Ludwig Ganghofer
Der Ochsenkrieg
Ludwig Ganghofer

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7

Über dem Runotterhofe hing die laue Sommernacht mit funkelnden Sternen. Das Rauschen der Ache war wie ein gleichmäßiger Murmelsang im Schweigen der Dunkelheit. Aus den Ställen tönte zuweilen das Klirren einer Kette und der murrende Laut eines Rindes. Sonst kein Zeichen von Leben in der Nacht. Die angrenzenden Höfe lagen wie ausgestorben, und vom nahen Leuthaus klang nicht wie sonst das Schreien und Singen trunkener Knechte.

Doch aus weiter Ferne – von dem nach Reichenhall ziehenden Tal des Schwarzenbaches – war immer wieder ein mattes, wirres, wunderliches Geräusch zu hören. Das klang, wie wenn man Erbsen in einer blechernen Schüssel rüttelt. Es war der ferne Lärm des ›andächtigen Bittganges‹, den alle wegfähigen Mannsleute, Weiber und Kinder von der Ramsau, vom Schwarzeck, vom Tauben- und Hintersee zum heiligen Zeno unternahmen, mit Wehr und Eisen, mit Geld und Vieh, mit Karren und Sack.

Immer leiser, immer ferner klang dieser wunderliche Lärm.

Der regungslose Wächter, der vor dem Hagtor des Runotterhofes auf einem Grasbuckel saß, mit dem Bidenhänder über den Knien, mußte immer schärfer lauschen, um noch einen matten Hall dieses erlöschenden Lärms zu vernehmen. So oft er das leise Gerüttel der Erbsen in der Blechschüssel hörte, war in ihm die Frage: Ist die Mutter mitgezogen, oder hat sie bleiben müssen, und hat man auch bei ihr einen halbwüchsigen Buben zurückgelassen mit einem versteckten Sparpfennig, mit einer milchenden Geiß, mit einer legenden Henne, mit Mehl und Schmalz und Salz?

Lautlos kam ein Mensch von der Straße heraufgesprungen, man sah von ihm in der Dunkelheit nur einen Schimmer des weißen Wundverbandes, der um den Kopf gewickelt war. Eine flüsternde Stimme: »Der Pfarrherr ist nit zum finden. Vor der Widumstür, da liegen die vier erschlagenen Leut. Allweil hab ich gepochet an der Tür. Aber niemand hat aufgetan. Der Pfarrherr –«

»Der ist beichten gegangen. Aber nit zum heiligen Zeno!« Malimmes lachte kurz. »Jetzt wissen die Herren im Gaden, wie andächtig heut in der Nacht die Ramsauer wallfahren.« Einen Augenblick besann er sich. »Geh hinein und sag dem Bauren, daß er auf den Pfarrherren nit warten braucht. Sag, der Pfarrherr war davongelaufen. Sonst sag kein Wörtl! Verstehst?«

»Wohl.«

»Nachher sag, daß du letz bist und schlafen mußt. Und tu deinen Lederküraß an, und nimm dein Eisen. Und geh hinauf zu dem Schlupf hinter dem Gärtl droben, wo wir am Abend die Gäul hinausgetan haben. Über dem Hag draußen, gleich in den ersten Stauden links, da liegt des Bauren Wehrzeug. Und Gewand und Wehr von des Bauren Bruder liegt dabei, der jung hat sterben müssen. Und ein lederner Waldsack, der ein lützel schwer ist. Das alles mußt du aufnehmen. Und trag's hinüber zum Hirscheneck beim Windbach, wo die andern mit den Gäulen sind. Und jetzt leg deine Hand in die meinig! Willst du treu sein, Heiner?«

»Wohl!«

»So geh! Und laß den Bauer nit merken, was geschieht!«

Als der Bub in den Hof schlüpfte, knarrte das Hagtor ein bißchen.

Malimmes setzte sich wieder auf den Rasenbuckel hin. Er lauschte über die nach Berchtesgaden führende Straße hinaus. Da war nur das dumpfe, hinter dichtem Wald versunkene Rauschen des Windbaches zu hören. Dann lauschte er nach Westen gegen den Schwarzenbach. Und da konnte er von Zeit zu Zeit noch immer dieses ferne Klirren vernehmen, dieses dünne Erbsengerüttel in einer Eisenschüssel.

Plötzlich drehte Malimmes das Gesicht gegen den Hag. Er lachte leise. »Du Gänsl, du dummes! Bist du noch allweil da?«

Keine Antwort. Doch eine Weibsgestalt löste sich grau von dem schwarzen Zaungeflecht.

»Maidl, jetzt muß ich grob werden!« sagte Malimmes ernst. »Bleibst du noch länger, so könnt ein schieches Ding über dich herfallen. Schau, daß du deinen Heimleuten nachkommst!«

Eine zerdrückte Mädchenstimme: »Ich bleib, wo du bist.«

Malimmes schien ärgerlich zu werden, wandte das Gesicht und lauschte gegen die Gadnische Straße hinaus.

Das Mädel beugte sich zu ihm hinunter. Ein sehnsüchtiges Dürsten war in der leisen Frage: »Tust mich denn gar nit mögen?«

Er lachte ein bißchen und legte den Bidenhänder fort. »So komm halt!« Mit beiden Händen faßte er das Mädel und zog es auf seinen Schoß. »Wer weiß, ob wir morgen noch warmes Blut im Leib haben.« Sie hatte schon seinen Hals umklammert, und seine Worte erstickten unter ihren gierigen Küssen. »Aber schau, Maidl. ich weiß noch gar nit, wie du heißt?«

»Traudi.«

Da mußte er wieder lachen. »Ich trau mich schon.«

Ein Stoß des wechselnden Nachtwindes fuhr durch das Bachtal her, die Ulmen an der Straße rauschten, und deutlicher klang der dumpfe Wasserlärm des Windbaches. Dann wieder die Stille mit dem sanften, eintönigen Lied der Ache. Und immer waren zwei murmelnde Menschenstimmen zu hören, die wie müdes Summen vom Haus herüberklangen über den Hag – weil der Pfarrherr nicht gekommen war, sprachen Vater und Schwester für den toten Jakob den christlichen Seelentrost. Sie beteten lange. Nun verstummten sie.

»Guck, Maidl«, sagte Malimmes wie ein Erwachender, leise und heiter, »so schiech ist keine Lebensstund, daß sie nit noch ein Bröselein Süßigkeit haben könnt! Aber paß auf, jetzt mußt du auch tun, was ich schaff.«

»Alles, Bub!« Sie umklammerte ihn.

»Laß luck ein lützel!« Er suchte in seiner Tasche. »Da hast du fünf güldene Pfennig. Tu's nit verlieren, gelt! Und jetzt lauf die Straß hinaus zum Taubensee! Wenn du viele Reiter kommen hörst, so tu nit erschrecken. Ich glaub, die reiten zum Schwarzenbach. Eh sie dich einholen, birg dich in den Stauden. Und sind sie vorbeigeritten, so lauf wieder. Weißt du des Mareiners Haus?«

Das Mädel nickte an seinem Hals.

»Kann sein, das Haus ist leer. Kann sein, ein altes, müdes Weibl ist da. Dem steck zwei güldene Pfennig in jeden Strumpf. Sag, die tät ihr einer schicken, der am Zäunl gestanden. Sonst tu kein Wörtl reden, nit von dir und nit von mir! Und mach dich wieder davon!«

»Aber –«

»Was?«

»Der ander Pfennig?«

Er küßte sie auf die Wange. »Den heb dir auf! Von mir.«

Sie schüttelte heftig den Kopf. »Das nit! Darfst mir alles tun! Das nit!«

Malimmes lachte. »Da mußt mir halt den überschichtigen Pfennig wieder bringen.«

»Wann?« Das Mädel schmiegte die Wange an seinen Hals. »Und wo?«

»Wenn's tagen will, kannst hinter dem Schwarzeck droben warten, auf dem Steig zum Hängmoos. Kann sein, ich komm. Kann auch sein, daß ich ausbleib. Da brauchst mich nimmer suchen.«

Das hatte er ruhig gesagt. Und dennoch fing das Mädel, von dunkler Angst befallen, an seinem Hals zu zittern an.

»Flink! Tu folgen!« Er packte sie fest, stellte sie auf die Füße und stand selber auf. »Mach weiter! Ist nimmer viel Zeit.«

Sie küßte ihn und suchte mit den Lippen die böse Narbe. Und flüsterte: »Wirst sehen, das heilet wieder. Ganz. Und da bist du der Schönste von allen.«

Er gab ihr lachend einen Schlag auf die dralle Schattenseite. »Spring jetzt! Flink!«

Traudi rannte davon und kam zurück. »Wenn aber das alte Weibl nimmer da ist?«

Eine Weile schwieg er. Dann sagte er hart: »Da tu, was du magst!« Er hob den Bidenhänder aus dem Gras und lauschte gegen den Windbach.

Hinter dem Leuthaus verhallte das flinke Schuhgeklapper des Mädels.

Nun wieder die ruhige Nacht mit dem eintönigen Wellengesang im schwarzen Tal und mit den funkelnden Sternen in der stahlblauen Höhe.

Nach dem Stande dieser weisenden Himmelslichter mußte Mitternacht schon lange vorüber sein.

Da streckte sich Malimmes.

Er hatte vom Windbach her ein Geräusch vernommen, wie wenn ein starker Brunnenstrahl auf einer hölzernen Kufe trommelt. Rasch verstärkte sich dieser Lärm und wurde zu einem Pochen von hundert eisernen Hämmern.

Malimmes trat in den Hof, drückte das Tor zu und schob die zwei schweren Sperrbalken in die Zwingen. Mit ruhiger Hand bekreuzte er das Gesicht, zog den Bidenhänder blank und hakte die Lederscheide wie einen Gürtel um die Hüfte.

Das Gehämmer dieser vielen Hufe kam immer näher, ohne seinen wirren Takt zu verlangsamen.

»Es stimmt. Das geht vorbei. Die reiten zum Schwarzenbach.«

Durch das Schuberloch des Tores guckte Malimmes auf die Straße hinunter. Nun kam's. Und das war wie ein langer, schwarzer, flinker, vielfüßiger Nachtdrache, der hurtig seine Ringe schob und die Stacheln seines Rückens auf und nieder zucken ließ. Nun tauchte das Ungeheuer, das aus der Finsternis gekommen, in die Finsternis hinein.

Kamen bis in einer halben Stunde die flüchtenden Ramsauer auf ihrem andächtigen Bittgang nicht so weit, daß der schützende Mantel des heiligen Zeno sie umhüllte – dann wird dieser eisenschuppige Drache seinen Durst an ihnen stillen und Blut saufen.

Das waren an die vierzig Reiter gewesen. So viele berittene Soldknechte unterhielt das Stift zu Berchtesgaden nicht. Es mußten auch die Domizellaren, die jüngeren Chorherren und die wehrhaften Bürgersöhne mit ausgeritten sein.

Das Gehämmer der vielen Hufe klang schon wieder wie das Getrommel eines starken Brunnenstrahls auf einer hölzernen Wanne, wurde schwächer in der Ferne und versank im Rauschen der Ache.

»Jetzt noch ein Stündl. Und die Raubleut kommen.«

Malimmes schloß am Hagtor den Guckschuber, verwahrte den Bidenhänder in der Scheide und ging zum Haus hinüber.

Aus den offenen Fenstern der großen Stube quoll ein trüber, zuckender Schein in die Nacht heraus. Der kam von den Talglampen, die neben dem Totenbrett des Haussohnes brannten. Und diesen Schein durchwirbelte der dünne, scharf duftende Rauch der Wacholderzweige, die zu Füßen des Toten in einem Kohlenbecken brannten.

Lautlos trat Malimmes zu dem Fenster, das neben der Haustür war, und spähte in die Stube. Den Jakob, dessen Totenbrett auf der Erde lag, konnte er nicht sehen. Er sah nur den Qualm der Talglampen und die züngelnde Wacholderflamme, in der die brennenden Nadeln wie weißglühende Sternchen flogen. Und hinter diesem Schleier von Rauch und Licht gewahrte Malimmes die zwei schweigenden Menschen auf der Ofenbank. Runotter saß gebeugt, mit den Fäusten auf den Knien, und das niederhängende Grauhaar umhüllte sein Gesicht mit dunklem Schatten. So saß er regungslos. Nur manchmal hoben sich seine Schultern unter einem schweren Atemzug.

Jula, deren Arme schlaff herunterhingen, hielt den Kopf an den Ofen gelehnt. Die langsam gleitenden Augen suchten im Leeren. Diese Augen waren heiß und trocken. Doch in der Blässe des versteinerten Gesichtes waren graue Striche, die vom Lampenruß beschmutzten Wege der eingedorrten Tränen.

Immer machte Malimmes heimliche Zeichen zu ihr hin. Ihre irrenden Augen blieben blind. Und einmal, als Malimmes schon glaubte, sie hätte ihn gesehen, beugte sie sich nieder und legte einen frischen Wacholderzweig in die Glutpfanne.

Das junge Feuer prasselte, und den wehenden Rauch durchflogen die blitzenden Sternchen.

Mühsam atmend hob Runotter das Gesicht.

»Geht nit die Nacht schon dem Morgen zu?«

»Ich weiß nit, Vater!«

Er sah sie an. Lange schwieg er. Dann sagte er langsam: »Geh, Kind, und such deine Ruh! Für dich ist morgen auch wieder ein Tag.«

»Laß mich bleiben!«

«Wär das erstemal, daß du deinem Vater nit recht geben tätst.«

Jula stand auf.

Und Runotter sagte: »Schau, Tod ist Tod, und Leben muß Leben sein. Und mir ist wohler, wenn ich weiß, daß du ein lützel Ruh hast.«

Sie nickte.

Lange blieb sie neben der sternigen Wacholderflamme stehen und sah auf die Erde hin. Dann ging sie zum Tisch – und kam zurück – und mit einer plumpen Schere schnitt sie an den Schultern ihre beiden Zöpfe ab. Sie beugte sich nieder und legte das schöne Haar wie eine Opfergabe auf die Füße des Bruders.

Runotter hatte wehrend die Hand gestreckt. Er ließ sie fallen und schwieg.

Während Jula sich aufrichtete, bekreuzte sie Gesicht und Brust. »Morgen, Vater!« Sie ging zur Türe.

Malimmes stand schon im Hausflur. Als Jula kam, machte er ein Schweigzeichen, faßte sie bei der Hand und zog sie hinaus in die Nacht und gegen den Wiesgarten hin.

Die alten Ulmen, die das Hausdach überwölbten, rauschten leise im lauen Wind. Von den Gartenblumen war ein zarter Wohlgeruch in der Nacht, der sich mischte mit dem herben Wacholderduft an Julas Kleidern.

Ketten rasselten in den Ställen, und zwei Kühe fingen zu brüllen an. Hatten sie den Schritt der Hirtin vernommen und erkannt? Oder brüllten sie nur, weil sie müde waren und ziehende Euter hatten?

In der schwarzen Dunkelheit, in der die matt erleuchteten Fenster wie verweinte Augen hingen, lauschte und spähte Malimmes nach allen Seiten, während er noch immer Julas Handgelenk umklammert hielt.

Sie fragte: »Mensch, was tust du?«

»Meinen Dienst als guter Knecht, der seinen Herren aus dem Elend lupfen will.«

Sie fragte in der Verstörtheit ihres Schmerzes: »Kannst du lebig machen, was tot ist?«

»Das nit.« Malimmes sprach leise und ruhig. »Aber man kann beim Leben halten, was noch schnauft. Hinter dem Tod ist die Seligkeit. Aber was vor dem Sterben noch im irdischen Gärtl steht, ist auch nit schlecht. Ich sag: Der Herrgott soll dem toten Buben meines Herren gnädig sein, aber meinem Herren und seinem schnaufenden Kind soll er Güt im Leben erweisen. Gott ist allmächtig. Aber der Mensch muß mithelfen. Sonst mag der Herrgott nit. Am liebsten hilft Gott dem Stärksten. Drum hab ich ein lützel fürgesorgt –«

Mit erstickten Lauten unterbrach ihn Jula: »Seit dem Abend hast du heimlich getrieben, ich weiß nit was. Der Vater hat nit sehen und hören können. Ich hab geschwiegen. Weil alles andre minder ist als meines Vaters Weh. Aber dir muß ich sagen –« Sie verstummte.

»Sag's!«

»Du hast meines Vaters Wehr und Eisen heimlich vertragen. Ich muß mich sorgen, ob du ehrlich bist?« Sie hörte einen Laut, der wie ein Kichern war und befreite in Zorn ihre Hand.

»Mußt nit harb sein, Haustochter!« Seine Stimme bekam einen Klang von zarter Herzlichkeit. »Ich bin halt so, daß ich allweis ein lützel lachen muß, wo ein Wehleidiger heulen möcht. Ich glaub, wenn ich sterb einmal, das wird ein Stündl wie die letzte Narretei in der Fasnacht. Aber wahr ist's, ich hab deines Vaters Wehr vertragen. Noch schlechter! Ich hab deines Vaters Magd verjagt, die dummen Gans, hab deines Vaters Mannsleut fortgeschickt, hab deines Vaters Gaul verschleppt, bin ein Spitzbub worden und hab deines Vaters schweren Sparbinkel heimlich aus dem Bodenloch gehoben, das ich ausgekundet hab. Dir sag ich's. Hätt's dein Vater gemerkt, so tät er's machen, wie die Herren im Gaden und tät mich des Unrechts zeihen, derweil ich recht tu.«

»Mensch?«

»Erst laß mich alles sagen. Ein halbes Stündl ist noch Zeit –«

»Zeit?«

»Bis die Raubleut kommen. Hast du die Reiter, die zum Schwarzenbach sausen, nit traben hören?«

»Der Vater hat's nit gemerkt.«

»Die andern, die füßlings kommen, wird er merken. Mußt nit erschrecken! Solche Händel hab ich schon viel erlebt, bald als Prügel und bald als Buckel. Die Herren kenn ich. Die Knecht noch besser. Und schau – Aber magst dich nit niederhocken ein Kitzel? So viel zittern tust!«

»Ich steh. Red zu!«

»So schau! Da drunten auf der Straß, wo der Seppi Ruechsam gelegen ist, da hab ich deinem Vater recht gegeben. Treu ist ein feines Ding. Aber die Herren haben jetzt nit die Augen dafür. Die andächtigen Ramsauer und ihr flinker Pfarrherr haben deines Vaters sauberen Boden vermistet. Und am Abend hab ich deinem Vater sagen müssen: ›Bauer, fort mußt!‹ Er hat den harten Kopf geschüttelt: ›Ich bleib und tu meinen Buben in geweihten Boden, und morgen geh ich zum Fürsten und hol mein Recht.‹«

»So muß der Vater tun.«

»Aber der Pfarrherr ist davongelaufen. Und beichtet den Herren, wie andächtig die Ramsauer sind. Und dein Vater wird morgen nit zum Fürsten gehen, weil der Fürst zu deinem Vater kommt, jetzt, in der Nacht. Nit selber. Fürsten schicken ihre Knecht, wenn der Weg ein harter ist. Und da wird dein Vater morgen keiner sein, der gekommen ist, sondern einer, den man geholt hat. So einer hat's nit gut. Das Leben ist diemal ein spassig Ding. Dem Lämmlein in der Einschickt geht's allweil härter als dem Fuchs unter hundert Wölfen. Wär dein Vater so andächtig auf die Wallfahrt gelaufen wie die Ramsauer, da tät er bei Landsverrat seines Lebens sicherer sein als jetzt, wo er redlich und treu geblieben.«

Jula schüttelte stumm den Kopf und preßte die Stirn auf ihre Fäuste.

»Schau! Dein Vater hat einen Mangel wie die Sonn, von der die Blinden sagen, sie wär im Winter zu kühl und im Sommer zu hitzig. Dein Vater ist so übermäßig redlich, daß ihm die Mißtrauischen das nimmer glauben. Einer, dem man das Weib genommen? Einer, dem man das Kind erschlagen? Einer, vor dem die Herren sich schämen und fürchten müssen? Wie sollen die Herren von dem noch glauben können: Der ist treu? Tätst du das glauben? Ich nit. Wie wahrhafter dein Vater vor dem Fürsten reden wird, um so hinterlistiger und verlogner wird's für die Herren ausschauen. Alles Übermaß im Leben ist von Übel. Auch beim Guten. Die Heiligen, eh man ihnen das Kerzl angezunden, sind noch allweil geschunden worden. Ein Heiliger braucht dein Vater nit werden.«

Mit rauher Stimme fragte Jula: »Willst du dem Vater raten, daß er lügen soll und unrecht tun?«

»Das nit. Aber einer, der doppelt redlich ist, muß doppelte Fürsicht üben. Dein Vater wird im schiechen Loch liegen, er weiß nit wie. Kann sein, es geht sein Weg aus dem Loch wieder in die Freiheit. Völlig vernagelt ist ja die Menschheit noch allweil nit. Auch Herren werden nach schwerem Wein wieder nüchtern. Aber –«

»Red!«

»Es kann auch sein, daß dein Vater sich vor lauter Redlichkeit um den Hals schwätzt. Daß er als Ramsauer büßen muß für die Untreu der Andächtigen. Und daß sein Weg aus dem Herrenloch zum roten Holz geht.«

Verzweifelt faßte Jula den Soldknecht an der Brust. »Und da hast du ihm Wehr und Eisen verschleppt!«

»Ja, Gott sei Dank!« Malimmes löste sanft diese zuckenden Hände von seinem Kittel. »Schau! Dein Vater harret doch jetzt aufs Recht. Was kommt, wird ausschauen wie neues Unrecht. Und so redlich dein Vater ist, er ist doch allweil bloß ein Mensch. Da wird ihm der Zorn ins ehrliche Blut fahren. Und kriegt er ein Eisen zu fassen, so schlagt er zu. Schlagt vier oder fünfe nieder. Ein Dutzend rumpelt über ihn her. Und am Morgen liegt dein Vater neben dem Jakob. Und du –«

»Ich?«

»Du wirst neben ihm liegen. Wenn du an deinem lieben jungen Leib nit leiden willst, was eines Hofmanns Recht ist. Da heißt die Fürschrift: Mag's der Vogt nit tun, so steht's den Reitern zu, mögen's die Reiter nit tun, so haben die Knecht das Recht. Einer ist alleweil da, der mag und Zeit hat.«

Bei dem heiteren Klang dieser Worte rann ein kaltes Grauen durch Julas Leib und Herz. Verstört umklammerte sie den Arm des Malimmes. »Was muß ich tun?«

»Bloß mir ein lützel trauen. Freilich, irren kann sich ein jeder. Sogar unser Herrgott hat sich getäuscht, wie er gemeint hat, er hätt die Menschen so gut gemacht, daß sie besser nit sein könnten. Denk, sogar der Herrgott! Und ich bin nur ein irdisches Würml. Ich kann mich verrechnet haben. Das muß ich dir sagen. Geht's schief, so hab ich selber den Kopf in der Schling. Und mir bleibt als letzte Hoffnung, daß die Gadnischen Herren einen so schlechten Seiler haben, wie der Fischbauer vom Hintersee einer ist.«

Eine wehe Klage: »Ich versteh dich nimmer. Was bist du für ein Mensch! Tu nit so grausig scherzen!«

»Die fluchen, machen das Leben nit besser. Nur schlechter noch. Freilich, es hat ein jeder sein unsinniges Stündl. Gestern zum Abend bin ich ein trauriger Lapp gewesen. Heut freut mich das narrische Leben wieder. Und ich verwett meinen Hals drum, daß ich morgen, eh die Sonn wieder scheint, deinen Vater auf festem Boden hab. Willst du mir helfen?«

»Red!« Jula richtete sich auf. »Was verlangst du, daß ich tun soll?«

»Ein hartes Stückl für ein gutes Kind.«

»So red doch!«

»Fort mußt du! Jetzt. Mit mir. Jetzt gleich. Und dein Vater darf's nit wissen.«

»Das tu ich nit.«

»Es geht nit anders. Wenn die Hofleut kommen, muß dein Vater glauben, du bist im Haus und liegst im Bett. Das macht ihn fürsichtig. Er wird sich geben ohne Streit, wenn ihm die Hofleut den Hausfried zusagen. Die lügen schnell. Und alles ist gut.«

Jula schwieg. Dann streckte sie wehrend die Hände.

Da lachte Malimmes. Und fragte: »Hast du keinen lieb, für den du dich aufheben möchtest?«

Unbeweglich stand sie in der Nacht. Ein mühsamer Atemzug. Und sie schüttelte den Kopf. »Ich bleib, wo der Vater ist.«

»Gut!« sagte Malimmes ruhig. »So bleib ich halt auch. Und stell mich hin vor dich, vor meinen Herren und vor das Totenbrett. Und rührt euch einer an, so schlag ich zu mit dem Bidenhänder.« Doch statt das Eisen blank zu ziehen, koppelte er das lange Schwert vor der Brust an den Riemen, als hätte er den Wunsch nach freien Händen. »Das wird eine grobe Blutsuppe geben.« Er faßte mit festem Griff ihr Handgelenk.

»Zum Vater –« Jula versuchte ihre Hand zu befreien. »Ich will zum Vater.«

Lauschend hob Malimmes den Kopf, stand eine Weile unbeweglich und flüsterte: »Lus!«

Im Rauschen der Ache hörte Jula von der Straße herauf ein Geräusch, das sie nicht zu deuten wußte.

Malimmes zischelte: »Das müssen an die zwanzig sein, die neben der Straß im Gras laufen. Und drei Gäul. Zwei treten hart. Die tragen. Einer geht leer. Das ist der Gaul, auf dem dein Vater reiten soll. Und lus! Da steigt ein Bub über den Hag.«

»Laß aus!« Jula rang gegen die eiserne Kraft des Soldknechtes.

Er packte sie mit beiden Armen. »Wehr dich, gutes Maidl! Wehr dich, wie du kannst! Bloß schreien tu nit! Sonst bringst du deinen Vater um.« Während er sie mit dem linken Arm an seine Brust klammerte, preßte er die rechte Hand auf ihren Mund und riß sie mit sich fort, in die Nacht hinaus.

Das Hagtor quiekste ein wenig, als es von dem Buben geöffnet wurde, der vorsichtig über den hohen Zaun geklettert war. Dunkle Gestalten mit grauen Gesichtern drängten sich in das offene Tor. Vom rötlichen Licht, das herausfiel aus den Fenstern, blinkten die Spießklingen, als wären sie schon mit Blut gefärbt.

Leis befahl eine rauhe Stimme: »Zwei zu jedem Fenster, vier an die Haustür, sechs in die Stall. Nit eher, als ich im Haus bin. Der Reiter mit mir.«

Rasch gingen die zwei auf das Haus zu. Sie zogen das Eisen nicht. Der vorausging, hatte einen Streithammer in der Faust und war gut gewappnet. Seine Platten klirrten, als er über die Schwelle trat.

Das klang so laut, daß auch Runotter in der Taubheit seines Schmerzes dieses Klirren hören mußte. Er hob den Kopf. Doch er konnte die Augen vom Jakob nicht losbringen. Als die zwei schon bei der Stubentür standen, sah Runotter noch immer seinen Buben an, der starr und mißförmig auf dem Totenbrette lag, umzittert vom Licht der Talglampen und von der roten Glut des halbverbrannten Wacholders. Wuschelig hingen die schwarzen Haare in das schmerzlose Gesicht des Toten, der vom unruhigen Licht noch eine Farbe des Lebens auf den Wangen hatte und mit geschlossenen Augen über eine schwer begreifliche Sache nachzudenken schien.

»Runotter?«

Der Bauer wandte den Kopf. »Der Vogt? Bei mir?« Er deutete auf den Toten. »Weiß der Fürst schon, wer's getan hat?«

»Mir hat er's nit gesagt. Da ist auch jetzt nit die Red davon.«

»So?« Das Gesicht des Bauern verzerrte sich. »Schickt mir der Fürst den neuen Richtmannsstab?« Langsam erhob er sich.

»Runotter?« Der Vogt, ein schweres, breitschultriges Mannsbild, tat einen Schritt in die Stube, und hinter ihm drängte sich der andre nach. »Arg still ist's heut im Dorf. Die Häuser zwischen dem Windbach und deinem Hof sind leer. Wo sind die Ramsauer?«

Die Brauen des Bauern zogen sich hart zusammen. »Was geht mich an, wo die Ramsauer sind? Ich bin, wo ich sein muß.«

Der Vogt schmunzelte ein bißchen und deutete auf den Toten. »Lag der da nit auf dem letzten Laden, Bauer? Wo wärst du denn nachher jetzt? Auch auf der frommen Wallfahrt?«

Runotter streckte sich. »Da war ich beim Fürsten. Jetzt.«

»So komm! Der Fürst will reden mit dir.«

»Das Leben hat viel Recht. Der Tod hat auch eins. Dein Fürst wird mir Urlaub lassen bis morgen. Ich muß meinen Buben in geweihten Boden tun.«

»Das wirst du nit können. Der Pfarrherr ist im Gaden draußt. Ich weiß nit, wie lang er bleibt. Dein Bub und die andern werden warten müssen. Der Fürst hat Eil. Komm mit! Ich will dir raten, du tust es in Gut und Ruh.«

Lange schwieg der Bauer. Er musterte die zwei Männer, sah unter schweren Atemzügen den Toten an, und dann irrte sein Blick über die Stubendecke. Er nickte. Seine Stimme war tonlos. »Gut! Ich mach mich fertig.« Mit raschen Schritten trat er in die Kammer hinaus und drückte hinter sich die Türe zu.

Der Spießknecht wollte springen. Aber der Vogt hielt ihm den Arm vor. Über den Toten, der mit Lampen und Glutpfanne den Weg sperrte, wollte er nicht hinüber. »Bleib! Der kommt wieder. Das ist von den Ochsen einer, die nit grasen auf dem Hängmoos.«

Die Tür der Kammer wurde geöffnet und langsam trat der Bauer heraus. Sein Gesicht war grau wie Asche, seine leeren Hände zitterten, und wieder irrte sein Blick über die Stubendecke hin. Lag Julas Kammer da droben?

Der Vogt lächelte. »Ich hab gemeint, du suchst deinen Hut?«

Runotter sah ihn mit den Augen eines in die Enge getriebenen Tieres an. »Vogt?«

»Was willst?«

»Wenn ich in Ruh und Güt mit dir zum Fürsten geh? Tust du den Buben da in Fried lassen? Und mein Haus?«

»Wie soll ich deinen Hausfried stören? Ich und der da, wir reiten mit dir zum Herren. Jetzt gleich.«

»Auf Wort?«

»Auf Wort!«

»Gut! Da hast mich! Beim Fürsten find ich, was Recht ist.« Runotter sah seinen Buben an und ging um die Kohlenpfanne herum. Da faßte ihn der Spießknecht am Arm. Der Bauer zuckte wie ein Erwachender auf. »Was willst?«

»Du mußt dir den Strick um die Hand tun lassen!« sagte der Vogt in gütigem Ton. »Es ist Befehl.«

Lange schwieg der Bauer. Seine Brust arbeitete. »Gut! Ich hab dein Wort.« Er streckte die Fäuste hin. »Geh ich nit mit dir in Gut und Ruh? Wozu der Strick?«

Der Vogt wartete, bis der Spießknecht den Strick geknotet hatte. Dann sagte er: »Weil du verdächtig bist des Landsverrats und der Meuterei.«

Eine Weile sah Runotter dem Mann wie ein Träumender ins Gesicht. Dann brach er in grelles Lachen aus. »Vogt! Das Leben ist ein narrisch Ding!«

»Ich glaub, es wird dir nimmer arg lustig sein!«

Die beiden führten den Bauer hinaus, der auf der Schwelle noch das Gesicht drehte.

Da hörte man Stimmen, überall, und Lichtschein zuckte auf. Fackeln fingen zu brennen an. Und während fünfe, sechse von den Exekutierern in das Haus rumpelten, in die Stube sprangen und über die Stiege hinaufpolterten, zerrten andre schon das gepfändete Vieh aus den Ställen. Einer kreischte: »Die Küh sind da! Er hat die siegelwidrigen Küh im Stall!« Geschrei und Gelächter.

»Jula! Jula!« brüllte Runotter. »Malimmes! Heiner! Leut! Leut!«

Keine Antwort. Niemand kam. Nur die Exekutierer rannten hin und her. Und lachend sagte der Vogt: »Deine Leut haben eine gute Näs gehabt. Die sind auf der Wallfahrt.«

Mit windenden Fäusten hatte Runotter die Stricke gedehnt. Er brachte die Hände nicht heraus, doch er konnte sie bewegen. Und während er einen von den Knechten niederzerrte, entriß er ihm die Fackel. Alle fielen über ihn her. Aber der Feuerbrand wirbelte schon auf das Hausdach hinauf. »Erbrecht! Herrentreu!«

Sie stießen den Lachenden zu Boden, zogen ihn zum Hagtor, hoben ihn auf einen Gaul und banden ihm die Füße unter dem Bauch des Pferdes zusammen.

Bei dem wirren Geschrei der andern kletterten ein paar von den Exekutierern auf das Dach hinauf, um noch zu löschen und das Feuer totzuschlagen. Doch die flinke Flamme lief schon auf dem dürren Dache nach allen Seiten hin, züngelte über den First hinaus und leckte gegen das Astwerk der alten Ulmen.

Es wurde hell in der Nacht, als der Vogt und der Spießknecht davonritten, zwischen sich den Gaul mit dem Gefesselten. Die Hufschläge klapperten laut auf der Straße.

Hinter den eilig Reitenden blieb das Geschrei der Exekutierer und das Gebrüll des gepfändeten Viehs, das sich vor Rauch und Feuer schreckte.

Rote, flackernde Lichter fielen von der Brandstatt über die Wiesengehänge und über die Straße her. Doch als der geschlossene Wald begann, zuckte nur noch hie und da ein roter Schein durch die Lücken der Baumkronen. Der Straßenboden war finster.

Das Rauschen des Wassers wurde stark und dumpf. Die Reiter kamen zum tosenden Windbach.

Da knickte plötzlich das Pferd des Vogtes zu Boden. Auch die zwei andern Gäule stürzten. Sie fielen hin wie vom Blitz erschlagen. Dabei hörte man das Klirren des entzweigesprungenen Eisendrahtes, der die Straße gesperrt hatte. Und während die Pferde keuchten und sich erheben wollten, waren fünf Menschen da, zerschnitten die Stricke des Bauern, rissen ihn unter dem Gaul heraus und stießen den Vogt und den Spießknecht über den steilen Straßenrain hinunter in den rauschenden Bach. Der war nicht tief. Aber die zwei kollernden Männer in ihren schweren Eisen machten doch einen festen Klatsch. Und wenn man reichliches Wasser in der Hose hat, ist alle Tapferkeit zu Ende. Bis die beiden stumm und triefend aus dem Bach herauskrabbelten, sich versteckten und dann im erwachenden Morgengrau den Mut fanden, zur stillen Straße hinaufzuklettern, waren die fünfe mit dem Runotter schon lang verschwunden und waren schon hinter dem Wald und über den Wiesenhängen droben auf dem Karrenwege, der vom Schwarzeck zu den Wäldern des Pfaffenbühels und zum Hängmoos führte.

Heiner und die zwei andern Knechte leiteten den flinken Schimmel und die beiden Ackergäule, die gleich Saumtieren schwer befrachtet waren.

Malimmes und noch ein andrer mußten den taumelnden Runotter stützen, der vom Sturze betäubt schien, sich nicht erholte und wie mit den schwachen Knien eines Betrunkenen vorwärtstappte.

Während Malimmes heiter schwatzte, spähten seine ernsten Augen unablässig nach allen Seiten.

Hinter dem Schwarzeck, schon weit von den letzten Häusern, in stiller, grauer Einöde, kam der Zug zu einem Bache.

»Da sind wir sicher!« sagte Malimmes. »Jetzt muß sich der Bauer ein lützel zusammenklauben.« Er ließ den Taumelnden neben dem Bach auf den Boden nieder, wusch ihm das Gesicht und die offene Brust, klatschte ihm das kalte Wasser gegen Stirn und Augen, goß ihm aus einer gedörrten Gurke einen Schluck Branntwein zwischen die Zähne und gab dem halb Bewußtlosen unter wunderlichen Umständen mit der flachen Hand drei scharfe Schläge auf eine Stelle des Rückens.

Rasch erholte sich der Bauer. Mit dem ersten klaren Blick sah er nach der Richtung hin, in der die Ramsau lag. Da war kein Feuerschein. Doch der Rauch des Brandes lag wie ein brauner Nebel über dem Tal.

»So? – Wohl, ich versteh schon! – Jetzt ist der Jakob zugedeckt für ewige Zeit.« Ein Zittern rann durch die schwere Gestalt des Bauern. Und seine Augen irrten, während er schrie: »Das Maidl? Wo ist das Maidl?«

Da trat der andre von den beiden, die ihn geführt hatten, im Grau des Morgens vor ihn hin, jung und schlank, in schlechtsitzender Bubentracht, einem siebzehnjährigen Knaben ähnlich, in einem verrosteten Holdenküraß, um den ein kurzes Schwert an dünner Kette hing. Über dem blassen, strengen Gesicht, das große, blaue, heißbrennende Augen hatte, saß eine rostige Eisenschaller, aus der das schwarze Haar, zausig abgeschnitten, bis zu den schmalen Schultern hing.

Der Blick des Bauern glitt über dieses Eisen. War das nicht die Wehr seines Bruders, der jung hat sterben müssen?

Eine leise, herbe Knabenstimme: »Kennst du mich nit?«

Runotter erhob sich halb, unter heißem Lachen. »Bist du's gewesen, der mich unter dem Gaul herausgerissen?«

Ein stummes Nicken.

Da sprang der Bauer auf, als wäre jede letzte Schwäche von ihm gewichen. Den Arm des Buben umklammernd, knirschte er durch die Zähne: »Recht hast! Sei der Stellmann des Jakob! Du! Und tu das Eisen nimmer aus der Hand! Und schlag und brenn und stich und mord! Das Leben ist ohne Recht und Treu! Und um so besser wird's, wie mehrer du niederschlagst!«

Malimmes lachte. »Gar so schiech wird's nit ausfallen. Ein paar lassen wir schon noch übrig. Wär doch ein lützel schad, wenn die Welt aussterben tät!« Er wurde ernst. »Jetz komm, Bauer! Zum Reden ist nit Zeit. Wir müssen flinke Füß machen.«

Runotter schüttelte den Kopf. »Zum heiligen Zeno geh ich nit.«

»Das hättst mir nit sagen brauchen. Ich mein', wir steigen über das Lattentor und nächten in der bayrischen Plaienburg. Unter Dach kann man weiterreden.«

Der Bauer nickte. Zum Lattentor? Da mußte man über das Hängmoos, wo der Jakob den letzten Schnaufer getan. Dort ein Vaterunser beten! Weiter dachte Runotter in dieser grauen Morgenstunde nicht.

Der Tag begann. Die Vögel waren wach geworden. Von einer steilen Wiese flüchtete ein Rudel Hochwild, als es die Menschen kommen sah, in den Schutz des Waldes.

Die steigende Sonne verwandelte die wildzerklüfteten Grate des Lattengebirges in leuchtende Rosenhügel unter lachendem Blau. Und als sie herüberguckte über die Waldkuppen des Totenmannes, umglänzte sie den schweigsam wandernden Zug mit ihrem funkelnden Gold und warf die langen blauen Schatten der Menschen und Gäule weit voraus über den von Tauperlen schimmernden Grasweg.

Über allen Bergen war der Himmel rein. Doch in der Scharte zwischen dem Lattengebirge und dem Untersberg, weit draußen in der westlichen Ferne, stand eine lange, violette Wolkenbank. Stieg da ein Gewitter herauf? Oder wollten regnerische Tage kommen?

Am Saum des Waldes, der ganz rot von Sonne war, erhob sich ein Weib.

Heiner, der mit dem Schimmel den Zug führte, blieb stehen. »Da ist wer.«

Malimmes nickte. »Die müssen wir mitnehmen.«

Um die andern kümmerte sich Traudi nicht. Sie schien nur den Malimmes zu sehen. Ihr Rock klatschte von der Nässe des Taues. Auf Hals und Stirn glitzerten die Perlen ihrer Mühsal. Eine Mischung von Staub und Schweiß hing fleckig an dem müden, verängsteten Gesicht. Das blonde Mädel mochte seit Mitternacht viel Heiteres nicht erlebt haben. Und dennoch war der Glanz eines Menschenglückes in ihren Augen, jetzt, als sie dem Malimmes mit dankbarem, schon wieder dürstendem Blick auf der offenen Hand den Goldpfennig hinhielt.

»Da hast ihn wieder!«

»Den tu mir gut aufheben! Meine Säck haben Löcher.« Ein leichtes Schwanken kam in seine ruhige Stimme, als er fragte: »Hast du am Taubensee das alte Weibl gefunden?«

Das Mädel nickte. Und während die beiden hinter den andern herwanderten, erzählte Traudi.

Im Haus des Mareiner saß die alte Frau in der Herdstube neben dem Feuer. Sie zitterte vor Angst. Doch als sie die vier Goldpfennige – von dem, der am Zäunl gestanden – in den Strümpfen hatte, lachte sie ein bißchen. Immer wieder griff sie mit den dürren Händen zu ihren Füßen hinunter. Und dann schlief sie ein. Niemand war bei ihr in der Stube. Von den Buben der Nachbarsleute war keiner geblieben. Aber der Bauer und die Bäuerin waren noch beim Haus. Vieh und Karren standen im Hof, und immer schrie die Bäuerin nach dem Bauer, der mit einer Laterne im Walde war, etwas suchte, was er nicht finden konnte und wie ein Verdammter fluchte.

»Und derweil ich davongelaufen bin durch die Stauden, ist jählings ein Haufen Reiter dagewesen, ich weiß nit, wie! Und Kienlichter haben gebronnen. Die Latern im Wald, die ist ausgeloschen, der Bauer muß in der Finsternis versprungen sein. Aber das Vieh haben die Reiter gepfändet, und die junge Bäuerin müssen sie erwuschen haben. Jesus, Jesus, hat das Weib gekreistet! Lang! Und allweil wieder!«

Heiter sah Malimmes gegen den Taubensee hinaus. »Bruder Mareiner! Ich fürcht, nach der Fasnacht wirst du taufen müssen!«

Die beiden machten flinke Schritte, um die andern einzuholen. Und da sagte Traudi: »Du! Der junge Bub da? Das ist doch –«

»Kennst du den Buben?« Malimmes sah sie mit so strengen Augen an, daß sie weder Ja noch Nein zu sagen wagte. »Das ist ein Vetter des Bauren. Der Jul. Ist heut in der Nacht gekommen. Aus der Fremd. Wer's anders wissen wollt, dem wär ich feind. Ich tät kein Wörtl nimmer reden mit ihm.«

»Jesus«, stammelte das Mädel, »auf Ehr und Seligkeit, das ist der Vetter, ich weiß es nit anders.«

Als Malimmes den Bauern einholte, sagte er lustig: »Sechs Helm und drei Gäul! Ein Troßweibl ist auch schon da. Jetzt sind wir schon bald ein Heer. Der Feind wird Angst kriegen vor uns!«

Müd sagte Runotter: »Tu nit scherzen! Mir ist weh in tiefster Seel.«

Der Zug ging weiter mit stummer Hast.

Auf dem Hängmoos fanden sie die sieben Ochsen, die zum Runotterhof gehörten. Alles andre Vieh war abgetrieben. Nur die vielen braunen Schmetterlinge waren noch da, die über dem sonnigen Bruchboden gaukelten. Und immer wieder sah man auf den Wasserflächen ein kleines Blitzen – so oft ein Frosch nach einem der Schmetterlinge sprang.

Das vierjährige Öchslein kam gelaufen. Runotter kraute ihm die Stirn. »So, Dunnerli? Bist du noch da?« Er sah die andern an. »Ein Vieh hat's gut!«

Sie standen vor dem Aschenhaufen des Käsers. Ein paar schwarze Balkenstrünke glühten und rauchten noch.

Während die Gäule am Brunnen tranken, stiegen Jul und Runotter zu dem Waldstreif hinauf.

Als der Bauer wieder herunterkam zum Aschenhaufen, streckte er die beiden Hände. »Schauet, Leut!« Er hatte auf der einen Hand das kleine, krumme Schnitzmesser des Jakob liegen, auf der andern die schmutzigen Splitter eines hölzernen Vögelchens. Das alles barg er an seiner Brust wie eine Kostbarkeit. Seine Augen glitten langsam über die grünen Gehänge hin. »Leut! – Da soll's nimmer Hängmoos heißen. Das ist die Mordau.«

Die andern nickten und sprachen es nach: »Die Mordau!« Nur der schlanke, junge Bub, der neben dem Bauer stand, blieb stumm. Das blasse, erschöpfte Gesicht mit den müden Augen war gegen den Bruchboden hingewendet, über dessen glänzenden Wassertümpeln die Schmetterlinge tanzten.

Nun stiegen die sieben gegen das Lattentor hinauf. Malimmes und Traudi trieben die Ochsen hinter den Gäulen her.

Als der mühsam kletternde Zug zur steinigen Grenze kam und die Leute unter Gefahr und Beschwer das Vieh und die Pferde durch die rauhe Felsenscharte führen mußten, wandte sich keines der sieben Gesichter nach dem Berchtesgadnischen Lande zurück, das hinter ihnen versank.

Vor ihren Augen, die nicht suchten, nur des harten Weges achteten, tat ein neues, fremdes Land sich auf.

Vorgelagerte Berge und Waldkuppen verhüllten das Schutzgebiet des heiligen Zeno und das Reichenhaller Tal. Drüben stiegen die drei grünen Staufen in das dunstig gewordene Blau. An ihnen vorüber sah man weit hinaus in ein welliges Land. Seine Ferne war von schweren Wolken überzogen, unter denen die Erde ohne Sonne war, mit schwarzen Wäldern und grauem Feld.

Doch alle Nähe glänzte noch im Schimmer des Mittags. Und wo die westlichen Waldgehänge des Untersberges sich niedersenkten gegen die blitzende Saalach, tief da drunten, saß die bayrische Plaienburg auf einem Buchenhügel, winzig wie ein kleiner roter Käfer auf einem grünen Blatt.

 


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