Ludwig Fulda
Der Seeräuber
Ludwig Fulda

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Zweiter Aufzug

Dieselbe Dekoration wie im ersten Aufzug

In der Mitte des Hintergrundes erhebt sich jetzt die armselige Schaubude Serafins, aus Stangenwerk und vielfach geflicktem Segeltuch, mit ein paar primitiven, marktschreierischen Bildern behangen. An ihrer linken Ecke über zwei Stufen der Eingang fürs Publikum; an der rechten, durch einen schmutzigen Vorhang verdeckt, der »Bühneneingang«. – Vom Hause Hurtados zum Hause Pedros ist hoch über die Gasse ein Wäscheseil gespannt, an dem Wäsche zum Trocknen hängt. – Sonnenschein

Erster Auftritt

Serafin, Trillo (sitzen zusammen auf der Brunnenbank)

Serafin (überzählt kleine Münzen)
Sieben – acht –

Trillo                       Mich wundert nur,
Daß Ihr immer wieder nachzählt.
Schwerlich wird's vom Zählen mehr.

Serafin (abschließend)
Neun ein halb.

Trillo                     Es bleibt dabei. 65

Serafin Neun ein halb! Und dieses halbe,
Wenn nicht alles trügt, ist falsch!

Trillo Ja, das war ein Abend gestern!
Der verlohnte sich der Müh!
Trotz dem aufgewandten Lärm
Stundenlanger Liebeswerbung,
Trotz entzweigeschlagner Trommel
Und geplagtem Dudelsack
Eure Bude gähnend leer;
Reih' um Reihe, Bank für Bank
Raum genug zum Kegelschieben;
Nur – als Trost zugleich und Hohn –
Eine Handvoll Gassenjugend
Hinten auf dem letzten Platz!

Serafin (kopfschüttelnd)
Wenn dies nicht ein böser Traum . . .

Trillo Leider nein.

Serafin                 O Mitwelt, Mitwelt,
So belohnst du deine Besten!
O Jahrhundert, grausam wahrlich
Bist du gegen das Talent!

Lisarda (erscheint am Fenster von Pedros Hans, sucht sich Trillo bemerkbar zu machen)
Pst! 66

Trillo (wird aufmerksam)
        Aha.

Serafin (sich ihm schwermütig zuwendend)
                  Wie meinst du?

Lisarda (liebäugelnd, halblaut)       Trillo!

Serafin Rief dich wer?

Trillo                         Das Zöfchen dort.
Ist sie nicht ein niedlich Ding?
Gestern nach der Vorstellung
Hat sie meines Herzeleids
Liebevoll sich angenommen.

Serafin Ähnlich ging es mir. Ich fand,
Als ich einsam aus dem fruchtlos
Abgebrannten Kerzenlicht
In das nächt'ge Dunkel trat,
Statt des mir entgangnen Lorbeers
Eine Ros' am Wege.

Isabel (ist am Fenster ihres Hauses erschienen; halblaut)
                                Pst!
Serafin!

Trillo           Ist's diese?

Serafin                         Wohl. 67

Trillo Auch nicht übel.

Serafin                       Und von äußerst
Leidenschaftlichem Geblüt.

Trillo Ganz wie meine.

(Kreuzfeuer von Blicken)

Serafin (seufzend)         Doch was hilft das?

Trillo Was das hilft? Muß unsereiner
Doppelt sich und dreifach nicht
An der Liebe schadlos halten,
Da sie doch das Einzige,
Was nichts kostet?

Serafin                         Und nichts einbringt.

Trillo Manchmal doch. Mir trug sie gestern
Warmes Abendbrot.

Serafin                           Mir nicht.

Trillo Hättet Ihr wie ich nur tüchtig
Auf den Busch geklopft . . . 68

Serafin                                     Ich klopfte;
Doch der Busch war taub dafür.
Satten Herzens, leeren Magens
Kroch ich in mein Bett aus Stroh.

(Lisarda und Isabel ziehen sich, nachdem sie inzwischen noch einige Kußhände geworfen, von den Fenstern zurück)

Trillo Und was jetzt? Nur wissen möcht' ich,
Wie das werden soll mit uns.
Der Ertrag von gestern reicht
Kaum für'n karges Mittagessen . . .

Serafin Du vergißt, ich geb' heut abend
Meine zweite Vorstellung.

Trillo Wollt Ihr Eure Kerzen wirklich
Einmal noch umsonst verbrennen?

Serafin (aufstehend)
Wagen muß ich's; muß! Zu würfeln,
Schicksal, zwingst du mich: entweder
Eine volle Kasse heut,
Mittel schaffend, um von hier
Ohne Schuldhaft loszukommen,
Langend bis zur nächsten Stadt . . .

Trillo Oder?

Serafin         Oder ratsam wär's,
Daß ich gleich hier auf dem Fleck 69
Mit dem großen Purzelbaum,
Den so leicht mir keiner nachmacht,
Mich in diesen Brunnen stürzte.

Trillo Nur nichts übereilen, Meister.
Dieser Ausweg bleibt Euch frei.

Serafin (mit großen Schritten auf und ab gehend)
Ja, kein Zweifel: heutzutage
Beißt auf Kunst, auf bloße Kunst
Überhaupt kein Hund mehr an.

Trillo Hab' ich's Euch nicht längst gesagt?

Serafin Um der Menge träges Hirn
Aus der Stumpfheit aufzurütteln,
Braucht sogar die Meisterschaft
Nötiger als all ihr Können
Irgend einen groben Köder,
Einen ganz gemeinen Kniff!

Trillo Fragt sich nur, wo man ihn her nimmt.

Serafin (in angestrengtem Nachdenken)
Wenn zum Beispiel . . . Nein, so nicht.
Aber so vielleicht . . .

Trillo                               Ihr meint? 70

Serafin Oder so . . .

Trillo                       Verteufelt pfiffig;
Nur im Ausdruck nicht recht klar.

Serafin Was erzeugt Gedräng? Die Neugier.
Folglich müßte man sie kitzeln.
Und was kitzelt sie gewisser
Als das Rätsel, das Versteckspiel?
Wenn man diesem blöden Pack
Auf die Nase könnte binden,
Daß ich ganz was andres bin,
Als ich scheine . . .

Trillo                           Käm' drauf an.

Serafin Eine möglichst spannende,
Möglichst abenteuerliche,
Möglichst noch nicht dagewes'ne
Wichtige Persönlichkeit . . .

Trillo Ein verkappter Prinz am Ende,
Der zum puren Zeitvertreib
Tages über Hunger leidet
Und am Abend Feuer schluckt!

Serafin Geht nicht; geht nicht. Glaubt mir niemand. 71

Trillo Was denn sonst?

Serafin                         Ein großes Tier . . .

Trillo Das bei Nacht sich auf dem Stroh
Plagen läßt von kleinen Tieren!

Serafin Nein, geht auch nicht. –
        (Mit plötzlicher Erleuchtung)
                                          Halt, ich hab's!
Trillo, den Gedanken schickt
Mir mein guter Engel.

Trillo                               Welchen?

Serafin Ein Verbrecher!

Trillo                           Seid Ihr toll?

Serafin Ein gefürchteter Verbrecher!
Wer hat glaublicheren Anlaß
Zur Verkleidung? Wer erregt
Prickelnderen Reiz und Schauder,
Wirkt mit stärk'rer Angst und Lockung
Auf die Weiblichkeit? Entsinn dich,
Wie schon als Romanzenheld,
Vom Gedicht nur vorgespiegelt, 72
Solch ein Wütrich Wangen lodern,
Busen höher schaukeln macht,
Jedesmal, wenn ich beginne:

    »Umbraust von hochgetürmten Wogen,
    Umringt von seiner kühnen Schar,
    Auf seinem Raubschiff hergeflogen
    Kommt Estornudo, der Korsar . . .«

        (Sich vor die Stirn schlagend)
Estornudo, der Korsar! –
Blitz und Hagel – ja, das ists!
Läßt sich der nicht neu beleben,
Da den Leichnam niemand sah?
Räuberfürst, nicht mehr noch minder!
Mischgeruch von Blut und Meersalz,
Balsamiert mit Sagenduft . . .
        (Er fährt auf Trillo los und schüttelt ihn)
Kerl, wie dünkt dich das?

Trillo                                   Versteh' ich
Recht? Ihr wolltet . . . ?

Serafin                               Stell dir vor:
Estornudo, der Verschollne,
Heimlich wieder aufgetaucht,
Um für seinen nächsten Raubzug
Mannschaft rings im Land zu werben,
Unter eines Gauklers Maske
Hier sich bergend und heut abend
In der Bude dort leibhaftig
Gegen Eintrittsgeld zu sehn! 73

Trillo Ausverkauft!

Serafin                   Ans Werk somit!
Unsern Weg von gestern geh
Statt mit Trommeln heut mit Flüstern . . .

Trillo Ausverkauft!

Serafin                   Und bring in Umlauf
Das entsetzliche Geheimnis.

Trillo Wenigen ins Ohr geraunt,
Läuft's von selber.

Serafin                         Vorwärts!

Trillo (geht ein paar Schritte, bleibt stehen)
                                              Nur –
Ob der Plan trotz aller Schlauheit
Nicht bedenklich?

Serafin                       Pah, was hat noch
Zu bedenken, wem das Messer
An der Kehle sitzt wie mir?

Trillo Das ist wahr. 74

Serafin                   Und wenn die Gimpel
Heut nur glatt uns auf den Leim gehn –
Morgen sind wir weit vom Schuß.

Trillo Aber falls die Obrigkeit
Sich hineinmengt . . .

Serafin                             So erklär' ich's
Für ein lächerlich Gerede,
Einen mißverstandnen Witz,
Und mein Paß erweist mich ihr
Als ein Lamm, das keiner Mücke
Jemals was zuleid getan.

Trillo Das ist richtig. – Gut, ich mach's!
        (Er bemerkt Lisarda)
Gleich bei der da.

Serafin (hat die Münzen wieder hervorgezogen, läßt sie in der Hand klimpern)
                            Mittlerweil
Kauf' ich ein für unsre Tafel.
Überflüssig, noch zu sparen
In Erwartung des Erfolgs.

(Ab rechts) 75

Zweiter Auftritt

Trillo. Lisarda (ist aus Pedros Haus getreten)

Trillo Kleine, suchst du mich?
        (Er will sie umfassen)

Lisarda (ihn abwehrend)           Du Schlingel!
Winkt' ich mir den Arm nicht lahm?
Wollte nicht mit dir ein Stündchen
Schöntun, während meine Herrschaft
In der Messe weilt? Und du . . .

Trillo Ich? Wieso?

Lisarda                 Du hast's nicht eilig,
Spielst mir schon den Kühlen vor.

Trillo Welch ein Irrtum!

Lisarda                         Doch so geht's,
Wenn euch niederträcht'ges Mannsvolk
Eine nicht lang' zappeln läßt!

Trillo O, wie schwer du mich verkennst!
Hab' auch ich doch einen Herrn;
Und wenn der befiehlt . . . 76

Lisarda                                   Zum Lachen!
Einen Herrn! Das nennt sich Herr;
Das befiehlt noch!

Trillo                         Wenn du wüßtest,
Wem ich diene . . .

Lisarda                         Wem du dienst?
Hat mir wer nicht vorgejammert,
Daß er bei dem Habenichts
Halb schon Hunger sei gestorben?

Trillo Ja, so sagt' ich dir, wie jedem;
Doch die Wahrheit . . .

Lisarda                               Was?

Trillo                                           Die Wahrheit . . .

Lisarda Wie?

Trillo             Nein, nein, die muß ich tief,
Abgrundtief in mir vergraben.

Lisarda Auch vor mir?

Trillo                           So hart mir's ankommt . . . 77

Lisarda Schnickschnack! Nur heraus damit!

Trillo (sich umsehend)
Wär' ich sicher, daß du schweigst . . .

Lisarda Pfui, welch Mißtrau'n!

Trillo                                       Jetzt und ewig . . .

Lisarda Ja doch! – Also?

Trillo (ausholend)             Also . . .

Lisarda                                       Nun?

Trillo Dir zulieb . . .

Lisarda                     Du folterst mich.

Trillo Zum Beweis, wie bodenlos
Du mir's angetan . . .

Lisarda                           Mich kribbelt's.

Trillo Und wie fest ich auf dich baue . . . 78

Lisarda Sprich, wenn ich nicht platzen soll!

Trillo Höre denn, was niemand ahnt,
Niemand ahnen darf: Mein Herr
Ist . . . (Er sieht sich wieder um)
          Komm näher. Näher noch.
Ist in Wirklichkeit . . .
        (Er tuschelt ihr ins Ohr)

Lisarda (zuhörend, spricht in Absätzen, während ihr Mienenspiel den sensationellen Eindruck des Mitgeteilten malt)
                                  Nicht möglich! –
Der? – Ich bin ja sprachlos. – Der! – –
Aber nein, du scherzest!

Trillo                                   Scherzt man
Mit so fürchterlichen Dingen?
Wenn du mir jedoch nicht glaubst . . .
        (Er macht Miene fortzugehen)

Lisarda (ihn festhaltend)
Ja doch!

Trillo             Wider meinen Willen
Hast du mir's herausgelockt,
Und dann sagst du, daß ich scherze . . . 79

Lisarda Halt! Vergib mir! Läßt sich so was
Denn im Handumdrehn verdau'n? –
Nicht so ganz geheuer zwar
Kam er gleich mir vor. – Es fällt
Mir wie Schuppen von den Augen. –
Ähnlich ungefähr beschrieb ihn
Ja mein erster Bräutigam,
Der zur See gerauft mit ihm. –
Doch warum? Wieso? Weswegen?
        (Er tuschelt ihr wieder ins Ohr)
Deshalb! – Und der Jahrmarktsplunder
Nur Bemäntlung? – Wie verschmitzt! –
        (Da Trillo aufhorchend abbricht)
Weiter, weiter!

Dritter Auftritt

Vorige. Isabel. (Dann) Serafin

Isabel (tritt aus ihrem Hause, sieht sich um)
                        Ist er fort?

Trillo (stellt sich erschrocken)
Still!

Lisarda (ärgerlich)
        Muß die uns grad . . .

Trillo                                       Heut abend
Mehr davon. 80

Lisarda               Du kommst?

Trillo                                     Bestimmt.

Isabel (sich umsehend)
He, wo steckt, Gesell, dein Meister?

Trillo Werde schau'n.

(Er geht nach links hinten, bleibt dort am Eingang der Gasse beobachtend stehen)

Lisarda (angelegentlich auf sie zu)
                            Frau Isabel,
Denkt Euch nur . . .

Isabel                             Was gibt's, Lisarda?

Lisarda Aber unterm strengsten Siegel
Der Verschwiegenheit!

Isabel                               Versteht sich.

Lisarda Dieser Gaukler . . .

Isabel                                 Serafin?

Lisarda Ist . . . (Sie tuschelt ihr ins Ohr) 81

Serafin (kommt von rechts zurück, mit Brot, Käse, Zwiebeln, die er in sein Schnupftuch eingewickelt hat, bleibt an der hinteren Ecke von Isabels Haus beobachtend stehen, sieht Trillo, der ihm während des Folgenden, auf die Weiber zeigend, pantomimisch andeutet, das Rad sei schon im Rollen, tauscht Blicke mit ihm, ermahnt ihn dann pantomimisch, die Arbeit fortzusetzen. Trillo geht schließlich ab links hinten)

Isabel (während des Zuhörens)
                  Wahrhaftig? – Was der tausend! –
Weißt du's auch gewiß? – Von Trillo?
Freilich, dann – So mir nichts, dir nichts? –
Überaus bemerkenswert!

Lisarda Nicht wahr?

Isabel                       Doch mich wundert's nicht.
Ganz und gar nicht. Es bezeugt mir
Nur mein feines Näschen wieder.
Denn der Spitzbub schien ein Spitzbub
Mir vom ersten Augenblick.

Lisarda Solch ein Waghals! Gnad' ihm Gott,
Wenn mein sittenstrenger Herr
Wind bekäm' davon!

Isabel (ängstlich)               Du wirst's ihm
Doch nicht stecken!

Lisarda                         Ihm? Da beiß' ich
Mir die Zunge lieber ab.

(Sie geht ab in Pedros Haus) 82

Vierter Auftritt

Isabel. Serafin

Isabel (entdeckt Serafin, eilt auf ihn zu, umarmt ihn)
O, da bist du, Trauter!

Serafin                             Traute,
Drück mir meine Mittagsmahlzeit
Nicht entzwei.

Isabel (mit sanftem Vorwurf)
                      Warum nicht offen
Warst du gegen mich?

Serafin                             Du weißt . . . ?

Isabel Alles.

Serafin (mit gespieltem Schreck)
              Ha, dann muß ich fliehn!

Isabel Süßes Räuberchen, weshalb?
Einen Mann, der mir gefällt,
Frag' ich nicht nach seinem Handwerk.
Du verbleibst für mich, ob Gaukler,
Ob Korsar, mein Serafin.

Serafin Und dir graust es nicht vor mir? 83

Isabel Huh, der Mann, vor dem mir graust,
Muß noch erst geboren werden.
Was auch lohnt bei mir den Raub,
Da du schon mein Herz gekapert?

Serafin Mancherlei noch außerdem
Wär' grad jetzt mir dringend nötig.

Isabel Nein, du Schlimmer: Liebe fordr' ich,
Liebe geb' ich; das ist alles.

Serafin Ja, das hab' ich schon bemerkt.

Isabel Morgen wirst du weiterziehn,
Wirst in einer andern Arm
Mich vergessen.

Serafin                     Kaum.

Isabel                                   Du wirst es.
Darin seid ihr alle gleich.
Aber hier zum mindesten
Für die kurze Dauer sollst du
Mir gehören, mir allein.
Vierundzwanzig Stunden Treue,
Das ist nicht zu viel verlangt. 84

Serafin (hat inzwischen aus seinem Mundvorrat ein Stück Brot hervorgeholt und hineingebissen, kauend)
Wahrlich nein.

Isabel (horchend)     Es kommen Leute.
        (Mit gedämpfter Stimme)
Zur bewußten Zeit!

Serafin                         Jawohl.

Isabel Dort in meiner Laube wieder.

Serafin Abgemacht.

Isabel (verliebt)       Ich harre dein.

(Sie schlüpft in ihr Haus. – Serafin geht zu seiner Bude, setzt sich halb abgewandt auf die Stufen ihres Haupteingangs und packt seinen Proviant aus, dem er während des nächsten Auftritts, ohne aufzuschauen, eifrig zuspricht)

Fünfter Auftritt

Serafin (im Hintergrund). Pedro, Manuela (kommen genau wie im ersten Aufzug, er mit Rosenkranz, sie mit Fächer, von rechts. – Dann) Lisarda

Pedro (mit ihr auf sein Haus zuschlendernd)
Heut ist's wärmer noch als gestern.

Manuela Streng dich also nur nicht an. 85

Pedro Unser Tagwerk an Gebeten
War' vollbracht; nun unser Schmaus . . .

Manuela Dann dein Schläfchen – wie gewöhnlich.

Pedro Nein, heut wird sich etwas ändern.

Manuela (erfreut)
Ändern? In der Tat?

Pedro                             Heut werd' ich
Außen in der Laube schlafen,
Weil's im Haus zu stickig ist.

Manuela Und ich dachte schon . . .

Pedro                                             Du weißt:
Morgen, wo der Gäule wegen
Ich aufs Gut hinaus will, steht
Mir ein schwerer Tag bevor.

Manuela Ja, mit solcher Müh' vor Augen
Mußt du doppelt gründlich ruhn.

Lisarda (erscheint in der Haustür)
Eben wollt' ich nach der Herrschaft
Ausspähn. 86

Pedro               Was ist los?

Lisarda                               Die Suppe
Hab' ich auf den Tisch gestellt.

Pedro Gut. (Er geht in sein Haus)

Lisarda (halblaut, zu Manuela)
            Auch hätt' ich was für Euch
Insgeheim auf Lager.

Manuela                         Nämlich?

Lisarda Eine große Neuigkeit.

Manuela (ironisch)
Noch ein Bub? Ein Mädchen diesmal?

Lisarda Ganz was andres!

Manuela                           Zwillinge?

Lisarda Starr sein werdet Ihr.

Manuela                               Im Ernst? 87

Pedro (erscheint oben am Fenster, mit umgebundener Serviette)
Manuela, wo denn bleibst du?

Manuela (ihm in der Tür eine Nase drehend)
Bin schon da.
        (Zu Lisarda, die ihm gleichfalls eine Nase dreht)
                      Hernach.

(Beide ab ins Haus. Pedro verschwindet vom Fenster)

Sechster Auftritt

Serafin. Trillo

Trillo (kommt rasch und erhitzt aus der Gasse links, eilt auf Serafin zu)
                                      Hallo,
Meister!

Serafin (noch kauend)
              Wirkt es?

Trillo                           Ob es wirkt!

Serafin (schiebt ihm Essen zu)
Hier dein Anteil am Gelage.

Trillo Ob es wirkt! Gleich einem Feuer,
An vier Ecken angezündet,
Fliegt und springt es durch die Stadt.
Jeder, dem ich's eingeblasen,
Gab es hurtig Fünfen weiter, 88
Diese Fünfe fünfmal Fünfen,
Und so wächst es, wogt und wallt
Aus den Gassen in die Häuser,
Aus den Häusern auf den Markt.

Serafin (ist aufgestanden)
Hab' ich euch, ihr Tröpfe?

Trillo (nach links deutend)           Schaut,
Wie von dort bereits ein Schwarm
Sich mit lüsternem Entsetzen
Sacht heranschiebt.

Serafin                         Hammelherde,
Du bekundest deutlich selber,
Daß du nicht erquickt, begeistert,
Nur geschoren werden willst!

Trillo Bloß verbergt Euch jetzt. Sie dürfen
Doch das Wundertier beileibe
Nicht schon vor der Bude sehn.

Serafin Nein, ich will sie zappeln lassen,
Bis die Sehnsucht nach dem Anblick
Des vermeinten Gottseibeiuns
Ihren Siedegrad erreicht.

Trillo Ich eröffne gleich die Kasse. 89

Serafin Zu erhöhten Preisen heut!

(Er geht durch den Nebeneingang in die Bude. – Trillo streift den Vorhang vor dem Haupteingang halb zurück, läßt dadurch einen kleinen Vorraum sichtbar werden, in dem er ein Tischchen und einen Stuhl für seine Kasse zurechtrückt, und von wo aus er die folgenden Vorgänge beobachtet)

Siebenter Auftritt

Trillo. (Aus der Gasse links kommen nach und nach) Bürger, Frauen, Mädchen (in lebhaften Gruppen, aufgeregt zischelnd und nach der Bude schielend. Darunter) Ramirez, Blanca, Borrego (die vorn eine Gruppe für sich bilden. Dann aus ihrem Hause) Hurtado, Mercedes (die sofort umringt und von dem allgemeinen Gesprächsstoff unterrichtet werden)

Borrego Ist's erhört?

Ramirez                   Unglaublich ist's!

Borrego Aber solchem ausgepichten
Scheusal zuzutrau'n.

Ramirez                         Nachdem er
Jahrelang sich still verhalten . . .

Borrego Regt er sich auf einmal wieder.

Ramirez Hat die Stirn, durchs Land zu streifen! 90

Borrego Treibt zum Scheine Hokuspokus . . .

Ramirez Während er für seine Bande
Neuen Anhang sucht.

Borrego                           Sogar
Hier bei uns!

Blanca (sich bekreuzigend)
                    O heil'ge Jungfrau,
Schirm uns, daß er uns nichts antut.

Ramirez Schaf, mit solchen Kleinigkeiten
Gibt sich der nicht ab.

Borrego                           Der schluckt
Ganze Schiffe mit Besatzung.

Ramirez Plündert ganze Küstenstriche.

Hurtado (kommt hastig nach vorn, zu Ramirez)
Wißt Ihr schon, Gevatter? Wißt Ihr,
Daß der Räuber Estornudo . . .

Mercedes (ist ihm gefolgt, hält ihm den Mund zu)
Schweig; man darf's nicht weitersagen. 91

Ramirez Umgekehrt! Nicht schweigen darf man,
Muß den Kannibalen hindern,
Künft'ge Greuel zu verüben.
Meine Meinung ist, wir gehn
Zum Alkalden.

Borrego (ihn festhaltend)
                      Keinen Schritt!

Hurtado Wollt Ihr Euch ins Unglück stürzen?

Blanca Heil'ge Jungfrau!

Ramirez                       Dingfest machen
Will ich ihn.

Borrego             Vermögt Ihr das?
Heißt es nicht, er kenn' ein Mittel,
Wie man Kerkertüren sprengt?
Möchtet Ihr, wenn er entkommt,
Seiner Rache trotzen?

Blanca                             Mann,
Denk an Weib und Kinder!

Hurtado                                   Denkt
An uns alle! Steckte kürzlich 92
Ein entsprungner Räuberhauptmann
Nicht sogleich die ganze Stadt,
Wo man ihn gefaßt, in Flammen?

Blanca (sich an Ramirez klammernd)
Mann, wenn dir dein Leben lieb . . .

Ramirez (kleinlaut)
Aber wie sich dann verhalten?

Borrego Ihn nicht reizen.

Mercedes                       Tun, als ob
Wir ihm seinen Schwindel glaubten.

Hurtado Kurz und gut, ihn sehn.

Blanca                                       Ihn sehn,
Ja, das will ich auch.

Borrego                         Ich auch.

Ramirez Ich erst recht.

Hurtado                       Ein Kehlabschneider
Als Hanswurst – wenn wir an hundert
Jahre leben, solch ein Schaustück 93
Wird uns nicht zum zweiten Mal
Vorgesetzt.

Borrego             Ich muß dabei sein,
Ob es auch mein halb Vermögen
Kosten sollt'.

Alle Fünf             Ihn sehn!

(Inzwischen haben sich immer mehr Menschen angesammelt, die Bude dicht umlagernd)

Trillo (tritt vor, laut ankündigend)
                                    Heut abend
Große Vorstellung. – Die Kasse
Ist eröffnet.
        (Dies ist das Signal für den ganzen Menschenhauf, sich ungestüm zum Eingang zu drängen)
                  Nur Geduld!
Nur Geduld! Erst wird gezahlt!
Immer einer nach dem andern.

Hurtado Welch ein Andrang!

Trillo (von Fragern bestürmt)     Gute Plätze
Kann ich später nicht versprechen.
Wer sich einen sichern will,
Setzt am besten gleich sich drauf.

Borrego Seht, wir sind im Hintertreffen.
        (Er drängt sich ebenfalls zur Bude) 94

Hurtado Schnell, Mercedes!

Ramirez                               Hurtig, Blanca!

Blanca Nein, ich will so nah nicht sitzen. –
Wenn er schießt!

Stimme (vor der Bude) Nicht drängeln, bitte!

Trillo Immer einer nach dem andern.

(Er kassiert während des Folgenden die Eintrittsgelder ein. Immer neue Personen treten auf und schließen sich an die drängende Menge an, während die zum Eingang Gelangten einzeln in kleinen Zeitabständen Trillos Sperre passieren und, nachdem sie gezahlt, in der Bude verschwinden. Ramirez, Blanca, Hurtado, Mercedes sind unter den – von der Bude aus gerechnet – Hintersten)

Achter Auftritt

Vorige. Manuela, Lisarda (kommen aus der vorderen Tür von Pedros Haus in die Laube. Beide tragen etliche Kissen, mit denen sie während ihres Gesprächs die Bank polstern)

Manuela (zitternd und fiebernd vor Erregung, spricht ins Haus zurück)
Ja; wir richten dir nur erst
Ein bequemes Ruhebett.
        (Sie schließt die Tür, schnell, zu Lisarda)
Wach' ich oder träum' ich denn? 95
Ist's kein Trugbild meiner Sehnsucht,
Keine Täuschung meines Ohrs?

Lisarda (weist nach der Bude hin)
Dort mit Händen könnt Ihr's greifen.

Manuela Wahrheit also? Wirklichkeit?
        (Sie umarmend)
Ach, Lisarda, schon die Botschaft
Macht mich taumlig wie ein Rausch.
Das unnahbar ferne Leben –
Endlich schickt es eine Welle
Bis an meinen dürren Strand.

Lisarda Und dazu gleich was für eine!

Manuela Nicht zu fassen! Wenig Schritte
Nur von mir getrennt ein Held,
Wie bis heut mir ihn als Luftbild
Meine Sinne vorgemalt:
Einer, der nicht Tod noch Teufel
Fürchtet, Sturm und Ungewitter
Mit Gebieterblicken bändigt,
Feinde dutzendweis zerschmettert
Und mit Herzen Fangball spielt!

Lisarda Wenn Ihr ihn Euch anschau'n wollt . . .

Manuela Anschau'n? Das genügt mir nicht. 96
Kennen lernen muß ich ihn,
Muß ihn sprechen, mir von ihm
Viel, o viel erzählen lassen . . .

Lisarda Doch der Herr . . .

Manuela                           Mein Mann? Ach was!
Wenn der erst einmal im Schlaf liegt,
Wacht er dir so bald nicht auf.

Lisarda Mir soll's recht sein.

Manuela                             Eine kurze
Zwiesprach nur!

Lisarda                   Die schaff' ich Euch.

Manuela Sag ihm, ich . . . nein, sag ihm nichts.

Lisarda Habt Ihr Angst?

Manuela                       Bewahr'!

Lisarda                                       Ihr zittert.

Manuela Ja, gottlob! 97

Neunter Auftritt

Vorige. Pedro (tritt aus dem Haus in die Laube. – Von der Menge ist nur noch ein kleiner Teil außerhalb der Bude. – Später) Serafin

Pedro (gähnend)         Uah!

Manuela (fürsorglich tuend)   Schau her,
Männchen, hab' ich dir dein Lager
Gut zurechtgemacht?

Pedro                             Es scheint.

Manuela Streck dich.

Pedro (während er sich auf die Bank legt)
                            Kam die Bratenbrühe
Dir nicht auch versalzen vor?

Manuela Etwas.

Pedro (sich räkelnd) Ah, wie bin ich müd! –
Noch ein Kissen untern Kopf.

Manuela Gerne.
        (Sie schiebt es ihm unter. Leise, zu Lisarda)
                  Geh doch jetzt! (Zu Pedro)
                                          So recht? 98

Lisarda (geht aus der Laube zur Bude hin und sucht sich Trillo zu nähern)

Pedro Und noch eines hintern Rücken.

Manuela So genug?

Pedro (gähnt)           Uah. – Gib acht,
Daß mich niemand stört.

Manuela                             Natürlich.

(Sie zieht eine Handarbeit hervor, setzt sich und beginnt scheinbar eifrig zu häkeln, während sie ihn erwartungsvoll beobachtet)

Lisarda (in Trillos Nähe gelangt)
Trillo!

Trillo (nach wie vor einkassierend)
          Was?

Lisarda               Ein Wörtchen.

Trillo                                       Später.
Hab' jetzt keine Zeit für dich.

(Beide gestikulieren miteinander)

Mercedes (zu Hurtado, mit dem sie unter den letzten zum Eingang gelangt ist)
Glücklich nun an uns die Reihe. 99

Hurtado Halt einmal, da fällt mir ein:
Ob auch Nachbar Pedro weiß,
Was hier vorgeht?

Mercedes                     Einerlei.

Hurtado Nein, bei Nachbarsleuten muß
Eine Hand die andre waschen.
Wart!

Mercedes   Ich geh' derweil voraus.
        (Ab in die Bude)

Hurtado (ist nach vorn links geeilt, spricht in die Laube hinein)
Nachbar Pedro . . .

Pedro (der schon die Augen geschlossen hatte, ärgerlich)
                              Was denn? Was denn?

Manuela (hinaussprechend)
Stört ihn nicht. Er hält Siesta.

Hurtado Nur dies einzige: Vernahmt
Ihr die Schauermär? Der Gaukler . . .

Pedro Was geht mich der Gaukler an?
Laßt mich schlafen! 100

Manuela                       Laßt ihn schlafen!

Hurtado (achselzuckend)
Meinethalb.

(Er geht zur Bude zurück, vor der sich außer Lisarda niemand mehr befindet. Diese hat inzwischen den Augenblick, wo Trillo unbeschäftigt war, benutzt, um ihm leise das Anliegen ihrer Herrin mitzuteilen)

Trillo (darauf erwidernd)
                    Ich sag's ihm.

Lisarda                                   Aber
Gleich. Es eilt.

(Sie geht nach vorn links, postiert sich in der Nähe der Laube, indem sie abwechselnd in diese hinein und nach der Bude späht)

Hurtado (zu Trillo)   Noch Platz?

Trillo                                       Nur letzte
Bank noch.

Hurtado (zahlt und tritt in die Bude)

Pedro (der wieder die Augen geschlossen hatte, mit einem unwilligen Ruck)
                  Sakrament!

Manuela                             Was ist?

Pedro Eine Fliege. 101

Manuela (wirft ihm ein leichtes Tuch übers Gesicht)
                      So, nun wirst du
Ruhe haben – hoffentlich.

Trillo (ist zum Nebeneingang der Bude gegangen; mit gedämpfter Stimme)
Meister!

Serafin (streckt vorsichtig den Kopf heraus, sieht sich um)
              Sind schon alle drin?

Trillo Ja; doch kommt gewiß noch Nachschub.

Serafin (entzückt)
Märchenhaft!

Trillo                   Ihr watet förmlich
In Berühmtheit. Nun ersucht Euch
Gar die Herrin meines Schäfchens,
Die für Räuber von Bedeutung
Heftig schwärmt, um ein Gespräch.

Serafin Jenes allerliebste Weibchen
Mit dem dicken Mann?

Trillo                                 Die reichste
Frau der Stadt! Ich wette drum,
Daß da was zu holen ist. 102

Serafin Potz, die trifft es gut. Ich bin
Sehr in Stimmung!

Trillo                           Und die drinnen
Gehn Euch nicht davon.

Serafin                                 Ich glaub's!
Hab' sie ja durchs Loch gesehn,
Fieberhaft gespannt, gebannt
Vorm geschlossen Vorhang sitzen;
Doch daß der sich früher auftut
Als zur festgesetzten Stunde,
Soll trotz aller Halsverrenkung
Ihnen nicht beschieden sein.
        (Er tritt heraus)
Her mit der Verehrerin!

(Trillo gibt Lisarda einen Wink. Diese schleicht sich zum Eingang der Laube, in der Pedro nunmehr durch laute Schnarchtöne zu erkennen gibt, daß er fest schläft. Manuela, von ihr pantomimisch verständigt, wirft noch einen prüfenden Blick auf ihn, legt dann ihre Handarbeit auf den Tisch und schleicht heraus)

Trillo (hindeutend)
Schon in Sicht.

Serafin                   Nur her mit ihr!

Lisarda (flüstert)
Kommt!

Manuela (erschauernd, zu Lisarda)
              Ein wunderschöner Mann! 103

Serafin (zu Trillo)
Ein bezaubernd Weib.

Trillo (zu Serafin)                 Ich ruf' Euch,
Wann es Zeit ist. (Er kehrt zu seinem Platz an der Kasse zurück)

Lisarda (zu Manuela)   Mut!

(Sie geht in Pedros Haus)

Zehnter Auftritt

Pedro (schlafend). Serafin. Manuela. (Während dieses Auftrittes sitzt Trillo halb verdeckt an der Kasse. Gegen Schluß des Auftrittes beginnt es zu dämmern)

Manuela (sieht sich mit Serafin allein, für sich)
                                      Ach Gott!

Serafin (sich ihr nähernd)
Edle Donna, mich zu sprechen
Wünscht Ihr?

Manuela (haucht)   Ja.

Serafin (sich ihr nähernd) Doch wo? Man darf mich
Nicht erblicken hier.

Manuela                       Mich auch nicht. –
In der Laube! 104

Serafin                 Gut. (Er will nach vorn links)

Manuela                     Nein, nein,
Nicht in der. Da schläft mein Mann.

Serafin Holla!

Manuela (deutet nach rechts)
                Sondern drüben.

Serafin (unwillkürlich)                 Wieder?

Manuela (stutzig)
Wieder?

Serafin         Wieder eine Laube,
Wollt' ich sagen.

Manuela                   Die gehört
Meiner Freundin.

Serafin                     Wie's beliebt.

(Sie gehen zusammen in die Laube rechts. – Ab und zu kommen von jetzt an wieder neue Besucher und begeben sich in die Bude)

Manuela Hier gewahrt uns niemand. 105

Serafin                                           Gönnt,
Edle Donna, meinen Lippen
Einen huldigenden Gruß
An die Spitzen Eurer Finger.

Manuela O wie ritterlich! – Ihr werdet
Drum verstehn . . .

Serafin                         Durchaus.

Manuela                                       Ich meine,
Falls Ihr Euch verwundert . . .

Serafin                                         Nicht
Im geringsten.

Manuela (verhimmelnd)
                      Eure Züge –
Laßt mich nur geflissentlich
Sie betrachten.

Serafin                   So von vorn?
Oder seitlich?

Manuela             Ach, ich komm' Euch
Sicher wie ein Schulkind vor.
Die Verwirrung . . . das Gefühl 106
Von der Flüchtigkeit des seltnen
Augenblicks . . . Gewiß ja habt Ihr
Wenig Muße . . .

Serafin                       Bis zum Anfang
Meiner großen Vorstellung
Bin ich Euer.

Manuela             Sprecht nicht so!
Wähnt Ihr, eines Gauklers wegen
Hätt' ich diesen Schritt gewagt?
Wird nicht schon durch Eure düstre
Löwenstirn, den Falkenblick
Eures Auges mir bestätigt,
Wer in dieser unscheinbaren
Hülle vor mir steht?

Serafin (düster)               Ein Mensch,
Der sich, wenn man ihn verriete,
Wehren würde bis zum letzten
Tropfen Blutes.

Manuela                 Ich gelob' Euch:
Hüten will ich das Geheimnis,
Hüten wie ein Heiligtum.

Serafin (ihr überkräftig die Hand schüttelnd)
Euer Wort ist mir genug. 107

Manuela Ach, Ihr könnt ja nicht ermessen,
Wieviel Dank ich für die Schickung
Hege, die mich eingeweiht;
Könnt es nicht, weit Ihr nicht ahnt,
Welche Welt von andrem, neuem,
Nie gewährtem, stets ersehntem
Euer Name mir umschließt:
Estornudo!

Serafin             Kennt Ihr denn
Mehr von mir als dieses Namens
Donnerklang?

Manuela               Nur Bücher zwar
Schilderten mir Euresgleichen,
Aber so beredt, so machtvoll,
Daß mir ist, als hätt' ich längst
Euch gekannt, Euch längst bewundert.

Serafin Bücher! Lumpiges Gesabel!
Ausgeburt von Stubenhockern,
Die sich Meeresabenteuer
Fischen aus dem Tintenfaß!

Manuela Ihr jedoch erlebtet sie!

Serafin Tausendfältig. 108

Manuela                     Eben deshalb
Gäb' ich drum, ich weiß nicht was,
Wenn Bericht von Euren Taten
Ich empfangen könnt' aus Eurem
Eignen Mund.

Serafin                 Wo wäre da
Der Beginn, und wo das Ende?
Meine Taten sind so zahllos,
Daß ich, um vom siebten Teil
Nur den Umriß zu entwerfen,
Einer ganzen Nacht bedürfte.

Manuela Sieben ganze Nächte lang
Würd' ich unermüdet lauschen.

Serafin Doch die Haare stünden Euch
In der ersten schon zu Berg.

Manuela Um so besser!

Serafin                           Denn mein Handwerk
Ist Verheerung; Kugelpfeifen,
Schwertgerassel und des Sturmes
Laut Gebrüll mein Element.
Unter mir die grimme Flut,
Über mir der Blitze Zickzack,
Vor mir, Bomb' auf Bombe hagelnd, 109
Feindliche Kanonenschlünde,
Neben mir das Schmerzgestöhn
Der verwundeten Gefährten;
Hinter mir . . .

(Er schielt hinaus in der Richtung der Bude, zu der gerade wieder ein Trupp von Besuchern hindrängt; in anderem Ton, erfreut)

                        Noch immer neues
Schaugewimmel!

Manuela (atemlos)       Hinter Euch?

Serafin Hinter mir der Hölle Gähnen,
Tod in jeglicher Gestalt.

Manuela Herrlich! Göttlich!

Serafin                               Doch als Geiseln
Meiner Meeresherrschaft lagen
Tag für Tag bereits beim Frühstück
Mir zu Füßen Könige,
Prinzen, Granden, Würdenträger,
Admirale, Kommodoren,
Scheiche, Muftis und Effendis,
Weiß und schwarz von Farbe, braun
Und gesprenkelt.

Manuela                   Wundervoll!
Nur verzeiht mir eine Frage . . . 110

Serafin Bitte!

Manuela       Nein, ich trau' mich nicht.

Serafin (ermunternd)
Wird schon werden.

Manuela                       Brennend gern
Möcht' ich wissen, wieviel Frauen
Ihr entführtet.

Serafin                 So genau
Hab' ich da nicht nachgezählt.

Manuela Waren Königstöchter drunter?

Serafin Massenhaft. Zum Beispiel fand ich
Eines Nachts bei mir an Bord
Eine maurische Prinzessin,
Die mit heißem Tränenstrom
Vor mir kniend mich beschwor,
Sie zu rauben.

Manuela               Und Ihr tatet's!

Serafin Ich verschmähte sie. 111

Manuela                             Warum?

Serafin Weil sie mir nicht hübsch genug war.

Manuela Sonst . . . ?

Serafin                     Sonst hätt' ich selbstverständlich
Sie befreit.

Manuela         Sie war gefangen?

Serafin Schlimmer noch: sie war vermählt.

Manuela Ah!

Serafin           Doch lieber als zur Trübsal
Ihrer Ehe heimzukehren,
Stürzte sie vor meinen Augen
Sich ins Wasser.

Manuela (mit Blick nach links)
                          Das begreif' ich!

Serafin Schlecht gerechnet zwanzigmal
Konnt' ich selber Sultan werden;
Und – Verräterei des Glücks – 112
Ich, der in erkämpftem Reichtum
Schwelgend Kronen von sich wies,
Ich verlor durch einen Schiffbruch
Alles.

Manuela   Oh!

Serafin           Die schwarze Kluft
Schlang mit meinen ganzen Schätzen
Mich hinunter . . . (Hinausschielend, wie oben)
                            Sie verschlingt
Menschen immerzu.

Manuela                       Die Kluft?

Serafin Meine Bude.

Manuela                 So versankt Ihr?

Serafin Sank und sank, so daß ich fast
Schon bewußtlos Feuer schluckte . . .

Manuela Feuer?

Serafin               Wasser, wollt' ich sagen.
Und es stand seither mir dauernd
Bis zum Hals. 113

Manuela               Allein Ihr werdet
Stärker sein als das Verhängnis,
Werdet recht nach Heldenart
Euch mit ungestümer Tatkraft
Wieder auf den Gipfel schwingen.

Serafin Grade bin ich im Begriff.

Manuela Könnt' ich für mein armes Teil
Euch dabei zu Hilfe kommen,
O, wie wär' ich stolz!

Serafin                           Darüber
Läßt sich reden.

Manuela                 Mich bereichern
Würd' es, wenn Ihr mich beraubt!

Serafin So viel Großmut, so viel Schönheit . . .

Manuela Findet Ihr mich schön?

Serafin                                       Berückend.
Keine von den Königstöchtern . . .

(Man hört in der Bude ungeduldiges Trampeln) 114

Manuela (aufhorchend)
Was ist das?

Serafin               Das ist Getrampel.

Elfter Auftritt

Vorige. Trillo (kommt schnell aus der Bude, deren Segeltuchwände infolge der Überfüllung begonnen haben, sich mehr und mehr auszubauchen)

Trillo (an die Laube rechts heraneilend)
Meister, mit Verlaub . . .

Serafin                                 Ja, ja.

Trillo Gleich halb acht. Da drinnen fällt
Keine Nadel mehr zu Boden,
Und die harrende Gemeinde,
Länger nicht im Zaun zu halten,
Stampft wie toll vor Ungeduld.

Serafin Gut, ich komme. Steck die Lichter
An und gib das erste Zeichen.

(Trillo ab in die Bude)

Zwölfter Auftritt

Vorige (ohne Trillo. Zuletzt) Isabel. (Die Dämmerung nimmt zu)

Serafin Holde Gönnerin, lebt wohl. 115

Manuela Schon der Abschied? Wann denn soll
Ich Euch wiedersehn?

(In der Bude ertönt ein Tamtam; dann blitzen Lichter in ihr auf und werden mit einem allgemeinen »Ah« begrüßt)

Serafin                             Sofort
Auf den Brettern, wenn Ihr wollt.

Manuela Niemals. Müßt Ihr gleich aus Kriegslist
Zu so kläglicher Verpuppung
Euch entwürdigen – Ihr steht
Mir zu hoch, als daß der Anblick
Mich nicht martern würde.

Serafin                                   Schade.

Manuela Morgen aber . . .

Serafin                             Morgen muß ich
Ja von hinnen.

Manuela (leidenschaftlich)
                      O wie grausam
Seid Ihr doch! Nachdem Ihr eben
Die Gefilde meines Traums
Mir wie durch ein Kerkerfenster
Greifbar wesenhaft gezeigt,
Schlagt Ihr's unsanft wieder zu, 116
Laßt in meiner engen Öde
Mich verschmachten.

Serafin                             Muß ich nicht?
Oder? Nein, dies Oder wäre
Gar zu tollkühn.

Manuela                   Selbst für Euch?

(Neues Trampeln. Das Tamtam ertönt zum zweiten Male)

Serafin Nun ist's allerhöchste Zeit.

Manuela (ihn zurückhaltend)
Hört nur noch . . .

Serafin                         Ich hör' Euch; aber
Krieg ist Krieg: Ich bin genötigt,
Unterdessen mich zu rüsten.

(Er entledigt sich rasch seiner Überkleider und erscheint in Gauklertracht)

Manuela (unbeirrt)
Morgen früh begibt mein Mann
Sich auf unser Gut. Ihr träfet
Mich allein . . .

Serafin                   Wohlan, ich werde
Pünktlich mir die Ehre geben.

Manuela Ihr versprecht's? 117

Serafin                             Korsarenwort.
Und noch obendrauf ein Siegel!

(Er reißt sie an sich und küßt sie)

Isabel (Ist auf ihren Balkon herausgetreten, sieht hinab, gewahrt die beiden; für sich)
Was erblick' ich! Und in meiner
Laube! Himmel, das ist stark!

(Sie verschwindet)

Manuela (erschauernd)
Solcher Mannheit gegenüber
Gibt es keinen Widerstand.

Serafin (seine Überkleider unter den Arm packend)
Morgen früh!

Pedro (ohne sich noch zu rühren, gähnt laut aus dem Schlaf)
                      Uah!

Manuela                       Die Stimme
Meines Mannes!

(Serafin einen verheißungsvollen Abschiedsblick zuwerfend, läuft sie hinüber in die Laube links, nimmt dort ihren vorigen Platz ein und beginnt wieder eifrig zu häkeln)

Dreizehnter Auftritt

Vorige. Trillo (aus der Bude)

Trillo (einen vollen Beutel in der Hand, prallt mit Serafin, der zur Bude eilen will, in der Mitte des Weges zusammen)
                            Meister, flink! 118

Serafin Bin schon da.

Trillo (den Beutel schwingend)
                          Vernehmt, wie's klappert!
Bud' und Beutel sind zu klein.

Serafin Ins Gefecht!

Isabel (ist aus ihrem Haus gekommen, stürzt sich auf ihn)
                          Du falsches Untier,
Ein Gefecht erst zwischen uns!

(Verstärktes Trampeln in der Bude)

Serafin Später!

Isabel (an seinem Kleiderpack zerrend)
                  Krokodil, was hast du
Mir beteuert?

Serafin (von Trillo gleichzeitig nach der anderen Seite gezogen, zu Isabel)
                      Laß mich los.

Isabel Willst schon heut mir untreu werden?
Und noch gar mit dieser Schlange,
Die, was ich ihr eingetrichtert,
Schleunigst gegen mich mißbraucht!

Serafin Nimm Vernunft an! 119

Isabel                                 Hüte dich!

Serafin Ja.

Isabel         Zu allem war' ich fähig,
Wenn du mich mit der betrögst!

Serafin Nein.

(Er sucht sich zu befreien)

Vierzehnter Auftritt

Vorige. Eine Anzahl von Frauen und Mädchen, (unter letzterem Estela, Casilda (sind mit der Hast von Nachzüglern durch die Gasse links gekommen, wollten zur Bude, entdecken Serafin)

Estela             Dort ist er ja!

Casilda                               Wahrhaftig!

(Im Nu ist Serafin von ihnen umringt)

Estela Um Vergebung, eine Zeile
Spendet mir von Eurer Hand!

Casilda Schenkt, ich bitt' Euch, eine Locke
Mir von Eurem Haar! 120

Mehrere                           Mir auch!

Serafin (verzweifelt)
Später, später.

Trillo (sucht Bahn zu schaffen)
                        Gebt ihm Raum!

Serafin (leise zu Trillo)
Morgen sind wir weit vom Schuß.

(Es gelingt ihm, sich wie ein Aal durchzuwinden. Mit einem Satz ist er beim Nebeneingang der Bude angelangt und schlüpft hinein)

Casilda Rasch, damit wir nichts versäumen.

Alle (Isabel inbegriffen, eilen zum Haupteingang der Bude)

Trillo (ihnen zuvorkommend)
Halt! Zuerst das Eintrittsgeld!

(Sie strömen, nachdem sie gezahlt haben, in die Bude, in deren Innerem nun Beifallslärm erschallt)

Pedro (kommt zu sich, dehnt sich und reibt sich die Augen)

Manuela Männchen, bist du wach?

Pedro (sich befriedigt halb aufrichtend) Ich habe
Gut geschlafen.

Manuela (doppelsinnig) Gott sei Dank! 121


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