Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel. Auf Hiddens-öe.

So lange die von dem schnellen Laufe keuchende Brust der Flüchtlinge noch in heftiger Bewegung war, konnten sie durch das Ohr nicht genau die rasch aufeinander folgenden Vorgänge am Strande wahrnehmen; als sie sich aber beruhigt hatten, horchten sie mit großer Spannung nach der verlassenen Uferstelle zurück. Da machte sich denn ein gewaltiger Lärm verlautbar, viele Soldaten rannten kopflos vor Wuth am Kai hin und her und riefen unaufhörlich nach Booten, ohne daß ein Einziger von ihnen ein solches herbeizuschaffen den Versuch angestellt hätte. Auch Laternen zeigten sich endlich und wurden hin und her durch den Nebel getragen. Aber was wollte das Alles sagen, die Flüchtlinge hatten einen großen Vorsprung, saßen in einem Boote, das sich als trefflicher Segler erwies, und der Wind war so günstig, wie man ihn zu einer eiligen Fahrt nur wünschen konnte. Selbst wenn ihnen nach einiger Zeit mit Soldaten besetzte Boote nachgeschickt wurden, so steuerten diese doch gewiß nach Rügen, da man in Stralsund voraussetzen mußte, daß die Flüchtlinge sich der nächsten Küste zuwenden würden, um ihren Verfolgern zu entgehen, was ihnen durch den starken Nebel, der im Sunde noch dichter als auf dem Lande war, sichtlich auch sehr erleichtert wurde.

Als sie endlich außer Hörweite des Stralsunder Ufers gelangt waren, drückte Waldemar seinem Freunde lächelnd die Hand und sagte: »Sie toben vergebens und schreien sich ohne Noth heiser. Diesmal sind wir wieder frei, und Dein Schicksalsgesicht, Magnus, wenn es Dir den Untergang in Stralsund prophezeit, hat abermals gelogen. Habe ich nicht Recht, mein Freund?«

Magnus antwortete mit einem liebevollen Blick, nickte mit dem Kopfe und erwiderte sanft den Händedruck. Das Sprechen wurde ihm schwer, und er hatte die Zähne fest aufeinander gebissen, da seine durch das Laufen entzündete Wunde ihn über alle Maaßen schmerzte.

»Sie sind wackere Leute,« sagte Waldemar darauf zu den beiden Schiffern, von denen einer im Bug des Bootes saß, um auf das Stagsegel zu achten, der andere aber das Steuer führte; »Ihr waret zu rechter Zeit bei der Hand. Zwei Minuten Aufenthalt, und sie hatten uns am Lande in ihren Klauen. Ich hoffe, Euch ein andermal wieder gefällig sein zu können.«

»Das wird meine Sache sein!« sagte Magnus Brahe matt und sah sich dann nach dem Boden des Fahrzeuges um, als suche er eine Stelle, um sich legen zu können.

Waldemar und der eine Schiffer, der den Zustand des Verwundeten erkannt hatte, verstanden diesen Blick, und sofort begaben sie sich daran, eine nothdürftige Lagerstätte herzurichten. Als dies geschehen war, half Waldemar Magnus, dieselbe einzunehmen, wobei er ihm das weiche Felleisen als Kopfkissen zurechtrückte und sich dann, um ihn in Ruhe zu lassen, zu dem Schiffer am Steuer setzte und mit ihm das Gespräch fortführte.

»Habt Ihr den Sack mit meinen Kleidern auch nicht vergessen?« fragte er ihn zunächst.

»Nein, Herr, Alles ist da. Der Müller hat ihn selbst eingestaut und dann mit dem Pächter das Boot an die richtige Stelle gebracht, da er sagte, daß es die einzige wäre, wo Ihr leicht durch die ausgefüllten Gräben und die niedergerissenen Mauern aus der Festung brechen könntet.«

»So war es auch, hm! Der Müller und sein Schwager sind ein paar brave Leute, die uns einen großen Dienst geleistet haben.«

»Das haben sie gewiß gern gethan. Aber wo fahren wir hin, Herr, das muß ich jetzt wissen.«

»Wir wollen nach Kloster auf Hiddens-öe. Welchen Weg schlagt Ihr vor?«

»Ohne Bedenken den zwischen dem Bock und dem Gellen westwärts um die Insel herum. Es ist zwar ein paar Meilen weiter, aber um so sicherer. Außerdem ist der Wind gut – voller Südost – und bei dem dicken Nebel möchte man doch auf irgend eine Sandbank an der verteufelten langen Insel stoßen. Meinst Du nicht auch, Michel?«

»Versteht sich,« sagte der Schiffer im Buge, der dem Gespräche aufmerksam gefolgt war. »Auch hält der Nebel höchstens bis gegen Morgen an, dann wird er fallen und sich in Regen verwandeln, denn es ist zu warm bei diesem Wind und in dieser Stunde.«

»Wohlan denn,« erwiderte Waldemar, »ich glaube das auch. So fahrt denn in Gottes Namen zwischen dem Bock und Gellen durch, ich bin mit Eurem Vorschlag einverstanden. Es ist auf alle Fälle besser so. Sollte nach Mitternacht der Nebel fallen und blieben wir im Binnenwasser, so könnte man uns von Ummanz oder an der Schaproder Küste vom Lande aus wahrnehmen, abgesehen davon, daß möglicherweise in Seehof und Plathe an den Landspitzen Posten stehen, um ein Auge auf das Fahrwasser zu halten.«

»Ach nein, Herr, das glaube ich nicht. Auf dieser Seite der Insel sind sie nicht so eifrig; aber besser ist besser, und ich stimme auch für die Außenfahrt.«

»So bleibt es dabei. Haltet das Steuer also etwas nach Westen, wir müssen bald aus dem Sunde heraus. So. Auf Kloster werden wir aber doch keinen Feind zu besorgen haben?«

»So viel ich weiß, nicht. Der Vorsicht halber aber könnte einer von uns an der Landenge, dem Gutshofe gegenüber, aussteigen, und zu Fuße dahin gehen und Euch dann am Entendorn oder irgend wo anders ein Signal geben. Das ist so meine Meinung wenigstens.«

»Das war ein guter Vorschlag, Mann. Geht Ihr also selber an der schmalen Stelle an's Land und gebt uns das Zeichen. Ihr habt Zeit genug, nach dem Entendorn zu Fuß zu gelangen, bis wir ihn mit dem Boote erreichen, da wir oben bei'm Wenden nicht so rasch werden segeln können.«

»Welches Zeichen beliebt Euch?«

»Wehet mit irgend einem Fetzen Zeug, das soll bedeuten, daß wir landen können. Sind wider Erwarten Feinde vorfanden, so zeigt Eure nackten Hände, und wir werden uns anderswohin wenden. Noch eins aber muß ich Euch sagen, ehe ich es vergesse. Ihr dürft nicht mit leerem Boote nach der alten Fähre zurückkehren, denn das könnte Verdacht erregen. Nehmt also eine Ladung Torf mit heim, dann könnt Ihr, wenn Ihr gefragt werdet, sagen, Ihr hättet ihn vom Gellen her holen müssen. Den Torf aber überliefert dem Pächter in meines Freundes und in meinem Namen und sprecht ihm unsern Dank für seine Gefälligkeit aus.«

»Gut, Herr, aber wo sollen wir ihn laden?«

»In Kloster, das laßt jedoch meine Sorge sein. Und nun gebt mal das Packet dort her, ich will mich umkleiden, um den Müllergesellen loszuwerden, den die Teufelskerle vom Strande haben entschlüpfen sehen.«

Der Schiffer reichte ihm das Packet hin; Waldemar begann, sich seiner mehlbestäubten Kleider und der geborgten Schuhe zu entledigen und schlüpfte in seine Seemannskleidung nebst Wasserstiefel, und in wenigen Minuten war er wieder der schmucke Seemann geworden, als welchen wir ihn kennen gelernt haben. Als dies geschehen war und seine Waffen auch wieder an ihrer gewöhnlichen Stelle saßen, band er die Müllerkleider um einen großen Stein, der als Ballast im Kielraum des Bootes lag, um sie, falls es Noth thun sollte, auf den Grund des Meeres zu versenken, was er jedoch so lange wie möglich hinausschieben wollte, da er hoffte, sie ihrem rechtmäßigen Besitzer zu erhalten und durch seine Leute zurückstellen zu lassen.

Von diesem Augenblick an aber richtete man alle Aufmerksamkeit auf die Bewegung des Schiffes und rechnete aus, wo man sich wohl befinde. Es war längst Mitternacht vorüber und nach Versicherung des Schiffers im Buge, der am meisten auf den Zug der Segel, die Geschwindigkeit des Laufes und die Beschaffenheit des Fahrwassers geachtet hatte, mußte man sich der Heuinsel nähern, die an der Mündung des kleinen Meerbusens, die Breite genannt, zwischen der Insel Ummanz und der Halbinsel Lieschow liegt. Der Wind wehte noch immer günstig aus Südost und war ziemlich stätig geblieben, obgleich das Brodeln des Wassers unter dem Buge von Zeit zu Zeit nachließ, also einen geringeren Windzug verrieth. Dabei wurde der Nebel allmälig dünner, was vielleicht der nahende Morgen mit sich brachte, nach manchen Richtungen sogar durchsichtig, so daß hie und da eine ferne Landspitze aus ihrem nächtlichen Schleier hervortrat, bis er sich endlich in einen feinen Sprühregen auflöste, der Waldemar veranlaßte, seinen Wetterrock über Magnus Brahe zu breiten, der unterdeß in sanften Schlaf gesunken war.

Gegen ein Uhr, vielleicht noch etwas früher, befand man sich zwischen dem Bock und dem Gellen, jenem seltsam gestalteten niedrigen Hacken, der die nach Nordosten umgebogene Südspitze der Insel Hiddens-öe bildet. Eine Stunde später war man den kleinen Fischerdörfern Plogshagen und Neuendorf gegenüber. Als es hell wurde, näherte man sich Vitte und sah im Zwielicht die öde Moorgegend der breitesten Strecke der langen Insel vor sich liegen. Noch eine Viertelmeile nordwärts fuhr man so dicht wie möglich dem Lande zu, setzte an einer seichten Stelle den dazu bestimmten Schiffer aus, der nun das Ufer betrat und querfeldein nach dem Gutshofe Kloster eilte, um den ihm zu Theil gewordenen Auftrag auszuführen. Um drei Uhr endlich sah man von ferne, nur durch einen leichten Nebelflor den Blicken halb entzogen, das schroffe und hohe Ufer des gewaltigen Dornbuschs wie eine tiefblaue Wolke herüberragen, das dem Andrang der Ostsee hier seine breite Stirn entgegenwirft.

Von hier aus mußte man in einem nach Norden ausgeschweiften Bogen, wo sich zum ersten Mal der Nachlaß des Windes hinderlich erwies, gegen Osten hin kreuzen, bis man vor dem schroff in's Meer abstürzenden Entendorn anlangte, wo der Nebel sich schon so weit gesenkt hatte, daß man deutlich die gewaltigen Weißdornbüsche und die öden Schluchten und Wasserrisse des kahlen Bergrückens wahrnehmen konnte. Wild und abenteuerlich genug nahmen sich an diesem regnerischen Morgen die Ufer dieses Inselstrichs aus. Die von der Höhe herabgestürzten Steinhaufen, von denen die brandenden Wogen längst die leichteren Erdstoffe abgespült haben, traten in ihrer grauen Färbung grell aus dem dunkelgrünen Meere hervor und zogen sich in öder Einsamkeit, von Zeit zu Zeit einen größern Felsblock zeigend, an dem unnahbaren Ufer entlang.

Hier nahm Waldemar sein Fernrohr zur Hand und durchforschte genau die schroffen Bergabhänge, um nach dem Signal des Schiffers auszuschauen, das er mit Herzklopfen zu ersehnen begann. Plötzlich hörte der Regen auf, ein kräftiger Windstoß faßte die schlaff hängenden Segel, und bald darauf, am letzten Abhang des Entendorns sah man zwei Männer stehen, die aus Leibeskräften mit Tüchern den glücklich Entronnenen das sehnlichst erwartete Zeichen gaben. Es war Herr von Bagewitz selber, den der abgesendete Schiffer zufällig getroffen und der, als er von den anlangenden Flüchtlingen gehört hatte, sogleich mit nach der Höhe geeilt war, um dem Sohn seines Freundes, des Grafen Brahe, den ersten Bewillkommnungsgruß entgegenzurufen.

Waldemar erwiderte den freundlichen Gruß mit lebhaftem Tuchwinken und, froh, einem sicheren Hafen entgegenzusteuern, wandte er das Boot nach Süden und fuhr nun, in lavirendem Zickzack bis zum »langen Ort« hinab, wo man endlich wieder mit günstigem Winde nach Norden wenden und dem stillen Dorfe Kloster zusteuern konnte, das neben dem gastlichen Hofe gleiches Namens lag, der nun eine Zeit lang, wie er hoffte, sein Aufenthalt werden sollte.

Es war gegen sechs Uhr Morgens, als man landete, und das erste war, den Kranken in ein abgelegenes, stilles Zimmer zu bringen, seine Wunde frisch zu verbinden und dann zu Bett zu legen, da ein starkes Wundfieber ausgebrochen war. Herzlich von allen Bewohnern bewillkommnet, auf jede Weise behaglich gebettet, fanden die Flüchtlinge Alles vor, was sie erwartet hatten, und so war ihr Geschick unter den obwaltenden Umständen noch ein günstiges zu nennen, was Waldemar vor Allen einsah und den gütigen Bewohnern Klosters auf jede Weise dankbar zu erkennen gab.

*

Das Boot des Pächters der Alten-Fähre war mit dem versprochenen Torf, den der gastfreie Besitzer der Insel sogleich zur Verfügung seiner Freunde gestellt, schon längst wieder abgesegelt, der Kranke befand sich in vortrefflichster Pflege, obwohl noch weit von seiner Genesung entfernt, und allmählig trat in den Gemüthern der so glücklich Geborgenen die stille Ruhe und Zufriedenheit wieder ein, welche Ereignisse, wie die zuletzt mitgetheilten, so tief und andauernd zu erschüttern vermögen. Waldemar namentlich fühlte sich durch die Stille, die auf dem abgelegenen Gute herrschte, außerordentlich wohlthätig berührt, und als er sah, wie man sich allgemein bemühte, seinen Freund zu erheitern, ihn selbst aber auf jede mögliche Weise zu zerstreuen, um ihn vor der demüthigenden Langweiligkeit zu bewahren, welche der ungewohnte Aufenthalt an einem so einsamen Orte im Gefolge zu haben pflegt, da faßte er schnell Neigung zu den so vortrefflichen Leuten und fing an, mit großem Eifer die Eigenthümlichkeiten ihres Landes zu studiren, wodurch er bald Geschmack an der Oede und Einfachheit der Natur gewann, die ihn umgab, und es sehr natürlich fand, wenn die Bewohner derselben mit ihr in vollkommener Uebereinstimmung lebten.

Da das trübe Wetter schon am nächsten Tage nach ihrer Ankunft einem heiteren Sonnenschein, einem klaren Himmel und einer süßwarmen Luft Platz gemacht hatte, so fand Waldemar ein besonderes Vergnügen daran, nach den Stunden, die der Familie des Hausherrn gewidmet waren, mit Letzterem selbst zu verkehren und in seiner belehrenden und aufheiternden Gesellschaft die kleine Insel zu durchstreifen, deren Herr und Gebieter er war. Am liebsten aber wanderte er allein auf dem schmalen Eilande herum, schoß mit der Vogelflinte Raubvögel, Möven, wilde Enten und Gänse und kehrte dann jedesmal befriedigt nach Kloster zurück, um schließlich die Abendstunden im Kreise der gutsherrlichen Familie und in Gesellschaft seines still ruhenden und schweigend ihnen zuhörenden Freundes zuzubringen.

Begleiten wir ihn nach zwei Richtungen auf diesen Ausflügen, und machen wir uns dadurch mit der Eigenthümlichkeit der Insel Hiddens-öe bekannt. Den ersten Ausflug unternahm er am Morgen, nach seiner Ankunft auf Kloster, um nach etwaigen Schiffen oder Booten zu schauen, die von Stralsund aus möglicherweise die Flüchtlinge verfolgen konnten. Vom Strande aus führte der Weg durch wellenförmig ansteigende Hügelketten nach den steil abstürzenden Strandhöhen, die wir schon als Dornbusch und Entendorn bezeichnet haben und deren höchster Punkt, etwa 250 Fuß über dem Meere erhaben, der Bakenberg ist. Unterwegs trifft man Getreidefelder und einzelne Baumgruppen, die von der gewaltigen Waldung noch übrig sind, die in früherer Zeit diesen abgelegenen Erdwinkel schmückte. Wunderbar schön und mannigfach aber ist die Aussicht von der Höhe des Bakenberges. Ernst, fast erhaben in seiner Eintönigkeit, stimmt uns der Blick nach Nordwesten hin, wo wir das steile, zerrissene und zerklüftete, mit Felsblöcken und kleineren Geröllsteinen bedeckte Ufer überschauen und dem Meeresspiegel gegenüberstehen, der zwischen Deutschland und den dänischen Inseln still und feierlich fluthet, wenn er in seiner Rühe, gleichsam schlafend, unserm Auge begegnet. Kein menschlicher oder thierischer Laut unterbricht hier die ergreifende Stille, nur bisweilen hört man das grelle Gekrächz eines Seeraben oder einer Möve, die über den Strand flattert und ihre Jungen im Fluge übt. Majestätisch rollt das blaue Meer seine langen Wogen dahin; noch größer und erhabener wölbt sich darüber der unermeßliche Himmel, und da, wo beide sich in weiter Ferne berühren, taucht ein weiß glänzender Punkt aus der See, den ein kundiges Auge sogleich für die dänische Insel Möen erkennt, die ihre starren Kreidefelsen stolz der ganzen Umgegend zeigt.

Wendet man sich dagegen nach Süden, so überschaut man mit einem Blick das seltsam gestaltete Eiland, auf dessen hartem Felsenkopfe man Fuß gefaßt hat, und wundert sich, wie ein langgestreckter schmaler Sandstreifen so lange den Sturmeswogen der wüthenden See Widerstand leisten kann, die bei tobendem Unwetter brüllend und ganze Felder von Sand mit sich reißend darüber fortrollt.

Nach Nordosten, Osten und Südosten aber tritt uns ganz Rügen wie ein reizender Garten entgegen, seine Ebenen und Hügel tauchen alle einzeln vor uns auf und entschleiern ihren Reichthum an Dörfern und Flecken, an Kirchthürmen und Schlössern, an dunklen Wäldern und grünen Saatfluren, so daß wir bewundernd nach allen Seiten schauen und selten auf einmal unser Auge zu sättigen vermögen, das immer wieder von Neuem nach diesen Schätzen des Meeres verlangt.

Auch Waldemar riß sich nur mit Mühe von dieser meerumgürteten Anhöhe los und mit einigem Widerstreben schritt er dem Süden der etwa zwei Meilen langen Insel zu.

Kahl und öde liegt dieser schmale Erdstreifen da, größtentheils aus Flugsand bestehend, in dem sich das überall zufriedene Haidekraut mit dürren Moosen und Gräsern angesiedelt hat; auf dem breitesten Theile der Insel aber, zwischen den Dörfern Vitte und Neuendorf hat sich ein ansehnliches Torflager gebildet, das den armen und genügsamen Bewohnern der Insel so wichtig und nebst einem dürftigen Fischfange die einzige Hülfsquelle ist, aus der sie ihr Leben fristen. Denn sie bauen sogar aus diesem Torfe ihre Hütten, in denen sie glücklich und zufrieden leben, und nur selten nimmt man daran einen Theil von Holzwerk wahr. Die Fenster bestehen oft aus Ueberbleibseln von Schiffsfenstern, die an den Strand geworfen, und die Thüren sind aus rohen Brettern gezimmert, die sie einem ähnlichen glücklichen Zufalle verdanken. In diesen Hütten, so niedrig, daß sie ein hochgewachsener Mensch nur gebückt betreten kann, werden sie geboren und sterben sie, hier werden sie groß und stark, hier kochen und dörren sie ihre Fische und häkeln ihre Netze, und trotz des eklen Geruchs und des endlosen Rauches, der die ärmlichen Wohnungen erfüllt, sehnen sie sich dahin zurück, wenn sie ferne Meere beschiffen, und preisen sich glücklich, wenn es ihnen vom Schicksal vergönnt ist, »dat söte Lenneken«, wie sie es nennen, wiederzusehen und darin ihr ganzes ferneres Leben zu verbringen. Sehnsucht nach anderen Ländern, nicht einmal nach dem nahen Rügen, kennen diese genügsamen Leute nicht, und es giebt noch heutigen Tages Menschen unter ihnen, die nie ein anderes Land als das ihre gesehen haben und nach keinem anderen Verlangen tragen.

Waldemar ward von der Einfachheit, der Verlassenheit und der stillen Harmlosigkeit dieser Menschen, als er sie besuchte, tief im Innersten berührt: wunderbar bewegt schritt er gegen Abend, als die Sonne sank, dem nördlichen Theile der Insel zu und pries sich glücklich, nicht verurtheilt zu sein, die Genüsse dieses »süßen Ländchens« zu theilen, vielmehr unter Menschen leben zu dürfen, die, mit Geist und Gemüth begabt, im größeren Verkehr der Welt nicht ihre Wonne – wohl aber die Lösung ihrer irdischen Aufgabe finden.

Als er am Abend dieses Tages mit Magnus allein war, an dessen Bett saß und ihm seine Erlebnisse erzählte, schauderte dieser unwillkürlich zusammen. »Ich weiß es, was Du mir da sagst,« erwiderte er, »denn ich habe schon oft davon sprechen gehört, obwohl ich noch nie selbst diese Insel betreten habe. Ich muß Dir dabei gestehen, daß mich bis in dieses gemächliche Zimmer herein die trostlose Einsamkeit verfolgt und erfaßt, die auf diesem ganzen Landstriche ruht, und ich fühle das Bedürfniß, es zu verlassen, sobald sich dazu Gelegenheit bietet.«

»Wie?« rief Waldemar erstaunt, »Du bist hier so sicher geborgen und willst Dich ohne Noth wo anders wieder in Gefahr bringen?«

»In Gefahr? Wer sagt das! Aber ich kann hier nicht lange bleiben, mich erdrückt die niedrige Decke des Zimmers, die Luft ist schwer, die ich athme, und die Sonne selbst, wenn sie hoch am Himmel steht, scheint mir traurig auf mein weiches Lager herabzublicken.«

»Aber wohin willst Du und wo denkst Du ein besseres Unterkommen zu finden?«

»Höre mich an, Waldemar, und zürne mir nicht. Mich zieht eine unaussprechliche Sehnsucht nach meiner Heimat, nach Spyker hin; und die einzige Hoffnung, die mich hier ausdauern läßt, ist die, daß ich sie bald betreten werde, denn nur dort allein kann ich gesunden.«

»Aber hast Du dabei auch an die Feinde gedacht, die das Schloß Deines Vaters besetzt halten?«

»O, oft genug! Aber es muß Mittel geben, insgeheim daselbst zu leben, und ich bin gewiß, daß der alte Diener meines Hauses, der Kastellan Ahlström, im Stande sein wird, mich vor den Augen der Fremden zu verbergen.«

Waldemar senkte schweigend sein Gesicht zu Boden und dachte mit innerem Schauder daran, was ihm Hille von Spyker und dem dortigen Treiben erzählt hatte, wobei ihm der Gedanke aufstieg, daß Magnus' Sehnsucht nach seiner Heimat wohl in der Erinnerung an Gylfe Torstenson wurzeln könne.

»So,« sagte er langsam, »das ist freilich möglich, ich weiß es nicht. Aber Du hast sonst in der Regel ein Vorgefühl gehabt, was Dich zu irgend einem Entschlusse getrieben oder davon zurückgehalten hat – wie steht es diesmal damit – treibt es Dich wirklich nach Spyker?«

»Wirklich und unaufhaltsam, mein Freund, und wenn ich so weit hergestellt bin, daß ich mich ohne fremde Hülfe bewegen kann, so hält mich keine Gewalt mehr an diesem unheimlichen Orte zurück. – Waldemar, willst Du mir einen Gefallen thun?«

»Gern, mein Freund. Was kann ich für Dich thun?«

»Viel! Viel mehr, als Du bis jetzt an mir und für mich gethan. Reise morgen oder übermorgen nach Spyker, es ist ja nicht weit von hier, und sieh zu, wie es daselbst steht. Sprich mit Ahlström und theile ihm meinen Wunsch mit, bei ihm zu sein und mich von seiner alten Heylike und seinen Töchtern pflegen zu lassen. Er wird einen Ort im Schlosse wissen, wo ich insgeheim eine Weile bleiben und gesunden kann. Bin ich auch auf mein Zimmer gebannt, so lebe ich doch in meinem Hause, und Alles, was ich um mich sehe, die Bäume, die Blumen, der Rasen, es wird mein Eigen sein, und dies Bewußtsein zu hegen, ist für mich ein Genuß, der alle übrigen Entbehrungen aufwiegt.«

»Du hast da einen tollkühnen Entschluß gefaßt,« entgegnete Waldemar ernst, »verhehle Dir das gar nicht. Eben bist Du den Verfolgern, den Feinden, die Deinen Namen kennen und Dich aufsuchen, um Dich in's Gefängniß zu werfen, glücklich entronnen und nun willst Du Dich schon wieder unter sie begeben, ohne daß Du es nöthig hast?«

»Ah!« rief Magnus plötzlich und bediente sich hier eines Kunstgriffs, der ihm bei dem furchtlosen Waldemar schon oft geglückt war. »Fürchtest Du Dich? Ja, dann bleib hier und erfülle mir meine Bitte nicht.«

Waldemar erhob sich vom Stuhle und reckte seinen kräftigen Körper straff in die Höhe. »Furcht?« rief er mit einer energischen, durch das ganze Zimmer schallenden Stimme. »Ich? Vor den Franzosen? Das will ich Dir beweisen. Ich werde gehen und auch diesen Auftrag erfüllen, wie ich Dir schon so manchen anderen erfüllt habe. Wann soll ich aufbrechen?«

Magnus brachte sich mit Hülfe seines gesunden Armes in eine sitzende Lage und streckte ihn dann gegen den wackeren Sohn des Strandvogts aus. »Gieb mir die Hand, Waldemar,« sagte er, »Du bist noch der Alte. Ich danke Dir im Voraus. Morgen aber, wenn ich geschlafen habe, laß uns das Nähere besprechen, und wenn Du dann ohne Furcht bist, säume nicht, zu thun, was ich Dir sagen werde. Es ist mein Schicksal, was mich nach dem Hause meiner Väter fordert – und ihm muß ich gehorchen.«

Waldemar seufzte still, als er dies hörte. »Einmal,« sagte er zu sich, »wird sich in der That dieses Schicksal erfüllen. Gebe Gott, daß ich dann meine Hand nicht dazu geboten habe, wie ich sie diesmal zu leihen schon wieder durch mein voreiliges Versprechen gezwungen bin.«

*

Am nächsten Morgen, nach dem ersten Frühstück schon, ließ Magnus Waldemar zu sich rufen. Er hatte gut geschlafen, und nach diesem Schlafe stand sein Entschluß fester denn je. Er theilte also dem Freunde alle seine Wünsche, seine Rathschläge mit, und dieser versprach mit genauester Pünktlichkeit danach zu handeln und seinerseits Alles zu versuchen, um die Pläne Magnus' ungeschmälert in's Werk zu setzen.

Als sie mit diesem Gespräche zu Ende gekommen waren und Waldemar sich eben vom Stuhle erheben wollte, auf dem er vor dem Bett des Kranken saß, faßte dieser seine Hand noch einmal, drückte sie fest und sah ihn dabei mit seinem schwimmenden Auge auf eine eigenthümliche Weise an. »Waldemar,« sagte er mit bittendem Tone, »ich habe Dir noch etwas zu sagen.«

»Ich höre, Magnus, sprich.«

»Erkundige Dich auch nach Gylfe – genau, bis in's Kleinste, und dann unterrichte mich bei Deiner Rückkehr von allem, was sie betrifft. Ihr Schicksal beunruhigt mich am meisten.«

Waldemar seufzte, und wohl etwas lauter, als er selber wußte, da ihm Hille's Mittheilung in Betreff der erwähnten Dame von Neuem einfiel.

Magnus, immer in Sorge, immer in schlimmer Erwartung schwebend, wenn er von den Verhältnissen eines entfernten, theuren Wesens sprach, sah Waldemar bei diesem Seufzer unruhig an und schöpfte augenblicklich irgend einen Verdacht. »Wie,« sagte er mit beklommenem Athem, »wüßtest Du etwa etwas von ihr, was Du mir bisher verborgen hast?«

»Ich weiß nichts,« erwiderte Waldemar dreist, um ihn in seinem jetzigen Zustande nicht noch mehr aufzuregen, »wie sollte ich Alles wissen, was einzelne Personen anbetrifft?«

»Gut, ah, ich dachte schon, Du verhehltest mir ein neues Unglück. Also geh und erkundige Dich nach ihr, und wäre sie in Spyker, was leicht möglich ist, da mir mein Vater schrieb, sie hätte ihm nicht nach Stockholm folgen wollen, um nicht die Stätten ihrer glücklichsten Kindheit zu verlassen, zu denen sie, wie mich, eine namenlose Neigung zieht, so grüße sie von mir und vertraue ihr an, daß ich kommen werde, bald, so bald wie möglich, um zu handeln, wie es dem Erben der Brahe's geziemt – hörst Du?«

»Ich höre.«

Magnus sah die betrübte Miene Waldemar's nicht, denn dieser hatte sich erhoben und zum Fenster gewandt, vor dem eine ungewöhnliche Lebhaftigkeit einen unerwarteten Vorfall vermuthen ließ. Der Kranke fühlte sich daher durch Waldemar's Versprechen und die durch seine Vermittlung eröffnete frohe Aussicht bedeutend erleichtert, und eine freudige Röthe färbte seine blassen Wangen. Schon der Gedanke der Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches hatte eine günstige Wirkung auf sein leicht erregbares Gemüth hervorgebracht. –

Während aber die beiden jungen Männer so vertraulich mit einander redeten und dabei die kriegerischen Verhältnisse, in denen sie lebten, vergessen zu haben schienen, trug sich in ihrer unmittelbaren Nähe auf dem Gehöft ein Ereigniß zu, was sie und alle Bewohner derselben ernstlich daran erinnern sollte.

Herr von Bagewitz, der seinen Pflichten als Landmann eifrig nachzukommen pflegte, hatte am frühen Morgen dieses Tages einige Geschäfte in der Nähe des Strandes zu verrichten gehabt. Von der überaus heißen und schwülen Luft, die an diesem Morgen von Süden wehte und ein Gewitter im Laufe des Tages besorgen ließ, ermattet, hatte er ein Seebad genommen, wozu am Strande eine Vorrichtung getroffen war, die auf einem der schönsten Punkte seines Besitzthums lag. Er hatte soeben das Wasser verlassen und stand im Begriff, sich anzukleiden, als er jenes seltsame Brausen in der Ferne vernahm, von dem wir schon einmal gesprochen haben und welches eine Veränderung des Wetters, namentlich aber einen herannahenden Sturm verkündet. Als er dabei auf die See hinausblickte, sah er von Seehof her ein Boot auf seinen Strand zusteuern, und nachdem es näher gekommen war, unterschied er darin einige uniformirte Gestalten, deren blanke Waffen hell in dem jungen Morgenstrahle blitzten.

Sogleich stieg die unklare Vermuthung in ihm auf, daß dieser unerwartete Besuch mit dem Schicksale seiner Gäste zusammenhängen könnte, und er rief einen Jungen herbei, der Kühe auf die Weide treiben wollte, und befahl ihm, ruhig nach dem Hofe zu gehen und seiner Familie von der Ankunft der fremden Herren Anzeige zu machen, in der zuversichtlichen Erwartung, man werde sich der Sicherheitsmaaßregeln erinnern, die man in Voraussicht eines solchen Besuches schon am ersten Tage verabredet hatte.

Während der Junge langsam, wie ihm befohlen, nach dem Hofe ging, um bei den im Boote Sitzenden nicht irgend einen Verdacht zu erregen, erwartete der Gutsherr mit männlicher Fassung die Landung desselben, und in der That, er hatte sich nicht geirrt, er sah einen französischen Officier der Kriegs-Polizei vor sich, der von einem dänischen und einem holländischen Gendarmerie-Brigadier begleitet war, um von Stralsund aus die Kunde des Entweichens und den Befehl der Ergreifung der beiden Flüchtlinge auf der Insel umherzutragen.

Als die drei Herren, die von zwei Stralsundischen Schiffern gefahren wurden, an's Land gestiegen waren und in Herrn von Bagewitz den Besitzer von Hiddens-öe kennen gelernt hatten, begannen sie sogleich sich ihrer Aufträge zu entledigen und zeigten ein gedrucktes Papier vor, worauf in französischer, deutscher und dänischer Sprache folgende Worte standen:

 

Unterzeichnetes Commando macht hierdurch bekannt, daß Graf Magnus Brahe, ein Spießgesell des preußischen Majors Schill, nachdem er in Stralsund am 31. Mai im Kampf gegen die legale Gewalt verwundet ward, sich durch die Flucht den Händen des Kaisers und seiner gerechten Bestrafung entzogen hat. Unterstützt war er zweifelsohne von einem gewissen Waldemar Granzow, aus Sassenitz von Rügen gebürtig, den bereits seit zwei Tagen die Königliche dänische Corvette Skiold, als verdächtigen Flüchtling verfolgt und nach seiner Landung auf Rügen dem hiesigen Commando signalisirt hat.

Der p. Granzow, der ein kühner, kräftiger und gewandter Bursch zu sein scheint, war als Müller oder Bäcker verkleidet nach Stralsund gekommen und hat als solcher die Flucht des verwundeten Grafen Brahe zu leiten gewußt. Näheres kann über die Persönlichkeit der Genannten nicht angegeben werden. Da sie aber Beide, als auf Rügen gebürtig, auf der Insel vielen Bewohnern bekannt sein werden und sich wahrscheinlich, behufs einer ferneren Flucht, in irgend einen Versteck zurückgezogen haben, so wird hierdurch Jedermann gewarnt, sie in Schutz zu nehmen oder ihrer heimlichen Entweichung von der Insel förderlich zu sein. Diesem Befehle Zuwiderhandelnde werden zur Rechenschaft gezogen und den Kaiserlichen Kriegsgesetzen gemäß bestraft werden; demjenigen aber, der ihren Aufenthalt den Gerichten nachweist, so daß sie ergriffen werden können, wird eine öffentliche Belobigung und eine Summe von 300 Reichsthalern zu Theil werden, welche auf den Gütern des Grafen Brahe und von dem Dorfe Sassenitz in Jasmund aufzubringen ist.

Ausgefertigt zu Stralsund, den 3. Juni 1809.

Kaiserliches General-Commando.

Gez. Gratien.

Der Besitzer der Insel las ruhig und langsam diesen Befehl und sah dann unbefangen dem Polizei-Officier in's Gesicht, der sich bereits als Monsieur Dübois vorgestellt hatte. »Sehr wohl, mein Herr,« sagte er, sich höflich verbeugend, »ich werde diesen Befehl unverzüglich bekannt machen lassen, damit man sich danach richte. Ich glaube aber nicht, daß die Flüchtlinge, wenn sie überhaupt noch auf Rügen sind, sich auf diese offene kleine Insel wagen werden, die ihnen weder einen Versteck, noch sonst irgend einen Beistand gewähren kann.«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung, mein Herr,« erwiderte der Polizei-Officier, der ein sehr gutmüthiger und mit keiner scharfen Spürnase begabter Mann zu sein schien, was Herr von Bagewitz augenblicklich durchschaute. »Ich glaube es selbst nicht,« fuhr er fort, »daß sie hierhergegangen sind; die Route aber, die wir nehmen sollen, ist mir vorgezeichnet, und ich muß danach handeln.«

»Sehr wohl, das begreife ich, und wohin werden Sie sich von hier aus wenden?«

»Von hier aus gehen wir nach Wittow, und zwar über die Wittower Fähre, von da nach Jasmund, wo wir zuerst in Spyker Nachschau halten werden.«

Herr von Bagewitz lächelte heimlich. Die dummehrliche Mittheilung dieses Mr.~Dübois, der erst seit kurzer Zeit seinen Posten bekleidete und noch nicht durch die Schule der Erfahrung der sonst durch Schlauheit so berühmten französischen Polizei gegangen war, gab ihm einen verständlichen Wink, aus dem er Vortheil zu ziehen beschloß. Er lud daher die Herren, wenn ihr wichtiges Geschäft so viel Aufschub dulde, ein, ihn nach dem Gutshofe zu begleiten und dort ein Frühstück einzunehmen, was der Polizeibeamte unter Zustimmung seiner Begleiter sofort annahm.

Einige Unruhe, die sich in Folge der Meldung des Kuhjungen über die Ankunft der ungebetenen Gäste unter den Dienstleuten im Hofe bemerklich machte, verrieth dem aufmerksamen Waldemar, daß etwas Besonderes vorgehe, und gleich darauf trat die Dame des Hauses ein und überbrachte die neue Kunde. Bevor man jedoch irgend einen Entschluß faßte, wollte man erst die Rückkehr des Hausherrn abwarten und von ihm zugleich die Aufklärung des Vorfalls und seinen etwaigen Rath vernehmen, zumal man noch nicht wußte, ob der Besuch der angekündigten Soldaten den Flüchtlingen gelte. So begnügte man sich denn vor der Hand, die Thür des Zimmer verschlossen zu halten und aufmerksam den kommenden Dingen entgegenzusehen.

Herr von Bagewitz ließ auch nicht lange auf sich warten. Da es ihm daran lag, die drei fremden Männer stets auf einem Punkt vereinigt zu haben, so führte er sie sämmtlich in das Zimmer seiner Frau, welches von dem der Flüchtlinge am weitesten entfernt lag, und als sie sich hier an einem schnell aufgetragenen Frühstück gütlich thaten, bat er seine Frau, den Herren so lange Gesellschaft zu leisten, bis er ein nothwendiges wirthschaftliches Geschäft zu Stande gebracht habe.

Dies wirthschaftliche Geschäft nun bestand in nichts Anderem, als in einer schnellen und heimlichen Besprechung mit Magnus und Waldemar. Er begab sich daher zu ihnen und theilte ihnen den Vorfall und die Schilderung der drei Sendboten mit, worauf er mit Letzterem eine Berathung abhielt, deren Folgen wir sogleich näher zu berichten haben werden. Daß das Resultat derselben ein günstiges war, ergab sich aus dem aufgeheiterten Gesicht, mit dem er in's Zimmer zu seinen Gästen zurückkehrte, denn vor allen Dingen war es ihm, dem selbst so muthigen Manne, ein wohlthätiges und beruhigendes Gefühl, in Waldemar Granzow einen ebenso rasch entschlossenen wie kühnen Mann erkannt zu haben, der im Augenblick einer drohenden Gefahr sein ganzes geistiges Urtheilsvermögen behielt und damit eine Behendigkeit in der Ausführung schnell gefaßter Pläne verband, wie man sie nur selten bei so jungen Leuten finden mag.

So dürfen wir nicht erstaunen, daß Waldemar nach Verlauf einer Viertelstunde plötzlich in das Zimmer der Frau vom Hause trat, wo die Vertreter der drei fremden Nationen noch in heiterster Laune bei der Flasche saßen, und von Herrn von Bagewitz freudig begrüßt und als sein Neffe Georg Forst vorgestellt wurde, der seit einigen Monaten aus Greifswald bei ihm zum Besuch sei und nur auf den Frieden warte, um in irgend eine Marine zu treten, höchstwahrscheinlich in die dänische, da er aus Familienrücksichten am jetzigen Krieg keinen Antheil nehmen wolle. Außerdem aber beabsichtige Herr Forst, in diesen Tagen nach Sagard zu reisen, wo er Verwandte habe, und dabei einen Abstecher nach Spyker zu machen, wohin ihn vertrauliche Familienangelegenheiten riefen.

Mr.~Dübois freute sich sehr, die Bekanntschaft eines so liebenswürdigen jungen Mannes zu machen, und die beiden Brigadiers fühlten sich sehr befriedigt, daß Herr Forst nicht gegen ihre Landsleute kämpfen wolle, vorzüglich aber war der Däne geschmeichelt, daß seine vaterländische Marine von einem Deutschen bevorzugt wurde. Georg Forst nahm darauf ohne allen Zwang am Frühstück Theil, ließ sich den Wein gut schmecken und beantwortete mit möglichster Genauigkeit die Fragen des neugierigen Polizeimannes, die dieser haufenweise über ihn ausschüttete. Als Mr.~Dübois aber aus diesen Antworten erfahren, daß Herr Forst ein in allen Eigenthümlichkeiten der Insel Rügen sehr bewanderter und der Richtung aller Wege kundiger Mann, schließlich aber mit dem Seewesen überaus vertraut sei, kannte seine Bewunderung keine Gränzen und er bedauerte nur, daß es ihm nicht vergönnt wäre, in seiner Gesellschaft die Reise fortzusetzen, da er ihm alsdann in der Erreichung seines Zwecks von großem Nutzen sein könnte.

Herr von Bagewitz that, als ob er einen wichtigen Punkt in ernste Erwägung zöge und sagte dann, zu Waldemar sich wendend: »Wenn ich es recht bedenke, thätest Du wohl daran, die Gesellschaft dieser Herren zu benutzen, um unangefochten zu Deinem Ziele zu gelangen.«

»Allerdings,« erwiderte Waldemar, »aber die Herren haben Eile, und ich werde vor einer Stunde nicht reisefertig sein.«

» Monsieur,« sagte der Polizeibeamte, »Sie machen mich glücklich, wenn Sie sich entschließen, mein Reisegesellschafter zu werden, und Sie müssen nicht denken, daß der Dienst uns so tyrannisirt, daß wir vergessen sollten, was wir uns selbst und unsern Nächsten schuldig sind. Warten wir also diese Stunde und meinetwegen noch eine zweite, es läßt sich auf diesem abgelegenen Gute sehr angenehm leben, was ich mir nicht im Geringsten habe träumen lassen. Aber eine Bemerkung wollte ich mir noch erlauben – Sie sagen, Sie wollten einen Abstecher nach Spyker machen. Darf ich so frei sein, zu fragen, was Sie dahin führt, da auf dem Schlosse des Grafen, dessen Sohn wir verfolgen, eine an sich schon hinreichend große Einquartierung liegt und ein Besuch daselbst zu jetziger Zeit weder für den Wirth noch den Gast mit Annehmlichkeit verbunden sein kann?«

»Mein Herr,« antwortete Waldemar etwas verschämt, »es ist eine Privatangelegenheit, ja, wenn Sie wollen, eine Herzensangelegenheit, die mich nach Spyker zieht.«

»Ah, ich verstehe. Hat Jemand dort vielleicht eine Tochter –?«

Waldemar lächelte in sich hinein, da ihm der Franzose, ohne es zu ahnen, so vortrefflich half. »Ja,« sagte er, »der Kastellan des alten Grafen hat sogar zwei Töchter –«

»Ach, mein Herr, Sie brauchen kein Wort mehr zu sagen. Ich bin Franzose und weiß das schöne Geschlecht und die Neigung ehrenwerther Männer dafür zu schätzen. Wohlan denn, trinken wir ein Glas auf das Wohl der Bewohner des alten Schlosses und dann beeilen Sie sich, mit Ihren Reisevorbereitungen zu Stande zu kommen.«

Mit ungeheuchelter Beistimmung ergriff Waldemar sein Glas und leerte es auf das Wohl der Bewohner von Spyker. Dann aber beurlaubte er sich, angeblich, um sich zur Reise zu rüsten, in Wahrheit aber, um Magnus die neue Wendung der Dinge mitzutheilen, der nach einigem Hin- und Herreden ebenfalls die Ansicht aussprach, daß Waldemar auf keine bessere Weise den Weg nach Spyker antreten und sein dortiges Geschäft ausführen könne.

Allein bei näherer Erörterung fanden beide, daß das neue seltsame Bündniß, welches Waldemar mit den Feinden seines Vaterlandes geschlossen, auch nicht ohne jede Gefahr sei, denn wenn irgend wer ihm auf dem Wege begegnete und ihn bei seinem Namen anredete, so konnte sein Incognito leicht verrathen und er dem Zorne der Betrogenen preisgegeben werden. Ueber diesen Punkt aber irgend eine Besorgniß zu hegen, lag durchaus nicht in dem kühnen Charakter des jungen Seemanns. Ueberhaupt war für ihn keine Gefahr, was ein Anderer so nannte, im Gegentheil, er hielt das heutige Begegniß für einen Scherz, den sein gutes Glück ihm zur Unterhaltung in den Weg zu werfen beliebte. Von Jugend auf an größere Gefahren und den Schrecken der Elemente in jeder Stunde kühn in's Auge zu sehen gewöhnt, in späteren Jahren sogar durch den Schlachtendonner gehärtet und jedem Ungemach zu trotzen befähigt, war ihm ein Spiel, was Andren ein drohender Ernst erschien, und so ging er mit einer gewissen Befriedigung und Sorglosigkeit an ein Unternehmen, das man vor wenigen Stunden noch als ein tollkühnes Wagniß betrachtet haben würde.

So nahm er denn von Magnus den zärtlichsten Abschied, versprach alle seine Wünsche nach Möglichkeit zu erfüllen und verhieß, in wenigen Tagen wieder zurück zu sein, um ihm mitzutheilen, ob er des Freundes Uebersiedelung in sein väterliches Haus unter den obwaltenden Verhältnissen für rathsam und ausführbar gefunden habe.


 << zurück weiter >>