Ludwig Fulda
Die Zwillingsschwester
Ludwig Fulda

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Erster Aufzug.

Den Hintergrund bildet eine etwas erhöhte, nach vorn durch Vorhänge verschließbare Loggia mit freiem Ausblick in den Garten, zu dem in ihrer Mitte eine Freitreppe hinabgeht; mit dieser korrespondierend führen nach vorn einige breite Stufen in das Gemach herab. In der rechten und linken Seitenwand je zwei hohe, zweiflügelige Thüren; zwischen den Thüren: links Kamin, rechts ein Fresko, Diana als Göttin der Jagd darstellend, umgeben von ihren Nymphen. Rechts und links von den Stufen zwei Vasen auf marmornen Postamenten. Links vorn Tisch mit Stühlen; in der Mitte Diwan; an der Wand vorn links Ebenholzschrank. Statuen, Teppiche, Ziergeräte aller Art. Das Ganze macht den Eindruck der Neuheit, des Reichtums und der auf einheitlichem, künstlerischem Plan beruhenden Harmonie.

Erster Auftritt.

Valla (malt an dem Fresko rechts; ein paar Farbentöpfe neben ihm auf dem Boden). Lelio (hinter ihm stehend, sieht aufmerksam zu).

Valla. So! Noch ein letztes Glanzlicht auf das Kleid –
Hier einen Strich und dort – nun ist's vollendet;
Das ganze Werk vollbracht. (Er legt den Pinsel fort.)
                                          So rollt die Zeit
Mit uns davon. 8

Lelio.                     Ihr habt sie nicht verschwendet.
Wo jüngst noch dichter Wald, Gestrüpp und Moor
Dem Jäger wie dem Hirsch den Weg versperrten,
Ragt nun inmitten duft'ger Gärten,
Von Eurer Hand gefügt, ein Schloß empor,
So stolz und lustig . . .

Valla.                               Schweigt, Herr Jägermeister,
Wenn Ihr nicht etwa wünschet, daß der Groll
Der aufgescheuchten Waldesgeister
Mir nachts durch meine Träume spuken soll.
Rachsüchtig ist dies Volk, wenn man's verbannt;
Deshalb mit ihren dienenden Gestalten
Malt' ich Diana hier auf diese Wand;
Die Ehre, hoff' ich, wird sie schadlos halten.

Lelio. Und heut noch brecht Ihr auf?

Valla.                                             Noch heut.

Lelio.                                                               Ihr weilt
Zur Rast nicht einen Tag noch?

Valla.                                             Knapp und karg
Sind uns die Lebenstage zugeteilt,
Und rasten werd' ich früh genug im Sarg.
Ist mein Gepäck beisammen? Kist' und Kästchen
Und Schachteln? 9

Lelio.                       Ja. (Auf die Farbentöpfe deutend.)
                              Wünscht Ihr die Farben auch
Dazu gepackt?

Valla.                     Das wäre schnöder Geiz.
Nein, Freund, ich überlass' Euch diese Restchen
Als mein Vermächtnis für den Hausgebrauch.

Lelio (lachend).
Sehr gütig. (Er nimmt die Töpfe, stellt sie in den Schrank vorn links.)

Valla.               Habt Ihr einen Reiseknecht
Mir aufgegabelt?

Lelio.                       Ja; der harrt bereits
Da draußen auf Besichtigung.

Valla.                                         So recht!
Ihr seid ein Tausendkünstler. Laßt ihn ein.

Lelio. Ein Bauernlümmel von geringen Gaben.
's war in der Näh' nichts Besseres zu haben.
        (Er geht zur Thür rechts hinten, öffnet sie und ruft.)
He, Beppo, komm! 10

Zweiter Auftritt.

Vorige. Beppo (von rechts hinten).

Beppo (sieht sich mit blödem Staunen um).
                                O, hier ist's aber fein!
Heiliger Jakob!

Valla.                     Guter Freund, sag an,
Willst du mich bis Florenz begleiten?

Beppo.                                                   Wann?

Valla. Heut.

Beppo.         Wie?

Valla.                   Nun, willst du?

Beppo.                                         Was?

Valla.                                                   Mir folgen.

Beppo.                                                                   Wo?

Valla. Es scheint mir, du verstehst mich nicht.

Beppo.                                                         Wieso?

Lelio. Der Herr, du weißt doch, will dich zum Geleite. 11

Beppo. Jawohl.

Valla.               Nun also! Kennst du Weg und Straßen?

Beppo. Warum?

Valla.                 Kerl, du bist blöd!

Beppo.                                           Gewissermaßen.

Lelio. Das Reden ist nicht seine starke Seite;
Doch glaubt mir, was sein Amt ihm auferlegt:
Wie man ein Saumpferd sattelt, füttert, striegelt,
Gepäck zusammenschnallt und Kleider fegt,
Darin vermag er Taugliches zu leisten.

Valla. Wohlan, so werde gleich der Pakt besiegelt.

Beppo. Wer fegt die Kleider? Ich?

Valla.                                         Laß dein Gestammel!
Dein Name?

Beppo. Je nachdem.

Valla.                       Wie heißest du?

Beppo. Herr, je nachdem. 12

Valla (zu Lelio).                 Unglaublich.

Beppo.                                               Bei den meisten
Da heiß' ich Beppo – Beppo gradezu.
Jedoch mein Weib, die Lena, nennt mich Hammel.

Valla. Solch holdes Vorrecht bleib' ihr unbenommen.
Ich aber schließe mich in diesem Fall
Der Mehrheit an: Geh, Beppo, in den Stall,
Laß dir die Pferde zeigen, sattle sie!
In kurzem werd' ich selbst hinunterkommen
Und nach dem Rechten sehn. Verstanden?

Beppo.                                                           Wie?

Valla (heftig).
Hammel, die Pferde sollst du satteln!

Beppo (grinsend).                                     Ja, die Pferde.
Verstehe schon. (Ab rechts hinten.)

Dritter Auftritt.

Valla. Lelio. (Dann) Giuditta.

Valla.                         Gottlob, der süße Laut,
Mit dem sein Weib ihn kost am warmen Herde,
Drang ihm ins Herz und hat ihn aufgetaut. –
Wo find' ich Eure Herrin jetzt? 13

Lelio.                                           Im Garten.
Sie spielt mit Sandro Ball und Blindekuh.
Vom Fenster schaut' ich eine Weile zu,
Ein Anblick, um selbst einen wetterharten
Waidmann wie Morgensonnenschein zu laben:
Sie tollt und lacht und tummelt mit dem Knaben
Sich um die Wette, hurtig wie der Wind,
Schmiegsam wie 'n Reh, als würd' aus Herzensgrunde
Mit ihrem Kinde wieder sie zum Kind.

Valla. Und Euch macht sie zum Dichter.

Lelio.                                                   Ist sie nicht
Ein Engel?

Valla.             Ich besitze wenig Kunde
Von Engeln, ob ich viele gleich gemalt.
Um Frau Giudittas heitre Stirne strahlt
Kein Glorienschein und doch ein Himmelslicht;
Denn unter allen irdischen Geschöpfen
Rühmt schöner keins den schöpferischen Gott.

Lelio. Wenn diese Frau mir sagt: Geh, laß dich köpfen,
Dann wie zur Kirchweih lauf' ich zum Schafott.

Giuditta (ist schnell, halb rückwärts gewendet, die Freitreppe heraufgekommen, vom Spiel erhitzt, einen Ball in der Hand. Sie trägt ein lichtes blaues Kleid; ihr Haar ist glatt gescheitelt, die Ohren halb bedeckend. Sie beugt sich über die Brüstung neben der Treppe und wirft den Ball hinab).
Fang, Sandro, fang! 14

Valla (zu Lelio).
                              Da kommt sie.

Giuditta.                                             Wirf zurück!

(Der Ball kommt zurückgeflogen. Sie fängt ihn und setzt das Spiel lachend fort.)

Lelio. Wär' ich mein Herr, dann täglich auf den Knie'n
Dankt' ich dem Himmel, der sie mir verliehn;
Doch er . . .

Valla.                 Ja, Freund, wir Menschen sind dem Glück
Noch seltener gewachsen als dem Leid.

Giuditta (hat Valla bemerkt, ruft ihm zu).
Meister Bartolommeo . . .
        (Wieder nach dem Garten gewendet.)
                                        Sandro, Schatz,
Trag deinen Ball dort auf den Rasenplatz!
Spiel jetzt allein! – Ich? – Ja, gewiß – nachher.
        (Sie kommt über die Stufen herab nach vorn und gewahrt Lelio; erstaunt.)
Wie, Lelio, du hier?
        (Zu Valla.)
                              Mein Freund, verzeiht.
        (Zu Lelio.)
Vorüber schon die Jagd? Und keine Kunde
Ward mir von meines Gatten Wiederkehr?
Ist er daheim?

Lelio.                   Herrin, seit einer Stunde.15

Giuditta (schmerzlich berührt).
Wirklich? – (Sich beherrschend.)
                  Gereift grüßt mich Dianens Bild.
Fast möcht' ich sagen: Leider! Denn Euch gilt
Nicht das Geschaffne, Valla, nur das Schaffen,
Und . . . (Zu Lelio, der sich zurückziehen will.)
              Wart ein wenig, Lelio . . . so muß
Vollendung den Vollender uns entraffen.

Valla. Nicht zur Vollendung kam ich, doch zum Schluß,
Das heißt, zu meines Könnens Grenzen.
Was im Gemach, in Haus und Hof noch fehlt,
Wird Euer eigner Feinsinn leicht ergänzen.
Ein Wohnraum wird erst allgemach beseelt
Vom Geist des Wohnenden. Solang nicht ringsumher
Vielhundert liebgewordne Nichtigkeiten
Des Lebens warmen Hauch verbreiten
Und Plaudereckchen locken gleich Oasen,
So lange sind gefüllte Säle leer,
Wie noch von Blumen leer sind jene Vasen.

Giuditta (nachdenklich).
Ihr habt wohl recht. Das kann so schnell nicht glücken. –
Doch . . . Lelio, sag deiner Frau, sofern
Sie Muße hat, sie soll zwei Sträuße pflücken.

Lelio. Und bringen?

Giuditta (auf die Vasen deutend).
                        Ja, hierher. 16

Lelio.                                       Das thut sie gern.

(Ab über die Loggia, nach rechts.)

Vierter Auftritt.

Valla. Giuditta.

Giuditta. Das muß der Neid Euch lassen, Ihr seid flink:
Vom selbstgebauten Neste fliegt der Fink,
Sein Liedchen trillernd, auf den fernsten Ast
Und schaut, aus Furcht, man könnt' ihn wieder haschen,
Nicht mehr zurück.

Valla.                           Erschwert mir nicht die Last
Des Abschieds, Frau Giuditta!

Giuditta.                                       Heuchelei!
Mit Zukunftsplänen voll sind Eure Taschen
Und was Ihr etwa hier noch thut und sprecht,
Geschieht im halben Traume – nebenbei.
Ihr Künstler seid ein wunderlich Geschlecht:
Von eurem Ehrgeiz täglich wundgegeißelt,
Keucht ihr dahin zum wolkenfernen Ziel,
Und Menschliches, das ihr nicht malt und meißelt,
Dünkt euch ein wesenloses Schattenspiel.

Valla. Ihr thut mir uurecht – und nicht minder Euch.
Wie dürft' ich hoffen, wolkenhoch zu steigen, 17
Wenn nicht voll Andacht ich im Dorngesträuch
Des Lebens spähte nach den Blütenzweigen?
Erquickenderen Flor, als hier ich prangen sah,
Gewahrt mein Malerauge nimmer:
Ein edles Frauenbild, vom Rosenschimmer
Des Mutterglücks verklärt.

Giuditta (in leichter Rührung lächelnd).
                                        Mein Sandro – ja . .!
Habt Ihr mit seinem neuen Ball
Ihn spielen sehn?

Valla.                       Euch hab' ich spielen sehn.

Giuditta. Je nun, ich will's Euch nur gestehn:
Ich würd', um seines Kinderlachens Schall
Gleich einem holden Echo mir zu wecken,
Auch vor noch größren Opfern nicht erschrecken.
Wie glühend schon in ahnungsvoller Blindheit
Die junge Seele nach dem Lichte schmachtet,
Und wieviel Segen quillt aus heitrer Kindheit,
Ich weiß es wohl; denn meine war umnachtet.

Valla. Ist's möglich? Wer ins Aug' Euch blickt, beschwört,
Daß unterm hellsten Glücksstern Ihr geboren
Und alle Musen, Grazien und Horen
Um Eure Wiege sich gedrängt.

Giuditta.                                       So hört,
Wie wenig Ihr mich kennt: Ein Meer von Gram 18
Mußt' ich durchkreuzen, bis ich heimwärts kam
Zur stillen Flur des Frohsinns.

Valla.                                           Welches Wehe
Verhüllte diese reine Stirn in Schatten?

Giuditta. Zerrissen früh ward meiner Eltern Ehe. –
Als meine Mutter von Florenz dem Gatten,
Ein halbes Kind noch, in sein Heimatland
Sicilien gefolgt war, schmiegte dort,
Von allen Ihrigen so weit verbannt,
Ihr zartes Herz sich enger stets und fester
An ihn, den einzig sichern Hort.
Erfüllt ward ihre Sehnsucht; sie gebar
Zu gleicher Stund' ein winzig zappelnd Paar:
Mich und Renata, meine Zwillingsschwester.
Doch nur, wer zählte, fand, wir wären zwei,
Da wir einander glichen, wie ein Ei
Dem andern gleicht, und Haupt, Gestalt und Mienen
Wie durch ein Spiegelbild gedoppelt schienen.
Die Amme hat uns zwanzigmal am Tage
Vertauscht; sogar den Eltern schuf die Frage,
Wie man uns zuverlässig unterscheide,
Des Kopfzerbrechens lust'ge Qual.
Nur ein Erkennungszeichen ward entdeckt:
Renata trägt ein kleines Muttermal
Ueber der linken Brust; doch wenn vom Kleide
Dies angestammte Wappen war versteckt,
Dann mußte scheitern jegliches Bemüh'n. 19
Drum flocht die Mutter noch in die Gewänder
Der halb erwachs'nen Mädchen bunte Bänder;
Rot hieß: Giuditta und Renata grün.

Valla. Wohl Eurer Schwester, wenn sie heut noch immer
So sehr Euch ähnlich blieb!

Giuditta.                                   In meinem Zimmer
Bemerktet Ihr ein Konterfei . . .

Valla.                                               Ja – Eures.

Giuditta. Es ist Renatas Bildnis, mir als teures
Andenken jüngst von ihr gesandt.

Valla.                                                 Fürwahr
Erstaunlich!

Giuditta.           Doch sie selber hab' ich nicht
Erblickt seit meinem zwölften Jahr.

Valla. Wie?

Giuditta.     Mir und ihr ein schmerzlicher Verzicht!
Jedoch wie heiß auch meine Sehnsucht brennt,
Daß einmal wieder sie mein Arm umfasse –
Wir sind durch eine weite Kluft getrennt:
Sie lebt bei meinem Vater, den ich hasse! 20
Denn keinen Kummer giebt's und keine Schmach,
Darin er nicht die Seinen hat verstrickt
Mit zügellosem Leichtmut. Er zerbrach
Die Gattentreue, wie man Schilfrohr knickt.
Die Mutter trug es still, wenngleich tiefinnen
Am Lebensmark die bittre Kränkung zehrte;
Nur als zuletzt mit seinen Buhlerinnen
Er ohne Scham das eigne Haus entehrte,
Da trat sie vor den Richter unverweilt
Und heischte Trennung. Doch um zu vermindern
Sogar ihr heilig Mutterrecht, verlieh
Der harte Schiedspruch ihr von ihren Kindern
Nur eins: wie Barschaft wurden wir verteilt.
Beim Gatten in Messina mußte sie
Renata lassen; mich nahm die Beraubte
Mit in die alte Heimat, nach Florenz. –
So hab' ich vaterlos, dem teuren Haupte
Im Elend als der letzte Trost geblieben,
Vertrauert meines Daseins jungen Lenz,
Bis ich Orlando kennen lernt' und lieben.

Valla. Und wahrlich, doppelt ist er zu beneiden,
Der Auserwählte, der so herbes Leiden
So reich vergüten durfte!

Giuditta.                               Nun gewährt
Mir eine Bitte!

Valla.                     Bittet nicht; begehrt! 21

Giuditta. Sofern ich recht verstand, geht Eure Reise
Jetzt nach Florenz.

Valla.                           In schnurgeradem Gleise.

Giuditta. Dann sucht dort meine Mutter auf.

Valla.                                                         Mit Freuden!

Giuditta. Glaubt mir, Ihr werdet nicht vergeuden,
Was Ihr von Eurer Zeit ihr gönnt. Bestellt
Ihr meinen Gruß und sagt ihr . . .
        (Sie sieht Orlando eintreten.)
                                                  Mein Gemahl.

Fünfter Auftritt.

Vorige. Orlando (von links vorn. – Später) Sandro.

Giuditta (scheinbar erstaunt).
Du bist daheim, Orlando?

Orlando.                               Wie du siehst.

Giuditta. Ich denk', du galoppierst durch Wald und Feld,
Und mittlerweil' . . .

Orlando.                         Ich war im Büchersaal. 22

Giuditta. Dort jagtest du nach Weisheit. Wenn man liest,
Vergißt man allerlei.

Orlando.                         Nur ein paar Bände –
Die letzten – stellt' ich ordnend in ihr Fach.
Nun strotzt von Ordnung jegliches Gemach,
Und wie der Meister bin auch ich am Ende.
Ermeßt Ihr, Valla, was mir heut entschwindet?
Wie solch ein edler Bau, sinnvoll erdacht,
Ersteht und wächst und aufstrebt, wie sich sacht
Scheinbarer Wirrnis Form und Maß entwindet,
Welch fesselnd Schauspiel! Ja, noch mehr: solang
Ich Eures Werkes regsames Gedeih'n
Eifrig belauscht, auch etwa mitberaten,
Empfand ich kaum noch meinen Müßiggang,
Und Euer Thun schien mir wie eigne Thaten.

Valla. Die braucht Ihr wahrlich nicht von mir zu leih'n,
Ihr, dessen Thatkraft, dessen tapfres Schwert
In manchem harten Strauß den Sieg entschieden!

Orlando. Der Krieg ist längst vorbei; wir haben Frieden.
Zwar nie von Ehrsucht ward mein Herz verzehrt;
Doch ich bin jung. Mein Leben gleicht dem Strom,
Der ohne Wellenschlag im ebnen Bette
Träg weiterschleicht. Der Papst wünscht mich in Rom.
Was wär' ich dort? In seiner Höflingskette 23
Ein Zierat mehr. In Padua, Venedig
Trägt man mir Aemter an; doch lieber sterben,
Als meines Stolzes, meiner Freiheit ledig,
Im Krämergeist und im Parteigezänk
Erstickend, um die Gunst des Haufens werben!
Die Städte hass' ich, acht' es als Geschenk
Des Himmels, daß ich auf dem Land entsproß,
Und dennoch, seht, ich ließ Euch dieses Schloß
Nur bauen, um mir selber zu entfliehn,
Der Einsamkeit des Alltags, den Gedanken,
Die spinnwebartig Hirn und Herz umranken . . .
Nun ist's vollbracht, und Nebelschleier zieh'n
Schon wieder auf am grauen Horizont.

Valla. Grau nennt Ihr ihn? Mir scheint er hell besonnt.
Und einsam – Ihr? (Mit Blick auf Giuditta.)

Giuditta (lächelnd).       Einsam mit seiner Frau.
Fünf lange Jahre schon vermählt! Da werden
Die feuerreichsten Farben langsam grau.

Orlando. Du spottest mein, Giuditta. Welcher Mann
Bedarf nicht eines weitern Raums auf Erden,
Als den ihm abgrenzt seines Hauses Bann?
Und . . .
        (Der Ball fliegt vom Garten über die Loggia herein.)
              Was war das? 24

Giuditta.                             Der Ball des Kindes flog
Ueber die Brüstung.

Orlando (will fortfahren).   Und . . .

Valla (suchend).                             Wo liegt er?

Giuditta (deutet darauf).                                   Hier.

Sandro (ein etwa vierjähriger Knabe, kommt die Freitreppe herauf).
Mein Ball!

Giuditta.         Da kommt der Knirps schon nachgesprungen.

Sandro (nach vorn kommend).
Mein Ball!

Valla (hat den Ball aufgehoben und hält ihn hinterm Rücken versteckt).
                  Ist fort.

Sandro.                         Du hast ihn. Gieb ihn mir!

Giuditta. Ich schäme mich, wie schlecht ich ihn erzog.

Valla (hält den Ball plötzlich hoch).
Greif ihn!

Sandro (mit vergeblichem Versuch).
                Ich kann nicht. 25

Valla.                                     Einem rechten Jungen
Wächst keine Frucht zu hoch. (Er wirft ihm den Ball zu.)
                                            Da, Kamerad.

Sandro (wirft ihn zurück).
Da, Kamerad. (Valla spielt weiter mit Sandro.)

Orlando (heiter).
                      Valla, 's ist jammerschad:
An Euch ging eine Kinderfrau verloren.

Valla. Kein übeler Beruf.

Orlando.                         Doch nicht für Männer.
Komm her, mein Sohn!
        (Er geht auf Sandro zu, der sich ihm zaghaft nähert, legt ihm die Hand aufs Haupt.)
                                    Wenn du, mit ein paar Sporen
Bewaffnet, einst auf einen Vollblutrenner
Zu steigen bettelst, wenn dein Kriegersinn
Erwacht und deine lernbegier'ge Hand
Nach Lanz' und Schwert greift und die Armbrust spannt,
Dann spiel' auch ich mit dir; doch bis dahin
Hab' ich nicht allzuviel mit dir zu schaffen.

Valla. Ich führe gern auch minder ernste Waffen.
Nur leider muß für heute das Gefecht
Beendigt sein. 's wird Zeit, mich umzuschauen,
Wie's steht mit Sack und Pack; denn im Vertrauen:
Ich warb mir einen Hammel an zum Knecht. 26

Giuditta. Wir sehn Euch noch?

Valla.                                       Gewiß! Ich kehre wieder
Zu feierlichem Abschied. (Ab rechts hinten.)

Sechster Auftritt.

Orlando. Giuditta. Sandro.

Giuditta (nach einer kleinen Pause).
                                      Weißt du noch,
Orlando, wie du täglich süße Lieder
Der Sehnsucht mir gesandt?

Orlando.                                   Ich weiß; jedoch
Was soll das heut?

Giuditta.                     Zuletzt vor sieben Tagen –
Ich hab' genau gezählt – betrat dein Fuß
Die Schwelle meines Zimmers. Du gehst jagen,
Kehrst heim, und nicht einmal zu flücht'gem Gruß
Gedenkst du meiner.

Sandro.                           Mutter, spielen!

Giuditta.                                                 Gleich.

Orlando. Ich könnt' erwidern, daß auch mein Bereich
Gemieden wird von dir. 27

Sandro (sie am Kleide fassend). Kommst du?

Giuditta.                                                 Gewiß.

Orlando. Auf deinem weißen Zelter, wie vor Zeiten
Du's oft gethan, zur Jagd mich zu begleiten,
Wer hindert dich?

Giuditta (auf Sandro zeigend).
                          Hier steht das Hindernis.

Orlando. Ich . . .

Sandro (ungeduldig weinend).
                    Mutter, spielen!

Giuditta (sucht ihn zu beruhigen).     Still!

(Sandro weint stärker.)

Orlando (ärgerlich).                             Welch ein Geplärr!
Ist hier die Kinderstub'? Sein eigen Wort
Versteht man nicht. Schick doch den Jungen fort!

Giuditta (mit leichtem Vorwurf).
Wie du befiehlst, gestrenger Herr.
        (Sie nimmt das Kind bei der Hand und geht mit ihm zur Thür links hinten.)
Sei artig; dann wird Cecca mit dir spielen.
        (Sie hat die Thür geöffnet, spricht hinein.) 28
Cecca, nimm Sandro mit dir; gieb wohl acht:
Er ist so wild.

(Sandro mit Cecca, die auf der Schwelle erschienen ist, ab links hinten.)

Siebenter Auftritt.

Orlando. Giuditta.

Giuditta.             Was andre selig macht,
Orlando, soll's nach unsrem Herzen zielen
Mit gift'gem Pfeil? Soll unser eigen Kind
Entwurzeln unsre Liebe?

Orlando.                             Grillenfang!

Giuditta. O, daß die deine kränkelt, fühl' ich lang.
Einst schien ich reizvoll dir; nun bist du blind . . .

Orlando. Du irrst. Der Bräutigam, der girrt und schmachtet,
Der freilich . . .

Giuditta.                 Hast du nur das Kleid beachtet,
Das heut ich trage?

Orlando.                     Dieses lichte Blau
Steht dir nicht sonderlich. 29

Giuditta.                               Bin ich zu alt
Für helle Farben? Ist dir deine Frau
Schon nicht mehr jung genug?

Orlando.                                     So tausendfalt
Quälst du mit leerem Luftgebild uns beide!

Pietro (ist von rechts hinten aufgetreten).
Graf Parabosco fragt . . .

Orlando.                               Ich lasse bitten.

(Pietro ab.)

Giuditta. Muß dieser plumpe Faun gerade jetzt . .!

Orlando. Warum auch nicht? Was thut er dir zuleide?
Er ist, wenngleich kein Cato just von Sitten,
Ein Edelmann, und auf dem Land ersetzt
Die Nachbarschaft des Umgangs freie Wahl.

Achter Auftritt.

Vorige. Graf Parabosco.

Parabosco (von rechts hinten; mit geräuschvoller Munterkeit).
Ei, sakrament! Seit ich zum letztenmal
Hier eintrat, welch ein Wandel! Fortgenommen 30
Gerüst und Leitern; alles blink und blank. –
Nachbar, grüß Gott!

Orlando.                       Nehmt Platz und seid willkommen.

Parabosco. Wie geht es, holde Nachbarin?

Giuditta.                                                 Schön Dank. –
Ich lass' Euch meinem Gatten.

Parabosco.                                   Ihr verschwindet?
Die Sonne birgt uns geizig ihren Schein?

Giuditta. Zwei Männer sind, wenn Freundschaft sie verbindet,
Im Schatten manchmal gern allein.
Wenn Ihr Orlandos Einsamkeit mitunter
Durch ungehemmte Laune schmackhaft würzt,
So werd' ihm diese Wohlthat nicht verkürzt.

(Ab links hinten.)

Neunter Auftritt.

Orlando. Parabosco.

Parabosco (sieht erst Giuditta nach, faßt dann Orlando ins Auge).
Das galt wohl Euch – dies kleine Strafgericht?
Zum Kuckuck, Freund, Ihr blickt nicht eben munter:
Ein echtes, rechtes Ehemannsgesicht! 31

Orlando (ausweichend).
Erzählt mir doch! Ihr waret in Venedig?

Parabosco. Zwei Wochen lang, und jeder Tag ein Fest.
Ja, – Gott sei meiner armen Seele gnädig! –
's ist ein verruchtes, wundervolles Nest.
Wo lebt ein Weibsvolk, das mit Seel' und Sinnen
So gradeswegs dem Höllenpfuhl entstammt?
Hoch, dreimal hoch die Venetianerinnen;
Mit gleicher Glut lieb' ich sie insgesamt!
Die blonden, braunen, schwarzen, roten,
Sie haben all', gutherzig wie sie sind,
Dem Hagestolz viel Freundlichkeit geboten,
Und – im Vertrau'n – ein schönes Kind
Ist mir gefolgt ins heimische Gemäuer,
Ein allerliebstes kleines Ungeheuer:
Das Plappermäulchen steht ihm niemals still;
Es zirpt durch meines Schlosses öde Gänge,
Tanzt, nascht und lacht, schlürft süßen Wein in Menge
Und stellt mein Weibchen vor, solang ich will.

Orlando. Ihr habt ein glückliches Gemüt.

Parabosco.                                             Nun freilich.
Ihr hattet's auch einmal. 's ist unverzeihlich,
Wie nun voll Trübsal Ihr die Flügel senkt.

Orlando. Der besten Frau hab' ich mein Herz geschenkt
Und bin geliebt.

Parabosco.             Ein Schuft, wer's Euch nicht glaubt.
Ja – wenn nicht Ehemänner überhaupt
Mich dauerten – Ihr traft's noch gut genug;
Und dennoch . . .

Orlando.                     Dennoch fürcht' ich zu ersticken!
Dies ist das Rätsel, das mit wirren Stricken
Mich fest umschnürt bei jedem Atemzug.
Der zarte Duft, der überm jungen Tag
Der Liebe wie ein goldner Schleier lag,
Der Schmelz, der alle Wolkensäume
Mit zauberischem Frührot überzogen,
Die Dämmerung der Sehnsucht ist verflogen.
Kein süß Geheimnis mehr zieht meine Träume
Zur Mutter meines Kindes; nein, sie locken
Ins Unbekannte, wo der Purpurstreif
Des neuen Morgens flammt! –

Parabosco.                                   Dies Rätsel scheint
Mir äußerst klar, und wenn ich kurz und trocken
Es lösen soll, dann sag' ich: Ihr seid reif,
Reif bis in Eures Herzens tiefste Falten,
Und was Euch lockt, das ist der böse Feind,
Listig verkappt in tausend Weibsgestalten.
Zum Henker auch, Herr Tugendbold,
Greift zu, wenn die Gelegenheit Euch hold.
Der ehelichen Lieb' ihr volles Maß!
Die steht auf einem andern Blatte; 33
Nur nebenbei manchmal ein flotter Spaß:
Der Mann ist doch ein Mann, nicht nur ein Gatte.

Orlando. Ich leugn' es nicht, ein wilder Freiheitsdrang
Durchbebt mich oft . . ! Dem altgewohnten Zwang
Nur auf ein Weilchen frohgemut entrinnen . . .

Parabosco. Die Welt ist weit, damit man sie durchtolle:
Gebt Eurem Roß die Sporen; trabt von hinnen!

Orlando. Wohin?

Parabosco.           Da liegt's; Ihr klebt an Eurer Scholle.
Doch, Wetter, wenn Ihr gern die Reise spart,
Schickt Eure Frau mit feierlichem Segen
Auf irgend eine fromme Pilgerfahrt
Und bleibt am Ort!

Orlando.                     Das ließe sich erwägen.

Parabosco. Ihr seht an meinem Beispiel: überall,
Wo man sich unterhält, ist Karneval.
        (Mit vertraulich gedämpfter Stimme.)
Denkt, wenn wir beide, so wie einst . . .

(Lisa ist über die Loggia von rechts her aufgetreten; sie trägt in jeder Hand einen Strauß loser Blumen, die sie während des Folgenden in die beiden Vasen stellt und sorgfältig ordnet.) 34

Zehnter Auftritt.

Vorige. Lisa.

Parabosco (sie gewahrend).                           Schau, schau!
Was flog da für ein hübscher Schmetterling
Herein?

Orlando.
              's ist meines Jägermeisters Frau. –
Lisa, was giebt's?

Lisa (verlegen lachend). Hähä!

Parabosco.                         Ein goldig Ding.

Lisa (mit leichtem Stottern).
Die . . . Blumen für die . . . Vasen.

Orlando.                                             So? Schon gut.
        (Zu Parabosco.)
Ein wenig stottert sie.

Parabosco.                       Thut nichts.

Orlando.                                             Indessen,
Hübsch ist sie, das ist wahr.

Parabosco.                               Wie Milch und Blut,
Und dieser Blick, als ob aus Feueressen
Die Funken sprühn! 35

Orlando.                       Wie?

Parabosco.                             Der gilt Euch.

Orlando (lachend).                                       Mag sein.

Parabosco. Holla, das ist wohl gar ein Stelldichein,
Ihr Heuchler?

Orlando.               Keineswegs.

Parabosco (aufbrechend).             Ich will nicht stören.

Orlando. Was denkt Ihr!

Parabosco.                       Wetter, ich an Eurer Statt . . .

Orlando. Bleibt!

Parabosco.           Bleiben soll man, während man zu Haus
Ein kleines Ungeheuer sitzen hat!
Eil' ich nicht heim, den Sturm noch zu beschwören,
Dann kratzt der Kobold mir die Augen aus.
        (Im Vorbeigehen kneift er Lisa in die Wangen.)

Lisa (ihn abwehrend).
O . . . nicht doch!

(Parabosco ab rechts hinten.) 36

Elfter Auftritt.

Orlando. Lisa.

Orlando (hat Parabosco bis zur Thür geleitet, kehrt um und sieht Lisas zu).
                              Deine Blumen duften frisch
Und würzig, Lisa.

Lisa.                           Ja, die . . . roten Rosen
Sind heut erst . . . aufgeblüht.

Orlando.                                     Und kosen
Schon mit den Lilien verführerisch.

Lisa. Hähä . . .

Orlando.         Als wär' ein Brautgemach die Vase,
Verströmen sie der Sehnsucht schwülen Hauch.

Lisa. Der . . . gnäd'ge Herr hat eine . . . feine Nase.

Orlando. Und weißt du wohl, daß deine Lippen auch
Zwei Rosen sind, liebreizender als alle?

Lisa (mit naiver Selbstfreude).
Ja, Lelio sagt oft, ich . . . wär' ein Englein
Und hätt' 'nen . . . Zuckermund. 37

Orlando.                                         Und Pfirsichwänglein.

Lisa. Hähä, mir scheint . . .

Orlando.                             Was scheint dir?

Lisa.                                                             Ich gefalle
Dem gnäd'gen Herrn.

Orlando (rasch und halblaut). Wie sehr du mir gefällst,
Dies zu bezeugen wär' ich gern beflissen,
Wenn du mich auf die Probe stellst.

Lisa. Doch . . . Lelio . . .?

Orlando.                           Der braucht's ja nicht zu wissen.

Lisa. Ihr spaßt, hähä.

Orlando.                   Beredter als mein Wort
Soll stumme Sprache . . .
        (Er umfaßt sie schnell und küßt sie.)

(Giuditta ist in der Thür links hinten erschienen, ohne von den beiden bemerkt zu werden.)

Lisa (sich losmachend).             Nicht doch! Ich muß fort.

(Sie läuft über die Loggia nach rechts davon.) 38

Zwölfter Auftritt.

Orlando. Giuditta.

Giuditta (mit leisem Stöhnen).
O!

Orlando (sieht Lisa nach, wendet sich dann um und gewahrt Giuditta; unsicher).
      Grad, Giuditta, wollt' ich . . . Bald verlassen
Hat mich der Graf.

Giuditta (scheinbar unbefangen).
                              Du bist schon lang allein?

Orlando (verwirrt).
Ich? Ja . . . das heißt . . . nur Lisa kam herein
Und brachte Blumen. – – Zauberhaft, nicht wahr,
Die roten Rosen?

Giuditta.                   Und noch mehr die blassen.

Orlando. Seltsam! Erst heute wird mir offenbar,
Wie reich mein eigner Garten. Berg und Thal
Und Wald sind mir vertraut; ihm blieb ich fern.
Sein Eigentum zu kennen, ziemt dem Herrn:
Begleitest du mich wohl?

Giuditta.                             Ein andermal.

(Orlando ab über die Freitreppe in den Garten.) 39

Dreizehnter Auftritt.

Giuditta. (Dann) Valla.

Giuditta (allein, in höchster, leidenschaftlicher Erregung, die Worte tonlos und abgerissen hervorstoßend).
Dort – er – kein Traum – kein Spuk . . . All meinen Glauben,
All meine Lieb' . . .
        (Sie thut einige rasche Schritte, ruft ihm mit halb erstickter Stimme nach.)
                              Orlando! (Sich besinnend.)
                                            Nein – so nicht!
        (In fassungslosem Schmerz.)
Vorbei – verloren – o!
        (Sie sinkt auf einen Stuhl am Tisch und bricht in Thränen aus.)

Valla (in reisefertiger Ausrüstung, den Degen an der Seite, von rechts hinten).
                                  Hier kommt ein Reitersmann,
Gestiefelt und gespornt; die Pferde schnauben,
Bepackt mit meiner Schätze Vollgewicht,
Und beißen in die Zügel. Nun wohlan . . .
        (Er ist näher getreten; erschrocken.)
Hilf Gott, was ist Euch? Thränen? Was geschah?

Giuditta (ringt nach Worten).
Vergebt, ich bin . . . ich wurde . . .

Valla.                                                 Nein, zu fragen
Hab' ich kein Recht. Und doch – von solchem Leide 40
Gefoltert Euch zu wissen, nun ich scheide,
Euch, deren Bild auch in der Ferne nah,
Den Glanz von allzu rasch entschwundnen Tagen
Mir sollt' in heitrer Leuchtkraft überdauern –
Denkt Ihr, ich trüg's mit Gleichmut?

Giuditta.                                               Nein,
Ich weiß . . . O Valla, Freund, in diese Mauern,
Die Ihr gebaut, zog nicht das Glück mit ein.
Denn heute . . . (Mit versagender Stimme.)
                        Nein, ich kann nicht . . .

Valla.                                                           Mir vertrau'n?

Giuditta. Wem sonst als Euch? Ihr seid mein Freund.

Valla.                                                                       Ich bin's.

Giuditta. O, was beginn' ich?

Valla.                                   Sprecht, ich bitt' Euch drum!

Giuditta.                                                                         Ein Grau'n
Lähmt mir die Zunge.

Valla.                               Ich beschwör' Euch, redet!
Auch höchste Not, wenn unbefangnen Sinns
Ein klares Freundesauge sie befehdet,
Weicht scheu zurück vor dem vereinten Trutz. 41

Giuditta (mit leidenschaftlichem Ausbruch).
Warum, o Mutter, blieb ich nicht bei dir?
Fest an dich angeschmiegt, damit aus deinem Schutz
Kein falscher Männerschwur mich je vertriebe!
Verloren hab' ich meines Gatten Liebe,
Und dein Geschick, o Mutter, droht auch mir!

Valla. Ist's das? – Gar leicht kann ein erregt Gemüt
Des Argwohns Gift aus blauem Aether fangen . . .

Giuditta. Jetzt eben, hier, mit meinen eignen Augen
Hab' ich's gesehn – dürft' ich sie Lügner schelten! –
Er, einst von lautrem Feuer so durchglüht,
Daß er gelobte, jede kleinste Huld
Durch ungemeßnes Glück mir zu vergelten,
Daß er im Krieg, des Herzens Ungeduld
Mehr scheuend als den Tod aus Feindeshänden,
Allnächtlich über das Gebirge ritt,
Nur um den Morgengruß emporzusenden
Zu meinem Fenster, hochbeseligt schon,
Wenn eines Lächelns Strahl herniederglitt –
Er, dieser selbe Mann – noch sind entflohn
Fünf Jahre kaum – läuft nun im Ueberdrusse
Der ersten besten Larve nach
Und spitzt den Mund, der Treue mir versprach
Mit heil'gem Eid, zu lästerlichem Kusse!

Valla. Ihr saht . . .? 42

Giuditta.                 Wär's noch 'ne Venus, eine Fee,
Ein Wesen, sinnbethörend ohnegleichen,
Glaubt mir, das thäte mir nicht halb so weh!
Ich dächt': Ein Zauber ist's, und der kann weichen,
Schnell, wie er kam, im Guten und im Bösen.
Doch diese . . .

Valla.                     Wer?

Giuditta.                         Das Weib des Lelio,
Ein Ding, unwissend, läppisch, dumm wie Stroh,
Nicht wert, der Schuhe Riemen mir zu lösen,
So bergtief unter mir, daß ich mit Schauder
Den Abgrund zwischen ihr und mir durchwandre,
Mich fragend: Was hat er an mir vermißt? Ihr Kichern?
Den plumpen Gang? Das stotternde Geplauder?
O nein, ihr kann nur eins den Vorrang sichern:
Daß sie nicht ich ist, sondern eine andre –
Just wie ein Knabe für ein neues Spiel
Gelassen in den Winkel wirft das alte.
Er will den Tausch, den Wechsel nur, gleichviel,
Um welchen Preis!

Valla.                           Er will. Da scheint's mir nötig,
Daß man sein Wollen an der Kette halte
Und so das Raubtier hindre, loszubrechen.
Nur ist dem Freund, wie gern er auch erbötig
Zu jedem Dienst, hier keine Macht vergönnt. 43
Vor diesem Schreckgespenst Euch sei'n – das könnt
Nur Ihr.

Giuditta.       Ich kann noch mehr; ich kann mich rächen!
Bin ich nicht jung? Bin ich nicht hübsch? – Ihr schweigt?

Valla. Die Antwort kennt Ihr selbst.

Giuditta.                                       Nein, sagt mir ehrlich:
Wenn ich den Weg, den mir sein Beispiel zeigt,
Beschritte, würde mir Begleitung fehlen?

Valla (enthusiastisch).
Selbst einem Heiligen wärt Ihr gefährlich!
        (Sie wechseln einen Blick, der beide verwirrt. Mit rascher Fassung.)
Doch diesen Weg – nie werdet Ihr ihn wählen.

Giuditta. Meint Ihr?

Valla.                       Ich weiß es.

Giuditta.                                     Wenn er mich verrät,
Dann ihm zur Strafe . . .

Valla.                                   Nicht auch Euch zur Reue?
Die würd' am härtesten Euch selbst bestrafen.
Euch würdet Ihr erniedern und – den Sklaven, 44
Den Ihr zum Rachewerkzeug ausersäht.
Denn Eures Lebens Wurzel ist die Treue.
Ihr liebt nur einen, werdet immerdar
Ihn lieben, ihn allein.

Giuditta.                         Ach, es ist wahr –
Ich lieb' ihn! Könnt' ich doch mit Zauberkunst
Den Reiz von allen Frau'n auf mich vereinen,
Um wieder ihm so liebenswert zu scheinen,
Wie da zuerst er warb um meine Gunst!
Hätt' ich doch jeder ein Geheimnis abgelernt,
Ihm Stund' um Stunde köstlich zu verzieren!
Denn seht, was fing' ich an, von ihm entfernt?
Ihn halten will ich, darf ihn nicht verlieren!
Und Sandro! Du mein Gott, ist's nicht genug,
Daß ich in so viel bittren Jahren
Der vaterlosen Jugend Elend trug?
Gott, hilf mir, meinem Kind es zu ersparen!

Valla (bewegt).
Ein gut Gebet. Keins wüßt' ich, das Erfüllung
So sehr verdient. – Und nun hört meinen Rat:
Zunächst – von dem, was heut Ihr saht,
Sagt Eurem Gatten nichts. Der Schuld Enthüllung
Bestärkt ertappter Sünder Trotz und List.
Sodann, wie wär's, wenn Ihr für kurze Frist
Euch von ihm trenntet? Euren Reiz und Wert
Verdunkelt ihm Gewohnheit; angezündet
Wird ihm ein Licht, sobald er Euch entbehrt. 45

Giuditta. Ihr glaubt . . .?

Valla.                             Schon Euer Vorsatz, keck verkündet,
Zu reisen, möglichst weit, wird seinem Geist
Vielleicht den Star, an dem er krankt, vertreiben,
So daß er selbst Euch zärtlich mahnt, zu bleiben.

Giuditta. Und wenn er freudig zustimmt?

Valla.                                                     Nun, so reist
Und seid gewiß . . .

Vierzehnter Auftritt.

Vorige. Lelio. (Gleich darauf) Orlando.

Lelio (von rechts hinten, bleibt in einiger Entfernung stehen).
                                Herr, jetzt . . .

Valla (zu Lelio, zustimmend).                       Ja, höchste Zeit!

Lelio. Ihr müßt scharf traben, wenn Ihr noch vor Nacht
Wollt in Rovigo sein.

Valla.                             Ich bin bereit.
        (Sich zu Giuditta wendend, halblaut.)
's ist besser so für Euch und mich. 46

Giuditta (halblaut, auf den eintretenden Orlando zeigend).
                                                    Habt acht:
Da kommt er.

(Orlando ist aus dem Garten zurückgekehrt; er hält einen Blütenzweig in der Hand, mit dem er verträumt spielt.)

Valla (geht auf ihn zu). Nehmt den letzten Gruß entgegen,
Mein Gönner . . .

Orlando (zerstreut).     Richtig . . . Geht Ihr?

Valla.                                                         Höchst verlegen,
Wie meinen Dank ich formen soll. Ihr habt
Mit so viel Güt' und Nachsicht mich erduldet . . .

Orlando. Sprecht Ihr von Dank – nicht Ihr seid's, der ihn schuldet;
Denn weniger empfingt Ihr, als Ihr gabt.
Wann reist Ihr von Florenz nach Rom?

Valla.                                                         Sobald
Geschäfte, die zu flücht'gem Aufenthalt
Mich zwingen, abgethan.

Orlando.                               So bringt, ich bitte,
Dem heil'gen Vater meiner Ehrfurcht Zoll. 47

Valla (zu Giuditta).
Und Eurer Mutter in Florenz, was soll
Ich ihr bestellen?

Giuditta.                   Daß ich Sehnsucht litte –
Sehnsucht nach ihr. Sagt ihr nur dies.

Valla.                                                     Nur dies.
        (Mit Betonung.)
Doch daß ich ihren Eidam unverhohlen,
Solang ich hier verweilte, glücklich pries,
Füg' ich hinzu.

Giuditta.               Lebt wohl!

Orlando.                                 Seid Gott befohlen!

(Er geht mit ihm bis zur Thür. – Valla ab rechts hinten; Lelio folgt.)

Fünfzehnter Auftritt.

Giuditta. Orlando.

Giuditta (ruft).
Orlando!

Orlando (sich ihr langsam nähernd).
                Ja – du wünschest?

Giuditta.                                       In zwei Wochen
Ist meiner Mutter Namenstag.
Sie zu besuchen hab' ich oft versprochen . . . 48

Orlando (erwartungsvoll).
Nun, und?

Giuditta.         Was wäre deine Meinung, sag,
Wenn ich, dem eignen Drang gehorchend, endlich
Einlöste mein Versprechen?

Orlando (seine angenehme Ueberraschung bemeisternd).
                                          Das erschiene
Mir als dein heilig Recht.

Giuditta.                               So stimmst du bei,
Daß ich auf einen Monat oder zwei
Dich und dies Haus verlasse?

Orlando.                                     Selbstverständlich.

Giuditta (schmerzlich).
Du hältst mit keinem Wort, mit keiner Miene
Mich hier zurück?

Orlando.                     Bin ich denn ein Tyrann,
Der einer Tochter frommen Vorsatz kleinlich
Vereiteln möchte?

Giuditta (trotzig).         Gut, so reis' ich!

Orlando.                                             Wann?

Giuditta. In ein paar Tagen. 49

Orlando.                             Unsern Valla wirst
Du wohl noch treffen in Florenz.

Giuditta.                                         Wahrscheinlich.

Orlando. Die Mutter und den Freund – was willst du mehr?

Giuditta (erfreut).
Orlando, das ist Eifersucht!

Orlando.                                 Du irrst.
Nach solchem Wahnwitz trag' ich nicht Begehr.

Giuditta (enttäuscht).
Nicht?

Orlando.   Keinen Mann halt' ich für so vermessen,
Daß er nicht Frau Giudittas Tugend scheut
Und Herrn Orlandos Degen. Drum . . .

Giuditta (schnell).                                       Noch heut
Schreib' ich der Mutter . . .

Orlando.                                 Halt, beinah hätt' ich vergessen . . .

Giuditta. Was?

Orlando (in seinen Taschen suchend).
                  Einen Brief. 50

Giuditta.                               Für mich?

Orlando.                                               Ja, den zuvor
Ein Bote mir gereicht durchs Gartenthor.

Giuditta. Du bist seit kurzem wunderlich zerstreut.
        (Orlando hat den Brief hervorgezogen; sie greift danach.)
Gieb! – Aus Messina. Meiner Schwester Schrift! –
        (Sie öffnet rasch und liest.)

Orlando. Nun?

Giuditta.           O, du trautes Herz! – Das übertrifft
Der Hoffnung kühnsten Traum.

Orlando.                                         Darf ich erfahren . . .?

Giuditta. Renata kommt hierher!

Orlando.                                     Hierher?

Giuditta.                                                   Sie schreibt,
Daß ihr Verlangen, mich nach dreizehn Jahren
Wiederzusehn, sie machtvoll nordwärts treibt!
Entschlossen ist sie, baldigst anzutreten
Den weiten Weg. 51

Orlando.                   Zur See?

Giuditta.                                 Nein, über Land.
        (Sie reicht ihm den Brief.)
Lies nur!

Orlando (in den Brief blickend).
                Sie kommt auch mir nicht unerbeten.
Schon lang – du weißt es – bin ich höchst gespannt,
Dein Ebenbild zu schau'n, dein zweites Ich,
Nachprüfend, was die Fama von euch beiden
Und eurer Doppelgängerschaft erzählt.
Es wäre doch fürwahr absonderlich,
Könnt' ich sogar, obgleich mit dir vermählt,
Die Schwester von der Frau nicht unterscheiden.

Giuditta. Renata kommt! Wie strömt schon im voraus
Ein warmes Wohlgefühl durch alle Glieder!
Ich will sie halten, hegen; niemals wieder
Soll sie zurück ins liebeleere Haus
Des Vaters ziehn! So treibt das bunte Leben
Sein Spiel auch mit dem reiflichsten Entschluß:
Die Reise nach Florenz, die mir noch eben
Durchaus unwiderruflich galt, nun muß
Ich sie vertagen.

Orlando.                   Mußt du das? Weswegen?
        (Giuditta sieht ihn erstaunt an.)
Bedenk, Sicilien ist weit entlegen. 52
Du kannst zu deiner Mutter Namenstage
Gemächlich reisen und hierher zurück,
Bevor Renata nur das kleinre Stück
Des Wegs durchmessen kann.

Giuditta.                                       Das wär' die Frage.
Ein Segel bringt sie binnen Wochenfrist
Leicht bis Venedig.

Orlando (deutet auf den Brief).
                              Doch hier steht: »Ich wähle
Den Weg zu Land.«

Giuditta (in den Brief hineinsehend).
                                Ein Wort steht noch dabei:
»Vermutlich.«

Orlando (etwas verwirrt).
                      Ja – vermutlich. – Einerlei,
Du siehst . . .

Giuditta.               Ich sehe, wie besorgt du bist,
Daß ich bei meiner Mutter Fest nicht fehle.

Orlando (lebhaft).
Und obendrein, Renatas Straße führt
Quer durch Toscana. Wird sie dort nicht rasten?
Wird in Florenz, von Sehnsucht unberührt,
Am Haus der Mutter sie vorüberhasten,
Die just so lang von ihr getrennt wie du? –
Nein, reise nur beruhigt ab; ich wette,
Ihr trefft einander dort. 53

Giuditta.                             Du glaubst, ich hätte
Nur einen Tag, nur eine Stunde Ruh',
Spräch' unterwegs zu mir ein stetes Bangen:
Sie pocht vielleicht an meine Thüre jetzt,
Und ich bin ferne!

Orlando.                     Diesen Fall gesetzt,
Bin ich nicht da, sie würdig zu empfangen?

Giuditta (mit verändertem Gesichtsausdruck, einem plötzlichen Gedanken nachgehend).
So? Meinst du? –

Orlando.                     Ja. – Was ist dir?

Giuditta.                                               Nichts. – Fahr fort.
Würdig empfangen willst du sie?

Orlando.                                         Mein Wort!

Giuditta. Und ich . . .?

Orlando.                       Wenn sie vernimmt, welch fromme Pflicht
Dich kurze Zeit entführte, wird sie nicht
Beifall dir zollen und sich unverdrossen
Gedulden bis zu deiner Wiederkunft? 54

Giuditta (innerlich zur Klarheit gelangt, mit einemmal fest und heiter).
Weiß Gott, in deinen Reden liegt Vernunft!

Orlando. Du reisest?

Giuditta.                   Unbedingt; nun ist's beschlossen.

Orlando. Sehr klug.

Giuditta.                 Nicht wahr? Und ganz nach deinem Sinn.
Wir armen Frau'n, wo kämen wir doch hin,
Wenn überlegner männlicher Verstand
Nicht immerfort uns hielt' am Gängelband.
Was mir verworren schien, du hast's gelichtet:
Die Mutter wird den wackren Eidam loben,
Der ihr zulieb so gern auf mich verzichtet,
Und kommt Renata, gut, so mag sie hier
Ein Weilchen harren; weiß ich doch: bei dir
Ist sie vortrefflich aufgehoben.
Nur keine Zeit verloren! Bald von hinnen
Heißt bald zurück. Mit rascher Vorbereitung
Des Aufbruchs werd' ich drum sogleich beginnen.

Orlando. Und wen willst du zur schützenden Begleitung
Dir ausersehn? 55

Giuditta.                 In keines andern Hut
Würd' ich so sicher mich geborgen wissen,
Als . . .

Orlando.     Sprich!

Giuditta.                 Jedoch du wirst ihn ungern missen.

Orlando. Wen?

Giuditta (ihn scharf ansehend).
                  Lelio.

Orlando (mit lebhafter Zustimmung).
                            Der scheint auch mir der Rechte!

Giuditta. Du könntest ihn entbehren?

Orlando.                                           O, sehr gut!

Giuditta. Den Jägermeister?

Orlando.                             Nimm ihn mit!

Giuditta.                                                   Ich dächte,
Die Jagd ist dir wie Licht und Luft.

Orlando.                                             Wohl wahr;
Nur bin ich Manns genug, allein zu jagen. 56

Giuditta. So? –

Orlando.           Nimm getrost ihn mit!

Giuditta.                                             Das will ich thun. –
Hab Dank! Du löstest alle Zweifelsfragen;
Ich bin belehrt und sehe sonnenklar.

Orlando. Besprich mit ihm . . . (Er sieht Lelio eintreten.)
                                        Hier ist er selbst.

Sechzehnter Auftritt.

Vorige. Lelio (von rechts hinten).

Lelio.                                                                   Herr . . .

Orlando.                                                                             Nun?

Lelio. Ein richtig Satansvieh, der neue Rapp'.

Orlando. Wieso?

Lelio.                   Manch Vollblut hab' ich zugeritten;
Doch dieser Racker warf mich dreimal ab.

Orlando (geht nach hinten).
Den laß nur mir! Ich lehr' ihn sanftre Sitten.
        (Lelio will ihm folgen.) 57
Nein, bleib und hör aus meiner Gattin Mund,
Zu welchem Ehrenamt man dich erkoren.

(Ab rechts hinten.)

Siebzehnter Auftritt.

Giuditta. Lelio. (Zuletzt) Sandro.

Giuditta (rasch, mit merklicher innerer Erregtheit).
Ja, höre, Lelio!

Lelio.                     Mit beiden Ohren.

Giuditta. Tritt näher.

Lelio.                         Was befehlt Ihr?

Giuditta.                                               Hab' ich Grund,
Zu glauben, daß du redlich mir ergeben?

Lelio. Vom Scheitel bis zur Sohle bin ich Euer;
Ich geh' für Euch durchs Wasser und durchs Feuer,
Und hätt' ich ein paar Dutzend Leben,
Ich würfe sie, wenn Ihr's begehrtet, fort
Wie Handschuh'!

Giuditta.                   Wohl, ich nehme dich beim Wort.
Erweise dich des hohen Zutrau'ns wert, 58
Das ich, gedrängt von meiner Herzensnot,
Dir schenken will.

Lelio.                         Sagt mir, was Euch beschwert:
Mit zwanzig Drachen nehm' ich's auf!

Giuditta.                                                 Sehr wacker.
Ich will nicht deinen, noch der Drachen Tod;
Nur schweigen sollst du.

Lelio.                                   Wie ein Gottesacker.

Giuditta. Kein Sterbenswort zu Lisa!

Lelio.                                             Gott bewahr'!

Giuditta. Versprich's!

Lelio.                         Ich hänge mir ein Mundschloß an.

Giuditta. Schwör mir . . .

Lelio.                             Ich schwöre.

Giuditta.                                             Wisse denn, es droht
So dir wie mir gemeinsame Gefahr. 59

Lelio. Uns droht Gefahr? Von wem?

Giuditta.                                         Von meinem Mann
Und deiner Frau.

Lelio (erst allmählich verstehend).
                          Wie? Was? Der Herr . . . Verdammt!
Ist dies vielleicht das Ehrenamt,
Von dem er sprach?

Giuditta.                       Er ahnt nicht, daß ich's merkte.

Lelio (aufgeregt).
Was merktet Ihr? Was ist geschehn?

Giuditta.                                               Noch nichts.
Daß aber heut sich die Gefahr verstärkte,
Steht leider fest.

Lelio.                       Potz Hagel! Ei potz Hagel!
Lisa, mein Weib, mein Täubchen in der Schlinge!
Ihr Herz ist gut; doch an Verstand gebricht's.
O, wenn sie mich aus Dummheit hinterginge,
Das wär' zu meinem Sarg der erste Nagel!

Giuditta. Will's Gott, so bleiben wir davor bewahrt;
Denn plötzlich ist ein Engel mir erschienen
Und hat den Rettungsweg mir offenbart.
        (Sie reicht ihm die Hand.)
Gelobst du Beistand mir zu Schutz und Trutz? 60

Lelio. Das fragt Ihr noch? Der Eifer, Euch zu dienen,
Wird nun vertausendfacht vom Eigennutz.

Giuditta (rasch).
Merk auf: Uns kündigt meine Schwester grad
Ihr Kommen an. Mein Gatte kennt sie nicht,
Weiß nur, daß wir von Wuchs und Angesicht
Uns völlig gleichen. Noch bevor sie naht,
Reis' ich zur Mutter. Du bist mein Begleiter.

Lelio (erschrocken).
Ich?

Giuditta.   Du bedenkst dich?

Lelio.                                   Hm!

Giuditta.                                       Was macht dir Pein?

Lelio. Wir fort, und Lisa mit dem Herrn allein . . .

Giuditta. Nun ja.

Lelio.                   Vergebung, wär' es nicht gescheiter
Ich bliebe hier?

Giuditta.                 Warum? 61

Lelio.                                     Als meines Schäfchens Hirt.
Wer wird denn wachen, wenn . . .

Giuditta.                                           Wer wachen wird?
Ich selbst!

Lelio.             Ihr selbst? Ihr seid ja doch verreist.

Giuditta. Und gleichwohl hier.

Lelio.                                     Das ist für meinen Geist
Zu hoch.

Giuditta.       Je nun, vielleicht hab' ich die schwarze Kunst
Entdeckt, an zwei verschiednen Stellen
Zugleich zu sein. Verstehst du?

Lelio.                                           Keinen Dunst.

Giuditta. Thu, was ich will, so wird sich's bald erhellen.

Lelio. Befehlt, und ich verdopple mich.

Giuditta (sich ängstlich umsehend).         Nur leise!
Du reitest morgen mit dem frühsten stracks
Zur Stadt, vorgeblich, um für unsre Reise 62
Dich auszurüsten. Insgeheim jedoch
Wirst du mir dort 'ne neue Zofe dingen,
Die mich nicht kennt . . .

Lelio.                                   Das wird mir wohl gelingen.

Giuditta. Du kaufst mir Kleider neuesten Geschmacks,
Putz, Bänder und Geschmeide, ferner noch
Ein Büchslein jenes duftig seinen Staubs,
Der, in das Haar gestreut, die Farbe wandelt . . .

Lelio. Die ganze Welt kauf' ich, wenn Ihr's bezahlt.

Giuditta.                                                               Ich glaub's.
Und alles, was du sorgsam eingehandelt,
Das bringst du – ja, wohin? Ist in der Nähe
Dir kund ein zuverlässiges Versteck?

Lelio. Uralt und halbzerfallen liegt im Forst
Ein Jagdhaus, jetzt nur noch ein Eulenhorst.
Kein Mensch betritt's, und friedlich säugen Rehe
Dort ihre Kitzlein.

Giuditta.                     Wie für meinen Zweck
Geschaffen. Wohl, wir reisen in drei Tagen!

Lelio (erstaunt).
So wollt Ihr . . .? 63

Giuditta.                   Einen kühnen Feldzug wagen.
Wie einst der tapfre Caesar steh' nun ich
Am Rubicon des Glücks; die Würfel fielen!
Drum . . .

Sandro (ist mit Cecca in der Thür links hinten erschienen; er macht sich von ihr los und eilt auf Giuditta zu).
                  Mutter, spielen!

Giuditta (hebt ihn empor und drückt ihn zärtlich an ihre Brust).
                                            Ja, nun werd' ich spielen,
Zwar nicht mit dir, mein Schatz, und doch für dich! 64


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