Ludwig Fulda
Jugendfreunde
Ludwig Fulda

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Vierter Aufzug.

Dieselbe Dekoration.

Heller Morgen.

Erster Auftritt.

Bruno. (Dann) Stephan.

Bruno (im Hausrock, übernächtig aussehend, geht auf und ab, seufzt ärgerlich, greift sich wiederholt an die Stirn).

Stephan (kommt durch die Eingangsthür, bleibt abwartend stehen; dann schüchtern). Herr Doktor . . .

Bruno (setzt seine Promenade seufzend fort, ohne Stephan zu beachten).

Stephan (einen Schritt vortretend). Wollen Herr Doktor noch nicht frühstücken?

Bruno (barsch). Nein.

Stephan. Es ist schon dreiviertel zehn.

Bruno. Ich frühstücke nicht.

.Stephan. Befehlen vielleicht, daß ich den Arzt hole? 158

Bruno. Unsinn!

Stephan. Herr Doktor sehen sehr schlecht aus.

Bruno. Ich bin riesig wohl.

Stephan. Herr Doktor sind heute um sechs Uhr aufgestanden. Das ist in den zwölf Jahren, seit ich die Ehre habe, Herrn Doktor zu bedienen, nicht vorgekommen.

Bruno. Geht Sie nichts an.

Stephan. Um Verzeihung; aber wenn Herr Doktor Gott behüte krank würden . . .

Bruno. Dann erlaub' ich Ihnen, mich zu pflegen.

Stephan. Das ist es ja eben. Ich weiß nicht, wie lange ich noch die Ehre haben werde . . .

Bruno (stehen bleibend). Was soll das heißen?

Stephan. Denn da ich mir nicht einmal mehr etwas denken darf . . .

Bruno. Ach, Unsinn!

Stephan. Und überhaupt ist es wohl besser . . . 159

Bruno. Was ist besser?

Stephan. Man kommt in die Jahre, Herr Doktor. Man hat sich etwas gespart. Man hat Lust, sich selbständig zu machen . . .

Bruno. Stephan, Sie denken daran, mich zu verlassen?

Stephan (gedehnt). Ja, es wird wohl so kommen müssen.

Bruno. Und weshalb?

Stephan. Wenn Herr Doktor gütigst entschuldigen – ich will mich verheiraten.

Bruno. Was?! Sie auch? – Nette Ueberraschung das – und gleich auf den nüchternen Magen! Sie also auch. Alter schützt vor Thorheit nicht. Nun gut, nun gut. Ich werde sogar diesen Verlust überleben. Mir bleibt ja wenigstens noch die Köchin.

Stephan (verlegen schmunzelnd). Die Köchin? Nein, um Verzeihung, die geht wohl mit.

Bruno. Wieso?

Stephan. Die will ich doch eben heiraten.

Bruno (perplex). Heiliger Strohsack! 160

Stephan. Wir wollen zusammen eine Restauration übernehmen, und wenn der Herr Doktor uns dann manchmal die Ehre schenken würden . . .

Bruno. Nun machen Sie aber schleunigst, daß Sie 'rauskommen. (Stephan ab.)

Zweiter Auftritt.

Bruno. (Dann) Philipp.

Bruno (geht schnaubend auf und ab). Es ist denn doch . . . (Er tritt zum Schreibtisch, nimmt das von Dora gebrachte Manuskript aus der Mappe, blättert wie geistesabwesend darin, wirft es heftig auf den Tisch zurück.)

Philipp (kommt sehr gedrückt durch die Eingangsthür). Guten Morgen, Bruno.

Bruno (barsch). 'morgen.

Philipp. Soll ich dir schildern, wie dein Brief auf mich gewirkt hat?

Bruno. Nicht nötig.

Philipp. Ich hatte ohnedies eine schlaflose Nacht hinter mir . . .

Bruno. Ich auch. 161

Philipp. Meine Frau auch. Und gleich beim Aufstehn diese neue Bombe.

Bruno. Konnt' ich dir nicht ersparen. Es handelt sich um den guten Namen einer dritten Person, die sich selbst nicht beschützen kann.

Philipp. Ach, Bruno, wenn du wüßtest, in was für einer Verfassung ich bin . . . wie das alles an mir nagt . . . Ein wirklich großer Schmerz wäre ja Kinderspiel dagegen. Und meine Frau . . . sie leidet vielleicht noch mehr als ich. Sie hat ja so viele ausgezeichnete Eigenschaften . . .

Bruno. Wie verhält sie sich zu meinem Brief?

Philipp. Sie ist bereit, alles zu erklären, was du verlangst. Aber – auch wenn ich jetzt nicht in erster Linie ihre Gesundheit schonen müßte – seien wir doch gerecht, Bruno! Bedenken wir doch das Milieu, in dem sie erzogen ist. Muß es da nicht verzeihlich sein, wenn sie an dieser Geschichte Anstoß nimmt?

Bruno. An welcher Geschichte, wenn ich bitten darf?

Philipp. Ach, du weißt doch! Und nicht nur sie allein. Auch unsere Hausleute haben darüber Bemerkungen gemacht Dein Ruf in der Nachbarschaft ist ja von früher her nicht der beste. 162

Bruno. O pfui! Wie niedrig! Wie erbärmlich! Also man darf einer achtbaren Dame nicht einmal mehr einen anständigen Broterwerb verschaffen! Haarsträubend!

Philipp. Du achtest diese Dame – und sicherlich mit gutem Grund. Aber um so weniger solltest du dir dann verbergen, daß du sie in eine schiefe Beleuchtung bringst.

Bruno. Weil ich ihr mein Buch diktiere!

Philipp. Binde das den Leuten auf die Nase. Man weiß nur, daß sie von morgens bis abends deine alleinige Gesellschaft ist.

Bruno. Und das ist Philipp, der so zu mir spricht; Philipp, der Idealist; Philipp, der Verherrlicher des Weibes!

Philipp. Zum Verächter des Weibes spreche ich so. Du selbst hast dafür gesorgt, daß man bei dir leichter Verdacht schöpft als bei einem andern.

Bruno (getroffen). Dann sag doch lieber gleich, daß ich in deinen Augen ein Lump bin.

Philipp. Wie kannst du die Sache so verdrehn! Ich wollte dir nur das große Verbrechen meiner Frau in milderem Lichte zeigen. Und du findest jedenfalls Mittel und Wege . . . 163

Bruno (bitter). Ich hatte also nicht das Recht, einem schutzlosen Mädchen meine Freundschaft anzubieten!

Philipp. Freundschaft zwischen Mann und Weib – glaubst du daran noch, Bruno?

Bruno. Ich glaube nicht einmal mehr an die Freundschaft zwischen Mann und Mann.

Philipp (ihm die Hand auf die Schulter legend, weich). Ach, mein lieber, guter Junge – in gewissem Sinn hast du ja leider recht behalten.

Bruno. Ich?

Philipp. Auch die Ehe ist der ideale Zustand nicht, von dem wir träumten.

Bruno (in eigene Gedanken vertieft). Bedaure.

Philipp. Meine Frau hat unendlich viel Vorzüge, und trotzdem . . . Hörst du, Bruno, was ich zu dir sage?

Bruno. Jawohl, rede nur weiter!

Philipp. Ob man trotzdem der inneren Musik der Dinge nicht relativ näher kommt, wenn man unverheiratet bleibt . . .

Bruno (vor sich hin). Was thu' ich nur? Was thu' ich nur? 164

Dritter Auftritt.

Vorige. Waldemar.

Waldemar (schleicht verlegen herein). Guten Morgen, Kinder.

Philipp. Guten Morgen.

Bruno (nur mit sich beschäftigt, beachtet Waldemar nicht).

Waldemar. Mein Bruno, ich komme so früh . . . bin eigens vom Bureau weggeblieben . . . Ich habe heute nacht kein Auge zugethan. – Bist du böse auf mich?

Bruno. Laß mich zufrieden.

Waldemar. Meine arme Lisbeth liegt zu Bette. Der Arzt war schon da. Er meinte, es sei von der größten Wichtigkeit, ihr jede Aufregung fernzuhalten. – Philipp, ich will deiner Frau keine Vorwürfe machen . . .

Philipp. Ich will deiner auch keine Vorwürfe machen.

Waldemar. Lisbeth hat keine Spur von Welterfahrung; aber sie ist ein Götterweib – nichtsdestoweniger! Und sie liebt mich bis zum Wahnsinn. (Er trocknet sich die Stirn.) Es hat geradezu etwas Beängstigendes, so geliebt zu werden. 165

Bruno (von steigender Unruhe gepeinigt, sieht wiederholt auf seine Uhr; vor sich hin). Was thu' ich nur?

Philipp (zu Waldemar). Glaubst du, daß deine Frau bereit wäre, sich mit der meinigen auszusprechen?

Waldemar (erschrocken). Lieber Himmel – erhoffst du dir davon etwas Gutes?

Philipp. Unter gewissen Voraussetzungen . . .

Waldemar. Philipp, du hast gehört, was der Arzt gesagt hat. Wir können die Sache nicht übers Knie brechen. Wir müssen erst einmal Gras wachsen lassen . . .

Philipp. Ja, ja; aber bis das Gras gewachsen ist – da muß doch irgend ein modus vivendi gefunden werden. Bruno, was meinst denn du?

Waldemar. Ja, mein Bruno, gieb uns einen Rat.

Bruno (unwirsch). Was wollt ihr denn von mir? Warum laßt ihr mich denn nicht in Ruhe? Macht eure Angelegenheiten unter euch aus! Ihr seht doch, daß ich meine eigenen Sorgen habe.

Philipp. Wenn wir dir zur Last sind . . . 166

Waldemar. Wenn du für uns kein Interesse mehr hast . . .

Philipp. Dann können wir ja gehn.

Bruno (hat wieder auf die Uhr gesehen). Bleibt hier, solang ihr wollt. Beratet euch, soviel ihr Lust habt. Ich muß jetzt in die Stadt. Ich habe allerlei zu thun. Ich weiß noch nicht, wann ich wiederkomme. Addio! (Schnell ab vorn rechts.)

Vierter Auftritt.

Philipp. Waldemar.

Waldemar. Der arme Bruno! Er thut mir furchtbar leid.

Philipp. Es geht ihm näher, als wir dachten.

Waldemar. Meinst du das mit der Stenographin?

Philipp. Das auch. Aber in erster Linie unsere gestörte Harmonie. Er hängt ja so an uns.

Waldemar. Und wir an ihm. 167

Philipp. Ach, Waldemar, wir haben unsere Frauen, und daß die den ersten Platz beanspruchen . . .

Waldemar. Versteht sich am Rande.

Philipp. Haben wir nicht die Verpflichtung, für sie einzutreten?

Waldemar. Unbedingt.

Philipp. Müssen wir ihnen vor der Welt nicht recht geben, auch wenn sie unrecht haben?

Waldemar. Allemal.

Philipp. Oder können wir sie zwingen, den alten Bund mit unseren Augen anzusehn? Können wir ihnen Sympathien aufnötigen, die sie nun einmal nicht empfinden?

Waldemar. Undenkbar.

Philipp. Und da ist noch Heinzens Frau. Läßt es sich leugnen, daß sie mit den unsrigen nicht auf gleicher gesellschaftlicher Stufe steht?

Waldemar. Und weil der gute Heinz das selber spürt, deshalb wird er ausfallend.

Philipp. Er ist nicht mehr, der er war. 168

Waldemar. Kein Wunder. Hat selbst keinen Groschen und muß sich jetzt noch für Frau und Schwiegermutter plagen.

Philipp. Ein rechtes Elend.

(Beide seufzen tief auf.)

Fünfter Auftritt.

Vorige. Heinz.

Heinz. (langsam eintretend, mit unterstrichener Gleichgültigkeit). 'morgen.

Philipp, Waldemar. Guten Morgen.

Heinz. Wo ist Knorz?

Philipp. Ausgegangen.

Heinz. Da werd' ich warten. (Er geht zum Rauchtischchen, nimmt sich eine Cigarre, steckt sie an, setzt sich auf die Ottomane.)

(Auch die beiden anderen setzen sich, Philipp vorn rechts, Waldemar vorn links. Längere Pause.)

Philipp. Was macht dein neues Bild, Heinz?

Heinz (rauchend). Danke. Geht vorwärts. (Pause.) 169

Waldemar. Ist das letzte verkauft?

Heinz. Noch nicht. (Pause.) Viel zu thun in der Fabrik, Zephyr?

Waldemar. Es macht sich. (Pause.)

Heinz War eigentlich nicht meine Absicht, euch hier zu treffen.

Philipp. Wir trafen uns auch zufällig. (Pause)

Heinz. Na, was habt ihr miteinander ausgeheckt?

Waldemar. Nichts von Bedeutung, Heinz. (Pause.)

Heinz. So viel will ich euch sagen: Toni wird den ersten Schritt nicht thun. Das hat sie auch absolut nicht nötig.

Philipp. Wir hoffen, daß nach Verlauf einiger Zeit . . .

Heinz. Toni und ich, wir haben keine Eile.

Waldemar. Nun, wenn ihr keine Eile habt . . . (Pause.)

Heinz. Soll ich einmal mit euch wie mit Männern reden? 170

Philipp. Nur zu!

Waldemar. Rede mit uns wie mit Männern.

Heinz. Dann will ich euch also mitteilen, daß ihr keine Männer seid.

Waldemar (geärgert). Falls du nichts Klügeres vorzubringen hast . . .

Heinz. Wart's ab. Denn wäret ihr Männer, dann hättet ihr den ganzen Fall nicht so schwer genommen.

Philipp. Nahmst du ihn leichter?

Heinz. Pah, ich rede nicht von dem gestrigen Fall. Ich rede vom Verheiratetsein überhaupt.

Philipp. Wie?

Heinz. Die Ehe, die Liebe, das Weib – lauter Privatangelegenheiten – häusliches Departement – Ministerium des Innern. Das sollte der moderne Mensch sich endlich klar machen. Seht mich an! Ueber zwei Jahre bin ich mit Toni verlobt gewesen: habt ihr viel davon gemerkt?

Waldemar. Was willst du daraus folgern für heute? 171

Heinz. Ich folgere daraus: Zu viert kann man befreundet, aber zu siebent kann man nicht verheiratet sein.

Philipp. Darin hat er recht, Waldemar.

Waldemar. Ja, mein Philipp, darin hat er recht.

Heinz. Na also! Und wenn ihr jetzt mal von euren Weibern absehen wollt . . .

Philipp. Das kann ich nicht.

Waldemar. Ich auch nicht.

Heinz. In Gedanken absehen, mein' ich – giebt es da zwischen uns Männern irgend eine Differenz?

Philipp. Zwischen uns?

Waldemar. Falls du den Pantoffelhelden zurücknimmst . . .

Heinz. Der kompensiert sich.

Philipp (warm). Zwischen uns giebt es keine Differenz.

Waldemar (auf Heinz zugehend). Heinz, mein Heinz . . . 172

Heinz. Komm her, Zephyr – und du auch, Stöpsel! (Er streckt jedem eine Hand entgegen.)

Philipp. Da bin ich, alter Junge.

Heinz. Bon. Und jetzt will ich euch etwas proponieren. (Philipp und Waldemar setzen sich zu ihm auf die Ottomane.)

Waldemar. Was denn?

Heinz Das Ei des Columbus.

Philipp. Du machst mich neugierig.

Heinz. Wollt ihr, daß unter uns vieren alles beim alten bleibt?

Philipp, Waldemar. Ja.

Heinz. Daß wir so friedlich und harmlos miteinander verkehren wie ehedem?

Philipp, Waldemar. Ja.

Heinz. Dann schlag' ich euch also vor, unsere Bierabende bei Knorz ohne weiteres wieder aufzunehmen.

Philipp. Und unsere Frauen? 173

Heinz. Das ist ja grade der Witz.

Waldemar. Was?

Heinz. Die Frauen lassen wir zu Haus.

Philipp (aufstehend). Das läßt sich hören.

Heinz (aufstehend). Ehe apart, Freundschaft apart.

Waldemar (aufstehend). Brillant.

Philipp. Ja, Heinz, das ist die richtige Lösung! Wir Männer wieder unter uns, und dabei doch mit dem erhebenden Bewußtsein, daß daheim unsere lieben Frauen sitzen. Das ist die innere Musik der Dinge! Nur . . . bei näherer Ueberlegung . . . Wirst du dich immer frei machen können, Waldemar?

Waldemar (sich hinterm Ohr kratzend). Lisbeth ist nicht gern allein.

Philipp. Und meine Verpflichtungen Amelie's Familie gegenüber . . .

Heinz. Meint ihr vielleicht, daß Toni besonders erbaut sein wird? Aber ich werde ihr kategorisch erklären: Ein- bis zweimal die Woche wird bei Knorz gekneipt. 174

Philipp (entschlossen). Es muß unter allen Umständen durchgesetzt werden.

Waldemar (mit einem Ruck). Unbedingt!

Heinz. Absolut! (Sie reichen sich die Hände.)

Waldemar. Ehähä – der Schwur auf dem Rütli!

Philipp. Vor allem andern sind wir es Bruno schuldig.

Heinz. Oui.

Waldemar. Der gute Bruno wird sich freuen wie ein Kind.

Philipp. Das wird er!

Heinz. Basta! – Und nun, ihr Männer, nun will ich euch noch einen zweiten Vorschlag machen.

Philipp. Sprich!

Heinz. Jetzt wollen wir einen Frühschoppen trinken.

Philipp. Ob das heute geht . . . Amelie wird ungeduldig werden . . .

Waldemar. Lisbeth auch. 175

Heinz. Toni auch. Aber darum erst recht. Höchste Zeit, unseren Weibern ad oculos zu demonstrieren, daß Eheleute keine siamesischen Zwillinge sind.

Philipp. Bist du dabei, Waldemar?

Waldemar. Wenn du dabei bist, Philipp . . .

Heinz. Abgemacht. Und wißt ihr, wo wir den Frühschoppen trinken werden? In Knorzens Garten werden wir ihn trinken. Und wenn er zurückkommt, dann werden wir ihn einladen, mitzutrinken. (Er klingelt.)

Waldemar. Großartig!

Philipp. Ja, besser können wir ihn von der Klärung der Situation nicht überzeugen.

Stephan (tritt ein). Die Herren haben befohlen?

Heinz. Edler Stephan, bringen Sie uns in den Garten Bier.

Stephan. Sofort. (Ab.)

Waldemar. Mein Heinz, du bist doch ein pyramidaler Kerl. 176

Philipp. Wahrhaftig, nun wird alles gut.

Waldemar. Wird urfidel!

Heinz. Was hab' ich euch immer gesagt? Wenn man nur die Dinge wissenschaftlich betrachtet . . . (Er hat unter jeden Arm eine Cigarrenkiste genommen.)

(Sie gehen zusammen nach hinten.)

Waldemar. Denkt euch nur: Lisbeth glaubt, daß ich mich vor ihren Eltern fürchte. Einfach lächerlich!

(Alle drei geräuschvoll ab in den Garten.)

Sechster Auftritt.

Stephan. (Gleich darauf) Bruno.

Stephan (kommt mit drei Bierseideln und geht nach der Gartenthür).

Bruno (eilt gleich hinter ihm herein, sehr erhitzt und unruhig, den Hut noch auf dem Kopf. Erst mitten im Zimmer bemerkt er Stephan, der eben durch die Gartenthür abgeht; ruft). Stephan!

Stephan (umkehrend). Herr Doktor?

Bruno. Was machen Sie da? 177

Stephan. Die Herren Freunde haben Bier bestellt.

Bruno. Sind die noch immer hier? – (Man hört, durch die Entfernung gedämpft, die drei Freunde im Garten singen: »Ça, ça, geschmauset, laßt uns nicht rappelköpfig sein« u. s. w.) Jemand gekommen in meiner Abwesenheit?

Stephan. Ja.

Bruno (rasch). Wer?

Stephan. Herr Hagedorn.

Bruno. Sonst niemand?

Stephan Nein, Herr Doktor.

Bruno. Auch nicht Fräulein Lenz?

Stephan. Nein, Herr Doktor.

Bruno. Nicht! – Halt, Stephan! Sagen Sie meinen Freunden vorerst nichts davon, daß ich wieder da bin.

Stephan (mit zustimmender Gebärde ab in den Garten, die Glasthür hinter sich schließend. Der Gesang wird dadurch unhörbar). 178

Siebenter Auftritt.

Bruno. (Dann) Dora.

Bruno (wirft sich auf einen Sessel). O je! O je! – (Er lauscht.) Schritte? (Er springt auf, eilt zur Eingangsthür, öffnet sie.) Endlich! Endlich! (Dora hereinführend.) Das ist brav; das ist gut von Ihnen! Geglaubt hab' ich's nicht mehr.

Dora. Noch nie in meinem Leben war ich in solcher Ungewißheit, was ich zu thun habe.

Bruno. Sie sind gekommen! Sie sind da! Mehr wollt' ich nicht.

Dora. Den ganzen Morgen bin ich im Freien herumgelaufen und habe mir recht gründlich den Kopf zerbrochen. Nur eines war mir klar: daß um meinetwillen zwischen Ihnen und Ihren Freunden kein Mißton entstehen darf.

Bruno. Ach, meine Freunde.! Auf die haben Sie doch wahrlich keine Rücksicht zu nehmen.

Dora. Aber Sie müssen es, Herr Doktor.

Bruno. Haben meine Freunde Rücksicht auf mich genommen? 179

Dora. Es wäre mir entsetzlich, wenn durch mich Ihre Beziehungen getrübt würden.

Bruno. Unsre Beziehungen? (Er führt sie zum Fenster Hintergrund rechts) Bitte, sehen Sie einmal da hinaus!

Dora (erstaunt). Da sitzen Ihre Freunde ja.

Bruno. Und trinken mein Bier. – Sind Sie jetzt beruhigt?

Dora. Aber warum gehen Sie nicht zu ihnen?

Bruno. Weil wir uns nichts Gescheites mehr zu sagen haben; weil die lieben Jungen mich fürchterlich ennuyieren; weil ich den innigen Wunsch hege, daß sie bald wieder fortgehn.

Dora. Dann wäre es doch an mir . . .

Bruno. Nichts da! An denen ist es. Biertrinken können die woanders grade so gut. Sie dagegen – Sie sind hier in Ihrem Amt und Beruf.

Dora. Das hab' ich mir schließlich auch gesagt. Das war für mich das Entscheidende. Ich sah den Grund nicht ein, warum ich mich selbst so hart strafen soll, eine Stellung, die mir Freude macht, zu verlieren. 180

Bruno. Recht so, Herr Lenz.

Dora. Ich habe mir ja nichts vorzuwerfen – und Ihnen auch nicht. Und nur wegen eines so thörichten Geschwätzes . . .

Bruno. Bravo!

Dora. Vor derartigen Verleumdungen werd' ich mich doch niemals schützen können.

Bruno. Hm, was das betrifft . . .

Dora. Niemals. Aber es liegt mir nichts daran. Die Menschen sollen von mir reden, wie sie wollen. Die Hauptsache ist, was ich selbst von mir denke.

Bruno. Tapfer gesprochen, Herr Lenz.

Dora. Und deshalb will ich an Ihrem Schreibtisch ausharren, solang ich Ihnen nützlich sein kann.

Bruno. Nützlich! Finden Sie nicht noch ein bescheideneres Wort, mein Freund?

Dora. Ich will ausharren, solang ich Ihr Freund sein kann. 181

Bruno. Sehr schön; wunderschön. Und nun glauben Sie, daß alles ruhig so weiter geht wie bisher?

Dora. Ja, das glaub' ich.

Bruno. Ich aber sage Ihnen: so geht es nicht weiter.

Dora. Wie?

Bruno. Ich kann mir Ihre Freundschaft nicht mehr gefallen lassen.

Dora. Weshalb nicht?

Bruno. Mit Ihrer Erlaubnis: ich habe mir ebenfalls den Kopf zerbrochen – gestern abend im Wirtshaus, dann die ganze Nacht, und als es wieder Tag wurde, setzte ich diese anmutige Beschäftigung fort. Ich hatte zuerst eine schmähliche Wut über unser gestriges Auseinandergehn, und dann eine noch viel schmählichere Angst wegen heute. Die gewohnte Stunde ging vorüber; wer nicht kam, waren Sie. Endlich riß mir die Geduld. Ich wollte wissen, woran ich bin. Ich lief davon, ich nahm mir eine Droschke und fuhr nach Ihrer Wohnung.

Dora. Nach meiner Wohnung!

Bruno. Ich kletterte die vier Stiegen hinauf; ich stand vor Ihrer Thür; ich las Ihre Visitenkarte; ich klingelte, schüchtern, wie ein Bittsteller, und erfuhr von der Wirtin, Sie 182 seien nicht zu Hause. Dann kletterte ich wieder hinunter und sagte mir dabei: Du Einfaltspinsel, nun hast du sie womöglich auch noch vor ihrer Wirtin kompromittiert.

Dora. Das macht nichts.

Bruno. Gut. Aber bei der Gelegenheit hab' ich gesehen, wie Sie wohnen. Abscheulich wohnen Sie. Und noch einen anderen Einblick hab' ich gethan: in meine rabenschwarze Seele nämlich. Im Vertrauen: Ihr Freund Martens war ein niederträchtiger Egoist.

Dora. Herr Doktor . . .

Bruno. Ein niederträchtiger Egoist. Weil es für mich ein äußerst molliger Zustand war, Ihre angenehme Gegenwart zu genießen, drum hab' ich Ihnen schnöderweise vorgeflunkert, der Platz an meinem Schreibtisch bedeute auch für Sie den Gipfel irdischer Glückseligkeit.

Dora. Ah, nun versteh' ich, worauf Sie hinaus wollen.

Bruno. So?

Dora. Sie machen sich Gewissensbisse, daß Sie mir den Witwer ausgeredet haben.

Bruno (in den Bart brummend). Das nun eben nicht. 183

Dora. Und ich bin Ihnen doch so dankbar dafür.

Bruno. Wirklich?

Dora. Denn ich bin mehr als je mit Ihnen einverstanden.

Bruno. Worin?

Dora. Daß es eine Dummheit von mir wäre, zu heiraten.

Bruno. Nun ja; aber . . .

Dora. Eine unbeschreibliche Dummheit.

Bruno. Zweifellos; aber . . . .

Dora. Sie meinen wohl, das sei nicht mein Ernst?

Bruno. O doch; indessen . . .

Dora. Sie trauen mir noch immer keine Logik zu? Sie glauben, daß nur ein Mann im stande ist, seine Grundsätze durchzuführen? Nun, ich werde Ihnen beweisen . . .

Bruno. Ich will nichts bewiesen haben.

Dora. Hat sich Ihre Meinung denn geändert? 184

Bruno. Was für 'ne Meinung?

Dora. Finden Sie nicht mehr, daß die Freiheit das Beste ist auf der Welt?

Bruno (herausplatzend). Herrgott, was haben Sie denn von Ihrer Freiheit? Und was hab' ich davon, wenn wir nicht einmal einen Abend zusammen verplaudern dürfen? Wenn wir nicht nach Herzenslust miteinander verkehren können ohne Demütigungen für Sie, ohne Selbstvorwürfe für mich? Wenn ich mit verschränkten Armen zusehen muß, wie mein bester Freund ein Hundeleben führt . . .

Dora. Sie täuschen sich, Herr Doktor. Ich habe mich nie wohler gefühlt als jetzt.

Bruno. Ich will aber nicht, daß Sie sich wohl fühlen bei einem solchen Leben! Und ich glaub's Ihnen auch gar nicht, daß es Ihnen besonderes Vergnügen macht, einsam und schutzlos in der Welt herumzulaufen. Und wenn es Sie befriedigt, ein karges Stück Brot zu suchen bei Menschen, denen Sie an Bildung, an Geist und Charakter ebenbürtig oder überlegen sind – mir genügt das alles nicht für Sie – mir nicht.

Dora. Mir aber muß es genügen. Es wurde mir ja manchmal ein bißchen schwer gemacht, meinen Mut zu behalten. Aber daß es zuletzt doch gelungen ist, dieses Bewußtsein lass' ich mir von niemand abkaufen. 185

Bruno. Ach, die Scherze kenn' ich. Wenn man sonst nichts vom Leben hat, dann hat man wenigstens ein Bewußtsein. Abkaufen läßt man es sich um keinen Preis; aber am Ende giebt man es gerne gratis her für ein ganz klein bißchen Glück.

Dora (leise). Glück . . .

Bruno. Jawohl, Glück. Und unsere Freundschaft, Herr Lenz – die ist auf die Dauer kein Glück, weder für Sie noch für mich.

Dora. Sie wollen also . . .

Bruno. Was will ich?

Dora. Daß wir uns trennen?

Bruno. I, das könnte mir grade fehlen!

Dora. Ja, dann weiß ich nicht . . .

Bruno. Ich weiß auch nicht. – Es ist doch eine ganz verflixte Geschichte! – Und Sie haben mich blasiert genannt! Steht ein blasierter Mensch um sechs Uhr morgens auf? Läuft ein blasierter Mensch den ganzen Tag wie verrückt im Zimmer herum? Redet ein blasierter Mensch alles mögliche durcheinander, ohne zu wissen, was er will? Oder vielmehr . . . Haben Sie mich verstanden? 186

Dora. Nicht ganz.

Bruno. Eine verflixte Geschichte! (Er geht auf und ab. Pause.)

Dora. Herr Doktor . . .

Bruno. Was?

Dora. Wollen Sie mir nicht diktieren?

Bruno. Diktieren? (Von einem Gedanken erfaßt.) Aber natürlich! Jetzt werd' ich Ihnen diktieren. – Setzen Sie sich! Nehmen Sie ein neues Blatt! Ueberschrift: Preisfrage. – Haben Sie das?

Dora (verwundert). Ja.

Bruno. Dann schreiben Sie! (Diktierend.) Wie können zwei verständige Freunde ohne Bedenklichkeiten ihre Abende zusammen verbringen, wenn zufällig der eine von diesen Freunden ein Mann und der andere ein Weib ist?

Dora. Das soll ich . . .?

Bruno. Schreiben Sie nur! . . . und der andere ein Weib ist. Diese Frage läßt sich von den verschiedensten Seiten beleuchten. – Haben Sie: beleuchten?

Dora. Aber Herr Doktor . . . 187

Bruno. Nur weiter! Beleuchten. Wenn man jedoch die Beleuchtung vollendet hat, dann entdeckt man zu seinem nicht geringen Schrecken, daß es in unseren mangelhaften und geistig zurückgebliebenen Zeitläuften für dieses Problem eine vernünftige Lösung überhaupt nicht gibt. Aber es gibt eine unvernünftige. Gesetzt nämlich den Fall . . .

Dora (will aufstehen). Nein, jetzt streik' ich!

Bruno. Wozu sind Sie hier angestellt? Schreiben Sie weiter! – Gesetzt nämlich den Fall, daß dem einen von den beiden Freunden das Leben ohne den anderen nicht den geringsten Spaß mehr macht, und daß der andere . . .

(Die drei Freunde sind im Garten sichtbar geworden, bemerken Bruno und treten dann in sehr animierter Stimmung ein, ihre Bierkrüge in der Hand.)

Achter Auftritt.

Vorige. Philipp. Heinz. Waldemar.

Philipp (noch im Garten, ruft). Bruno!

Heinz (ebenso). Knorz!

Bruno (ärgerlich). Verwünschte Störung!

Waldemar (mit den anderen eintretend). Mein Bruno, du bist schon zurück! 188

Philipp. Und davon sagst du uns gar nichts!

(Sie bemerken Dora, die am Schreibtisch sitzen geblieben ist, grüßen sie und stellen ihre Bierkrüge fort; nur Heinz behält den seinigen in der Hand.)

Bruno. Was wollt ihr denn schon wieder? Seht ihr denn nicht, daß ich beschäftigt bin? Meint ihr, ich habe meine Zeit gestohlen?

Philipp. Wir werden dich nicht lange aufhalten.

Waldemar. Wir müssen so wie so gleich nach Hause!

Philipp. Wir haben dir nur noch eine große Neuigkeit mitzuteilen.

Waldemar. Die dich kolossal erfreuen wird.

Bruno. Legt los! Aber geschwind! (Auf Dora zeigend.) Vor meinem Herrn Sekretär hab' ich keine Geheimnisse.

Philipp (sensationell). Bruno, es soll alles wieder werden, wie es war.

Bruno. Ei potztausend!

Heinz. Ja, Knorz, dir gegenüber sind wir von heute an wieder Junggesellen. 189

Bruno. Ist die Möglichkeit!

Philipp. Zwei Abende in der Woche werden wir regelmäßig bei dir verbringen.

Heinz. Ohne die Weiber.

Waldemar. Bruno, mein Bruno – ehähä, was sagst du nun?

Bruno. Ihr geliebten Freunde, euer wahrhaft edelmütiger Entschluß rührt mich aufs tiefste.

Heinz. Keine Phrasen, Knorz!

Philipp. Wir waren es dir schuldig.

Bruno. Ich danke euch, ihr Teuren. Ich danke euch aus innerstem Herzen. Aber es giebt da leider ganz erhebliche Schwierigkeiten.

Heinz. Wieso?

Philipp. Wenn wir es ermöglichen können . . .!

Bruno. Ja, Kinder, diesmal kann ich es nicht ermöglichen.

Waldemar. Du?

Bruno. Ich kann euch fürs erste keinen Tag bestimmen.

Philipp. Wie?

Bruno. Ich werde für absehbare Zeit verhindert sein, euch bei mir zu empfangen.

Heinz. Mach keine Witze!

Bruno. Mein Haus wird aller Wahrscheinlichkeit nach ein Jahr und darüber geschlossen bleiben.

Waldemar. Was?

Bruno. Und deshalb, meine Lieben, sag' ich euch bereits heute lebewohl. (Ihnen die Hände schüttelnd.) Lebt recht, recht wohl.

Philipp. Du willst wieder verreisen?

Bruno. So bald wie möglich.

Heinz. Und die Erklärung für diesen plötzlichen Entschluß?

Bruno. Die Erklärung? Nun, Philipp kann ja stenographieren. (Er nimmt das Diktat vom Tisch und giebt es ihnen.) Laßt euch einmal von ihm dies Bruchstück vorlesen. Ich diktiere inzwischen die Fortsetzung. 191

Heinz, Philipp, Waldemar (bilden ganz links vorn eine Gruppe).

Philipp (liest vor, mühsam entziffernd). Preisfrage . . . (Das Weitere unverständlich, wobei die Gesichter der drei immer länger werden.)

Dora (ist erschrocken aufgestanden). Was haben Sie gethan?

Bruno (ganz nahe zu ihr hintretend, mit gedämpfter Stimme). Sollt' ich hier allein sitzen und Trübsal blasen? Da ist es doch wirklich gescheiter, ich zeige meinem Freund Lenz die schöne Welt, die hier (auf das Manuskript deutend) nur auf dem Papier steht.

Dora (nach Worten suchend). Aber . . .

Bruno. Und zu diesem Zweck bin ich genötigt, Ihnen eine grenzenlose Dummheit vorzuschlagen: Heiraten Sie mich!

Dora (sucht lächelnd ihre Ergriffenheit und Verwirrung zu bemeistern). Herr Doktor, sollen wir mit sehenden Augen ins Verderben rennen?

Bruno. Aber, Herr Lenz, bedenken Sie doch: Etwas Schwärzeres, als wie wir beide uns die Ehe vorstellen, giebt es ja gar nicht. Wir erwarten uns von ihr das denkbar Schlechteste. Die Enttäuschungen, die sie uns bereitet, können also höchstens angenehme sein. 192

Dora. Unter diesem Gesichtspunkt . . .

Bruno (leise, innig). Hast du mich denn ein klein wenig lieb?

Dora (leise). O ja.

Bruno (sie an sich ziehend). Wie dumm das von dir ist!

(Philipp hat das Papier verblüfft fallen lassen; gleichzeitig sehen alle drei auf die Gruppe rechts.)

Philipp. Bruno will heiraten!

Waldemar. Die Welt geht unter!

Heinz. Der Schwächling opfert uns einem Weibe. (Er trinkt resigniert seinen Bierkrug aus.)

 


 


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