Ludwig Ganghofer
Der Ochsenkrieg
Ludwig Ganghofer

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7

In dem großen Zelte, das man am Ufer der Amper mit aller Hast auf dem feuchten Bruchboden der Olchinger Wiesen errichtete, stehen die beiden Münchener Herren und ihre Gefolgsleute mit verbundenen Augen vor Herzog Ludwig. Und hinter ihnen zittern die zwei, dem gütigen Vetter Loys zurückerstatteten Musikanten.

Von draußen rauscht der wirre Lärm des gestauten Heerhaufens in das Zelt herein, dessen Tuchspalten verbrämt sind vom Glanz der Mittagssonne. Das Schreien und Fluchen, das Geklirr und Geknatter, das Stampfen und Keuchen der Gäule, die vielen Trompetenstöße, die von weither Antwort erhalten – das alles klingt zu einer üblen Stimme zusammen. Der flüchtende Schwarm des Wessenacker, mit den Verwundeten und Erschöpften, mit den scheuen, keinem Zaum mehr gehorchenden Gäulen, verwirrte den Aufmarsch des Ingolstädter Haupthaufens, dessen Nachhut und Karrenwurm sich auf der Straße von Geiselbullach noch weit hinauszieht gegen Feldgreding und Dachau hin. Bis die Nachzügler eintreffen, wird's noch eine Stunde dauern; sie können nur langsam, nur in dünner Zeile marschieren; bei jedem Schritt, der hinausgeht über die schmale Straße, tappt der Fuß in den nassen Filzboden, den von der einen Seite das Dachauer Moos, von der anderen das stundenlange, den trägen Lauf der schwarzen Maisach geleitende Haspelmoor heranschiebt.

Immer lauschte Herr Ludwig hinaus in diesen bösen Lärm. Etwas Grauenvolles wühlte in seinem zornroten Gesicht. Im Schimmer seiner französischen Rüstung saß er auf einem Feldsessel. Ein Dutzend von seinen Freunden und Hauptleuten war um ihn her. In einem Winkel des Zeltes nähte des Herzogs Leibarzt dem rotgefärbten Wessenacker die Wunden zu. Und gesondert von den anderen – auf einer kleinen Truhe, die Ludwigs Feldschatz, die Kleinode seiner Herzogswürde und sein Majestätssiegel enthielt – auf dieser Truhe saß mit lang übereinander geschlagenen Beinen eine wunderlich sinnwidrige Gestalt aus Silber, Gold und bunten Farben: Prinz Höckerlein, für den Kampf gerüstet. Er schien die zwei Musikanten nicht zu sehen. Mit ruhigem Lächeln betrachtete er bald die Münchener Herren, bald den Vater. Der schwieg und biß die Zähne übereinander, sah immer den einen der beiden Musikanten an, der die verbeulte Laute hinter dem Rücken trug, und nun plötzlich drehte der Herzog das Gesicht und musterte mit einem funkelnden Zornblick seinen Sohn.

Da sagte einer der Münchener Herren, während er den Kopf mit der Augenbinde unmutig gegen den Nacken legte: »Euer Gnaden lassen uns lang auf Antwort harren. Mit der Tapferkeit und den ritterlichen Sitten, die man Euch nachrühmt, ist das übel zu vereinen.«

»Du!« Herzog Ludwig sprang vom Sessel auf. »Nimm das Maul nicht so voll. Und deinen zwei Fürsten sagt, sie sollen des Fechtens heute noch satt werden. Ich hoffe, sie haben für flinke Gäule gesorgt. Die werden sie brauchen.« Er machte einen Wink mit der Hand. Und als die Münchener Herren aus dem Zelt geführt waren, sagte er in wühlender Erregung zu seinen Hauptleuten: »Wir müssen Zeit gewinnen. Man soll die Münchener Kindlein mit verbundenen Augen im Kreis herumführen, bis sie die Geduld verlieren. Alles andere ist beredet. Dieses München, das meiner vergaß, soll merken, wer ich bin. Ich will rote Hochzeit mit ihm halten.« An seiner kostbar inkrustierten Rüstung zerrte er eine Schnalle auf, als wäre der Stahl für seine Brust zu eng geworden. »Von den Frauen, die ich genommen, hat sich noch keine als sturmfest erwiesen. Sie starben an meinen Umarmungen. So soll München fallen, wenn ich es umklammere. Jeder an seinen Platz! Mit Gott, meine Treuen! Helft mir! Und ich will's euch danken.« Er reichte jedem die Hand; den Prinzen übersah er.

Die Herren verließen das Zelt – nur der Wessenacker blieb und ließ sich den nackten Oberkörper mit den nötigen Pflastern belegen. Auch Prinz Ludwig tat so, als wollte er sich mit den Hauptleuten entfernen.

»Mein Seelenwürmchen?« Herr Ludwig lachte in galligem Hohn. »Willst du nicht bleiben?«

»Gerne, lieber Vater! Wenn du mich duldest in deiner Nähe?« Der Bucklige setzte sich wieder auf die Truhe hin.

Der Herzog riß abermals eine Schnalle seiner Rüstung auf. Und schrie: »Wo ist der Wolfl?«

Aus der Zeltkammer, in der man zwei Hunde winseln hörte, huschte der Kämmerer Graumann heraus. Er sah, daß dem Herzog etwas an seiner Rüstung nicht taugte, und wollte zugreifen.

Mißtrauisch, mit groben Fäusten, packte Herr Ludwig den Greis an den Handgelenken. »Wolfl? Bist du auch schon falsch? Hab ich von denen, die in meinem Hause waren, nur meine zwei Hunde noch?«

»Herr!« Dem Alten wurden die Augen naß.

Da sagte der Herzog rasch: »Verzeih mir!« Er küßte ihn auf die Wange. Nun war er ruhig. »Mein guter Wolfl, heut muß ich mich wehren um mein Leben. Schnalle mir diesen glitzrigen Pariser Dreck herunter! Und gib mir die blaue deutsche Rüstung, die mir meine Ingolstädter schenkten! Und gib mir das schwerste von meinen deutschen Schwertern!«

Im Winkel des Zeltes brummte der Wessenacker: »Gott sei Dank!«

Das hörte Herr Ludwig nicht. Während Wolfl die Arbeit begann, sah der Herzog immer die zwei Musikanten an, die, grau von Staub, mit ihren verprügelten Köpfen und den blutig zerkratzten Gesichtern zitternd neben dem Spalt des Zeltes standen. »Du!« Er meinte den kleinen Dicken mit der zerfetzten Blatterpfeife. »Dich kenn ich nicht. Was gehst du mich an? Auf Erden gibt's viele Menschen, die keine Ursach haben, mir treu zu sein. Spring zu den Dunklen, die dich bezahlen für dein leuchtendes Feuerwerk von gestern. Mach, daß du weiterkommst!« Wie eine Ratte, die der Falle entronnen, surrte der Dicke durch den Spalt des Zeltes hinaus. »Aber du?« Herr Ludwig nickte gegen den Lautner. »Warum bleibst du heute so fern? Sonst warst du doch immer sehr nahe bei mir. Komm her! Oder hast du Angst? Vor mir? Hab ich dir nicht tausendmal bewiesen, wie gütig ich sein kann?«

Zitternd machte der Lautner ein paar taumelige Schritte, während das Gesicht des Prinzen, der lächelnd in seiner Mißgestalt auf der Truhe saß, eine gelbliche Färbung bekam.

Der Herzog sah den hinkenden Musikanten an. »Wahrhaftig! Das Gehen wird dir sauer. Warum bist du mit dem rätselhaften Dorn in deinem Fußballen nicht daheimgeblieben? Um mir den Verläßlichsten meiner Verläßlichen wieder gesund zu machen? Warum nicht, mein treuer Nachtigall?«

In einem Schreck, der zum Verwechseln einer Wahrheit ähnelte, sprang Prinz Höckerlein von der Truhe auf. »Vater! Um Christi Barmherzigkeit! Der da? Dein Peter Nachtigall? Jetzt erkenn ich ihn erst! Gott, Gott, ich sorge, er hat was Böses getan. Laß ihn in Ketten legen! Laß ihn verwahren –«

»Schweige!« schrie Herr Ludwig. »Gestern hat dir mein treuer Peter keinen Sperber vergiftet. Gestern hat er nur mir einen Tropfen Gift ins Leben geschüttet. Wem zuliebe?«

Da sagte der Bucklige sanft: »Mein treuer Vater ist seiner Sinne nicht mächtig und redet, er weiß nicht was.« Während er sich gegen die Truhe hindrehte, warf er einen beruhigenden Augenwink zu dem zitternden Musikanten hinüber.

Der atmete auf und fing von seiner Ehrlichkeit zu reden an. Ein Dorn, den man sich in den Fußballen trat, kann ausschwären. Freilich, das Gehen bleibt eine schmerzhafte Sache. Aber reiten kann man. Und da reitet man mit einem guten Gesellen durch Tag und Nacht zu seinem Herrn, auf dem kürzesten Wege. Und da sieht man bei München die Dörfer brennen. Und da muß man glauben: Wo die Flammen aufsteigen, ist unser Herr, unser siegreicher Fürst! Man reitet auf diese weisenden Feuer zu. Aber die dummen Bauern! In ihrem Grimm und Wahnsinn fassen sie zwei Unschuldige.

»Wessenacker?« Herr Ludwig, dem der Kämmerer die blauen Stahlplatten der deutschen Rüstung um den hohen, kraftvollen Körper schnallte, stieß einen lachenden Laut vor sich hin. »Klingt das nicht so bieder, als wär es auf Münchener Malzboden gewachsen? Und darf ich diesem Menschen zürnen? Hundertmal befahl ich ihm, als Meister für mich zu lügen. Jetzt lügt er als Meister wider mich. Sancta justizia!«

»Ach, gnädigster Herr! Wollt Ihr meinen ehrlichen Worten nicht glauben«, flötete Nachtigall, »so laßt meinen blutigen Schädel für meine Unschuld reden! Den hab ich den wütigen Bauren geduldig hingehalten, daß sie mir nit das Lautenspiel beschädigen. Schauet, Herr! Mein Spiel hab ich mitgenommen. Weil ich doch als Halbgenesener hergeritten bin, um meinem Herren für müde Lagerstunden eine Kurzweil zu bringen, wie er sie lieb hat!«

Bei diesem Beweise, der sieghaft hätte werden können, vergriff sich Meister Nachtigall im Ton. Und Herzog Ludwig packte die verbeulte Laute, riß sie vom Band und schlug sie dem Musikanten von rechts und links um die Ohren, daß die Saiten kreischten und der hohle Holzbauch in Scherben ging. Den Halsstumpf mit den geringelten Stahlfäden schleuderte er gegen die Zeltwand. Bei dieser Gewalttätigkeit schien sein wühlender Zorn sich völlig entladen zu haben. »Peter!« sagte er ruhig. »Bei allem hast du noch Glück! Wär ich die kluge Laus von Burghausen, so ließe ich dich jetzt auf die spanische Bank legen, bis du redest, was wahr ist. Aber dein Glück erkor dich zu einem Getreuen des dummen Stieres von Ingolstadt. Tausend Stunden hast du mir schön gemacht. Ich kann dich nicht ermorden um einer einzigen willen, die mir häßlich wird. Geh mir aus den Augen! Und suche den verschwundenen Laitzinger! Den auf einem süßen Botenweg die Straßenräuber erschlugen – wie mein zärtlicher Herzkäfer vermutet.«

»Glaubt mein geliebter Vater, daß es anders wäre?« fragte der Bucklige unter aufatmendem Lächeln, während Peter Nachtigall seine blutenden Ohren flink aus dem Zelte hinaustrug.

In der blaublinkenden Rüstung trat Herzog Ludwig vor den Prinzen hin. »Was du getan hast, weiß ich nicht.« Aus seinen Augen sprach eine schwere Trauer. »Ich weiß nur, es war ein schlechtes Ding. Und ich spüre, daß mir die Münchener Vettern, noch ehe die Schlacht begann, einen mörderischen Streich versetzten.« Er preßte die zitternden Fäuste auf den Panzer. »Verraten werden? Das ist, seit Jesus sterben mußte, kein allzu hartes Ding. Man sollt es nur nicht erfahren. Das ist das Harte.«

Auch Hauptmann Wessenacker war wieder in den Stahlmuscheln seiner mit Dullen besäten Rüstung. Er sagte ernst: »Herr! Um der Ehre Eures fürstlichen Sohnes willen hättet Ihr den Nachtigall nicht so barmherzig entlassen dürfen.«

Da knirschte der Herzog: »Ich hab's getan, weil ein meineidiger Knecht nicht zeugen soll wider meinen einzigen Sohn und Erben.«

»Dein einziger Erbe? Ja, Vater!« Prinz Ludwig richtete sich auf. »Dein einziger Sohn? Stimmt das?« In den Augen des buckligen Knaben war ein kalter und böser Blick. »Da du immer von anderen die Wahrheit willst, solltest auch du bei der Wahrheit bleiben.«

Der Herzog lachte. »Du? Bist du mein Blut? Oder bist du der Sohn eines Kochs?« Er faßte den Wessenacker am Arm und zog ihn vor den Prinzen hin. »Sieh dieses verbogene Geschöpf an! Das nur mein Erbe sein will. Und sag mir, ob es denkbar ist, daß mich der da verraten hat?« Er atmete schwer. »Wenn's nicht Wahrheit wäre, daß die Salzacher Laus daheim in ihrem Pelze sitzt und durch den Zollern um Frieden bettelt, so müßte ich glauben – –« Herr Ludwig biß die Zähne übereinander. »Nein! Ich mag's nicht sagen. Wer einen schlechten Gedanken ausspeit, macht die Welt unsauber.« Er stülpte den Helm über die Kettenhaube. »Komm, Wessenacker! Kampf ist ein Wille Gottes. Sonst hätte der Himmlische die Menschen ohne Falsch erschaffen.« Ruhig sagte er zu seinem Sohne: »Gott allein soll zeugen für oder wider dich. Mit meinen Einrössern stell ich dich in die erste Reihe des Treffens. Da soll sich erweisen, ob du schuldlos bist. Wie Gott dich zeigt in dieser Schlacht, so stell ich dich morgen zu München vor deine Richter, die ich aus Heer und Volk berufe.«

Lächelnd sagte Ludwig Höckerlein: »Dann bin ich morgen ein Gereinigter.«

Ohne zu antworten, ging der Herzog aus dem Zelte. Wolfl Graumann trug ihm das schwere Schwert und die mit Stahl geplatteten Handschuhe nach.

Der Prinz guckte den Medikus an. »Ich bin gesund. Um meintwillen brauchst du nicht zu bleiben.« Er rief mit scharfer Stimme zwei Namen. Während der Medikus davonging, kamen aus der Zeltkammer zwei Diener gesprungen, ein junger und ein alter. Erschrocken sahen sie, wie Prinz Ludwig den Deckel der Truhe öffnete, den kleinen Lederbeutel mit des Herzogs Majestätssiegel herausnahm und unter dem Brüstling des höckerigen Panzers verwahrte.

Der Alte flüsterte zitternd: »Herr! Ihr rennet in Euer Verderben! Laßt Euch raten, schauet mein weißes Haar an, Alter macht das Gehirn hellsichtig.«

»Aber die Lenden schlaff und das Feuchte in der Nase trocken. Die Kräfte fallen aus, aber in den Ohren wachsen die Haare.« Ludwig Höckerlein war heiter. »So seh ich es an meinem Vater und an dir. Drückt dich dein Gewissen, so beichte morgen. Heut ist Arbeitstag. Sobald die letzte Dummheit meines Vaters da draußen anfängt, schafft ihr den Wolfl beiseite. Dann alles, was da in der Truhe ist, auf meine Troßtiere! Und fort! Nehmt die Straße nach Emmering. In den Stauden des Buchenwaldes sollen mich zwei von den Meinen mit vier guten Gäulen erwarten. Ihr mit den Troßtieren flink voraus, über Brück nach Augsburg! Dort verbergt ihr euch –« Prinz Ludwig sah mit funkelnden Augen in die Truhe, »bis ich diese schönen Dinge von euch fordere. Ein Drittel des gemünzten Goldes ist euer. Und bin ich Herzog, so seid ihr die Besten unter den Meinen.« Seine Stimme bekam einen klagenden Ton. »Ich fürchte, mit meinem törichten Vater geht's hinunter. Vielleicht schon heute. Kluge Menschen halten sich an jene, die emporkommen. Aber tut, was ihr wollt. Wenn ich die Krone trage, laß ich meine Feinde hängen.« Er klappte lautlos an der Truhe den Deckel zu. »Geht, ihr Treuen! Gott wird euch segnen.« Die beiden blieben ratlos noch immer stehen. »Der Wolfl kommt.« Da sprangen sie flink in die Zeltkammer hinaus, und lächelnd wandte Prinz Ludwig das Gesicht.

Wolfl Graumann kam mit sechs Einrössern in blankem Stahl und in scharlachroten Wappenröcken. Einer von ihnen sagte streng: »Gnädigster Prinz! Wir müssen Euch holen. Die Arbeit will anheben, wenn die Sonn, die uns widrig ist, hinuntergeht hinter die Wälder.«

»Die Sonne? So? Diese Sonne! Immer geht sie hinunter, wenn das Helle sterben will. Ich komme. Habt nur ein bißchen Geduld, ihr Gradgewachsenen! Einer wie ich bewegt sich langsam.« Prinz Ludwig machte seinen wippenden Spinnenschritt und legte einen herzlichen Klang in seine dünne Knabenstimme. »Komm, guter Wolfl! Mache mich bereit! Heut will ich sterben für meinen geliebten Vater. Zieh mir die Schnallen fest! Gib mir den Degen, den mein Vater ablegte! Der ist so scharf wie leicht. Und hüll mir den grauen Mantel um das Höckerchen, das mein Panzer hat.« Er lächelte. »Sonst erkennen mich die Feinde zu schnell. Wenn sie fliehen, bevor ich fechte, bleib ich ohne Ruhm.«

Schweigend tat der Kämmerer, was der Prinz ihm befohlen hatte.

»Guter Wolfl? Warum so mürrisch? Weil der Vater ungerecht wider mich redet? Ich will ihn lieben dafür, wie es der Heiland befiehlt. Sag ihm das, wenn ich in der Schlacht für ihn gestorben bin. Und ehrlich: Hab ich dich schon zur Untreu verleiten wollen? Nein? Also! Und hab ich den Vater nicht immer vor diesem bösen Nachtigall gewarnt? Erst gestern noch! Dieser Nachtigall ist ein Meister in schönen Dingen. Alles Schöne ist falsch.« Seine Stimme wurde leis. »Und diese beiden, die der Vater noch mit ins Feld genommen –« Prinz Ludwig flüsterte dem Kämmerer zwei Namen ins Ohr, doch immer noch so laut, daß die sechs Einrösser diese zwei Namen deutlich hören konnten. »Mir glaubt der Vater nicht. Warne du ihn vor diesen beiden! Das sind Diebe. Gestern auf dem Marsche hab ich sie reden hören von meines Vaters Truhe. Sei wachsam, guter Wolfl! Hüte meines Vaters Gut und Leben! Gott wird dich segnen dafür. Wenn ich heute sterben muß und hinaufkomme, will ich die Heiligen bitten, daß sie dir beistehen. Um meines geliebten Vaters willen.«

In diesen Worten war ein Klang von rührender Kindlichkeit. Und als der Greis verwundert aufblickte, sah er unanzweifelbare Tränen über das breite, blasse Gesicht des Prinzen herunterkollern.

Draußen unter dumpfem Sausen ein Trommelgerassel und rasche Trompetenstöße. Der Führer der Einrösser sagte: »Gnädigster Prinz! Es ist an der Zeit!«

Mit den nassen Augen nickte Prinz Ludwig den sechs Gepanzerten herzlich zu. Wippend trat er zu ihnen, reichte jedem die Hand, wickelte den mausgrauen Mantel um seine Rüstung und sagte: »Schützet den Sohn eures Fürsten!« Als die sieben hinaustraten durch den Spalt des Zeltes, fiel wieder die Sonne herein.

Wolfl Graumann strich mit dem Handrücken über seine Stirn, als müßte er einen Nebel vor seinem Blick verscheuchen. Da faßten ihn grobe Fäuste vom Rücken her und rissen ihn zu Boden. Bevor er schreien konnte, hatte er einen Leinenbausch im Munde. Die beiden, vor denen der Prinz ihn gewarnt hatte, fesselten ihm Hände und Füße, wickelten ihm einen Mantel seines Herrn um das Gesicht herum, und so ließen sie ihn liegen.

In der Zeltkammer winselten und kläfften die zwei Hunde, während die schweren Säcke aus der Truhe gehoben und davongetragen wurden.

Hinter dem Zelte machte sich ein Trupp von berittenen Leuten mit zwei schwerschleppenden Saumtieren und vier leeren Gäulen durch den schönen Abend davon, kreuzte die auf der Dachauer Straße im Laufschritt anrückende Nachhut des Heeres und mußte sich bei der Amperbrücke durch einen Knäuel von Troßwagen winden, mußte einem Schwarm der kreischenden Gelägerdirnen entrinnen.

Der letzte Zug der Spießknechte, der den breitgezogenen Rücken des gegen die brennenden Dörfer Puechheim und Alling vorrückenden Schlachthaufens einzuholen versuchte, geriet auf der feuchten, von Menschen und Rossen zerstampften Wiese aus dem Zusammenhang, schließlich sprang ein jeder, wohin er wollte und wo er besseren Grund zu finden hoffte. Noch ehe diese Moosgaukler den vordrängenden Heerschwarm erreichen konnten, blieb er stehen. Nach allem Lärm war plötzlich eine wunderliche Stille in der Luft. Die Menschenmassen waren unbeweglich. Nur die Rosse, die der schlechte Boden unruhig machte, blieben nicht still; sie trampelten und keuchten. Und im Rücken des Heeres, unter dem Schwarm der wirren Springer, hallten aufgeregte Stimmen in die beklommene Stille hinein: »Sie beten! Nieder auf die Knie! Sie beten schon!«

Ein paar Soldknechte sprangen noch bis zum Heerhaufen hin und gerieten hinter die Hilfstruppe des heiligen Peter von Berchtesgaden, der mit Salzburg und Chiemsee die linke Flanke neben Herzog Ludwig stützte. Unter den Rittern war ein schmuck Gerüsteter, dem der ergrauende, zierlich gestutzte Knebelbart über die Halsberge herausstach. Mit dem Eisen puffte er seinen Nachbar zur Rechten an, der in flämischer Rüstung auf einem Pongauer Rappen saß und sich im Gebet auf den Hals seines Gaules beugte: »Du! Jetzt möcht ich das Gesicht Gottes sehen!«

Der in der flämischen Rüstung blieb versunken in sein Gebet. Doch des Neugierigen Nachbar zur Linken, der junge Hundswieben, tuschelte: »Gesicht Gottes? Aschacher? Denkst du ans Sterben?«

»Ich? Sterben? Noch lang nicht. «Was geht mich das alles an? Wenn man nur gesund ist. Ich hab das Gesicht gemeint, das der Herrgott jetzt machen muß, bis er weiß, mit wem er's halten soll, mit Ingolstadt oder mit München? Seine lieben Kinder sind wir alle. Und da beten wir, und es beten die andern. Wem soll er helfen, wen soll er hauen? Heut ist das ein hartes Geschäft: Herrgott sein!« Hartneid Aschacher legte den Kopf zurück und sah durch die Klumsen des Schlachtvisiers in die blaue Luft hinauf.

Ein reiner, leuchtender Himmel wölbte sich mit milder Schönheit über den zwei betenden Heeren. Die niedergehende Sonne hing wie eine große, blitzende Goldkugel zwischen den Kronen des welkenden Buchenwaldes, der hinter dem Hoflacher Jägerhause lag. Alle Spitzen der Bäume waren wie zierliche, glitzernde Glutfäden, von so starkem Schimmer, daß das menschliche Feuerwerk der in Flammen stehenden Dörfer neben dem strahlenden Glanz des Waldes und Himmels eine schwächliche Sache wurde. Sogar der dicke, braune Rauch der Brandstätte – da ihn die Abendsonne in Purpur und Gold verwandelte – war heller und schöner als die matte Knisterflamme dieser hundert Hütten, in die der Mensch seine sengende Kunst getragen. Je höher die purpurnen Qualmwolken in die Sonne stiegen, um so leuchtender erschienen sie und waren zuletzt wie zarte, aus Rosenschimmer gewobene Schleier, hinter denen die langen Züge der von der Sonne angestrahlten Waldhügel gleich Ketten wundersam geschliffener Topase funkelten.

Vor den brennenden Dörfern und im Wiesentale zwischen den Hügeln waren die knienden Münchener schon umwoben von blauem Schatten. Über das breite Treffen der Ingolstädter zuckten von der Höhe des Hoflacher Waldsaumes noch die schimmernden Lanzen der Sonne herunter, ließen die Waffen und Panzer funkeln, setzten blitzende Flämmchen auf die blanken Helme und machten aus den scharlachfarbenen Einrössern einen Tanz von grellroten Lichtern. Und hinter Herzog Ludwigs betendem Schlachthaufen fielen die Schatten von Menschen und Pferden lang und blauschwarz über die zerstampfte Wiese hinaus, die Schatten der Fußknechte wie die Schwarzbilder knorriger Baumstämme, die Schatten der Reiter wie die Nachtgestalten märchenhafter Ungeheuer. Dann floß die schöne Sonne, die diese schwarze Fabel erfunden hatte, wie geschmolzenes Gold über die Wiesen zur Amper und Maisach hinunter, weit, weit hinaus über das öde Sumpfgelände der endlos scheinenden Moorflächen, und in der Ferne verwandelte sie die Waldberge von Dachau in lange Frühlingshecken, an denen die Blutrosen blühten.

Zahllose Wassertümpel des weiten Moorlandes, große und winzige, spiegelten den hellen Glanz des Himmels und waren wie blitzende Silberschilde und wie verschwenderisch ausgestreute Goldmünzen. Und die kleinen, unsichtbaren Zwerge, die diesen Hort von Gold und Silber bewachten, sangen eine geheimnisvolle Weise. Millionen von Fröschen und Kröten unkten im schönen Abend: »Gwo gwo gwo gwo gwo . . .« Es war wie ein Urweltslied mit einem einzigen Worte, wie ein Schwingen und Beben der abendlichen Erde, wie eine Todesstimme der unerforschlichen Tiefe.

Einer von den Rittern, die mit Herzog Ludwig beteten, drehte beim Klang dieses Liedes das Gesicht, das bedeckt war vom Visier des mit Fasanenschwingen geflügelten Helmes. Eine tiefe Erschütterung befiel ihn. Während er die mit Stahl geplattete Zügelfaust in die Mähne seines Rappens wühlte, war ein schmerzender Schrei in seiner Seele. »Moorle! Auf dem Hängmoos? Wie du dich geweigert hast, in den Dreck zu springen? Bist du da nicht klüger gewesen, als Menschen sind?«

So stark und mächtig wurde das Getön der Sümpfe, daß es noch zu hören war unter dem frommen Schlachtgesang, den die beiden Heere zu singen begannen, als sie gegeneinander rückten.

Herzog Ludwig hatte die Losung ausgegeben: »Vorwärts! Mit einem wilden Stoß! Dem festen Boden zu, auf dem wir siegen! Alles niedergeritten! Die Schlacht muß gewonnen sein, eh man hundert Vaterunser betet. In München steht unser Bett.«

So wollten es seine Ritter und Reiter. Doch die Gäule versagten. Wie Kinder vor der Nacht, so zitterten die Rosse vor diesem schwarzen, mürben Boden. Kein Reiten und Rennen war's, ein grauenvolles Auf und Nieder, ein Kämpfen um jeden Sprung, ein Klatschen und Keuchen. Von den Waldhügeln knatterten die Büchsen der Stadtschützen gegen die langsam vordringende Reitermasse. Wer aus dem Sattel stürzte, wurde von den scheuenden Rossen in den Morast gestampft. Auch auf den Flanken des Ingolstädter Haufens fing man zu feuern an. Dieses Gebummer machte die scheuen Gäule noch wilder. Schon drohte die ganze Reihe des Treffens in Verwirrung zu geraten. Da kam der bessere Boden. Endlich! Endlich! Unter Trommelschlag und Trompetenstößen hörte man Herzog Ludwigs mächtige Stimme über alle Köpfe hallen. Doch bevor die Übermacht seiner Ritter und Reiter den wilden Stoß und das sieghafte Niederreiten beginnen konnte, sauste der Kern des Münchener Treffens auf den zerrissenen Gegner los, voraus der junge Prinz mit seinem jauchzenden: »Drauf und dran!«

Nun sind die beiden Heere von Schatten umflossen. Und diesen wilden Zusammenstoß begleitet ein Gerassel, als kollerten schwere Eisenpfannen, Kupferkessel und zerspringende Glocken zu Tausenden über einen steilen Berg herunter. In dem grauenvollen Geschütter geht alles unter, was der Wehschrei eines Menschen ist, der Jauchzer eines Tapferen, der zu siegen hofft, das Röcheln eines Verlorenen, der sterben muß.

Hoch über dem wirren Schattengebalge von Menschen und Gäulen, von Blei und Eisen, von Dampf und Feuer – droben im Glanz der Sonne – rudert ein riesiger Schwarm von Wildgänsen durch die leuchtende Luft. Sie kommen vom Haspelmoor und fliegen den Seen der Berge zu. Während sie über das Schlachtfeld ziehen, bleibt der lange Keil ihres Heeres ruhig und verwirrt sich nicht – sie fliegen so hoch, daß alles, was unter ihnen auf der Erde wimmelt, ein winziges, träges, kriechendes Ding wird, dessen sie nicht zu achten brauchen.

Von der roten Sonne beschienen, sehen die vielen Vögel, die den Hügel von Hoflach überfliegen, wie eine Wolke wehender Rosenblätter aus.

Unter den Gepanzerten, die vor dem Jägerhause bei Herzog Ernst zurückgeblieben sind, schreit ein Frommer und Abergläubischer: »Jesus, ihr Leut, schauet hinauf in die Luft! Uns fliegen die Engel des Himmels zu. Wir müssen siegen.«

Herzog Ernst, auf seinem schweren, unbeweglich stehenden Rosse, wirft einen raschen Blick in die Höhe und murrt: »Deine Engel haben Flügel. Aber sie schnattern.« Dann späht er mit vorgebeugtem Halse wieder hinunter auf das wirre Bild der Schlacht, deren ohrbetäubendes Getöse zu ihm heraufquillt. Er wird unruhig. Eine bange Sorge beschleicht ihn. Der bescheidene Hauf seiner Reiterei ist zu hitzig vorgeprellt. »Ich sag's ja, der verrückte Jung! Wenn's schief geht, reiß ich ihm die Ohren weg.« Er späht und streckt sich über den Rist des Gaules hin. Unter der Halsberge pocht ihm der Blutschlag wie ein Hammer. Immer mehr mißfällt ihm das gefährliche Spiel da drunten. Wohl hat sich Prinz Albrecht mit den sechshundert, die hinter ihm herjagten, in tollkühner Tapferkeit schon hineingekeilt zwischen die Massen des Gegners und sägt sich noch immer weiter gegen das Fürstenbanner des Ingolstädters hin. Doch hinter dem Prinzen und seinen Reitern ist ein böses Loch geblieben; der Kernhaufe des Münchener Fußtreffens kann so schnell nicht folgen, obwohl die schweren Männer wie junge Buben rennen; und die Flanken, bedrückt durch den regellos hetzenden Schwarm der Bauern, ziehen sich zu weit auseinander und werden gegen die Hügel geschoben. Wenn die berittene Übermacht der Feinde sich völlig herausstampft aus dem schlechteren Boden, ist alles verloren und alles wird niedergerasselt.

Aus des Herzogs Kehle fährt ein rauher Schrei. Sein Sohn ist verschwunden, ist gesunken, vom Gaul gerissen. Ein wildes Gebrüll da drunten, halb wie Jubel und halb wie Schreck. Für einen Augenblick schließt der Herzog die Lider. Dann reißt er den schweren Streithammer vom Gürtel, wirft durch einen Zuck des Kopfes das Helmvisier herunter und schreit: »Ihr Männer! Los! Und drauf und dran! Oder mein lieber Sohn ist hin. Und alles!«

Die zwanzig gepanzerten Rosse jagen über den Hügel hinunter, durch eine Lücke des Treffens gegen den Feind.

Schon kreischt man über die stockenden Reihen hin: »Der Prinz ist tot!« Und Hunderte stehen erschrocken, Hunderte wollen sich wenden. Da hallt die Stimme des Herzogs: »Fürwärts, ihr guten Leut! Erschrecket nit! Mein Sohn ist wie ein anderer. Rettet euer Volk und Land! Drauf und dran! Hie gutes München! Seht, wie der Feind entflieht!« Dieses letzte Wort ist eine Lüge; doch eine hilfreiche. Gleich einer Mauer, die zu laufen verstand und jetzt das Springen lernte, drängt die neugeschlossene Reihe des Städter- und Bauernheeres dem Herzog nach und fällt mit Sensen, mit Bidenhändern und Morgensternen gegen Ludwigs ankeuchende Reitermenge. Und Herzog Ernst bahnt eine Gasse, faßt den Streitkolben mit beiden Fäusten und haut nach links und rechts hinunter, mit plumpen, klobigen Streichen, mit gewaltigen Hammerschlägen, unter denen die Helme und Schädel, die Platten und Knochen splittern. Hinter dem Herzog schiebt sich der Hauf der schweren Zünfte nach und ein Trupp von Bauern, die mit grimmigen Hieben dreinschlagen. Allen voran ist der Michel Ungeraten mit seinem rostigen Eisen. Er hält dem Herzog den Rücken frei und hat für jeden, den er mit wütendem Streiche niederdrischt, die drei gleichen Worte: »Schmeck, wie's tut!«

Ein wüstes Geraufe und Stoßen, Schreien und Fluchen ist um den niedergestochenen Apfelschimmel des Prinzen her. Vom schweren Körper des Gaules halb in den Morast gepreßt, wehrt sich der Liegende mit ermattenden Kräften. Einer schlägt ihm das Eisen aus der Faust, ein roter Einrösser reißt ihm den Helm herunter, faßt ihn am Hals und drückt den vom Blondhaar umringelten Kopf des Prinzen in den Kot: »Ergebt Euch, Herr!« Da saust in dem wirren Gewühl der Streitkolben des Herzogs auf den Nacken des Einrössers. Der bricht zusammen. Über ihm ein lachender Schrei: »Ui? Wolltest du meinen Jungen fangen? Den brauch ich selber.« Die Münchener wollen jubeln, doch sie müssen sich ihres Lebens wehren. Zwei Reiterhaufen des Ingolstädters überflügeln das Gebalge, das um den Prinzen ist. Ludwigs Hauptmann Christoph Laiminger rennt gegen den Herzog an. Ein Streich des Michel Ungeraten wirft ihn vorn Gaul. Und der Michel will noch schreien: »Schmeck, wie's –« Doch das dritte seiner Worte findet er nimmer. Stummgeworden rollt er unter die Hufe der Rosse.

In dicken Schwärmen prellen die Ingolstädter vor. Und ohne zu lügen, jauchzen schon viele von ihnen: »Sieg! Sieg!«

Da schrillt zwischen den roten Einrössern eine dünne Knabenstimme: »Rettet euch! Alles verloren! Rettet euch! Wendet die Gäule! Unser Herzog in Gefahr!« Der vordringende Schwarm der Ingolstädter stockt. Eine dumpfe Verwirrung. Und einer in mausgrauem Mantel reißt mit zerrenden Fäusten sein Roß zur Flucht. Wieder und wieder zetert er die zwei gleichen Worte: »Rettet euch! Rettet euch!« Zwanzig, dreißig, hundert beginnen zu fliehen. In langen Reihen wanken und weichen sie.

Herzog Ludwig mit den fremden Hilfstruppen, die im Treffen die Nachhut hatten und noch zu keinem Streiche gekommen waren, wirft sich dem Gewirr der Fliehenden entgegen, will das rennende Unglück zum Stehen bringen, befiehlt und droht und bittet, reitet gegen das eigene Volk und schlägt mit seinem deutschen Schwert die eigenen Leute nieder.

Wie eine eiserne Mauer preßt sich das Heer der Münchener gegen die weichenden Reihen des Gegners und drängt die letzten, die noch stehen möchten, auf den moorigen Boden zurück. Hier wird jedes Roß zu einem Feinde seines Reiters. Die fuchtelnden Hufe schlagen auf Menschenleiber. Ein Stöhnen, Keuchen und Schreien. Und während die Frösche millionenstimmig das ewige Lied der Tiefe singen, wälzt ein verzweifelter Knäuel von Menschen und Tieren sich immer weiter gegen die weglosen Sümpfe hin. Rosse versinken bis über den Bauch, gestürzte Reiter tappen und waten, werden vom Gewicht der Rüstung immer tiefer gezogen und bleiben hängen wie Fliegen im bösen Honig.

Keine Rettung mehr! Herzog Ludwig muß das Elend der Stunde erkennen. Doch alles Zähe seiner Kräfte bäumt sich in ihm, und seine Fäuste greifen nach einem neuen Schimmer von Hoffnung. Noch ist nicht alles verloren. Nur sein Sohn ist ein Verräter geworden oder noch ein Ekelhafteres: ein Feigling. Sonst nur ein Tag verspielt! Wohl liegen tausend von Ludwigs Treuen auf der Wiese oder hängen im Moor oder rennen, wer weiß wohin. Zweitausend hat er noch! Und mehr! Die muß er retten, zusammenhalten und führen, muß ihnen die Straße sichern, muß sie bei Dachau auf festen, verläßlichen Boden bringen. Dort will er sie sammeln, will sie ruhen lassen bis zum Morgen. Und wenn sie erkannten, daß nur der Haß des Bodens und die Widrigkeit einer Stunde sie besiegte, will er sie zu einem neuen, glückreicheren Stoße gegen München führen, morgen, in dieser jungen Sonne, die seine Sonne ist, die Sonne von Sankt Matthäi!

Mit den Truppen, die noch frisch geblieben – mit den Salzburgern und Gadnischen, mit dem Zug der Chiemseer und des Törring – besetzt er im Blutglanz des sinkenden Abends die Amperbrücke bei Olching und formiert einen langen, weit auseinanderstrebenden Trichter, der die verwirrten Schwärme der Fliehenden auffangen und sie zu ruhigem Rückmarsch in dünner Reihe zwingen soll.

Das gelingt ihm.

Es gelingt, weil Herzog Ernst bei dämmerndem Abend die Seinen sammelt, um sie von einer hetzenden Verfolgung auf gefährlichem Boden abzuhalten. Und weil er ein genügsamer Sieger ist. »Gott hat uns aus der Not gehoben. Jetzt wollen wir barmherzige Menschen sein.«

Im sinkenden Zwielicht werden die Verwundeten zusammengetragen, Freunde und Feinde. An die dreihundert hocken und liegen im Wiesgarten vor dem Hoflacher Jägerhause. Nur wenige sind schwer verletzt. Gefallen ist vom Heer der Münchener nur ein einziger. Er liegt wie ein steifes Holz im Gras, ist in den Mantel des Herzogs eingewickelt und hat einen neuen Namen bekommen. Man wird ihn zu München in der Schloßkirche bestatten, und der Büchsenmeister Völschel, der alle Verse für seine Haupt- und Kammerbüchsen selber macht, hat schon eine Grabschrift für ihn gefunden:

»Ein Bauer hieß Michel Ungeraten,
Da seine Äuglein noch blitzen taten,
Hat gelacht für sieben, gefochten für zehn,
Heißet im Himmel: Herr Seelenschön!«

Das Verslein gefiel den Fürsten, Bürgern und Bauern. Nur ein alter Schwabinger schüttelte den Kopf und sagte: »Seiner einschichtigen Mutter wird's nit zusagen. Der wär ein lebendiger Ungeraten lieber.«

In der matten Helle, die der versinkende Brand der beiden Dörfer am späten Abend noch machte, musterte Herzog Ernst die Schar der Gefangenen. Fast ein halbes Tausend. Nicht viele waren in der Schlacht gewonnen; unter ihnen ein paar von des Ingolstädters besten Leuten, der verwundete Hauptmann Christoph Laiminger, Herr Jörg von Frauenberg und Seiz Marschall von Oberndorf. Die meisten der Gefangenen – darunter mehr als zweihundert adlige Herren – hatte man nach der Schlacht aus dem grauen Pfuhl gezogen. «Wie man Fische im Moorwasser fängt, mit der hohlen Hand. Bevor man diese erbeuteten Grafen und Barone unter Siegesjubel und Glockengeläut nach München einbringen konnte, mußte man sie ein bißchen säubern. Mit plätschernden Wassergüssen spülte man ihnen den Morast von den kostbaren Rüstungen. Lachend sagte Herzog Ernst: »Ihr Herren, verzeihet der groben Wäsch! Meinem Sohn ist's auch nicht feiner ergangen. Der putzt noch allweil an seinem langen Haar und riecht wie ein fauler Karpf.«

Von irgendwo – aus einem Dorfe, das noch nicht verbrannt war – klang im Grau des Abends der Hall einer Glocke.

Der Herzog und die Seinen beugten das Knie zur Andacht. Sie dankten dem Himmel für den flinken Sieg, den sie im Gold dieses sinkenden Tages erfochten hatten, bevor eine langsame Christenseele hundert Vaterunser hätte beten können.

Nach dem Amen tat Herzog Ernst das Gelübde: »Wo Gott uns geholfen hat, will ich zu ewigem Gedächtnis eine Kapell erbauen.«

Unter einem Himmel, der noch hell war, begann das Heer der Münchener den fröhlichen Rückmarsch. Die Bürger schwatzten, die Bauern sangen.

Von den glostenden Feuerstätten der niedergebrannten Dörfer huschten Männer und Weiber am schwarzen Waldsaum gegen das stillgewordene Schlachtfeld hinunter und holten sich von den kaltgewordenen Ingolstädtern, die Herzog Ludwig wider Willen zurückgelassen hatte, eine kleine Vergütung für ihren Brandschaden. Bei der Plünderung des vergessenen Fürstenzeltes fanden sie einen Gefesselten, dem sie die Freiheit gaben, weil sie glaubten, das wäre einer von Herzog Ludwigs Feinden.

Gelächter, harte Flüche und leise Summen. Und manchmal ein lautes Klatschen in den weißlichen Wassertümpeln, die noch immer einen Schimmer von Helle zu spiegeln hatten.

Über den großen Pfützen zuweilen ein Flügelrauschen, ein aufgeregtes Entengeschnatter.

Und noch immer sangen die Frösche.

In der Dämmerung huschten zwei große Hunde wie rasend zwischen dem Schlachtfeld und dem Lauf der Amper umher. Winselnd und kläffend verschwanden sie im Dunkel.

 


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