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Einleitung.

Rügen! Du wunderbar gestaltete Insel des schönen baltischen Meeres, von der Natur schon so reich mit zauberischem Reiz bedacht und jetzt auch geschmückt mit den Zierden der Kunst, die ein hochsinniger Fürst auf Deinen Boden verpflanzt – mit einem heiligen Schauer der Erinnerung betreten wir Deinen von zahllosen Dichtern besungenen Strand! Vom brausenden Meere, das Dich in seiner unbegreiflichen Laune bald vergrößert, bald zerstückt, in tausend Fetzen zerrissen, durchwühlt von tausend Stürmen, welche die Elemente wie die Leidenschaften der Menschen über Dich haben ergehen lassen, getränkt von Blut, in grausigen Schlachten von wilden und civilisirten Nationen vergossen, einst der Tummelplatz der düsteren Gestalten eines zurückschreckenden Haidenthums, jetzt das Land des Friedens und der heilbringenden Ruhe – zu Dir, ja zu Dir flüchten wir aus der Mitte unserer von Rauch und Nebel einer unbezähmbar dahinstürmenden Cultur und dem tumultuarischen Gewoge übervoller Städte so gern, so oft, um aus Deinen balsamischen Lüften einen reinen Athemzug zu schöpfen und von Deinen zerklüfteten Felsen, auf denen der Schatten jahrhundertalter Wälder lagert, einen Blick über das unermeßliche Meer zu werfen, welches die deutschredenden Kinder von ihren skandinavischen Brüdern und den Bewohnern der russischen Steppen trennt! –

Doch bevor wir unsere Leser auf bestimmte Punkte dieser so oft genannten und doch immer noch wenig gekannten Insel führen und ihnen einige Personen vorstellen, die, ebenso einfach zwar in ihrer Erscheinung und Handlung, wie unbedeutend an Rang und Lebensstellung, doch mit den letzten Kriegsschicksalen Rügen's eng verflochten waren, wollen wir denjenigen welche nur wenig von den geographischen und geschichtlichen Merkwürdigkeiten des kleinen Eilands wissen, einen allgemeinen Ueberblick über beides geben; der unterrichtete Leser dagegen verzeihe uns diese Einleitung, die nicht nothwendig zu unserer Erzählung gehört, überschlage sie und richte seine Aufmerksamkeit erst auf das nächste Kapitel, welches ihn in die Mitte der Personen und Ereignisse leiten wird, die zu schildern in unserer Absicht liegt.

Wenn man aus der Vogelschau herab einen Blick über das kleine Eiland in Rede werfen könnte, so würde man inmitten eines gewaltigen Wasserbeckens, das nur an der Südwestseite, wo es die deutschen Küsten bespült, einen schmalen Seegürtel bildet, einen wunderbar gestalteten, grün und grau gefärbten Erdenfleck wahrnehmen können. Man würde ein Stück Land sehen, welches, wenn es zu einem Ganzen vereinigt wäre, sich ungefähr sechs Meilen in die Länge und Breite dehnt und von Westen an sich allmählig erhebend, an der Nordostküste die höchste Höhe erreicht, wo es mit seinen schroffen Kreidefelswänden plötzlich in die wogende See abstürzt. Ein Stück Land, das, vom grollenden Meere umfluthet, in unbeschreiblich viele und kleine Inseln, Halbinseln und Werder zerrissen ist, in die das mächtigste der Elemente wie ein nimmersatter Verwüster eindringt, die es zerfrißt, zerstückelt und dadurch Buchten, Meerengen und Binnengewässer erzeugt, wie wir sie in ähnlicher Menge und Gestaltung fast auf keiner der zahllosen Inseln der großen Oceane antreffen.

Dieser kleine Erdenfleck nun bietet unserem verwunderten Auge einen ganz eigenthümlichen und höchst mannigfaltigen Anblick dar. Von des blauen Meeres weiten Armen umschlungen, gewahren wir weite grüne Saatfelder, einige saftige Anger und Wiesenflecke, dann und wann dunkelschattige Wälder, abwechselnd mit eintönigen stillen Moorgründen, und zwischen alle diese eine unzählbare Menge von Städten, Flecken und Dörfern, Höfen und einzelnen Landwohnungen eingestreut. Tausend fleißige Hände schaffen und weben auf diesem kleinen Raum und bemühen sich, bald dem Lande, bald dem Meere seine Schätze zu entlocken; zufrieden mit ihrem bescheidenen Erdenloose, einsam dem Gewoge der brüllenden See und dem tosenden Sturmwinde ausgesetzt, die ihre Kräfte und ihren Muth jeden Augenblick in Anspruch nehmen, sind sie abgehärtet gegen alle Gefahr und haben es gelernt, mit Herz und Hand allen feindlichen Elementen zu trotzen. Hauptsächlich mit aus diesem Grunde bewahren sie, so weit von ihren deutschen Brüdern abgetrennt, die Sitten der Väter in fast allzu treuer Weise und genießen auf ihre Art das Leben mit so zufriedenem Gemüthe, als wäre ihnen der reichste Besitz im sicheren und bequemen Festlande zu Theil geworden.

Wenden wir uns jetzt zu der Geschichte dieses kleinen Eilandes und überfliegen wir mit wenigen Worten die verschiedenen Zeitepochen, die zu der Gestaltung des Charakters von Land und Volk, wie wir beides noch heute vorfinden, ohne Zweifel sämmtlich beigetragen haben.

Aber da begegnet uns zunächst eine düstere, von den Schrecken des Haidenthums umnachtete und mit den Täuschungen der Fabel reich ausgestattete Zeit. Die Phantasie des Menschen, wir können es allerdings nicht läugnen, hat auf Rügen wunderbare Dinge geschaffen, und die Poesie hat sich derselben bemächtigt und ihnen einen Schein der Wahrheit umgehängt, wie man eine häßliche hölzerne Figur mit einem kostbaren Mantel drappirt und ihr dadurch das Ansehen eines lebenden Organismus' giebt. Die ruhigen Forschungen klarsehender Gelehrten aber haben nachgewiesen, daß das Reich der Fabel hier weit geöffnet ist, und daß von allem Göttlichen, Heldenartigen und Wunderbaren nur sehr Weniges auf dieser kleinen Insel die Probe der Wahrheit verträgt. Aber auch abgesehen von diesen der Phantasie und Poesie angehörenden Fabeln ist Rügen schön, seltsam und merkwürdig genug, und wir werden später noch Gelegenheit haben, die Reize des blitzenden Meeres zu bewundern, das sich bald kosend und spielend an seine Seite schmiegt, bald brüllend und donnernd seine Dünen peitscht, oder uns an der Pracht seiner Wälder und wunderbar gestalteten Felsen zu ergötzen, zwischen denen sich seltsame Grabstätten, ungeheure Leichenfelder und riesige Todtenhügel gruppiren, die kurzsichtigen Menschen den Glauben eingeflößt haben, als seien die früheren Bewohner jener Landestheile an Gestalt und Kraft selbst Riesen gewesen.

Doch wir wollten von der ältesten Geschichte Rügen's sprechen, die sich tief in das Schattenreich der Mythen verliert. Die folgenden historischen Einzelnheiten bis zur Zeit der Invasion der Franzosen sind theils dem ebenso interessanten wie geistreichen Werke: die Insel Rügen, Reise-Erinnerungen von Ernst Boll, entnommen, welches nachzulesen ist, wenn man noch speciellere Data aus der Rügen'schen Geschichte zu hören verlangt, theils Grümbles vortrefflichen Darstellungen der Insel Rügen und Biesner's Abriß der Geschichte Pommern's und Rügen's entlehnt, obgleich wir verschiedene Bemerkungen auch manchem andern Schriftsteller verdanken, deren Namen zu nennen uns hier zu weit führen würde.
Der Verf.
Die ältesten Spuren der Bewohner der Insel deuten ohne Zweifel auf das slavische und noch vor-slavische Haidenthum hin und noch heute finden wir diese Spuren in fast zahlloser Menge in Gestalt, von Tempel- und Burgwallruinen, Opfersteinen, Gerichtsstätten, sogenannten Hünengräbern und verschieden geformten Begräbnißstätten auf. Wer die ältesten dieser uralten Ueberbleibsel hinterlassen, wissen wir nicht, die späteren Reste aber stammen sicher von den zum slavischen Volksstamme gehörigen Ranen her, die ein im ärgsten Haidenthum verstricktes und blutdürstiges Seeräubervolk waren, das schrecklich gestaltete Götzenbilder anbetete, selbst nicht vor Menschenopfern zurückbebte, auf Arkona aber seinen Haupttempel hatte und von dort aus seine Herrschaft über die ganze Nachbarschaft ausdehnte.

Diese beutelustigen Ranen sollen die Dänen im Jahre 1100 sich zinspflichtig gemacht und sogar durch einen Statthalter beherrscht haben, aber selbstverständlich ging diese Unterwerfung nicht ohne Kampf und Blutvergießen ab, und offene Empörung, die nur zu neuen Kämpfen führte, war die nächste natürliche Folge davon.

Bei diesen Ranen nun hielt sich der heidnische Cultus am längsten in Norddeutschland, den selbst Carl's des Großen Sohn, Ludwig, als er das rügensche Land dem heiligen Veit im Kloster Corvey weihte, nicht auszurotten vermochte. Selbst das gottgeweihte Streben des Bischofs von Bamberg, der im Jahre 1124 von Usedom und Wollin aus das Christenthum auf die Insel zu verpflanzen versuchte, scheiterte an der Ungunst des nordischen Sturmwetters, das ihn wiederholt von der Landung abhielt, wie es auch dem Dänenkönig Erich III. nach der Eroberung von Arkona mißglückte, durch Einsetzung eines christlichen Bischofs den Svantevit-Cultus ganz auszurotten. Endlich aber gelang es den Dänen doch, den widerstrebenden Nacken der alten Götzendiener unter die sanftere Herrschaft des Christenthums zu beugen.

Im Jahre 1168 landete der Dänenkönig Waldemar in Gemeinschaft der Pommernfürsten Bogislav und Kasimar, des Bischofs Absalon von Roschild und des Bischofs Berno von Schwerin an verschiedenen Küstenpunkten, belagerte die Tempelfeste Arkona, nahm sie ein und stürzte den Götzen Svantevit, worauf sich die Ranen unterwarfen und das Christenthum annahmen, zu dessen segensreicher Verbreitung aus Dänemark gesandte Priester das Meiste beitrugen.

Bald darauf aber entspann sich ein Streit unter den Besiegern der Ranen, dessen blutige Entscheidung zum Theil wieder auf rügianischem Boden ausgefochten wurde. Die Pommernfürsten mit dem mächtigen Sachsenherzoge Heinrich dem Löwen im Bunde, fielen in Rügen ein, unternahmen Raubzüge nach Dänemark unter Beistand des Obotritenfürsten Pribislav, wobei anfänglich sowohl die Rügianer wie die Dänen Niederlagen erlitten, indem König Waldemar dem Sachsenherzog die Hälfte der erbeuteten Tempelschätze, der Geißeln und des jährlichen Tributes der Ranen abtreten mußte. Als nun aber König Waldemar's Nachfolger Knud im Jahre 1182 sich übermüthig gegen den deutschen Kaiser erwies, der Heinrich des Löwen Macht gebrochen, stiftete jener den Pommernherzog Bogislav an, Rügen noch einmal durch einen Eroberungskrieg zu bedrohen, der aber so unglücklich ausfiel, daß Bogislav geschlagen wurde und sein eigenes Land unter dänische Herrschaft gerieth. Der Ranenfürst Jaromar aber erhielt außer seinem eroberten Lande Tribsees durch Knud noch mehrere pommer'sche Landstriche, die Bogislav abtreten mußte, so daß jetzt seine Herrschaft außer der Insel den größten Theil des jetzigen Neuvorpommern's umfaßte, was insgesammt mit der Insel vereint den Namen Fürstenthum Rügen erhielt.

Jaromar hat für Rügen sehr segensreich gewirkt. Er rief deutsche Ansiedler in sein durch die vielen Kriege von Menschen gelichtetes Land, kräftigte die junge christliche Kirche, stiftete das Cistercienserkloster zu Bergen und war außerdem auf die Hebung der Landwirthschaft bedacht.

Unter seinem Sohne Wizlav I. versuchten es die Pommerfürsten, sich im Jahre 1227 des entrissenen Landtheiles wieder zu bemächtigen, was ihnen auch theilweise gelang. Von Dänemarks Hülfe verlassen, dessen König durch die Schlacht bei Bornhöved in Holstein seine Oberherrschaft im nördlichen Deutschland eingebüßt hatte, sah sich Wizlav nach einer anderen Hülfe um, die er auch in dem reichen Vetternkreise fand, der ihm durch seine Verheirathung mit Margarethe, der Tochter des Herzogs von Braunschweig und Lüneburg, Heinrichs des Löwen Urenkelin, zu Theil geworden war. Auf diese Weise löste sich das Band mit Dänemark; indessen erst 1438 entließ König Erich die Insel ihrer Lehnspflicht.

Unter Wizlav II. erhielt der Abt des Cistercienserklosters zu Campe bei Stralsund die Insel Hiddens-öe geschenkt, worauf daselbst ein Kloster dieses Ordens gegründet ward. In seinem Testamente gab er seine leibeigenen Slaven frei.

Unter Wizlav des III. Regierung im Jahre 1317 suchten die Stralsunder die Insel durch einen feindlichen Einfall heim, er selbst rettete sich auf seine uneinnehmbare Burg Rügegard (Rugard). Mit dem ihm verwandten pommer'schen Herzog schloß er einen Erbvertrag, in Folge dessen Rügen an die Herrschaft der Pommern kam, trotzdem seine nächsten Erbberechtigten, die Herren von Putbus und Gristow, die von Erich VII. von Dänemark schon 1309 auf die Halbinseln Jasmund und Wittow die Anwartschaft erhalten, Ansprüche auf den alten Familiensitz hatten.

Von dieser Zeit an bis 1637, also drei volle Jahrhunderte, fließt nun die Geschichte der Insel Rügen mit der des Herzogthums Pommern zusammen, was in Bezug auf die Gesittung und den geistigen Fortschritt der Insel von überaus großem Einflusse war, da während dieser Zeit die Germanisirung der Insel mit Riesenschritten vorwärts ging, indem theils neue Colonisten daselbst ihren Einzug nahmen, theils die noch übrigen Slaven sich diesen in Sprache und Sitte nach und nach völlig gleichstellten. Schon im Jahre 1404 starb auf Jasmund Frau Gulitzin, die letzte Rügianerin, die wendisch reden konnte.

Das wendische Recht dagegen erhielt sich noch Jahrhunderte lang auf der Insel lebendig, welches die Rügianer dem dänischen und schwerin'schen vorzogen, welches Erstere sich durch die dänische Herrschaft einbürgerte, das Letztere aber durch sächsische Colonisten und durch kirchliche Verbindung, des festländischen Theils des Fürstenthums Rügen mit dem schwerin'schen bischöflichen Sprengel in Uebung kam. Durch einen Mann wendischen Stammes, den Landvogt Waldemar, Herrn von Putbus, kam das wendische Recht zur Geltung, der das Bedürfniß fühlte, die dortigen verwickelten Rechtsverhältnisse zu regeln, indem unter dem Einfluß derselben allerlei Gewaltthat, Mißbrauch und Unfug sich auf der Insel eingeschlichen hatte.

Im Jahre 1536 wurde die Reformation auf der Insel eingeführt und die katholischen Geistlichen, die sich der neuen Ordnung der Dinge nicht fügen wollten, ihrer Aemter entsetzt oder anderweitig versorgt.

Auf die vielen blutigen Scharmützel, die Rügen's Bewohner von Zeit zu Zeit mit ihren händelsüchtigen festländischen Nachbarn zu bestehen hatten, folgte 1628 die Geißel des dreißigjährigen Krieges. In diesem Jahre besetzte der kaiserliche Oberst Götze die Insel und störte von dort aus unablässig Handel und Schiffsverkehr mit Stralsund, das Wallenstein vergebens zu erobern gesucht hatte. Um diesem Uebelstande ein Ende zu machen, wandte sich die Stadt endlich mit der Bitte um Beistand an den mit ihr verbündeten König von Schweden, der nun durch seine Truppen die Insel Hiddens-öe und die alte Fähre einnehmen und besetzen ließ. Das war der Anfang einer traurigen Zeit für die stillen Inselbewohner. Der Oberst Götze machte einen Angriff auf die schwedischen Besatzungstruppen, und da dieser fehlschlug, gab er die ganze Insel seiner wilden Soldateska preis, was gräßliche Scenen im Gefolge hatte. Allein bald darauf wurden die Kaiserlichen wieder von den Schweden vertrieben und von ihnen unter Gustav Adolf, dem nordischen Helden, die Insel behauptet. So war denn Rügen für die Pommerfürsten verloren, und daher erklärt es sich, daß Herzog Bogislav XIV. noch in demselben Jahre, mit Genehmigung und unter Vermittlung des deutschen Kaisers, die Insel dem König von Dänemark zum Kaufe anbot. Allein Gustav Adolf ließ die willkommene Beute nicht wieder fahren, schaltete mit ihr, wie mit einem angestammten Besitzthum und verpfändete Domanial- und Klostergüter, um Geld zur Kriegführung in Deutschland zu erlangen. Durch diese schwedische Occupation blieb Rügen fernerhin vor den Verwüstungen der kriegführenden Parteien bewahrt, während die festländischen Nachbarländer von den Gräueln des unnatürlichsten Krieges verwüstet wurden.

Mit diesen Ereignissen fiel das Erlöschen des pommer'schen Fürstenhauses im Jahre 1657 zusammen, in Folge dessen abermals sich ein Zwist um das erledigte Herzogthum entspann, indem die rechtlichen Ansprüche des Kurfürsten von Brandenburg von den Schweden und Kaiserlichen zugleich bestritten wurden. Letztere, die den Besitz Rügen's erkämpfen und zuerst sich Rügen's bemächtigen wollten, wurden zweimal durch die Ungunst der Witterung von der Insel abgeschnitten, und bei'm dritten Versuche erlitten sie durch die Schweden einen solchen Verlust, daß sie sich eiligst nach Mecklenburg zurückziehen mußten.

Erst im Jahre 1684 klärte sich der interimistische Zustand der viel heimgesuchten Insel auf. Denn nachdem die angeblichen Ansprüche des Klosters Corvey zurückgewiesen waren, das in der Person seines Abtes Arnolds IV. den Kurfürsten von Brandenburg mit der Insel als Corvey'sches Lehn beglücken wollte, welches Glück dieser zurückwies, kam man im westphälischen Frieden überein, Schweden, als im factischen Besitze der Insel, denselben für ewige Zeiten zuzuerkennen, während sich der Kurfürst von Brandenburg mit Hinterpommern begnügen mußte.

So blieb denn Vorpommern und Rügen etwas länger als 150 Jahre in den Händen der damaligen Großmacht Schweden, welches die privaten Grundbesitzerverhältnisse beinahe gänzlich unangetastet ließ, und es scheint für unsere folgende Erzählung nur erwähnenswerth, daß der schwedische Feldmarschall Wrangel 1649 mit der durch Tod erledigten Herrschaft Spyker belehnt wurde, welche, als auch dieser kinderlos starb, 1676 an die schwedischen Grafen Brahe überging, von denen sie schließlich wieder 1816 der Fürst Malte von Putbus durch Kauf erwarb.

In den heftigen Kriegen aber, die Schweden am Ende des siebzehnten Jahrhunderts mit seinen gewaltigen Nachbarstaaten zu bestehen hatte, wurde der Kampfplatz wiederholt auf die kleine Insel verlegt und diese durch allerlei Verwüstung hart heimgesucht. So eroberten sie z. B. die Dänen 1677 im Kriege Schweden's mit dem großen brandenburgischen Kurfürsten, verloren sie aber im folgenden Jahre wieder an die Schweden. Diesen nahmen sie 1678 wieder die Dänen und der Kurfürst Friedrich Wilhelm durch den Feldmarschall Dörflinger ab. In dem Frieden zu St.-Germain aber, den der Kurfürst durch den intriguanten Einfluß Ludwigs XIV. schließen mußte, ward sie den Schweden nochmals ausgeliefert.

Zum letzten Male im vorigen Jahrhundert nun wurde die kleine Insel durch den nordischen Krieg heimgesucht. Obgleich Karl XII. sie stark besetzt und mit vielen Schanzen befestigt hatte, so landeten dennoch am 15. November 1715 die Preußen und Dänen bei Stresow unter der Anführung des alten Dessauers, verschanzten sich daselbst und bemächtigten sich von hier aus, nachdem Karl XII. zurückgeschlagen, der ganzen Insel, welche nun die Dänen bis zum Friedensschlusse behielten. Durch diesen aber fiel sie zuletzt an Schweden zurück, und erfreute sich nun längere Zeit einer wohlverdienten Ruhe, indem sie in die Strudel des siebenjährigen Krieges nicht hineingerissen wurde, sondern während desselben als ein Zufluchtsort für die mecklenburgischen Truppen diente.

Fast hundert Jahre nun sah Rügen keine feindlichen Truppen auf seinem Boden, während welcher Zeit sie unter dem milden Scepter der schwedischen Regierung sich von ihren Leiden erholte und mancherlei innere Verbesserungen erfuhr, indem König Gustav IV. Adolf die Leibeigenschaft mit allen Frohn- und Zwangsdiensten aufhob, wozu unser ehrwürdiger Vorkämpfer in allen die persönliche Freiheit betreffenden Dingen, Ernst Moritz Arndt, durch seine Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen den hauptsächlichsten Anstoß gegeben haben soll.

Nach der unglücklichen Schlacht bei Jena aber, durch welche ein großer Theil des nördlichen Deutschland's in die Hände der Franzosen gerieth, besetzten diese das ganze preußische Pommern, auch Stettin, während nur Colberg heldenmüthig widerstand. Bei der Annäherung eines französischen Streifcorps verließen die Schweden das Herzogthum Lauenburg und zogen sich nach Pommern zurück, wo sie von Zeit zu Zeit durch die Franzosen beunruhigt wurden, indem diese z. B. von Wolgast allein tausend Louisd'or Contribution erpreßten, weil es den Preußen den Durchmarsch gestattet hatte. Gegen den damaligen König von Schweden hegte Napoleon vor allen einen heftigen Groll, denn dieser schlug nicht nur wiederholt seine Friedensvorschläge aus, sondern wies auch die ihm zur Pflicht gemachte Neutralität gegen die anderen Mächte zurück, trotzdem Napoleon ihm eine Gebietsvergrößerung und andere wichtige Vortheile versprach. Diesem trotzigen Widerstande, den der siegreiche Corse bei den mit ihm Krieg führenden Monarchen nicht zu finden gewohnt war, mußte die Strafe auf dem Fuße folgen, und so ging Marschall Mortier mit 12000 Mann bei Demmin und Anclam über die Peene und drängte die Schweden bis Stralsund zurück.

Hierdurch kam schwedisch-Pommern in lange nicht erlebte Noth. Requisitionen folgten auf Requisitionen und die ganze französische Armee mußte von dem Lande unterhalten werden.

Indessen war Mortier nicht stark genug, Stralsund ordentlich zu belagern, namentlich fehlte es ihm an schwerem Geschütz, das bei den schlechten Wegen nicht so leicht herbeizuschaffen war. So schloß man es nur ein und erschöpfte sich auf beiden Seiten in muthigen Gefechten, bis der schwedische Generalgouverneur Essen, als ein Theil der französischen Armee nach Polen beordert ward, die Gelegenheit benutzte und am 1. April 1807 einen Ausfall machte, worauf sich der Rest der Franzosen bis Greifswald und zuletzt über die Peene zurückzog.

Da nun die Franzosen einsahen, daß sie hier mit so schwachen Kräften nicht viel ausrichten konnten und dafür den kleinen Krieg mit um so gehässigerer Brutalität führten, so versuchte es Napoleon noch einmal, den Schwedenkönig durch glänzende Anerbietungen zu ködern. Allein auch diesmal wies Gustav IV. Adolf das kaiserliche Geschenk als eines Königs unwürdig zurück.

Mit den Truppen aus Schweden besetzten nun zugleich auch die Hannoveraner das kleine Rügen, die England – zufolge einer Uebereinkunft – den Schweden als Beistand zuführte; allein nur auf kurze Zeit, denn alsbald gingen sie nach Kopenhagen, um Dänemark für die Bundesgenossenschaft mit Napoleon durch die Beschießung seiner Hauptstadt zu strafen.

Nach der Schlacht bei Friedland endlich kam der Friede zu Tilsit am 9. Juli 1807 zu Stande. Obgleich nun Alexander dem Könige von Schweden anbot, an diesem Frieden ohne irgend eine Aufopferung Theil zu nehmen, so schlug doch der eigensinnige Gustav IV. Adolf auch dies Anerbieten aus, und noch dazu in einem Augenblick, wo Napoleon keinen Feind mehr in Waffen auf dem festen Lande hatte. Dafür rückten unter General Brüne einige französische Armeecorps, zur Beobachtung, wie es hieß, an die schwedische Gränze, und da eine Zusammenkunft Gustavs mit Brüne keinen Erfolg hatte, kündigte Schweden den Waffenstillstand gegen Frankreich auf.

So rückte denn Marschall Brüne mit 60000 Mann bei Anclam und Damgarten in Schwedisch-Pommern ein und drängte die Schweden bis unter die Wälle Stralsund's zurück, woraus allen schwedischen Städten, namentlich Greifswald, eine harte Begegnung zu Theil ward.

Die französische Armee rückte nun, mit Belagerungsapparaten, die die pommer'schen Wälder liefern mußten, wohl versehen, durch große Contributionen für ihren Unterhalt sorgend, vor Stralsund, und da schon früher auf schwedischen Befehl alle Schiffe, Kähne und Fähren aus Pommern nach Rügen gebracht waren, um eine Landung auf der Insel zu verhüten, so wurde eine Anzahl Boote und sonstiger Fahrzeuge aus dem Preußischen mühsam auf Wagen herbeigefahren und zu einer Landung auf Rügen in Bereitschaft gesetzt.

Als Gustav alle diese Anordnungen gegen sein geliebtes Stralsund und Rügen sah, verstand er sich zur Nachgiebigkeit. Er räumte Stralsund und zog sich nach Rügen zurück. Jetzt wollten die Franzosen die lange vorbereitete Landung ausführen, aber der schwedische General schloß eine Uebereinkunft mit dem französischen Marschall, vermöge welcher die Schweden Rügen räumten und sich zuletzt mit allem Kriegsmaterial auf Mönchgut nach Schweden einschifften.

Am 29. December 1807 befahl die französische provisorische Regierung zu Stralsund, daß niemand in Deutschland und auf Rügen mit Schweden in Verbindung trete, da dies dem kaiserlichen Interesse zuwider; seitens der Militairgesetze werde alle diesem Befehl zuwider Handelnden die strengste Strafe treffen, selbst wenn sie nur in mittelbare Communication mit dem verrätherischen Schweden träten.

So mußte denn Pommern für alle Bedürfnisse des französischen Occupationsheeres sorgen. Große Summen mußten aufgebracht werden und zu diesem Behufe wurde eine Steuer nach der andern ausgeschrieben. Aber nicht nur der Beutel der Leute wurde in Anspruch genommen, auch ihre Häuser wurden ihnen zum Theil entzogen und ihre Kirchen in Heumagazine und ihre Schlösser und Klöster in Hospitäler umgewandelt.

Als nun Napoleon in seinem Zorne befahl (1808), die Festungswerke Stralsund's abzutragen, mußten alle männlichen Einwohner ohne Unterschied des Standes, sobald die Reihe an sie kam, sich acht Tage lang in Stralsund zur Arbeit stellen und dazu noch mit den nöthigen Lebensmitteln versehen. Täglich wurden auf diese Weise 4000 Mann nach Stralsund beordert, um unter dem Oberbefehl der großmächtigen Franzosen wie Tagelöhner ohne Lohn zu arbeiten und die Wälle ihrer eigenen Festung niederzureißen.

Unterdeß war der Krieg zwischen Frankreich und Oesterreich im Anfang des Jahres 1809 ausgebrochen.

Dieser gewaltige Krieg nöthigte das Erstere, einen großen Theil seiner Truppen aus Pommern zur süddeutschen Armee abzuberufen und nur eine schwache Besatzung in Pommern und Rügen zu lassen. Dieser Umstand war es, der dem Major Schill, obgleich Preußen damals mit Frankreich in Frieden lebte, die Kühnheit einflößte, jenen abenteuerlichen Zug nach dem Nordwesten Deutschland's zu unternehmen, der am 31. Mai 1809 in Stralsund so unglücklich für Schill selbst endete.

So sind wir nun endlich zu dem Zeitpunkte gelangt, wo unsere Erzählung beginnt, und wir wollen zum Schluß dieser Einleitung nur noch einige Worte hinzufügen, die auf die nach Rügen gesandten Franzosen wie auf die Bewohner der Insel ein klareres Licht werfen und namentlich die Stimmung der Letzteren in ihren damaligen Bedrängnissen charakterisiren.

Bei der eigenthümlichen, vom Festlande durch breite Wasserstreifen abgesonderten Lage der Insel Rügen konnten die Wirkungen eines gewaltigen, beinahe das ganze Europa umfassenden Krieges nicht dieselben sein, wie auf diesem Festlande selbst. Auf der kleinen Insel hielten sich keine großen schlagfertigen Heere auf, wenige Dinge waren daselbst zu gewinnen und am wenigsten große Reichthümer fortzuschleppen, nach denen die Franzosen von jeher so lüstern gewesen waren. Denn hier gab es keine Könige zu besiegen, keine Fürsten in den Staub zu werfen und es mangelte an Gelegenheiten, den Vergnügungen und dem Taumelgenuß großer Städte nachzugehen. Ganz im Gegentheil war sogar das Brod sehr schwarz, die ewige Fischnahrung bot ein beinahe quälendes Einerlei dar und die Winde wehten Tag und Nacht schaurig kalt über die weiten Wasserflächen, was den weichlichen Franzosen in Anbetracht der engen und nicht gehörig verwahrten Häuser sehr unbehaglich erschien. Außerdem war die Communication mit dem Festlande beschwerlich, zu Zeiten für große Truppentransporte sogar ganz unmöglich, die Wege auf der Insel selbst sehr schlecht und schließlich der siegestrunkene Franke den Angriffen des von der See her gefürchteten Engländers überall preisgegeben. Aus allen diesen Gründen beschränkten sich die Feindseligkeiten auf dem winzigen Insellande nur auf den sogenannten kleinen Krieg, Contributionen, Räubereien, wie sie im Rücken eines siegreichen Heeres so leicht vorkommen, auf Quälereien der Landbewohner, Drohungen, allgemeine und einzelne Erpressungen und was dahin gehört, und immer war der leichtblütige Franzose im Allgemeinen froh, wenn er das Wasser wieder überschritten und den nicht mehr wankenden Boden des festen Landes von Deutschland betreten hatte. Unbegreiflich aber war und blieb ihnen, wie sich auf manchen getrennten, öden und flachen Inseln, wie z. B. auf Hiddens-öe Menschen ansiedeln und glücklich fühlen konnten; die Sprache derselben erschien ihnen barbarisch, die Nahrung ungenießbar, die Wohnungen unerträglich und die Langeweile über alle Maaßen unausstehlich. Nur auf einigen reicher begabten und von liebenswürdigen Menschen bewohnten Gütern fühlten sie sich leidlich wohl und sie gaben dies Wohlwollen gern dadurch zu erkennen, daß sie sich so viel wie möglich von den vorgefundenen und von ihrer Stelle abzulösenden Besitzthümern anzueignen strebten.

Indessen, der König von Schweden hatte in ihrer Meinung gegen den Kaiser der Franzosen, den gewaltigen Napoleon, schwer gesündigt und er mußte dafür bestraft werden. Er war der einzige Potentat Europa's, der es gewagt, dem Herrn der Welt zu trotzen, sein Bündniß zu verschmähen, seine Freundschaftsbeweise abzulehnen und seine Drohungen nicht zu fürchten. Er hatte ihm Schach geboten, als mächtigere Herren vor ihm im Staube lagen, und darum mußte er gedemüthigt werden. Da der große Kaiser aber an den König selbst nicht herankommen konnte, so mußten seine Bürger und Bauern leiden, und dazu war Schwedisch-Pommern und Rügen wie geschaffen. Es wurde also ein Heer ausgesendet, um sich vollzusaugen von dem Safte des kleinen Ländchens, und demselben Generäle vorgesetzt, die es verstanden, den modernen Brennus zu spielen, und denen die Sorgen der Männer, die Thränen der Weiber und das Blut der Kinder so wenig galten, als wären sie Fliegen gewesen, die Gott der Herr nur zur Plage der herrlichen Franzosen geschaffen.

Unter diese Verhältnisse nun versetzen wir den geneigten Leser; um dem Charakter der Inselbewohner aber nicht zu nahe zu treten, bemerken wir hier gleich, daß er sich dieselben nicht vorzustellen hat wie Leute, die einen panischen Schrecken über den Einzug der Franzosen empfanden. Allerdings konnte man auf Seite der Frauen und eines Theiles der Männer der gebildeteren Klasse eine gewisse Besorgniß vor den feindlichen Schaaren wahrnehmen, aber auf Seite des Landmanns und Fischers war dieselbe nirgends zu finden. Diese, von kaltem Blute und von jeher phlegmatischen Temperaments, waren ihr ganzes Leben hindurch an so ernste Dinge, so viele und häufig drohende Gefahren gewöhnt, daß diese neue Fährlichkeit sie nicht mehr erbeben ließ, und mit ruhigem Gleichmuth sahen sie den kommenden Tagen entgegen, voll der Erwartung, daß, so lange der alte Gott noch lebe, ihre Insel inmitte der Stürme festsitze und die See noch Fische erzeuge, auch noch keine Verzweiflung Platz greifen dürfe, vielmehr auch dieser Krieg einmal ein Ende nehmen müsse, wie Alles auf der Welt einmal ein Ende nimmt.

So hatte denn auch nur ein kleiner Theil der vorsichtigeren und reicheren Gutsbesitzer Rügen während der Besitzergreifung der Franzosen verlassen und sich nach Schweden begeben, ihr unbewegliches Gut der Aufsicht eines zuverlässigen Pächters anvertrauend. Andere, weniger Bemittelte, vielleicht auch weniger Furchtsame, waren im Lande geblieben und warteten mit Ergebung das ihnen bestimmte Schicksal ab. Der gemeine Mann dagegen, der nicht im königlichen Dienste oder auf Schiffen außerhalb war, blieb hartnäckig auf seiner Scholle sitzen, die erste beste Gelegenheit erspähend, dem leichtfertigen Franzosen, der sein Bestes für einen Quark ansah und damit nach Belieben wirthschaftete, einen fühlbaren Streich zu versetzen.

Dennoch aber war Alles in gedrückter Stimmung, trübe in die Zukunft blickend und gespannt auf die endliche Entwickelung der Gegenwart, wie es sich unter solchen Umständen kaum anders erwarten läßt; zu behaglichem Stilleben aber und den Genüssen eines ungestörten Lebens, wie sie die Insel zufolge ihrer Lage, ihrer Eigenthümlichkeiten und patriarchalischen Sitten so reichlich gewährt, waren nur wenige aufgelegt, denn der Donner der Kanonen, der vom Festlande herüberschallte, und die Unterbindung des eigentlichen Lebensnervs der Insulaner, der mit dem Interdict des französischen Gewalthabers belegte Handel und Wandel zur See, war allein schon hinreichend, den Sinn dafür zu nehmen und allen Geistesaufschwung zu lähmen, der nothwendig mit dazu gehört, um ein Volk, sei es noch so klein und isolirt, sich glücklich und zufrieden fühlen zu lassen.


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