Ludwig Fulda
Der Seeräuber
Ludwig Fulda

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Erster Aufzug

Freier Platz, im Hintergrund von Bäumen und Rasenflächen begrenzt, die zu einer öffentlichen Anlage gehören. Links das stattliche Haus des Pedro Vargas, rechts das bescheidenere der Isabel Galvez; beide Häuser haben Eingangstüren und im ersten Stock (praktikable) Fenster in den einander gegenüberliegeuden Fronten, sowie je eine Tür an der vorderen Schmalseite. Diese letzteren Türen münden in je eine nach vorn zu offene, von dichtem Weinlaub übersponnene Laube. In beiden Lauben Tisch, Bank und Stühle, die des Vargas ist die geräumigere. Das Haus der Witwe hat nach vorn über der Laube einen kleinen Balkon. An das Haus des Vargas grenzt, durch eine schmale Gasse davon getrennt, das Haus des Nachbars Hurtado, das schräg stehend die linke abgestumpfte Ecke einnimmt. Breitere Gasse rechts hinten. In der Mitte des Platzes Brunnen mit Rundbank.

Erster Auftritt

Vater Capacho, Mutter Ines (sitzen in der Laube links)

Capacho Ja, wir haben ausgesorgt,
Und wir können ruhig altern.
Mutter, wie, hab' ich nicht recht?

Ines Immer hast du recht, Capacho;
Hast du's nicht, so willst du's haben.

Capacho Will es haben? 8

Ines                               Gnad' mir Gott,
Wollt' ich je dir widersprechen.

Capacho Ist denn das kein Widerspruch?
Will ich's haben, oder hab' ich's?

Ines Ja, du hast es.

Capacho               Und das hört sich
Just so an, als hätt' ich's nicht.

Ines Ewig mußt du streiten.

Capacho                           Ich?
Wer fing an zu streiten, Mutter?

Ines Ich doch wahrlich nicht.

Capacho                             Und so
Streiten wir uns drum, wer streitet,
Zweiundzwanzig Jahre schon!

Ines Hat bisher dir nichts geschadet. 9

Capacho Etwa dir?

Ines                       Ich sage nichts.

Capacho Doch ich seh', du denkst dir etwas. –
Schau dir unsre Kinder an!
Unsre Tochter, unsern braven,
Musterhaften Schwiegersohn.
Haben die sich je gestritten?

Ines Kann noch kommen.

Capacho                         Lächerlich.

Zweiter Auftritt

Vorige. Hurtado

Hurtado (ist aus seinem Haus getreten, hat in der Laube sprechen hören und geht an sie heran)
Nachbar Pedro, seid Ihr drinnen?

Capacho (steht auf, sieht hinaus)
Wer . . . (ihn erkennend)
              ach, Ihr!
        (Zu Ines, die ihn fragend ansieht)
                            Der Nachbar ist's,
Herr Hurtado. (Zu diesem)
                      Tretet näher. 10

Hurtado (tritt in die Laube)
Ei, die Eltern . . .

Capacho                   Unsre Kinder
Sucht Ihr?

Hurtado         Ja, wo sind sie denn?

Capacho Bei der Messe. Wo denn sonst?
Zweimal täglich bei der Messe.

Ines Und wir warten selbst auf sie.

Hurtado Nämlich . . .

Capacho                     Macht's Euch doch bequem.

Hurtado (sich setzend)
Nur auf einen kleinen Schwatz
Wollt' ich mal herüberschauen.
Meine Frau hat große Wäsche,
Und das ist ein eigner Tag.
Ganz unnahbar ist sie nämlich,
Wenn sie große Wäsche hat. 11

Dritter Auftritt

Vorige. Mercedes

Mercedes (ist inzwischen aus dem Haus Hurtados getreten, nähert sich der Laube)
He!

Capacho Wer ruft?

Mercedes               Die Nachbarin.

Hurtado (verwundert)
Meine Frau!

Mercedes (von außen)
                    Mein Mann hat heute
Sehr viel Arbeit, hockt und näht
Eine seidne Galaweste
Für den Herrn Corregidor,
Und da darf man ihn nicht stören.
Drum ein Weilchen, wenn's erlaubt ist . . .

Capacho Nur herein.

Mercedes (tritt in die Laube, erstaunt)
                          Hier sitzt er ja.
Und ich denke mir, er schneidert!

Hurtado Und ich denke mir, sie wäscht. 12

Mercedes Pah, man muß doch Atem schöpfen.

Hurtado (ein wenig verschnupft)
Ja, das muß man – hinterrücks.

Mercedes (zupft ihn am Ohr)
Gingst voran mit gutem Beispiel.

Hurtado Meine Weste wird schon fertig.

Mercedes Meine Wäsche läuft nicht weg.

Capacho Freilich, Arbeit macht verdrießlich;
Ausruhn aber heitert auf.

Hurtado Ihr, Ihr habt gut reden, Alter!
Ihr mit Eurem Haufen Geld.

Capacho Hab's nicht mehr. Gab alles hin,
Meine Tochter auszustatten.
Alles – und dies Haus dazu.

Hurtado Doch auf Eurem Landgut wohnt Ihr
Wie ein Fürst. 13

Capacho               Sogar das Landgut
Ließ ich meinem Schwiegersohn.
Uns genügt der Ruhesitz,
Den wir dort uns vorbehalten.
Denn verständig, wie wir sind –
Nicht wahr, Mutter?

Ines                               Du besonders.

Capacho – Ließen wir das junge Paar
Hier für sich und wohnen draußen.
Wenn wir dann durch unser Kommen
Ab und zu die guten Kinder
Überraschen, so wie heut,
Dann – Ihr werdet's gleich erleben –
Dann ist ihre Freude rein,
Und es braucht uns nie zu bangen,
Daß wir ihnen lästig sind.

Hurtado Solche Weisheit lob' ich mir.
Fragt Mercedes, ob ich nicht
Täglich sage: Pedro Vargas
Hat das große Los gezogen.

Capacho Doch nicht minder wir an ihm.
Heut, bei diesen schlimmen Zeiten,
Wo von lauter Teufelei, 14
Bosheit, Arglist, Niedertracht,
Lug und Trug die Welt erfüllt ist . . .

Mercedes Schauerlich!

Capacho                     Da können Eltern
Froh sein, wenn sie solchen Mann
Für ihr einzig Kind gefunden.

Ines Immer sprichst du nur von ihm!
Unsre Manuela, dächt' ich . . . .

Capacho Sie zu rühmen wäre Selbstlob.
Haben wir sie doch erzogen
Tugendsam nach unserm Vorbild,
Und . . .

Hurtado       Mir däucht, ich höre sie.
        (Er geht aus der Laube heraus)

Vierter Auftritt

Vorige. Pedro (mit einem Rosenkranz, und) Manuela (mit einem Fächer, kommen gemächlichen Schrittes von rechts hinten)

Pedro (aufgedunsen und kurzatmig)
Heut wird's warm. 15

Manuela                     Nun, um so besser.
Eine kleine Abwechslung
Gegen gestern, wo es kühl war.

Pedro Müd bin ich davon . . .

Manuela                               Das bist du
Ja bei jeder Witterung.

Pedro Und schon atemlos von diesem
Kurzen Kirchgang.

Manuela                     So verschnauf dich.

Hurtado (sie begrüßend)
Nachbar; schöne Nachbarin . . .

Pedro Gott zum Gruß, Nachbar Hurtado.

Hurtado Ihr vergebt, wenn wir auf Euch
Warteten in Eurer Laube.

Pedro Ihr vergebt, wenn wir im Dienste
Der gebenedeiten Jungfrau
Warten ließen.

(Sie gehen alle drei in die Laube)

Capacho (zu Mercedes)
                      Nun gebt acht!

Pedro (auftragend)
Was erblick' ich, Manuela!
Welch erlesne Überraschung!

Capacho (schmunzelnd)
Ja, das ahntet ihr wohl nicht.

Manuela Vater, Mutter, guten Tag.
        (Sie umarmt beide pflichtmäßig)

Capacho Staunst du nicht, mein Kind?

Manuela (gelangweilt)                         Und ob.
Mögt Ihr diese Überraschung
Auf genau die gleiche Art
Beinah täglich wiederholen,
Immer wirkt sie doch wie neu.

(Nach vollzogenen Begrüßungen setzt man sich um den Tisch herum)

Ines Geht's euch gut?

Manuela                   Und euch?

Ines                                           So, so. 17

Capacho Mutter hat ja stets zu klagen.

Ines Vater weiß vielleicht, warum.

Pedro (öffnet die Tür, die ins Haus führt, ruft)
He, Lisarda, bring uns Wein!

Lisarda (kommt während des Folgenden mit einem Krug und Bechern aus dem Haus, schenkt ein, kredenzt und geht wieder ab)

Capacho Sonst nichts Neues?

Manuela                               Neues – hier?!

Pedro Nein, dem Himmel dank, hier ist
Weiter alles hübsch heim alten.

Hurtado Mit Verlaub, da irrt Ihr, Nachbar.
Des Alonso Frau, des Schusters,
Kam mit einem Buben nieder.

Manuela Richtig! Und des Tischlers Mendo
Graue Katze fraß des Klempners
Federico Nachtigall. 18

Pedro Vater, nun? Wie steht es draußen?

Capacho Ist mir doch, du willst schon lange
Selbst mal nach dem Rechten schau'n.

Pedro Morgen komm' ich – oder nein,
Übermorgen – um die zwei
Vollblutrappen einzufahren.
Hä, war das kein guter Kauf?

Capacho Ja, das muß der Neid dir lassen,
Dich haut niemand übers Ohr.
Doch vergiß auch nicht, mein Sohn,
Daß wir einen neuen Wächter
Brauchen.

Pedro             Weiß schon.

Capacho                           Oder willst du's
Nochmals wagen mit dem alten,
Der uns Jahre treu gedient?

Pedro Nein, das ist ein Trunkenbold,
Und ich dulde keine Laster. 19

Manuela Er ist streng, mein Mann.

Pedro                                           Jawohl,
Schwerlich kann man streng genug sein,
Wenn man Tugend, Zucht und Ehre
Gegen Lockerung der Sitten
Standhaft aufrecht halten will.

Hurtado Wackrer Grundsatz!

Pedro                                   Leider, Nachbar,
Selbst in unsrer frommen Stadt
Haben wir ein Ärgernis
Höchsten Grades vor der Türe.

Hurtado Ja, die Wittib gegenüber.
Ein verstörtes Weibsbild das!

Mercedes Heuchler du! Wen hab' ich neulich
Just ertappt, als er nach ihr
Blicke warf – und was für Blicke!

Hurtado Blicke sittlicher Empörung.

Pedro Andere verdient sie nicht. 20

Capacho Wenn es wahr ist, was man munkelt . . .

Pedro Munkelt? O, die treibt es offen.

Ines Nein, ich kann's einmal nicht glauben,
Daß ein Weib so schamlos ist.

Manuela (sich fächelnd)
Es vergnügt sie, denk' ich mir.

Pedro Manuela! Was vernehm' ich?
Du verteidigst sie?

Manuela                     Bewahre.
Denn ein größeres Vergnügen
Als die Tugend gibt's ja nicht.

Capacho Meine Tochter, so ist's recht.

Fünfter Auftritt

Vorige. Der Alkalde (ist durch die Gasse links hinten gekommen und klopft an Pedros Haustür)

Pedro Pochte da nicht jemand?
        (Der Alkalde klopft wieder. Pedro sieht hinaus) 21
                                        Ei,
Täuscht mein Aug'? Der Herr Alkalde!

(Er geht zur Laube hinaus. Die andern stehen auf)

Manuela Was will der?

Pedro (mit Bückling)       Verehrlichster,
Sucht Ihr mich?

Alkalde                   Euch, Pedro Vargas.

Pedro Welcher Vorzug! Kommt, ich bitt' Euch,
In den Schatten meiner Laube,
Zu dem Kreis der Meinigen.
Oder habt Ihr ein Geheimnis?

Alkalde Keineswegs.
        (Zu den andern, die neugierig aus der Laube herausgetreten sind)
                          Grüß Gott beisammen.
        (Zu Pedro)
Meine Botschaft ist gewiß
Auch den Eurigen erfreulich.
        (Da Pedro ihn in die Laube führen will, abwehrend)
Keinen Umstand, wenn's genehm ist.
Menschen sind wir allzumal.

Pedro Sprecht! 22

Alkalde           Wohlan, so sprech' ich denn.
        (In amtlicher Positur)
Pedro Vargas, wenn Ihr gleich
Nicht in unsrer Stadt geboren
Und als Fremder zu uns kamt
Vor . . . hm, wieviel Jahre sind es?

Pedro Fünf.

Alkalde       Ganz richtig; fünf, das stimmt.

Manuela (zu ihren Eltern)
Damals war er schlanker.

Alkalde                                 Fünf.
. . . wurdet Ihr der Unsre bald,
Und zwar nicht nur durch Versippung
Mit dem reichen, angeseh'nen
Hause der Capacho, sondern
Auch durch Eure Gottesfurcht,
Eure treffliche Gesinnung,
Die durch makellosen Wandel
Ihr bekräftigt und bewährt.

Pedro Allzuviel der Ehre.

Alkalde                           Nein,
Allzuwenig noch. Somit . . .
Hm, wo war ich stehn geblieben? 23

Manuela Bei dem makellosen Wandel.

Alkalde Also kurz, in Anerkennung
Eurer Musterhaftigkeit
Hat das Ratskollegium
Eben jetzt mit Stimmeneinheit
Euch das Bürgerrecht verliehn.

Capacho (umarmt Ines)
Mutter!

Hurtado     Unsern Glückwunsch, Nachbar.

Capacho (zu Manuela)
Kind, bist du nicht stolz auf ihn?

Manuela Über alle Maßen.

Pedro                               Habt
Nachsicht, edler Herr Alkalde,
Wenn Ergriffenheit mich hindert,
Eurer wohlgesetzten Rede
Zu erwidern, wie sich's ziemt.
Ehrlich Denken, ehrlich Tun
Fordert zwar nicht solchen Lohn,
Doch ihn soll der hohe Rat
Nimmermehr verschwendet nennen. 24

Alkalde Bürger Vargas, Eure Hand.

Pedro Nun verschmäht mir nicht ein Schlückchen
Selbstgepflanzten.

Alkalde                     Dank für diesmal.
Amtsgeschäfte rufen mich
Über Land . . .

Capacho (zum Alkalden)
                      Mein Eselsfuhrwerk
Hab' ich hinterm Hause stehn:
Fahrt mit uns. Ich setz' Euch ab,
Wo Ihr wollt.

Alkalde               Ihr seid sehr gütig.

Pedro (zu den Eltern)
Wie? Schon heim?

Capacho                     In unsre Ordnung. –
Mutter brät heut eine Gans . . .

Ines Vater hat sie schon geschnüffelt.

Pedro (zum Alkalden)
Ich geleit' Euch. 25

Capacho                 Gott befohlen,
Tochter.

Ines               Bleib gesund.

Manuela                             Ihr gleichfalls.

(Pedro, Alkalde, Capacho, Ines ab links hinten. Manuela wendet sich seufzend dem Hause zu)

Mercedes (Manuela aufhaltend)
Nur noch auf ein wichtig Wort,
Nachbarin. (Zu Hurtado)
                  Du Faulpelz, marsch
An die Arbeit!

Hurtado               Ja doch; ja.
        (Er geht zögernd ab in sein Haus)

Mercedes Um die Wäsche handelt sich's.

Manuela Um die Wäsche! Was Ihr sagt!

Mercedes Weil sie doch am schnellsten trocknet,
Möglichst lustig aufgehängt,
Drum, sofern's Euch nicht zuwider,
Zwischen unserm Haus und Eurem
Spannen möcht' ich gern ein Seil. 26

Manuela Spannt, was immer Euch gefällt.

Mercedes Dank Euch. Und zu Gegendiensten
Stets bereit. (Ab in ihr Haus)

Sechster Auftritt

Manuela. Lisarda

Manuela (für sich, ausbrechend)
                    Ach, ich ersticke!

Lisarda (ist vor Pedros Abgang wieder aus dem Haus in die Laube gekommen, hat wiederholt neugierig hinausgespäht und tritt jetzt so weit vor, daß sie von außen sichtbar ist)

Manuela (sie bemerkend)
Ach, Lisarda, ich ersticke!

Lisarda Was begab sich?

Manuela                         Dumme Frage!
Was begibt sich hier denn andres
Als das immer, immer Gleiche,
Das sich gestern hat begeben,
Morgen wieder sich begibt?
O wie lange noch ertrag' ich,
Ohne aus der Haut zu fahren,
Dieses öde Einerlei! 27

Lisarda (lachend)
Allerdings, an Kurzweil hapert's
In dem Nest hier.

Manuela                   O Lisarda,
Du kannst lachen; du bist frei.
Schwingst als Wandervogel dich
Leichtgefiedert in die Weite,
Wenn die Nähe dir mißfällt.
Aber ich . . .

Lisarda               Ihr habt 'nen Mann.

Manuela Ja, den hab' ich! Sechzehn kaum
Zählt' ich, spielte noch mit Puppen,
Wußte von den Männern nur,
Daß sie plumper sind als wir
Und zuweilen Bärte tragen,
Als die Eltern mir ihn brachten,
Mich beglückt, begnadet hießen,
Weil sein wohlgefüllter Beutel
Werbend an den meinen klang.
Und nun darf ich schon vier Jahre –
Welche Gnade, welches Glück! –
Ihn bei Tage gähnen sehn
Und bei Nacht ihn schnarchen hören.
Daß die Zeit nicht völlig stillsteht,
Zeigt mir nur sein wachsend Fett.
Aber weh mir, wollt' ich jammern,
Meiner eingepferchten Jugend 28
Sehnsucht in die Lüfte schrei'n!
Ist er doch ein Mustermensch;
Das versichern mir die Eltern;
Das bestätigt ihm die Stadt.

Lisarda Das bezeug' auch ich. Der erste
Meiner Brotherrn, der mich niemals
Auch nur in die Wange kniff.

Manuela Draußen aber liegt die Welt
Voll von Wundern, Abenteuern,
Voll von Prinzen, Rittern, Helden,
Räuberfürsten und Korsaren,
Männern, die des Namens wert.
Eine himmlische Geschichte
Las ich gestern erst von einem,
Der ein heißgeliebtes Weib,
Sämtlichen Gefahren trotzend,
Auf sein schnelles Schiff entführte
Und die ganze Mannschaft zwang,
Ihr als Königin zu dienen.

Lisarda Seid Ihr schon zu Ende wieder
Mit den Büchern?

Manuela                     Und mich hungert
Schon nach mehr. Denn was bewahrt mich
Vorm Verschmachten, wenn nicht sie,
Mein geheimer Herzenstrost, 29
Der mich träumend läßt genießen,
Was das Leben vorenthält? –
        (Sie gibt ihr einen Schlüssel)
Hier der Schlüssel zum Versteck.
Hol mir neue; doch behutsam,
Daß mein Mann nichts merkt.

Lisarda                                       Was könnt' er
Ernstlich denn dawider haben?
Lesen ist doch keine Sünde.

(Sie geht in die Laube, schließt dort die Schublade des Tisches auf und nimmt einige in Schweinsleder gebundene Bücher heraus)

Manuela Der? Du kennst ihn schlecht. Verderbnis
Wittert er in all und jedem,
Was nicht fromm und geistlich ist.
Zetern würd' er, wenn er wüßte,
Welchen Inhalts diese Bücher,
Und erst recht, wer sie mir leiht.

Siebenter Auftritt

Vorige. Isabel Galvez (kommt aus ihrem Haus)

Lisarda (sie bemerkend, zu Manuela)
Dort sie selber.

Isabel                     Guten Morgen!

Manuela (scheu)
Guten Morgen, Nachbarin
Isabel. 30

Isabel         Dies Lüftchen heute!
Kost es nicht wie ein Verliebter?

Manuela Grade wollt' ich eben . . .

Isabel                                           Was?

Manuela Euch um neue Bücher bitten.

Isabel Meiner Kiste ganzer Vorrat
Steht Euch ein für allemal
Zur Verfügung. In der Stube
Links . . . Lisarda weiß Bescheid.

Lisarda Freilich. (Sie geht ins Haus der Isabel)

Manuela             Ihr verpflichtet mich
Mehr, als Ihr ermessen könnt.

Isabel Doch inmitten der Verpflichtung
Lugt Ihr angstvoll ringsumher,
Ob kein Späherblick Euch trifft
In so brenzlicher Gesellschaft.

Manuela Nein, Ihr irrt. Ich bin nicht so. 31

Isabel Nur die Rücksicht; o, das kennt man!
Aber für mein Leben gern
Wüßt' ich, was die weißen Lämmer
Mir verübeln eigentlich.
Hab' ich meinen Seligen
Etwa nicht geliebt, vergöttert,
Nicht betrauert, als er starb?
Bin ich schuld dran, daß verfrüht
Er als Wittib mich zurückließ?
Oder soll ich gar dem Toten
Treu sein, wo doch nicht einmal
Ich's ihm war, solang' er lebte?

Manuela Ich, mein Wort, verdenk' Euch nichts.
Höchstens daß ich Euch beneide.

Isabel Seht mir doch das Frauchen an.
Mich beneiden! Armes Ding!
Habt wohl Lust und keinen Mut?

Manuela Beides hätt' ich, wenn . . .

Isabel                                             Ein Dritteil
Eures Gelds nur sollt' ich haben –
Dann heidi! Nicht eine Stunde
Würd' ich hier im Spinnenwinkel,
Abgeschmackten Lästermäulern 32
Zur Bespeichlung hocken bleiben,
Sondern zöge nach Sevilla,
Wo man junge, flotte Frauen
Besser weiß zu schätzen.

Lisarda (mit andern Büchern zurückgekehrt)
                                      Das
Unterschreib' ich aus Erfahrung.

Manuela (tief seufzend).
Ach. –

Isabel         Weil aber hier mich festhält
Als der leider einz'ge Nachlaß
Des Verblichnen dieses Haus,
Drum vertreib' ich wenigstens –
Nehmt Euch dran ein Beispiel, Frauchen –
Mir die Zeit, so gut ich kann.

Manuela Fragt sich nur, mit wem. Was gibt's denn
Hier als Krämervolk und Bauern?
Allenfalls noch, daß ein Gaukler
Von der jammervollsten Sorte
Dann und wann sich her verirrt,
Längstbekannte Künste weisend.
Andres ist es, was mich lockt:
Mannesgröße, so erhaben,
Daß dran aufzuschau'n man schwindelt,
Heldenmut bis zum Verbrechen,
Liebe bis zur Raserei. 33

Isabel Recht bescheiden. Derlei steht
In den Büchern zwar . . .

Manuela (zu Lisarda)               Verschließe
Sie nur gleich!

Lisarda (schließt die Bücher in den Tisch der Laube, gibt während des Folgenden Manuela den Schlüssel).

Isabel                   Doch töricht wär's,
Fremder Fabelfrüchte wegen
Zu verschmähn den roten Apfel,
Wenn er in den Schoß uns fällt.

Manuela (treuherzig)
Staunenswert, in welchem Grad
Ihr bewandert seid!

Isabel                           Es tut sich.

Manuela Manches möcht' ich noch Euch fragen.

Isabel Fragt nur.

Manuela             Jeden Augenblick
Wird jedoch mein Mann zurück sein . . . 34

Isabel Nun, so kommt mit mir ins Haus.

Manuela Wenn ich dürfte . . .

Isabel                                     Werdet ihn
Doch nicht um Erlaubnis bitten.

Manuela Wie denn sonst?

Isabel                               Man merkt, bei Euch
Fehlt's noch an den Anfangsgründen.

Manuela Was in solchem Falle denn
Tatet Ihr?

Isabel             Mein Seliger
Fand mich allezeit gehorsam,
Weil, so oft ich nicht gehorchte,
Schonend ich es ihm verbarg.

Manuela (überzeugt)
Das ist gut. – Lisarda, sag
Meinem Manne, wenn er nachforscht,
Wo ich bin, ich sei beim Schuster,
Weil die neuen Schuh' mich drücken.

Lisarda (lachend)
Wird besorgt. (Ab ins Haus des Pedro) 35

Isabel                   So recht. Ihr seid
Mindestens nicht ungelehrig.
Kommt!
        (Der Karren Serafins wird sichtbar)
              Was für ein Aufzug?

Manuela                                       Wieder
So ein fahrender Hanswurst.

Isabel Doch er scheint nicht schlecht gewachsen.

(Beide ab in Isabels Haus)

Achter Auftritt

(Von rechts hinten ist eine sonderbare Gruppe erschienen. Auf einem mit Jahrmarktsplunder beladenen, grell bemalten Karren, der von) Trillo (und) Torribio (einem hinkenden Bettler, mangels anderer Bespannung gezogen wird, thront) Serafin r(in schäbiger Tracht). Halbwüchsige Jugend (beiderlei Geschlechts neugierig hinterdrein)

Serafin (in der Mitte des Hintergrunds angekommen)
Halt, mein feuriges Gespann!
Zeichen aller Art bekunden,
Angelangt sei mein Triumphzug
In des neuen Mittelpunktes
Mittelpunkt.
        (Der Karren hält. Zur Jugend gewendet)
                  Ihr jungen Fräulein,
Jungen Herrn, gehabt Euch wohl. 36
Unentgeltlich Gaffen ist
Weder Euch noch mir ersprießlich.
Falls Ihr mich bewundern wollt,
Stellt zu meiner ersten großen
Vorstellung Euch ein heut abend.
Sie beginnt um Glock halb acht.
Kinder zahlen bloß die Hälfte.

(Die Jugend zerstreut sich)

Trillo (wischt sich den Schweiß)
Uff, mir tun die Knochen weh.
Auch zum Esel braucht man Übung.

Torribio (zieht die Mütze)
Wenn ich jetzt Euch nicht mehr nötig . . .

Serafin Gleich, sogleich, mein Teuerster,
Werd' ich für gewährte Hilfskraft
Euch entlohnen. Laßt mich nur
Meinen Hochsitz erst vertauschen
Mit der Erde festem Grund.
        (Er springt gelenkig vom Karren herab; großartig, zu Torribio)
Ihr bekommt wieviel?

Torribio                           Ihr wißt schon.

Serafin (sucht in seinen Taschen)
Nichts. – Hier auch nicht. – Potz, wo hab' ich
Meinen fürstlichen Besitz?
        (Er findet ein paar Münzen, gibt sie ihm)
Da, mein Freund. (Leise zu Trillo) 37
                          Es war das letzte.
Völlig blank.

Trillo (leise)         O weh.

Torribio (unzufrieden nachzählend)
                                Mit Betteln
Hält' ich mehr verdient.

Serafin                               Jedoch
Heut verdientet Ihr durch Arbeit.
Überreich entschädigt Euch
Dies erhebende Bewußtsein.

Torribio (weinerlich)
Herr, ich war nicht immer Bettler.
Beßre Zeiten sah ich einst,
Holt' im eignen Kauffahrteischiff
Frachten von der Maurenküste;
Doch an einem bösen Tag
Trieb dem ärgsten Meerestiger
Mich mein Unstern in den Rachen,
Dem berüchtigten Korsaren
Estornudo.

Serafin             Ha, verdammt!

Torribio Hörtet ihr von ihm?

Trillo                                   Was fragt Ihr!
In ganz Andalusien schreckt 38
Man mit seinem Namen Kinder,
Die nicht artig sind.

Serafin                         Sogar
Unter meinen Vortragsstücken
Hab' ich eins, das ihn betrifft;
Eine schaurige Romanze,
Die mit Beifall ich des öftern
Schmelzend zur Guitarre sang.
        (Er deklamiert)
    »Umbraust von hochgetürmten Wogen,
    Umringt von seiner kühnen Schar,
    Auf seinem Raubschiff hergeflogen
    Kommt Estornudo, der Korsar.
    Sein bloßer Anblick haucht Entsetzen,
    Kein Staubgeborner hält ihm stand;
    Kein Blei, kein Stahl kann ihn verletzen,
    Es hemmt ihn keine Kerkerwand.«
Und so weiter.

Torribio (enthusiastisch)
                      Ausgezeichnet!

Serafin Seht, das habt Ihr nun umsonst.

Torribio Ja, der Satanskerl, der war es,
Der mich Unglücksel'gen damals
Auf der Höhe von Gibraltar
Überfiel. Der Enterhaken,
Dann ein Schuß durch dieses Bein
Lähmten meinen Widerstand. 39
Sein Gefangner ward ich, mußte
Wohl ein volles Jahr und drüber
Harten Ruderdienst ihm tun.

Serafin Doch wie seid Ihr ihm entkommen?

Torribio Erst sein Tod erlöste mich.

Trillo Ist er tot?

Torribio           Seit Jahren brät er
In der Hölle schon.

Trillo                           Das Volk
An den Küsten glaubt's nicht recht,
Sondern bangt, er komme wieder.

Torribio Jeden Eid kann ich drauf leisten,
Daß der niemals wiederkommt.
Denn vor meinen Augen fuhr er
Abwärts in sein nasses Grab,
Als gepackt vom Sturm das Raubschiff
Jäh zerbarst an einem Felsen
Und mit Mann und Maus versank.

Serafin Friede seiner feuchten Asche. 40

Torribio Mich allein von allen hat
Ein mir unbegreiflich Wunder
Lebend an den Strand gespült.
Doch was hat's genützt? Ich Ärmster
Kam auf keinen grünen Zweig mehr,
Muß von Ort zu Orte humpeln
Für ein Stückchen trocknes Brot.

Serafin Nur getrost; sobald ich einen
Meiner hohen Gönner spreche,
Werd' ich warm ihm Euch empfehlen.

Torribio (ihn von der Seite musternd)
Hm, das dauert mir zu lang'.
Diener.
        (Er geht nach rechts hinten, an den Häusern emporschielend, und leiert geschäftsmäßig im Abgehen)
            Bitt' um eine Gabe.
Bitt' um eine milde Gabe. (Ab rechts)

Neunter Auftritt

Serafin. Trillo

Trillo Meister, wär's am klügsten nicht,
Wenn wir mit gezogner Mütze
Schlankweg dem ins Handwerk pfuschten?
Sein Geschäft, so scheint mir fast,
Bringt erheblich mehr als unsres. 41

Serafin Bursch, was unterstehst du dich!
Oder muß ich erst betonen,
Wem zu dienen dir gegönnt?
Jeder echte Künstler sitzt
Hin und wieder auf dem Trocknen . . .

Trillo Doch wir sitzen immer drauf.

Serafin Und er hat, wenn seine Kunst
Ihn zu nähren dauernd weigert,
Ehrgefühl genug im Leih,
Um mit Anstand zu verhungern.

Trillo Ohne Anstand satt zu werden,
Zieh' für meinen Teil ich vor.

Serafin Wart, es wird schon wieder gehn.

Trillo Ja, bergab – so geht's beständig.
Zu veräußern bleibt nichts mehr,
Seit Ihr noch im letzten Wirtshaus
Euren Esel für die Zeche
Hinterließt.

Serafin (rührselig) Der alte, treue
Kamerad! Ich werde nie
Seinen Scheideblick vergessen. 42

Trillo Doch zu seinem Stellvertreter
Spür' ich keinerlei Beruf.

Serafin (kratzt sich am Ohr)
Immerhin, ich will nicht leugnen,
Daß es heute mehr als jemals
Einen Hauptschlag gilt zu tun.
Drum nicht länger laß uns schwatzen.
Hier errichten wir, so denk' ich,
Unterstützt von diesem grünen,
Stimmungsvollen Hintergrund,
Meine Bude. Doch zuvor
Trommel her und Dudelsack!
        (Trillo geht zum Karren und sucht dort die Instrumente hervor)
Aufruhr weckend wollen wir
Gleich die Stadt von einem Ende
Bis zum anderen durchziehn.

Trillo (noch kramend)
Beide liegen nah beisammen,
Und wer aufgerührt soll werden,
Ist mir vorderhand ein Rätsel;
Denn das Nest, von ein paar Rangen
Abgesehn, scheint ausgestorben.

Serafin Diesmal straf' ich deinen Kleinmut
Lügen durch den Augenschein.
        (Er zeigt in die Gasse links)
Schau dorthin! Da kommt ein Mensch,
Und ein völlig ausgewachsner. 43

Trillo Einer!

Serafin         Doch er zählt für Zwei,
Erstens durch den Umfang, zweitens,
Weil ein Duft von feistem Wohlstand
Ihm entströmt auf zwanzig Schritt.

Trillo Macht Euch an ihn!

Serafin                             Will's versuchen.

Zehnter Auftritt

Vorige. Pedro (kommt aus der Gasse links und schlendert auf seine Haustür zu)

Serafin (nähert sich ihm, während Trillo beim Karren bleibt, mit unterschiedlichen Bücklingen)
Darf ich Euer Wohlgeboren
Einen Augenblick . . .

Pedro (barsch)                   Was wollt Ihr?

Serafin Eure Herrlichkeit um Gunst
Und geneigten Zuspruch bitten.

Pedro (geschmeichelt, etwas milder)
Inwiefern denn? 44

Serafin                     Euer Gnaden
Sehn in mir den weltberühmten
Tausendkünstler Serafin.

Pedro (verächtlich)
Diese Gattung kennen wir!

Serafin Bitte, mich nicht zu verwechseln
Mit gemeinen Possenreißern,
Stümpern, die den edlen Orden
In Verruf zu bringen drohn.
Wollt vielmehr heut abend Euch
Gütigst selber überzeugen,
Daß ich einfach alles kann.
Eine nie bisher gezeigte
Leistung biet' ich am Trapez,
Tanze Seil, verschlinge Feuer,
Werf' auf einmal sieben Kugeln
In die Luft und fange sie,
Während mir ein blankes Schwert
Auf der Nasenspitze baumelt;
Lass' ein lebend, gackernd Huhn
In der freien Hand verschwinden,
Hol' ein ganzes Warenlager
Aus 'nem leeren Hut hervor . . .

Pedro (ungeduldig)
Schon genug!

Serafin                 Dies für die Menge.
Doch ich bin auch, wenn's verlangt wird,
Um Genüsse nicht verlegen 45
Für den feineren Geschmack:
Täuschend unter anderm ahm' ich
Alle Vogelstimmen nach,
Ferner jedes Menschen Stimme,
Die mir zu Gehör gebracht wird,
Was durchaus ergötzlich ist.
Aus dem Stegreif dicht' ich, singe
Zur Guitarre stets das Neuste,
Was man in Sevilla singt.
Endlich . . .

Pedro (losplatzend) Endlich macht ein Ende!
Könnt Ihr das und zehnmal mehr,
Müht Euch länger nicht vergebens,
Mich dafür zu fangen, sondern
Schert Euch flugs damit zum Teufel,
Der für solch verruchtes Blendwerk
Mehr gewiß hat übrig als . . .
        (Schnaufend)
Puh, mir geht der Atem aus . . .
Als die Bürger dieser Stadt.
Habt Ihr mich verstanden?

Serafin                                   Ja. (Er geht nach hinten)

Trillo (ihn empfangend)
Hübscher Anfang.

Serafin                       Ein Barbar.
Wenden wir uns an das Ohr
Der gebildeten Bevölkrung.

(Er nimmt den Dudelsack, Trillo die Trommel, so ziehen sie durch die Gasse links hinten ab, ihre Instrumente bearbeitend, deren Geräusch sich allmählich in der Ferne verliert) 46

Elfter Auftritt

Pedro. (Gleich darauf) Torribio

Pedro (hat sich atemschöpfend auf die Brunnenbank gelegt, für sich)
Narretei, mich zu ereifern,
Wo's mir doch so schlecht bekommt.

Torribio (ist von rechts hinten wieder erschienen, noch ohne Pedro zu sehen)
Bitt' um eine milde Gabe.

Pedro (für sich)
Lauter fremd Gesindel heut!

Torribio (hat Pedro entdeckt, kommt auf ihn zu)
Eine milde Gabe, Herr.
Armer Mann mit lahmem Bein.

Pedro Gebe nichts.

Torribio (betroffen) Die Stimme . . . Nicht doch!
Aberwitz!

Pedro             Was glotzt Ihr noch?
Packt Euch!

Torribio               Seltsam . . . ! Rein, undenkbar!
Der war halb so dick. 47

Pedro (ist aufgestanden)       Wie lang'
Steht der Kerl noch da und murmelt?
Fort! Sonst ruf' ich einen Häscher.

Torribio Dieses Auge! dieser Blick!
Ja – kein Zweifel!

Pedro (beunruhigt)         Hört Ihr nicht?

Torribio (entsetzt, sich bekreuzigend)
Allbarmherz'ger Gott im Himmel,
Stehn die Toten wieder auf?!
Estornudo!

Pedro (in furchtbarem Schreck zusammenfahrend)
                  Was . . . was soll
Das bedeuten?

Torribio                 Spuk der Hölle! (Er will fliehen)

Pedro (mit mühsamer Fassung, hält ihn fest)
Hiergeblieben, sag' ich jetzt!
Hier herein, du dreister Strolch!
        (Er zerrt ihn nach links in die Laube)

Torribio (jammernd)
Dieser Griff! Er ist's, er ist's!

Pedro Hier herein! (Sie sind in der Laube angelangt)
                      Und nun, wer bin ich 48
Deiner Meinung nach, Halunke?
Welchen Namen gabst du mir?

Torribio Euren, Herr.

Pedro                         Ich heiße Vargas;
Pedro Vargas.

Torribio               Herr, das glaub' Euch,
Wer Euch nicht gekannt wie ich.
Denn Ihr seid's, wenngleich verändert;
Seid es, den ich von den Haien
Längst verspeist gewähnt . . .

Pedro                                         Gefasel,
Hirnverbranntes!

Torribio                   Und Ihr kennt
Wohl auch noch Torribio,
Müßt ihn kennen.

Pedro (heiser vor Aufregung)
                          Kenn' dich nicht.
Hab' dich nie gesehn.

Torribio (entblößt, den Ärmel aufstreifend, seinen rechten Oberarm)
                                So stärkt Euch
Das Gedächtnis durch dies Brandmal,
Das wie jedem Eurer Opfer
Ihr beim Fang mir aufgedrückt. 49

Pedro (starrt erst eine Sekunde darauf hin, packt ihn dann mit raschem Entschluß bei der Gurgel und würgt ihn)
Plappermaul, dich mach' ich stumm.

Torribio (sich wehrend)
Hilfe!

Pedro       Stirb!

Torribio (schwächer)
                    Ihr Heiligen!

Pedro Deine Stunde hat . . . .
        (Er läßt plötzlich los, greift sich nach dem Herzen)
                                      Wie wird mir?
Luft! (Er taumelt und sinkt auf einen Stuhl)

Torribio (reibt sich keuchend den Hals)
          Verwünschter Scherz das! Puh!

Pedro (ebenfalls keuchend)
Puh!

Torribio (sieht ihn verwundert an)
        Gottlob, Ihr seid nicht halb mehr,
Was Ihr wart. Sonst wär' ich hin.

Pedro (noch immer kläglich nach Luft schnappend)
Aus der Übung – ja, beim Henker –
Und verfettet obendrein.

Torribio Könntet nun beinah mich dauern. 50

Pedro Atemnot . . .

Torribio                   Warum auch strengt Ihr
Meinethalb so sehr Euch an?

Pedro Herzbeklemmung . . .

Torribio                               Seid beruhigt.
Ich fürwahr verrat' Euch nicht.

Pedro Schwöre mir . . .

Torribio                       Denn überlegt nur:
        (Näher und leiser)
War doch, wenn auch unfreiwillig,
Euer Spießgesell bei mancher
Gottverbotnen Tat, und sollte,
Dunkles zerrend an das Licht,
Selbst mich an den Galgen liefern?
Haltet Ihr Torribio
Für so dumm?

Pedro (sich allmählich erholend)
                        'nen Schwur verlang' ich,
Daß du schweigst.

Torribio                     Bei meiner Seele
Seligkeit. 51

Pedro             Der taugt nicht viel.

Torribio Dann bei meinem Leben also.

Pedro Ja, dein Leben soll's dich kosten –
Dir hinwieder schwör' ich dies –,
Wenn das Bauwerk, das ich sorgsam
Aufgerichtet Stein um Stein,
Mir durch dich zertrümmert wird.

Torribio Top. Nur seid Ihr bis dahin
Andrerseits wohl gern behilflich,
Dieses Leben mir zu fristen,
Das durch Euch zertrümmert ward.

Pedro (braust wieder auf)
Schuft . . . !

Torribio             Besinnt Euch. Herzbeklemmung;
Atemnot . . .

Pedro (gemäßigt)   Nun ja, warum auch
Schließlich nicht? Wenn wir im Hauptpunkt
Handelseinig . . . Und zudem
Heißt im Auge dich behalten
Um so sichrer dir vertrau'n.
        (Er schenkt sich Wein ein) 52
Erst nur muß ich auf den Schreck . . .
        (Beunruhigt innehaltend)
Ob auch niemand uns gehört hat?

Torribio (schaut hinaus)
Niemand.

Pedro             Erst ein Mittelchen
Zur Ermuntrung . . . (Er trinkt)

Torribio (sieht ihm gierig zu) Wohl bekomm's.

Pedro (ihm einschenkend)
Da – trink auch.

Torribio                   Ich bin so frei.
Meines alten Herrn Gesundheit.
        (Er trinkt)

Pedro Der, vergiß das nicht, ist tot!

Torribio Mausetot, verlaßt Euch drauf.

Pedro Ich dagegen, Pedro Vargas,
Nehme dich in meinen Dienst . . .

Torribio Sollt mit mir zufrieden sein. 53

Pedro Und bestalle dich zum Wächter
Für mein Gut, 'ne Viertelmeile
Vor der Stadt.

Torribio               Ein Gut sogar
Habt Ihr?

Pedro             Allerdings.

Torribio                         Mir schwindelt!
Wetter, wer noch heute früh
Diese glückliche Begegnung
Mir geweissagt hätte . . . Denkt:
Soll man's denn für möglich halten?
Ihr im tiefsten Binnenland
Gutsbesitzer, nach dem Abschied
Zwischen uns, den ich aus trift'ger
Ursach für den letzten hielt!

Pedro Ich erst recht.

Torribio                   Bei meinem festen
Glauben, ich als Einz'ger hätte
Jenen Schiffbruch überlebt.

Pedro Und bei meiner Zuversicht,
Mitersoffen wärst auch du. 54

Torribio Daß Ihr hexen könnt, erfuhr ich
Zwar genugsam; aber das –
Herr, um alles in der Welt
Sagt, wie habt Ihr das geschafft?

Pedro (lacht geschmeichelt)
Ha, du Tölpel – äußerst einfach.
Durch den überstandnen Schiffbruch
Bot sich mir erwünschtermaßen
Günstigste Gelegenheit,
Mich nach Jahren steter Mühsal,
Steten Spiels um Kopf und Kragen
Vom Geschäft zurückzuziehn.

Torribio Aber wie nur . . .

Pedro (selbstgefällig)           Was noch weiter?
Alle Zeugen des Vergangnen
Weggerafft mit einem Schlag,
Ich vermeintlich selber tot,
Überhoben jeder Sorge
Vor Verfolgung wie Verrat,
Und mein Schäfchen hübsch im Trocknen!
Was noch weiter? Nackt und bloß
Von der Brandung, die mich zehnmal
Schon verschlungen, ausgespien,
Holt' ich aus der Ufergrotte,
Drin ich meine Beute stets
Gleich versteckt nach jedem Fischzug, 55
Mir den ganzen Reingewinn,
Kleidung, Perlen, Edelsteine,
Bares Gold im Überfluß,
Wandte drauf mich sacht landeinwärts,
Unbehelligt, unerkannt,
Zog entschlossen einen Strich
Unter mein bisherig Dasein
Und begann ein unbescholtnes
Neues als gemachter Mann.

Torribio Hat Euch denn die Obrigkeit
Nie befragt nach Paß und Ausweis?

Pedro Ei gewiß. Jedoch den hatt' ich
Von dem satten Kaufmann Vargas,
Als ich ihn mit Extrapost
In die Ewigkeit befördert,
Ohne Testament geerbt.

Torribio Meisterhaft!

Pedro                         In dieser Stadt,
Fern genug dem alten Schauplatz
Und den Klippen des Verkehrs,
Schlug ich meinen Wohnsitz auf.
Bald verschaffte mir mein Geld
Wie mein löbliches Gebaren
Zutrau'n, Freundschaft, Anerkennung,
Und – haha – bevor ein Jahr 56
Abgelaufen, war des reichsten
Bürgers mitgiftschwere Tochter
Meine Frau.

Torribio               Bewundernswert!
Unnachahmlich! – Doch verzeiht:
Habt Ihr nie seitdem – wie sag' ich? –
Nie zur Rückkehr in das alte
Dasein ein Gelüst verspürt?

Pedro Ha, das fehlt mir grad! Ich danke!
Wer so sündhaft wild wie ich
Über Schranken weg und Leichen
Seine Jugend ausgetobt hat,
Der verspürt nur ein Gelüst noch,
Und das heißt Bequemlichkeit.
Meine Ruhe will ich haben;
Wehe dem, der sie mir raubt!

Torribio Das muß wahr sein: was Ihr macht,
Macht Ihr gründlich.

Pedro (ist aufgestanden)     Merk dir's.– Horch!

Torribio (lauschend)
Stimmen . . .

Pedro (gibt ihm ein Goldstück, rasch)
                      Hier dein Handgeld. Geh,
Kauf dir für dein Wächteramt
Was zum Anziehn. 57

Torribio                       Herr, ich werde
Wächter Eurer Ruhe sein.

(Ab links vorn)

Zwölfter Auftritt

Pedro. Isabel, Manuela (treten aus dem Hause rechts, hinter dessen kurz zuvor geöffneter Tür man sie bereits hatte sprechen hören)

Pedro (spähend, für sich)
Seh' ich recht?

Isabel (zu Manuela, die sich ängstlich umschaut)
                        Das Feld ist rein. –
Kommt nur öfter.

Manuela                     Gern.

Isabel (anzüglich)                   Zum Schuster.

Pedro (tritt aus der Laube und verstellt Manuela, die nach links hinüber will, den Weg)
Manuela!

Manuela (erschrocken)
                Ach herrje!

Pedro Du – du warst bei dieser? 58

Manuela (stotternd)                   Ich . . .

Isabel (schnippisch)
Ja, bei dieser. Diese hat
Sie für diesmal nicht gefressen.

Pedro Hab' ich dir nicht untersagt,
Sie zu grüßen? Und du läufst
In ihr Haus?

Manuela             Ich wollte nur . . .

Isabel Ist mein Haus vielleicht verpestet?

Pedro (ohne Isabel zu beachten)
Eines ehrenhaften Manns
Zücht'ge Gattin schämt sich nicht,
Umzugehn mit einer solchen?

Isabel Einer solchen? Welche denn?
Welche solche? Meint Ihr mich?
Weil von Männern Eures Schlags
Ich ein vollgestrichnes Dutzend
Haben könnt' an jeder Hand?
Doch, was Euch betrifft, seid ruhig:
Eurer zücht'gen Hausfrau schnappt Euch
Keine solche jemals weg;
Solchen ehrenfesten Schmerbauch
Gönn' ich neidlos ihr allein.
        (Ab in ihr Haus) 59

Dreizehnter Auftritt

Pedro. Manuela

Pedro Wirst du jetzt mir wohl erklären . . . ?

Manuela Nun denn, grad heraus, ich litt
Langeweile; drum, jawohl,
Wollt' ich mal mich unterhalten.

Pedro Und mit der da? Hast du nicht
Deinen Mann zur Unterhaltung?

Manuela Wie man's nimmt.

Pedro (energisch)                 Wie nimmt man's, bitte?

Manuela (mit Anlauf)
Du . . .

Pedro           Nun – wird's bald?

Manuela (eingeschüchtert)             . . . . warst ja doch
Nicht zur Stelle.

Pedro                       Bin ich dir
Keinen Augenblick entbehrlich? 60

Manuela (herausplatzend)
Nein, im Gegenteil! – Das heißt . . .
        (Ihn voll ansehend)
Unter uns – bei Licht betrachtet:
Findest du nicht unser Leben
Etwas . . .

Pedro             Sprich!

Manuela                   Im gleichen Gleis?

Pedro Hat dir deine saubre Freundin
Mucken in den Kopf gesetzt?

Manuela Nein, von selber . . .

Pedro                                     Dann vernimm:
Wer im rechten Gleise wandelt,
Will und soll darin verbleiben;
Denn nur dieses führt zum Heil.

Manuela (zögernd)
Schau, wir hätten Zeit und Geld . . .
Könnten wir nicht wenigstens
Einmal nach Sevilla reisen?

Pedro Und wozu! Was haben wir
Dort verloren? 61

Manuela (schwärmerisch)
                      Eine große,
Große Stadt!

Pedro                 Mit vielen Häusern.

Manuela Menschen, Menschen . . .

Pedro                                             Auf zwei Beinen
Just wie wir.

Manuela             Gesang und Tanz,
Buntheit, Frohsinn, Lebensflut . . .

Pedro Schlechte Straßen . . .

Manuela                               Doch mir neue.

Pedro Schlechte Kost . . .

Manuela                           Doch andre Zutat.

Pedro Schlechte Betten . . .

Manuela                             Wen'ger Schlaf!

Pedro Diebesbanden unterwegs . . . 62

Manuela (entzückt)
O wie schön!

Pedro                   Du bist wohl närrisch?

(Trommel und Dudelsack werden in der Ferne wieder hörbar und nähern sich)

Manuela (verklärt wiederholend)
Diebesbanden!

Pedro                     Möchtest du
Meuchlings angefallen sein?

Manuela Und beschützt von dir.

Pedro                                       Es schützt
Dich vor jedem Ungemach
Unser friedlich Heim am besten.
Laß dir das von mir gesagt sein,
Der die Welt so ziemlich kennt. – –
So, nun fühl mir mal den Puls.

Manuela (tut es)
Fehlt dir was?

Pedro                   Es geht mir heut
Nicht besonders.

Manuela (nachdem sie gezählt)
                          Hüpft ein bißchen. 63

Pedro Dacht' ich's doch! Und meine Zunge?
        (Er streckt sie heraus)

Manuela Sieht wie eingepökelt aus.

Pedro Ob das von der Galle kommt?
Will mich jedenfalls ein Stündchen
Niederlegen. (Ab in sein Haus)

Manuela (sieht ihm nach; dann für sich, aus tiefster Brust)
                    Hoffnungslos! – 64


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