Friedrich von Gagern
Das Grenzerbuch
Friedrich von Gagern

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V.
Kentucky

Die Cherokesen – Attakoula – Kunde von Kanaan – Die Stuartsche Linie – Gespräch am Kamin – Daniel Boone und die Seinen – Der Zug ins Dunkel – Der Paß ins Jenseits – Landschaften und Gleichnisse – Der Schuß im Paradies – Die Lecke – Bruch – Indianersommer – Die Höhlenburg am Shawnee – Stimmung – Wilde Weihnacht

Drunten in den Hochlanden der Alleghanies, in den schönen fruchtbaren Tälern ihrer langgestreckten Vorberge, am oberen Congaree und am Chattahochee, am Alatahama und am Tennessee wohnte ein freies starkes Volk, kriegerisch und begabt, tapfer und scharfsinnig, wachsam und gelehrig, und wie alle Alpenstämme bis zu blutdürstiger Unversöhnlichkeit verwachsen mit der mattengrünen, urwalddunkeln, wolkenverhangenen Heimat, seinem Paradies: – die Cherokee oder Cherokesen.

Zahlreiche Ortsnamen jener herrlichen Landschaft – Watauga, Chatta-nooga, Heiawassee, Swananoa – haben uns einen Widerhall der verklungenen, schwermütig melodischen Cherokesensprache bewahrt. Alte Sagen erzählen von schweren Kämpfen, in denen die Cherokee von westlichen Nationen aus dem Mississippitale herauf in ihre Bergfesten abgedrängt worden seien. Besonders feind waren sie den im heuten Kentucky ansässigen Shawnees oder Schawanesen, die sie aus ihren Jagdgründen, den mit Rohrdickicht und raumen Parkwäldern bestandenen Hochebenen vertrieben. Die Schawanesen zogen über den Ohio und irrten dann mehr als hundert Jahre lang heimatlos zwischen den Kanadas und den Appalachen umher, bis sie sich endlich am Scioto 151 festsetzten. Kentucky aber blieb seit jenen Zeiten menschenleer, ein Gottesgarten der Büffel, Bären und Hirsche, Gemeingut nördlicher und südlicher Stämme, deren keiner das »dunkle und blutige Land« für sich zu behaupten wagte.

Das Schicksal der Cherokee war wie das jeder indianischen Nation sehr wechselreich. 1712 helfen sie zusammen mit den Catawba den weißen Ansiedlern gegen die furchtbaren Tuscarora, jenes ursprünglich weit nach Süden versprengte, dann als sechste mit den »fünf Nationen« vereinigte Irokesenvolk. Wenige Jahre später, 1715, verschwören sie sich mit eben denselben Catawba und mehreren anderen Stämmen zu einer carolinischen »Vesper«, einem vernichtenden Skalpzug gegen die Bleichgesichter. Es waren die bitteren Prüfungszeiten Carolinas; mehr als 200 Kopfhäute mögen die Tuscarora genommen haben, für den damaligen Stand der Bevölkerung eine schreckliche Zahl. Ebenso viele Opfer verbluteten unter den Beilen und Messern der Cherokee und ihrer Verbündeten.

Aber nun sollten die Cherokesen ihrerseits in ihren Bergen nicht mehr froh sein, die Stirnen mit schwarzer Farbe bemalen, die Sterbegesänge anstimmen: denn die langen Täler herab und über die Pässe kamen unter Hiokatoo, dem Senecahäuptling, die unbesieglichen Irokesen, als Rächer ihrer englischen Freunde und der ihnen jetzt verbrüderten sechsten Nation. Manches Jahrzehnt währte die Fehde zwischen diesen Spartanern und Messeniern der westlichen Wildnis, und so entschlossen waren die »Römer der roten Rasse«, jene südlichen Samniter in ihren Hochlanden gänzlich zu schlagen und zu unterjochen oder zu vernichten, daß sie sich bei Überlassung virginischer Gebiete an die Ansiedler oder Kolonialgesellschaften das Vorrecht, man könnte sagen die Servitut des »unreinen Pfades«, des kriegerischen Durchzuges ausdrücklich vorbehielten. Erst auf dem berühmten Kongresse zu Albany, der nach dem Wunsche der Engländer alle Stämme von den großen Seen bis an den Mississippi zur »schimmernden Kette der Freundschaft«, das heißt zum Bündnis gegen die Franzosen zusammenschließen sollte, wurde auch dieses Beil oberflächlich begraben.

Im großen Zweikampf um die neue Welt bewährten sich die Cherokee wirklich als treue und tapfere Reisläufer der Briten, namentlich beim Marsche auf Fort Duquesne. Als sie dann aber ihre Verdienste nicht nach Erwartung anerkannt geschweige denn belohnt fanden, brachen sie unmutig und müde nach ihren fernen Heimatbergen auf, deren Frucht und Wild sie köstlicherer Besitz dünkte als die mit den 152 im Grunde doch verhaßten, herrschsüchtigen Irokesen unvorteilhaft geteilte Beute.

Auf diesem Zuge nun vergriffen sie sich in ihrem Hunger an etwelchem Hausgetier der Hinterwäldler, Rindern oder Schweinen, wie sie eben nach virginischem Brauch frei im Holze weideten. Gleich fielen die frommen schottischen Grenzer in alttestamentarischer Wut über diese Philister und Amalekiter her, schossen nieder soviel ihrer sich zum Ziel boten und – – skalpierten zu höherer Ehre Zebaoths und Calvins die Gefallenen. Das der Dank für den erwiesenen Waffendienst und das die Entschädigung dafür, daß die Cherokee, vernachlässigt und übersehen, mit unzureichenden Vorräten den Heimweg hatten antreten müssen.

Jetzt schlug die Stimmung vollends um. Die erdbeerduftenden Hochtäler am Heiawassee und Chattahochee, am Keowee und Chestatee, die Dörfer von Estatoe und Etchowee widerhallten im Abendgrauen und in der violenen Morgendämmerung von hohler Klage der Witwen und Mütter. Die Muskoki-Creek, für gewöhnlich freundgesinnte Nachbarn der Cherokee, deren tragisches Schicksal sie später auch teilten, schürten den Brand. Die Hänptlinge, unter denen damals »der alte Hop« und »der Zimmermann« die bedeutendsten, ließen ihre ungeduldigen jungen Leute ziehen, um der herrschenden Spannung etwas Luft zu geben und dem drohenden Volksbegehr zu genügen. Jetzt hörte es in den oberländischen Niederlassungen von Nordcarolina mit der Sicherheit auf. Mehrere Vergeltungsskalpe wurden genommen. Kopf um Kopf, Skalp um Skalp! . . . Sollten die Söhne der Wildnis einem anderen Gesetze gehorchen als die Bekenner der vielgepriesenen Bibel?

Trotzdem waren es die Indianer selbst, die Beleidigten, die sogleich zu vermitteln suchten. Briefe vom »alten Hop« und dem »Zimmermann« an den harten Gouverneur Lyttelton sind uns erhalten. Die ganze Geschichte wäre vielleicht eingeschlafen, hätte nicht der unkluge Gouverneur gegen den Rat erfahrener Ansiedler auf Auslieferung der Schuldigen und ihrer Dorfältesten bestanden. Dem widersetzten sich die Sachems. »Es würde das Übel nur noch ärger machen«, entgegneten sie in überlegener Menschenkenntnis. Nun begann Lyttelton mit Schikanen. Er sperrte den Indianern ganz einfach die Zufuhr von Schießbedarf und anderer Ware. Statt der weißen Perlenschnuren, wie sie die Cherokee zum Zeichen friedfertiger Gesinnung an den Gouverneur und seine Hauptleute in den Forts geschickt, machten 153 nun die blutgetränkten und schwarzen Wampumgürtel die Runde von einem Beratungsfeuer zum anderen. Wahrscheinlich wurde Pontiacs Name auch hier genannt.

Ein dreijähriger Grenzkrieg mit all seinen Schrecken und Bränden entflammte der schwelenden Glut. Weithin an den Apalachen – wie die alleghanischen Bergzüge damals noch gerne genannt wurden – woben die Rauchschwaden der Zerstörung über den einsamen Wäldern, glomm schauervoller Feuerdunst aus der nächtigen Wildnis herauf. Fort London wird von den Cherokesen eingeschlossen und ausgehungert. Der Milizenoberst Montgomery mit seinen neunzehnhundert Mann muß sich mit Verwüstung indianischer Äcker begnügen und dann vor der heimlichen tausendäugigen Allgegenwart des Feindes heilfroh zurückziehen, nachdem er am Cowhowee eine erkleckliche Anzahl schöner blonder Engländerskalpe zurückgelassen. Erst dem Obristlieutenant Grant gelang die Vergewaltigung des kühnen Bergvolkes, aus dessen heroischen Freiheitskämpfen der junge Saloué von Estatoe und vor allen der große Oberhäuptling Attakoula sich zu Heldenruhm erhoben haben. Dieser war der drohenden Heeresmacht Grants mit Friedensangebot entgegengekommen; der rohe Offizier, übrigens ein ganz unfähiger Führer, der den Erfolg lediglich seinen Hauptleuten und Kundschaftern zu verdanken hatte, hörte nicht auf den versöhnlichen Indianer, setzte mit seinen wohlbewaffneten 3000 Mann und ungeheurem Troß den Marsch fort und zwang so die Cherokesen zu letzten Taten der Verzweiflung.

Nicht Tapferkeit entschied, sondern die Zahl, die Ausrüstung. Wahrscheinlich hätten die Engländer noch einmal das Hochland räumen müssen, wäre den unverzagten Indianern in ihren alleghanischen Thermopylen, in der von ihnen heiß verteidigten Klause des Cowhowee nicht das Pulver zur Neige gegangen. Grants Zug durch die gefährliche Enge des Warwoman-Creek hatten die roten Krieger leider nicht ausgenutzt. Hier, zwischen Felswand, Abgrund und Wildbach, konnten wenige Steinlawinen tiroler Stils den Bedrängern rettungslosen Untergang bereiten. Diesen Fehler büßten die Cherokesen mit unheilbarem Verlust, mit der Heimat.

Nun Grant ohne sein Verdienst ins Herzland des hartnäckigen Feindes vorgestoßen, nahm er die Sache auch grausam gründlich. Eseneka, Keowee, Estatoe, Conoroß, all die Dorfstädte in ihren alpengrünen Erdbeertälern sanken in Asche. Aus stark gesteigertem Maisanbau hatte der bewunderungswürdige Attakoula den Bedarf 154 kommender Kriegsjahre auskömmlich gedeckt; auch diese großen Vorräte, das Brot einer Nation, wurden unbarmherzig vernichtet. Die Cherokesen mußten sich ergeben.

Der Häuptling kam und besiegte den weißen Gegner zum letztenmal durch die Größe und Würde seiner kurzen Rede. »Ich stehe hier als Bote meines Volkes und will sehen, was für seine Not getan werden kann. Was das Geschehene angeht, so glaube ich, daß es unser großer Vater so über uns verhängt hat. Wir sind von anderer Farbe als ihr Weißen; aber geschaffen hat uns alle der Eine und gleiche Große Geist. Da wir nun nach seinem Willen in einem Lande leben, sollten wir einander auch wie ein Volk lieben.«

Schwerlich wird die Antwort des Siegers des Gedächtnisses ebenso wert sein wie die Ansprache des Besiegten. Attakoula legte zum Beweis seiner Vollmacht die Wampumgürtel aller Bundesstämme vor; poetisch wie ihre Heimat waren die Friedensschwüre der Cherokesen: »Solange das Licht des Morgens über unseren Dörfern aufgeht, solange die klaren Quellen aus unseren Bergen brechen.« Allein die Triften und Wälder, die Honigmatten und Fruchtgefilde im Hochlande, nach denen der Häuptling bitteren Herzens zurückkehrte, waren nicht mehr dieselben; um erkaltete Brandstätten spürten die Wölfe, auf verkohlten Balken saßen die Frauen, und die herbstlichen Täler widerhallten von ihrem Totengesang.

*

Es ist fast gewiß, daß an diesen Unternehmungen auch jener denkwürdige Mann sich beteiligt hat, den acht Jahre später der Zufall einer entscheidenden Begegnung in den Strom großartiger Schicksale stoßen sollte. –

Das heutige Westvirginien zwischen dem Ohio, dem großen Sandy-River und den Alleghanies war durch Gist und seine Nachfolger der Besiedlung geöffnet und gewonnen worden; auch im Süden drangen Auswanderer immer tiefer in die hier zum Knoten gewulsteten alleghanischen Bergzüge und über sie hinweg in die fruchtbaren Landtäler des Holston und Clinch vor: die Anfänge von Tennessee.

Nur von Kentucky, dem »dunklen und blutigen Boden« wußte man immer noch wenig.

Ein Weber namens Salling war als Gefangener der Cherokee durch jene selten betretenen geheimnisvollen Wälder geschleppt worden und hatte aus den geschauten Paradiesen aufregende Kunde mit 155 heimgebracht; ein abenteuernder virginischer Arzt, Dr. Walker, bestätigte die Erzählung des schlichten Handwerkers mit eigenen begeisterten Schilderungen. Manch andere noch mögen unter den ausgehöhlten Kalkfelsen der kentuckyschen Schluchten gerastet, durch die Sassafrasdickichte der schmalen Talgründe ihren Weg gebrochen haben; ihre Namen sind verschollen, die meisten verschwanden spurlos im Abgrund der Wildnis, die übrigen verschwiegen ihre Kenntnisse oder sie schreckten wanderlustige Hinterwäldler, Pelzjäger, Pechsieder und Immigranten durch kluge Schauergeschichten von ihren gefährlichen Plänen ab. So erhielt sich vielerorten jenes trübe Gerücht, kentuckysche Erde lohne gar nicht des Versuchs, geschweige denn weiter Wege und Opfer, und was die Grenzer davon allenfalls zu sehen bekamen, die mageren toten Höhen des Cumberlandgebirges, erhärtete diese schlechte Meinung.

Aber es war jenerzeit eine mächtige Bewegung in Flut, ein Antrieb von innen und außen, der auch vor der Gewißheit äußerster Strapazen und bitterster Enttäuschung, ja selbst vor gesetzlichen Hindernissen nicht Halt machte. Solche nämlich bestanden, und gerade sie schienen geeignet, ein trotziges Volk zum Widerstande zu reizen, zu heller Überschreitung zu drängen.

Jene seltsame Tatsache: die englische Regierung wünschte nicht, daß die amerikanischen Kolonien sich weiter nach Westen ausbreiteten. Der Indianer und sein Recht standen nun auf einmal im Vordergrund, im Brennpunkt väterlicher Liebe und Fürsorge. Kein Stück Land mehr sollte der armen guten Rothaut abgenommen oder auch nur abgekauft werden. Dankbare Indianer, nicht unbotmäßige Hinterwäldler sollten fortan die Grenze schützen und gegen die noch immer vom Mississippi her durchsickernden französischen Einflüsse abschließen. Die Kolonialbehörden erhielten den strengen Auftrag, eine ununterbrochene Linie von Georgien bis Kanada zu ziehen und damit dem Weiterwuchern der Besiedlung, der Anlage unkontrollierbarer Niederlassungen, mit anderen Worten der Steuer- und Gesetzesflucht eine endgültige Schranke zu setzen.

Dieser Griff in ihre innersten und ältesten Rechte, in ihre Selbstbestimmung, in ihre Freizügigkeit, in ihr Lebensmark brachte die Hinterwäldler, die virginischen voran, in finstere Wut. Es war das erstemal, daß ihnen Atem und Arme in solcher Weise beengt wurden, und das jetzt zum Dank für erwiesene Kriegsdienste, ohne welche die verwöhnten Lordschaften – Wolfe, Bradstreet und Boquet ausgenommen – samt ihren Soldatenpuppen sicher mit den weit 156 schneidigeren und helleren Franzosen schwer getan hätten. Es schäumte da so recht der dritte Stand gegen den ersten der Pairs und Kavaliere, die rohe Halsstarrigkeit Cromwellscher Puritaner gegen die Krongewalt; es prallte die harte Praxis der Büchsen und Beile gegen papierene Theorie, die Überzahl eines erbittert freiheitssüchtigen Volkes gegen die Minderheit alter Ordnung. Denn: war einst der Franzose, ja selbst der vertriebene Hugenotte, Franzose erst recht in seinem Kanada oder Louisiana, königstreu bis in die Knochen, auf nichts bedacht als auf Ehre, Glanz, Macht und Ruhm seines Königreiches und seiner Nation – »A Dieu mon âme, ma vie au Roy, mon coeur aux Dames, l'honneur pour moi«, wie jener ritterliche Wappenversspruch bündig zusammenreimt – – – der Neuengländer, Bürger einer Kolonie von Verbrechern und Flüchtlingen, Ausreißern und Abgeschobenen, Ketzern und Schwärmern, der eigentliche Amerikaner war in der unbegrenzten neuen Welt dazu, um von Europa und seinen Königen, vom Vaterland und seinen Gesetzen, von der Heimat und ihren Beschränkungen, von Steuern, Abgaben, Pflichten, Abhängigkeiten, Verboten, Diensten, Rechenschaften, Zwängen nichts zu hören, zu sehen, zu fühlen. Dieser tiefe Unterschied bestimmt die ganze amerikanische Geschichte des 18. Jahrhunderts und die europäische des 19. und 20. Nicht von Frankreich, von Amerika aus wurde das Abendland der alten Welt korrumpiert und revolutioniert. Schärferes Urteil erkennt in Amerika den ersten Spartakistenstaat, und der barbarische Geschmack des freigelassenen oder entlaufenen Sklaven, der grausame Hochmut des Emporkömmlings ist dem Amerikaner bis heute haften geblieben.

Damals, im Herbste des Jahres 1768, trieb die drohende Maßnahme der britischen Regierung eine Woge von Empörung über die Kolonien hin. Die östlichen Städter gefielen sich in theatralischen Reden und lächerlich geschmacklosen Flugblättern; wirksamer für den Augenblick war der Gegenschlag der erbosten, von der Grenzregulierung am schwersten betroffenen Hinterwäldler, die stillverbissen in hellen Haufen aufbrachen und über die Berge stiegen, der Durchführung jener schon ins Werk gesetzten Pläne zuvorzukommen, mit vollendeten Tatsachen zu begegnen.

Als dann im Spätherbst der höchst denkwürdige Grenzregelungskongreß zu Fort Stanwix zusammentrat, ergaben sich starke Unstimmigkeiten zwischen papierener Vermessung und lebendiger Wirklichkeit. 157

Außer den Beauftragten der Regierung und den Abgeordneten der gereizten Virginier und übrigen Kolonien hatten sich auch dreitausend Indianer eingefunden, mit diesen und jenen über die Abtrennung zu beraten oder die von den Kommissären schon vorgesehene Abscheidung förmlich anzuerkennen. Der Anger vor den Palisaden starrte von Federn; Rauchschwaden von hundert Feuern und Pfeifen zogen durch den goldbunten rieselnden Wald.

Nach englischem Wunsche sollte die endgültige Besiedlungsgrenze vom heutigen Utica aus nach dem Westfort des Susquehannah, dann den Alleghany und Ohio hinunter bis zur Mündung des großen Kanawha führen. Dort stieß sie mit der aus Südwesten kommenden sogenannten Stuartschen Linie zusammen, die ihrerseits ganz Tennessee und Kentucky von der Besiedlung ausschloß.

Demgegenüber berief sich Virginien auf alte Freibriefe und Versprechungen, auf das Gewohnheitsrecht der Auswanderung, auf Ansprüche seiner Veteranen und Landverwilligungen selbst. Es war der Kampf um den Ohio, um den Fluß der Mitte, der Kampf zwischen laurentischen und atlantischen Kolonien in anderer Gestalt.

Den Ausschlag gaben die – Irokesen.

Die englische Regierung hatte die Annahme weiterer Abtretungen indianischen Gebietes streng untersagt. Wenig kümmerten Irokesen und Virginier sich um den Wisch. Indianische Politik spielte merkwürdig in den Handel hinein. Nicht um den ihnen verhaßten Amerikanern gefällig zu sein, sondern um die benachbarten Stämme zu kränken und zu schwächen, erklärten die »sechs Nationen« ihre Lebenshoheit über die Landschaft zwischen dem Ohio und den Bergen und überließen sie aus diesem Verfügungsrecht heraus der streitbaren Kolonie. Cherokesen und Shawnees traf der Schlag. Ihnen wäre es niemals eingefallen, jene prachtvollen, unerschöpflich wildreichen Wälder, welche die weit nordöstlich wohnenden Irokesen kaum je auf ihren Kriegszügen streiften, den »langen Messern«, wie sie die Grenzer nannten, einzuräumen. Ihnen hätte die Stuartsche Linie Vorteil und Stärkung gebracht; die eifersüchtigen »sechs Nationen« vereitelten das. Nicht mit Unrecht vergleicht der Gelehrte Volney in seinen amerikanischen Fragmenten das Schicksal der Indianer jenem der an unwürdigen Bruderfehden verblutenden Hellenen. –

Der Ohio wurde so »Grenze«, und da nördlich des »schönen Flusses« im heutigen Indiana längst schon altfranzösische Niederlassungen bestanden, gab es überhaupt keine »Grenze« mehr. Die 158 Regierung mit ihrem geheimen Programm: die ungehorsamen Kolonien kurz zu halten, die Indianer gleichzeitig zu umfassen, scheinbar zu schützen, zu begönnern und gegen die störrischen Ansiedler zu verwenden, war glänzend durchgefallen. Wetterleuchten spielte über die appalachischen Urwälder hin; Frankreich in tiefen Hinterhalten am Mississippi und an den großen Seen schaute zufrieden die gesegnete Saat unterm dunkel zusammenbrausenden Sturmgewölk.

*

In Nordcarolina drunten wird der harte Ahorn im Februar schon gezapft.

Über den Zypressensümpfen und Reisfeldern der Küstenstriche kocht südliche Wärme, einwärts im Oberlande aber, in den gesund fruchtbaren Vorhügeln der blauen Berge ist es eben Vorfrühling geworden, das wilde Wandergeflügel streicht nordwärts über die einsamen Höhen, in den verjüngten Bäumen pulst still der Lebenssaft, und mit Bohrern, Spunden und birkenem Geschirr zieht alles hinaus in den kahlen Zuckerhain, ein Jahreszeitfest für klein und groß.

Zu solchen Ernten versammelten sich gerne die Nachbarn; gegenseitige Hilfe, das war die Geselligkeit der Hinterwäldler. Das Einsieden des süßen Seims freilich überließ man mehrenteils den Frauen. Die Männer unter sich hatten wichtigere Geschäfte, wie erst in diesem Jahre, da große Dinge geschehen waren, größere noch über das ganze Land hin sich dunkel vorbereiteten.

Auch bei den Boones am Yadkin um das rotflackernde Herdfeuer wird von den Begebenheiten zu Fort Stanwix, vom unnachgiebigen Lord Hillsborough und Botetourt, dem neuen angenehmen virginischen Gouverneur, von Zollkommissionen, Stempelakten und den Bostoner Händeln Rat und Rede gegangen sein. Denn die Hinterwäldler, so grimmig sie sonst der übrigen Welt den Rücken kehrten, spähten aus dem Verhau ihrer Wildnis doch recht wachsam ins Land hinaus, und für bedrohliche Ferngeräusche, das widrige Kratzen bürokratischer Federn zumal, hatten sie ein überaus empfindliches Ohr.

Aber diese Zeitungen und Ärgernisse, wie wenig wollten sie jetzt bedeuten neben dem Bericht des Fremden, den die Nachbarn der Boones in bestimmter Absicht als Gast eingeführt hatten! Das war etwas für Danny, den mußte er hören! . . . Heißt, wenn er zufällig eben mal daheim war und nicht auf Wochen und Monate hinaus 159 fern von Weib und Kind einsam in den Bergen schweifte, während Bruder Squire still und treu ihm die Wirtschaft versah. . . . Allein sie hatten Glück; Danny weilte gerade zu kurzer Rast zu Hause unter den Seinen, und nun saß er lauschend vornübergebeugt im Flackerschein des Kaminfeuers, und die guten, klaren Augen im hageren, ruhigen Antlitz glommen aus tiefster Erregung. Wenn das alles wahr wäre! . . . Wenn es da drüben hinter den sieben Bergen wirklich ein solches Paradies gab! . . . Es war Abend geworden, Nacht, und immer noch mußte der Fremde erzählen, erzählen, erzählen; Frühlingssturm und Wandervogelflug brauste hoch über das Schindeldach in der gelichteten Wildnis, dumpfrot spiegelte die Flamme im Laufe der langen Büchse über dem Kamin.

Finley hieß der Mensch, John Finley, war ein fahrender Händler unter den Indianern gewesen, hatte mit ihnen irgend Streit bekommen und auf der Flucht unter größten Anstrengungen und Gefahren die Niederlassungen am Holston drüben erreicht. Und nun war er da und wußte von Dingen zu berichten, wie sie jedes Jägerherz und Grenzerblut unlöschbar entzünden mußten.

– Gut, schön; aber die Grenzberge hinterm Clinch, dürre Kiefern und Krüppelbirken, Espen und magere Heide – wie verträgt sich das damit? . . .

– Wenn ich Euch sage: dann kommt noch eine Bergkette und noch eine, und dann erst ist man dort. . . .

– Und der Boden, was meint Ihr, das Land, die Erde? . . .

– Wie ich Euch sage: harter Zuckerahorn, Hickory, Weißeiche, Platanen, wie Ihr hier noch keine gesehen habt, und dazwischen mannshoch das grüne Rohr – was braucht Ihr da mehr zu wissen? . . .

– Also immerhin ein hartes Klären und Roden! . . .

– Aber nein, das ist's ja, was ich immer schon sage: eben nicht! Zwanzig, wenn's hoch kommt dreißig Stämme auf einem Acker; kein eigentlicher Wald, sondern mehr ein Park, ein offener, lichter Hain; für wenig Arbeit der reichste Ertrag. . . .

– Und trotzdem viel Wild? . . . Das klingt nicht nach guter Jagd!

– Nicht zu beschreiben, wie viel! . . . Keinen Büchsenschuß weit, da Ihr nicht eine Herde Büffel oder ein Rudel Hirsche aufstoßt. Mehr Wild als Wandertauben unterm Himmel sind; mehr als alle Jäger vom Houregan droben bis zum Savannah drunten in 160 hundert Jahren erlegen könnten; mehr als Ihr mir jemals glauben werdet, wenn Ihr nicht selbst kommt und seht.

– Ja, aber der Weg dahin! Hinterm Clinch weiter gibt es keinen Paß über die Berge. Wie sollten wir da je die Beute fortschaffen, Nachschub an Pulver und Blei heranholen, gar hinübersiedeln mit Hausstand und Herde?

– Ihr irrt; es gibt einen Weg. Einen Weg durch eine unverhoffte Talschlucht, und ich kenne ihn.

– Und würdet ihn wieder finden?

– So sicher wie Ihr den Abzug Eurer Büchse im Dunkeln.

– Und jene Talschlucht führt gerade in das Land des grünen Rohres, zu den Büffeln hinaus?

– Zwei Tagereisen weiter, und Ihr könnt sie zu Hunderten grasen sehen. –

 

Der Schauplatz des »Letzten Mohikaner« (Georgs-See)
Mit freundlicher Genehmigung der Congreß Library

Schlacht am Georgs-See
Aus W. Max Reid's »Lake Georg and Lake Champlain«, New York, G. P. Putnam's Sons. 1910

 

Es war spät geworden; das riesige Sternbild des Himmelsjägers Orion mit der Koppel der beiden Hunde stieg langsam hinter die blauen Berge hinab. Fern herüber aus dem Dunkel der Frühlingswälder scholl das hohle Grollen, Klagen und Kreischen der ranzenden Luchse; der Brand im Kamin sank zusammen, die Hirschtalgkerze knisterte. Groß regten sich die Schatten der Männer über das Wandgebälk hinan. Der Aufbruch war beschlossen.

Daniel Boone, der ältere der Brüder, zählte damals, Februar 1769 noch nicht volle vierzig Jahre. Er ist das Urbild des unsterblichen Helden unserer Jugend: Natty Bumppo, der Lederstrumpf.

Sicherster Kunde nach soll er 1730, nach anderen 1734, in der pennsylvanischen Grafschaft Bucks geboren worden sein. Seine Abstammung verliert sich im Dämmer amerikanischer Frühzeit. Wahrscheinlich war sein Ahn schon mit den ersten Ansiedlern nach der Kolonie des Grafen Baltimore, Maryland, gekommen. Diese ältesten Maryländer waren zu großem Teil adlige Katholiken, und wirklich lassen sich im freien, hellen, gänzlich unpuritanischen Charakter Boones Spuren einer überlegenen Kultur deutlich erkennen. Aber auch an einen deutschen Zuschuß wäre zu denken. Gerade Maryland und Pennsylvanien wurden wegen ihrer milderen Volksmischung und behaglicheren Stimmung von der deutschen Einwanderung seit je bevorzugt. Der häufig einfach Boon geschriebene Name hat als »Buhn« einen unverkennbar deutschen Klang.

Wie immer, Vater Boone war es in Pennsylvanien irgendwie nicht gut gegangen, und so hatte er sich mit Weib und Kind nach 161 dem schönen carolinischen Oberland aufgemacht, in dessen südlichen doch gesunden Urwäldern Daniel zu einem Jäger und Kundschafter ohnegleichen aufwuchs. Neben den unerläßlichen Fertigkeiten und Künsten eines Grenzers eignete er sich auch einige Bildung an. Er konnte schreiben, er hatte das Lieblingsbuch aller Hinterwäldler, Swifts Gulliver gelesen, er diktierte später das Bruchstück einer Selbstbiographie, er hat noch als uralter wandermüder Mann einen merkwürdigen Brief an die lästigen amerikanischen Behörden gerichtet. Aber das Wichtigste blieb ihm doch das unmittelbare Leben selbst, nicht das eines fleißigen, von seinen Pflichten beengten Farmers, sondern des einsam schweifenden Jägers und Spähers, des Falken, des Berglöwen.

Einsamkeit: das war für Boone überhaupt der Inbegriff von Glück. Sehnsucht nach Einsamkeit und Stille wies ihm alle seine Wege; diese Sehnsucht wurde sein Trieb und seine Tragik, sein Schicksal und sein Fluch. In ihm verkörpert sich die Summe aristokratischer Lebenskenntnis, verbunden mit dem nahverwandten klugen Ideal des Asketen, des Einsiedlers. Wenn je ein Amerikaner, so war Boone Aristokrat bis ins Herz hinein; nicht einer jener kleinen armseligen Herdenbarone, die in gemeinsamer Untertänigkeit, in sorgfältig gepflegtem Vorurteil und sogenanntem Zusammenhalt Schutz ihrer Einbildungen und ihres Standes suchen – sondern einer jener ganz großen hohen Herren der Welt, die aus innerer Machtfülle heraus auf alle Genüsse des dichtbevölkerten Tieflandes verzichten und um die köstlich bittere Minne der Einsamkeit alle Vorteile gesellig eingehürdeten Daseins gegen die Strapazen, Entbehrungen und Gefahren der Wildnis verächtlich lächelnd hintauschen. Von dieser Art war Daniel Boone, und darin ist er sich immer nur treuer geworden bis zu seinem Tod.

Die Bewirtschaftung der väterlichen Erbfarm überließ er seinem jüngeren Bruder, der deshalb auch nie anders als »Squire«, der Gutsherr genannt wurde. Treu und bescheiden diente der wackere Mann jahrein, jahraus der Neigung des anderen, der auf Wildesspur oder dunklem Kriegspfad, hinter dem Bären her oder auf der Fährte des flüchtigen Catawba adlerfrei über die Höhen zog, auf seinem Ruhmesfelde aber auch ganz andere Früchte erntete, als gebrochene Scholle, gelichtetes Land sie jemals hervorzubringen vermögen. Auch die Sorge um Daniels Ehefrau und die prächtig heranwachsende 162 Löwenbrut oblag dem gutmütigen Squire; an des großen Bruders Erfolgen und Unsterblichkeit hat er stärksten Anteil.

Daniel war sechs Fuß hoch, hager und sehnig, von ungemeiner Körperkraft. Eine lange Hirschfängerklinge knickte er zwischen den Fäusten wie dürres Reis. Als Schütze ist er von keinem Hinterwäldler übertroffen worden; als Jäger blieb er bei aller Leidenschaft stets der vornehme, sparsam und geschmackvoll genießende Weidmann, wie er uns als Natty Bumppo der Cooperschen Lederstrumpfromane entgegentritt. Seelische Sauberkeit, Würde, sittlicher Ernst, wahrhafter Adel der Gesinnung, Gerechtigkeit und schöne innere Ruhe zeichneten ihn vor den meisten Grenzern aus, und dieses überlegene Wesen prägt von innen her sein reines, scharfes, trotz aller Schicksalsfurchung, trotz aller Menschenflucht friedliches Antlitz.

Oft genug wird sein fast hochmütiges Feingefühl den Spott des verrohten Grenzerpöbels herausgefordert haben; als echtem Aristokraten, als einsam Überragendem hat es ihm an Neidern, Verleumdern und Feinden nicht gefehlt. Allein der Geifer erreichte ihn nicht. Unter den Besten seines Standes und seiner Art genoß er, der ungekrönte König der Hinterwäldler, größtes Ansehen und unbegrenztes Vertrauen. Noch zu seinen Lebzeiten ward er in die umwölkten Höhen der Sage entrückt. Wenige Menschenschicksale können sich an Tragik und tiefer Bedeutung diesem vergleichen.

*

Als Tulpenbaum und Magnolie blühten, da brachen sie auf, Finley als Wegweiser, Daniel Boone als Anführer, dazu noch Stewart, Holden und der Hugenotte Monay, mutige Grenzmänner aus dem Clinchtale drüben, die der Händler mit seinen glühenden Schilderungen schon früher, da er nach Schrecken und Entbehrungen seiner Flucht bei ihnen rastete und die wundgeschwollenen Sohlen heilen ließ, für das neue Kanaan gewonnen hatte. Grund genug für Boone, als Erster sich dem gefahrvollen Abenteuer anzuschließen; wo andere rüsteten, sollte er Heim und Herd hüten? . . .

Die Zurückgebliebenen am Yadkin in der pappelumflüsterten Farm schickten sich demütig in den Willen ihres Herrn, Gatten, Bruders, Vaters und allgemeinen Lieblings. Sie waren es nun schon gewöhnt. Zu halten war er doch nicht, wo es nur entfernt nach Wildnis und Lagerfeuer roch. Squire würde die Wirtschaft versehen und die jungen Adler zähmen, Mrs. Boone in Treuen 163 ihres Gebieters harren, fleißig Linsey weben, Flachs brechen, Apfelpasteten backen, Hirschtalgkerzen gießen, Pelzfäustlinge und Mokassins nähen und im übrigen auf Gott, auf den Bedacht und die erprobten fünf Sinne des Meisters vertrauen. Ja, das waren noch Männer, Frauen und Zeiten. –

Im Langtale des Clinch, eines der Quellflüsse des Tennessee, lagen damals die letzten Niederlassungen der Grenze, bewohnt von einigen siebzig Familien, die sich nach Ausgang der Cherokesenkriege hier niedergelassen hatten. Öde düstere Bergzüge scheiden diesen Grund von dem des nächsten Flußlaufes, des heutigen Powell-River. Von hier bis an den Wabash drüben jenseits des Ohio, einige dreihundertfünfzig englische Meilen weit gab es keine weiße Hausung mehr, nicht einmal ein ständiges festes Indianerdorf. Nur Wildnis, nur Paradies.

Der Zug ins ungewisse Dunkel begann mit mühseligem Aufstieg. Lastpferde hatte man ob Unsicherheit der Wege nicht mitnehmen können; ein indianischer Überfall, und sie rissen aus, verirrten sich, verstreuten ihr Gepäck, die Reisenden waren der Not preisgegeben. Zudem, wer wußte etwas von der Gangbarkeit der Pässe, Schluchten und Furten? Der nüchterne Boone traute dem schwärmenden Finley nicht so ganz; in der Wildnis taugt Bedacht mehr als Begeisterung. So trug jeder Mann seinen Bedarf auf eigener Schulter, einige drei bis vier Pfund Schießpulver und etwa das Fünffache an gegossenen Rundkugeln: verrechnet auf die leichten Ladungen jener alten Hinterwäldlerbüchsen ein auskömmlicher Vorrat, keine bequeme Bürde im sperrigen Urholz.

Solche Ausrüstung bedeutete ein ganz ansehnliches Kapital. Schießpulver war sündteuer im Oberland, von einer Stange Blei konnte man beinahe sprechen wie heute von einem Goldbarren. Vielleicht hatte der schwerreiche Richard Henderson, ein großzügiger Pflanzer, unternehmend, freigebig und spekulativ, Boones Gönner und gelegentlicher Mandant, zur Sache geholfen.

Für diesen Henderson war Boone früher mehrmals in die Berge gegangen, ähnlich wie Gist für die Ohioleute. Nur allzuoft stand hinter den Pionieren das starke Geld, das Kapital: wie Konzern oder Trust hinter dem Korundstahlmeißel, der ihrer Allmacht den Weg durch die Felsen bohrt. Tragik des Jägers, des Kundschafters, daß er im Dienste seines Feindes Bahnen bricht für die Millionenheere der Geldsklaven, die ihm nachdrängend die Bresche erweitern, ihn selbst überholen, fortschwemmen oder unter ihren Wogen begraben. . . . 164

Ahorn und grünbuntblütige Tulpenwälder, honigduftende Robinienhaine und Rhododendrendickichte, die enggeschlossenen, seltsam schwenkenden Flüge der Papageien und die sanften Melodien der Holzdrossel blieben in der Tiefe zurück; graues Gras schwankte im Winde schwermütiger Hochebenen, Krüppelbirken und dürftige Espen zwischen wüstem Steingetrümmer kündeten mit schüchternem Laubflor kaum noch den ersten herben Frühling. Aber von einem kahlen Felsengipfel aus erspähten die Jäger deutlich die dunkle Scharte im fernen Blau der nächsten Gebirgsbank gen Abend: die Torschlucht, die Auskerbung im langhinstreichenden Damm der finsteren totenstillen Cumberlandhöhen, das »Gap« in der Sprache jener Landschaft. Wirklich, der Händler hatte nicht übertrieben; es gab einen Durchgang, und man konnte ihn gar nicht verfehlen.

Langsam geht die Reise weiter; sehr langsam, viel zu langsam für den ungeduldigen Finley und den impulsiven Franzosen Monay. Jedoch in der Wildnis gibt es keine Impulse, darf es keine geben. Nicht nur bedacht will da jeder Schritt sein, sondern auch geklärt und sorgfältig gesichert. Es leben noch andere, die hoffentlich dieses Weges ziehen werden; es kann immer geschehen, daß man auf erzwungenem Rückzuge Ursache genug hat, für jeden getanen Axthieb, jedes weggeräumte Hindernis dankbar zu sein. Kein rechter Grenzer, der nicht die Bäume zu Seiten seines Pfades von Strecke zu Strecke angeschalt und den Steig kenntlich ausgehauen hätte. Es gehörte einfach zur Strategie der Hinterwäldler. Überall in weitem Umkreis der Vorposten war die Wildnis von solch einsamen Spuren durchzogen, wie einst die sibirische Taiga von den geheimnisvollen Brandjagenwegen.

Daniel Boone war nicht der Mann, sich in seiner Erfahrung beirren zu lassen. Bedachtsam ging er zu Werke, mochten Finley und der Franzose sich noch so heftig gegen seine ruhige Umständlichkeit auflehnen. Jene waren Abenteurer, er der geschulte Hinterwäldler. Es kam bald zu Reibungen. Finley hatte eigene Meinungen, widersprach grundsätzlich und zeigte sich finster verstimmt, wenn der weit bewandertere Boone auf das erhitzte Geschwätz einfach nicht hinhörte. Schon bildeten sich Parteien. Die Mehrzahl schlug sich zum ungeduldigen, leichtsinnigen Händler, Stewart allein hing dem erprobten Freunde in unbedingter Ergebenheit an. Besorgt sah Boone, wie der Einriß sich täglich erweiterte. Er selbst, mit seinen fünf Sinnen und seiner unfehlbaren Büchse gegen alle 165 Gefahren Manns genug, hätte das gelassen ertragen können; er fürchtete für die anderen und gab sie im stillen schon jetzt verloren.

In solcher Stimmung erreichte man die düsteren Vorhöhen des verrufenen Cumberlandgebirges, dessen unheimliche Thujen und Krüppelwälder selbst vom Wilde gemieden werden. Wirklich mußten die Jäger sich eines Abends mit tranigen Spießenten begnügen, wie solche die kleinen traurigen Seen der Hügellandschaft zu Abertausenden bevölkerten. Viel des kostbaren Schießkrautes brauchte dieser niedrigen Jagd nicht geopfert zu werden. Die erste Kugel, aufs Geratewohl in den nächsten Schof hineingefeuert, warf einen Entvogel auf den Rücken. Ganze Wolken des Geflügels rauschten auf, ebenso viele aber drängten sich in hilfloser Bestürzung um den gefallenen Genossen, wurden von den watenden Weidmännern einfach gegriffen und geschlachtet. Noch wußte das unschuldige Getier nichts vom tückisch nachgeahmten Donner und Blitz des falschen Gottes.

Die Reisenden traten in das »Gap«, die Torschlucht ein. Nach mehrstündiger Wanderung verengt die Klause sich bis auf wenige Klafter. Die Kalkfelsen, Vorboten des nahenden Kentucky, strahlen tödliche Kesselhitze aus. Aber gleich der erste Bach jenseits der steilumklüfteten Paßhöhe zeigt alle Merkmale eines gänzlich anderen, des neuen gelobten Landes: die hohen gestuften Lehmufer, üppigfrischen Pflanzenwuchs in seinem Bereich, Kornelkirsche und Weißbuche, Rauhahorn und Papaw-Baum, Hirschhornsumach und die alles undurchdringlich verwebende Rebe, darüber hinan in den Hängen Haine der Weiß- und der Färbereiche, des Schwarznußbaums und der rotblühenden Kastanie, Verkündiger eines guten und reichen, wenn schon nicht des allerbesten Bodens.

Und gerade hier am Ziel, an der Schwelle des gesuchten Paradieses kam es aus geringem Anlaß zu neuem Zerwürfnis. Der heiße Felsenweg, ein Quickbad im kaltschäumenden Bergbach hatten den gesunden Jägerhunger geschärft. Die Frühlingssonne versank im Dunst ferner fremder Wälder; da erklang irgendwo im eindämmernden Gehölz der Abendlockruf des Truthahns. Gleich waren die Männer an den Büchsen; Wildputerbrust vom Spieß, nichts Köstlicheres für einen rüstigen Grenzermagen. Vorsichtig sprang Boone den aufgebaumten Flug der bronzenen Wildvögel an; allein der unbeherrschte Finley hatte sie schon eräugt, rannte gierig vor und brannte seine hitzige Kugel mitten hinein ins Dickicht fast blindlings ab. Ein Truthuhn stürzte schwer in den Unterwuchs, die übrigen strichen 166 davon. Boone zeigte sich äußerst ungehalten. »Noch andere sind hungrig, nicht Ihr allein!« . . . »Was soll das heißen?« . . . »Schweigt, wartet und lernt!« . . . Einige hundert Schritte weiter unter einem sichtigen Baume begann der Meister zu locken; ein Hahn stand zu, lockte mit, der nächste kehrte zurück, in kurzer Zeit war die ganze Gesellschaft wieder zur Nachtruhe versammelt. Jetzt erst nahm Boone sein Ziel, und der unterste Vogel fiel sauber geköpft von seinem Sitz. Die anderen glucksten nur leise und regten die warzigen Hälse, aber die Schwingen lüftete keiner zum Abritt. Nachdem der Schütze bedächtig wieder geladen, holte er mit gleichem Feintreffer den zweiten Puter herunter, dann den dritten. Das war genug; die übrigen mochten leben und schlafen. »So schießt man Trutwild, immer den untersten Vogel, das weiß in den Hinterwäldern jeder Junge. Und durch den Hals; die Brust ist zum Essen da, das Visier zum Zielen!« Finley maulte verdrossen; aber später am Abendfeuer wischte er Boone eins aus. »Wie verhält es sich eigentlich drüben im Süden des neuen Landes mit Wald und Wild?« . . . »Denke, Ihr wißt alles am besten? . . . Fragt doch Eure gar so klugen Jungen in den Hinterwäldern!« . . . Boone schwieg; aber tags darauf kam es beinahe bis zum letzten Bruch.

Es war nahe der Ausmündung des »Gap«, das sich hier dicht vor der Vereinigung mit dem Tale des Cumberland noch einmal zu einer fast unpassierbaren, von brausenden Wildwassern erfüllten Klamm verengt. In gewohnter Umsicht wollten Boone und der treu zugetane Stewart eine steil hinauführende Seitenschlucht untersuchen, die für die Zeiten der Schneeschmelze und der Winterregen vielleicht eine nutzbare Gelegenheit zur Umgehung der gefährlichen Klause bot. Dem widersetzte sich Finley: schon wieder eine ganz zwecklose Verzögerung? . . . Der Weg bis zum grünen Rohre war noch weit; immer diese langweilige Umstandskrämerei! . . . Und jetzt packte Boone aus. »Mr. Finley, Sir: – seht Ihr dort an den Felsen, und sahet Ihr vielleicht gütigst da hinter uns in den Gehölzen die Marken der Hochwasser? . . . Hoffentlich! . . . Schön: und wenn wir hier in dieser Enge von plötzlichen Wolkenbrüchen überrascht werden, was dann? . . . Vor uns dieser schmale Talgrund voll Flut, hinter uns einige hundert Indianer, wie wäre das? . . . Und überhaupt, Mr. Finley. da wir nun schon einmal dabei sind: zu Dank verpflichtet sind wir alle Euch gewiß, zur Verleugnung unserer bewährten Gepflogenheiten und unserer Erfahrung aber denn 167 doch nicht. Wir gehen großen Gefahren entgegen, niemand kann das besser wissen als Ihr selbst; Gefahren mahnen zur Umsicht und Berechnung, und solcher seid Ihr nach den gegebenen Beweisen vollkommen unfähig. Wollt Ihr in Eurer Ungeduld durchaus in den Tod laufen, schön, Eure Sache; ich für mein Teil habe nicht die geringste Lust dazu, und wo die Übrigen Eurem blinden Eifer lieber zustimmen, auch schön, so gehe und bleibe ich eben allein – wäre auch nicht das erstemal in meinem Leben. Das laßt Euch gesagt sein: Schluß!«

Schwerlich hat der Händler in diesem Augenblicke dem berühmten Jäger etwas Gutes gewünscht. Die Gefährten hielten ihn zurück; so fügte er sich murrend. Der Blitz hatte geschlagen, das Gewölk verzog sich, doch dumpfe Schwüle blieb.

*

Die Abenteurer erreichten den rätselhaften Cumberland, dessen schwindelhohe, mitunter senkrechte Steilufer stellenweise einen sechzehnfachen Wechsel von Kalksteinschichten und Erdlagen zeigen und zwei vollkommen verschiedene Welten trennen, die üppige Blaugras-, Akazien- und Zuckerahornlandschaft der Hochebene von den düster leeren Eichen- und Kastanienhainen des Grundes. In zahlreichen scharfen Windungen ringt sich der starke Bergfluß durch die Vorhöhen der immer noch dreitausend Fuß übergipfelnden alleghanischen Kämme; da grollt es leise in der felshallenden Dämmertiefe der Klamm, schwillt mit jeder Krümmung der schnell und schneller hinschießenden, von unsichtbarer Gewalt hohlgestrafften und angesogenen Flut zum Dröhnen, zum donnernden Braus, und jetzt schwebt eine Säule von Wasser, Schleier und Duft irisschillernd in der Talenge: – es sind die Fälle des Cumberland, einst berühmt und vielbesucht, heute über großartigeren Wundern der entweihten Natur fast vergessen.

Schwer vermochte der nachdenkliche Boone sich von diesem erhabenen Schauspiele voll der bedeutendsten Gleichnisse loszureißen. Kleinere Fische, vom Sturze betäubt, dienten stärkeren zum Fraße; diese schlug der Flußadler mit gewandtem Griff, ihm jagte der gewaltige weißköpfige, der Seekönig mit dem grimmen Wikinggesicht die Beute ab. Reiher auf breiten Schwingen wuchteten zu Aberhunderten über dem kochenden Kessel, ein stetes Steigen und Wechseln unter Fittichgestalten; ihrer Aberhunderte im Schmuck kostbaren Gefieders 168 standen ernsthaft hoch auf den Ufern und besprühten Ästen; der Königsfischer flirrte durch den rauschenden Schlund, der Steißfuß mit hochgestrecktem Büschelkopf und Kehlbart schaukelte seidenbrüstig im strudelnden, schaumgestriemten Schwall. Ein Paradies, und doch alles nur Hunger, Mord, Raub, Gewalt und Übergewalt; friedlich allein die uralten Tannen, die von den Zinnen der Felshänge in den Kampf ums Dasein hinabschauen. . . . Hier hätte Boone sich sein Schicksal von der Natur selbst weissagen können. Vielleicht hat er noch manchmal der Adler und Reiher an den Fällen des Cumberlandflusses gedacht: später, als er selbst, einst Jäger, zum unstet schweifenden Wilde geworden war. . . .

Nach den Fällen ist es mit der wilden Jugend des Cumberland vorbei. Als würdevoll männlicher Strom führt er seine kentuckyschen und alleghanischen Wasser dem fürstlichen Ohio zu. Die Reisenden verließen ihn und wanderten am Rock-Castle, einem stattlichen Nebenbache, gegen Norden hinauf. Als Führer von untrüglichem Ortssinn bewährte der Händler sich ausgezeichnet.

Die Landschaft änderte, das Wild mehrte sich. Die Höhenscheide zwischen Cumberland und Kentucky freilich und die Hügelrücken zwischen den drei Quellflüssen dieses klassischen Waldstromes trugen wieder die mageren Krüppelhölzer und düsteren Tannen der Berge; aber im Blaugras am südlichen Arm sahen die Jäger den ersten Bison, einen alten einsamen Stier, und der üppige Baumwuchs in den Tälern verhieß reichliche Ernten.

Dennoch war das eigentliche Paradies, der später sogenannte »Garten« noch immer nicht betreten. Aber eines Abends, endlich nach monatlanger Wanderung, sahen die Männer das verheißene Land weit hinaus gehügelt vor sich liegen: ein unermeßlicher, unbegrenzt in blaue Dunstferne verdämmernder Park, unter dessen mächtigen breiten Einzelbäumen, Hickorys und Weißulmen, Weiß- und Färbereichen, Gelbeichen und Dattelpflaumen, Zuckerahornen und Sykomoren das berühmte grüne Rohr mannshoch in Schwaden stand, von sanften Wellen schattig überschauert wie Hafersaat im rieselnden Frühsommerwind. Beißender Anhauch strenger brünstiger Witterung schlug in den quellenden Pflanzenduft der lieblichen Wildnis; große Tierstimmen riefen geheimnisvoll aus den Tiefen unberührter Landschaft. Was wußte die glückliche Kreatur davon, daß mit diesem braunen Sonnenuntergang das Licht ihres unschuldigen Friedens 169 verlosch, Nacht heraufzog über ihre heilige Heimat, daß der Mensch gekommen war mit seinem Fluch! . . .

An diesem Abende noch brach der harte Knall der Büchse in die Stille des großen Geistes und seiner Herde ein. Boone schoß einen Bisonstier, der in kentuckyschem Jagdbrauch erfahrene Finley schärfte Zunge und Höcker ab, schlug mit dem Tomahawk die Markknochen heraus; die Reste blieben den Geiern.

Tausende, Abertausende von dunklen Büffeln dröhnten in dumpfem Schreck durch das aufwogende Rohr; Hunderte und Aberhunderte von Elkhirschen stürmten davon; schwarze Bären zu Dutzenden rannten in schwerfällig wiegender Hast vorüber; Wolken von Papageien kreischten auf und flatterten dichtgedrängt im verglühenden Sommerhimmel; Bäume schwankten, Erde donnerte, Schöpfung stürzte ein, das ganze Paradies eine brüllende, gellende, gesträubte, rauschende Flucht: – vor dem einen kleinen Menschen mit seinem Zauber, mit seinem bleiernen Blitz, mit seiner teuflischen Allgewalt! . . .

Das war Kentucky.

*

Und doch nur der Vorhof des innersten Garten Eden.

Auf breiten Büffelstraßen im Rohr wanderten die Jäger ostwärts bis an den Licking-River, den Leckenfluß, dessen Wasser ihren Salzgeschmack noch in den Ohio hineintragen.

Myriaden dunkeldumpfer Bisonten dröhnen um sie her im grünen Halm unter den Sykomoren und mandelduftenden Sperberbäumen des Parkwaldes. Völker von Elkhirschen ziehen vor ihnen, hinter ihnen über die ausgetretene Bahn, gefolgt von der glühäugigen Meute allgegenwärtiger Wölfe. Eichen und Ulmen flammen metallisch im purpurnen Bronze unzählbarer Truthühner. Biblische Wunderschwärme bunter virginischer Wachteln laufen vertraulich vor den reisenden Männern hin, streichen die immer breiter wachsende Heerstraße voran. Und dann kommt die große Stunde.

Das Rohr weicht zurück. Andere Tierwege münden herein, von allen Seiten her, viele, hunderte. Die Bäume hören auf. Das Rohr verschwindet, verliert sich. Die Straße ist Fläche geworden, überragt von wenigen düsteren Felstrümmern. Stundenweite Fläche, bar jedes Wuchses; rundum festgetretene Tenne, mitten zerstampfter Schlamm, durchsumpft von Harn und Lake. Und von Aufgang bis Niedergang ein Kommen und Ziehen, Wechseln und Sammeln unabsehbarer Völkerscharen des Wildes, dunkel wandernder 170 Büffelwuchten, lebendiger Zackenwälder aneinanderklappernder Geweihe. Tausende stellen sich ein, Tausende trollen ab, Zehntausende bedecken den Plan. Hoch über ihren Massen schweben aashungrig die Trutgeier, auch sie in Schwärmen. Die Erde bebt, die Luft erzittert von Gebrüll, Flügelschlägen, brauendem Tierdunst. Das ist der Lick: die Lecke. –

Es war ein starker Anblick, selbst für den gelassenen Boone. So hatte er sich Kentucky denn doch nicht vorgestellt. Die alte Heimat drüben am Yadkin, was bedeutete sie neben diesem gelobten Lande der Jagd? . . . Nein, Finley hatte nicht gelogen. Was er an jenem Abend am Flackerfeuer erzählt, während draußen aus den Ahornen der süße Frühlingssaft in die birkenen Gefäße spann, von der Wirklichkeit wurde es noch weit übertroffen.

Und wäre Finley nicht gewesen, der erfahrene Boone und seine Gefährten hätten diesen unvergeßlichen Abend vielleicht nicht überlebt. So harmlos die unschuldige Kreatur in ihrem Unfrieden, so gefährlich wurde sie als blinde Masse, als Element.

Das Salzfeld erdröhnte fernher unter tausendhufiger Donnerlast, Rotwildrudel flüchteten erschreckt auseinander: – und da kam die finstere Büffelfront überwältigend angewuchtet, weißdrohend der Blick, teuflisch der zottige Bocksbart, das ganze Massiv eine einzige dumpfdunkle gesenkte Stirn.

Das später so berühmt und berüchtigt gewordene Spalten der Herde, diesen wahrscheinlich von kanadischen Coureurs zuerst angewendeten Jägerkniff kannte Boone noch nicht. Er wäre zu solchem Wagnis vielleicht zu bedächtig gewesen; Finley lehrte ihn das Stück. »Den nächsten Leitbullen!« Von fünf Kugeln getroffen brach der Stier zusammen. Die Nachdrängenden strauchelten und stürzten über das plötzliche Hindernis, ihrer immer mehr häuften sich zum wälzenden Wall. Die Stauung stauchte keilend zurück in die Tiefe der anstürmenden Bisontenbrandung; sie teilte sich wie am Sporn eines Wogenbrechers, zwei neuen Führern nach fluteten die Schwaden der gemähnten Kolosse willenlos ab. Hinter ihnen drein setzten unbekümmert die Wölfe, über ihnen rauschten die Geier. Die Männer in ihrer selbstgesprengten Schlucht waren gerettet; vor ihren Augen zerfleischten Reißgebiß und Schnabel den erlegten Stier, aber auch die unter den Hufen ihrer eigenen Gefährten zu Schaden gekommenen Opfer. Ihr Schmerzgebrüll verlor sich schon in den Chören neu herzuwandernder Abendherden; wieder war die Salzschlammwüste von Wildrudeln, von Tiervölkern sonder Zahl überdeckt. Zur Erlösung 171 des leidenden Mitgeschöpfs war den Hinterwäldlern ihr Schießvorrat zu kostbar; Pulver und Blei wogen schwerer als Gefühl.

Kein Gedanke, auf solchem Grunde zu kampieren; es bedeutete den Tod. Die Jäger erklommen einen der Felsstümpfe, die aus dem salzgeschwängerten Erdreich geradezu herausgeleckt zu sein schienen. Auch diese Feste mußten sie erobern; ein Puma verteidigte sie mit heißem Mut. Der Silberlöwe, weniger malerisch oder majestätisch als die bunten und gemähnten Fürstlichkeiten der alten Welt, wird von Ahnungslosen oft unterschätzt; er ist wahrscheinlich die unversöhnlichste, die gehässigste aller Großkatzen.

Die Nacht sank; drunten brauten die scharfen faunischen Dünste, riefen ehern die tiefen Stimmen der Wildnis. Ohne Unterlaß dröhnte es über die Weite, ungeheure Geisterzüge wanderten im Mondnebel vorüber, Horn wetzte, Schlamm schmatzte, rings in silbernen Fernen klagte schaurig das hohlaufknurrende Wolfsgeheul. Boone hielt einsame Wacht; vor seinem inneren Ange erbaute sich ein festes Schanzdorf mit seinen Ecktürmen und Palisaden. Bruder Squire, treu und arbeitsgewohnt, bricht die unergründlich tiefe Dammerde, er selbst streift weit durch diese Märchenwälder, Herr über das schönste, das köstlichste Königreich der Welt.

Kein müßiger Traum, sondern ruhige Wirklichkeit: Salz gab es hier, das teure, das unersetzliche Salz, Wildbret und Felle in alle Ewigkeit, die fruchtbarste Scholle, den mildesten Himmel, die stärksten Bäume, aus geringstem Aufwand den größten Gewinn. Hier würden seine Knaben zu Männern werden, nicht mehr drüben am alten Yadkin; hier würde sein Herdrauch gen Abend steigen, nicht länger dort im verbrauchten Land unter den blauen Bergen. Der Auszug war beschlossen, unsichtbar standen schon die Pfähle zur neuen bleibenden Statt. Die Wölfe heulten; geheimnisvoll zogen die großen Herden unterm wandernden Tierkreis der Sterne.

*

Morgen fröstelt über den Salzsumpf herauf. Grausiger Vogelschrei erfüllt blutrot die Frühe. Die Papageien kommen von den Flüssen, dichtgeschlossen in unberechenbar krummen Flugwellen. Mit Buntglut wie von Tulpen und Narzissen bedeckt sich der zerstampfte Laugenmorast; ein Blumenfeld leuchtet zwischen den dunkel brütenden Hügelmassen der Bisonten.

Dann brausen die Wetterwolken der Tauben heran, schieferblau den Sonnenaufgang verfinsternd, umschwärmt von der Luftmeute der 172 Falken. Drüben in den Wäldern pestet ihre Brutstadt, die Guanowüste: ein Todeshain von weißstarrenden, nestüberwucherten Baumleichen, jeder Lebendwuchs rein weggeätzt auf zwei, drei Stunden der Länge und Breite, dreizöllig die Kruste von heißgärendem Unrat, Federn, Eierschalen, Stätte des Grauens, überlagert von mörderischen Gasen. Manchmal in den Frühlingsnächten kracht und knallt es gell aus den Tiefen webender Wildnis; dann sind die Tauben gekommen, die starken Äste brechen unter ihrer Millionenlast.

Ein vielhundertköpfiges Elkrudel scheucht die Vogelvölker von der durchsickernden Salzquelle, die mit Lake und kristallner Blüte seit Jahrtausenden ganze Tiergeschlechter der Landschaft letzt. Weithin in blaßgoldner Frühsonne schimmert der wiegenden Geweihe sprossig Geheck; feierlich im Morgenfrieden wandern die hohen stillen Hirsche zum Born des Lebens, unsichtbar geführt von ihrem Hirten, dem allgegenwärtigen großen Geist.

Messingner Trompetenstoß aus der Höhe kündet das Nahen anderer dunkler Heerscharen. Es sind die blauen Dohlen, die Herolde und Wächter der westlichen Tierschaft. Mit hellem Warnungsruf und Flugpossen begleiten sie den Jäger, den Adler, den Puma, den Wolf, den Luchs, den Bären. Die Büffel kommen, die Hirsche weichen, der Salzgrund dröhnt. Mählig mit der Sommersonne steigt die Wärme, Brodem von Lauge, von Schlamm, von Jauche, von Kot, von Vließ, von Brünsten kocht über der Statt.

So wechselt das und wogt, flutet und ebbt tagaus, tagein, jahrein, jahraus, mit den Stunden des Tierkreises seit dämmernder Ewigkeit. Tausende kommen, Tausende gehen, Zehntausend bevölkern den Platz: das ist der Lick, die Lecke, einer nur von den vielen Brunnen dieses Paradieses. Tausende von Bären, Myriaden von Hirschen, Myrionen von Bisonten, meilenverfinsternde Millionen von Tauben: das war Kentucky.

Ungewiß die Bedeutung des klassisch gewordenen Namens. »Land des grünen Rohres« übersetzten die einen, »finstrer und blutiger Grund« heißt es bei anderen. In die Ehre dieser heroischen Bezeichnung teilen sich freilich viele Landschaften des Westens. Tecumseh, der Arminius der roten Rasse, sprach in seinen düsterglühenden Reden noch vierzig Jahre nach Boones erstem Jagdzug vom Heimatlande des grünen Rohres, das sein schawanesischer Stamm verloren hätte und durch einen Vernichtungskrieg gegen die Weißen wiedergewinnen würde. Die Shawnee waren zu Beginn des 17. Jahrhunderts von 173 den Cherokee aus ihren Wohnsitzen zwischen Cumberland und Ohio vertrieben worden; seither blieben jene herrlichen Parkwälder unbesiedelt, von allen begehrt, von allen gemieden, selten nur von flüchtigen Horden scheu durchstreift, ein leerer Raum zwischen den Völkern des Südens und dem algonkinischen Block im Norden.

In dämmernder Altzeit war es anders gewesen. Spuren der amerikanischen Antike finden sich auch in Kentucky, wenngleich nicht in solcher Fülle und Schönheit wie in den nördlichen Ohiolandschaften, in Illinois und Wisconsin, deren geheimnisvolle Erdwerke, Befestigungs-, Tempel- und Grabschanzen von oft mystischer Gestalt zu den merkwürdigsten Ruinen der Welt zählen. Die Reihe dieser berühmten »Mounds« zieht von den großen Seen beiderseits des Ohio bis in die Mississippi-Senke und diese hinunter bis zum Golf, eine Siedlungslinie, die mit dem Umriß des La Salleschen Kanada-Louisiana genau übereinstimmt und von hoher Einsicht der Schöpfer zeugt. Wer die Meister jener in Figur symbolischer Wappentiere angelegten Hügelbauten gewesen, läßt sich nicht mehr erkennen. Vielleicht waren die tragisch untergegangenen Natchez ein letzter Rest jener im Dunkel der Schicksale versunkenen Stämme, deren Kunst, strategischer Weitblick und Tiefsinn noch heute zu raten geben. –

Die Jäger wenden sich westwärts zurück zum Kentucky. Immer wieder Wild in märchenhaftem Überfluß, Salzmoräste und -anger, Rohrbrüche, weitständige Parkwälder von edelstem Hartholz. Aber nun erst lernen sie das Antlitz dieser Landschaft in seinen eigensten Zügen kennen.

Tief in steilwandigen, oft senkrecht in die Tafel der Hochebene gehauenen Kalkfelsenschluchten winden und würgen sich die Wasser nach der Niederung des Ohio hinaus, nicht unähnlich dem Jordan in seinem Ghor, zahme kleine Vorspiele der grausig klaffenden Schlünde südwestlicher Wüstenhölle. Aber nicht da drunten in der Schwüle der Sassafras-Auen, oben auf der Fläche liegt die Fruchterde in Schichten von unerhörter Mächtigkeit, aufgebaut von vieltausend Jahreszeiten und den Wechselströmen des Lebens.

Das ist im wesentlichen das Bild des alten Kentucky oder wenigstens seines sogenannten »Gartens«, seiner klassischen Herzgaue: von den Klippen der Flußtäler getragen die wellige Hochebene, unermeßlicher Hain – Hain, nicht Wald – unterwachsen von Schwaden des grünen Rohres, der Wahrzeichenpflanze der Landschaft, der großsamigen Arundinaria; und drunten von tropisch dumpfen Dickichten 174 erfüllt der Grund, bald büchsenschußbereit, bald düstere Enge, bald halbstundenweit ausgebuchtetes Talgefild. Droben die Völkerscharen des Wildes auf luftig freier Parkweide; drunten geheim in feuchten Schatten die fleißigen Biber. Droben der lichte klare Bestand, gleich einladend zu unstet schweifender sorgloser Jagd wie zu müheloser lohnender Siedelung; drunten im »Cove« der dichtverstrickte, dampfschwüle Urwald, Tupelobäume und Sykomoren, Silberpappeln und Sassafras-Lorbeerbäume, Giftsumach und Gurkenstrauch, alle miteinander verflochten und versponnen von zähem, selbst tausendfältig durchwobenem Rebengerauk. . . . Da und dort auf vorgeschobener Zinne ein uraltes Erdwerk, Heldengrab oder Späherposten, längst vergrast, in goldgrünen Schlummer versunken; bisweilen das Niederprasseln eines von emsiger Biberbrut umgenagten Stammes; hoch herab von den Klippen der erzgelle Kriegsschrei des Adlers; und täglich fast die furchtbaren Gewitter mit ihren ununterbrochen niederkrachenden Weißblaufeuern und brausenden Wolkenbrüchen, unter deren Sturzflut die Wasser mitunter um vier Fuß binnen Stundenfrist anschwollen. . . . Das war Kentucky. –

Wochenlang streiften die Männer durch die Wildhaine der Hochebene, durch die heißdumpfen Filzwälder der Schluchten. Hirsche in Unzahl werden erlegt; die wertvolle Haut nur gilt; Wölfe und Geier feiern Feste. Jede Beute aber will ihren Nutzen; tief drinnen im Urkentucky gibt es noch keine Käufer, keine Händler, keinen klingenden Dollar; und da der Dollar nicht zu den Häuten nach Kentucky kommt, müssen die Häute aus Kentucky hinaus zum großmächtigen Dollar. Also: Blockhaus bauen, Häute stapeln, Packpferde holen, Partie teilen. Soweit wäre alles im reinen; zwei reisen über die Berge zurück nach der Heimat, drei bewachen den aufgespeicherten Schatz und mehren ihn unterdes um weitere Beute und Ballen.

Ein schöner Plan, nur – auf das Jagdvergnügen verzichten will keiner außer dem enthaltsamen Boone, und auch über die Wahl des Stapelplatzes kann man sich durchaus nicht einigen. Drunten in geschützter Tiefe, sagt der bedächtige Boone; droben im luftigen sichtigen Parkland, in der Nähe eines Lick, will der leichtsinnige Finley. Um sich dort nur ja von Indianern entdecken, überfallen und skalpieren zu lassen, was? . . . meint der erfahrene Kundschafter. Sieh einer her, der berühmte Danny Boone, der gepriesene Col'nel Boone, der Allbesserwisser und Schulmeister scheine ja vor den Indianern eine ganz höllische Angst zu haben? . . . höhnt der Krämer. Nein, in den 175 schwülen Löchern von den Moskitos aufgefressen und tätowiert zu werden, dafür bedanke er sich, erklärt nun auch Monay, der Franzose. . . . Höchst peinlich allerdings, versetzt Boone mit bitterverwürztem Spott – Monsieur fürchte wohl, den Schönen dieser Urwälder zu mißfallen? . . . Aber die Indianer stächen noch etwas schärfer und tiefer, das könne er versichern, und mit solchen Ehrennarben könne man vor Damen freilich noch ganz anders paradieren, vorausgesetzt nämlich, daß man sie nach Hause bringt. . . . Den herausfordernden Finley würdigt er gar keiner Antwort; aber der Pfeil sitzt; er, Daniel Boone, und sich fürchten! . . . Still grimmt und frißt das weiter in ihm; die Giftschwäre pocht; so gibt er schweigend nach. Am »roten Bache« im grünen Rohr wird die Blockhütte gebaut, auf der Hochebene zwischen dem Kentucky und dem Leckenfluß. In wenigen Tagen steht der kleine rohgezimmerte Speicher fertig da; bald birgt er die aus früheren Verstecken zusammengeschleppten Stapel und neue Ballen, Wildleder für manches Tausend Dollar; zwei ausgehöhlte Stämme dienen als Wassertröge; das ist das ganze Gerät.

Der Sommer neigt sich zum Ende. Hekatomben von Hirschen, unschuldigen, glücklichen Tieren sind dem furchtbaren Gotte des verfluchten Menschen geopfert worden. Überall in den Wildstraßen des grünen Rohres und auf dem Lick blecken die blanken bleichenden Gerippe. Aber noch ist nicht die geringste Minderung zu spüren; allmorgendlich und jeden Abend bevölkert das Salzgefild sich mit den wandernden Myriadenherden des großen Geistes, des Herrn des Lebens. Über ihnen schweben die Geier; in den Rohrbrüchen warten die Wölfe.

Boones Sorge ist wach. Finley und der Franzose in ihrem Leichtsinn kennen keine Grenzen. Eines Tages entdeckt er Spuren indianischer Anwesenheit; seine Warnung wird verlacht. Wie zum Trotz kokeln die Beiden noch selben Abends ein großmächtiges, weithinleuchtendes Feuer auf dem Felshügel an, ohne Sinn und Zweck, aus purer Bosheit und Widerspruch. Nochmals mahnt der getreue Eckart; mit offenem Hohn wird sein versöhnlicher Bedacht gelohnt. Und das ist nicht alles; es kommt schlimmer. Bisher war wenigstens die Wache sorgfältig gehalten worden. Eines Nachts nun erwacht Boone vor seiner Stunde und sieht den Händler fest schlafend statt auf seinem Posten. Ruhig läßt er ihn weiter träumen, übernimmt selbst an seiner Stelle die Pflicht, sagt auch kein Wort darüber nach der Ablösung; aber nun ist sein Entschluß gefaßt, so kann das nicht weiter gehen, jetzt hat er's satt, drüben am Yadkin harren Weib, Kind 176 und Bruder seiner Heimkehr. Der Einsame unter hundert Gefahren ist unverwundbar, der Erfahrenste in schlechter Gesellschaft ein toter Mann.

Am Morgen erzählt er den Vorfall und gibt seine bündige Erklärung ab: lieber allein in der Wildnis als länger zusammen mit solch leichtsinnigen Leuten! . . . Finley und der Franzose zucken nur kalt die Schultern: könnt ja gehen, wenn wir Euch so wenig gefallen! . . . Und Boone geht; der treu ergebene Stewart schließt sich ihm an. Nach kurzer Strecke jedoch holt sie der fünfte, Holden, ein: Boone möge es ihm nicht verargen, er habe ja unbedingt Recht, nur er selbst, Holden, könne die beiden unvorsichtigen Menschen doch nicht ganz allein ihrem verderblichen Übermut und damit ihrem gewissen Schicksal überlassen! . . . »Holden, Eure Gesinnung in Ehren, aber soweit geht meine Selbstlosigkeit nicht. Retten und halten könnt Ihr die zwei Narren schwerlich, sondern Ihr werdet mit ihnen zugrundegehen, das ist das Wahrscheinliche. Tut wie Euch dünkt, Ihr seid Euer Herr; wünsche Euch nur von Herzen, daß meine Befürchtung sich nicht erfüllt.«

Indianersommer. Die Landschaft unter zartem Goldduft, die Wälder in bunter Glut. Geheimnisvoll durchleuchtete Nebel erfüllen den Himmelsbogen, milder Glorienschein ruht auf den Weiten der abendlichen Wildnis. Die Nüsse fallen; die Tiere wandern; hoch unter den Herbstgestirnen rauschen die Heervölker der Nordwasser sehnsüchtig nach Süd. –

Einträchtig führen Boone und Stewart ihr brüderliches Jägerleben dahin. Wildbret in Überfluß, Früchte in paradiesischer Fülle, was sollten sie ernstlich besorgen? . . . Manchmal schleppten sie ihre Ballen frisch angesammelter Häute und Felle hinauf nach dem Blockhaus am roten Bache; kaltem Empfang folgte ein frostiger feindlicher Abschied. Die da droben trieben es noch immer nach ihrer Weise; Boone redete ihnen nicht mehr drein.

Er selbst und sein Gefährte bargen sich im Gehölz unter den Felsgalerien der Schluchten; da herein spähte so leicht kein Indianer, und jetzt genossen sie noch den Vorteil wärmerer Nächte, während kalte dunkle Winde schon durch die offenen Haine der Hochebene und hinweg über die schroffen Täler fegten. Aber nun wurde der Sonnenbogen flacher, rötlicher Rauch verschleierte und brach den fahlen Mittagsstrahl, seltsam überirdisches Licht lag auf der gealterten Welt; Kranich und Graugans zogen, Bruin der Bär hatte seinen schwarzen blanken 177 Pelz angetan, der Elk brunstete mit hohlpfeifendem Schrei, schauriger heulten die Totenwölfe – es wurde Zeit sich einzuwintern.

Eines Tages bei der Ernte von Pekan-Nüssen entdeckten die Freunde eine Höhle im Geklipp. Solcher Grotten gibt es hunderte und tausende in den Felsgalerien der kentuckyschen Täler, manche berühmt als Fundstätten großartiger Fossilien, andere als unversiegliche Salpeterkeller, da ihr Erdgrund oft bis zur Hälfte seines Gewichtes das unschätzbare Element abscheidet und ausgelaugt binnen wenigen Jahren aufs neue sich mit gleichem Gehalte schwängert. Diese Höhle nun in der Schlucht des Shawanee-Baches, einer von den ungezählten Stollen und Gängen, welche die kentuckysche Kalktafel durchklüften, erwies sich in anderer Weise als wahrer Schatz. Von der Talsohle her war ihr Tor nicht zu erspähen; ein Felsblock lehnte wie vorbereitet neben dem Eingang und war auf seiner eigenen Kante unschwer zu drehen. Kein schädlicher Ätzdunst von Guano oder tierischen Erden noch plutonisch aufsteigender Hauch der Tiefen verpestete Kammern, Gelaß und Saal, dessen zackiges Tropfgewölb in den düsteren Flackerschein entfachten Feuers alabastrisch glimmernd hinabstarrte, während die Schatten der beiden Jäger ungeheuer über die schründigen Wände wuchsen. Der Rauch zog durch innere Gesteinsklüfte und ferne Kamine ab; der erwärmende Luftstrom wehrte der Feuchtigkeit; das geröllige Flußbett drunten und die Felshalde herauf nahm keine verräterischen Spuren an. Es gab keine bessere Hausung in dieser Wildnis.

Und nun richteten die Freunde sich's urgemütlich ein. Kein Menschenpaar je war glücklicher als Boone und Stewart in ihrem festen Fuchsbau. Gefeiert zwar konnte nicht werden; es gab Arbeit, die Tage wurden kürzer, es galt Vorräte zu sammeln, auf daß man später dann bei wüstem Wetter nicht vor den Berg zu gehen brauchte. Von der Milde niederkentuckyscher Winter hatten die Hinterwäldler keine Ahnung; sie waren es nun einmal gewohnt, mit Büchse und Beil kälterer Jahreszeit vorzusorgen.

Eimer und ein mächtiger Trog wurden aus Stammholz gehöhlt. Dieser diente der Aufnahme von Salzwasser, das die beiden Klausner nächtens von einem nahen Lick der Hochebene holten und auf ihren Schultern den klippigen Steig herunter nach ihrer Burg trugen, ein mühseliges, aber unerläßliches Geschäft. Über gelindem Feuer oder an der offenen Luft verdampfte die Lake und ließ das kristallene Urgewürz in Krusten und Drusen an den Wandungen der Geschirre zurück. Mit solchem Waldsalz pökelten die Jäger Schinken und 178 Tatzen der herbstfeisten Bären, die sie zu ihrer Erholung nebenher erlegten; und da die Wunderkraft weiland Sankt Gallen ihnen nicht gegeben war, schleppten sie auch fleißig Holz nach ihrer Siedelei und kleideten den Grund der felsenen Halle mit Stapeln von Astwerk, Knorren, Kloben und Klötzen wohnlich aus. Abends dann saßen sie zufrieden am behaglich knackenden Höhlenfeuer, schliffen und bohrten den Geweihzacken zur Ahle, zwirnten und pichten mit Harz und Wildwachs die zerschliffene Hirschsehne zu Garn, besserten Mokassin und Wams, nähten fellene Zwerche zur Heimsung von Nüssen und süßen Gelbeicheln. Ihre Schatten regten sich groß über das schründige Gewölb, die steinernen Bärte der Berggeister hingen in den rauchigen Flackerschein herab, draußen durch die Schlucht weinte der graue Winterwind. –

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Die bleiche Sonne feiert ihren tiefsten Mittag; nun geht es auf den heiligen Christ, allein der rechte alte Winter mit grauwimmelnd eindämmernden Adventvorabenden und starrkristallklingenden Wolfsnächten voll Wunder und Ahnung will an den Kentucky nicht kommen. Immergrün wogt das Rohr in den leeren Hainen der Hochlandschaft; noch trägt die Weißeiche ihr treues Laub; unerschöpflich streuen die Bäume ihren reichen Fruchtsegen; schon überflort sich der rotblühende Ahorn mit bräutlichem Knospenschleier, und drunten in der Schoßwärme eingehegter Gründe bricht tausendblumiger Weihnachtsfrühling aus dem Waldmoder, aus Ritzen und Halden im klüftigen Kalkgestein. Unter hellem Himmel nur gerinnt bisweilen ein dünner Morgenfrost; flüchtig weißwirbelnd fegt mitunter ein Schneeschauer dem Höhlentor vorbei; die langen Regen rauschen, die Schluchtwasser brausen, tief in den Herzkammern des Berges pocht und schlägt geheimnisvoll der allgegenwärtige Lebensquell. –

Zwei Tage vor Heiligabend, just auf den Tag der blassen Wintersonnenwende streiften die Freunde nach dem Tale des Kentucky hinüber, vielleicht zur Bärenjagd, der sie schon den ganzen Herbst her mit besonderer Vorliebe obgelegen. Der Schwarzen mit der fahlen Schnauze – Muskwa nannte ihn der algonkinische Indianer – gab es in diesem Lande der Höhlen und Wildfrüchte überall erstaunlich viel. Ihre Erbeutung, bei häufigerem Vorkommen noch heute kein rühmenswertes Kunststück, war dem erfahrenen Hinterwäldler geradezu Kinderspiel. In Mannshöhe zerklaute und verbissene Stämme verrieten ihren sicheren Paß; brach dann der Schuß, so rutschten und fielen aus 179 dem Laubgewölk umstehender Bäume nicht selten Dutzende tieferschrockener Bären herab, nicht etwa zu vereintem Angriff, sondern um sich nach kurzer Betäubung eiligst davonzumachen.

Aber auch der rote Mann liebte den Muskwa und seine Jagd; wo der Grizzly oder »Krummrücken« fehlte, da galt schon das schwarze Fell als preisliches Beutestück eines Tapferen. Wertvoller freilich und begehrter als hundert Bärenhäute war der Balg eines anderen, weit gefährlicheren Raubtiers, der Skalp des Weißen; so dachten jene acht cherokesischen Krieger, die Boone und Stewart im dichten Rohr angeschlichen hatten und nun mit einemmal rings um sie her aufsprangen. Klugheit verbot Widerstand; die Grenzer streckten die Büchsen, ließen sich die Arme im Rücken fesseln und ergaben sich in ihr augenblickliches Schicksal.

Der Marsch ging nach dem Lagerplatz, dann nach Süden. Reden wurden nicht gewechselt, Blicke sagten alles, der stets gelassene Boone hielt die Augen offen. Fürs erste stand nichts zu befürchten, es sei denn von unkluger Gegenwehr; kein Stamm, der seine Gefangenen vor langer Beratung und umständlichen Zeremonien martert; das Behagen des Heimatdorfes gehört dazu, Genuß und Vorgenuß des Festes wollen künstlerisch verzögert und gesteigert sein.

Eine Lustbarkeit war die Zwangsreise deshalb freilich noch lange nicht. Über Nacht wurden die Freunde rücklings gegen einen Baum geriemt; morgens beim Aufbruch, abends beim Aufschlagen des Lagers mußten sie tüchtig anfassen; zu essen gab es wenig, von den Mahlzeiten der Indianer nur den Abfall. Aber Boones scheinbare Ergebenheit, von Stewart verstanden und nachgeahmt, schläferte das glimmernde Mißtrauen der Roten allmählich ein. Ohne Murren, ohne verdächtige Erregung fällten und spalteten die beiden weißen Männer das Holz zum Lagerbrand, zerwirkten sie gehorsam das angewiesene Wild. Boone selbst gab seinen Wächtern Messer und Beil zurück; einen ungeduldigen Fußtritt nahm er ruhig hin. Am vierten Abend schon verzichteten die Indianer darauf, ihre scheinbar harmlosen Gefangenen noch besonders bewachen zu lassen; nach langer Beratung mit anderen neu hinzugekommenen Stammesgenossen legten und hockten sich alle zum Schlaf, ohne auch nur, wie es sonst roter Kriegsbrauch, die Enden der nächtlichen Fesseln an den Gelenken der zunächst Kauernden zu befestigen und damit zu sichern.

Die acht gehörten offenbar zu einer größeren, in mehrere Jagdrotten aufgelösten Horde, deren Banden sich durch Läufer und Späher 180 untereinander verständigten. Am Arm solch eines vermutlichen Kundschafters sah Boone eine noch frische starke Wunde; nur von einem Weidmesser konnte sie herrühren. Düstere Ahnung stieg ihm auf: Finley, Monay, Holden! . . . Gewisses erfuhr er nie oder erst später nach manchem Jahr. Die Indianer erteilten ihm ihre Befehle in der allgemeinen üblichen Mischsprache der Grenze; ihre eigene Mundart war Boone unverständlich.

Fünf Tage lang hatte sich die Bande in Boones eigenen Revieren zwischen dem Kentucky und dem Leckenfluß umgetrieben; am sechsten Tage rüstete sie zu allgemeinem Aufbruch, die Packpferde wurden schwer mit Büffelhäuten beladen, andere Schwärme stießen herzu. Der Jäger hielt seine Stunde für gekommen. Vielhundertäugiger Wachsamkeit des ganzen wiedervereinigten Stammes zu entrinnen würde schwer halten; die größere Entfernung von bekannten, auf so vielen Zügen gründlich erkundeten Gebieten bedeutete vermehrte Gefahr. Unter der anbefohlenen Arbeit winkte er dem Freunde mit halber Braue; das war alles.

Der Mond schien hell in den offenen Wald, die Indianer schliefen. Der erfahrene Jäger sah nach den spärlich blinkenden Gestirnen; nicht vor tiefer Mitternacht wollte er den Streich wagen. Seiner ungemeinen Körperkraft gelang es, die Fesseln ohne merkliches Zerren und Zucken, bloß mit still schwellendem Druck seiner Muskeln und sacht anspannender Hebelgewalt lautlos zu sprengen. Er lauschte. Kein befiederter Kopf hob sich aus dem Dunkel; Dämmerschein verflackernden Brandes wob düster über die träumenden Gestalten; die Pferde rauften im Rohr, die Mondwölfe heulten, fern in schauernden Weiten dröhnten die wandernden Büffel. Schnell waren die Bande der Füße gelöst, bald auch die des Gefährten. Gepreßten Atems, das Herz im Halse krochen sie nach ihren Büchsen und Pulverhörnern. Es währte Ewigkeiten. Dort lag alles beisammen neben der Jagdbeute; Beil, Messer und Kugelbeutel fehlten nicht. Es gelang. Andere Ewigkeiten dauerte der Rückzug, Zoll für Zoll durch das grüne Rohr, Aug und Ohr jede Pore. Endlich nach stundenlanger Angst und Beherrschung lichtete sich das Ried. Im klaren Mondschein lag breit die offene Büffelstraße. Der Lauf der Fliehenden verhallte in silberner Herbstwinternacht. 181

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Die ganze Nacht eilen sie, und rastlos weiter den ganzen Tag bis ins Dämmergrau des folgenden Abends. Kenntnis der Täler, Gründe, Wasserläufe, Wildwege, Übergänge kommt ihnen nun zugut. Mit verlöschendem Licht erreichen sie ihren Bach, den später sogenannten Shawanee. Ohne Zögern treten sie in die Flut: das einzige Mittel, die Spur sicher zu verwischen. Der Himmel hat sich seit Mittag umdüstert, schwere Regen rauschen, das Wasser steigt den Watenden bis an die Brust. In tiefer strömender Nacht erkennt Boone die schroffe Klippenwand über der vertrauten Höhle. Naß und müd durch blindtriefende Finsternis tappen die Jäger die bebuschte Steinhalde hinan und sind im Felsen geborgen. –

Für Boone, den Unverwüstlichen, gab es auch jetzt noch keinen Schlaf; den erschöpften Freund ließ er ruhen, er selbst wachte getreu im Dunkel. Erst am Morgen, als Stewart zu scharfem Auslug genugsam gestärkt war, streckte er sich auf weichem Bärenfell zum Schlummer. Nichts geschah. Tagelang brauste der Regen, drunten der Bach schwoll zum donnernden Strom, Hochwasser verwusch alle Fährten in Geröll und Ufergesträuch. Zur nächsten Winterfrühe, nachdem die Klausner seiner lange genug sich enthalten, erhellte ein neues Feuer behaglich das zackige Gewölb; nach sechs Tagen, die sie bei gerösteten Eicheln und eingesalzenem Wildbret verbracht, zogen sie unter aufklärendem Himmel wieder auf Jagd aus.

Ihr Weg führte nach der Hochebene, zur Blockhütte droben am Lick. Sie stand leer, Bewohner und Vorräte waren verschwunden. Spuren eines Überfalls und Kampfes hatte das Wetter hinweggespült. Fern im Abenddunst der Salztränke riefen die tiefen Stimmen der Wildnis, die Wölfe heulten, im grünen Rohr klagte der Geisterwind.

 


 


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