Ludwig Ganghofer
Das Kasermanndl
Ludwig Ganghofer

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Gut ausgehen! Mali klammerte sich an dieses verheißungsvolle Wörtlein wie der Ertrinkende an den rettenden Balken, den eine erbarmungsvolle Welle ihm zugeworfen.

»Und wegen der Kuh . . . ich mein', die hast dir redlich verdient . . . wegen der Kuh kannst ihm sagen: er soll dir die braune Liesl geben und keine andere nit! Und wenn's ihm leicht nit recht wär, so sagst ihm ein schön Gruß von mir, und er hätt's mit mir z'tun.«

Mali brachte keinen Laut über die Lippen; sie nickte nur immer, und alles schwamm ihr vor den Augen, während sie Schrittlein um Schrittlein zurückwich gegen die Tür.

Nun schwieg auch das Kasermanndl. Aber es verwandte keinen Blick von Mali. Jetzt tat es gar einen Seufzer, völlig wie ein Mensch, dem das Herz recht schwer geworden. Und sagte: »In Gottes Nam, jetzt geh halt und schau, daß gut heimkommst, gelt? Aber d' Hand könntst mir doch geben zum Bhüt Gott? Oder nit?«

»Gelobt sei Jesus Christus!« wollte Mali stammeln. Aber das fromme Sprüchlein blieb ihr in der Kehle stecken. Sie streckte die zitternde Hand. Das Kasermanndl griff mit beiden Händen zu. Und da spürte sie einen Druck, so heiß, als hätte sie die Hand in helles Feuer getaucht. Durch die Arme, durch den ganzen Körper rann ihr die seltsame Glut, bis hinein ins Herz. Erschrocken zog sie die Hand zurück und taumelte fast, als sie sich zur Tür wandte.

Da schien dem Gespenst ein Einfall zu kommen. Es sprang in einen Winkel der Hütte. Dort hing neben andern, recht irdisch aussehenden Dingen eine Lodenjoppe an der Wand. Das Kasermanndl griff in diese Joppe, eilte dem Mädel nach, und just, als Mali hinauswankte zur Tür, ließ das Gespenst etwas Schweres in ihre Rocktasche gleiten und flüsterte: »Schau, da hast was für dein kranks Mutterl! Und bhüt dich Gott, Mali! Bhüt dich Gott!«

Mali wußte kaum, wie ihr geschah; alles wirbelte vor ihren Blicken; sie taumelte hinaus ins Freie, und erst, als ihr die eisige Nachtluft ins Gesicht schlug, kam sie halb zur Besinnung. Fort, nur fort! Das war ihr einziger Gedanke. Sie dachte nicht an die Laterne, die sie mitgebracht, nicht an den verlorenen Bergstock. Geraden Weges, in überstürztem Laufe, rannte sie talwärts durch den tiefen Schnee. So oft sie einen scheuen Blick zurückwarf über die Schulter, sah sie die rotleuchtenden Fenster der Almhütte und die schwarze Gestalt in der offenen Tür. Endlich, endlich tauchte der unheimliche Kaser unter in der finsteren Nacht. Erschöpft hielt Mali inne und drückte die zitternden Fäuste auf ihre atemlose Brust. Dann plötzlich fuhr sie mit der rechten Hand vor die Augen – es war die Hand, die sie dem Gespenste gereicht hatte. Aber sie konnte an den Fingern keine Spur eines Brandmals gewahren. Freilich, es war stockfinstere Nacht: aber sie spürte auch keinen Schmerz, und die Hand war anzu- fühlen, als wäre sie unversehrt.

Aufatmend schlug Mali ein Kreuz und begann in stammelnden Lauten zu beten. Als sie nun wieder zu laufen anfing, fühlte sie an ihrem Röcklein etwas Schweres baumeln. Hastig fuhr sie mit der Hand in die Tasche und griff ein lederndes Beutelchen. Ein heißer freudiger Schreck befiel sie. Es fehlte ihr der Mut, das Beutelchen hervorzuziehen, aber mit zitternden Händen fühlte sie, daß es kugelrund war, dickvoll von großen, schweren Münzen. Nun plötzlich fielen ihr auch die letzten Worte ein, die das Gespenst zu ihr gesprochen: »Schau, da hast was für dein kranks Mutterl!«

Die Tränen schossen ihr in die Augen, und wie ein peinigender Schmerz zuckte es durch ihre Seele. Sie hatte genommen, was der gute Geist gegeben, und nicht einmal an ein Vergeltsgott hatte sie gedacht! Und noch ein anderer Gedanke blitzte in ihr auf. Wie gut und freundlich war das Kasermanndl zu ihr gewesen! Nicht das Geringste hatte der Geist ihr zu leid getan, hatte an ihre kranke Mutter gedacht und hatte sie reichlich beschenkt! Und weshalb das alles? Wohl nur deshalb, weil der Geist gehofft hatte, daß jetzt die Stunde seiner Erlösung gekommen wäre. Ein Wörtlein, nur ein einzige Frage hätt' es sie gekostet, und der gute Almgeist wäre ledig gewesen seiner heißen Pein und Buße! Sie aber hatte in ihrer blinden, unfrommen Angst den günstigen Augenblick ungenutzt vorübergehen lassen, hatte ein gutes, christliches Werk versäumt, eine schwere Sünde auf ihr Herz geladen. Und der arme, gute Geist mußte nun hundert lange Jahre warten und weiter büßen, bis wieder solch eine günstige Stunde käme!

Aber war diese gute Stunde denn wirklich schon vorüber? Wär' es nicht jetzt noch Zeit?

Sie besann sich nicht länger. Wohl zitterten ihr alle Glieder, wohl lag über ihr eine kalte Angst, daß ihr fast die Zähne klapperten. Doch ohne Zögern, in keuchender Hast, begann sie wieder über den steilen Schneehang emporzusteigen. Da lag der Kaser vor ihr mit roten Fenstern. Sie erreichte die Tür. Einen Augenblick hielt sie inne, als befiele sie ein Schwindel. Dann trat sie in die Hütte.

Das Kasermanndl saß neben dem erlöschenden Feuer auf dem Herd und hielt das schwarze Gesicht in die Hände vergraben, wie in Schmerz und Trauer.

»Alle guten Geister loben Gott den Herrn!«

Betroffen blickte der Geist beim Klang dieser Worte auf. »Mali, du?« rief er mit freudig klingender Stimme und sprang auf das Mädel zu.

Mali stand regungslos, mit gefalteten Händen. »Im Namen Gott des Vaters,« stammelte sie, »Gott des Sohnes und Gott des heiligen Geistes! Was ist mein Begehr? Wie kann ich mich erlösen?«Nach dem Volksglauben darf ein Geist, der erlöst werden soll, niemals in seiner Person fragend angesprochen werden; man muß alle Fragen an sich selbst richten und es dem Geist überlassen, ob und was er antworten will. Wird diese Vorschrift außer acht gelassen, so schweigt der Geist, und das fromme Werk der Erlösung ist vereitelt.


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