »So a Keckheit! Is do schier nit zan glaub'n. Mei Bruader wird den Schlüssel aner wildfremd'n Person geb'n!«

»I bin nit gar so wildfremd zu eahm«, sagte Tinerl.

»Das sagst«, schrie Nanni, »mir ins G'sicht? Mei Bruader gibt si mit koana Schlampen o. Ins Haus aber lasst er a solchene scho gar nit.«

»Wos?« schrie Tinerl, und in ihrem Innern wallte es fürchterlich aus. »Für so was haltst mi Du! Wal i koane solch'n Fetz'n am Leib han wie Du!« – Sie hätte das Weib, vor welchem sie eben noch so viel Respekt hatte, erwürgen mögen, aber es ekelte ihr förmlich, dasselbe anzurühren, und die zum Angriff gerichteten Arme fielen wieder schlaff herab.

»Wer so schlecht von andern denkt, der is sölber nix wert«, sagte sie endlich gemessener. »Drum braucht mir nix an Deiner Moanung z'lieg'n.«

»Dos a no?« fuhr die andere auf. »Mucks und – moast i fürcht di?« Sie packte und erhob gar drohend und entschlossen einen Stuhl.

Unterdessen war der Tinerl schon wieder mehr Überlegung zurückgekehrt. »Hau nit zua«, warnte sie. »Kunnt's es bereu'n. Wart bis der Bau'r kimmt. Von dem wirst dann scho d' Wahrat hör'n. Aber koa weitere Rechtfertigung gib i Dir nimmer, Du hast mi z'viel beleidigt.«

Über diese Worte und den plötzlich ruhigen Ton wurde die andere stutzig. Sie ließ den Stuhl sinken und sah die vermeintliche Diebin durchbohrend an. Aber es war ihr wohl unmöglich, von Tinerl besser zu denken, und sie hielt deren Veränderung für eitel Gaunerschwindel. »Wannst Dein' Unschuld beweis'n kannst«, sagte sie mit einem höhnischen Lächeln, »nachdem bitt i di halt um Verzeihung. Ner a bissl wart'n musst.« Sie ging an eines der Fenster, riss es auf und tat jäh nacheinander ein paar gellende Hilferufe hinaus, deren jämmerliches Getön seltsam zu der ruhigen Miene passten. Nach einer Weile wurden draußen Stimmen laut, die sich nach der Ursache des Geschreies erkundigten.

»An Diab han i g'fangt«, rief Nanni.

Da erbrannte Tinerl schon wieder in Zorn, aber sie blieb stolz und kerzengrade stehen. Nach einem Augenblicke flog die Tür auf und ein hageres, weißhaariges Weib kam mit einem großen Zaunstecken hereingestürzt.

»Wo?« kreischte sie, und »Wo?« eine zweite Stimme, welche einer anderen, jüngeren und rüstigeren Nachbarin angehörte. Die Letztere sah wohl danach aus, als ob sie nebst ihren Fäusten und ihrer Zunge keiner anderen Bewaffnung bedürfe. Sonach baumelte ein Dreschflegel herein, und hinterher stieg ein uraltes Männchen in ungeheueren Holzschuhen, einen grünen Spenser und mit einer bequasteten Zipfelmütze auf dem Kopfe. Der helle Mut blitzte aus den Augen der drei Erschienenen. Nanni wies nach Tinerl. Es schien ihr gleichgültig, ob die drei gleich auf Letztere losschlugen.

»Dös is's?« schrie das alte Weib. » I han g'moant, 's war a Mannsbild.« – »Soll ma's glei derhau'n?« fragte die zweite in halb scherzendem Ton, und: »Was hat's denn g'stohl'n dö Sakera?« das Männchen.

Tinerl hätte unter den unschmeichelhaften Blicken der Leute vor Scham in den Boden versinken mögen, aber sie sagte aller Blicke fest erwidernd: »Nix, Dö halt't mi ner für a Diabin, aber es wird si glei herausstell'n, ob i oani bin.«

»Aso«, sagte das zweiterschienene Weib. »Es muass si erst herausstelln. Was schreist denn Du nacha, als ob's d' og'stocha wurd'ts?« wandte sie sich an Nanni.

»Soll i alloa ba ihr wachten, bis 's mi amend richti umbringt?« fragte die Letztere.

»Zeit hast gnua zan Wachten«, entgegnete das Weib. »Versamst's ja nix, wia andre arbeitssame Leut'. Renn' i vo aller Arbat davo, moa, 's is der Grasl mit seiner Räubersbande vom Tod' afderstanden, und dawal steht da a Dirndl, dös nach mei'n Derkenna so weng aner Diabin gleichsiaht wia Du sölber.«

»Wia i dö Schroa g'hört han«, sagte die Ältere, »war i am Liabst'n in d' Froas g'fall'n. Aber dö liab' Sorg' um 's Nächsten Wohl stirkt an Mensch'n.« – »Dös gilt«, bestätigte das Männchen mit dünner Stimme. »Wia derhebat denn i sunst no dö Drischl?« – »Wollt's ba ihr wacht'n?« fragte Nanni. »So hol' i g'schnell 'n Bauer. Da wird ma ja glei d' Wohrat hör'n.« – »I möcht' vor all'n wiss'n, ob 's dafürsteht, dass ma da unser Orbat versaman«, rief das Rüstigere der zwei Weiber. »Was is den Mentscherl ihr Verbrech'n? A Geld hat 's nit g'stohl'n am Sirnhof, das kann i behaupt'n. Hat ihr g'wiss der Brotloab in der Tischtruha in d' Aug'n g'stoch'n. Gelt Du? So a fesche Gretl! Kunnt' si dö ihr Brot nit leicht verdean? Pfui Teufl, scham di vor der Sunn!« – »I brauch mi nit z'schama«, sagte Tinerl.

»Ja, ja, solchen Leut' fahlt d' Schand'«, sagt die Hagere. »Es ist überhaupt a Fahler, dass d' Schand' nit ausdrückli in dö zehn Gebot' steht, denn –« – »Fangst nit 's Kritisieren an«, verwies die andere. – »In d' Milikammern hat's einbrechn woll'n«, sagte unterdessen Nanni zu dem Bäuerlein. – »Da Bau'r hat ma 'in Milikammernschlüssel geb'n«, verbesserte Tinerl, gegen die Weiber zu redend. – »Stad sei«, rief das unbewaffnete Weib. »Das ist nit wahr. Da kenn' i 'in Bauern z' guat.« – »Schickt's ner um eahm«, sagte Tinerl. » I red' hiazt nix mehr, wann's ma nix glaubt's.« – »Renn' um eahm'«, sagte die das große Wort führende zu Nanni. »Dass ma nit z' lang afg'halt'n san.«

Nanni entfernte sich schleunig. Das Männchen stellte sich einen Stuhl vor die Türe. Die beiden Weiber nahmen nebeneinander anf der Wandbank Platz, und Tinerl blieb stehen, wie sie stand, nur wandte sie ihr Gesicht von den Dreien ab. Wie groß sie der Vorfall auch erregte, die Erwartung des Triumphes, welcher ihr bevorstand, wenn der Bauer kam, war nun doch das Bedeutendste ihrer Gefühle. Die drei Wächter fingen indes eine Unterhaltung an. Erst leise, in einem sogenannten schreienden Flüstertone. Tinerl verstand jedes Wort. Man urteilte nicht zu hart über sie, wenigstens sprach man keinen gröberen Verdacht aus, als den durch diesen Vorfall gerechtfertigten. An Nanni aber blieb, besonders bei der Schilderung des jüngeren Weibes kein gutes Haar. »Aber der Sirnbau'r is an Ehrenbursch«, sagte die Weißhaarige endlich laut. – »Dös gilt«, bekräftigte das Männchen. »Wer ma über den was sagt, den hau' i a Watsch'n abi.« – »A Narr is er!« rief das jüngere Weib. »Schind und plagt si da umsonst, denn derrett'n tut er 's Haus nit. Je länger als 's nit za da Lisitation kimmt, desto mehr verschwend er sei Kraft und sei Jugand dran. All's lieg'n und steh'n lassen soll er und davorenna. Er is g'sund, sonst a g'schickt und schö g'wachs'n. Da kann er no Glück mach'n und 's Leben g'niaß'n. Aber am Haus da is und bleibt er der Narr.« – »Dös sewie muss ma wieder zuageb'n«, sagte das Bäuerlein.

»Er kunnt si ja mit'n Heirat'n aus'n G'frett helf'n«, meinte die Weißhaarige. »Gibt ja mögate Dirndaln gnua mit an Göld, dö ner g'rad af eam züngeln tat'n. Aber er muss rein koa G'fühl für d' Weibsbilder hab'n.« – » Das glaub' i nit«, sagte die andere. »Er halt ner mit 'n G'fühl z'ruck, dass 'n nacha oani, dö Recht' namli, als a guati und frischi kriagt. Is halt mit all'n a haushälterischer Mensch und mit'n G'fühl a. A rechtschaffn, g'sitta Bua. Und an dö Recht wird er scho kemma. Aber wann heut no wo oaner is, der si ordentli verhält und der's nit mit dö andern treibt, pumpsti, muass af dö hellliachti Unschuld an schwarzer Fleck afidoppelt werd'n. Wal er koa Weibernarr is, hot er koa G'fühl. Du Sackerment! Han di allwal für a verstandig's Leut ang'schaut, Felberin.« – »Fang ner wieder 's Tepp'n an«, verwies die Alte. – »Han ja nix Unrechts g'moat. Woaß eh, dass der Sirnbaur koa alte Afreibbürst'n statt an Herz drinnat hat. Aber halt nit amol hätt ma g'hört, dass er wo an G'spoaß g'macht hätt oder wo ang'fensterlt.«

»Da hätt er g'rad bei Dir anfensterln müassen, wannst davo was hören hätt'st soll'n«, stritt die zweite dagegen. »Oder müassen dö alt'n Weiwer akrat vo a jed'n Buam wiss'n, wia oft er anfensterlt?« – Während die Alte in Verlegenheit um eine Antwort geriet und die Sprecherin der letzten Worte sieghaft lächelte, wurde die nach innen aufgehende Stubentüre derart aufgerissen, dass das Bäuerlein, hätte es nicht schnellmöglichst geflüchtet, zusamt dem Stuhl auf den Boden hingeflogen wäre. Der Bauer stürmte herein mit einem brennroten Gesicht und gleich auf Tinerl zu. »Hab'ns Dir wos z'load tan?« hastete er hervor. Die Fäuste hatte er dabei gar drohend geballt, und seine Augen funkelten. Damit er sich beruhige, lächelte Tinerl. »Gar nix is ma g'schehg'n.« – »Du sagst es nit! Red ner! Mei Schwester denkt über neamd was Guats.« – »Umso leichter tröst' i mi«, sagte das Mädchen. »Da kann i alloa a koa'n Ausnahm verlangn.« Indessen kam auch Nanni mit den Worten; »Na ja, irr'n is menschlich.« »Wals d' das ner einsiahgst«, sagte das jüngere Weib. »Ehnder hast es nit eing'sehg'n. Da hätt'st Du das Dirndl, so guat i di kenn, ausschind'n lass'n kinna, wal's nit g'irrt hat. Oder moast, dass das Sprüchwort ner für Di gilt?« Nanni wandte sich ab, weil sie das Weib fürchtete, welches, wenn man sich mit ihm auf einen Streit einließ, schrecklich werden konnte. »Hiatzt san mir in a schö'n Blamaschi«, meinte die Hagere. »Han's eh glei g'wusst, dass dem Dirndl unrecht g'schiacht. Wal i 'n Leut'n aus'n G'sicht lesen kann. Na an andersmal wird ma si z'richt'n wissen. Da lacht man halt, wann d' Fral'n wieder a so schreit. Pfirt God!«

Sie sputete sich hinaus. Das Bäuerlein folgte ihr mit eingezogenem Kopfe, als ob es sich in die Seele schämte.

Die Wortgewaltigere aber trat vor den Bauern und Tinerl und nahm der Letzteren Hand. »Nix für unguat Dirndl. Wirst es eh glei kennt hab'n, dass ma ehrliche Leut san, dö nit gern von an andern schlecht denkan.«

Tinerl versicherte ihr dasselbe, worauf die Alte denn auch die Stube verließ mit der Bemerkung, dass es sie nichts angehe, was ferner die drei Zurückbleibenden zu sprechen hätten.

»Alsdann Du bist richti gar nit a bissl harb?« fragte der Bauer im Tone der herzlichen, aufrichtigen Abbitte. – »Nit a bissl.« – »Das sagst aus lauter Guatheit, i kenn Di scho. Aber es muass ja no kocha in Dir vor Wut über so an Verdacht.« – »A na, Baur. So gifti bin i nit.«

Jetzt trat Nauni rasch vor die beiden hin und störte ihren Bruder im Anschauen Tinerls.

»Das han i frali nit g'wüsst, dass ös richti so weit mitanand seid's. Pfui!« – Nanni legte viel Verachtung in Ton und Miene, hatte aber schon im nächsten Augenblicke die Türe hinter sich zugeschlagen.

Man wusste gar nicht, wie schnell sie nach der ungeheuerlichen Beleidigung, welche sie den beiden antat, hinauskam. Peter stand förmlich starr. Er war bleich vor Erregung. Sein Blick ruhte eine Weile durchdringend auf dem Gesichte Tinerls. Dabei wurde ihm klar, dass auch sie den falschen Vorwarf verstanden hatte. Da wollte er seiner Schwester nach. Aber Tinerl hielt ihn mit aller Kraft zurück. Er hätte sich freilich leicht losgerissen. Aber die erste leibliche Berührung, in die er mit diesem Mädchen kam – es presste seinen Arm an sich – hatte selbst für Peter seinen Reiz. Darum blieb der junge Mann.

»Schau mi an«, stellte ihm Tinerl vor. »I bin a Weibsbild und han d'rum in dem Fall a hoaklichere Ehr' wia Du. Aber i bin still: A Mensch, der mi so schlecht kennt wia Dei Schwester, der rat mit aner Beleidigung, die er mir antoan will, fahl. Verstehst mi? Gift'n kann i mi höchst'ns über dem andern sein Unverstand und sein' Irrtum, aber über weiter nix. I bin scho wieder ganz bei mir sölber, obwohl 's mi ehnder beutelt hat vor Gall. Sei g'scheidt Bauer und lass' das nit Ursach za an größern Unfried'n in Dein Haus werd'n. Hörst?«

»Na ja«, sagte er nachgebend. »Wannst Du dö Beleidigung verschmerzt, muass i wohl a verschmerz'n. Aber hätt'st Dir's nit g'fall'n lass'n, und wärst af Dei Recht b'stand'n, i hätt' Dir Dei Recht verschafft.«

Tinerl lächelte. »A Rach' hätt'st mir verschafft! Und i bin nit rachsüchti. Aber, was red'n ma lang und verlanzeln die Zeit! Baur, nix für unguat. I wär' dablieb'n, aber i siach, dass i ner grade Handl in dem Haus machet. D'rum is am best'n i geh.«

»Was«, rief Peter höchst erschrocken. »Du willst wieder davo? Na, das gibt's nit!« – »I muass geh'n«, sagte Tinerl. »Zoaget vo koan Ehrg'fühl, wann i dablieb. Was ma da passiert is, macht mi nit unglückli, aber glückli kunnt i in dem Haus a nit werd'n. Red' ma nix mehr ei. 's war schad um a Wort. Denk d'rüber nach, und Du wirst ma recht geb'n.«

»Recht hast frali«, entgegnete er traurig, »aber glaub' mir's – hätt' mei Schwester nit 's Bleib'n am Haus zuag'schrieb'n, aus müssat's hiatzt, dass Du in Ruah dableib'n kunnt'st.« – »Da kamst erst in an schön'n Verdacht mit mir!« sagte Tinerl lächelnd. – »Dem Verdacht kannten ma gar bald an End mach'n«, entgegnete er und erfasste ihre beiden Hände. Dabei glühte plötzlich sein Gesicht.

Sie riss sich los, es wurde ihr angst und bange. War er da nicht schon am Heiratsantrag angelangt? Sie glaubte nicht anders. Ihn aber machte der Schrecken, welcher aus ihrem Antlitz sprach, tief traurig. Er hatte eine deutliche Ahnung von dem, was sie fühlte.

»Du kunnst mi nit gern hab'n«, sagte er leise. – »Dei treue Freundin kunnt i sei«, entgegnete sie. »So viel G'fühl hab i für Di, mehr nit. Aber Du verlangst mehr – oder weniger. Und a schlechter Kerl, der mehr gibt, als er hat. Alsdann Pfirt God.«

Sie hatte den Binkel schon aufgepackt und hielt Peter die Rechte hin. Er ergriff und drückte sie heiß. Dabei sah er dem Mädchen noch einmal ins Gesicht mit so viel Wehmut und Trauer, dass es Tinerl ins Herz schnitt und sie sich augenblicklich den Vorwurf der Grausamkeit machte. Dann senkte er den Blick und wurde dabei seltsam blass. Und so stand er still, bis Tinerl draußen war. Sie ging nicht leicht fort, hätte ihm noch vieles Gute und Tröstliche sagen mögen, aber sie verzweifelte daran, ob sie das Letztere könne und nicht mit einem Versuche Gegenteiliges bezwecken würde.

Er setzte sich an den Tisch, stützte den Kopf in die Hände und sah in ernsten, traurigen Gedanken mit glanzlosen Augen vor sich hin.

 

6.

Wer wird denn das Dirndal
No brav hoaß'n woll'n?
Hiatzt hot dö ihr Tugand
In G'schamst'r empfohl'n.

 

Es war vor Abendanbruch, als Tinerl das Haus verließ. Sie wusste für den Augenblick nicht, was sie selber wollte. Die Ermüdung, welche sie über die Vorfälle der letzten Stunden schier vergaß, kehrte nun umso mächtiger wieder. Sonst hätte Tinerl vielleicht noch jetzt das Dorf verlassen, wo ihr so Unangenehmes geschah. Neben den Sirnhof stand das Dorfwirtshaus. Als Tinerl das ausgehängte Reisigbüschel sah, ging sie geradeaus auf das alte, ebenerdige Gebäude zu. Gleichzeitig nahm sie ihre Barschaft in die Faust, um mit mehr Mut Beherbergung verlangen zu können. In dem schmalen Vorflur des Wirtshauses war es bereits dunkel. Zur linken Hand durch das kleine Guckfenster der Schenkstubentüre fiel ein Lichtstreif heraus. Der Wirt zündete just drinnen die Lampe an. In der Schänke lärmten einige Männerstimmen. Da scheute sich Tinerl einzutreten. Sie sah flüchtig durch das trübe Glasscheibchen des Guckfensters.

Am Ofen saßen an einem Tisch, über welchem die Lampe brannte, vier Männer beim Kartenspiel und stritten. Weiterhin gegen die Fensterseite zu saß auf der Bank – der Jüngling, den Tinerl heute im Walde kennen lernte. Ja, er war es! Neben sich hatte er ein Glas Bier stehen. Er faltete die Hände über den von sich gespreitzten Beinen und starrte zu Boden.

Sie sah nichts so schnell und hell wie ihn trotz der Dunkelheit und dem trüben Fensterglas. Es knickten ihr die Beine ein; sie war wie gelähmt und ohne Atem. Im selben Augenblick stieß ein Weib mit ihr zusammen, welches mit bloßen Füßen fast geräuschlos aus der Tiefe des langen Vorflures kam.

»Oho. Wer is denn dös?« – Tinerl war in Verlegenheit. – Sie zitterte vor einer Begegnung mit dem jungen Manne und konnte sich doch keine Rechenschaft geben, ob sie mehr Seligkeit oder Furcht empfand, dass sie ihn hier sah.

»Seid's Ös d' Wirtin?« fragte sie. – »Ja. Was wollt's denn?« – »Über d' Nocht war i gern dablieb'n«, sagte das Mädchen. – »Na? Und da traut's Enk nit in d' Stub'n?« fragte die Wirtin etwas barsch. – »Na. Es is oaner drinn, mit dem i nit z'sammkemma möcht«, entgegnete Tinerl. »D'rum geh' i wieder.«

Die Wirtin hatte das Gesicht des Mädchens nun in dem aus der Stube fallenden Licht besehen und schien sonach viel freundlicher gesinnt.

»Mit den Jung'n, der dort alloa sitzt, wollt's nit z'sammkemma? Wos is denn dös für oaner?«

Tinerl zuckte die Achseln. »Sein Nam' woaß i selber nit. So viel kann i Enk sag'n, dass 's a rarer Bua is. Derfts 'n nit verdächti anschau'n, aber begegna möcht i eam nit.«

»Lüagt's mi nit an«, sagte die Wirtin gutmütig, »und gebt's mir koani Leut z'kenna! Ös zwoa g'hörts eh z'samm. Habt's Enk halt a bissl z'trag'n und toats hiatzt Versteckn spiel'n. Man siacht Enk eh all zwoa den sölb'n Verdruss an. Desweg'n vagierts Moring do wieder mitanand.«

»Mir san koani Vagabunde«, verteidigte sich Tinerl, war aber von den Worten der Wirtin nicht verletzt, weil dieselben leichthin scherzend gesprochen wurden.

»Annehma tuats a si do um eam!« neckte die Wirtin, »Da muass d' Feindschaft nit groß sei. Aber machts Enk nix d'raus. Kunnst scho dableib'n, ohne dass er drafkimmt. Das hoaßt, wann d' im Stadl am Heu liegen mögst.«

»Lieg' am Heu so guat wie in Bett«, sagte Tinerl. »Wia viel kost's denn am Heu?« – »Nix.« – »Na, so vergelt's God.«

»G'seg'ns God. Aber, weil i Enk nit kenn, muaß i mi sicher stell'n. Manichsmal san scho so billige Gast in der Fruah mit allerhand kloane Sach'n verschwund'n g'west. I schau Enk nit für schlecht an, Gott bewahr! Aber wer in Stadl über d' Nocht bleibt, muass mir sei Sacherl zum Aufheb'n geb'n. Morg'n in der Früh holts Enk den Binkl wieder ba mir in der Kuchl o. G'schiacht Enk nix an dem Sach.«

Tinerl erklärte sich einverstanden. Die Wirtin schritt ihr durch den Gang und einen kleinen Hof voraus in die Scheuer. Der niedere, strohgedeckte Lehmbau hatte an dieser Seite nur alte Gerippe von zwei Torflügeln. Das hintere Tor war auch nicht viel einbruchsicherer.

»So«, sagte die Wirtin. »Da links is da Heustock. Werd's Enk scho z'rechtfind'n. Macht's ner um Gott'swill'n koa Liacht.«

»Fürcht's Enk nit«, sagte das Mädchen und überreichte dem Weibe nach Vereinbarung den Binkel.

»So, Dirndl. Guadi Nacht.« – »Guadi Nacht.«

Die Wirtin ging mit dem Binkel in das Hans zurück und geradewegs zur Stubentüre hinein.

Dort rief ihr der Wirt entgegem »An schwarz'n Kaffee woll'ns. Wo hatscht denn ner wieder um.«

»Na, na!« sagte das Weib. »Wird do nit glei aus sei, wenn ma a bissl 'n Ruck'n wend'. Schlafn g'weist han i Oane.«

»Aso«, machte der Wirt nach dem Binkel schielend. »Dö wird Dir g'wiss a guat's Schlafgöld zahlt hab'n.«

»A Vergelts God«, entgegnete das Weib und wollte dann mitsamt dem verpfändeten Binkel in die Küche.

Aber da verstand der Jüngling, welcher an den bisherigen Vorgängen in der Stube keinen Anteil nahm, dem Weibe den Weg und fragte: »Kunnt i no mit dem Dirndl red'n, den der Binkel da g'hört?«

Es war nicht die Absicht der Wirtin gewesen, dem jungen Menschen die Anwesenheit des Mädchens zu verraten. Das Weib handelte diesmal in lediger Zerstreutheit und Unvorsichtigkeit und erschrak nun auch entsprechend. Indes tröstete es sich gleich. Was lag ihr auch weiter an den beiden.

»Jessas«, rief sie, » i hätt' ja den Binkel net zoagen soll'n. Na, hiatzt is der Fahler scho g'macht. Na, sagt ihr nix, dass i 'n Verräter g'macht han.«

»Kann i no mit ihr red'n?« fragte der Mann.

Die Wirtin zuckte die Achseln. »Das müasst sölber wiss'n, ob's hiatzt in Heustadl mit ihr reden derft's.« Damit ging sie hinaus.

»Muasst eh a in Stadl über d' Nacht bleib'n«, sagte der Wirt zu dem Burschen. »Is sonst koa Platz.« Der junge Mann setzte sich wieder auf die Bank.

Seine Bewegungen waren jetzt nicht so frisch wie früh bei Tage. Er schien sich auch ein wenig unbequem in seiner jetzigen Kleidung zu fühlen. Am Oberkörper trug er einen weiß und rot gestreiften Barchentjanker mit Perlmutterknöpfen und an den Beinen schwarze Samthosen, welch' letztere er sich gewiss selbst aus dem Sonntagsrock seiner seligen Mutter verfertigte. Die Füße und der Hals waren bloß. Neben dem Burschen lag mit einem Tuch umwunden das Gebetbuch, welches Tinerl heute im Walde verlor.

Eine volle Stunde saß er nun noch still und nachdenkend da wie früher, dann stand er auf, trank den Rest seines Bieres aus, nahm das Gebetbuch und wandte sich an den Wirt, welcher mittlerweile mit den anderen zu spielen und zu lärmen angefangen hatte: »Möcht hiatzt schlafen geh'n.«

»Geh' ner«, redete der Wirt heftig über die Achsel zurück, um nur nicht lange gestört zu sein. »Im Stadl. Aber nit anfeu'rn.« – » I rauch nix«, sagte der Bursche. »Guadi Nacht.«

»Und schreck' das Binkelweiwl nit, was in Stadl liegt«, rief ihm einer der Spieler nach.

Der junge Mensch kehrte sich nicht danach, sondern tastete durch den nun stockfinsteren Gang in den mondbeschienenen Hof hinaus.

Vor dem Scheunentor musste er wohl oder übel stehen bleiben. Das Tor war von Innen so gut verschlossen und verrammelt, als das Tinerl nur mit einem Wagenseile und einigen aufgefundenen Brettern zuwege bringen konnte.

Wenn der Bursche, ohne ein Gepolter zu verursachen, in die Scheuer wollte, musste er geschickt zu Werke gehen. Die gegen das Torgerippe gelehnten Balken fielen leichter zurück auf die Tenne, als sie sich bei Seite schieben ließen, und sooft der junge Mensch ein wenig an dem Wagenseile nestelte, mit welchem die beiden Torflügel znsammengehängt waren, knarrten die letzteren, dass das Mädchen darüber wohl aus einem leichten Schlafe fahren konnte. Nach einer Weile stand der Jüngling aber doch in der Scheuer, ohne nur das mindeste Geräusch gemacht zu haben. Durch das zerlumpte hintere Tor fiel das Mondlicht herein. Desgleichen durch die runden Luftlöcher der Giebelmauern. Demzufolge waren zu Häupten des Burschen einzelne Sparren und Balken inmitten der Finsternis in heller Beleuchtung, desgleichen die eine überhängende Seite des auf einem Gerüste liegenden Heuhaufens, welchen man nun mit wenig Einbildung für eine Wolke ansehen konnte.

Erst kroch der Bursch auf den Heustack zur Rechten. Da war ein Rascheln nicht zu vermeiden und der Späher brauchte lange, bis er sich überzeugte, dass Tinerl nicht hier sei.

Dann erklomm er den Kornstock zur Linken, auf welchen durch die gegenüberliegende Giebelluke ein wenig Licht fiel. Das scharfe Auge des Burschen musste sofort sehen, dass sich auch hier niemand befand.

Da kletterte er behände an der Mauer, die dazu Löcher und Anhaltspunkte genug hatte, zu dem Gerüste empor. Dasselbe wurde sonst auf einer Leiter erstiegen, welche Tinerl nach sich auf den Heuhaufen gezogen haben konnte.

Hier oben meinte er die Gesuchte gewiss zu finden. Darum bewegte er sich so leise wie eine Katze. Als er den Kopf über die Fläche des Heues erhob, sah er gleich im ersten Augenblicke in Tinerls Gesicht, welches im Widerschein des breit durch die Giebelluke brechenden Mondstrahles stand und mit weit aufgerissenen, entsetzten Augen dem Emporstrebenden anstarrte.

Sogleich war sie auf den Beinen, huschte über das Heu hin und sprang auf der gegenüberliegenden Seite auf den Heustock hinab. Aber da war der Bursche wie der Blitz hinter ihr. Er überlegte kaum den drei Klafter tiefen Sprung in die Finsternis, wo zwischen dem Heu noch härtere Gegenstände sein konnten, und flog in zwei Sekunden nach Tinerl glücklich neben sie hin, die sich eben zu weiterer Flucht emporraffen wollte. Er hielt sie am Rocke fest.

»Lass' mi aus, i schrei dass 's ganze Dorf z'sammrennt. A solchener bist Du! A solchener! Das hätt' i Dir nit ankennt. O Gott! Für was für an rar'n Mensch'n i Di g'halt'n han. A himm'lschreiater Jammer, wann ma a so za dar Einsicht kemma muass. Jetzt nimmst ma a so den ganz'n Glaub'n af di. Hätt' allwal gern af di denkt – kann Dir's scho sag'n, und hiatzt steigt ma der, den i Wuna wia hoch schätz', und von dem i hoff', dass er a koa schechte Moanung vo mir hat, af'n Heubod'n nach. Pfui Teufl, pfui! Af an abscheuligere Art hätt'st mi do nimmer aus mein Irrtum reiß'n kinna. Lass' aus, sag' i oder i fahr Dir übers G'sicht und Du wirst sehn, dass i nit so schwach bin, als i ausschau.«

»Fahr ner her«, sagte er, ohne sie loszulassen, mit trauriger Stimme, »und stell' mei G'sicht a so her wiast mei'n Charakter herstellst. 's G'sicht z'reiß'n tat nit so weh wia's Herz z'reiß'n.« Und dann in aufwallender Heftigkeit: »Für an solch'n haltst mi Du? Grad ner z'weg'n den, wal i Dir am Heubod'n nachsteig.«

»Is das amend nit Ursach' gnua?« fragte sie, aber es lag schon mehr milde Bewegung in dem Ton.

»Na!« sagte er bestimmt, strenge abweisend. –

»Nit? Da soll i mi nit fürcht'n, wann ma so was vorkommt!«

»Fürcht'n kannst Di ja. Aber wannst mi scho vorher woaß Wuna wie hoch g'schätzt hast, traust so weng af Dei Mensch'nkenntnis, dass d' mi glei draf wieder für so viechisch anschaust. I hob' hiatzt mehr g'recht'n Verdacht af Di, als Du af mi hab'n derfst.«

»So?« fragte Tinerl. »Das a no!« – »Ja siagst Dirndal, heut ob'n in 'n Wold unser Begegna war so schö. Mir hab'n nit viel g'red't. Aber i han mir einbild', mir versteh'n uns ohne Wort'. Du hast mi schlecht verstand'n und i Di scho glei no schlechter. Will Dir koan unnötigen Vorwurf mocha. G'scheg'n is g'scheg'n. Du hast so weng af mei Ehr baut, dass hiatzt vor meiner af a Stoapflaster abi g'hupst warst; drum hat das Begegna im Wold do koan so groß'n Wert für Di, wia i mir einbild't han. Hiatzt derf i 's nimmer hoffn, dass d' mi a bissl gern hab'n kannst wia i Di – woaßt – rein, rein – nit viechisch. Wer nit im ersten Augenblick af mei Ehrg'fühl und mei Rechtschaffenheit glaubt, dem beweis i 's a nimmer, dazu bin i z'stolz. A solcher Mensch, der mir nit glei vom Anfang traut, is mir nit guat und rein g'nua, und drum mag i vo all'n Anfang mit eahm nix z'toan hab'n. Wann mi scho sei Verdacht verdriaßt, so lass i 's ban erst'n Verdruss bewend'n. Wal a solchener verstand mi do nia, und wann er mi verstand, so passat'n ma do nit z'samm. I han mir heut' einbild't, i les 's aus Deine Aug'n, dass d' za mir passt. Hätt' sonst weiter koan Beweis dafür braucht. Aber Dir han i an Beweis geb'n, dass i koa Viach bin. Han i Di nit in meine Arm g'halt'n?«

»Also mit den all'n willst sagen«, fiel ihm Tinerl rasch in die Rede. »dass 's zwisch'n uns vor in Anfang aus is. A recht. Woaß i, wia i dran bin. Mei'n Verdacht verzeih' mir. I glaub', was 'd von Dir selber sagst – i halt's just drum für koa Prahlerei, walst es so grad außared'st. Hätt'st Di halt heut in Wold besser z'kenna geb'n müaß'n, nachher hätt' i mi scho weniger entsetzt, dass d' za mir am Heubod'n in d' Zal gehst. A bissl kurios, das wirst scho zuageb'n müass'n, is 's halt do, dass d' ma da afa nachkralst.«

»I han mit Dir red'n woll'n.« – »Da hätt'st nit wart'n kenna bis Moring?« – »Na. I hätt's nit ausg'halt'n. Han afa müass'n, ob's hiatzt unschickli vor den Leut'n is oder nit. I halt's nit für unschickli. Mei Herz hat mi herzog'n, und i zwing' und peining mei Herz nit – wann's nit sei muass. Der Leut z'weg'n muass 's nit sei, an eanerer Moanung liegt mir nit so viel wie an aner glücklich'n Stund.«

»Um Gottswill'n!« rief Tinerl. »Wissen's es im Wirtshaus, dass d' mir nachg'stieg'n bist?« – »Ja. Sö denk'n si's wenigstens.« – »Und da liegt Dir nix dran? So weng is Dir um mein'n Ruaf?« – »Geh'! Bist g'wiß so fremd in dem Dorf wia i und hast unter dö Leut' da koan gut'n und koan schlecht'n Ruaf. I han Dir hiatzt ba mei'n Nachsteig'n so viel deroacha woll'n, dass i nit müsst' mia i no af was ander's hätt' denk'n könna. Moagst nur a bissl zuahör'n, dass Dir all's klar wird, eh ma vonanand gengan?«

»Na ja, mein'tsweg'n!«

»I wird nit viel Wort macha. Nocha geh' i wieder in d' Stub'n z'ruck, z'kratz mi vorher a bissl im G'sicht, tua kreuzfuchti und verlang a Bett. Dass Du Di nit vor dö Leut schama derfst, halt' i gern a bissl Schand aus. Unser Ehr' könnens desweg'n do nit angreif'n, dö trag'n ma ga nit auswendi ang'hängt wia maniche Leut, dö einwendi überhaupt koane hab'n oder statt ihra a einbild'te!«

»Schö tröst'n kannst, das is wahr«, sagte Tinerl, »so schö, dass ma hiatzt richti nimmer viel an derer falschen Wirtin liegt, und dass D' Di dera z'weg'n a nit z'kratz'n brauchst. Aber hiatzt derzähl!«

»Guat«, erwiderte der Bursche. »Vor all'n »muss i Dir sag'n, wer i bin. An odankter Holzhacker. Gelt a großer Tit'l?« – »Dafür bist hiatzt a Freiherr«, sagte Tinerl.

»A ganzer Freiherr!« entgegnete er fast jubelnd. »Alsdann in dem Schloss, das D' heut g'sehgn hast, bin i afg'wachs'n. Meine Vorgänger war'n a da derhoam, seit uralter Zeit und a lauter Holzhacker wia i. Aber das Schloss war eahna Eigentum, und das Wiesl davor a, nacha a Stückl Huatwoad und dö zwoa alt'n, groß'u Bam. Da siahgst, dass i nit so arm bin. O'stammen, hat mei sölige Muada g'sagt, toan mir vo an Oasiedler. Wia der za dera Nachkommenschaft kemma is, das hat mei Muada nit g'wusst. I han vo meine Vorfahr'n no a bissl mei Ehnl kennt, mei Voda kann amend heut no leb'n – aber der war nit freund mit uns.«

»Was?« fragte Tinerl unter leisem Kichern. »Der Voda war nit freund mit Enk?«

»Na woaßt, i moa, er war nit vo mei'n Ehnl sei'n Stamm. Mei Ehnl hat sunst koa Kind g'habt als mei Muada. Und i bin a ledig's Kind. D' Muada hat ma vo mei'n Vodan nit viel derzählt. Muass selber nit viel g'wusst hab'n vo eahm. Sie hat nach ihr'n Fall nit g'heirat' oder is nit z'heirat'n kemma. Aso bin i halt hiatzt vo meine Leut der oanzige Überbliebene. Was i für an Erziehung g'noss'n han, na dös kannst Dir denka. Seit Kindheit nit auß'n Wold kemma. So lang i mei Muada kennt han, war's gichtkrank. Als kloaner Bua vo zwölf Jahr'n bin i scho ihr Dernährer g'west. Drum hat mi der Schulmoaster af'n Jager sei G'hoaß vo'n Schulgehen dischpensiert. Mit acht Jahr'n han i scho 's Reisatziahg'n und 's Holzscheidaz'sammtrag'n ang'fangt, um tägliche acht Kreuzer. An ander's Kind war bei dera Plag drafganga. Aber i bin a Zacher, mir hat's nit g'schad't. Ner a bissl mehr, wann i in der Schul g'lernt hätt'. Um sunst is mir nix.

Das is für mi 's Traurigst', dass i so dumm bleib'n han müass'n und a Holzhacker werd'n. Mit fuchzehn Jahr'n han i scho Holz g'schnitt'n und g'schlicht wie an Alter. Bin aber dabei nit mit viel Leut z'sammkemma, vo dö i was lerna hätt' könna. Da han i allwal g'hofft, dass 's mi zan Mülitari nehma werd'n, denn dabei hätt' i vo der Wölt 'was g'sehg'n und hätt' was aus mir werd'n könna. Aber hab'n mi ba der Assitierung nit mög'n, war eahna viel z' lang und z' stark. Za an Burgwachter, oder wie er g'sagt hat, hätt' mi oaner woll'n, aber dö andern hab'n g'moant, zan a so was war a Holzhacker z' potschert. D'raf bin i mit man G'schäft, das sunst nit langwali is, recht unz'frieden word'n. Han höher außi wöll'n und halt allwal hin und her g'spekuliert wia is 's denn angehen soll. Förmlich g'schamt han i mi bald für mei ehrlige Orbat, wal i eing'sehg'n han, dass a fürstliger Holzhacker der reine Sklav is. Dö Grobheit'n, dö sunst a Holzhacker von Jager hinnimmt wi a Viach, dö hab'n mir zan wehtoa ang'hebt, und a so hat si nix leichter g'schickt als a Streit mit'n Jäger. Er hat mir was ang'schafft, wia 's scho sei Art war – hübsch grob. I frag 'n glei, ob er nit schicksamer red'n kann, er wird über mei Keckheit wild und ner no gröber. Endli kimmt mir a Zorn, und i red' eahm, so schlecht i kann. Und draf bin i abdankt und a Freiherr word'n.«

»Das bin i hiatzt scho über 's Jahr. Und moanst, i halt's 's Faulenz'n nit aus? Oder i verlanget mir hiatzt a besser's Leben? Na! Mei ganz's Glück han i hiatzt! Sunst han i ba der Orbat nia g'sehg'n, wia schö's in Wold is. Aber hiatzt! Hiatzt find' i Wuna über Wuna, wo i sunst og'stumpft virbeiganga bin. Und mei Freiheit geht mir über all's! I will als Freiherr leb'n und sterb'n. Han koan ander's Ziel. Woaßt, i faulenz mit Sinn. Ganz'n Tag denk i, und af' d' Nacht is mir um den liab'n Tag koa bissl load, wal i 'n verlanzelt han, i g'freu mi ner wieder af den nächst'n und sing' eahm in der Fruah scho mit dö Fink'n g'weckt entgeg'n. Vo 'was i leb', wirst D' frag'n? In Wold gibt's gnua zan Leb'n. Wia viel braucht denn a Mensch? 's Brot derbau i mir sölber, hinter'n Hütt'l is a kloas Kornackerl. Heu'r hab' i a bissl Linsat baut, da kriag i nacha a neuch's G'wand und a Wäsch. In Wold hat mei Ehnl a paar Mostbirnbam g'setzt, vo dö han i 's ganze Jahr 'n Trunk. Na und halt alle halige Zeit amol stiehl i in Fürst'n a Haserl. Hat mi eh z'schlecht für mei Orbat zahlt! Na, das is mei oanzige Todsünd. Aber derentweg'n kimm i nit um mei Paradies. D' Hütt'n g'hört mei, dö kann ma Neamd nehma, und wann 's glei Neamd g'schenkt möcht, verkaf'n tat i 's um koa Göld. Mei Hoamatrecht in Wold, das is mei Reichtum, den i gen nix eintausch. Dirndal, wia schö's in Wold is – vo sölber kimmst gar nit leicht draf. Da brauchst an Schulmoaster, dass das Leb'n und dö Herrligkeit in Wold kenna lernst. Und af so an Schulmoaster studier' i hiatzt. Ja i bin hiatzt a a G'studierter und mit meiner Wissenschaft so glückli und frei wia ner oaner! Und i woaß 's, dass i so weng wia an anderer in sei'n Fach, in den mein' ausstudieren kann. In mein' grau'n Buach is mehr hellliachte Wahrat und Weisheit z'find'n und a mehr G'hoam's und Ratselhaft's als in manich'n andern Buach. Drum zahlt's a si scho aus, dass i mei ganz's Leb'n af mei Studi wend'. Und wer woaß, ob i nit der G'scheid'st vo alle G'studiert'n bin. Siahgst, i gift mi über nix, i streit' um nix, i g'niaß ner ba meiner Wissenschaft und verdirb' mir dabei koa Stund. So lang i Freiherr bin, han i scho glei koan Wunsch nimmer g'habt. Ner manichsmal so a großmächtige Sehnsucht nach an Mensch'n. G'moat han i oft, unter dem Stück'l hellblauen Himm'l, was i dort und da zwisch'n d' Bam g'seg'n hab, muaß oans z'finden sei, das za mir passt. Grad als ob dö G'wissheit am Himm'l afg'schrieb'n war, is mir manichsmal vorkemma. Und 's Herz hat g'schrie'n und afbegehrt: »Geh' Dir die zweite suach'n!«

»Bin a ganga. Aber allmal woanat z'ruck in 'n Wold, bis i 's endli verschwor'n han. Liaba betteln gehn! In dö heutige Wölt! Dazu g'hört all's, was i nit han. Aber moast, 's Herz hätt' an Ruah geb'n, moast, d' Leut hätt'n mir, wann i außi ganga bin und umasunst nach den Rechten umg'schaut han – moast sie hätt'n mir so was Schändlig's anton kinna, dass 's mi nit wieder zu eahner außizog'n hätt! Na! Wieder hätt's mi außitreib'n woll'n, wieder war i voller Hoffnung, dass i den Recht'n do finden kunnt. I moa dö halig'n Märtyrer san nit schwarer von eahnern Glaub'n abz'bringa g'west, wia i vo derer Hoffnung. Aber außiganga bin i nacha do nimmer; han mir denkt, amend schickt dir der Himm'l, was dir za deiner Söligkeit in dein' Paradies no fahlt. Und wia i heut Di af amol bei mir ob'n siach, da hat's in mir g'schrie'n, dös is dö Rechte! Neamd anderer kann 's sein! Und i han g'moat, der Himmel, der in mir dö Sehnsucht g'macht hat, fallt af uns aber, mir steh'n ganz mitt'n drinn und alle Engerl spiel'n uns af. Und – und – was nacha g'schehg'n is – das woaßt eh scho. Auslass'n han i Di wieder müass'n. Aber dabei war mir nit bang. I han mir denkt, Du rennst mir nimmer davo. In Dei Herz han i mit meine Aug'n an Angl g'worf'n, an der i Di z'ruckziahg'n kann. Geh' ner, han i mir denkt, geh', i moa, Du kannst ohne meiner eh' nimmer z'fried'n leb'n. Rennst ma nit davo. I werd Dir scho nachschau'n. Nit anders han i Di auslass'n wöll'n wie d' Katz d' Maus. Aso bin i Dir halt nachganga.«

»A Betbüachl hast aus 'n Binkel verlor'n, da is 's. Dei Spur han i nit suach'n braucht – war allwal hübsch nähat hinter Dir. Wiast a so davong'rennt bist vor meiner, war i in Todsängst'n. Schrei'n han i hinter Deiner nit recht woll'n, sonst warst amend no mehr g'satzt und hätt'st Dir was broch'n. D'rum bin i Dir ganz still nach. Hast nix g'wusst davo. Wiast Di zan ersten Mal umg'schaut hast – schupsti – war i scho hinter an Bam und nacha han is g'seg'n, wiast woanat af an Stock g'sess'n bist. Da hätt i schwör'n kinna, dass D' von der Liab, dö so blitzschnell in mi g'fahr'n is, a troff'n bist – mit'n ins Herz. Und wia a Jaga an g'schossna Hirsch'n mit der g'wiss'n Hoffnung nachgeht, dass er ehm nimmer auskimmt, a so bin i Dir nach. Und nacha han i Di singa g'hört: »'s Dirndal in Wold hat a Wuna derfohr'n«. Mei Lebta hat mir koa Liad besser g'fallln, wal i g'wüasst han, dass 's mi angeht. Dei'n Geh'n nach han i kennt, dass Dir der Weg in dös Dorf da unbekannt is und dass D' ner zufällig herkimmst. Glei ins erscht Haus bist eini. Han g'moat, Du suachst an Deanst. Hast Di a so lang drinn afg'halt'n, dass i scho g'wiss war, Du verbleibst bei den Bau'rn. D'rum bin i nacha ins Wirtshaus. Zan Hoamgehn war's z'spat, überhaupt han i nit g'wüsst, ob i hoamgeh'n soll ohne Deiner. Nacha kimmt d' Wirtin mit Dein' Binkel in d' Stub'n und i derfahr, wo 's d' bist! Moast i hätt's ausg'halt'n – za Dir gehn könna – und nit gehn! Schlaf'n hätt' i in 'n Stadl a so wia so miassn – war koa anderer Platz für mi – na und a so bin i hiatzt da. Halt'st mir's no für übel?«

»Na«, sagte Tinerl leise und nahm seine Hand zwischen ihre beiden Hände. » I bitt' Di tausendmal um Verzeihung. Hiatzt woaß i's, Du bist einwendi no viel schöner als auswendi. Aber was D' für mi g'spürst, das bin i gar nit wert, – i moa, das is überhaupt koa Weibsbild wert. Na, wird eh nix d'raus, zwisch'n uns zwoa – hast ehnder g'sagt, – wal ma nit z'sampass'n. Mir pass'n halt ja nit z'sam. I woaß hiatzt, was für herrlige Leut' af der Wölt gibt, und was für a miserablig's G'frasst i sölber bin. Sunst hätt i mi eh scho bald für die Rechtschaffenst' afg'halt'n. Aber das is d' Straf, recht g'schiacht ma.« Sie weinte leise vor sich hin, ernstlich um ihr junges Glück besorgt.

»Mir pass'n do z'samm«, entgegnete er innig. »I find do koa Bessere und suach a koa Bessere mehr. Du gehst mit. Gelt? Und bleibst bei mir? Bis oans stirbt. Und Du hast mi richti so gern wia i moa. Gelt?«

»I woaß nit wia Du moast«, sagte sie.

»Na so, dass D' mi halt gar nimmer liaber hab'n kunnst. Woaßt, i han Di gern, dass 's a Sünd und was G'moan's war, wann i Di hiatzt busseln tat und hals'n. So rein han i Di gern, so hali kunnt ma scho glei sag'n is moi Liab. Du bist ja für mi vo 'n Himmel g'schickt. Woaßt. –«

Tinerl ließ schnell seine Hände los. Was bedeutete das? So heilig liebte er sie, dass er sie nicht zu berühren wagte?

Sie verstand ihn nicht. Sie hätte es, so sehr sie ihn auch zu lieben meinte, für nichts weniger als eine Gemeinheit gehalten, dass sie seine Hand so warm mit den ihren umschloss. Ja, sie glühte, jetzt plötzlich ihn umarmen zu dürfen. Und er saß mit seinen Liebesversicherungen so still! Oder war die leidenschaftliche Glut, welche eben da erwachte, als er sie so für eine Gemeinheit hinstellte, doch nichts anderes? Tinerl hatte nie geglaubt, dass sie gemein sei. Sie hielt sich stets für sittenrein, und nun bezweifelte sie es. Nun ekelte ihr fast vor sich selbst. Aber sie raffte ihre Geistesgegenwart zusammen, und mit einem gewaltigen Zorn über ihr eigenes Wesen, welches sie als ein unglückseliges zu verfluchen geneigt war – beschloss sie alle Leidenschaft in ihrem Herzen auszurotten, und ging das wie immer. Sie wollte seiner würdig werden, sonst nichts.

Er lachte jetzt. »Warum hast denn mei Händ so schnell auslass'n?« – »Na!? Muss i denn das nit für a Sünd halt'n?« fragte sie gespannt.

»Ja, da kann Dir ner Dei Herz draf antwort'n, Dirndl. Dei Liab kann danach sein, dass D' ma augenblickli um an Hals fall'n kunnt'st und danach, dass D' grad so söli bist, wannst D' ner a so bei mir sitzen kannst wia hiatzt.«

»Und is d' Liab um recht viel mehr wert«, fragte sie, »wann's um koa Halsen und Busseln fragt?«

»A das nit«, antwortete er. ,,D' Liab zoagt sie af tausend Art'n. I woaß scho was D' gern derfrag'n tatst vo mir. Ob Dei Liab nit amend z'hoaß und leindenschaftli is. Gelt – i kenn mi aus?«

»Ja«, sagte sie ehrlich. Es kam ihr schwer an, aber heraus musste es. Sie wollte sich vor ihm nicht edler machen, als sie war. Vor ihm war ihr jetzt keine Demut zu groß. »Na und was moast?« forschte sie.

Er lachte. » I wird's scho läutern Dei Liab! Wann ner gnua da is. Das is d' Hauptsach. I wird's scho machn wia i 's brauch. Das überlass ner mir und sorg Di nit. Hab'n ja sunst koa G'schäft nacha bei uns dahoam, als durch das ganze Leb'n an unserer Liab orbat'n.«

Sie wusste ihm für diese Worte heißen Dank, sagte aber nur: »I wird mi scho z'sammnehma, dass i Dir recht tua. Schau, heut fruah war i no so an arm's Hatscherl, koan Mensch'n g'habt! Und soll ma's glaub'n, dass ma in oan Tag so reich werd'n kann?«

»Arm oder reich«, entgegnete er, »ma kann oan's so g'schwind sei wia's andere. Aber hiatzt red'n ma nix Traurig's. Gar nit notwendi.«

»Wann hab'n ma denn d' Hozat?« fragte sie.

,,D' Hozat?« Seine Frage klang befremdet.

»Na ja«, entgegnete Tinerl und erschrak dabei wieder nicht wenig. »Ma werd'n ja do um Gott's will'n nit z'samsteh'n wia a paar Taub'n.«

»Dermal gehst halt mit mir«, sagte er. Man merkte es seiner Stimme an, dass er plötzlich sehr ernst geword'n war.

»Ja hast denn Du nit af's Heirat'n denkt«, forschte sie. – »Ehrli g'red, na.« – »Wia kann denn das sei?« meinte sie.

»Leicht, wiast siahgst. I han da ja g'sagt, dass mei Liab so rein is, dass 's um gar koa Anrühr'n steht und so lang mei Liab a so bleibt, is 's Heirat'n nit gar so notwendi.«

Sie wusste nichts zu entgegnen. Glücklicher wurde sie nicht durch seine Rede, das war gewiss, aber große Einwendungen wollte sie auch nicht dagegen machen, sonst hätte ihm dies ja ein Zeichen ihrer Leidenschaft und ihres Unverständnisses für seine Liebe sein können. Sie wagte nur zu sagen: »Dass 's uneheliche Z'sammleben a Sünd is, wirst wohl wiss'n – aus der Religion.«

»Ja«, sagt er, »dass 's unsittlige Z'sammleben willst sag'n. I nim Di aber mit wia mein Kamerad'n. Zwischen uns wird nix Unrechts vorfall'n. I steh' Dir guat dafür. Wo koa Sünd is, is koa Straf. Überhaupt tuat ma nit nach der Religion a Heldentat, wenn ma aner solchen Versuchung widersteht? Und i g'fall ma als Held!«

Eine Weile war Tinerl still, dann sagte sie: »Na so in Gott'snam geh i halt mit. Aber ganz verredst es do nit, 's Heiraten?«

»Na«, sagte er, »wann Dir Dei G'wiss'n gar koa Ruah nimmer lasst, brauchst es ner sag'n, nacha wird augenblickli g'heirat. I wird Dir do koa unnötig's Qual afderleg'n, wann i Di so gern han. Wie viel kost denn 's Heirat'n? A neuch's G'wand brauch i halt . . . . ner das Ausfrag'n von Pfarrer fürcht i wia närrisch.«

»Af dö Unkost'n wird i scho spar'n«, sagte sie. »Wird ma scho bei Dir ob'n an Orbat find'n, dö a bissl was tragt.« Jetzt lachte der Bursche hell auf und konnte sich lange nicht beruhigen. »Was hast denn?« fragte Tinerl zu wiederholten Malen. – »Da siahgft 'n Beweis, wia gern mir uns hab'n«, antwortete er endlich. »Nit amol um unsere Nam hab'n ma uns no g'fragt.«

»Ja, hab'n ma denn zu so aner Nebensach no Zeit g'habt«, erwiderte sie. »G'fragt hätt i scho a paarmal gern, wiast D' hoaßt, aber dazua kemma bin i nit. I hoaß Tinerl.« – »Und i Rupert.«

Dann erzählte sie ihm ihre Geschichte mitsamt dem, was ihr heute im Sirnhof geschah. Sie verschwieg ihm auch nicht, wie sich der junge Bauer zu ihr benahm. Rupert wurde deshalb nicht eifersüchtig, sondern er bedauerte Peter, wie ihn Tinerl bedauerte. – Als die Geliebten, immer in der Finsternis auf dem Heu sitzend, über dies und jenes geredet, bald scherzend, bald ernst, beschlossen sie sich bis zum Morgengrauen zur Ruhe hinzulegen, um dann zu dem Gange nach dem gemeinschaftlichen Heim neu gestärkt zu sein. – Neben der Stelle, wo sie saßen, lag auf dem Heu ein hoher Stoß Stroh aufgeschlichtet. Rupert legte sich dort oben nieder. Tinerl aber kniete noch lange danach im stillen, tief andächtigen Gebet. Sie pries ihren Gott für das ihr bescherte Glück, bat ihn, ihr nichts zur Sünde zu rechnen und schlief sodann bald auf der Stelle ein, wo sie gekniet hatte.

 

7.

Ba'n klonsten Schreck,
Is aller Übermut weg,

 

Rupert wurde bei Morgengrauen wach. Er schielte von seinem Lager auf Tinerl. Die schlief noch. Da kroch er sachte zu ihr hinab und kniete lange vor ihr, kein Auge von ihrem Gesicht und ihrem Leibe gewandt.

Ihr Haar war aufgelöst, die köstliche, goldige Flut stach so vornehm gegen das Kopfkissen – einen Strohbund ab. – Rupert sah den schönen Mädchenkopf schier in einem Glorienscheine. Über den herrlichen, rosigen Busen waren Hemd und Jacke offen, über das rechte Bein hatten sich die Röckchen zurückgeschoben. Rupert tat so behutsam die Jacke über der Brust des Mädchens zusammen, dass er keine dort sitzende Mücke verscheucht hätte. Dann bewunderte er die Geliebte weiter mit Mienen, als ob er vor ihr betete. Er betete ja wirklich, dass sie ihm erhalten bleibe, dass sie ihn verstehe und mit ihm so glücklich werde, wie er mit ihr glücklich werden wollte. Er liebte sie jetzt wirklich ohne leidenschaftliche Gier, es hätte ihm wirklich leid getan, sie zu berühren. Und er meinte, dass seine Liebe nicht anders werden könne. Es war eben seine erste Liebe. Wie hätte sich die auch bei dem unverdorbenen, edlen Gefühlsmenschen in der ersten Zeit sinnlich äußern sollen. Er hielt es gar nicht für möglich, dass sie sich plötzlich zu einer sinnlichen Liebe entwickeln könnte. So feierlich, so groß war ihm zu Mute. Er wunderte sich, dass ihn Tinerl nicht auch so liebte, dass sie ihm, wie er ja wohl merkte, am liebsten um den Hals gefallen wäre. In Wirklichkeit hielt er seine Gefühle für echter, lauterer, besser als die ihren; aber er hatte es nicht gewagt, ihr das zu sagen, um ihr nicht wehe zu tun. Musste er nicht froh sein, dass sie ihm überhaupt eine Neigung entgegenbrachte? Hätte sie ihn nicht, mit alldem was er fühlte, zurückstoßen können ohne alles Verständnis? Durfte er nicht sein Glück preisen, das sie mit ihm wollte, dass sie sich ihm so vertrauend ergab? Wie wollte er ihr dieses Vertrauen lohnen! Wie herrlich wollte er ihr den Aufenthalt in seiner Hütte machen. Er war so froh, dass er jetzt keine andere Obliegenheit hatte, dass er sich ganz der Geliebten widmen konnte. Was sie gestern vom Heiraten sprach, machte ihn ein wenig besorgt. Er hielt das Heiraten wirklich nicht für notwendig, weil er meinte, seine Liebe sei keine, die darauf dränge. Im Allgemeinen dachte er jetzt an das Heiraten wie an eine unangenehme Nebensache. Nachdem er sich aber im Übrigen die Zukunft so schön ausgemalt hatte, wie ihm dazu der jetzige Stand der Dinge nur berechtigte, und er sein ganzes neu verherrlichtes Paradies klar vor Angen hatte, konnte er vor Entzücken über dieses Bild nicht mehr still anf dem Platze bleiben. Er rutschte so geräuschlos als möglich, um Tinerl nicht aus dem Schlafe zu wecken, den er ihr noch ein Stündchen lang gönnen wollte – wenn sie indes nicht von selbst wach wurde, auf die Tenne hinab, öffnete dann so geräuschlos als möglich, das hintere, ins Freie führende Scheunentor und hielt Ausschau nach dem jungen Tage. Es war die Ostseite der Gegend, die vor dem Burschen lag. Das Firmament war unbewölkt. Am Horizont verschwamm das helle Blau mit lichtgrauen, zauberhaften Dünsten, durch die sich in unendlicher Höhe ein einziger, rotglühender Wolkenstreif zog. Das ebene, herrliche Tal war noch schlaftrunken, jeder Blumenkelch geschlossen, jeder Halm geneigt, aber darüber hoben just einige Lerchen schüchtern zu stimmen an, ehe sie das erste Jubellied hinausschmetterten. Im Dorf war aber ein Hahnengeschrei, das keine anderen, zarteren Laute des wachenden Lebens auskommen ließ. Vor der Scheuer lief durch den Wiesengrund, auf welchem schon das zweite Gras ziemlich hoch stand, ein kleines Bächlein auf weißem Kieselgrund dahin. Rupert suchte nach einer tieferen Stelle des Wässerchens, welche er auch unfern fand, und wusch sich. Dann kehrte er wieder in die Scheuer zurück. Tinerl schlief wie zuvor. Er kroch wieder zu ihr hinaus, denn er hatte schon wieder Sehnsucht, sie zu sehen. Schließlich legte er sich, da er nichts Besseres zu tun wusste, neben sie hin. Eine Weile wollte er sie noch schlafen lassen. Er schloss die Augen nicht, sondern sah immerwährend das schöne Mädchengesicht von der Seite an. Da sah und hörte er nicht, dass durch das geöffnete Tor eine pralle Bauerndirne in die Scheuer kam. Die wollte durch die Scheuer in den Hof. Es war eine im Sirnhofe arbeitende Taglöhnerin, die gestern der schlafsüchtigen Wirtsmagd versprochen hatte, sie zu wecken. Die Wirtsleute wollten heute ihr bisschen Korn abschneiden, und da hieß es bald aufstehen. Weil aber die sonst fleißige und gutwillige Magd von ihren Herrenleuten, welche meist bis spät in die Nacht bei den Gästen aufbleiben mussten, nie geweckt wurde, ließ sie sich zuweilen von anderen Leuten aus dem Schlafe trommeln. Die Taglöhnerin sah mit erstaunten Augen auf die seltsame Befestigung des inneren Tores, und gleichzeitig hörte sie das tiefe Atmen Tinerls. Sie hielt die beiden Nebeneinanderliegenden für schlafend und betrachtete sie lange mit großer Neugierde. Dann lief sie zu dem Tore, durch welches sie hereinkam wieder hinaus und in die Scheuer des benachbarten Sirnhofes. Rupert hatte sie nicht bemerkt. Der junge Sirnhofbauer war schon wieder geschäftig. Er setzte in der Scheune eben einem Rechen einige fehlende Zähne ein. Dann wollte Peter gleich mit seiner Tagwerkerin »Halm heig'n« gehen. »Bau'r!« rief die Letztere mit lachendem Gesicht. »Geh a bissl mit, i zoag Dir was Schö's.« »Was denn?« fragte er, über die Art der Störung nicht eben begeistert.

»Geh ner mit, brauchst Di nit afz'halt'n.« Sie zog ihn mit sich, der nur ungern den Rechen beiseite legte und ihr dann brummend folgte: »Wird g'wiss was G'scheidt's sei.« Als ihn das Weib glücklich vor der Wirtshausscheuer hatte, bedeutete es ihm durch Zeichen, ihr leise zu folgen.

Peter konnte ihr leicht gehorsamen. Er war bloßfüßig. Die Taglöhnerin wies nach den beiden auf den Heuhaufen. Peter erkannte Tinerl sofort. Mit Mühe unterdrückte er einen Schrei des Entsetzens. Da lag sie, die er für so brav gehalten, neben einem Manne! Es schnitt dem Bauern ins Herz und erfüllte sie mit Bitternis. So hatte er sich an ihr täuschen können! Aber er entbrannte nicht in Zorn und Unwillen gegen sie. Nur unendlich leid war es ihm um dieses Mädchen, das er aber trotz dem, was er nun sah, noch nicht für verdorben halten konnte. Weinen hätte er mögen um sie. In der heutigen Nacht erschien sie ihm im Traum engelgleich, unnahbar. Er hatte gemeint, fest gemeint, sie werde einem anderen Manne ebenso wenig Gnade schenken wie ihm. Und nun sah er, die er so hoch schätzte, so! Fast war er einen Augenblick zu dem Glauben geneigt, dass der neben ihr Liegende ihr Bruder, ihr Zugehöriger sein könnte. Aber dann höhnte er sich gleich wieder selbst wegen dieser frommen Meinung.

Zu der Tagwerkerin sagte er halblaut in hastig befehlendem Tone: »Geh fort! glei!« Sie folgte seinem Gebote. Indes fuhr Rupert in die Höhe. Die Worte hatten ihn rau aus seinen Träumen gestört und erschreckt. Peter stand mit verschränkten Armen und sah ihm voll tiefer Verachtung entgegen, der ihn erst anstarrte und dann immer röter und verlegener wurde, als fühlte er sich richtig schuldbewusst. Zum Teil beleidigte und empörte ihn auch der Blick des Bauern, neben dem er einen Augenblick stand, zur Verteidigung bereit. »Geh mit vors Tor«, sagte der Bauer halb leise. » I will nit, dass 's Dirndl vor meiner in der Schand steht. Es war ihr wahrscheinli net besser dabei als mir.«

Rupert schritt an Peters Seite hinaus auf die Wiese. Dort stellten sie sich einander gegenüber. Rupert konnte nun den Blick des Bauern fest erwidern.

»Du bist mir koa Rechenschaft schuldi«, sagte der Letztere sich zur größten Ruhe und Gemessenheit zwingend. Aber i bitt Di um a Rechenschaft – so viel liegt mir an dem Dirndl – dass i Di bitt.«

»Du bist der Sirnbau'r?« fragte Rupert, der sich auf das erinnerte, was ihm gestern Tinerl von Peter erzählte.

»Ja, der bin i.« – »A so. Drum«, sagte Rupert verständnisinnig. »Du hast es a gern, gelt?«

Der Bauer staunte über den Ton der Frage, welcher so sanft und weich war und auch über die Schönheit des Burschen, der nun da im Morgenlicht stand.

»Ja. I han's gern«, antwortete Peter. »Liaber als Du gewiss.«

Rupert schüttelte siegesgewiss den Kopf. »Na! Da irrst Di. Und bist eifersüchti?« fragte er, aber ohne Spott, nur um es zu erfahren, mit welchen Gefühlen ihm der andere gegenüber stand.

»Nit eifersüchti«, entgegnete Peter. »Ner 's Herz z'reißt's mir, dass i das Madl so weit siach. I kim aus lauter Load z'weg'n ihr zu gar koaner Wut über Di, obwohl es ganz g'wiss verdeanast, dass i Di niederhauet af der Stell'.«

Rupert lächelte. »Du mi niederhau'n? Sei froh, dass i koa G'raffter bin – sonst –«

»Ma red'n hiatzt nit von 'n Raff'n«, fiel ihm der Bauer ins Wort. »Möcht ernst mit Dir red'n.«

» I lass' ja mit mir redn, wiahst siahgst«, sagte Rupert, welchem daran lag, dem anderen die üble Meinung zu benehmen.

»Sunst stand i hiatzt neamd Red' als Dir, walst der Sirnbauer bist und mei Dirndl gern hast. Sunst geht's ja a weiter neamd was an, dass i mit 'n Tinerl da über d' Nacht war. Du derfst es desweg'n nit für schlecht auschau'n.«

»Sie hat Dir's g'sagt, dass i 's gern han?« fragte der Bauer.

»Ja. Wal 's vor mir koa G'hoamnis hat – das hoaßt – g'wiss hat's es nit g'wüsst, ob's Dir g'fall'n hat.«

»So. Da habt's halt mitanand Enkern Spott über mi trieb'n.«

»Koan Spott. Load is uns g'schehg'n um Di. Lauter Guat's hat's g'redt vou Dir.«

»Is 's denn Dei Schatz?« fragte Peter. »Seid's nit gestern im Wirtshaus z'sammkemma und wia 's scho bei zwa leichte, junge Leut geht –.«

»Na«, wehrte Rupert ab. »Für so säuisch derfst uns nit anschau'n.«

»Habt's scho lang a Liebschaft mit einander?« erkundigte sich der andere weiter.

»Seit gestern.« – Da lachte der Bauer bitter auf. »Seit gestern!«

»Hast es denn Du länger gern?« fragte Rupert – Da verstummte Peter plötzlich.

»Siahgst es!« sagte Rupert überlegen. »D' Liab und der Blitz hab'n halt g'schwind eing'schlag'n«

»Das is frali wahr«, gab der andere zu. »Aber! Aber! Über d' Nocht ba ihr war i nit blieb'n in an Stadl! Das is a Graus! Pfui!«

»Spuck nit! Du woaßt nit, ob ma was Schlecht's tan hab'n.« – »Ja!« höhnte der Bauer. »Rosenkranz bet' habt's. Gelt? Halt' mi do nit für gar so dumm.«

»Is denn ner der g'scheidt, der vo andre 's Schlechtest' halt?« fragte Rupert. – »Das moan i nit«, entgegnete der Bauer. »Aber Du, so a Kerl und das Madl – in Deiner G'walt!«

»Ba mir is 's am Best'n afg'hebt. Da g'schiacht ihrer Ehr am wenigst'n. Wal is 's z'gern han. I woaß g'wiss, dass Du ehnder in Versuachung kamst an meiner Stell'.«

Es drückte sich recht viel Zweifel in dem G'sichte des Bauern aus und etwas geringschätzend fragte er:

»Wer bist denn Du eigentli?« – »Wer i bin? A Mensch bin i. Sunst nix.« – »Da kannst viel und nix sein.« – »Na, da muass i was sein.« – »Wo bist denn dahoam?« – » In tiafn Wold.« – »Und vo was lebst denn?« – »Vo dem, was in 'n Wold wachst.«

»I möcht wiss'n«, sagte Peter endlich ungeduldig, »was D' mit dem Dirndal vor hast.«

»Mit hoam nehma tun is 's heut. Nacha bleib'n ma banand, so lang ma leb'n.«

»Heirat'n toats?« – »Heirat'n dawal nit. Za den is später a Zeit.«

»So? Ledig banand bleib'n! Und da is 's Dirndl bei Dir guat afg'hebt?«

»Besser als ba Dir, wannst es heiratst, und dös nit ner d'rum, wal i mein Haus sicherer han als Du das Deine. Aber, ma werd'n nit streit'n. Denk' was D' willst. G'sagt han i Dirs, dass vo 'n Tinerl nix Schlechts denken sollst, wals ihr nit oan Ding is, was D' von ihr für an Begriff hast. Es g'schiacht ihr hart um Di, wannst es gern hast. Und mir a. Kann ma's vorstell'n, wia das is, Liab'n und koa Gegenliab find'n. Hätt' ma a so g'schehg'n könna. Aber i bin glückli. Mi hat's gern. Und wia! Aber desweg'n plagt mi der Übermuat nit.«

»Für Dei Mitleid dank i schö«, sagte der Bauer. »Wannst liaber a Mitload mit den arma Dirndl hät'st, das D' in d' Schand stürz'n willst. Sie geht in ihrer Verblendung mit Dir. Na, ja, a Bua bist, der oani närrisch macha kann. Aber d' Aug'n werd'n ihr afgehn und d' Reu' wird's überkemma, wia a jed's Weibsbild, das sie verwirft. Glaub's a, dass D' ihr's hiatzt guat moast, aber desweg'n is 's do a himm'lschreiate Schlechtigkeit, dass D' es mit Dir nimmst.«

Wie sich Peter auch ereiferte, Rnpert lächelte.

»Glaubst Du, dö liaß si no vo mir abtreib'n? Glaubst, mir war'n zan Außanandreiß'n? Nia! In Ewigkeit nit. Dö gang ma nach durch Himm'l und Höll'.«

»Dös glaub' i nit«, sagte der Bauer. »Da schneid'st Di. War ner oaner, der ihr d' Aug'n afmachat, der ihr recht ins G'wiss'n red'n tat, kurzum, der halt 's Dirndl wieder z' recht bracht.«

»Probier's«, sagte Rupert siegesgewiss. »Sag' ihr's 's Schlechtest von mir. Stell' mi her, wiast willst. Sie glaubt Dir nit. Wannst ihr Liab za mir so leicht aus ihr'n Herz'n reiß'n kannst, wiast moast, nacha g'hört's Dirndl meintsweg'n Dein, nacha passt's für mi eh nit. Probier's, ob's das kannst! Halt's z'ruck! Leg' ihr an Haufn Göld vor und dö schönst'n Kload'r, setz 's zan an Tisch, der si untern best'n Ess'n biagt – sie wird do in an hawan G'wandl mir nachrenna und pfeif'n af Di. I lass' Dirs ja versuacha, ob's so g'schwind' dö guat'n Lehr'n folgt', was D' ihr Du geb'n kannst.«

»Topp«, sagte Peter mit blitzenden Augen und hielt dem andern die Rechte hin.

Das hatte Rupert nicht erwartet. »Was willst?« fragte er erstaunt.

»Di beim Wort nehma, wannst a Ehr'nmann sei willst«, antwortete Peter. »Den Dirndl ihr Liab za Dir af d' Prob' stell'n möcht' i.«

Rupert erblasste, aber seine Worte klangen fest, »Da müss't mir halt sag'n, wiast das angeh'n wolltst.«

»Ganz oafach«, entgegnete Peter. »Du brauchst ner hiatzt fortgeh'n.«

»Na, und?« – »Und bis D' fort bist, sag' i ihr, dass D' es im Stich lass'n hast, und dass D' mir derzählt hast, Du hätt'st 's a bissl für an Narr'n g'halt'n. Da wird 's si 's Dirndl a Wal gift'n, a Wal schama und nacha wird's sag'n, i pfeif af den falsch'n Kerl. Hol 'n der Teufl! Wanns Di aber so gern hat, wiast Dir Du einbild'st, so derf's mir dö Lug nit glaubs'n. Das wirst wohl eiseh'gn.«

Rupert lachte jetzt. »Das is z'kindisch.« »Na, aber wann Dir a gar so a groß'n G'fall'n damit g'schiacht, – so bin i eiverstnds'n mit derer Prob. Wann's dö nit b'stehst, da is ihr Liab richti so kloa, dass i draf verzicht'n, dass i mi über den Verlust tröst'n kann. Aber versteh mi Du! I bin meiner Sach so sicher, dass i's Dirudl nit versuacha brauch, und dass a reiner Fravl is, wann i dös talkert Wettg'spiel eingeh'. Aber Du sollst Dei Überzeugung hab'n, sollst sehg'n, dass 's mi so gern hat, wia i sag. Nacha wirst a andere Moanuug von ihr kriag'n, überhaupt mehr Achtung von uns zwoa, und es wird Dir ums Dirndl, nimmer so load sei, dass so an Bettlbuab'n nachrennt wia mir, sondern Du wirst sag'n: Dö is mit ihrer Liab so glückli und reich, dass nix an ihr so verschwend is, als mei Mitload. Kannst mir's aber abfisch'n, 's g'hört's Dei. Aber sunst derfst ihr koa Lug über mi sagst'n, als dass i ihr davong'rennt bin – mit Dir zuafällig z'red word'n bin und g'sagt, dass i nur heut Nacht mit oaner a bissl a Hetz g'macht han. So weit derfst es anlüag'n, Na, überhaupt, je schlechter als d' lüagst, desto weniger glaubt's Dir's. I brauch mi drum nit fürcht'n, dass z'falsch gen mi vorgehst. So mach i mi halt hiatzt ohne si afn Weg. Sie wird mir bald nachkemma, und kimmt's nit, na so geh' i halt wieder z'ruck und frag' nach. Z'erst aber muass i schaun, ob's uns nit zug'lost hat.« Sie schlief noch immer.

»Pfirt Di Gott, Bauer«, sagte der Bursche und ging schnell davon.

Im Gehen konnte er erst überlegen, ob er recht getan. Es kränkte ihn nicht, er konnte sich keinen Vorwurf machen. Im Gegenteil, er war voll Begierde zu erfahren, wie sich Tinerl verhalten werde. Das war ja eine gute Gelegenheit, sie besser kennen zu lernen. Ob er sie bei dem Spiel im schlimmsten Falle verlieren könne, fragte er sich. Darauf musste er nach weiterer Überlegung nur lachen. Er fühlte sich ihres Besitzes so sicher. Er meinte, sie holen und heimführen zu können, sobald er nur wollte.

Dass Tinerl bös werden könnte, bedachte er aber gar nicht oder wenigstens recht schlecht. Er glaubte ihre Verzeihung zu leicht erlangen zu können. Trotz alledem verließ er doch umso schwerer das Tal, in welchem die Liebste war, je näher er dem Walde kam. Aber da er einmal so gehandelt, wollte er sich nicht unbeständig zeigen und schritt rüstig seinem »Schlosse« zu.

Peter hatte sich währenddem auf der Tenne, an die Putzmühle gelehnt und das »Halmheign« vergessen. Er wusste nicht, was er von seinem Nebenbuhler halten sollte. Solange er mit ihm sprach, konnte er ihn bei Weitem nicht derart verabscheuen, wie er meinte, dass sich's gehörte, und wie er ihn nun zu verbscheueu sich befleißigte. Zu dem Gespräch mit Rupert kam er so unwillkürlich, dass er sich jetzt über das, was er einging, keine Recheuschaft geben konnte. Er fühlte sich nur dessen bewusst, dass er das Mädchen von diesem Menschen abbringen müsse. In den diesbezüglichen Bemühungen sah er sowohl seine Christenpflicht, als er davon für sein Minnen einen Erfolg erhoffte. Denn er dachte ernstlich daran, Tinerl für sich zu gewinnen. Gestern, als sie ihn verließ, hatte er das recht bedauert, jedoch die ersten Keime einer jungen Liebe in seinem Herzen zu unterdrücken versucht. Das Mädchen war ihm ja so unnahbar und abweisend gegenübergestanden. Aber heute, wo er hoffen durfte, sie kleinmütig und schwach vor sich zu sehen, durfte er sich auch eine größere Macht über sie zumuten. Sein Herz pochte laut dem Augenblick entgegen, wo Tinerl erwachen würde. Das geschah erst eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang. Wie sie sich aber da auf die Beine tummelte! Ihr erster Blick war auf den Strohhaufen, worauf Rupert übernachtete – ihr zweiter in Peters Gesicht. Sie brachte kein Wort über die Lippen, die plötzlich bis in den Mund hinein erbleichten.

»Schreck Di nit, Dirndl«, sagte er. »Du hast koa Ursach dazua.«

Sie erwachte aus ihrer Schlaftrunkenheit zu tödlichem Schreck, als sie von Rupert keine Spur und den Bauern in der Scheuer sah.

»Kimm ner za Dir sölber«, sagte er. »Dass D' nit moast, Du musst Di vor meiner schama. Du hast Di überhaupt nit zan Schama.«

»Bist überzeugt davo?« fragte sie mit einem scharfen und zugleich angstvollen Blick. – »Ja. Sunnklar.«

»I dank Dir schö. Du bist a rarer, guter Mensch. Aber woaßt nix – wo – wo –«

»Wo der ander hin is?« unterbrach er sie. »Frali woaß i 's.« – »Na?« fragte sie, die unterdessen auf die Tenne herabgekommen war. – »Fort is er.« – »Wohin?« schrie sie.

»Schreck Di nit, sag' i, Du hast koa Ursach. Davon is er Dir.«

»Mir davon!« schrie sie wieder, und tausend Empfindungen drückten sich in dem Schrei aus.

»So?« setzte sie leiser hinzu. Sie war fast gelb geworden und starrte mit verglasten Augen. »So? Mir davon?«

»Um Gott'swill'n«, rief der Bauer aus sie zueilend. »Was is Dir denn?«

Da hielt er auch schon eine Ohnmächtige in den Armen. Er trug sie hinaus zum Bächlein und labte sie mit dem frischen Wasser. Sie kam bald zu sich, brauchte aber nicht lange nachzusinnen, um sich ihrer Lage zu erinnern.

»Wo is er denn hin?« fragte sie, als sie wieder aufrecht stand und Peter sie hielt. Der starke Mann zitterte vor Angst und Aufregung. Durfte er ihr jetzt die Lüge, die er vorhatte, ins Gesicht sagen? Er war nicht grausam genug, um es leicht tun zu können. Aber er meinte eben ihre jetzige Schwäche benutzen zu müssen. Eben jetzt, hoffte er, werde die Lüge auf Tinerl jenen Eindruck machen, der ihm wünschenswert schien, und seine ganze Keckheit aufbietend sagte er:

»Lass' Dir's erzähl'n. Bin heut lang vor Sunnaufgang afg'ftand'n, Wia i mei Hütt'ntor afmach', siach i oan aus dem Stad'l da aus geh'n. An Wildfremd'n. Er wünscht ma im Virbeigeh'n an guat'n Moring und i frag'n, wo er so früah umtrossiert. A so werd'n mir halt z'red'. Er sagt, dass er in dem Stadl über d' Nacht war – mit an schö'n Kamerad'n, den i mir anschaun kann, wann i will. Er überlasst mir den Kamerad'n, hat er g'sagt, wann i 'n mag. Und i soll schau'n, dass D' eahm nit nachrennst.«

»Dass i eahm nit nachrenn?« wiederholte Tinerl.

» Ja.« Peter war lügenrot geword'n, aber er log weiter. »Es g'reut 'n, hat er g'sagt, dass er si so weit einlass'n hat mit Dir, wal do sein Lebtag nix Vernünftig's d'raus werd'n kann. Hätt nit so viel mit eahm g'redt, wann i nit an Ahnung g'habt hätt', der Kamerad kunnst Du sei. Hiatzt bin i halt her und richti – liegst Du da. Aber moa nit, i nimm Dir was für übel. Ner den Lump'n kann i Dir nit gnua verred'n, den g'wiss'nlos'n.«

»Stad sei!« schrie ihn Tinerl an, dass er mächtig zusammenschrak. Sie hatte allmählig eine festere Stellung angenommen, und jetzt blitzten ihre Augen.

»Du lüagst, i kenn Dir's an. Wann das d' Wahrat is, dann is koa andere Wahrat mehr af der Welt. Dann is all's Lug und Trug. Dann woan i und schrei i nit, denn 's is ma nacha all's z'schlecht, dass i d'rüber klag und all's z'dumm. Z'weg'n meiner kannst mi nacha hab'n für an Kamerad'n – verstehst mi scho. Aber es is a Lug. Du lüagst. Sag, wo is er. Hast'n umbracht?« – »Tinerl!« rief er entsetzt.

»Na? Wann das wahr is, was Du sagst, kann i nimmer z'schlecht denka«, sagte sie. – »Sag mir's ins G'sicht – mir.«

Sie packte ihn an den Schultern und bohrte ihre Augen in die seinen, bis er sie senkte und leise sprach: »Derlog'n is 's!«

Da leuchtete es in ihrem Gesichte auf. »Und wo is er?« fragte sie. »Hast eahm was antan? Sag's! Das dertrag i scho leichter als dö G'wissheit, dass er mi betrog'n hat. Sei Liab dö geht mir über sei Leb'n. Und hiatzt woaß is 's, dass mei Liab so rein is wia dö sei! Hiatzt af amol woaß i's! Lebt er? –«

»G'sund is er. Grad is er hamzua. An Jux hab'n ma uns mit Dir erlaubt – a Kumödie – »

Da jauchzte sie förmlich auf. »Peter, Dir is verziehg'n – so derbärmli als D' bist – für Dei Dummheit woaß mei Herz an Ausred. Er wird büß'n für dö Kumödie. Gelt af d' Prob habt's mi stell'n woll'n?«

»Ja.« Er erhob kein Auge mehr vom Boden, sondern stand niedergeschmettert, beschämt da.

»Hoamzua is er?« fragte sie wieder. – »Ja.« – Da ließ sie ihn mit seinen Gefühlen stehen und vergaß ihn so gut wie ihren Binkel, als sie das Tal entlang jagte ihm nach – ihm! Nach drei Stunden stand sie vor dem Freiherrnschlosse, schweißtriefend, mit hämmernden Pulsen. Sie wusste dann gar nicht, wie sie in den dunklen Raum hinabkam, in welchem Rupert, als sie hinab schob, von einem Tische auffuhr, an welchem er sein Gesicht in den Händen geborgen gehalten hatte. Blitzschnell verklärten sich seine Mienen.

»Tinerl!« rief er die Arme ausbreitend. » I han's ja g'wusst!« Aber sie richtete sich majestätisch vor ihm auf, dass sich seiner, so schnell als soeben der Jubel – keine kleine Bestürzung bemächtigte.

»Das is aber viel, wannst das g'wüasst hast!« höhnte sie. »Da hast aber a große Moanung von mir! Macht mi dös stolz! Aber gar so g'wiss muasst es doch nicht g'wüsst hab'n, dass i kimm, walst mi do af d' Prob g'stellt hast.«

Er näherte sich ihr schüchtern, reumütig, zu tiefbeschämt. »Tinerl, i kenn's. Han di richti für viel z'weng ang'schaut. Verzeih mir's ner das oane Mal, nacha wird i g'wiss nit a bissl mehr irr an Dir. Af mei Liab han i z'viel g'halt'n und af dö Deine z'weng.«

»Und Du hätt'st Di do begnüagt mit meiner Liab, für so niader und g'moa als D' es ang'schaut hast«, spottete sie weiter. »Bist Du a g'nüagsamer Mensch! Grad rührand is dö B'scheid'nheit – dass D' mit an Weibsbild ganz glückli word'n warst mit an solch'n Weibsbild, wiast D' mi für oan's ang'schaut hast.« – »Aber Tinerl!« flehte er.

»Wer woaß's denn, obst mi so brauch'n kunnst za Dein'n Glück – wia i bin« – fuhr sie fort. »Wer si amol an ein Mensch'n täusch'n kann – wia Du an mir, den kann's allmal so g'schehg'n. Da wird's g'scheidter sei, mir stehngan nit z'samm. Riskierst z'viel dabei und besser der erste Verdruss als der letzt'. Pfirt di God und wünsch' Dir Glück, dass D' den amol find'st, der za Dir passt. I wird's wohl nit sei. Na nix für unguat. Irr'n is ja menschli. Mir hab'n uns oas in dem ander'n g'irrt.« Fort stürmen wollte sie.

Sie wusste ja doch, dass er sie gleich wieder abfangen würde. Er hatte sie schon, ehe sie zur Türe hinauskam.

Nun umschlang er sie aber nicht, als ob sie ihm zum Berühren zu heilig wäre.

Eine Leidenschaft, für welche es ihrer hehren Macht wegen kein bezeichnendes Wort gibt, war plötzlich in ihm.

Er meinte einen tausendfachen Tod sterben zu müssen, wenn Tinerl nun ging. Und wenn er sie nun nur zehnmal gelinder an sich gepresst hätte, als er jetzt wollte – so hätte er ihr gewiss alle Rippen eingedrückt. Das wollte er aber auch nicht, und weil er sich schließlich nicht mehr anders helfen konnte, legte er den Kopf auf ihre Schulter und weinte und schluchzte, dass der ganz mächtige Körper bebte und zitterte wie der eines zarten Kindes.

Tinerl überließ ihn eine Weile seinen Empfindungen. Weil er ihr nicht ins Gesicht sehen konnte, lächelte sie selig und sieghaft auf den schwarzlockigen Kopf des gedemütigten Riesen herab und hatte ihre Genugtuung. Da wäre es auch kein gutes Zeichen von ihrem Herzen gewesen, hätte sie ihn so fortschluchzen lassen.

»Hiatzt is gut«, sagte sie. »Hiatzt hast Dei Sünd bereut und büaßt, und i bin Herr über Di g'west. Hiatzt bist wieder Du Herr, und i hoff', dass das bleibst.«

Wie geschwind er sein Gesicht neben dem ihren hatte und wie seine Küsse brannten und flammten!

Als sie sich ein wenig seiner Zärtlichkeit erwehren konnte, sagte sie: »Da hoaßt's aber g'schwind heirat'n. Hat si Dei Liab verändert!«

»Jawohl«, sagte er. »Ma sollt's gar nit für mögli halt'n.«

*

Jetzt steht an Stelle des Freiherrnschlosses ein nettes, kleines Bauernhaus. Deswegen hat aber der Eigentümer an seiner Freiherrlichkeit nichts eingebüßt. Sein Weib baut Flachs und Kartoffeln neben dem See und hält zwei feiste Kühe, dass es Rupert nimmer nötig hat, dem Fürsten einen Hasen zu stehlen. Der junge Mann bereute es eigentlich gar nicht, Tinerl auf die Probe gestellt zu haben, so töricht es von ihm sein mochte, es führte zum Glück, wie denn auch manchmal eine Dummheit zum Glücke zu führen pflegt. Wer weiß, wie lange er sonst sein Tinerl nicht so gut kennen gelernt und wie lange er die Hochzeit hinausgeschoben hätte.

 

Ende.

 


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