Ludwig Fulda
Die Zwillingsschwester
Ludwig Fulda

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Zweiter Aufzug

Dieselbe Dekoration. In den Vasen statt der Blumen Blattpflanzen.

Erster Auftritt.

Lelio (reisefertig, ist am Tisch vorn links damit beschäftigt, allerlei Proviant in ein großes Felleisen zu packen). Pietro (hilft ihm. Dann) Orlando.

Pietro (reicht Lelio einen großen Schinken).
Der scheint von keiner magern Sau zu stammen.

Lelio (packt ihn ein).
Ein Musterschinken.

Pietro (schnuppernd).       Zarte Wohlgerüche!

Lelio. Jawohl, mein guter Pietro, kalte Küche,
Die hält auf Reisen Seel' und Leib zusammen.
        (Auf ein paar gebratene Hühner deutend.)
Nun das Geflügel. (Pietro packt sie ein.)

Orlando (kommt von rechts hinten).
                            Lelio, wie steht's? 65

Lelio. Nach Wunsch. In einer Viertelstunde geht's
Auf und davon.

Orlando.                 Nur ja kein Uebereilen:
Mäßigen Trab und ausgedehnte Rast.

Lelio. Seid unbesorgt; den Tag nur sieben Meilen;
Am fünften Abend in Florenz.

Orlando.                                     Du hast
Den Mundvorrat doch nicht zu karg bemessen?
Kein Wirtshaus steht im wilden Apennin.

Lelio (nach dem Tisch deutend).
Was dies betrifft, schaut, bitte, selber hin:
Dran könnt' ein ganzes Kriegsheer satt sich essen.

Orlando (ist näher getreten).
Unzweifelhaft. Bist du wohl ausgerüstet
Mit Waffen?

Lelio.                 Wie ein zünftiger Bandit.
Wen's nicht nach einem blut'gen Kopf gelüstet,
Der sucht das Weite, wenn er mich nur sieht.

Orlando. Nimm dir von meinen eigenen Pistolen
Noch eine mit! 66

Lelio.                     Schön Dank. Soll ich sie holen?

Orlando. Ich selber wähle sie dir aus. (Ab links vorn)

Zweiter Auftritt.

Lelio. Pietro. (Dann) Giuditta.

Lelio (zu Pietro, der alles eingepackt hat).   Nun schnür'
Behutsam zu. (Er geht zur Thür links hinten und ruft.)
                    Herrin, an Eure Thür
Pocht Euer Marschall . . .

Giuditta (innen).                     Gleich!

Lelio.                                               Und ist gewärtig
Jeglichen Winks.

Giuditta (im Reisekleid, kommt von links hinten).
                            Da bin ich – fix und fertig.

Lelio (zu Pietro, auf das Felleisen deutend).
Bring das zum übrigen.

(Pietro mit dem Felleisen ab rechts hinten.)

Giuditta (nachdem sie sich überzeugt, daß Pietro nicht mehr hören kann, rasch).
                                    Geschwind! Berichte! 67

Lelio. Bereit ist alles.

Giuditta.                   Gut.

Lelio (rasch).                     Ich trug
Viel Päcke von beträchtlichem Gewichte
Ins alte Jagdhaus, feinen Staat genug
Für sechs Prinzessinnen am Königshofe.

Giuditta. Vortrefflich.

Lelio.                           Eurer harrend findet Ihr
Dort auch bereits die neue Zofe,
Die glaubt, Ihr wärt . . .

Giuditta.                             Vorzüglich. Und von hier
Folgt uns nur Cecca. Lange will sie schon
Heiraten. Unterwegs mit reichem Lohn
Entlaß' ich sie.

Lelio.                     Dann, wenn wir eine Strecke
Die Straße nach Toscana sind geritten,
Noch eh des Guts Gemarkung überschritten,
Wird seitwärts abgeschwenkt zum Waldverstecke . . .

Giuditta. So recht. Verborgen hältst du dort die Pferde
Und dich dazu . . . 68

Lelio.                           Bis ich benötigt werde.

Giuditta. Dagegen ich, sobald ich neu gekleidet,
Steig' auf den fremden Gaul . . .

Lelio.                                             Der dort schon weidet.

Giuditta. Behend in einem großen Halbkreis reite
Ich durch den Wald, und von der Paduaner Seite
Komm' ich zurück . . .

Lelio (enthusiastisch).           Haha, da fehlt kein Deut!
Prachtvoll!

Giuditta (sieht Orlando eintreten; erschrocken).
                  Pst!

Lelio (im selben Ton).   Prachtvoll Reisewetter heut!

Dritter Auftritt.

Vorige. Orlando.

Orlando (von links vorn, mit einer Pistole, die er Lelio einhändigt).
Hier, nimm!

Giuditta (zu Lelio). Ruf Cecca mir. (Lelio ab links hinten.)
                                            Der Abschied naht,
Orlando. 69

Orlando (bestrebt, zärtlich zu scheinen).
              Ja, nur wenig Tage rauschten
Vorüber vom Entschlusse bis zur That.
Zum erstenmal, seit wir die Ringe tauschten,
Ziehst ohne mich du fort in blaue Weiten,
Und schweren Herzens übergeb' ich jetzt
Dich fremder Obhnt . . .

Giuditta (freudig überrascht).   Ei, zuguterletzt
Wirst du besorgt um mich . . .

Orlando.                                     Auf Schritt und Tritt
Möcht' ich am liebsten selber dich begleiten.

Giuditta. Das möchtest du?

Orlando.                             Ja.

Giuditta.                                   Thu's doch!

Orlando.                                                       Hm!

Giuditta.                                                               Komm mit!
Noch hast du Zeit.

Orlando.                     So lockend mir's erscheint . . .

Giuditta. Folg dieser Lockung! Ohne Zaudern reiche
Mir deine Hand und zieh mit mir vereint 70
Den wohlbekannten Weg; es ist der gleiche,
Aus dem du mich vor Jahren heimgeführt.
Wie damals prangt die Welt im Hochzeitskleide,
Vom Werbekuß des Frühlings leis berührt;
Wie damals schenkt er ihr ein Brautgeschmeide
Von tausend Blüten; Weihrauchdüfte steigen;
Der Feierchor ertönt von allen Zweigen.
Und auch für uns erneure sich das Fest!
Komm mit!

Orlando.           Unmöglich.

Giuditta.                             Und weshalb?

Orlando.                                                   Die Pflicht . . .

Giuditta. Fällt's einem Mann so schwer, ihr zu entlaufen?
Schlag ihr ein Schnippchen! (Näher und leiser.)
                                          Ja?

Orlando.                                         Du willst doch nicht,
Daß, wenn Renata kommt, ein leeres Nest
Sie hier empfängt?

Giuditta.                     Nun denn, ein Wort nur sprich,
Und meinen Vorsatz werf' ich übern Haufen.

Orlando. Wie?

Giuditta.         Wenn du wünschst, Orlando, bleib' auch ich. 71

Orlando. Und deine Mutter, der du schriebst . . .

Giuditta.                                                           Ich schreibe
Zum Widerruf, wenn du's verlangst,
Du habest mich in liebevoller Angst
Zurückgehalten . . .

Orlando.                       Angst war niemals Brauch
Bei meinem Stamm. Ward ich zum alten Weibe?
Nein, männlich werd' ich's überstehn.

Giuditta (schroff).                                   Ich auch!

Vierter Auftritt.

Vorige. Lelio (kommt von links hinten zurück mit) Cecca (die ein großes Bündel und auf dem Arm Mäntel und Decken trägt. Gleich darauf) Pietro, Lisa, Dienerschaft. (Dann) Ghita, Sandro.

Giuditta (sich zu Cecca wendend, in anderem Ton).
Cecca, wo bleibst du? Nichts vergessen?

Cecca.                                                         Nein.

Giuditta. Mein Mantel?

Cecca.                         Hier.

Giuditta.                             Die Schleier? 72

Cecca.                                                     Packt' ich ein.

Giuditta. Wo steckt mein Junge?

Cecca.                                       Ghita bringt ihn gleich.

Giuditta. Ach, dürft' ich auch noch den ins Bündel schnallen
Als liebstes Reisegut!

(Von rechts hinten sind aufgetreten: Pietro und mehrere männliche und weibliche Dienstboten. Gleich darauf Lisa von rechts über die Loggia.)

Giuditta (zur Dienerschaft).   Ein Wort euch allen:
Verseht in Treuen mein verwaistes Reich!
Daß ihr des Hauses Herrin ferne wißt,
Komm' eurem ehrbegier'gen Fleiß zu statten;
Insonderheit pflegt sorglich meinen Gatten,
Damit er mich nicht allzusehr vermißt,
Und . . .

(Ghita kommt mit Sandro von links hinten.)

Sandro (läuft zu Giuditta).
              Mutter . . .

Giuditta.                         Liebling, komm, sag mir ade!
Noch ist des Scheidens Schwermut dir verhüllt;
Noch ahnst du nicht, daß oft ein bittres Weh
Den Kelch der Liebe bis zum Rande füllt, 73
Du Glücklicher! Wenn morgen wir erwachen,
Du hier, ich hinter jenen Hügeln schon,
Dann grüßest du den Tag mit hellem Lachen,
Mit Thränen ich, weil mich der holde Ton
Nicht mehr erreicht und deines Atems Wehn.

Orlando. Du wirst in kurzer Zeit ihn wiedersehn!

Giuditta. Der Liebe scheint sie lang. (Zu Sandro.)
                                                Sei brav, sei klug!
Mach deinem Vater nicht zu viel Beschwerden;
Sag ihm: ich bin zwar noch nicht groß genug,
Dein Freund zu sein; doch will ich's einmal werden.
        (Zu Ghita.)
Du, Ghita, nun an Ceccas Platz gestellt,
Sei Licht und Wärme seiner kleinen Welt;
Behüt ihn wohl! Und jetzt . . .

Orlando.                                       Bis an die Grenzen
Des Guts geb' ich dir das Geleit.

Giuditta.                                         Ich bitte,
Sieh davon ab. Was ritterliche Sitte
Dir anbefiehlt, laß mich im Geist ergänzen.
Auf offner Straße scheiden – nein, das steht
Verliebten schlecht, auch wenn durchs Ehejoch
Sie längst gezähmt sind. (Bewegung Orlandos.)
                                    Und wie nah dir's geht, 74
Das weiß ich ohnedies. Du hebst am Thor
Mich in den Sattel . . .

Orlando.                           Sei's drum.

Giuditta (will gehen, besinnt sich und hält inne).
                                                  Eines noch:
Trifft meine Schwester ein, bevor
Ich heimgekehrt, nicht wahr, du wirst ihr sagen . . .

Orlando. Ich sag' ihr alles.

Giuditta.                           Wie sich's zugetragen,
Daß ihr mein Willkomm fehlt.

Orlando.                                       Verlaß dich drauf!

Giuditta. Und wie mich das betrübt.

Orlando.                                         Ich werd's ihr schildern.

Giuditta. Erklärend such' ihr meine Schuld zu mildern!

Orlando. Mein ganzes Redefeuer biet' ich auf.

Giuditta. Ersetz durch Gastlichkeit ihr tausendfalt
Die Heimat! 75

Orlando.             Unbesorgt. – Du schreibst mir bald?

Giuditta. Sehr bald.

Orlando.                 Grüß deine Mutter!

Giuditta.                                               Dank!

Orlando.                                                         Und wisse:
Du sollst, nachdem sie lange dein geharrt,
Ihr nicht verkürzen deine Gegenwart.
Nein, übereile deine Wiederkehr
Nicht wegen thörichter Gewissensbisse!

Giuditta (sieht ihn gekränkt an, unterdrückt eine Erwiderung, sagt statt dessen ruhig).
Und du – langweile dich nicht allzusehr.

(Sie thut, als wolle sie noch einmal zu Sandro eilen, besinnt sich aber, wirft ihm nur noch eine innige Kußhand zu; dann zu Lelio und Cecca.)

Kommt!

(Sie geht, von Orlando begleitet, ab rechts hinten. Cecca folgt. Auch Pietro und die Dienerschaft folgen langsam nach.)

Sandro (Giuditta nachrufend).
                Mutter, bleib!

Ghita (nimmt ihn bei der Hand). Nur still; sie kehrt bald wieder.

(Sie geht mit ihm ab links hinten.) 76

Fünfter Auftritt.

Lelio (ist mit) Lisa (zurückgeblieben. Dann) Orlando.

Lelio. Lisa, leb wohl!

Lisa (sich die Augen trocknend, weinerlich).
                          Ach, Gott!

Lelio.                                         Und sei mir treu.
Begreifst du, was das heißt?

Lisa.                                         Ach, Gott!

Lelio.                                                         Verkehre
Mit allem, was da männlich ist, voll Scheu;
Vor jedem Schnurrbart schlag die Augen nieder!

Lisa. Ach, Gott!

Lelio.                 Gedenke stündlich meiner Ehre,
Und will ein übermütiger Patron,
Ein Dieb, ein Schelm, ein Räuber sie stibitzen . . .

Lisa. Ach, Gott!

Lelio.                 Dann klopf ihm auf die Fingerspitzen! 77

Orlando (ist von rechts hinten zurückgekommen, hat die letzten Worte gehört).
Nun, Lelio? Vorausgeritten schon
Ist meine Gattin . . .

Lelio (zu Lisa).                 Siehst du? (Zu Orlando.)
                                              Nehmt's nicht schief!
Die Liebe . . .

Orlando.               Flink!

Lelio (küßt sie).                 Ich drück' auf deinen Mund
Ein unverletzlich Siegel.

Lisa.                                   Bleib ge . . . sund!

(Lelio schnell ab rechts hinten.)

Sechster Auftritt.

Orlando. Lisa.

Orlando (geht mit großen, langsamen Schritten einmal auf und ab, bleibt dann stehen und sieht Lisa nach, die, ihr Tüchlein vor die Augen haltend, über die Loggia abgehen will).
Hm – (Er ruft.)
          Lisa . . .

Lisa (wendet sich um). Herr? 78

Orlando.                           Erschüttert's dich so tief?

Lisa. Ach ja, mein Mann . . .

Orlando.                               Willst du dich an ihn klammern
Wie'n Schoßkind?

Lisa.                           Ach, er ist . . . so gut . . .

Orlando.                                                           Sei froh.

Lisa. Er ist so . . . zärtlich . . .

Orlando.                               Hübscher Grund, zu jammern!

Lisa. Ach, aber . . .

Orlando.                 Aber was?

Lisa.                                       Er . . . liebt mich so!

Orlando. Unstreitig.

Lisa.                       Nirgends fänd' ich einen . . . Bessern.

Orlando. Gewiß. 79

Lisa.                   Nun ist er fort.

Orlando.                                   Ergieb dich drein.

Lisa. Ganz . . . fort!

Orlando.                 Er geht ja nicht zu Menschenfressern.

Lisa (in Schluchzen ausbrechend).
Ach Gott, ach Gott, nun bin ich . . . ganz allein.

Orlando. Hm! Ganz allein? Das nenn' ich übertreiben.
Komm her. – Noch näher. – Näher noch. – Ganz nah.
Gieb mir dein Tuch.

Lisa (ist zögernd zu ihm gekommen, reicht es ihm).
                              Warum?

Orlando.                                     Die dicke Thräne da
Will ich dir schleunigst von der Wange reiben;
Sonst wird die Rosenfarbe bleich.

Lisa (besorgt).                                     Ist's wahr?

Orlando. Und an den Wimpern, richtig, noch ein paar . . .
Halt still; die muß man trocknen – auf der Stelle.

Lisa. Weswegen?

Orlando.             Sonst versiegt die Strahlenquelle;
Der Glanz wird fahl, die Blicke trüb und hohl . . .

Lisa. So?

Orlando. Freilich.

Lisa.                     Sind nun alle . . . weg?

Orlando.                                                 Jawohl.

Lisa. Mein Tuch . . .

Orlando (giebt es ihr). Hier ist's.
        (Ihre Hand in der seinen haltend und streichelnd.)
                                        Ein Händchen, weich wie Samt.

Lisa. Der schöne . . . Ring! Huh, wie die Steine . . . blitzen!

Orlando. Nicht halb so feurig, wie dein Auge flammt.

Lisa. Kostbar!

Orlando.         Wünschst du solch einen zu besitzen?

Lisa (mit ihrem verschämten Lachen).
Hähä. 81

Orlando.   Du meinst, ich scherze? – Zeig einmal.

Lisa. Was denn?

Orlando.             Ob er zu diesem Händchen paßt.
        (Er steckt ihn ihr an.)
Nicht übel.

Lisa.                 Prachtvoll.

Orlando.                           Nur zu weit. (Er zieht sie an sich.)

Lisa.                                                     Ach, laßt!

Orlando (ihr den Ring wieder abnehmend).
Dies schlanke Fingerlein ist ihm zu schmal.
Sag, möchtest du genau den gleichen haben?

Lisa (will sich losmachen).
Laßt doch!

Orlando.           Du möchtest nicht?

Lisa.                                               Nein.

Orlando.                                                 Ohne Spaß.

Lisa. Genau den . . . gleichen? 82

Orlando.                                 Nur von engerm Maß.

Lisa. Wo habt Ihr den?

Orlando.                       In einem Schrank vergraben.
Du hast den Schlüssel.

Lisa.                                 Ich?

Orlando.                                 Ja, du, mein Kind.
Komm heute, wenn die Dämmerung beginnt . . .

Lisa. Wohin?

Orlando.       Hierher.

Lisa.                           Weshalb?

Orlando.                                   In meinem Schranke
Mit mir den Ring zu suchen.

Lisa.                                         Nein.

Orlando.                                           Recht schad.

Lisa. Und käm' ich doch, was . . . dann? 83

Orlando.                                               Ei nun, zum Danke
Würd' ich ihn dir verehren.

Lisa.                                       In der That?

Orlando. Du kommst?

Lisa.                           Nein, . . . niemals.

Orlando.                                                 Nur auf einen Sprung.

Lisa. Mir wäre . . . bang . . .

Orlando.                             Allein zu sein, macht bänger.

Lisa. Ihr sagtet, bei Beginn der . . . Dämmerung?

Orlando. Ganz recht.

Lisa.                         Ein . . . . Viertelstündchen.

Orlando.                                                           Gut.

Lisa.                                                                         Nicht länger!

Orlando (sie an sich ziehend).
Behüte! 84

Lisa.             Nicht doch!

Orlando.                         Wie das Herzchen bebt –
Ich fühl's.

Siebenter Auftritt.

Orlando. Parabosco.

Parabosco. (kommt lebhaft durch die Thür rechts hinten).
                Nachbar, hier bin ich . . .
        (Er bemerkt die Gruppe.)             O, vergebt!

Orlando. Willkommen, Freund! (Leise zu Lisa.)
                                        Halt Wort!
        (Lisa eilt über die Loggia ab. Orlando zu Parabosco.)
                                                          Grad wie gerufen!

Parabosco.. Unangebrachte Höflichkeit! Ihr dürft
Ruhig gestehn, daß Ihr die ganzen Stufen
Der Treppe jetzt mich gern hinunterwürft.
Ich Esel! Konnt' ich nicht erst schüchtern pochen?

Orlando. Nein, wahrlich, eben war ich im Begriffe . . .

Parabosco. Nach mir zu senden?

Orlando.                                   Ja. 85

Parabosco.                                     Wozu die Kniffe?
Ich freue mich, daß Ihr das Rätsel löstet,
Um das Ihr kürzlich Euch den Kopf zerbrochen.
Was? Oder nicht?

Orlando.                   Ich hab' sie nur getröstet.

Parabosco (ungläubig).
Ach?

Orlando.   Weil ihr Mann auf Reisen sich begab.

Parabosco. Und Eure Gattin auch.

Orlando.                                       Ihr wißt?

Parabosco.                                                   Ich bin
Grad auf der Straße nach Toscana beiden
Begegnet, hoch zu Roß, in flottem Trab.

Orlando. Wieso gerietet Ihr dorthin?

Parabosco. Ei, sakrament, Ihr fragt recht unbescheiden.
Doch ohne falsche Scham sei's Euch bekannt:
Mein jüngstes Glück bezahlt' ich etwas teuer;
Das allerliebste kleine Ungeheuer
Ist mir mit meinem Hofkoch durchgebrannt. 86

Orlando. O weh!

Parabosco.           Darum hätt' ich ihr nicht gegrollt;
Jedoch viel Silberzeug, mir überkommen
Von meinen Vätern, und viel schweres Gold
Hat sie zum Angedenken mitgenommen.

Orlando. Blitz!

Parabosco.       Das verstärkte meinen Schmerz erheblich.
Ich setzt' ihr bis Rovigo nach: vergeblich.
Dann kehrt' ich um und sagte mir: Laß laufen,
Und statt zu fluchen, lach aus vollem Hals;
Denn Gold und Silber kannst du wiederkaufen
Und solch ein Ungeheuer ebenfalls.

Orlando. Höchst philosophisch.

Parabosco.                               Als von ungefähr
Nun Frau Giuditta mir entgegenkam,
Da dacht' ich mir: Einsam ist nun auch er;
Wie, wenn wir gegenseitig uns den Gram
Zu lindern suchten?

Orlando.                       Trefflicher Gedanke!
Wir spülen ihn mit einem guten Tranke
Langsam hinunter. 87

Parabosco.                 Top! So spricht ein Mann.

Orlando (ist zur Thür rechts hinten gegangen, ruft hinaus).
He, Pietro, Pietro! – Bring uns einen Humpen
Vom ältesten Falerner! –

Parabosco.                           Schau mal an:
Mein Freund und Nachbar läßt sich heut nicht lumpen.
Als ich das letzte Mal sein Haus betrat,
War er versenkt in düstere Mysterien,
Und heut . . .

Orlando (heiter).   Ja, Freund, befolgend Euren Rat,
Schafft' ich mir auf ein Weilchen Eheferien.

Parabosco. Meint Ihr, ich roch den Braten nicht? So schlau
Bin ich allein! Ihr habt wohl Eurer Frau
Eindringlich eine Pilgerfahrt empfohlen . . .

Orlando. Nein, edelmütig hab' ich ihr erlaubt,
Die Mutter zu besuchen.

Parabosco.                           Und sie glaubt . . .?

Orlando. Ich hätte selbstlos ihrem Wunsch willfahrt. 88

Parabosco (lachend).
Haha, der Kuckuck soll mich holen,
Das ist ein Streich von auserles'ner Art!

(Pietro kommt von rechts hinten mit einem Humpen und zwei Bechern, stellt sie auf den Tisch und geht wieder ab.)

Orlando. Ja, weiß der Himmel, endlich eine Pause
Im trägen Eheglück! Die that mir not!
Zu lau ward mir die Luft in meinem Hause;
Ich hatt' am ehrenwerten trocknen Brot
Der Sittsamkeit den Magen mir verdorben;
Fast wär' ich, abseits aller Lebensfülle,
Im Käfig einer friedlichen Idylle
An Tugendüberfütterung gestorben.
Doch nun ist mir zu Mut wie einem Jungen,
Der auf der Schulbank Jahr um Jahr gehockt
Und plötzlich in den grünen Wald entsprungen.
Das Blut, das in den Adern flau gestockt,
Schäumt wieder lustig auf; die Pulse klopfen
In schnellerm Takt . . .

Parabosco (wirft dem Humpen lüsterne Blicke zu).
                                  Zumal, wenn solch ein Tropfen
Das Feuer anfacht.

Orlando (zum Tisch tretend).
                            Richtig, unser Wein!
Trinkt, Nachbar! 89

Parabosco.
                          Gern. Erst aber schenkt mir ein.

(Sie setzen sich an den Tisch, einander gegenüber, Parabosco links, Orlando rechts.)

Orlando (einschenkend).
Wohlauf, so widmen wir den ersten Schluck
Der Freiheit. Nur wer mit verwegnem Ruck
Sich aller Zäum' und Fesseln hat entledigt,
Vermag sich treu zu bleiben.

Parabosco.                                 Meine Predigt.

Orlando. Auch meine nun. Die Freiheit! (Er trinkt.)

Parabosco.                                           Ja, sie lebe
        (Er trinkt und schnalzt mit der Zunge.)
Und mög' uns täglich einen Trunk bescheren
Von dieser höchst verführerischen Rebe.

Orlando (wieder einschenkend).
Und einen zweiten Becher laßt uns leeren
Auf unsre Männerfreundschaft, die den Segen
Der Freiheit uns verdoppelt!

Parabosco.                                 Unbestritten.
        (Sie trinken. Parabosco, einschenkend.)
Nur schlag' ich vor, wir leeren einen dritten
Auf unsre Weiberfreundschaft. 90

Orlando.                                         Meinetwegen.

(Sie trinken.)

Parabosco. Denn alle holden Weiberchen zusammen,
Dieweil sie ja von unsrer Rippe stammen,
Sind unser angebornes Eigentum,
Und ich an Adams Stelle, seht,
Ich hätte meinen Schöpfer angefleht:
Nimm, lieber Gott, mir noch ein Dutzend Rippen
Und wandle sie so schnell wie möglich um
In weiche Glieder und in rote Lippen.

Orlando. Da stimm' ich zu.

Parabosco.                         Hoch jede stille Zweiheit!
Was hättet ihr von der gepries'nen Freiheit,
Wenn jenes Mäuslein, das vorhin entschlüpfte,
Sie nicht versüßen wollte?

Orlando.                                 Fehlgegangen.
Meint Ihr, daß ich aus meinem Käfig hüpfte,
Nur um ein solches Spielzeug mir zu fangen?
Dies schmucke Kind, weil's grade mir zu Handen,
Ist zwar ein wünschenswerter Zeitvertreib,
Doch nicht das Ziel der Freiheit, nicht das Weib,
Das mich noch einmal alles Frühlingsbranden
Empfinden läßt und alle Kampfeskraft. 91

Parabosco. Ei, frisch drauf los! Dergleichen ist zu haben,
Und obendrein in unsrer Nachbarschaft.
Laßt uns gemeinsam nach Venedig traben . . .

Orlando. Wann?

Parabosco.         Bald.

Orlando.                     Warum auch nicht? Ich bin dabei.

Parabosco. Wetter, an Auswahl wird's Euch dort nicht mangeln.

Orlando. Das glaub' ich gern.

Parabosco.                           Ein Pärlein wie wir zwei
Hebt dieses ganze Sodom aus den Angeln.

Orlando. Versteht sich.

Parabosco.                   Mir genügt bequeme Beute,
Gestern erjagt und abgeschüttelt heute;
Doch zieht Ihr vor, nach Edelwild zu spüren,
Wollt Ihr Gefahr und List und Herzensqual,
Strickleitern, Blendlaternen, Hinterthüren,
Hitzige Nebenbuhler, eine Nacht
Im ersten besten Wandschrank zugebracht,
Kurzum des Teufels ganzes Arsenal . . . 92

Orlando. Ich will noch mehr.

Parabosco.                           Noch mehr?

Orlando.                                                 Mit beiden Armen
Umschlingen meine Jugend, eh sie flieht!

Parabosco. Holla, kennt Ihr das wunderschöne Lied?

Orlando. Singt mir's!

Parabosco.               Ich singen? Gott soll sich erbarmen.

Orlando. Singt mir das Lied!

Parabosco.                           Wenn Ihr darauf besteht . . .
        (Er gröhlt.)
»Die Jugend, trallala; die Jugend, trallala; die Jugend, trallala.«
Nun, wie gefällt Euch das?

Orlando.                                 Es scheint sehr heiter.

Parabosco. »Die Jugend, trallala; die Jugend, trallala . . .«

Orlando. Fahrt, bitte, fort! 93

Parabosco.                       So geht's nun immer weiter.

Orlando. Gottlob, wenn Jugend ewig weitergeht!

Beide (vom Wein erhitzt, singen).
»Die Jugend, trallala; die Jugend, trallala . . .«

Achter Auftritt.

Vorige. Domenico.

Domenico (älterer Mann, kommt atemlos von rechts hinten, ruft in den Gesang hinein).
Gnädiger Herr . . . Gnädiger Herr . . .!

Orlando (bricht ab und dreht sich unwillig um). Was giebt's?
Wer stört uns?

Domenico.             Ich – Domenico. Beliebt's
Dem gnäd'gen Herrn . . .

Orlando.                               Wie könnt Ihr's wagen, Alter,
Unangemeldet hier hereinzubrechen?!

Domenico. Ich soll ja doch . . . 94

Orlando.                                 Ich bin jetzt nicht zu sprechen.
Wir sind beschäftigt.
        (Er kehrt ihm, sich wieder zu Parabosco wendend, den Rücken.)

Parabosco (trinkend).       Sehr beschäftigt, – ja. –
Wer ist denn dieser Schreihals?

Orlando.                                       Der Verwalter
Von meinem Vorwerk halbwegs Padua.

Domenico (ist an der Thür stehen geblieben; kleinlaut).
Ich soll ja doch . . .

Orlando.                       Ihr seid noch hier?!

Domenico.                                                 Ich bin
Doch hergeschickt von Eurer Schwägerin.

Orlando. Von wem?

Domenico.               Der Schwester Eurer Gattin.

Orlando.                                                             Was?

Domenico. Fräulein Renata. 95

Orlando. (aufspringend).       Mensch, warum denn habt Ihr das
Nicht gleich gesagt?

Domenico.                   Ich gab mir große Mühe;
Doch . . .

Orlando.         Weiter!

Domenico.                 Von Sicilien übers Meer
Kam sie . . .

Orlando.           Potztausend, schon!

Domenico.                                     Ja, gestern in der Frühe
Entstieg sie zu Venedig ihrem Schiff.

Orlando. Wo ist sie jetzt? Kommt sie noch heut hierher?
Redet!

Domenico.   Als ich vorhin, nichts Arges denkend,
In meinem Gärtchen meine Sense schliff,
Da, von der Paduaner Straße schwenkend
In unsern Gutsweg, hör' ich Pferdehufe . . .

Orlando (ungeduldig).
Nur vorwärts!

Domenico.           Wachsam spring' ich auf und rufe:
Wer da? Sogleich guckt etwas übern Zaun; 96
Ich denk', es ist die gnäd'ge Frau; denn traun,
So was von fabelhafter Aehnlichkeit
Ist noch nicht dagewesen!

Orlando.                               Ja, das weiß ich.

Domenico. Doch sie, mit lautem Lachen, spricht: »Ihr seid
Im Irrtum, guter Mann; Renata heiß' ich
Und bin die Zwillingsschwester. Bitte, lauft
Zum Schloß und sagt, ich folgt' Euch auf dem Fuße,
Wenn sich mein lahmer Mietsgaul ausgeschnauft.«

Orlando. Euch auf dem Fuß?! Schnell, trommelt mir den Schwarm
Der Dienerschaft zusammen; schlagt Alarm!
Man sattle mir den Fuchs! Ich will zum Gruße
Entgegenreiten.

Domenico.             Gleich! (Rasch ab rechts hinten.)

Orlando (zu Parabosco).       Verzeiht, mein Bester . . .

Parabosco (der, behaglich trinkend, am Tisch sitzen geblieben ist, steht auf).
Mein Liebster, thut, als wär' ich nicht vorhanden.
Zwar find' ich's rücksichtslos von dieser Schwester,
Daß sie grad jetzt . . . 97

Orlando.                         Darauf war ich gefaßt;
Nur hab' ich's meiner Frau nicht zugestanden.

Parabosco. Die wär' sonst hier geblieben!

Orlando.                                                 Zuverlässig.

Parabosco. Und mit den Eheferien war es Essig.

Orlando. Jawohl.

Parabosco.           Das habt Ihr herrlich abgepaßt!

Orlando. Nicht wahr? Die Schwäg'rin . . .
        (Zu Pietro, der von rechts hinten schnell eintritt.)
                                                        Meinen Hut und Degen!
        (Pietro ab links vorn.)
. . . mag sich hier gütlich thun; was liegt daran?
Ich bin und bleibe doch ein freier Mann:
Ihr brauch' ich Rechenschaft nicht abzulegen.

Parabosco. Sehr richtig.

Orlando (zu Pietro, der von links vorn mit Hut und Degen zurückkommt).
                                Gieb!

(Pietro ab links vorn.) 98

Parabosco (den Humpen ergreifend). Wollt Ihr nicht auf den Schreck
Noch einen Becher . . .?

Orlando (den Degen an die Seite steckend).
                                    Nein.

Parabosco (schenkt sich ein).           So trink' ich aus.

(Er trinkt stehend und summt vor sich hin: »Die Jugend, trallala . . .«)

Orlando. Gut.

(Er will zur Thür rechts hinten eilen; durch diese kommen ihm nacheinander drei seiner Diener entgegen, alle mit großen Bündeln und sonstigen Gepäckstücken beladen. Er weicht verblüfft einen Schritt zurück.)

                Was ist das?

Erster Diener.                     Gepäck.

Zweiter Diener (im Auftreten).             Gepäck.

Dritter Diener (ebenso).                                   Gepäck.

Orlando. Wessen?

Erster Diener.       Des Fräuleins.

Orlando.                                     Ist sie schon im Haus?! 99

Erster Diener. Ja.

Orlando (erschrocken).
                    Donner!
        (Zu den Dienern, auf die Thür rechts vorn deutend.)
                                  Hier hinein.

(Die Diener mit dem Gepäck ab rechts vorn.)

Parabosco (ihnen nachsehend).               Ein ganzes Warenlager!

Orlando (ist zur Thür rechts hinten geeilt).
Ich . . .

Parabosco (ruft ihm zu, nach der Loggia deutend, wo er die Auftretenden schon gewahrt).
            Halt, spart Euch den Weg! Sie kommt von dort.

Neunter Auftritt.

Orlando. Parabosco. Giuditta. Angiolina.

Giuditta (von Angiolina gefolgt, die ihr ein Täschchen und einen Mantel nachträgt und zunächst im Hintergrund bleibt, kommt schnell von rechts über die Loggia. Sie hat ersichtlich alles gethan, um ihre äußere Erscheinung zu verändern, ihr einen mehr flotten, mädchenhaften Charakter zu geben. Sie trägt ein kokettes Reisekostüm; ihr nunmehr gebranntes und aufgestecktes Haar ist diskret heller gefärbt. Auch in ihrem ganzen Auftreten, ihren Bewegungen, ihrer Sprechweise entfaltet sie eine feine, niemals komödiantische Verstellungskunst. – Sie eilt die Stufen herab und – scheinbar ohne Orlando zu bemerken – geradeswegs auf Parabosco zu, schüttelt ihm herzlich die Hand und spricht im raschesten
Tempo)
.
Gott grüß' Euch, mein geliebter, teurer Schwager!
Endlich, ach, endlich am ersehnten Ort! 100
Mein jahrelanger Traum erfüllt! Ich drücke
Die starke, treue, segensreiche Hand,
Die meine Schwester hob zum höchsten Glücke.
So, grade so stellt' ich den Mann mir vor,
An den Giuditta schnell ihr Herz verlor:
So kriegerisch gebräunt vom Sonnenbrand,
So vornehm, stolz und kühn! Ich hätt' unstreitig
Euch unter Tausenden sofort erkannt.

Parabosco (sucht vergeblich, sie zu unterbrechen).
Ich . . .

Giuditta.     Sagt es nur heraus, Ihr habt so zeitig
Mich nicht erwartet. (Mit raschem Blick nach dem Tisch.)
                              Und ich unterbreche
Noch überdies ein fröhliches Gezeche.

Parabosco (wie oben).
Ich . . .

Giuditta.     Ja, geliebter Schwager, meinem Drang,
Euch und Giuditta bald zu sehen, schien
Der Landweg um ein gutes Stück zu lang.
Deshalb der Seekrankheit und den Korsaren
Trotz bietend bin ich übers Meer gefahren;
Ein günst'ger Wind hat Flügel mir verliehn –
Und nun – wo ist Giuditta? Sagt mir schnell:
Wo find' ich sie? Hat sie denn nicht vernommen,
Daß . . . 101

Parabosco.   Fräulein, laßt mich doch zu Worte kommen!
So sehr mich Euer Händedruck erquickte,
Ich bin Graf Parabosco, Junggesell
Und Eures Schwagers Freund. Er selber steht
Hier nebenan.

Giuditta (scheinbar verwirrt, wendet sich Orlando zu).
                        O Gott, ich Ungeschickte!
Wie konnt' ich . . .

Orlando (hat seit ihrem Eintreten sie in höchster, sprachloser Verblüffung angestarrt).
                              Das ist ungeheuerlich!
Das ist undenkbar! – –

Giuditta.                           Teurer Schwager, leicht
Erklärlich war mein Fehlgriff; denn Ihr seht
So jung noch aus . . .

Parabosco.                       Recht schmeichelhaft für mich.

Giuditta (zu Orlando)
Entschuldigt, und . . .

Orlando.                         Unmöglich! Nein, so gleicht
Kein Wesen einem andern. Wuchs, Gebärden,
Antlitz und Blick und Stimme . . . 102

Giuditta (ausgelassen).                         Und die Nasen,
Nicht wahr, die gleichfalls?

Orlando.                                 Blitz, ich werde toll!

Giuditta (lachend).
Haha, mein Schicksal ist Verwechseltwerden,
Erst von den Eltern, Nachbarn, Vettern, Basen
Und nun auch noch vom Schwager. Wundervoll!

Orlando (stammelnd).
Ihr könnt verstehn . . . du kannst . . .

Giuditta.                                                 Wohl, ich verstehe
Eure Verwundrung, doch nicht Euer Säumen,
Sie schleunigst aus dem Weg zu räumen.
Laßt doch Giuditta rufen oder bringt
Mich zu ihr! Wenn Ihr uns in nächster Nähe
Nebeneinander schaut, dann ist zu hoffen,
Daß Euch die Sonderung gelingt,
Zum mindesten nach unsern Kleiderstoffen.
Ihr zögert? Ruft sie!

Orlando.                       Wen?

Parabosco.                             Gott steh' uns bei!
Fräulein, was habt Ihr angerichtet, teils
Durch Aehnlichkeit und teils durch Hexerei! 103
Da steht mein armer Freund erstarrt, betäubt
Wie von dem Anprall eines Donnerkeils;
Sein Mund halb aufgesperrt, sein Haar gesträubt
Und seine Zunge sprachlos, wie gelähmt
Am Gaumen klebend.

Giuditta (bedauernd).         O . . .!

Parabosco.                                 Deshalb vernehmt
Von mir: Eure Frau Schwester ging auf Reisen.

Giuditta (scheinbar bestürzt).
Wie? Was? Giuditta fort?! – Schwager, ist's wahr?

Orlando (dessen Verblüffung allmählich in Zweifel übergeht).
Hm, allerdings . . .

Giuditta.                     O, das enttäuscht mich tief!
Empfing sie denn nicht meinen Brief?
Mußt' ihr darin nicht jedes Wort beweisen,
Wie mächtig meine Sehnsucht . . .

Parabosco.                                         Offenbar
Hat sie geglaubt, Ihr träft so bald nicht ein.

Orlando. Sie mußte . . .

Giuditta.                       Wie – sie mußte? War sie krank? 104

Parabosco. Durchaus nicht.

Giuditta.                             Oder gab es hier 'nen Zank?
Sie war so glücklich doch! – 'nen Kummer?

Parabosco.                                                       Nein.

Giuditta. Doch ich, in welche wunderliche Lage
Bin ich dadurch versetzt! – Mein Schwager, sprecht,
Wohin ist sie gereist?

Orlando (mit Beobachtung). Zum Namenstage
Der Mutter.

Giuditta.           Zum geliebten Mütterlein?
Dann freilich, ja, dann hat sie zehnmal recht!
Der Mutter gönn' ich vollgemessen
Dies Glück nach vielem Leid und will mich nimmer
Beschweren.

Orlando.             So bequemt Euch unterdessen,
Mit mir vorlieb zu nehmen.

Giuditta.                                 Gern.

Orlando. Fühlt Euch zu Haus!

Giuditta.                                 Wo find' ich meine Zimmer? 105

Orlando (geht zur Thür rechts vorn, öffnet sie)
Hier.

Giuditta.   Denn um Urlaub bitt' ich nun die Herrn,
Den Reisestaub ein wenig abzustreifen.
Wahrlich, mein lieber Schwager, von Messina
Hierher in einem Zug – Ihr müßt begreifen,
Das ist kein Katzensprung. – Komm, Angiolina.

(Sie geht ab rechts vorn. Angiolina folgt ihr.)

Zehnter Auftritt.

Orlando. Parabosco.

Parabosco (ihnen nachsehend).
Ein flottes Weib, Herr Nachbar, Schwerenot,
Ein äußerst flottes Weib, die Schwägerin!
Und dieses Zöflein mit dem Schelmenkinn
Und den Gazellenaugen . . .

Orlando (hat gleichfalls nachgestarrt, wendet sich in großer Erregung um).
                                            Schlagt mich tot,
Wenn ich jetzt klüger als ein Heupferd bin!
In meinem Kopf gehn zwanzig Mühlenräder!
Darf man den eignen Augen trau'n? Entweder
Ich bin Orlando nicht, Ihr nicht mein Freund,
Dies Schloß ein Spuk, von leerer Luft umzäunt,
Oder das geht nicht zu mit rechten Dingen! 106
Natur vermag nicht zweimal so genau
Das nämliche Geschöpf hervorzubringen!
Wer sprach mit uns? Wer stand auf diesem Fleck?
War's meine Schwäg'rin oder meine Frau?

Parabosco. Im Ernst, Ihr denkt . . .?

Orlando (grübelnd).                           Nein, nein, 's wär' aberwitzig . . .
Ward ihres Kommens Richtung von dem Alten
Uns nicht bezeugt? Die Zofe . . . das Gepäck . . .

Parabosco. Nachbar, vom Wein ward Euer Hirn zu hitzig.

Orlando. Hab' ich den Brief nicht in der Hand gehalten,
Drin selbst sie den Besuch voraus verkündet?

Parabosco. Doch immerhin, wenn etwa böse Geister
Zum Schabernack sich gegen Euch verbündet . . .

Orlando. Ach, was! – Sind Cecca und mein Jägermeister
Mit meiner Frau zusammen Euch im Trab
Auf der Toscaner Straße nicht begegnet?

Parabosco. Freilich.

Orlando (giebt sich einen Ruck).
                          Nun also!

Parabosco.                               Drum, statt Euch so gräßlich
Den Schädel abzumartern, preist und segnet
Den Herrgott, der sich zweimal Mühe gab!
Die Schwestern ähneln sich . . .

Orlando.                                         Ganz unermeßlich!

Parabosco. Das find' ich keineswegs.

Orlando.                                           Wie?

Parabosco.                                                 Nein, ich wette,
Die zwei würd' ich sogar bei Finsternis,
Wenn ich nur einmal sie gesehen hätte,
Niemals verwechseln.

Orlando.                         Glaubt Ihr?

Parabosco.                                       Ganz gewiß.
Und wollt Ihr ein Exempel haben,
Daß die Natur oft noch viel toller spielt:
Zwei Onkel hatt' ich, zwei vergnügte Knaben,
Die sich in ihrem Wesen und Erscheinen
So gänzlich glichen, daß die Frau des einen
Stets alle zwei für ihren Gatten hielt.

Orlando. Seltsam! War mir dies alles nicht geläufig?
Ein ganzes Schock possierlicher Geschichten 108
Hört' ich im Haus der Mutter ja berichten
Von ihrer Töchter Aehnlichkeit. Wie häufig
Hab' ich an all den Schnurren mich ergetzt,
Ja, selbst sie lachend nacherzählt – und jetzt,
Wo mir der Augenschein handgreiflich nur
Bestätigte, was ich erwartet, fuhr
Mit einemmal der Zweifel in mein Haupt,
Und lieber ließ ich die Gedanken gleiten
Durch einen Ozean von Schwierigkeiten,
Als daß ich glaubte, was ich stets geglaubt.
        (Mit plötzlichem Einfall.)
Doch halt nur, halt . . .!

Parabosco.                         Was giebt's denn?

Orlando.                                                       Mein Gedächtnis
Versuch' ich aus dem Halbschlaf aufzuwecken:
Der Schwester ist als mütterlich Vermächtnis,
So hört' ich, ein Erkennungsmerkmal eigen . . .

Parabosco. Worin besteht's?

Orlando.                             In einem kleinen Flecken
Ueber der linken Brust.

Parabosco.                         Den Euch zu zeigen
Könnt Ihr sie nicht gut bitten. 109

Orlando.                                     Aber . . .

Parabosco (bemerkt Angiolina).                     Stille!

Elfter Auftritt.

Vorige. Angiolina. (Allmähliches Abendrot, in Dämmerung übergehend.)

Angiolina (von rechts vorn).
Herr . . .

Orlando.       Was?

Angiolina.             Mein Fräulein schickt mich . . .

Parabosco (mit der einen Hand sie am Kinn fassend, mit der andern ihr eine Börse vorhaltend, unterbricht sie).
                                                                      Holdes Schätzchen,
Juwel und Spiegel aller Kammerkätzchen,
Sagt, habt auch Ihr die sonderbare Grille,
Gern diesem sanften Klimperton zu lauschen?

Angiolina. O ja.

Parabosco.         Zu wähnen, dies Geglitzer sei
Das schönste Spielzeug?

Angiolina.                           Meine Schwärmerei. 110

Parabosco. Und unsere heißt Wahrheit. Laßt uns tauschen.
        (Er giebt ihr die Börse.)
Woher kommt Eure Herrin jetzt? Bekennt
Es offen!

Angiolina.     Von Sicilien.

Parabosco.                       Wie nennt
Sie sich mit ihrem wahren Namen?

Angiolina. Fräulein Sismondi.

Parabosco (halblaut zu Orlando). Soll ich das Examen
Fortsetzen?

Orlando (halblaut). Ueberflüssig. (Laut zu Angiolina.)
                                          Was begehrt
Das Fräulein?

Angiolina.            Herr, ich soll Euch sagen,
Daß sie zu völligem Behagen
In ihren Zimmern manches noch entbehrt.

Orlando. Zum Beispiel?

Angiolina.                     Räucherwerk, duftstarke Pflanzen,
Jasmin und Flieder, Veilchen und Narzissen;
Viel Polster, Löwenfelle, weiche Kissen, 111
Teppiche, die sich durchs Gemach erstrecken;
Denn barfuß pflegt sie morgens oft zu tanzen.

Orlando (mit Parabosco einen Blick wechselnd).
Was tausend!

Angiolina.           Eine Laute, seidne Decken;
Vor allem aber scheint ihr unentbehrlich
Irgend was Lebendes; nur darf's nicht schreien:
Eichhörnchen, Aefflein, stumme Papageien . . .

Orlando (zu Parabosco, halblaut).
Darauf verfiele meine Frau wohl schwerlich!

Parabosco (halblaut, mit Blick nach der Thür vorn rechts).
Ein flottes Weib!

Orlando (zu Angiolina). Nachsicht für diese Mängel
Erbitt' ich von dem Fräulein, und Gewährung
All ihrer Wünsche sag' ich zu.

Parabosco (sie in die Wange kneifend). Mein Engel,
Fügt bei, daß ich in äußerster Verehrung
Mich ihr empfehlen lasse. Hört Ihr?

Angiolina (ihm einen verliebten Blick zuwerfend, mit leichtem Seufzer).
                                                      Ja.

(Ab rechts vorn.) 112

Orlando. Wollt Ihr schon gehn?

Parabosco.                               Aus Anstand. Euer Gast
Bedarf der Ruh'. Lebt wohl.

Orlando.                                   Und wann etwa
Beginnen wir den Feldzug?

Parabosco.                             Feldzug – wir?

Orlando. Den nach Venedig.

Parabosco.                           Hm – nur keine Hast! –
Besprechen wir es morgen!

Orlando.                                 Wo?

Parabosco.                                       Nun, hier.
Denn morgen komm' ich wieder.

Orlando.                                         Welche Güte!

Parabosco. Ich komme gern.

Orlando.                               Wahrhaftig? 113

Parabosco.                                               Sakrament,
Sag' einer nur, daß er die Weiber kennt!
Stets noch verbirgt sich ihm die feinste Blüte:
Herrin und Dienerin – Jasmin und Flieder . . .
Mit einem Wort, ich komme morgen wieder.

(Ab rechts hinten.)

Zwölfter Auftritt.

Orlando. Giuditta.

Pietro (kommt von vorn mit einem Kandelaber, den er auf den Kamin stellt, geht dann zur Loggia, zieht deren Vorhänge zu; ab über die Loggia).

Orlando (ist Parabosco ein paar Schritte gefolgt, nähert sich nun der Thür rechts vorn).

Giuditta (kommt ihm von rechts vorn entgegen. Sie trägt jetzt ein hübsches Negligé und gestickte, seidene Pantoffel; in der Hand einen Fächer).
So, lieber Schwager . . . Euer Kamerad
Schon fort?

Orlando (sie von neuem unverwandt anstarrend).
                  Soeben.

Giuditta.                       Ein recht lustig Blut.

Orlando. Ja, ja . . . 114

Giuditta.               Nun fühl' ich Wohlsein! Mich erfrischte
Mit schmeichelndem Gewog ein laues Bad,
In dessen lautere, krystallne Flut
Ich fünfzig Tropfen Rosenwasser mischte.
Spürt Ihr den Duft?

Orlando.                       Ich spür' ihn.

Giuditta.                                           Er ist zart,
Wie Träume, die man träumt mit offnen Lidern . . .
        (Sie setzt sich auf den Diwan, den Oberkörper bequem zurücklehnend.)
Nun bin ich munter wie ein junger Fisch,
Und nur die süße Schlaffheit in den Gliedern
Gemahnt noch an die Mühsal meiner Fahrt. –
Wann, lieber Schwager, geht man hier zu Tisch?

Orlando. In einer halben Stunde.

Giuditta.                                   Höchst erfreulich!
Die salzgetränkte Seeluft zehrt abscheulich.
Auf unserm Schiff, wenn ich nicht elend lag
Im Kämmerlein, aß ich den ganzen Tag.
        (Sie sieht sich um.)
Ihr wohnt hier, wie mir scheint, recht angenehm.

Orlando. Habt Ihr noch weitre Wünsche? 115

Giuditta.                                                 Je nachdem.
Viel Schönheit brauch' ich rings um mich herum,
Viel Duft und Schimmer; sonst bin ich verloren.
Viel Rhythmus und melodisches Gesumm,
Viel freien Raum zum Tollen und Rumoren . . .

Orlando. Den sollt Ihr haben.

Giuditta.                               Bin ich allzu dreist?

Orlando. Durchaus nicht.

Giuditta.                         Schwager, um des Himmels willen,
Ihr seht mich an wie durch ein Dutzend Brillen . . .
Ich bin ja doch leibhaftig, bin kein Geist!
Was habt Ihr nur? Ich fürchte mich! –

Orlando.                                                 Ihr wißt
Ja nicht, Ihr könnt nicht ahnen, könnt nicht fassen,
In welchen Sturm und Wirbel Ihr mich rißt.

Giuditta. Ich?!

Orlando.           Kaum hat die Gefährtin mich verlassen,
Die Frau, die seit fünf Jahren schon die meine,
Da naht ein Wesen, das nach äußerm Scheine
Sie selbst mir wiederbringt, unheimlich treu,
Und doch nicht sie! 116
Giuditta (übermütig). Wer weiß?

Orlando.                                         Nein, habt mich nicht zum Narren!
Laßt Euch noch einmal anschau'n – nicht so fern!

Giuditta (lachend).
So nah genug?

Orlando.               Ihr lacht?

Giuditta.                             Ich lache gern.

Orlando. Warum senkt Ihr den Blick?

Giuditta.                                           Es ist mir neu,
Daß Männer so mir in das Antlitz starren.

Orlando (kopfschüttelnd).
Höchst wunderlich! Bald ist's ein Blick, ein Hauch,
Ein Ton, der zwangvoll mir den Ruf entringt:
Du bist Giuditta! Bald erscheint und klingt
Mir alles fremd an Euch . . .

Giuditta.                                   An Euch mir auch.

Orlando. Bald bin ich wehrlos in dem Wahn befangen,
Ich hätte diese Lippen, diese Wangen
Schon tausendmal berührt . . . 117

Giuditta (zurückweichend).               Was sprecht Ihr da?
Kein Mann kam diesen Wangen noch zu nah,
Geschweige diesen Lippen!

Orlando.                                 Bald wie 'n Schüler
Erröt' ich bis in meine tiefste Seele,
Mich fragend, ob ich keine Form verfehle,
Und ob ich wärmer sein soll oder kühler.

Giuditta. Kühler!

Orlando.             So schwank' ich, aus dem Gleis gebracht,
Im Zickzackschritt durch eine Nebelsphäre . . .

Giuditta (hat sich, auf dem Diwan rückend, mehr und mehr von ihm entfernt).
Das – das ist ängstlicher, als ich gedacht.
Wenn doch Giuditta nur geblieben wäre!
Wann kommt sie wieder?

Orlando.                               In drei Wochen.

Giuditta (scheinbar entsetzt).                             Ach!
Nicht früher?

Orlando.              Kaum.

Giuditta.                         O, welches Ungemach!
        (Ueberlegend.)
Und wenn ich ihr noch heut ein Brieflein sende . . . 118

Orlando. Ihr wollt . . .?

Giuditta (aufstehend).     Wo find' ich Euer Schreibepult?

Orlando. Bedenkt . . .!

Giuditta.                       Ach ja, sie hielte mich am Ende
Für rücksichtslos . . .

Orlando.                         Ihr seid hier wohlgeborgen.

Giuditta. Doch Euer Zustand . . .

Orlando.                                     Habt mit mir Geduld!

Giuditta (setzt sich wieder; lächelnd).
Bleibt mir die Wahl? Ich bin dazu gezwungen. –
Ihr Kind nahm sie vermutlich mit?

Orlando.                                           Den Jungen?
Nein, der ist hier. Wollt Ihr ihn sehn?

Giuditta (lässig).                                     Ja – morgen . . .
Heut nicht mehr.

Orlando (erstaunt).     Nicht? 119

Giuditta.                             Bin doch ein wenig müd.
Des Wandervogels Schwingen sind ermattet.

Orlando. Ich bitte, streckt Euch aus.

Giuditta.                                         Wenn Ihr gestattet . . .
        (Sie legt sich auf den Diwan.)
Wie nun das Laub in Eurem Garten glüht!
Die Sonne auch ist weitgereist und lächelt
Ein Gutenacht. 's ist schwül.
        (Sie reicht ihm den Fächer.)
                                          Seid artig, fächelt
Mir sanft, recht sanft ein wenig Kühlung.
        (Orlando, hinter dem Diwan stehend, gehorcht.)
                                                            Dank! –
Wie wohl das thut! – Der Windhauch küßt erlabend
Mir Stirn und Locken. – Horch – im Laubgerank
'ne Nachtigall. – Hier sitzt wohl manchen Abend
Ihr mit Giuditta, Hand mit Hand umwunden
Und Aug' in Aug' versenkt, in sel'ger Ruh' . . .
Liebt ihr euch sehr?

Orlando.                       O ja . . . (Seufzer Giudittas.)
                                            Ihr seufzt? – Warum?

Giuditta. Ich dachte nur, das sind wohl schöne Stunden,
Ach, wunderschöne Stunden . . . 120
        (Ein Pantoffel entfällt ihr.)
                                                  O mein Schuh!
        (Ohne sich zu rühren.)
Wo liegt er?

Orlando (hat sich beeilt, ihn aufzuheben).
                    Hier. (Er will ihn ihr anziehen.)

Giuditta (zieht schnell den Fuß zurück).
                              Nein, allzu große Güte.

Orlando. Wie?

Giuditta.         Schickt sich das?

Orlando.                                   Der Schwäg'rin!

Giuditta (ihm den Fuß hinhaltend).                         Sei es drum.

Orlando (ihren Fuß betrachtend, während er ihr den Schuh anzieht).
Ihr tanzt gern barfuß?

Giuditta.                         Wer hat Euch verraten . . .?

Orlando. Die Zofe.

Giuditta.               Schwatzte gar – was Gott verhüte –
Dies Plappermaul von meinen Missethaten
Noch mehr? 121

Orlando.           Nein; aber sagt nur . . .

Giuditta.                                             Könnt' mir fehlen,
Euch meine tollen Streiche zu erzählen!

Orlando (sie wieder fächelnd).
Sie kleiden Euch.

Giuditta.                 Man ist nicht ewig jung.
Wie?

Orlando.   Freilich! (Er fächelt sie. Kleine Pause.)

Dreizehnter Auftritt.

Vorige. Lisa.

Lisa (steckt den Kopf durch die Vorhänge der Loggia, ohne Giuditta, die Orlando ihr verdeckt, zu bemerken, und flüstert).
                        Herr . . .

Orlando.                               Was ist?

Lisa (schleicht auf den Zehen die Stufen herab, nähert sich ihm)
                                                      Da . . . bin ich.

Orlando.                                                                     Wer?

Lisa Nun, ich. 122

Orlando (erst jetzt die Situation erfassend, macht ihr Zeichen, sich zu entfernen).
                Was willst du?

Lisa.                                     Wißt Ihr das nicht mehr?

Orlando (ebenso).
Schon gut!

Lisa.                 Begonnen hat die . . . Dämmerung.

Orlando (ungeduldig, auf Giuditta deutend).
Siehst du denn nicht . . .?

Lisa.                                     Ihr habt mich doch be . . . stellt.

Orlando. Ich hätte . . .?

Lisa.                             Ja, den . . . Ring, der mir gefällt,
Mit Euch im . . . Schrank zu suchen.

Orlando.                                               Ich? Das hast
Du wohl geträumt. Siehst du nicht meinen Gast?

Lisa (erschreckend).
Ach, Gott!

Giuditta (hat mit fieberhafter Spannung beide beobachtet, steht nun auf).
                  Schwager, Ihr habt Geschäfte . . . 123

Orlando (lebhaft).                                                 Nein!

Giuditta. Ihr sollt um meinetwillen nichts versäumen.

Orlando (zu Lisa).
Geh!

Giuditta.   Nein, es ist an mir, das Feld zu räumen.
        (Zu Lisa.)
Geht nicht! Ihr seid bestellt. – (Zu Orlando.)
                                            Ich warte drinnen;
Durch mich sollt Ihr in nichts behindert sein.

Orlando (sie aufhaltend).
Ich bitt' Euch, bleibt! (Halblaut.)
                                Dies ist ein albern Ding.

Giuditta. So, so?

Orlando.             'ne Mißgeburt, nicht recht bei Sinnen.

Giuditta. Wirklich? Mir deucht, sie sprach von einem Ring.

Orlando. Gefasel.

Giuditta (einen Ring von ihrem Finger ziehend, zu Lisa).
                      Wenn Ihr Ringe liebt, nehmt diesen.
        (Sie giebt ihn ihr. – Zu Orlando.)
Ein altes Erbstück: Perlen und Türkisen. 124

Orlando (halblaut).
's ist schade drum. (Zu Lisa.)
                            Bedank dich und verschwinde!

(Lisa macht einen scheuen Knicks und geht rasch ab rechts hinten.)

Giuditta. Ihr seid recht barsch mit diesem hübschen Kinde.

Orlando (mit leichter Galanterie).
Hübsch? Nein, so plumper Reiz muß vor dem Strahl
Adliger Schönheit kümmerlich verbleichen.

(Pietro zieht von hinten die Vorhänge der Loggia auf und verschwindet wieder. Auf dieser eine reich besetzte, von Kerzen hell erleuchtete Tafel; der Garten im Mondschein.)

Renata, wollt Ihr Euren Arm mir reichen?

Giuditta. Wohin?

Orlando (nach der Loggia deutend).
                      Ihr seid ja hungrig. Hier das Mahl.

Giuditta (seinen Arm nehmend).
Schwager, ich find' Euch rührend rücksichtsvoll.

Orlando. So ziemt's dem Wirt.

Giuditta (mit ihm nach hinten gehend).
                                        Nein, Ihr verdient fürwahr
Den Hymnus, der mit Pauken und Posaunen
Aus jedem Brief Giudittas mir erscholl.
Sie hat 'nen Mustergatten. 125

Orlando (läßt sie wieder los und starrt von neuem in ihr von den Kerzen und dem Mondschein beleuchtetes Gesicht).
                                        Sonderbar!
Giuditta. Was ficht Euch an?

Orlando.                                     Beinahe scheint mir jetzt:
Ich hab' im ersten heftigen Erstaunen
Die Aehnlichkeit bedeutend überschätzt.

Giuditta. Gottlob, Ihr lernt mich von der Schwester unterscheiden.

Orlando. Ja; denn Ihr seid die Schönere von beiden!

(Sie sind die Stufen der Loggia emporgestiegen und setzen sich an die Tafel, während der Vorhang fällt.) 126


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