Ludwig Ganghofer
Das Kasermanndl
Ludwig Ganghofer

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Mali blickte mit scheuen Augen auf und atmete ein bißchen leichter. Gespenster lügen nicht. Das wußte sie ganz genau.

»Also,« lächelte das Kasermanndl, »die Kuh hast du dir verdienen wollen?«

»Nit aus Geiz!« stammelte Mali hastig. »Ich hab ein kranks Mutterl daheim.« Alle Angst und Liebe ihres Herzens zitterte in diesen Worten.

Das Kasermanndl rückte näher; es lachte nicht mehr; schweigend saß es, die Ellbogen auf die Knie gestützt, vorgeneigten Gesichtes, und hing mit stillen, freundlich blickenden Augen an Malis Zügen.

Das Feuer hörte zu knistern auf und brannte mit ruhiger Flamme, in der Pfanne verstummte das Brodeln, und fast lautlose Stille war in der Hütte. Ganz leise, kaum noch vernehmbar, kamen windverwehte Klänge aus dem fernen Tal heraufgeschwom- men durch die Lüfte. Man läutete im Dorf mit allen Glocken zur Weihnachtsmette.

Plötzlich erhob sich das Kasermanndl. Tief atmend, wie aus einem Traum erwachend, strich mit der Hand über das Haar herunter und trat zum Herd. Es hob die Pfanne vom Feuer, stellte sie auf den Herdrand und legte ein paar frische Scheite über die Kohlen; prasselnd wuchs die versinkende Flamme wieder.

»So!« sagte das Kasermanndl, holte zwei zinnerne Löffel aus einer Lade und setzte sich neben die Pfanne. »Jetzt komm her und tu mit, du brave Dingin, du schneidige!«

Mali schien über diese Einladung nicht erfreut. Aber da gab es kein Weigern. Zitternd erhob sie sich und kam zum Herd geschlichen, um das höllische Nachtmahl des Gespenstes zu teilen. In der Pfanne sah sie etwas grauslich Schwarzes liegen, denn der hohe Rand des Bleches warf seinen Schatten über die Speise. Mali freilich schrieb diese Schwärze einer ganz andern Ursache zu. Während sie sich auf den Herdrand niederließ, machte sie schnell und heimlich das Kreuz- zeichen gegen die Pfanne, und als sie nun mutig zugriff, lag auf dem Löffel der schönste goldgelbe Schmarren, der durchaus nicht nach der Apotheke des Teufels roch, sondern ganz angenehm nach irdischer Küche duftete.

Schweigend aßen die beiden. Mali hielt die Augen gesenkt, während das Kasermanndl keinen Blick von ihr verwandte. Nach einer Weile fragte das Gespenst:

»Sag noch einmal: wie heißt?«

»Mali.«

»Mali? Der gfallt mir, der Nam! Und wo bist daheim?«

Sie nannte ihr Heimatsdorf. Das Kasermanndl stellte Frage um Frage. Mali gab Antwort. Und so hatte sie bald die ganze, kleine, stille Geschichte ihres Lebens erzählt. Ihre Mutter war aus der Fremde in den Pfarrhof gekommen und hatte als Köchin bis nah an ihr vierzigstes Jahr gedient; dann hatte sie einen Schachtelmacher geheiratet und von ihren Ersparnissen ein kleines Haus im Dorf erworben; Mali wurde geboren, und ein paar freundliche Jahre hielten Einkehr unter dem bescheidenen Dach. Dann kamen schwere Zeiten. Zwei Kinder starben. Das jüngste, ein Bub, kränkelte mehrere Jahre lang. Malis Vater verun- glückte bei einem Hochwasser, und die arme Wittib mußte schaffen wie ein Roß, um mit ihren Kindern ein leidliches Auskommen zu finden. Nun war es aber seit Jahr und Tag mit der Kraft der alten Frau zu Ende. Und es war an Mali die Reihe, die Sorge für Mutter und Bruder zu tragen.

Es war nicht viel zu hören an dieser Geschichte, und dennoch lauschte das Kasermanndl so aufmerksam, als würde ihm die merkwürdigste Sache von der Welt erzählt. Das reine, kindliche Gemüt des Mädchens überleuchtete die stille, kleine Geschichte, wie ein Sonnenstrahl auch das engste, armseligste Stübl mit Licht und Wärme füllt. Dazu die bange Scheu, das Zittern und Stammeln, mit dem das Mädel jedes Wörtlein vorbrachte! Da hätten Rührung und freundliches Wohlgefallen auch ein schlimmeres Gespenst überkommen müssen, als das Kasermanndl eines war!

Die Pfanne stand geleert. »Vergeltsgott!« flüsterte Mali, erhob sich und blieb mit gesenkten Augen, unschlüssig, vor dem Herde stehen.

»So, jetzt hast gessen, und jetzt willst wieder fort, gelt?« schmollte der Geist.

Mali blickte nur ein bißchen auf. Sie wagte keine Antwort. Das Bedauern aber, das unverholen aus den Worten des Gespenstes sprach, erschien ihr begreiflich. Wer Nacht um Nacht, vielleicht seit vielen hundert Jahren schon, in der menschenfernen Einöd einsam geistern muß, dem mag zuweilen eine kleine Ansprach nicht unwillkommen sein. Sie hatte Erbarmen mit dem geplagten Gespenst. Aber bei allem Mitleid gingen ihre Gedanke doch immer nach der Tür. Und dennoch fand sie nicht den Mut, sich von der Stelle zu rühren.

Das Kasermanndl hatte die zwei Zinnlöffel in die Lade zurückgelegt und die Pfanne an die Wand gehängt. Lächelnd blieb es vor Mali stehen und fragte: »Warum gehst denn nit?«

»Weil . . . weil . . .« ihre Stimme drohte zu versagen, »weil ich den Muser mitbringen soll . . . als Wahrzeichen.«

»No also, da hast ihn halt!« sagte der Geist und reichte ihr den eisernen Löffel.

Zögernd griff sie zu, denn sie fürchtete, daß sich der Löffel anfühlen würde wie glühendes Eisen. Aber sie spürte kaum eine gelinde Wärme. Tief atmend schob sie den Löffel mit zitternden Händen hinter das Miederband und wandte sich zur Bank. Jäher Schreck befiel sie, als sie gewahren mußte, daß der geweihte Wachsstock niedergebrannt und erloschen war. Nur ein schwarzes Stümplein Docht und zwei Flecke zerschmolzenen Wachses waren noch übrig. Nun war sie ihrer besten Waffe wider alle Mächte der Dunkelheit beraubt!

Auch der Geist schien gemerkt zu haben, daß er jetzt der Stärkere war. Er trat dicht vor Mali hin. »Was tätst denn sagen, wann ich dich jetzt nit fortlassen möcht?« Doch als er ihr Zittern sah und ihr blasses Gesicht, lenkte er wieder ein. »Geh, tu dich nit fürchten! Ich kann dich nit halten, wenn nit selber bleiben magst. Aber . . . ich mein' halt doch, daß wir zwei nit 's letzte Mal beinand waren. Ich muß dir halt einmal erscheinen.« Nun lächelte der Geist sogar. »Aber gelt, dem Bauer mach nur ein bißl heiß! Und sag ihm, er soll keine so übermütige Red nimmer tun! Ein anders Mal könnt's leicht nit so gut ausgehen wie heut.«


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