Ludwig Fulda
Die Kameraden
Ludwig Fulda

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Zweiter Aufzug.

(Dieselbe Dekoration. Der Abreißkalender zeigt den 14. April.)

Erster Auftritt.

Thekla (und) Babette (sitzen vorn links).

Babette. Sie denken also in der That ernstlich daran, uns wieder zu verlassen?

Thekla (zum Ausgehen gerüstet, im Hut, knöpft sich die Handschuhe zu). Allerdings. Ich will mir auch heute wieder Verschiedenes ansehen, und sobald ich etwas Entsprechendes gefunden habe . . .

Babette. Ich kenne die Pensionen hier so ziemlich alle. Sie werden schwerlich eine bessere finden.

Thekla. Mag sein. Das ist überhaupt eine halbe Maßregel. Ich suche mir eine eigene möblierte Wohnung.

Babette. So ganz allein? 75

Thekla. Warum nicht? Ich engagiere mir dann einfach eine Gesellschafterin.

Babette. Ja, wer das kann! . . . Mir wird es ja aufrichtig leid thun. Wir haben uns doch schon recht einander genähert . . .

Thekla. Sie haben mir manche öde Stunde verkürzt.

Babette. Und ich kann so viel von Ihnen lernen.

Thekla. Sie werden mich öfter besuchen.

Babette. O, mit Vergnügen! Pardon – ich weiß, Sie lieben dieses Wort nicht. – Aber was haben Sie hier eigentlich auszusetzen?

Thekla. Ich bitte Sie, was habe ich nicht auszusetzen? Es fehlt an jedem Komfort. Nun, Sie sind darin eben anspruchsloser. Aber wenn man das Leben schon an und für sich so geringschätzt wie ich, dann will man doch wenigstens seine Bequemlichkeit haben. – Und dann – das Essen!

Babette. Sie speisen doch so wie so meistens außerhalb.

Thekla. Weil es hier miserabel ist. Vorhin wieder dieses Gabelfrühstück – da habe ich für ein paar Tage ganz genug. 76

Babette. Ich fand es recht gut.

Thekla. Ich will Ihnen Ihre Illusionen nicht rauben. Ihnen gefallen ja auch diese Spießbürger, unsre Wirte.

Babette (eifrig). O, Herr Karsten ist kein Spießbürger.

Thekla (aufstehend). Versetzen Sie sich doch nur in meine Lage, Fräulein Seiler! Sie wissen, ich bin in einer Kampfstellung – und statt daß ich hier Unterstützung oder auch nur Verständnis finde . . .

Babette. Aber man kann doch Ihrem Gatten nicht gut das Haus verbieten.

Thekla. Warum denn nicht? Nachdem ich erklärt habe, daß ich ihn nicht empfangen, daß ich Ruhe haben will, hätte man ihn überhaupt nicht mehr hereinlassen dürfen. Es sind kaum drei Wochen, seit ich ihn verlassen habe, und seine Besuche hier werden immer häufiger; ich weiß kaum, wie ich ihm noch entgehen soll; ich befürchte jeden Augenblick, ihm in die Hände zu laufen. Es ist ein reiner Zufall, daß es nicht schon geschehen ist. Man protegiert ihn, man schmiedet Komplotte mit ihm hinter meinem Rücken . . . (Geht nach rechts.)

Babette. Aber wär' es da nicht das beste, wenn Sie sich selbst einmal mit ihm aussprächen? 77

Thekla. Sie kennen das Leben nicht, Fräulein Seiler.

Babette. Gerade deshalb ist mir der Umgang mit Ihnen so wertvoll.

Thekla. Nun, dann lassen Sie sich bedeuten: Nichts reizt die Männer mehr, als wenn wir ihnen zeigen, daß wir sie entbehren können.

Babette (nachdenkend). So? Wirklich?

Thekla. Das macht sie rasend. Dieser Mann, der mich nie wahrhaft geliebt hat, nun vergißt er seine Würde so ganz, um mich förmlich zu belagern; nun schreckt er vor nichts zurück, um mich wieder in seine Gewalt zu bekommen.

Babette. Das ist aber doch im Grunde genommen für Sie nur schmeichelhaft.

Thekla. Ja, wenn ich die erste beste wäre . . . Vor ihm verstecken werd' ich mich nicht; dazu bin ich zu stolz. Aber wenn er mich jetzt nicht bald in Frieden läßt, wenn er mich zum Aeußersten treibt, dann soll er sehen, was ein Weib zu thun im stande ist zur Verteidigung ihrer Unabhängigkeit. (Sie hat sich rechts an den Tisch gesetzt.)

Babette. Ach, meine Beste, vielleicht stellen Sie sich diese Unabhängigkeit doch etwas zu rosig vor. 78

Thekla. Ich mir etwas zu rosig vorstellen – ich?! O nein. Aber Sie wissen nicht, was Unterjochung heißt; Sie waren Ihr Leben lang selbständig . . .

Babette (vor dem Tisch stehend, träumerisch). Ich hätte mich ganz gern unterjochen lassen.

Thekla. So? Warum haben Sie dann nicht geheiratet?

Babette. Es hat sich bis jetzt nicht gemacht. – Und ich fühle doch, ich hätte einen Mann beglücken können . . . Ihnen will ich es gestehen: ich war zweimal verlobt.

Thekla (sieht auf). Also auch Sie hat das Leben hart angefaßt.

Babette. Sehr hart. Mein erster Bräutigam war Tenorist – ein vorzüglicher Sänger, aber leider kein vorzüglicher Mensch. Ich erkannte, daß er es nicht redlich meinte, so jung ich auch war – und da mußte ich ihm den Laufpaß geben. Der Zweite dagegen war ein reiner, edler Charakter.

Thekla. Und warum ist daraus nichts geworden?

Babette. Er war mittellos. Er ging nach Amerika, um Geld zu verdienen. Sobald als möglich wollte er zu mir 79 zurückkehren. Ich habe fünfzehn Jahre auf ihn gewartet. Nun warte ich nicht mehr. –

Thekla. Und Sie sind noch nicht auf meinem Standpunkt angelangt? Sie können das Leben noch schön finden?

Babette. Ich denke mir immer, das Beste kommt noch.

Thekla. Das ist die ewige Täuschung.

Babette. Wer weiß? –

Thekla (aufbrechend). Lesen Sie nur recht fleißig Egon Wulff, meine Liebe.

Babette. Das ist wohl ein sehr bedeutender Mann, dieser Doktor Wulff?

Thekla. Ein tiefer Denker.

Babette. Man sagt, er habe seine Frau hintergangen und mit seinen Kindern sitzen lassen.

Thekla. Verleumdung. Aber wenn es auch Wahrheit wäre, dürfte man ihn deshalb verdammen? Ein ungewöhnlicher Mensch hat nur eine heilige Pflicht: die Treue gegen seine Persönlichkeit.

Babette. Merkwürdig. Das sagte mein Tenorist auch. 80

Zweiter Auftritt.

Vorige. Karsten.

Karsten (kommt trällernd, mit brennender Cigarre, von hinten links).

Babette. Schon zurück aus Ihrem Café, Herr Karsten?

Karsten. Ja wohl; ja wohl. (Zu Thekla.) Machen Sie sich warm zu, Frau Hildebrand. Es weht ein scharfer Wind draußen.

Thekla. Danke sehr: ich fürchte ihn nicht. (Ab)

Dritter Auftritt.

Karsten. Babette. (Später) Gertrud.

Karsten (vor dem Büffet). Wo stiefelt sie denn nun wieder hin?

Babette. Sie will sich eine Wohnung suchen.

Karsten. Von uns ausziehen? Wahrhaftig? Darauf muß ich ein Schnäpschen trinken. (Schenkt sich ein.) Das heißt, ich will nichts gesagt haben. Sie haben sich ja mit ihr angefreundet.

Babette. Unsre Anschauungen sind sehr entgegengesetzt. Aber sie interessiert mich ganz ungemein. – Ich liebe die Romane aus dem Leben. 81

Karsten. Meinetwegen. Aber gemütlicher war's doch bei uns, ehe sie kam. Finden Sie nicht auch?

Babette. Das ganz gewiß. Es war ein so harmonischer kleiner Kreis . . .

Karsten. Ich muß frohe Gesichter um mich sehen, keine sauren Gurken. So muß es auch wieder werden.

Babette. Aber – glauben Sie, daß es immer so bleiben kann?

Karsten (kommt mit dem Gläschen in der Hand nach vorn). Warum denn nicht?

Babette. Nehmen Sie nur den Fall, daß sich Ihre Tochter einmal verheiratet . . .

Karsten. Trude sich verheiraten? Ja, das ist wahr . . . das wäre immerhin möglich. Daran hab' ich eigentlich nie gedacht.

Babette. Dann müßten Sie doch wohl die Pension aufgeben, Ihre ganze Lebensweise ändern . . .

Karsten. Mag schon sein.

Babette. Auch ich müßte mir dann einen andern Unterschlupf suchen. 82

Karsten. Ja, das müßten Sie dann wohl.

Babette. Ich habe mich hier schon so eingelebt . . . Es würde mir nicht leicht werden, mich von Ihnen zu trennen, zumal jetzt, wo ich eingeweiht bin in Ihr großes Geheimnis . . .

Karsten. Das ist bald kein Geheimnis mehr.

Babette. Glauben Sie auch, wenn Sie dann einsam sind, daß Ihre Kunst hinreichen würde, um Sie auszufüllen?

Karsten. Selbstverständlich würde sie das – selbstverständlich! Um mich brauchen Sie sich gar keine Sorge zu machen, Fräulein Seiler. (Geht nach hinten, stellt das Gläschen ab.)

Gertrud (von rechts hinten). Schön, daß du wieder da bist, Vater. Ich wollte etwas mit dir besprechen.

Babette. Da will ich nicht stören.

Gertrud. Bleiben Sie doch nur hier, Fräulein.

Babette. Nein, ich habe auch noch einen ellenlangen Brief zu schreiben. 83

Karsten. Und wie gesagt, Fräulein Seiler, darüber können Sie vollständig ruhig sein.

(Babette ab in ihr Zimmer.)

Vierter Auftritt.

Karsten. Gertrud. (Später) Frau Moebius.

Gertrud. Ich wollte dich nämlich fragen . . . (Sieht auf seinen Rock.) Da hast du dir schon wieder einen Flecken gemacht. Bleib mal einen Augenblick still. (Sie reibt daran.)

Karsten. Nun also – was giebt's? Halt – damit ich's nicht vergesse – ich muß dich auch etwas fragen. (Setzt sich vorn links.)

Gertrud. Was denn?

Karsten. Sag mal, Trude: hast du – hast du nie ans Heiraten gedacht?

Gertrud (noch immer mit dem Fleck beschäftigt, lacht). Aber Vater, wie kommst du denn mit einemmal auf so was?

Karsten. Alt genug wärst du doch eigentlich dazu.

Gertrud. Zu alt, Vater, viel zu alt. 84

Karsten. Lächerlich. Deine Mutter war älter, als ich sie nahm.

Gertrud. Als du sie nahmst; da hast du's ja. Es müßte mich vor allem einer nehmen wollen, und ich ihn – natürlich, ich ihn auch.

Karsten. Allerdings, das gehört dazu.

Gertrud. Und wo sollte der herkommen, dieser Märchenprinz, der zu mir sagte: »Fräulein Gertrud Karsten, Sie sind die unwiderstehlichste Volksschullehrerin, die mir in meinem Leben vorgekommen ist; Sie sind nicht mehr die jüngste; hübsch sind Sie auch nicht . . .

Karsten. O doch!

Gertrud. . . . Hübsch sind Sie auch nicht; Bildung mittelmäßig; Geld haben Sie gleichfalls keines; aber hier ist mein Thron: würden Sie geruhen, ihn mit mir zu besteigen.«

Karsten. Na warte nur, wenn ich erst durchgedrungen bin . . .

Gertrud. Vater, warum machst du dir so unnütze Gedanken, und warum soll ich sie mir machen? Ich bin doch so zufrieden; wir leben so glücklich miteinander . . . 85

Karsten. Aber später einmal . . .

Gertrud. Ich will von später nichts wissen.

Karsten. Ich glaube, Trude, du könntest dich überhaupt nicht verlieben.

Gertrud. Da irrst du aber sehr. – Und ich bin ja auch schon verliebt – bis über die Ohren.

Karsten (ist aufgestanden). So?

Gertrud (ihn umarmend). In das Leben bin ich verliebt – und in dich, du altes Kind!

Frau Moebius (tritt ein). Eben ist Herr Hildebrand unten vorgefahren. Soll ich ihn wieder hier hereinführen?

Gertrud. Freilich, Liese. Es wäre uns sehr angenehm. (Frau Moebius ab.) Gerade darüber wollte ich mit dir sprechen, Vater. Der Mann kommt jetzt Tag für Tag, sitzt Stunden lang hier . . .

Karsten. Ein sehr netter Mensch. Gefällt mir ausgezeichnet.

Gertrud. Ja, der hätte ein besseres Los verdient. 86

Karsten. Hat viel Verständnis für Baukunst. Begriff sofort, um was es sich handelt; geht für den neuen Stil durchs Feuer.

Gertrud. Sehr schön; aber . . .

Karsten. Wir sollten ihn einmal zu Tisch einladen.

Gertrud. Nein, ganz im Ernste, dieser Zustand kann doch so nicht weiter bestehen. Wir müssen irgend etwas thun . . . . Die Frau wird immer schwieriger . . .

Karsten. Davon versteh' ich nichts. Das ist deine Sache. – Sie wird ja übrigens bald ausziehen; sie sucht sich eine Wohnung, hat mir Fräulein Seiler gesagt.

Gertrud. So?!

Karsten. Das ist doch das Einfachste. Dann sind wir die Geschichte los.

Gertrud (nachdenklich). Ja, gewiß; dann sind wir . . .

Fünfter Auftritt.

Vorige. Hildebrand.

Hildebrand. Guten Tag. Da bin ich schon wieder. 87

Gertrud. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.

Hildebrand. Das Dutzend ist bald voll.

Karsten. Sie sind uns immer willkommen, Herr Hildebrand.

Hildebrand. Ihnen – das weiß ich. – Wie geht's meiner Frau? Ist sie zu Hause?

Gertrud. Nein, sie ist ausgegangen.

Hildebrand. Schon wieder! Nun kam ich heut eigens am Nachmittag, weil ich dachte . . . Bald schläft sie; bald verriegelt sie sich; bald ist sie ausgegangen. Und Ihre Geduld hab' ich auch schon mehr als billig in Anspruch genommen. Ich kann ihr doch nicht auflauern oder bei ihr einbrechen . . . Das Beste wird sein, ich geb's auf.

Gertrud. Vielleicht kommt sie bald zurück.

Hildebrand. Nun gut, einmal will ich noch mein Glück versuchen. Darf ich noch einmal hier warten? Haben Sie nichts dagegen?

Gertrud (lachend). Wir wollen noch einmal so gnädig sein. 88

Karsten. Sagen Sie, Herr Hildebrand – Sie sind gewiß sehr neugierig, möchten was Genaueres erfahren von meinen Entwürfen?

Hildebrand. Wäre mir riesig interessant.

Karsten. Kommen Sie doch mal gemütlich zu uns.

Hildebrand. Gemütlich? Wie meinen Sie das?

Karsten. Essen Sie doch mal mit uns zu Mittag. Sie sitzen ja so wie so jetzt immer allein zu Hause. Gleich heute, wenn Sie wollen.

Hildebrand. Sie scherzen, Herr Karsten. Ich in Gesellschaft meiner Frau zu Mittag essen . . .

Gertrud. Ihre Frau diniert meistens nicht mit uns.

Hildebrand (erstaunt). Nicht?

Karsten. Nun also.

Hildebrand. Herr Karsten, Sie sind der barmherzige Samariter. Ich möchte ja so gerne . . . Aber es geht nicht! Wenn ich alle 89 Tage hier erscheine und schüchterne Versuche mache, meine Frau zu sprechen, oder mich wenigstens nach ihrem Befinden erkundige, das kann mir niemand verdenken. Aber hier essen . . . nein, ich will mir nicht das Geringste ihr gegenüber vorzuwerfen haben.

Karsten. Schade. – Verzeihen Sie mal. (Er nimmt, während Hildebrand an das Tischchen links tritt und in einem Buche blättert, Gertrud beiseite; halblaut.) Glaubst du, Trude, daß er mir's übelnimmt, wenn ich jetzt gehe?

Gertrud. Nicht im geringsten.

Karsten. Denn weißt du – es ist doch allerhöchste Zeit, daß die Ruhmeshalle fertig wird. (Laut.) Auf Wiedersehn, Herr Hildebrand. (Geht, von Gertrud gefolgt, nach hinten.)

Hildebrand. Auf Wiedersehn.

Karsten (kehrt noch einmal um; halblaut zu Gertrud). Was meinst du, Trude – soll ich ihm die Pläne zeigen?

Gertrud. Aber doch nicht jetzt! Er hat den Kopf so voll mit seinem Unglück . . .

Karsten. Du hast recht. (Ab rechts hinten.) 90

Sechster Auftritt.

Gertrud. Hildebrand.

Hildebrand. Ein prächtiger Mann, Ihr Vater! Ich hab' ihn gern.

Gertrud. Er Sie auch.

Hildebrand. Das freut mich – weiß Gott, das freut mich kolossal. Der Mann hat so was Nobles, so was reizend Unverdorbenes. Deshalb hat er's wohl auch nicht weiter gebracht.

Gertrud. Er ist trotzdem beneidenswert, Herr Hildebrand. Er lebt ganz in seinen Ideen, und er glaubt an sich.

Hildebrand. Das alles könnt' er aber nicht, wenn Sie nicht wären.

Gertrud. Wie meinen Sie das?

Hildebrand. Sie nehmen ihm die Sorgen ab.

Gertrud. Früher hat das meine Mutter gethan. Seit sie nicht mehr lebt, bin ich doch die Nächste dazu. Von drei Kindern bin ich allein ihm übriggeblieben . . . 91

Hildebrand. Und ersetzen ihm alles. – Sie sind ein tüchtiger Mensch, Fräulein Karsten – Sie sind ein grundtüchtiger Mensch. Deshalb brauchen Sie gar nicht rot zu werden. Schließlich – warum soll man's denn jemand nicht sagen, wenn man Hochachtung vor ihm hat? Ich sehe da keinen Grund.

Gertrud. Bedaure sehr, ich kann Ihre Komplimente nicht acceptieren. Was thu' ich denn so Außergewöhnliches? Und dann haben wir ja noch unsre gute Liese . . .

Hildebrand. Das treffliche Hausmöbel. Aber haben Sie denn auch jemand, mit dem Sie sich über alles aussprechen können? Ihr Vater – der lebt ganz in seinen Ideen, so sagten Sie selbst. Haben Sie eine Freundin?

Gertrud. Nein. (Sie setzt sich auf den Diwan.)

Hildebrand. Und doch – einen Menschen, mit dem man alles teilt, auch die Kleinigkeiten –so jemand braucht man doch eigentlich.

Gertrud. Eigentlich ja.

Hildebrand. Und trotzdem entbehren Sie nichts? (Setzt sich auf den Stuhl vor dem Mitteltisch.) 92

Gertrud. Nein. Was ich habe, das macht mich froh.

Hildebrand. Und was Sie nicht haben?

Gertrud. Das denk' ich mir dazu – womöglich noch viel schöner, als es ist.

Hildebrand. Das ist alles so einfach. Man möcht's Ihnen gleich nachmachen, wenn man könnte. – Ich hätt's gekonnt . . . Ich hätte auch nichts entbehrt. Ich nahm mir ein häuslich erzogenes Mädchen aus einer kleinen Stadt . . . Sie war damals anders – ganz anders.

Gertrud. Was hat sie so verwandelt?

Hildebrand. Ja, wenn ich das wüßte! Es kam so nach und nach. Sie nennt das ihre Entwicklung. Zuerst war's Neugier, daß sie alles kennen lernen, alles mitmachen wollte. Schließlich ging es von Gesellschaft zu Gesellschaft, von Vergnügen zu Vergnügen. Ich gab immer nach, immer. Und zuguterletzt kam das Schlimmste: sie entdeckte ihren Geist. Da war nichts mehr zu wollen.

Gertrud. Vielleicht entdeckt sie jetzt etwas Besseres.

Hildebrand. Ist ja auch meine ganze Hoffnung. Das ist die Krisis; 93 jetzt muß es sich entscheiden. Wenn sie nur schon früher mit Ihnen zusammengetroffen wäre! Wenn sie nur sich hier wohl fühlen wollte, Freundschaft mit Ihnen schließen . . .

Gertrud. Dazu ist wenig Aussicht. Ich habe leider bis jetzt ihr Vertrauen nicht gewinnen können. Und da sie gleich im Anfang meine bescheidenen Vermittlungsversuche so schroff abgelehnt hat . . .

Hildebrand (aufstehend). Ich weiß. Aber lassen Sie nicht locker! Es ist ja keine Kleinigkeit. Helfen Sie mir . . .!

Gertrud (aufstehend). Von Herzen gern. Nur sagen Sie mir, wie? Ich bin für Ihre Frau die Wirtin, weiter nichts. Und was Sie selbst nicht vermögen . . .

Hildebrand. Ja, das ist richtig. Was ich selbst nicht vermag. (Geht erregt umher.) Himmelsakrament, ist das eine verdammte Geschichte! Es ist ja unerhört. Ich bin doch kein Hampelmann! Warum vergelt' ich ihr denn nicht mit gleicher Münze? Warum überlass' ich sie denn nicht ihrem Schicksal? Jeden Tag nehm' ich mir vor: Diesmal bleibst du hübsch zu Hause – und auf einmal bin ich doch wieder da, ich weiß selbst nicht wie. Es zieht mich hierher – ganz unwiderstehlich.

Gertrud. Das ist doch sehr natürlich.

Hildebrand. Nein, das ist nicht natürlich! Das ist komplett verrückt. Sie muß ja glauben, ich könnt' es gar nicht mehr 94 ohne sie aushalten. Und dann müssen Sie auch noch immer so gut gegen mich sein, so vernünftig, so nachsichtsvoll . . . Warum lassen Sie sich überhaupt die Zeit von mir stehlen? Warum jagen Sie mich nicht fort?

Gertrud (lächelnd). Sie kämen ja doch wieder.

Hildebrand. Nein, wenn Sie mich fortjagten, dann käm' ich nicht wieder – absolut nicht! – Könnt' ich Ihnen wenigstens bei irgendwas helfen, mich irgendwie nützlich machen . . .

Gertrud. O, das können Sie, wenn Sie wollen. (Holt vom Schreibtisch einen Stoß Schulhefte und Schreibzeug.) Helfen Sie mir Hefte korrigieren. Das muß heut noch alles erledigt werden.

Hildebrand. Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt! – Nur her damit!

Gertrud. Heut Abend komm' ich doch nicht mehr dazu. Wir haben zu Tisch ein paar kleine Schülerinnen von mir . . .

Hildebrand. Da bedaure ich doppelt, daß ich nicht dabei bin.

Gertrud (hat die Hefte in zwei Rationen auf den Mitteltisch gelegt). Hier. – Und da ist rote Tinte. Wenn es ein grammatischer Fehler ist, machen Sie einen wagrechten Strich; bei einem orthographischen ein Kreuzchen. 95

Hildebrand. Schön. (Sie setzen sich an den Mitteltisch, einander gegenüber und fangen an.) Sonderbar, wie man sich kennen lernt! Wär' meine Frau mir nicht fortgelaufen, dann hätte ich höchst wahrscheinlich nie Ihre Bekanntschaft gemacht. Und nun sind wir schon wie zwei alte Freunde – was?

Gertrud. Freilich.

Hildebrand (korrigierend). »Die Wiese ist grün,« Wiese mit einem »h«. Kreuzchen (Zeigt es ihr.) So richtig?

Gertrud. Ausgezeichnet.

Hildebrand (fortfahrend). »Die Tante ist brav. Das Federmesser ist scharf. Dieser Mann hat eine gute Frau. – –

Siebenter Auftritt.

Vorige. Thekla.

Thekla (erscheint mit Hut und Mantel im Hintergrunde der von Frau Moebius geöffneten Eingangsthür).

Gertrud (zu Hildebrand). Da ist Ihre Frau. (Die Hefte liegen lassend, eilt sie fort; ab rechts hinten.)

Thekla (noch draußen, zu Frau Moebius, mit Blick auf Hildebrand). Also doch! – (Dann, mit plötzlichem Entschluß, tritt sie ein) 96

Achter Auftritt.

Hildebrand. Thekla.

Hildebrand (ist Thekla entgegengegangen). Thekla, würdest du mir heute endlich gestatten . . .

Thekla. Also du verfolgst mich auf Schritt und Tritt. Du willst mir meine Freiheit nicht lassen. Mein ausdrücklicher Wunsch, dir fern zu bleiben, ist nicht für dich vorhanden. Aber, wenn du auch keinen Sinn hast für meine Menschenrechte – verbietet dir denn nicht wenigstens dein Mannesstolz, mir in dieser Weise nachzulaufen? (Legt ab und kommt dann nach vorn.)

Hildebrand (folgt ihr). Thekla, vor allem rege dich nicht überflüssig auf. Das kann dir nur schaden und mir nicht nützen. Sei ganz ruhig; du siehst, ich bin es auch. Was meinen Mannesstolz betrifft, den magst du so hoch oder so niedrig taxieren, wie du willst – und auch über deine Menschenrechte wollen wir uns nicht streiten. Fest steht nur: wir sind miteinander verheiratet, und du bist mir davongegangen . . . (Bewegung Theklas) nun ja, von mir weggezogen; auf das Wort kommt es ja nicht an. Darüber wollt' ich mich einmal mit dir aussprechen, ganz freundschaftlich, in unsrem beiderseitigen Interesse. Hättest du dich bisher nicht so verbarrikadiert, so könntest du längst Ruhe vor mir haben.

Thekla. O, ich weiß ja sehr genau, was du willst! 97

Hildebrand. Das kannst du nicht gut wissen, denn das weiß ich selber noch nicht. Das einzige, was ich wollte, ist diese Unterredung.

Thekla. Gut denn, ich gewähre sie dir. (Setzt sich.)

Hildebrand. Verbindlichen Dank.

Thekla. Denn ich habe nachgerade selbst erkannt: es muß etwas Definitives geschehen.

Hildebrand. Ganz einverstanden. – Da wäre zum Beispiel unter anderen Möglichkeiten die, daß du zu mir zurückkehrst.

Thekla. Nein, das ist ausgeschlossen.

Hildebrand. Ausgeschlossen, schön. Ich habe dir schon durch Fräulein Karsten sagen lassen: zwingen werd' ich dich nicht.

Thekla. Wäre auch noch besser!

Hildebrand. Nicht einmal überreden. Du fühlst dich nun einmal wohl bei dieser Lebensweise . . . 98

Thekla (geärgert). Wer hat dir gesagt, daß ich mich wohl fühle?

Hildebrand. So? Ich dachte, das sei eigentlich der Grund . . . Und außerdem, ich könnt' es dir nicht verargen, wenn es dir hier im Hause gefällt.

Thekla. Es gefällt mir hier aber gar nicht!

Hildebrand. Also hier auch nicht? Warum denn nicht? Das sind doch Leute, mit denen sich leben läßt . . . und ich war ordentlich froh, daß du in so guter Gesellschaft . . .

Thekla (steht auf). Aha, du ergreifst für sie Partei; du hältst ihnen die Stange. Ihr seid wohl bereits ein Herz und eine Seele? Das konnt' ich mir so beiläufig denken! Das ist ganz und gar ein Milieu nach deinem Geschmack. (Geht nach rechts und setzt sich Mitteltisch rechte Seite.)

Hildebrand. Aber Thekla – nun thust du ja grade, als hätte ich dich hierhergebracht. Daran bin ich doch eigentlich unschuldig; das mußt du selber sagen.

Thekla. Zur Sache, wenn ich bitten darf. 99

Hildebrand. Jawohl. Also – das Definitive. Wie stellst du dir das vor?

Thekla. Dein eigenes Benehmen hat mir gezeigt, daß diese Situation nicht fortdauern kann. Sie ist unhaltbar wie jede Halbheit. – Vor allen Dingen mußt du mich in förmlicher Weise freigeben, damit ich im stande bin, zu wählen.

Hildebrand. Zu wählen zwischen mir und . . .?

Thekla. Und – der Freiheit.

Hildebrand. Also kein Dritter im Bunde?

Thekla (aufstehend). Unwürdiger Verdacht!

Hildebrand. Ich habe keinen Verdacht; ich fragte nur. Denn das wäre ja ein ganz andrer Fall. – Dich förmlich freigeben – das heißt doch, ich soll einwilligen in unsre Scheidung?

Thekla. In unsre Scheidung, ganz richtig. (Geht hinten herum zum Sopha.)

Hildebrand. Und du glaubst, daß du dich dann wohl fühlen wirst? 100

Thekla. Komm mir doch nicht immer mit wohl fühlen! Ich habe gar nicht die Absicht, mich wohl zu fühlen. Ich will mir nur die Möglichkeit erringen, ganz ich selbst zu sein. (Setzt sich auf das Sofa.)

Hildebrand. Ganz du selbst. Das heißt, in meine Sprache übersetzt: Du willst dich auf eigene Füße stellen.

Thekla. Das will ich.

Hildebrand. Und wenn es dir nicht gelingt?

Thekla. Das laß nur meine Sorge sein.

Hildebrand. Das wäre allerdings das bequemste. Aber so leicht nehme ich die Pflichten doch nicht, die ich damals auf dem Standesamt übernommen habe. Damals habe ich versprochen, daß ich für dich sorgen werde, und ich hab' es bis jetzt nach Kräften gethan . . .

Thekla. Das muß ich mir auch noch vorhalten lassen!

Hildebrand. Nein, um Gotteswillen! Aber überlege doch nur einmal! Wenn deine Exaltiertheit vorbei ist und du den kalten, nüchternen Thatsachen gegenüberstehst . . . 101

Thekla. Ich habe genug, um zu leben.

Hildebrand. Um so zu leben wie bisher, hast du nicht genug. (Setzt sich auf einen Fauteuil.)

Thekla (wird stutzig). Wieso? Ich dachte doch . . .

Hildebrand. Nehmen wir an, du bekommst von mir im Fall unsrer Scheidung deine Mitgift zurück – selbstverständlich – und außerdem noch eine Rente aus meinem eigenen Kapital, so hoch als irgend möglich, dann hättest du doch kaum die Hälfte von dem, was du bisher gebraucht hast.

Thekla. Kaum die Hälfte? Das verstehe ich nicht. Willst du mir nicht erklären . . .

Hildebrand. Das ist doch sehr einfach. Bisher habe ich auch noch für dich gearbeitet – ausschließlich für dich. Das würde dann eben wegfallen.

Thekla. Ich werde selbst für mich arbeiten.

Hildebrand. Alle Achtung! Sich selbst sein Brot verdienen, ist ja immer etwas sehr löbliches; und besonders bei Frauen, da halte ich es für doppelt anerkennenswert, weil es doppelt 102 schwierig ist. Aber dazu gehört ganz außerordentlich viel Kraft und Fleiß und Ausdauer . . .

Thekla. Die hab' ich.

Hildebrand. Möglich. Ich habe nur bis jetzt davon noch nichts gesehen. Den ganzen Tag auf dem Sofa liegen und lesen . . .

Thekla. Schmähe nicht wieder meinen geistigen Durst!

Hildebrand. Aber der stillt doch nicht deinen leiblichen Hunger. Und auch sonst hast du eine ziemliche Anzahl von Bedürfnissen . . .

Thekla (springt auf und kommt nach vorn). Mein erstes Bedürfnis ist Lust. Lust, Lust . . .!

Hildebrand (folgt ihr). Also Lust. Und die hast du bei mir nicht gehabt? Hab' ich dir denn nicht alles zuliebe gethan? Hab' ich denn nicht jeden deiner Wünsche befriedigt, all deine Launen geduldig ertragen? Alles war nach dir zugeschnitten – unser Haus, unser Leben, unser Verkehr. Du hattest mehr Freiheiten als irgend eine Frau in der Welt – und doch verlangst du jetzt Lust! Dir ist es eben einfach dein ganzes Leben lang zu gut gegangen.

Thekla. Mir zu gut gegangen! Das muß ich mir nochmals anhören – diese krasse Verständnislosigkeit! Was ist denn all der äußerliche Tand, verglichen . . . 103

Hildebrand. Mit dem innerlichen Tand.

Thekla. . . . mit den Qualen meiner Seele. Davon sprichst du nicht; das ist bei dir Nebensache. Hast du denn überhaupt jemals Sinn gehabt für mein tiefes Weh?

Hildebrand. Nein – dafür hab' ich keinen Sinn gehabt – das gesteh' ich. Du warst gesund, schliefst meistens famos; dein Appetit war auch nicht schlecht; du dachtest immer an Gesellschaften und Amüsement – und dabei hast du in einem fort geseufzt und gewimmert.

Thekla. Ich habe eben ein Herz für das allgemeine Elend.

Hildebrand. Was das betrifft – das hab' ich auch – mindestens so wie du. Ich gebe mir sogar Mühe, es zu mildern. Ich bin bei allen Wohlthätigkeitsvereinen vornan. Frag mein Personal; frag meinen untersten Packknecht, ob ich kein Herz für sie habe. Und ich hätte gerne noch mehr, noch viel mehr gethan, wenn du nicht so viel für dich gebraucht hättest.

Thekla. Ein edler Vorwurf! – Und deine ewige Heiterkeit, wie willst du die rechtfertigen?

Hildebrand. Ja, wenn ich das Elend damit aus der Welt schaffen könnte, daß ich den ganzen Tag seufzte, dann würd' ich 104 augenblicklich damit anfangen – augenblicklich. Es ist schon genug, daß die Leute seufzen, die Grund dazu haben. Wenn die paar Menschen, denen es gut geht, auch noch lamentieren wollen, das könnte ja hübsch werden.

Thekla. Wie flach! – Aber was diskutir' ich überhaupt noch mit dir? Ich weiß ja nicht erst seit heute, daß du meinem Gedankenleben nicht zu folgen vermagst. (Geht nach rechts.)

Hildebrand. Das ist also der einzige Grund, weshalb du dich von mir getrennt hast: weil ich ein solcher Schafskopf bin?

Thekla. Weil ich bei dir verkümmert wäre, zu Grunde gegangen. Weil du nur mein Mann warst, aber niemals mein Kamerad.

Hildebrand (ihr näher tretend). Was ist das?

Thekla. Hast du eine Ahnung, was Kameradschaft ist zwischen Mann und Weib? Jene innere Harmonie? Jenes geistige Durchdringen? Jene gegenseitige Förderung? Jenes gemeinsame Streben und Schaffen?

Hildebrand (spielt unwillkürlich mit den Schulheften). O, das kann ich mir sehr gut vorstellen – ausgezeichnet sogar. Aber wenn wir Zwei keine solchen Kameraden geworden sind, liegt da die Schuld nur an mir? 105

Thekla. An wem sonst?

Hildebrand. Hast du dich denn jemals um mein Streben und Schaffen bekümmert?

Thekla. Um deine Teppiche! Das hast du mir ja neulich schon nahegelegt.

Hildebrand. Weil du immer jammertest, du hättest nichts zu thun.

Thekla. Ich meine das in einem höheren Sinn! – Noch einmal denn: wirst du mich freigeben?

Hildebrand. Aber mein liebes Kind, bedenke doch nur . . .

Thekla. Nenne mich nicht dein liebes Kind! Ich bin kein Kind.

Hildebrand. Ja, und lieb bist du eigentlich auch nicht.

Thekla. Laß die Scherze und gieb mir eine endgültige Antwort.

Hildebrand. Ich wiederhole dir, es wäre geradezu ein Verbrechen von mir, jetzt zu etwas meine Zustimmung zu geben, was du vielleicht dein ganzes Leben zu bereuen hättest. 106

Thekla (in steigender Erregung). O – ich verstehe, du willst mich knebeln; du willst mich festhalten mit Gewalt! Ich bin dir eine Gewohnheit, auf die du nicht verzichten magst . . .

Hildebrand. Du täuschst dich vollständig. Als ein besonderes Vergnügen kommt mir unsre Ehe schon lang nicht mehr vor. Und daß es jemals wieder so werden könnte, wie es war – in der ersten Zeit, in der allerersten . . .

Thekla. Otto, ich bitte dich, werde nicht auch noch sentimental!

Hildebrand. Sentimental, wenn ich dich erinnere . . .

Thekla. Ich will nicht erinnert sein.

Hildebrand. Auch gut. Das alles soll vergessen sein, ausgelöscht, nie dagewesen. Aber trotzdem will ich nicht die Frau, mit der ich sieben Jahre lang gelebt habe, so leichten Kaufs ihrem Schicksal überlassen.

Thekla. Redensarten, um deine Tyrannei zu maskieren, deinen fanatischen Despotismus! Aber ich werde dir die Freiheit abtrotzen – Aug' um Auge, Zahn um Zahn.

Hildebrand (sich an den Kopf fassend). Herrgott, das ist ja lauter hirnverbranntes Zeug! 107

Thekla. Glücklicherweise giebt es noch Leute, die meine Reden nicht für hirnverbrannt halten, sondern ihnen mit Dankbarkeit lauschen.

Hildebrand. Und mit diesen verkehrst du?

Thekla. So viel als möglich.

Hildebrand. Himmlischer Vater, das fehlte noch!

Thekla. Ich habe lange genug einsam studiert und gedacht. Ich brauche ein Echo. Ich bedarf auch persönlicher Anregungen, bedarf gleichgestimmter Freunde – und mit solchen werde ich heute dinieren.

Hildebrand. Das willst du thun?

Thekla. Es sind auch Damen dabei.

Hildebrand. Und wenn ich dich bitte . . .

Thekla. Keine Knechtungsversuche mehr! Ich verkehre mit wem ich will. Ich speise mit wem ich mag.

Hildebrand. Also auch eine Rücksicht erkennst du nicht mehr an zwischen zwei Menschen, die denselben Namen tragen? 108

Thekla. Nein.

Hildebrand. Ei zum Kuckuck, dann seh' ich aber nicht ein, warum ich noch länger so viel Rücksicht nehme, warum ich nicht auch in Gesellschaft gleichgestimmter Freunde diniere!

Thekla. Thu das, meinetwegen.

Hildebrand. Das werd' ich; das werd' ich; darauf kannst du dich verlassen. – Thekla, überleg es dir noch einmal gründlich – alles, was ich dir gesagt habe. Ueberschlaf es. Ich komme morgen . . .

Thekla. Schon wieder?

Hildebrand. Zum letztenmal. Ich komme, und hole mir deinen Bescheid. (In leichterem Ton.) Und falls du Geld brauchst, ich habe die Bank angewiesen . . . Adieu. (Er wendet sich zum Gehen.)

Thekla. Adieu. (Es klopft) Herein!

Neunter Auftritt.

Vorige. Wulff.

Wulff (in Gesellschaftstoilette; beim Anblick Hildebrands unangenehm überrascht). Pardon, wenn ich stören sollte . . . 109

Thekla. Sie stören gar nicht, Herr Doktor. Ich erwartete Sie. (Zu Hildebrand.) Du kennst ja Herrn Doktor Wulff, meinen Lehrer?

Hildebrand (sich leicht verbeugend). Ich kenne ihn nur als deinen Tischherrn.

Wulff (gezwungen lächelnd). Eines ergab sich aus dem andern.

Hildebrand. Lehrer – und nun wohl auch einer von den gleichgestimmten Freunden?

Thekla. Allerdings, auch mein Freund.

Hildebrand (stutzt einen Augenblick, dann mit Entschiedenheit). Auf morgen, Thekla, auf morgen! – (Ab.)

Zehnter Auftritt.

Thekla. Wulff. (Im Verlaufe dieser Scene beginnt es allmählich zu dämmern.)

Wulff (sieht Hildebrand ungewiß nach, richtet dann einen fragenden Blick auf Thekla). Auf morgen? – –

Thekla (setzt sich Mitteltisch rechte Seite). O mein teuerster Freund, was hab' ich erlebt! Nicht umsonst hab' ich diese Begegnung gefürchtet. 110

Wulff (setzt sich Mitteltisch, Rückseite). Sie erschrecken mich. Was will er denn morgen? Er fordert wohl gar, daß Sie sich von ihm scheiden lassen?

Thekla. O ganz im Gegenteil! Er hält mich gewaltsam fest; er umklammert mich; er fiebert nach mir . . .

Wulff (aufatmend). Ah so! – Ein naheliegender seelischer Vorgang. Auf eine solche Frau verzichtet man nicht so leicht.

Thekla. Und ich soll ächzen unter diesem Joch bis an mein Lebensende! Ich werde darunter zusammenbrechen, ich . . . (Sie beißt auf ihr zusammengeballtes Taschentuch.)

Wulff. Fast erkenn' ich meine philosophische Freundin nicht wieder. Sonst standen Sie immer hoch über Ihrem Schmerz.

Thekla. Könnten Sie mich nur lehren, ihn zu bewältigen.

Wulff. Soviel ich in raschen Linien mir kombiniere, haben Sie selbst die Scheidung verlangt. (Zustimmung Theklas.) Das war – wenn Sie mir den Ausdruck verzeihen – eine Zweckwidrigkeit, mindestens ein politischer Fehler.

Thekla. Wieso? 111

Wulff. Sie haben damit indirekt zugestanden, daß Sie sich überhaupt noch abhängig von ihm fühlen.

Thekla. Bin ich es denn nicht auch?

Wulff. Als Sie den heldenmutigen Schritt begingen, ihn zu verlassen, da sprach Ihr Gefühl richtiger. Damals erkannten Sie in der Trennung die vollständige Freiheit, und Sie waren entschlossen, sie unerschrocken auszunützen.

Thekla. Aber das Martyrium dieser Wochen, dieser qualvollen Wochen hat mir ja gezeigt, was das für eine Freiheit ist. Ich bin schutzlos gegen seine beständigen Ueberfälle.

Wulff. Das wird er mit der Zeit schon müde werden.

Thekla. Und was ist das überhaupt für ein Leben? Ich kampiere hier wie ein Student; ich esse im Restaurant; sogar meinen Umgang mit Ihnen muß ich auf das Aeußerste beschränken.

Wulff (seufzend). Wer leidet darunter mehr als ich!

Thekla . . . Ich finde noch immer keine passende Wohnung. Das ist alles so spießig, so lieblos, so dutzendmäßig . . . 112

Wulff. Für Dutzendmenschen. Ja, Sie brauchen intime Räume, eine persönliche Einrichtung, individuelle Möbel – so wie in meinem stillen Tuskulum.

Thekla. Sie sollen ja fürstlich eingerichtet sein.

Wulff. Man schmückt seine Werkstatt, so gut man kann. Darauf hielt schon Plato. – Wann werden Sie endlich dieses beschauliche Heim durch Ihre Gegenwart verschönern?

Thekla. Aber das geht doch nicht! – Ich bei Ihnen?

Wulff. Sehen Sie? Was Ihnen jetzt noch fehlt, ist weniger die äußere Freiheit als die innere. Sie scheren sich noch um die Zuckungen einer absterbenden Moral.

Thekla. O nein. Aber gerade weil ich Ihr Kamerad sein und bleiben will . . .

Wulff. Und wenn Sie nun auch geschieden würden, was wäre damit gewonnen? Würde dadurch nur eine einzige jener Mißhelligkeiten beseitigt?

Thekla. Dann – ja dann . . .! Aber wozu sprechen wir von einer Unmöglichkeit! (Ist aufgestanden und nach links gegangen.) 113

Wulff. Sie sind also fest überzeugt, daß Ihr Mann sich unter keiner Bedingung von Ihnen scheiden läßt?

Thekla. Unter keiner Bedingung. (Setzt sich vorn links )

Wulff. Dessen sind Sie ganz gewiß?

Thekla. Leider ganz gewiß.

Wulff (in durchaus verändertem Ton, emphatisch). Thekla! –

Thekla (erstaunt und erschrocken). Herr Doktor . . . ?

Wulff. Thekla – ich kann diese kalte Sprache nicht länger fortsetzen! Sie wissen es ja selbst, was Sie mir geworden sind – mein zweites Ich, meine weibliche Ergänzung. Sie sind das Weib, das mir zeitlebens gefehlt hat; ja noch mehr, Sie sind das Weib als solches! Worüber wir sonst, worüber wir eben noch gesprochen, ich weiß es nicht mehr. Der dämonische Zauber Ihres Wesens hat all meine Gedanken dicht umsponnen. Ich bin und lebe nur noch in Ihnen. Geben Sie mich mir selbst zurück! (Hat sich zu ihr gesetzt.)

Thekla. O mein Freund, nun ist es mit unsrer Kameradschaft zu Ende. – 114

Wulff. Ist die höchste Form der Liebe nicht Kameradschaft? Ist die höchste Form der Kameradschaft nicht Liebe?

Thekla. Aber könnte nicht der Geist allein . . .?

Wulff. Liebe ist Durchgeistigung des Leibes. Unsre Geister lieben sich, begehren sich, sehnen sich nacheinander . . .

Thekla. Was Sie mir da sagen, ist süß und schrecklich zugleich. Ach, warum haben wir uns nicht sieben Jahre früher kennen gelernt!

Wulff. Wir mußten erst Beide irren und leiden, um füreinander reif zu werden.

Thekla. Und doch – ist es nicht namenlos entsetzlich, zu denken. daß wir dazu bestimmt gewesen, einen wahrhaft idealen Bund zu gründen, einen Seelenbund, und daß nur ein jammervolles Verhängnis . . . O, ich fühle es, an meiner Seite wären Sie kein prinzipieller Gegner der Ehe geworden.

Wulff (tonlos). Ja, das ist leider nicht mehr zu ändern.

Thekla. Stellen Sie sich nur vor: Ich in Ihrem traulichen Heim. Ihre Mitarbeiterin, vor aller Welt Ihre ebenbürtige Genossin . . . 115

Wulff. Aber das ist ja unmöglich; so sagten Sie selbst!

Thekla. Unmöglich. Aber verlockend, bezaubernd – nicht wahr?

Wulff (etwas ungeduldig). Gewiß, gewiß. Nur wollen wir jetzt an das Mögliche denken.

Thekla. Was giebt es noch, da ich nicht frei bin – was sonst, als gemeinsame Selbstvernichtung?

Wulff. Und unsre Aufgaben? Unsre Entdeckungen? (Steht auf.) Nein, Menschen wie wir haben die Pflicht, zu leben. Es ist eine schwere, eine erdrückende Pflicht; aber – wir haben sie.

Thekla. Und dennoch uns nicht dauernd angehören dürfen!

Wulff. Dauernd? (Setzt sich nieder.) Was ist dauernd in dieser eitelsten aller Welten? Ist nicht selbst der wüste Traum, den wir Leben nennen, nur eine lächerliche kurze Unterbrechung des Nichtseins? Nein, Thekla, eine Minute des Rausches ist besser, als eine gähnende Ewigkeit.

Thekla. Aber, wenn diese Minute vorüber ist . . . 116

Wulff. Dann ein neuer Rausch – eine Kette ohne Ende. Was der mühseligen Forschung immerdar verschlossen ist, es würde offen liegen vor unsern trunkenen Blicken . . .

Thekla. Und die Ernüchterung, die unausbleiblich jedem Rausche folgt? Haben Sie das nicht in Ihren Schriften gepredigt?

Wulff. Bitte – nur dem Sinnesrausch. Aber wenn die Seele mitberauscht ist . . . Thekla, Sie haben nur noch nicht den vollen Mut, auf die Höhe Ihrer eigenen Natur zu steigen. Schrecken Sie vor den letzten Schlüssen Ihrer scharfen Erkenntnis nicht zurück! Nur noch ein Schritt, und Sie sind ganz, was Sie sein wollen. Wenn Sie mir heute folgen werden in unsre kleine Gesellschaft moderner Geister, da finden Sie niemand, der auf halbem Wege stehen geblieben ist. Folgen Sie mir dann noch weiter, wohin ich Sie führe! Folgen Sie mir von dort getrost in meine verschwiegene Werkstatt . . .

Thekla. Heute Abend?

Wulff. Ja, heute, heute! – Thekla, wollen Sie?

Thekla (sanft). Nein, teurer, lieber Freund, das will ich nicht.

Wulff. Nicht?! Sie, die kühne Verfechterin des Ungewöhnlichen . . . 117

Thekla. Aber gerade das, was Sie verlangen, kommt mir nicht genügend ungewöhnlich vor. – Verstehen Sie mich nicht falsch! Halten Sie mich beileibe nicht für eine Philisterin! Ich kann Ihnen ja so vollständig nachempfinden. – Nur in einem täuschen Sie sich, meiner Ueberzeugung nach: Ich glaube nicht, daß dieser Weg der richtige ist, um unsre Kameradschaft zu festigen . . . ..

Wulff. Ich sehe keinen andern.

Thekla (strahlend). Aber ich! (Aufspringend.) Nun hab' ich ihn gefunden. Wir waren beide blind – und er liegt doch so nahe! – »Die schmerzliche Wollust des Entsagens« – war es nicht so, wie Sie ein Kapitel überschrieben?

Wulff (ist mit aufgestanden, ärgerlich). Aber das paßt doch gar nicht hierher.

Thekla. Es paßt – ich versichere Ihnen. Es paßt wunderbar! Jahre können vergehen im Kampfe um meine Freiheit . . .

Wulff. Aber dieser Kampf ist doch vergeblich!

Thekla. Ich werde ihn jedenfalls fortsetzen. Und innerhalb dieser ganzen Zeit werden wir einander immer neu bleiben. Keine Ernüchterung; keine Ermattung! Eine maßlose Seligkeit 118 unerreichbar vor Augen, werden wir eine Sensation durchkosten, wie sie wenigen Menschen beschieden gewesen. Wir werden beisammen sein, so oft wir können, und dennoch nur Kameraden bleiben. Ist das nicht groß, nicht erhaben? Ist das nicht tausend Schmerzen wert? Und wenn ich endlich doch frei werden sollte . . .

Wulff (stößt einen ungeduldigen Seufzer aus). Ach! – –

Elfter Auftritt.

Vorige. Frau Moebius.

Frau Moebius (von hinten links, geht zum Büffet und entnimmt Tischzeug). Bitte um Vergebung; ich muß jetzt den Tisch decken. (Sie räumt die Hefte beiseite und beginnt damit, dem Publikum den Rücken kehrend. Zu gleicher Zeit hört man hinten links Kinderlachen.)

Thekla (zu Wulff, im Vordergrund). Da haben wir wohl schon die Zeit verpaßt. Ich werde mich noch umkleiden müssen.

Wulff. Warum denn? Die andern Damen werden auch nicht in großer Toilette sein. Wir sind ja ganz unter uns, in einem abgesonderten Stübchen. Und wenn wir nicht sehr verspätet eintreffen wollen . . .

Thekla. Nun gut denn, auf Ihre Verantwortung. 119

Wulff (merklich abgekühlt, hilft ihr mit einer ärgerlichen Bewegung den Mantel umnehmen). Also – dann kommen Sie.

Thekla. Sind Sie verstimmt, mein Freund? Zürnen Sie mir?

Wulff. Es ist das erste Mal, daß ich einen fundamentalen Gegensatz unsrer Anschauungen entdecke. Aber ich hoffe zuversichtlich, ich hoffe es von Ihrem gesunden Naturell, Ihrer klaren Einsicht, daß Sie sich doch noch zu meinem Standpunkt bekehren.

Thekla. Herrlich! Herrlich! In einem solchen Kontrast liegt noch mehr Anziehungskraft als in der ewigen Uebereinstimmung. Auch ich werde versuchen, Sie zu bekehren . . .

Wulff (im Abgehen, dozierend). Ich finde, daß die allererste Bedingung . . . (Beide ab.)

Zwölfter Auftritt.

Frau Moebius. (Gleich darauf) Gertrud. Anna. Therese.

Frau Moebius (geht zur Thür rechts hinten, öffnet und ruft). Nun sind sie weggegangen. (Sie zündet den Kronleuchter an, zieht die Rouleaux an den Fenstern zu und fährt fort, den Tisch zu decken.)

Gertrud (von rechts hinten, eilt zur Eingangsthür und führt Anna und Therese herein, zwei ärmlich gekleidete Schulmädchen von ungefähr acht Jahren). So, Kinder, jetzt dürft ihr hier hereinkommen. (Die beiden 120 schauen sich neugierig um. Sie nimmt vom Schreibtisch ein großes Bilderbuch.) Da seht euch einstweilen die schönen Bilder an. (Sie legt das Buch aufgeschlagen auf den Diwan; die Kinder hocken sich davor und betrachten es.) Habt ihr eure Aufgaben für morgen schon gemacht?

Anna (schüchtern). Ja.

Gertrud. Und du, Therese? Noch nicht? Warum nicht?

Therese. Ich mußte für Mutter die Wäsche abliefern.

Gertrud. Ist Mutter noch immer krank? Na, dann wollen wir's für morgen gut sein lassen. – Habt ihr Hunger? (Beide nicken eifrig.) Das ist die Hauptsache. (Zu Frau Moebius.) Liese, du willst ja für sechs decken? Frau Hildebrand ißt doch nicht mit. (Hilft ihr beim Decken.)

Frau Moebius. Aber der Herr Hildebrand.

Gertrud. Ach nein, wirklich?

Frau Moebius. Im Fortgehn hat er mir gesagt, daß er die Einladung annimmt, und pünktlich um sechs wird er hier sein.

Gertrud (sehr erfreut). Das ist aber nett von ihm. Das ist reizend! Und wie schön, daß wir gerade heute den Hammelbraten haben. – Warum machst du denn so ein ernstes Gesicht, Liese? 121

Frau Moebius (elegisch). Ach, seit ich weiß, was das Leben wert ist . . .

Gertrud. So, weißt du das jetzt?

Frau Moebius. Keinen Pappenstiel ist es wert.

Gertrud. Das steht in deinem Buch?

Frau Moebius. Und die Frau Hildebrand sagt es auch immer. – Seit die Frau hier im Hause ist . . .

Gertrud. Was ist denn da?

Frau Moebius. Seitdem hab' ich die Melancholie. –

Gertrud. Schrecklich! Da muß ich wirklich versuchen, dich aufzuheitern. (Die Kinder lachen.) Was habt ihr denn, Kinder?

Anna, Therese (deuten auf das Bilderbuch). Der Tanzbär!

Gertrud (geht zu ihnen). Ja wohl, der ist lustig. – Schau mal, Liese, wenn so ein armer Tanzbär lustig ist . . . 122

Frau Moebius (mit Decken fertig, schüttelt den Kopf und geht ab).

Gertrud (zeigt auf eine andre Stelle des Bildes). Und wie nennt man das hier? Wer weiß es?

Therese (streckt, wie in der Schule, den Finger in die Höhe).

Gertrud. Hier brauchst du den Finger nicht hoch zu heben. Nun?

Therese. Ein Karussell.

Gertrud. Ganz richtig.

Dreizehnter Auftritt.

Vorige. Hildebrand.

Hildebrand (durch die Eingangsthür; etwas kleinlaut). Guten Tag.

Gertrud (geht ihm entgegen). Schön, daß Sie doch gekommen sind.

Hildebrand. Ich hab' mir's überlegt. Einmal muß ich doch auch gemütlich mit Ihnen zusammen sein, nicht immer so wie im Wartesaal.

Gertrud. Sie machen uns eine große Freude. 123

Hildebrand. Und dann – als sparsamer Hausvater . . . Ich esse die Portion, die für meine Frau bestimmt war.

Gertrud (heiter). Ja, darauf haben Sie einen rechtlichen Anspruch. – Das hier ist die Anna, und das die Therese – zwei brave Mädchen. – Gebt dem Onkel eine Hand. (Die Kinder folgen.)

Hildebrand (kneift sie in die Wangen). Anna und Therese, habt ihr denn auch das gute Fräulein lieb?

Anna. So lieb wie Mutter. (Therese stimmt zu.)

Hildebrand. Das ist recht. (Er setzt sich links neben die Kinder auf den Diwan.)

Gertrud. Haben Sie etwas erreicht vorhin? (Setzt sich rechts neben die Kinder auf den Diwan).

Hildebrand. Nicht das mindeste. – Kennen Sie den Doktor Wulff?

Gertrud. Sehr oberflächlich.

Hildebrand. Wie finden Sie ihn? – (Gertrud schweigt.) Ganz meine Ansicht.

Gertrud. Was ist er denn eigentlich? 124

Hildebrand. Der Erbe eines sehr großen Vermögens. Außerdem läßt er sich einen Philosophen schimpfen.

Gertrud. Ich hätt' ihn für einen Nichtsthuer gehalten.

Hildebrand. Darin besteht ja eben seine Philosophie.

Anna (deutet auf eine andre Seite des Bilderbuchs). Was ist das da, Fräulein?

Gertrud (sieht hinein). Das ist ein Brautpaar.

Hildebrand (ebenso). Seht ihr – die Braut im weißen Schleier – und der Bräutigam mit schönen roten Backen.

Gertrud. Herrgott, wenn ich Sie wäre, Herr Hildebrand . . .

Hildebrand. Was thäten Sie dann?

Gertrud. Ich würde mir mein Lebensglück nicht aus den Händen reißen lassen. (Zu den Kindern, welche weiter geblättert haben und lachen.) Hübsch – nicht wahr? – (Zu Hildebrand.) Ich würde dafür kämpfen; ich würde mich wehren . . . 125

Hildebrand. Dazu bin ich auch jetzt entschlossen. Ich wehre mich. Zahn um Zahn, hat sie zu mir gesagt. Ich sage: Mittagessen gegen Mittagessen!

Gertrud. Noch ganz anders!

Hildebrand. Noch ganz anders.

Gertrud (aufstehend, zu den ängstlich gewordenen Kindern). Der Onkel thut euch nichts.

Hildebrand (gleichfalls aufstehend, noch in seinem aufgeregten Ton). Nein, der Onkel thut euch nichts.

Gertrud. Setzt euch jetzt an den Tisch! (Sie hilft ihnen die beiden Plätze mit dem Rücken gegen das Publikum einnehmen, legt der Kleineren ein Kissen unter, bindet dann Therese die Serviette um.)

Hildebrand (bindet Anna die Serviette um).

Gertrud (lachend). Sie machen sich ja immer mehr unentbehrlich.

Hildebrand. Sie würden mir ja auch beistehen, wenn Sie könnten.

Gertrud. Das würd' ich. Mein Wort darauf.

Frau Moebius (kommt mit der Suppenschüssel, stellt sie auf den Tisch, geht wieder ab). 126

Gertrud (eilt zur Thür rechts hinten, ruft hinein). Vater, die Suppe ist da. (Dann zu Babettens Thür.) Fräulein Seiler, die Suppe!

Vierzehnter Auftritt.

Vorige. Karsten (und) Babette (kommen gleichzeitig heraus).

Hildebrand (verbeugt sich vor Babette).

Gertrud. Sieh nur mal, Vater, die Ueberraschung.

Karsten. Potztausend, unser Freund Hildebrand! Sie sind ein famoser Kerl. Gibt's auch was Ordentliches, Trude?

Gertrud (flüstert ihm ins Ohr). Hammelbraten.

Karsten (ebenfalls flüsternd). Mein Leibgericht.

Hildebrand. Nur keine Umstände!

Karsten. Kommen Sie her, Teuerster. (Faßt ihn unter den Arm und führt ihn an den Tisch; setzt sich rechte Schmalseite.)

Gertrud (nimmt Babette, welche die Kinder gestreichelt hat, ein wenig beiseite). Sie haben hoffentlich gegen unsern Gast nichts einzuwenden. 127

Babette. Im Gegenteil, Sie kennen ja meine Schwärmerei für alles Romantische. (Setzt sich neben Karsten, dem Publikum zugewendet.)

Gertrud (zu Hildebrand). Wollen Sie hier Platz nehmen? (Sie deutet auf den gleichfalls dem Publikum zugewendeten Sitz neben Babette, setzt sich dann neben ihn, linke Schmalseite, teilt Suppe aus, jetzt und später besonders für die Kinder sorgend.) Wohl bekomm's.

(Pause, während der alle sechs eifrig Suppe essen.)

Karsten. Ich rechne Ihnen das hoch an, mein lieber Hildebrand – sehr hoch.

Hildebrand. Was denn?

Karsten. Daß Sie Ihre anfänglichen Bedenken überwunden haben, nur um nachher in aller Ruhe meine Entwürfe zu sehen. Das nenn' ich wirkliches Interesse.

Hildebrand. Ja wohl, ja freilich. (Zu den Kindern.) Schmeckt's? (Sie nicken.) Haha, das glaub' ich. Und außerdem – Ihre Tochter und ich, wir sind jetzt so ein paar Verschworene, und zu einer richtigen Verschwörung gehört ein Gastmahl.

Babette. Auf meine Verschwiegenheit dürfen Sie rechnen.

Hildebrand. Wie meinen Sie das, mein Fräulein? 128

Babette. Ihre Gattin soll doch wohl nicht erfahren . . .

Hildebrand. Daß ich hier esse? Warum denn nicht? Ich weiß ja auch, wo sie ißt. Meine Frau und ich – wir haben gar keine Geheimnisse voreinander.

Karsten. Können Sie kegeln, Hildebrand? Sie müssen unbedingt in unsern Kegelklub eintreten.

Hildebrand. Ich bin wohl noch nicht in genug Vereinen?

Karsten. Das thut nichts. Wer mein Freund ist, muß mit mir kegeln.

Gertrud (hat geklingelt).

Frau Moebius (bringt einen bereits tranchierten Braten und nimmt Suppenschüssel und Suppenteller mit hinaus).

Gertrud (legt den Kindern vor, läßt dann die Schüssel herumgehn).

Karsten (schenkt Wein ein). Ja, ganz im Ernste, Hildebrand, so ein Umgang hat mir gefehlt.

Hildebrand. Mir auch. 129

Karsten. Ich sitze hier jahrein, jahraus nur unter Frauen. Nichts für ungut, Fräulein Seiler . . . Ein Mann muß doch auch Männer bei sich sehen . . .

Hildebrand. Nun, darüber konnt' ich nicht klagen. Männer sah ich in meinem Hause genug, aber keine Freunde.

Karsten (das Glas erhebend). Also – auf gute Freundschaft, Hildebrand!

Hildebrand. Auf gute Freundschaft! (Allgemeines Anstoßen.)

Gertrud. Und daß es Ihnen bei uns gefällt. – Nicht zu rasch essen, Kinder.

Hildebrand. Aber ganz kolossal gefällt es mir!

Karsten. Wir sind keine Knicker und Knauser, Hildebrändchen. Wir lassen uns nicht lumpen. Wir verstehen zu leben. Nicht wahr, Fräulein Seiler?

Babette. O, ganz unstreitig.

Karsten. Ja, ich bin überhaupt ein Genußmensch, ein schändlicher Epikureer. Und wenn ich erst mal durchgedrungen bin . . . 130

Hildebrand (zwischen dem Essen). Deliciös, dieser Braten, deliciös. Mein Kompliment, Fräulein Hausfrau.

Gertrud. Sie haben's gerade gut getroffen.

Hildebrand. Na, wenn meine Frau eine Ahnung hätte, um was sie sich da heute gebracht hat . . . Da wäre ich ganz anders! Wenn ich bei Ihnen in Pension wäre . . .

Karsten. Können Sie haben, wenn Sie wollen. Sie sind zwar keine Dame; aber bei Ihnen machen wir 'ne Ausnahme. Was meinst du, Trude?

Gertrud (lächelnd). Es sind da nur noch einige kleine Schwierigkeiten . . .

Hildebrand. Sehr richtig. Aber wissen Sie was? Wenn meine Frau weiter von mir getrennt bleiben will, dann schlag' ich ihr einfach vor, mit mir zu tauschen. Sie zieht wieder in unsre Wohnung; die ist ja so wie so mehr nach ihrem Geschmack eingerichtet als nach meinem, und ich . . .

Gertrud (hat geklingelt). Wir wollen vorderhand annehmen, daß Sie beide wieder drin wohnen werden.

Hildebrand. Vorderhand, liebes Fräulein, wollen wir uns freuen, daß wir so fröhlich an diesem Tische sitzen. 131

Frau Moebius (hat während des Letzten eine Torte gebracht und sie mit einem leisen Seufzer auf den Tisch gestellt. Gertrud raunt ihr etwas zu. Dann nimmt sie den Braten mit hinaus).

Karsten. Jawohl. So sitzen wir alle am Tisch des Lebens. Manchem schmeckt's, und manchem schmeckt's nicht – und andre wieder, denen schmeckt's zu gut, und sie verderben sich den Magen.

Hildebrand (auf die Kinder deutend, denen Gertrud vorgelegt hat). Da sitzen welche, denen es schmeckt.

Babette. Die lieben Kleinen!

Hildebrand (zu den Kindern). Torte, das ist euer Leibgericht, wie?

Gertrud. Die haben jetzt keine Zeit, Ihnen zu antworten.

Hildebrand. Wissen Sie, was meine schönste Kindheitserinnerung ist? Wie meine Mutter mich zum erstenmal in eine Konditorei mitnahm.

Gertrud. Ich habe meist nur davorgestanden und sehnsüchtig hineingeschaut; aber das war auch ein Genuß.

Babette. Für mich war das Schönste, wenn ich . . . wenn ich 132 mit Bleisoldaten spielen durfte. Und Sie, Herr Karsten, was war für Sie das Schönste?

Karsten. Ich habe keine blasse Ahnung mehr.

Hildebrand. Schauderhafte Einrichtung, daß wir nicht ewig Kinder bleiben können.

Babette. Oder es wieder werden.

Karsten. Nein, da streik' ich; da mach' ich nicht mit. Wieder so herumlaufen und noch nicht wissen, was man in der Welt zu schaffen hat – danke verbindlichst! Vorwärts kommen, nicht zurückschauen – das ist meine Devise.

Hildebrand. Aber wenn Sie noch einmal jung werden könnten . . .

Karsten. Brauch' ich nicht. Denn ich sage: Wer überhaupt alt wird, der ist nie jung gewesen.

Babette. Herr Karsten steht in den allerbesten Jahren.

Karsten. Freilich, das junge Volk von heutzutage, das ist schon fünfzig Jahre alt, wenn es auf die Welt kommt. Lauter 133 jugendliche Greise. Aber es gibt auch noch alte Jünglinge, Hildebrand!

Hildebrand. Gottlob!

Karsten. Und wenn die Jugend fortwährend über den Verfall lamentiert, dann muß das Alter für den Aufbau sorgen. Da reden und schreiben sie immer von dem alten Jahrhundert. Aber zum Henker, wenn das Jahrhundert alt ist, müssen wir's deshalb auch sein? Ich bin der Mann dazu, die ewige Jugend zu proklamieren; ich will ringsumher festliche Hymnen bauen; ich will Schillers Lied an die Freude in Steine übersetzen. Sehen Sie, wenn Sie's doch einmal wissen wollen: das ist der neue Stil.

Hildebrand. Ja, wenn das der neue Stil ist . . .

Karsten. Aber es muß erst eine andre Generation kommen, eine Generation, die wieder die Kraft zur Freude hat. Trude, die mußt du mir erst erziehen.

Gertrud. O, wenn ich das könnte . . .!

Hildebrand. Sie können es, Fräulein Karsten, wenn irgend jemand es kann. Denn die Kraft zur Freude – die haben Sie selbst.

Gertrud. Die hat jeder Mensch, solange sie nicht zerstört wird. Und in dieser Jugend hier, in diesen armen Kindern, da braucht 134 man sie nicht erst zu pflanzen. Die haben keine Märchenbücher; aber sie erfinden sich die Märchen selbst, und das ganze Leben ist für sie eine große Konditorei, in die sie gern einmal mitgenommen sein möchten. Wenn ich ihnen das erhalten könnte – nur das, dann könnte ihnen alle Not nichts anhaben.

Karsten. Ja, dann wäre der neue Stil begründet. – Glauben Sie dran, Hildebrand?

Hildebrand. Ob ich daran glaube!

Karsten. Sie sind ein wundervoller Mensch.

Hildebrand. Und eins trinken wollen wir darauf.

Karsten. Nein, warten Sie – nicht damit. Trude, wir hatten doch noch fast eine halbe Flasche Tokaier. Wo ist denn der?

Gertrud (hat sich erhoben). Hier im Büffet.

Karsten. Her damit. – Das ist der rechte Saft dafür. – (Schenkt aus der Flasche, die Gertrud ihm gereicht hat, ein.)

Hildebrand. Also – der neue Stil – er soll leben! 135

Babette. Die ewige Jugend!

Gertrud. Die Freude!

Karsten. Die Zukunft!

Babette. Was wir uns wünschen!

(Gläserklingen.)

Gertrud (hebt die Tafel auf). Gesegnete Mahlzeit.

Babette, Karsten, Hildebrand. Mahlzeit.

Karsten (umarmt Hildebrand). So, alter Freund, jetzt sind wir in der rechten Stimmung. Jetzt hol' ich Ihnen die Entwürfe. (Ab rechts hinten.)

Gertrud (hilft den Kindern aufstehen).

Hildebrand. Nun kommt einmal geschwind her, ihr beiden – Anna und Therese. Nun wollen wir uns einmal näher treten. Habt ihr schon gelernt, wie Prinzessinnen reiten? Nicht? Dann wird euer Onkel es euch lehren. (Er setzt sie einander gegenüber auf seine Kniee und läßt sie reiten, während Gertrud und Babette sie lachend unter den Armen festhalten. Er singt dazu.)

Hopp, hopp, hopp,
Immer im Galopp,
Ueber Stock und über Stein,
Aber brich dir nur kein Bein . . . 136

Fünfzehnter Auftritt.

Vorige. Thekla.

Thekla (tritt während des Gesanges ein, zunächst unbemerkt, und betrachtet sprachlos die Gruppe).

Babette (bemerkt sie zuerst). Da ist ja Ihre Frau . . .

Gertrud (fast gleichzeitig). Jetzt schon!

Hildebrand (seinen Gesang abbrechend, mit unwillkürlichem Schrecken). Ach herrje! (Läßt die Kinder von seinen Knieen gleiten und steht auf. Alle haben sich gleichzeitig umgedreht und blicken verdutzt nach hinten.) Guten Abend, Thekla.

Thekla. Fräulein Karsten, da ich bis jetzt noch bei Ihnen wohne, so gestatten Sie mir wohl die Frage . . .

Gertrud. Mein Vater hat Herrn Hildebrand zu Tisch eingeladen, gnädige Frau.

Hildebrand. Ja, und ich habe die Einladung angenommen.

Thekla. Das ist unerhört!

Gertrud (hat die Kinder bei der Hand gefaßt). Entschuldigen Sie . . . Kommt, Kinder; es ist Zeit für euch. (Sie geht mit ihnen ab links hinten.) 137

Hildebrand. Es thut mir aufrichtig leid, Thekla. Ich wollte dir wirklich heute nicht mehr begegnen – das darfst du mir glauben. Ich kam nur hierher, weil ich wußte – von dir selber, daß du nicht hier sein wirst, und niemand von uns hat geahnt, daß du so frühzeitig wiederkommst. Wenn man zu einem freundschaftlichen Diner geht . . . und es ist ja noch kaum eine Stunde her . . . Aber rege dich nur weiter nicht auf. Ich weiß, was ich dir schuldig bin; ich ziehe mich augenblicklich zurück. (Verabschiedet sich von Babette.) Mein Fräulein.

Karsten (mit einer riesigen Mappe von rechts hinten). So, mein geliebter Hildebrand . . .

Thekla (auf ihn zugehend). Herr Karsten . . .

Karsten (ebenfalls erschreckend). Potztausend!

Thekla. Herr Karsten, ich muß mich aufs äußerste beschweren . . .

Karsten (durchaus freundlich). Bitte, thun Sie das bei meiner Tochter; das ist ihre Sache.

Thekla. Sie selbst haben doch meinen Mann aufgefordert . . .

Karsten. Gewiß. Aber nicht, weil er Ihr Mann ist; mein Wort darauf. Daran hab' ich gar nicht gedacht. Nur weil er 138 mein Freund ist, mein lieber, guter Freund. – Kommen Sie her, Hildebrand; kommen Sie mit in mein Zimmer. Da werd' ich meine Freunde doch noch empfangen dürfen.

Hildebrand. Sei ganz unbesorgt, Thekla; ich gehe sofort. (Zu Karsten, der eine bedauernde Geste macht.) Wir wollen nur nach besprechen, wann und wo ich Ihre Entwürfe in Ruhe betrachten kann.

Karsten. Jetzt also nicht? (Hat ihn unter den Arm gefaßt; im Abgehen, halblaut.) Jammerschade. Wir waren so schön in Stimmung . . . (Beide ab rechts hinten.)

Sechzehnter Auftritt.

Thekla. Babette.

Thekla (kommt nach vorn links, läßt sich auf einen Stuhl fallen). Das übersteigt alles, alles! O, warum ist es uns denn nur auferlegt, dieses nichtswürdige, erbarmungslose Dasein! – Er läßt sich hier einladen; er sitzt hier und amüsiert sich, während ich . . . ich . . . (Die Stimme versagt ihr.)

Babette. Was ist Ihnen denn geschehen? War es denn nicht nett in Ihrer Gesellschaft?

Thekla. Nett?! Ich bin mitten drin vom Tisch aufgestanden und fortgerannt. 139

Babette. Ach nein!

Thekla. O, Fräulein Seiler, diese Damen, diese Damen, o . . . o . . .

Babette. Was für Damen?

Thekla. Fragen Sie mich nicht!

Babette. Das muß doch sehr romantisch gewesen sein.

Thekla. Fragen Sie mich nicht!

Babette. Aber wie konnte dann Herr Doktor Wulff Sie veranlassen . . .

Thekla. Er war selbst schmerzlich überrascht. Freilich, er hätte sich vorher vergewissern sollen . . . Und nun komme ich verstimmt und verdüstert in meine Wohnung und muß noch erleben, daß mein Mann sich hier vollständig installiert hat, daß dieser Herr Karsten die empörende Rücksichtslosigkeit begeht . . .

Babette (seufzend). Ich existiere ja auch nicht mehr für Herrn Karsten, seit er seinen Hildebrand hat. 140

Thekla (heftig aufstehend). Aber ich werde dem ein Ende machen – noch heute – auf der Stelle! (Eilt zur Thür rechts hinten, prallt auf Hildebrand.)

Siebenzehnter Auftritt.

Vorige. Hildebrand. (Später) Gertrud.

Hildebrand (kommt zurück). Ich bitte tausendmal um Verzeihung, Thekla. Aber das Zimmer hat leider keinen Ausgang nach dem Korridor. (Geht nach der Thür, besinnt sich, kehrt um.) Nur noch zwei Worte . . . Sie gestatten, Fräulein Seiler . . .

Babette. O bitte, bitte! (Ab in ihr Zimmer.)

Hildebrand (kommt mit Thekla nach vorn). Ich möchte dich nur noch freundlichst ersuchen: mach deinen Wirten keine weiteren Vorwürfe.

Thekla. Das ist meine Angelegenheit.

Hildebrand. Ich versichere dir, sie haben sich absolut nichts Schlimmes dabei gedacht.

Thekla. So? Und was hast du dir denn dabei gedacht?

Hildebrand. Genau dasselbe wie du, als du mir sagtest, daß es für dich keine Rücksicht mehr gibt, und als du zu deinen gleichgestimmten Freunden gingst. 141

Thekla. Ah, du willst wohl einen kleinen Rachekrieg eröffnen?

Hildebrand. Durchaus nicht. Aber was dir recht ist, das ist mir doch billig. Du hast eine Individualität – gut; aber ich hab' auch eine. Du bist mir vorangegangen mit dem guten Beispiel der Freiheit; ich folge dir nach. Du hast Anregungen nötig; ich ebenfalls. Jeder nach seinem Geschmack. Und ich hoffe und wünsche aufrichtig, daß du dich grade so gut unterhalten hast wie ich. Hier wenigstens war's ganz reizend.

Thekla. So? In der That?!

Hildebrand. Ja, ich bin dir sehr dankbar. Nur durch dich hab' ich ja diese prächtigen Menschen kennen gelernt. Jahrelang hast du mich in Kreise geschleppt, die mir gar nicht behagten; jetzt endlich hab' ich durch deine Vermittlung ein Haus gefunden, in dem ich mich so recht von Herzen heimisch fühle.

Thekla. Nun denn – ich räume dir gern das Feld . . .

Gertrud (kommt von links hinten).

Thekla. Gut, daß Sie kommen, Fräulein Karsten. Ich erkläre Ihnen hier vor Ihrem neuen Hausfreund, daß ich morgen diese Wohnung verlasse.

Gertrud. Ganz wie Sie wünschen, gnädige Frau. 142

Hildebrand. Deine alte Wohnung steht dir noch immer zur Verfügung. – (Reicht Gertrud die Hand.) Herzlichen Dank, liebes Fräulein, für den schönen Mittag, und auf Wiedersehen.

Gertrud. Auf Wiedersehen, Herr Hildebrand.

(Hildebrand ab.)

Achtzehnter Auftritt.

Thekla. Gertrud.

Thekla. Da wir uns wohl zum letztenmale sprechen, mein Fräulein, so muß ich Ihnen doch noch bemerken: Es ist eine eigentümliche Art, wie Sie unglücklichen Frauen ein Asyl gewähren. Ich habe hier gemietet, ich, um mir ein selbständiges Heim zu schaffen, und wer fühlt sich in Ihrem Hause heimisch? Nicht ich, sondern mein Mann. Diese eine Thatsache . . .

Gertrud. Aber das ist doch nicht meine Schuld, gnädige Frau. Ich habe alles aufgeboten, Sie zufrieden zu stellen . . .

Thekla. Das nennen Sie alles aufbieten? Sie lassen es zu, daß Ihr Herr Vater ihn an diesen Tisch setzt – meinen Mann an diesen Tisch; Sie stellen sich von Anfang an vollständig auf seine Seite, übernehmen ein Vermittleramt, konferieren mit ihm hinter meinem Rücken . . . 143

Gertrud. Er kam ja Ihretwegen, gnädige Frau, und gewiß in keiner feindlichen Absicht.

Thekla. Und das war Grund genug für Sie . . .

Gertrud. Grund genug für mich, ihn zu empfangen und anzuhören.

Thekla. Haben Sie etwa mich angehört?

Gertrud. Sie haben mich Ihres Vertrauens ja nicht gewürdigt.

Thekla. Und aus dieser ganz einseitigen Auffassung heraus übernahmen Sie den Auftrag, mich durch jedes mögliche Mittel zu meinem Manne zurückzutreiben!

Gertrud. Gnädige Frau, bedenken Sie doch: Sie waren unsre Pensionärin. Hätte ich wirklich dergleichen gethan, so wäre es ja mehr als uneigennützig gewesen. Aber Sie irren . . .

Thekla. Sie leugnen doch wohl nicht, daß Sie selbst auf diesem Standpunkt stehen? Daß Sie finden, ich könnte nichts Besseres thun als wieder umkehren? 144

Gertrud (mit Ueberwindung). Wenn Sie mich fragen, gnädige Frau – ja, das finde ich allerdings.

Thekla. Ah, welcher Scharfblick, welche Weitherzigkeit! Aber woher sollten Sie auch wissen, was das moderne Weib ist?

Gertrud. Darüber hab' ich freilich noch keine Zeit gehabt, nachzudenken, weil ich seit meinem sechzehnten Jahr meine Familie ernähre. Nur in Ihrem Thun, gnädige Frau, kann ich mit dem besten Willen nichts Modernes erblicken. Denn Frauen, die alles haben, was sie wollen, und doch mit nichts zufrieden sind, die hat es meines Wissens zu allen Zeiten gegeben.

Thekla (höhnisch auflachend). Also ich nicht modern – ich nicht modern? Das hat mir noch niemand gesagt! Haben Sie, mein sehr geschätztes Fräulein, denn überhaupt eine Ahnung vom Leben?

Gertrud. Vielleicht mehr als Sie, gnädige Frau.

Thekla (in steigender Erregung, ohne Gertruds Erwiderungen zu beachten). Vom Leiden des Lebens?

Gertrud. Das seh' ich alle Tage vor mir.

Thekla. Wissen Sie, wie unendlich viel gehört zu einem wirklichen Glück? 145

Gertrud. Ich finde, dazu gehört so wenig.

Thekla. Und begreifen Sie, was es heißt, freiwillig zu entsagen?

Gertrud. Nein.

Thekla (triumphierend). Da haben Sie's ja, mein Kind.

Gertrud. Freiwillig entsagen – das thut kein gesunder Mensch – nie und nimmer. Aber unfreiwillig entsagen – was das ist, gnädige Frau, das weiß ich um so besser. Und weil ich es weiß, deshalb konnte ich auch das Unglück ermessen, das Ihren Gatten betroffen hat . . .

Thekla. Und mein Unglück? Das namenlose Unglück einer Frau, die unverstanden durchs Leben geht, die sich gekettet sieht an einen solchen Dutzendmenschen . . .

Gertrud (sich immer weniger beherrschend). Nun, ich glaube, von solchen Menschen könnten wir ganz gut noch mehrere Dutzend brauchen.

Thekla (wird stutzig). So, so – das glauben Sie . . .

Gertrud. Je näher ich Ihren Gatten kennen lernte, desto größere Sympathie hab' ich für ihn gewonnen; ja noch mehr, ich 146 bewundre ihn! So viel Liebenswürdigkeit, so viel Herz, so viel Empfänglichkeit für alles, so viel echten Frohsinn hab' ich noch nie vereinigt gesehen, und wenn man bedenkt, daß er sich das alles bewahrt hat unter so erschwerenden Umständen – da muß ich doch sagen: Der Mann hätte auch verdient, verstanden zu werden, und die Mühe hätte sich gelohnt.

Thekla. Ah, setzt begreif' ich endlich. Das erklärt ja alles. Nur eines wird mir immer rätselhafter: wie gerade Sie mir noch raten können, zu diesem armen unverstandenen Mann zurückzukehren.

Gertrud (sich völlig vergessend). Nein, thun Sie's nicht! Ich widerrufe meinen Rat; in seinem Interesse widerruf' ich ihn! Für ihn ist es besser, er steht allein, so schwer es ihm auch fällt – besser, als wenn seine Lebensfreude langsam vernichtet wird. Nein, kehren Sie nicht zurück; thun Sie's nicht!

Thekla (mit Nachdruck). Es ist das erste Mal, daß ich wieder Lust dazu bekomme. – (Sie scharf fixierend.) Oder war auch dieser neue, dieser entgegengesetzte Rat noch ganz uneigennützig? (Gertrud zuckt zusammen.) Sie hätten diplomatischer sein müssen, mein armes Kind. (Ab in ihr Zimmer.)

Neunzehnter Auftritt.

Gertrud. (Dann) Karsten.

Gertrud (ohne aufzublicken, ganz erstarrt, glaubt Thekla noch anwesend). Wie – wie meinen Sie das? . . . (Sieht sich allein, hält 147 die Hände wie abwehrend vor ihre Brust.) Ich sollte . . . ich . . . (Von einer plötzlichen Einsicht überwältigt, sinkt sie auf einen Stuhl am Mitteltisch, birgt das Gesicht in den Händen und bricht in Schluchzen aus.) O mein Gott – mein Gott! –

Karsten (von rechts hinten, steckt vorsichtig den Kopf heraus). Trude . . . (Eilt erschrocken zu ihr.) Trude, du weinst! Du, und weinen! – Diese Frau – das ganze Haus hat sie mir in Trübsal versetzt. Lauter Trauerweiden! Und dabei soll man nun einen Tempel der Freude bauen! (Fast flehend.) Trude, ich bitte dich, lache doch wieder!

Gertrud (ist aufgestanden und umschlingt ihn. Mit einem mutigen Lächeln). Nur ein klein bissel Geduld, Vater. Ich werd's schon wieder lernen. 148


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