Ludwig Fulda
Jugendfreunde
Ludwig Fulda

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Dritter Aufzug.

Dieselbe Dekoration.

Der Blumenschmuck und der Stehspiegel sind beseitigt.

Erster Auftritt.

(Aus der Thüre links treten) Bruno, Philipp, Amelie, Waldemar, Lisbeth.

Bruno (als Erster eintretend, spricht zurück). Und hier sind wir am Ausgangspunkt wieder angelangt. Die Rundreise ist beendigt.

Amelie. Wahrhaftig, Herr Doktor, eine solche Einrichtung bei einem Junggesellen, das hab' ich noch nicht gesehen.

Lisbeth. Prächtig.

Amelie. Ihnen fehlt auch nicht das kleinste Stück. Und alles so geschmackvoll . . .

Bruno. Hauptsächlich das Verdienst meines seligen Vaters.

Amelie. Aber diese Ordnung, diese peinliche Sauberkeit . . . 107

Bruno. Das Verdienst meines Stephan. (Er geht mit den Herren nach rechts, bietet ihnen Cigarren an.)

Lisbeth (mit Amelie links vorn Platz nehmend, halblaut). Nein, was Sie mir da vorhin gesagt haben, Frau Winkler – wenn das wahr ist . . .

Amelie. Sie können sich darauf verlassen.

Lisbeth. Sie halten es für denkbar, daß zwei Menschen, ohne miteinander verheiratet zu sein . . .

Amelie. Das passiert alle Tage.

Lisbeth. Entsetzlich! (Ihr näher rückend.) Und Sie glauben, daß auch unsere eigenen Männer, bevor sie uns kannten . . . (Sie sprechen flüsternd weiter.)

Waldemar (rechts vorn, zu Bruno und Philipp). Ja, ihr Kinder, mein süßes Weib hat gestern glücklich zwei Dienstmädchen aufgegabelt, oder richtiger – ehähä – zwei Dienstmatronen; denn sie sind steinalt und mordshäßlich. Und nun ist alles gut.

Philipp. Auch ich bin froh, daß wir diese ersten Tage hinter uns haben. Aber jetzt läßt sich bei uns existieren; jetzt 108 fang' ich an, mich in den neuen Verhältnissen heimisch zu fühlen. Weißt du, Bruno, unsere Zusammenkunft neulich war verfrüht. Wir hatten ja noch kaum den Staub der Reise abgeschüttelt, und diese plötzlichen Uebergänge . . .

Waldemar. Mein Philipp, du redest wie ein Buch.

Philipp. Was ich einstmals die innere Musik der Dinge zu nennen pflegte, das will sich entwickeln; das braucht seine Zeit.

Bruno. Dann haben offenbar die vier Tage, in denen wir uns nicht sahen, Wunder gewirkt.

Waldemar. So was liegt in der Luft. Als wir neulich von hier fortgingen, sagte ich zu Lisbeth: »Amor ist Amor; aber gieb mal acht, nächsten Dienstag wird es brillant.« – Na, und merkst du nicht, wie inzwischen unsere Weiberchen sich acclimatisiert haben?

Philipp (mit gedämpfter Stimme). Unter uns, meine Frau hatte anfänglich eine ganz grundlose Angst, ich würde um euretwillen ihre Familie vernachlässigen. Aber nachdem sie sich gestern abend überzeugt hat, daß davon keine Rede ist . . . Ich habe da übrigens wirklich einige sehr nette Menschen kennen gelernt. Ich spielte ein paar von meinen alten Kompositionen, und man ermutigte mich allgemein, wieder produktiv zu werden. 109

Waldemar (strahlend). Was hab' ich dir immer gesagt? Und dir auch, mein Bruno? Das Gesamtkunstwerk . . .

Bruno. Ich bitte dich, hör' mir auf!

Zweiter Auftritt.

Vorige. Heinz. Toni.

Heinz (durch die Eingangsthür kommend). 'Tag allerseits. (Begrüßung.)

Bruno. Endlich! – Warum so spät?

Toni. Entschuldigen's, Doktor, mein Mannerl hat fleißig sein müssen bis jetzt.

Heinz. Und mein Weiberl war mit ihrer Toilette nicht fertig.

Toni. Ah, geh zu! Is ja nit wahr.

Bruno. Wir haben nur auf Sie gewartet. (Er klingelt.) Wir wollen den Thee im Garten trinken, wenn es Ihnen recht ist. Heute droht kein Regen; der Himmel ist ungetrübt. (Zu dem auftretenden Stephan) Also, Stephan, den Thee draußen, und das Essen pünktlich um acht. – Noch eines! Gegen Abend wird Fräulein Lenz Manuskript abliefern. Ich 110 möchte sie dann einen Augenblick sprechen; bestellen Sie ihr das. (Stephan ab.)

Philipp (ist zu Amelie gegangen). Ich bin dir so dankbar, Amelie. Es thut mir unendlich wohl, daß du heute zu Bruno so reizend bist, und zu allen andern.

Amelie. Aber, Philipp, das versteht sich doch von selbst.

Bruno (nach dem Garten weisend, laut). Darf ich bitten?

Waldemar. Wir sind bereit, Bruderherz. Ehähä – das schöne Fest kann beginnen.

(Alle gehen nach hinten. Bruno, Philipp, Amelie, Waldemar, Heinz ab in den Garten. Dort setzt man sich an den halb verdeckten Tisch, für die Zuschauer bemerkbar.)

Dritter Auftritt.

Toni. Lisbeth.

Toni (ist neben Lisbeth gleichfalls nach hinten gegangen, bleibt halbwegs stehen). Wissen's, Frau Scholz, heut sind's viel schöner frisiert wie neulich.

Lisbeth. Finden Sie?

Toni. Sehr chic. So müßten's immer gehn. 111

Lisbeth. Das hat unser neues Stubenmädchen gemacht.

Toni (verwundert). A Norddeutsche?

Lisbeth. Ja. Aber ich wünschte nur, ich hätte so schöne Haare wie Sie, Frau Hagedorn.

Toni. Sie müssen's halt fleißig mit Kamillenthee waschen.

Lisbeth. So? Ist das gut?

Toni. Vorzüglich.

Heinz (ruft von außen). Toni!

Toni (antwortend). Gleich komm' ich.

Lisbeth. Aber die Farbe, die prachtvolle Farbe!

Toni. Haben's die gern?

Lisbeth. Wunderbar. (Völlig harmlos.) Wie kann man nur behaupten, daß das nicht Natur ist!

Toni (auffahrend). Wer hat das behauptet? 112

Lisbeth (erschrocken). Ach, niemand. Ich meinte nur so . . .

Toni. Nein, nein, mir machen's nix weis. Sagen's mir, wer das behauptet hat!

Lisbeth. Wenn ich Ihnen versichere . . . Bitte, kommen Sie doch mit in den Garten!

Toni (sie nach vorn ziehend). Erst möcht' ich wissen, wer so was von mir aufbringt.

Lisbeth. Ach, es thut mir furchtbar leid, daß ich . . .

Waldemar (ruft von außen). Lisbeth!

Lisbeth. Gleich, Waldi! (Zu Toni.) Wir können doch jetzt nicht länger . . . (Sie will nach hinten.)

Toni (sie festhaltend und weiter nach vorn ziehend). Frau Scholz, wer hat gesagt, daß die Farb' von meine Haar' nit Natur is?

Lisbeth. Liebe Frau Hagedorn, ich hab's ja nicht einen Moment geglaubt.

Toni. Aber g'hört haben Sie's. Von wem haben Sie's g'hört? 113

Lisbeth. Ach Gott, ich darf doch nicht . . .

Toni. Gewiß dürfen's. Ich behalt's für mich. Ich sag's keinem Menschen weiter. Nur wissen möcht' ich das.

Lisbeth. Sie versprechen mir, daß Sie niemand etwas davon verraten? . . .

Toni. Was glauben's denn von mir?

Lisbeth. Daß niemand etwas erfährt – auch der Betreffende nicht?

Toni. Die Betreffende, sagen's lieber! So was is alleweil a Weibsbild.

Lisbeth. Sie werden ihr nichts nachtragen?

Toni. Nein, ganz gewiß nit.

Lisbeth. Sie versprechen mir's?

Toni. Jessas, ja, ich versprech's.

Lisbeth. Es war Frau Winkler. 114

Toni. Ob ich mir's nit denkt hab'! Die hochnasete Gans!

Lisbeth (schnell). Aber sicher in keiner bösen Absicht.

Toni (umhergehend). Die Frau von Winkler – da schau her – die erzählt die Leut, daß meine Haar' g'färbt sind.

Lisbeth (ihr nach). Sie haben mir fest versprochen . . .

Toni. Die hat's nötig!

Vierter Auftritt.

Vorige. Heinz.

Heinz (aus dem Garten, eine Theetasse in der Hand). Toni, wo bleibst du? Wollen die Damen keinen Thee trinken?

Lisbeth. O gewiß.

Toni. Gehn's nur voraus, Frau Scholz. Ich komm' gleich.

Lisbeth (dringend). Ich habe Ihr Wort. (Ab in den Garten.) 115

Fünfter Auftritt.

Toni. Heinz.

Heinz. Was hattet ihr denn so lange . . .

Toni. Ein' Moment, Heinzerl. Stell mal die fade Tassen hin! (Sie nimmt sie ihm fort, stellt sie auf den Schreibtisch.)

Heinz. Was willst du?

Toni. Du weißt, ich hab' a gutes Herz. Ich könnt' keiner Fliegen a Haxerl ausreißen. Aber das geht über den G'spaß.

Heinz. Erkläre dich deutlicher.

Toni. Die Winklerische hat g'sagt, daß mein Haar' g'färbt sind.

Heinz (sich setzend). Na, und weiter?

Toni. Hörst etwa nit gut? Daß meine Haar' g'färbt sind, hat's g'sagt.

Heinz. So laß ihr doch das Vergnügen. Ist ja total schnuppe.

Toni. Schnuppe? Nein, mein Lieber, mir ist das gar nit schnuppe. Und wenn dir das schnuppe ist, nachher kannst mir leid thun. 116

Heinz Toni, wie kann man sich über so etwas aufregen!

Toni. Alsdann darf man voll dir aus deiner Frau nachreden, was man will?

Heinz. Als Maler sehe ich darin nichts Ehrenrühriges. Ich betrachte das einfach vom koloristischen Standpunkt.

Toni. Wenn eine rumtratscht, ich hätt' g'färbte Haar'?

Heinz. Die Frage ist doch nur, ob sie gut gefärbt sind. Und das sind sie.

Toni. Wär' ja nit übel!

Heinz. Mir zum Beispiel gefallen deine Haare jetzt viel besser, als wie sie noch braun waren.

Toni. Sei stad!

Heinz. Du siehst, ich habe mehr Farbensinn, als du mir zutraust.

Toni. Und weniger Courag'. Denn sonst thätst so was auf deinem Weib nit sitzen lassen.

Heinz. Toni, du verlangst doch nicht im Ernst, daß ich deswegen die Gemütlichkeit stören soll? 117

Toni. Freilich, wenn dir's recht ist, daß mich die andern für so a Dahergelaufene halten . . .

Heinz. Wer thut das?

Toni. Wenn du willst, daß die uns über die Achsel anschau'n, weil wir kein Geld haben . . .

Heinz. Toni!

Toni. Oder is dir schon leid, daß du mich g'heirat' hast? Möchtst lieber eine, die so geschwollen daherred't wie die Winkler? Brauchst's nur zu sagen. Zehn andre weiß ich, die nehmen mich auf der Stell'.

Heinz (aufstehend). Lachhaft! Ich lasse dir von niemand zu nahe treten.

Toni. Heinzerl, jetzt ist die Gelegenheit. Wenn du jetzt nit zeigst, daß wir grad so viel wert sind wie die ganze Bagag' . . .

Heinz. Herrjeses, ich kann doch nicht heute bei unserem Freundschaftsfest . . .

Toni. Das hat damit nix zu schaffen. Ueberhaupt – dich hätt' ich gar nit dazu braucht; ich hätt's der Schnackerlmadam' schon selber geben. Aber ich hab' der Frau Scholz 118 versprochen, daß ich keinem Menschen was wiedersag', und was ich versprochen hab', das halt' ich.

Heinz. Also – was soll ich thun?

Toni. Gleich gehst hin zum Winkler und sagst ihm, seine Frau muß das z'rucknehmen.

Heinz. Bon. Aber damit ist der Gall auch abgemacht, verstehst du?

Toni. Ja. Nur soll's mich wundern, wenn ich nit 's Gallenfieber krieg'. Ich hab' mich so furchtbar gift' . . .

Heinz. Geh hin und trink eine Tasse Thee.

Toni. Mit der?! Könnt' mir einfallen. Nein, wenn ich mich so gift' hab', dann muß ich a Zeitlang meine Ruh' haben.

Heinz. Auch gut. (Er weist nach rechts.) Geh ein bißchen da hinein, du Kindskopf. Ich rede mit Stöpsel und bringe dir deine Rehabilitierung. (Er ruft nach hinten.) Stöpsel!

Toni (nach rechts gehend). So a Person! Ich werd' sicher krank. Das hat man von die Freunderln. (Ab vorn rechts.)

Heinz (rufend). Stöpsel! 119

Sechster Auftritt.

Heinz. Philipp.

Philipp (in der Gartenthür erscheinend). Heinz? Was giebt's? Heute ist es doch hier entzückend, nicht wahr?

Heinz. Nur auf eine Minute, Stöpsel.

Philipp (eintretend). Was denn? Uebrigens Pardon, da wir grade allein sind – ich hätte eine kleine Bitte an dich.

Heinz. Sprich sie aus.

Philipp. Ach, kaum der Rede wert. Es handelt sich nur darum, daß du mir zu Gefallen auf eine Schwäche meiner Frau Rücksicht nimmst. Sie hört es nämlich nicht gern, wenn du Stöpsel zu mir sagst.

Heinz. Ich kapiere.

Philipp. Unter uns Freunden, so oft du willst; aber vor ihr . . .

Heinz. Ich werde vor ihr nicht mehr Stöpsel zu dir sagen, Stöpsel.

Philipp. Ich danke dir, mein Alter. 120

Heinz. Ich dir auch. Denn um so leichter wird es mir nun, dich um dasselbe zu bitten.

Philipp. Du mich?

Heinz. Meine Frau hat ebenfalls eine Schwäche. Sie hört nämlich nicht gern, wenn man hinter ihrem Rücken etwas Unvorteilhaftes über sie sagt.

Philipp (beunruhigt). Wer sollte . . .

Heinz. Ich meinesteils hätte dich deshalb nicht strapaziert. Aber die Frauen sind große Kinder. Der moderne Mensch muß damit rechnen.

Philipp. Wer hat über deine Frau etwas gesagt?

Heinz Deine Frau.

Philipp. Ach, um Gottes willen! – Zu wem denn?

Heinz. Zu Zephyrs Frau.

Philipp. Was hat sie ihr gesagt?

Heinz. Daß Toni sich die Haare färbt. 121

Philipp. Ach, wie fatal, wie fatal! Und da heiratet man nun, um die Bagatellen los zu werden!

Heinz. Diese kannst du sehr geschwind los werden. Du bittest einfach deine Frau, die Aeußerung zurückzunehmen, und alles ist wieder in schönster Ordnung.

Philipp. Heinz, wie mir das vorkommt – daß du und ich über solche Dinge verhandeln müssen . . .!,^

Heinz. Nur keine Tragik, Stöpsel! Sei modern! Nimm die Sache wissenschaftlich.

Philipp (entschlossen). Falls Amelie etwas Derartiges wirklich geäußert hat, so wird sie es revocieren.

Heinz. Famos. Das werd' ich Toni gleich bestellen. (Er geht nach rechts.)

Philipp (ist nach hinten gegangen, ruft). Amelie!

Heinz. Na, das wäre erledigt. (Er öffnet die Thür rechts vorn und spricht hinein.) Also, Toni . . . (Ab rechts vorn.) 122

Siebenter Auftritt.

Philipp. Amelie.

Amelie (aus dem Garten). Hast du mich gerufen, Philipp?

Philipp. Ja, Amelie.

Amelie. Was wollte denn Herr Hagedorn von dir? Und wo ist seine Frau?

Philipp. Ach, Amelie, es giebt da einen peinlichen Zwischenfall.

Amelie. So?

Philipp. Und, wie ich leider annehmen muß, durch deine Schuld.

Amelie. Durch meine Schuld?!

Philipp. Hast du zu Frau Scholz gesagt, daß Frau Hagedorn die Haare färbt?

Amelie. Ist es das?

Philipp. Ja, allerdings. Frau Hagedorn hat es wieder gehört . . .

Amelie. Von Frau Scholz! 123

Philipp. Offenbar.

Amelie. Das ist ja sehr hübsch! Das ist ja äußerst niedlich! Eine vertrauliche Bemerkung zur Frau eines deiner Jugendfreunde – die wird sofort weitergeklatscht. Darauf soll man vorbereitet sein – auf eine so impertinente Zwischenträgerei! Nein, das hätte ich hinter dieser kleinen Kröte nicht gesucht.

Philipp. Du hast ja recht. Es war unschön von Frau Scholz . . .

Amelie. Unschön! Wie zartfühlend du das ausdrückst!

Philipp. Es war sehr häßlich. Aber immerhin, das ist für dich keine Entschuldigung.

Amelie. Ja, Philipp, es ist unentschuldbar, daß ich in deinen Kreisen dieselben Begriffe von gesellschaftlichem Takt voraussetzte, die ich von zu Hause gewohnt bin.

Philipp. Ich bitte dich, keine Erregung! Laß uns in aller Ruhe . . .

Amelie. Aber es wird mir dadurch von neuem bewiesen, daß ich hier deplaciert bin, und du nicht minder.

Philipp. Amelie, wie kannst du . . . 124

Amelie. Sei doch nur ehrlich gegen dich selbst! Du bist ein feinbesaiteter, vornehmer Mensch; du bist aus guter Familie, und nur aus falscher Pietät für deine Schulkameraden willst du dir nicht eingestehen, daß ihre Zigeunermanieren deinen geselligen Bedürfnissen nicht mehr genügen.

Philipp. Da irrst du, Amelie; da irrst du ganz gewaltig. Wenn du dich nur bemühen wolltest, diese ausgezeichneten Menschen näher kennen zu lernen . . .

Amelie. Ich habe mich bemüht; das hast du selber vorhin anerkannt. Ich habe mir um deinetwillen sogar gewaltsam eingeredet, daß ich mich hier behaglich fühle. Aber vergleiche doch nur die heutige Gesellschaft mit der gestrigen! Hättest du etwa den Mut, Herrn und Frau Hagedorn oder Herrn und Frau Scholz mit Onkel Julius zusammenzubringen, mit diesem vollendeten Kavalier?

Philipp. Nun, was das anbelangt: ein vollendeter Kavalier ist Bruno mindestens auch.

Amelie. Ein allzu vollendeter, wie mir scheint. Ueber diesen komfortablen Herrn will ich mich jetzt nicht aussprechen. Es hat mich Ueberwindung genug gekostet, die Gastfreundschaft in seinem luxuriösen Junggesellenheim anzunehmen. Aber es ist ein Wink des Schicksals . . . 125

Philipp. Wohin soll das führen, Amelie! Du weißt, was diese Freunde mir gewesen sind, zwanzig Jahre lang. Ich hänge an ihnen; ich kann sie nicht entbehren. Und eine Verstimmung zwischen uns, noch dazu an einem Tag wie dem heutigen, das wäre ja . . . Ach, wie mich die Geschichte alteriert!

Amelie. Glaubst du vielleicht, mich nicht?

Philipp. Dann schaffe sie aus der Welt!

Amelie. Wie kann ich das?

Philipp. Indem du den Unfrieden, den du gestiftet hast . . .

Amelie. Wer hat Unfrieden gestiftet, ich oder Frau Scholz?

Philipp. Einerlei. Wenn du erklärst, daß du deine unbedachte Aeußerung bedauerst . . .

Amelie. Philipp, ist es denkbar? Eine solche unerhörte Demütigung mutest du mir zu – mir!

Philipp. Darauf muß ich unbedingt bestehn. 126

Amelie. Leb wohl, Philipp!

Philipp. Wohin?

Amelie. Ich gehe nach Hause.

Philipp. Amelie!

Amelie (umkehrend). Höre mein letztes Wort! Frau Scholz ist an der Sache schuld – sie ganz allein. Wenn du willst, daß ich mit ihr und der andern noch ein einziges Mal zusammenkomme, dann veranlasse sie, daß sie ihre blöde Klatscherei wieder gutmacht.

Philipp. Ich werde verrückt!

Amelie. Sie muß erklären, daß sie mich falsch verstanden hat; daß ich so etwas nie behauptet habe.

Philipp. Und wenn sie das thut, versprichst du mir dann . . .

Amelie. Dann soll meinetwegen alles sein wie vorher.

Philipp (bestimmt). Das muß sie thun! Das ist nicht zu viel verlangt.

Amelie. Du kannst mir Nachricht hinübersenden. 127

Philipp. Wie? Du gehst trotzdem?

Amelie. Dir und dem Frieden zulieb. Oder hältst du es für besonders opportun, daß ich mich mit den beiden Damen an einen Tisch setze, bevor der Sturm in der Theetasse vorüber ist?

Philipp. Ach Gott, ach Gott, wie soll ich denn deine Abwesenheit motivieren?

Amelie. Sag', ich hätte heftige Kopfschmerzen bekommen; ich sei nach Hause gegangen, um ein Pulver zu nehmen. (Ihre Hand auf die Stirn pressend.) Damit entfernst du dich nicht einmal von der Wahrheit.

Philipp. Ich schicke dir Stephan, sobald wir im reinen sind.

Amelie. Gut.

Philipp (ihr zur Thür folgend). Aber dann kommst du auch sofort zurück!

Amelie. Ja. – Nur vergiß nicht, Philipp: Auch die höchste Selbstverleugnung hat ihre Grenzen. (Ab rechts hinten.)

Philipp (halb ihr nachrufend). Und wir waren auf dem besten Wege heut! 128

Achter Auftritt.

Philipp. Waldemar.

Waldemar (erscheint in der Gartenthür). Philipp, mein Philipp, was soll denn das bedeuten? Einer nach dem andern verkrümelt sich. Ursprünglich waren wir zu siebent, und jetzt sitzen Lisbeth und ich mit Bruno da draußen allein. Ehähä – ist wohl das neueste Gesellschaftsspiel?

Philipp. Komm mal her, Waldemar.

Waldemar (eintretend). Sapristi, wo steckt ihr? Ich habe den offiziellen Auftrag, euch tot oder lebendig abzuliefern. Wo ist Heinz und seine Frau?

Philipp (zeigt nach rechts). Da drinnen.

Waldemar. Was du nicht sagst! Wie unpassend! Und wo ist deine Gnädigste?

Philipp. Ach, Waldemar!

Waldemar. Warum seufzest du so herzbrechend, altes Haus?

Philipp. Dergleichen auch noch explicieren zu müssen! Ich schäme mich gradezu . . . . 129

Waldemar. Du spannst mich auf die Folter.

Philipp (mit Ueberwindung). Waldemar, meine Frau hat zu deiner Frau eine Bemerkung über Heinzens Frau gemacht . . .

Waldemar. Das mit den gefärbten Haaren?

Philipp. Wieso weißt du?

Waldemar. Lisbeth sprach mir schon neulich davon. Ja, diese Toni! Eminent schneidiges Weib.

Philipp. Deine Frau hat das Heinzens Frau wieder erzählt.

Waldemar. Mein ahnungsloses Lamm!

Philipp. Darüber ist Heinzens Frau sehr erzürnt, und meine Frau gleichfalls.

Waldemar (sich setzend). Ich bin erschossen.

Philipp. Es liegt nun an dir . . .

Waldemar. Sapristi, mein Philipp, was macht man da? Wie vertuschelt man das vor Bruno? 130

Philipp. Du bist der Mann, die ganze Mißhelligkeit aus dem Wege zu räumen.

Waldemar. Aber mit Wonne!

Philipp. Deine Frau braucht Heinzens Frau nur zu sagen, sie habe sich verhört . . .

Waldemar (aufstehend). Brillant!

Philipp. Glaubst du, daß sie dazu bereit ist?

Waldemar. Meine Lisbeth? Wenn ich sie darum bitte? Du kennst meine Lisbeth nicht!

Philipp (erleichtert). Ach, Waldemar, wie soll ich dir danken!

Waldemar. Keine Ursache. Versteht sich von selbst.

Philipp. Wenn du ahntest, wie mich das gedrückt hat!

Waldemar. Kopf hoch, mein Philipp! Brust heraus! Wird prompt geordnet. 131

Neunter Auftritt.

Vorige. Lisbeth.

Lisbeth (aus dem Garten). Aber, Waldi, soll ich denn noch länger mit dem Herrn Doktor allein im Garten sitzen?

Waldemar. Süße Lisbeth, ich . . .

Lisbeth. Du gingst doch nur, um die andern zu holen – und nun kommst du selbst nicht wieder.

Waldemar. Schickt der Herr den Jockel aus – ehähä.

Lisbeth. Herr Doktor Martens ist nun ganz allein.

Philipp. Ich gehe zu ihm.

Lisbeth. Und wir?

Waldemar. Nur eine Sekunde, mein Engel!

Philipp (halblaut zu Waldemar). Ich möchte so bald wie möglich erfahren . . .

Waldemar. In null Komma fünf Minuten.

(Philipp ab in den Garten.) 132

Zehnter Auftritt.

Waldemar. Lisbeth.

Lisbeth. Mich so in Verlegenheit zu bringen, Waldi! Ich wußte ja gar nicht, was ich mit dem Herrn Doktor reden soll. Erst macht ihr so ein Wesen von eurem Zusammensein, und dann . . .

Waldemar. Mein Schatz, du liebst mich über alles, nicht wahr?

Lisbeth (ihn leidenschaftlich umfassend). Waldi!

Waldemar. Und ich liebe dich auch über alles.

Lisbeth (freudig). Das hast du mir schon lange nicht mehr gesagt.

Waldemar. Nun höre, du mußt mir einen kleinen Gefallen thun.

Lisbeth. Ich thue für dich, was du willst.

Waldemar. Du hast Frau Hagedorn die Geschichte mit ihren Haaren erzählt.

Lisbeth (sehr erschrocken, rasch). Waldi, woher weißt du das? 133

Waldemar. Sie hat es ihrem Mann gesagt, und dieser . . .

Lisbeth (ausbrechend). O, das ist empörend! Das ist niederträchtig!

Waldemar. Aber, Mäuschen, bedenke . . .

Lisbeth (mit steigender Leidenschaftlichkeit). Ich hab's ihr absolut nicht sagen wollen. Sie hat nicht geruht; sie hat es mir herausgelockt. Und erst, nachdem sie mir zehnmal versprochen hatte, keinem Menschen etwas zu verraten! Das ist ein Betrug, Waldi; das ist ein Wortbruch. Das kann ich mir nicht bieten lassen. Du mußt sie zur Rechenschaft ziehen; du mußt . . .

Waldemar. Aber so sei doch vernünftig, mein Herz!

Lisbeth. Vernünftig? Bin ich vielleicht unvernünftig, Waldi? Willst du damit sagen, daß ich unvernünftig bin?

Waldemar. Kindchen, Kindchen, wenn du auch noch anfängst . . .

Lisbeth. Auch noch?! Die beiden sind wohl schon tüchtig über mich hergezogen? Und deine Freunde sollen von mir glauben, daß ich eine Klatschbase bin? An mir soll es ausgehn, wenn Frau Winkler eine böse Zunge hat, und wenn Frau Hagedorn den Mund nicht halten kann? Waldi, ehe du das zugiebst . . . 134

Waldemar. Niemals geb' ich das zu. Du brauchst ja nur einzugestehn, daß es unüberlegt von dir war . . .

Lisbeth. Unüberlegt? Ich bin auf dem Lande aufgewachsen, Waldi; bei Papa und Mama durft' ich reden, wie ich wollte. Bei dir hab' ich das im Anfang auch gedurft. Und wenn du mir nicht verschwiegen hättest, daß ich dich teilen muß mit fünf wildfremden Menschen . . .

Waldemar. Aber . . .

Lisbeth. Was gehen die mich an? Was hab' ich mit denen zu schaffen?

Waldemar. Geliebte . . .

Lisbeth. Nenne mich nicht Geliebte! So hast du vor mir schon andere genannt! Und was für welche! Auch mit denen muß ich dich teilen, und das hast du mir ebenfalls verschwiegen.

Waldemar. Wie kommst du denn jetzt auf so was?

Lisbeth. Weil du mich getäuscht hast, Waldi – ja, getäuscht. Du hast mir geschworen, außer mir gäbe es für dich nichts auf der Welt. Und meinen Eltern hast du's auch geschworen.

Waldemar. Aber . . . 135

Lisbeth. Und Papa hat geschworen, daß er dir den Hals herumdreht, wenn du mich nicht glücklich machst.

Waldemar. Thu' ich denn das nicht?

Lisbeth. Nein, Waldi, wenn du mich nur noch ein bißchen lieb hättest, dann würdest du mich so nicht kränken lassen; dann würdest du mich beschützen; dann würdest du Frau Hagedorn zur Rede stellen, oder Herrn Hagedorn . . . Aber ich fühle es ja – du liebst mich nicht mehr.

Waldemar. Lisbeth, meine Lisbeth!

Lisbeth. Ach, ich bin so unglücklich! Ich . . . (Sie wirft sich vornüber auf die Ottomane und bricht in krampfhaftes Schluchzen aus.)

Waldemar (ratlos). Himmlische Barmherzigkeit! Lisbeth, Schatz, Maus, Lamm – ich will ja alles thun! – Komm doch nur zu dir! Beruhige dich doch nur!

Lisbeth (heftig weiter schluchzend). Ich will fort!

Waldemar (rennt zum Tisch, benetzt aus der Wasserflasche sein Taschentuch, betupft ihr damit Stirn und Schläfen). Dieser Zustand . . . Wenn jemand kommt . . . Ich weiß ja gar nicht . . . (Verzweifelt.) Lisbeth – hörst du mich – Angebetetes . . . 136

Lisbeth. ich will fort!

Waldemar. Du bist ja ganz aufgelöst. So kannst du doch nicht . . . Willst du, daß man dich hier so findet? (Nach links deutend.) Komm wenigstens da hinein, bis der Anfall vorüber ist! Dort legst du dich ein paar Minuten hin, und ich werde unterdessen . . . (Er hat sie mit sanfter Gewalt fortgezogen.)

Lisbeth. Ich will zu Mama! (Beide ab links.)

Elfter Auftritt.

Heinz. (Gleich darauf) Waldemar.

Heinz (erscheint in der Thür vorn rechts, sieht sich um, spricht dann zurück). Sie sind nicht mehr hier, Toni. Bleib nur noch! Wollen erst mal sehn, wie der Hase läuft. (Er schließt die Thür.)

Waldemar (erscheint in der Thür links, spricht zurück). Ja, gewiß, mein Engelchen – alles, was du willst, alles! Jetzt ist dir schon besser, nicht wahr? Nur ruhig liegen bleiben! Bin gleich wieder bei dir. (Er schließt die Thür.)

Heinz. Was ist denn da los?

Waldemar (wendet sich um). Heinz, mein Heinz – deine Frau hat mir einen netten Salat angerührt. 137

Heinz. Meine Frau? Erlaube mal . . .

Waldemar. Lisbeth hat ihr unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit etwas anvertraut . . .

Heinz. Was?! Schon wieder diese Geschichte? Nee, weißt du, Zephyr, das wird mir allmählich zu dumm.

Waldemar. Kann ich denn dafür? Lisbeth liegt da drinnen mehr tot als lebendig.

Heinz. Toni hier drinnen dito.

Waldemar. Aber, Bruderherz, wenn deine Frau nur geschwiegen hätte . . .

Heinz. Deine hätte schweigen sollen!

Waldemar. Aber deine hatte sich durch ihr Wort verpflichtet . . .

Heinz. Herrjeses, nun soll Toni wohl noch gar der Sündenbock fein?

Waldemar. Heinz, überlege doch . . . 138

Heinz. Da ist nichts zu überlegen. Wenn ihr euch einbildet, daß ich für Toni nicht denselben Respekt verlange, weil sie keine so gute Schule besucht hat . . .

Waldemar. Sapristi, eine solche Verdächtigung! Heinz, wie kannst du dich denn so aufhetzen lassen?

Heinz. Aufhetzen hast du dich lassen, du Pantoffelheld.

Waldemar. Pantoffelheld, das ist stark – das ist sehr stark! Da möcht' ich doch wissen, wer von uns beiden der größere Pantoffelheld ist.

Heinz. Zephyr, ich hab' einen breiten Buckel; aber wenn's zu dicke kommt . . .

Zwölfter Auftritt.

Vorige. Philipp.

Philipp (aus dem Garten) Nun, Waldemar, wie steht's?

Waldemar. Frage Heinz!

Philipp. Aber du versichertest mir doch . . . Ihr Freunde, welche Situation! Ich hocke da draußen bei Bruno und rede mit ihm krampfhaft gleichgültiges Zeug. Dabei merkte ich an 139 seinem verschmitzten Gesicht, daß er längst Lunte riecht. Und nun ist er schon wieder ganz allein – unser Wirt, unser Festgeber!

Heinz. Scheußlich!

Waldemar (rennt zur Thür links, horchend). Still!

Philipp. Was ist?

Waldemar. Mir war, als hätte Lisbeth mich gerufen.

Heinz. Hat deine Frau revociert, Stöpsel?

Philipp. Nein. Das war ja nicht mehr nötig.

Heinz. Inwiefern?

Philipp. Weil Waldemars Frau erklären wollte, sie habe falsch gehört.

Waldemar (zurückkommend). Sie kann lediglich erklären, daß sie berechtigt war, von Heinzens Frau Diskretion zu erwarten.

Heinz. Höre, Stöpsel, hätte deine Frau dir's vielleicht verschwiegen, wenn meine sie beleidigt hätte?

Philipp. Beleidigt! Nun, dieser Ausdruck ist entschieden zu schroff. 140

Waldemar. Ja, mein Philipp, das läßt sich nicht leugnen: deine Frau hat uns die Suppe eingebrockt.

Philipp. Ich ersuche euch dringend, laßt meine Frau jetzt aus dem Spiel! Sie ist abwesend; sie kann sich nicht verteidigen.

Heinz. Aber revocieren hätte sie können.

Philipp. Ich sagte dir ja bereits . . . Herr meines Lebens, wo soll denn das hinaus? Haben wir uns zwanzig Jahre vertragen oder nicht? Und sollen uns jetzt wegen so etwas in die Haare kommen?

Heinz. In die Haare? Soll das eine Anspielung sein?

Philipp. Es wäre ja unerhört, wenn wir durch so ein Nichts, durch so eine Lawine von Bagatellen . . . Besinnt euch doch! Stellt euren Frauen doch vor, was auf dem Spiele steht!

Heinz. Fang du nur bei deiner an!

Philipp. Amelie befindet sich momentan in einer so hochgradigen Erregung . . .

Waldemar. Und Lisbeth? 141

Heinz. Und Toni?

Philipp. Ach, zum Kuckuck, dann wär' es ja wahrhaftig das beste . . .

Dreizehnter Auftritt.

Vorige. Bruno. (Während des Auftrittes beginnende Abendröte.)

Bruno (schon während der letzten Worte sichtbar, kommt durch die Gartenthür). Störe ich, Kinder? (Verlegenheitspause.) Ich führe da im Garten zwar ein sehr beschauliches Dasein und labe mich am weihevollen Schweigen der Natur; aber dessenungeachtet kann ich nicht umhin, mich über das Abhandenkommen meiner Gäste zu beunruhigen.

Waldemar (nit forcierter Heiterkeit). Bruno, mein Bruno – ehähä – wir sprachen nur . . .

Bruno. Im Ernst, meine Lieben, dieses Versteckspiel hat keinen moralischen Hintergrund. Ich kann unmöglich länger auf Begriffsstutzigkeit posieren. In meine grüne Einsamkeit sind Laute gedrungen – Laute, die ich mir rein vom Standpunkt einer Freundschaftsfeier nicht mehr zu deuten weiß.

Philipp. Nun ja, du hast leider recht. Wir sind – ohne zu wissen, wie – in eine so greuliche Affaire verwickelt worden . . . 142

Bruno. Es handelt sich natürlich um eine Uneinigkeit zwischen euren Frauen?

Philipp. Wieso natürlich? Laß doch den ironischen Ton!

Heinz. Hätte Stöpsels Frau nicht an der meinigen Kritik geübt . . .

Philipp. Hätte Waldemars Frau das nicht weitergetragen.

Waldemar. Hätte Heinzens Frau es nicht sofort ihrem Mann rapportiert . . .

Philipp. Hätte dieser nicht eine cause célèbre daraus gemacht . . .

Heinz. Erlaube – erlaube . . .

Bruno. Ihr Teuersten, jetzt erlaubt mir auch einmal! Wenn ihr diesen legendarischen Boden unserer Freundschaft in einen Kriegsschauplatz verwandeln wollt, da hab' ich ein Wort mitzureden. Seid ihr aber noch halbwegs dieselben, die ihr wart, dann reicht euch augenblicklich die Bruderhände, holt eure Frauen herbei und . . .

Waldemar. Als ob das so im Handumdrehn . . .

Bruno. Oder fürchtet ihr euch, ihr Helden? 143

Heinz. Lachhaft!

Bruno. Wollt ihr lieber mich ins Feuer schicken? Ich habe Mut. Ich bin überdies hier der geborene Unparteiische. Wo sind denn eure Frauen? Ich erbiete mich zum Friedensengel mit dem Palmenzweig.

Heinz. Das ist unsere Sache, Knorz.

Bruno. Um so besser. Aber warum zögert ihr dann, euren Einfluß aufzubieten, oder im Notfall eure Autorität?

Philipp. Ach, was verstehst du davon!

Heinz. Knorz, du redest wie der Blinde von der Farbe.

Waldemar. Du bist nicht verheiratet.

Bruno. Gott sei Lob und Dank!

Philipp. Bruno, das geht zu weit!

Heinz. Willst du damit etwa andeuten, Knorz . . .

Bruno (ärgerlich). Ach, ich deute nichts an, was ihr nicht wißt. 144

Waldemar. Einen unpassenderen Moment konntest du für deine ehefeindlichen Scherze nicht wählen.

Heinz. Wenn du mit der Thatsache nicht rechnen willst, daß deine Freunde jetzt auch Gatten sind . . .

Bruno. Damit rechnet ihr schon genug.

Philipp. Du hast niemals die Pflicht gekannt, Bruno.

Bruno. Oho!

Philipp. Deshalb ahnst du nicht, was an der Ehe sittlich Großes ist.

Waldemar. Du bist ein Libertin.

Bruno. Und ihr seid Hanswurste.

Waldemar. Wir haben ein Herz, und du hast keines.

Bruno. Bombenelement, brauch' ich mir das gefallen zu lassen in meinem eigenen Hause? Haben wir dazu den heutigen Tag mit Mühe und Not, mit Ach und Krach herausgeschunden? Steht dazu der Abendtisch reinlich gedeckt . . .?

Heinz. Mir ist der Appetit vergangen. 145

Philipp. Bruno, das wirst du doch einsehen, daß heut an ein ersprießliches Zusammensein nicht mehr zu denken ist.

Bruno. Wie ihr wollt. Aber nun rühr' ich keinen Finger mehr um einen gemeinsamen Abend. (Er setzt sich an den Schreibtisch.)

Heinz. Ich erst recht nicht.

Bruno. So eine Freundschaft kann mir gestohlen werden!

Philipp. Vorderhand muß ich zu meiner Frau.

Waldemar. Ich muß zu Lisbeth . . .

Heinz. Und ich bringe Toni nach Haus – gleich durchs andere Zimmer durch.

Bruno. Schön.

Heinz, Philipp, Waldemar (gleichzeitig). Guten Abend!

Bruno. Hol' euch der Teufel!

(Waldemar ab links, Heinz rechts vorn, Philipp rechts hinten.)

Heinz (kehrt gleich darauf noch einmal zurück, ohne Bruno eines Blickes zu würdigen, nimmt sich eine Cigarre; dann wieder ab rechts). 146

Vierzehnter Auftritt.

Bruno. (Gleich darauf) Waldemar.

Bruno (trommelt auf den Schreibtisch).

Waldemar (streckt den Kopf aus der Thür links). Bruno.

Bruno. Was beliebt?

Waldemar. Lisbeth ist noch sehr schwach. Es war eine förmliche Nervenkrisis.

Bruno. Mein aufrichtiges Beileid.

Waldemar. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich sie hier noch ein wenig ruhen lasse?

Bruno. Nicht das mindeste.

Waldemar (verschwindet, streckt gleich darauf den Kopf wieder heraus). Du könntest ihr vielleicht nachher ein paar begütigende Worte . . .

Bruno. Mit Vergnügen.

Waldemar. Wenn es nur ihrer Gesundheit nicht schadet! (Er verschwindet.) 147

Fünfzehnter Auftritt.

Bruno. (Gleich darauf) Dora. (Allmähliche Dämmerung.)

Bruno (starrt einen Augenblick vor sich hin, seufzt tief. Es klopft. Er steht auf; grimmig). Herein!

Dora (durch die Eingangsthür, mit ihrer Manuskriptenmappe). Guten Abend, Herr Doktor.

Bruno (geht ihr lebhaft entgegen). Gott sei Dank; ich sehe wieder einen unverheirateten Menschen!

Dora (legt die Mappe auf den Schreibtisch). Hier. – Es ist alles fertig. (Sich umsehend, erstaunt.) Sind denn Ihre Gäste noch nicht da? Heute ist doch bei Ihnen der Freundschaftsabend?

Bruno. Der Abend unserer Freundschaft, ganz recht. Die große Dämmerung.

Dora. Wie?

Bruno. Sie stehen hier auf einem Schlachtfeld, Herr Lenz. Ein heftiges Scharmützel hat stattgefunden. Die Blessierten sind bereits fortgeschafft. (Nach links deutend.) Nur da nebenan befindet sich noch eine kleine Ambulanz.

Dora. Ich hab's ja immer gesagt: die Männer . . . !148

Bruno. Nein, die Weiber!

Dora. Die Männer!

Bruno. Die Weiber und die Männer. Auf den heutigen Tag hab' ich gebaut, mich auf ihn gefreut an all den vergangenen Abenden, wo ich trotz der Rückkehr meiner Freunde allein saß. Und nun heute abend wieder allein, und morgen, und übermorgen – eine recht erquickliche Perspektive!

Dora. Das ist auch noch nicht das schlimmste, Herr Doktor.

Bruno. Nun ja, Sie wissen es nicht anders. Aber ich! Und wenn Sie die Wahl hätten, dann würden Sie jedenfalls auch lieber . . . (Elektrisiert.) Fräulein Lenz! Mir kommt da plötzlich ein Gedanke – ein vortrefflicher Gedanke! Aber Sie dürfen mir nicht böse sein.

Dora. Böse – weshalb?

Bruno. Sie werden es nicht sein. Sie sind ja kein Philister – wie?

Dora. Ich hoffe.

Bruno. Und Sie wünschen auch nicht, daß ich heute abend in unheilbaren Tiefsinn verfalle?

Dora. Durchaus nicht. 149

Bruno. Nun also! Ich habe ein kaltes Abendbrot für sieben Personen. Das kann ich unmöglich allein aufessen. Helfen Sie mir ein bißchen: Seien Sie mein Gast. – (Dora schweigt.) Wollen Sie? – O weh, nun sind Sie mir doch böse.

Dora (sich fassend). Böse – nein. Aber das . . . das kann ich nicht.

Bruno. Und warum nicht?

Dora. Das erlaubt mir meine Stellung nicht, Herr Doktor.

Bruno. Larifari! Stellung! Sie wissen ganz genau, daß Sie mehr für mich sind als die erste, beste Stenographin. Sie und ich, wir sind Freunde geworden. Sie sind mein Freund Lenz. Warum soll ich das Freundschaftsfest nicht gerade so gut mit Ihnen feiern können, wie mit den andern? Warum nicht tausendmal besser, als mit diesen verängstigten, verärgerten Ehesklaven?

Dora. Es geht nicht. –

Bruno. Sind Sie mein Freund?

Dora. Eben weil ich Ihr Freund bin . . .

Bruno. Der einzige, auf den ich noch zählen kann. Ich sah Sie zum erstenmal an dem Tag, wo ich anfing, die andern zu verlieren. Es war eine Dämmerstunde wie jetzt. Nur 150 ein paar kurze Monate liegen dazwischen; aber es kommt mir schon höchst unglaubwürdig vor, daß wir uns einmal nicht gekannt haben.

Dora. Und Sie waren zuerst so mißtrauisch.

Bruno. Sie waren es auch. Oder sind Sie es vielleicht noch immer?

Dora. Nein.

Bruno. Was also bestimmt Sie, mir diese große Freude zu versagen?

Dora. Ich versage sie auch mir.

Bruno. Sehen Sie, sehen Sie!

Dora. Und dennoch . . .

Bruno. Und dennoch wollen Sie uns beide zur Einsamkeit verdammen! Sie in Ihrem Stübchen bei der Petroleumlampe, und ich bei meinen sieben Gedecken! Giebt es dafür einen plausiblen Grund? Konventionelle Bedenken können's doch nicht sein! Sie sind ja ein unabhängiger Mensch, unabhängig auch in Ihrem Fühlen und Handeln.

Dora. Das alles stimmt, Herr Doktor – und doch stimmt es wieder nicht. Mit guten Gründen kommt man dabei 151 nicht aus; da spricht zu vieles mit, wovon man abhängt – mag man sich dagegen sträuben, wie man will.

Bruno. Zum Exempel?

Dora. Zum Exempel, ich wäre in Verlegenheit, was für ein Gesicht ich künftig vor Ihrem Diener machen sollte.

Bruno (lachend). Vor Stephan?

Dora. Und wenn ich mir ausmale, wie er vielleicht darüber reden wird . . .

Bruno. Stephan ist die Verschwiegenheit selbst.

Dora (rasch). Das hätten Sie jetzt nicht sagen sollen, Herr Doktor.

Bruno. Wie?

Dora. Sie hätten mich nicht erinnern sollen, was Stephan schon alles verschwiegen hat.

Bruno (ihr beide Hände reichend, mit tiefer Herzlichkeit). Vor diesen Erinnerungen braucht mein Freund Lenz sich nicht zu scheuen.

Dora. Sie haben recht.

Bruno. Und Sie werden bleiben.

Dora. Ja. – 152

Sechzehnter Auftritt.

Vorige. Waldemar. (Dann) Lisbeth.

Waldemar (streckt den Kopf aus der Thür links). Bruno!

Bruno. Wer ist hier? – Ach, du!

Waldemar. Lisbeth hat sich jetzt so weit erholt.

Bruno. Freut mich.

Waldemar. Willst du ihr nun ein paar besänftigende Worte . . .

Bruno. Jawohl.

Waldemar. Ich bringe sie. (Er verschwindet.)

Bruno (zu Dora). Die Ambulanz. (Bemerkend, daß sie sich nach dem Garten zurückziehen will.) Wo wollen Sie denn hin? Hiergeblieben. Zur Warnung bei etwa wiederkehrenden Heiratsgelüsten! (Dora bleibt ganz im Hintergrund.)

Waldemar (kommt mit Lisbeth von links, sie besorgt führend). Stütze dich nur, mein Herzchen! – So!

Bruno (geht Lisbeth entgegen). Gnädige Frau, ich hörte zu meinem Bedauern . . . 153

Lisbeth (matt). Ich bin unschuldig, Herr Doktor – ganz unschuldig.

Bruno. Wer zweifelt daran?

Lisbeth. Ich bin keine Klatschbase.

Bruno. Das glaub' ich Ihnen.

Lisbeth. Warum erzählt mir Frau Winkler, was sie nicht verantworten kann?

Bruno. Wir wollen zu ihren Gunsten annehmen: aus Harmlosigkeit.

Lisbeth (wieder leidenschaftlich). Nein, Herr Doktor, wenn Sie die für harmlos halten . . .

Waldemar. Kindchen, alteriere dich nicht wieder!

Lisbeth. Waldi, wenn der Herr Doktor wüßte, was diese harmlose Frau über ihn gesagt hat . . .

Bruno. Ueber mich?

Waldemar (geängstigt). Lisbeth, thu mir den Gefallen . . . 154

Bruno (lachend). Laß doch, Waldemar. Die Medisance der Frau Winkler kann doch für mich nur spaßhaft sein.

Lisbeth. Daß in Ihrem Hause Damen nicht verkehren können, hat sie gesagt.

Bruno. Das also!

Waldemar. Lisbeth. (Er sucht sie vergeblich fortzuziehen.)

Bruno. Und hat sie auch gesagt, warum nicht?

Lisbeth (fast weinend). Weil den ganzen Tag ein Fräulein hier wäre . . .

Waldemar (verzweifelt). Sapristi!

Bruno (sich mühsam beherrschend). Allerdings, meine Gnädige, das ist nicht harmlos.

Lisbeth (während Waldemar sie fortschleppt). Und die Frau, Herr Doktor – die wagt zu behaupten, daß ich eine Klatschbase bin! Ich bin auf dem Lande aufgewachsen! Ich habe keine Schuld!

Waldemar. Komm nach Hause! – (Zurückgewendet, flehentlich.) Bruno, ich bitte dich um alles in der Welt . . .

Bruno. Sei unbesorgt!

(Waldemar und Lisbeth ab.) 155

Siebzehnter Auftritt.

Bruno. Dora. (Später) Stephan.

Dora (kommt nach vorn). Auch ich bitte Sie dringend, in dieser Sache nichts zu thun.

Bruno (grimmig). Wir wollen sehn!

Dora. Um unserer Freundschaft willen!

Bruno. Hätte ich geahnt, mein lieber Freund, daß Sie solche Dinge bei mir hören würden . . .

Dora (bitter). Darauf muß unsereins immer gefaßt sein.

Bruno. O schändlich! –

Dora (ihm die Hand reichend). Haben Sie vielen Dank!

Bruno. Sie gehen?

Dora. Wollen Sie noch, daß ich bleiben soll?

Bruno (mit Ueberwindung). Ich darf es nicht mehr wollen – Um Ihretwillen darf ich es nicht. 156

Dora. Leben Sie wohl!

Bruno. Aber morgen früh . . . morgen früh . . .

Dora. Ich . . . ich weiß noch nicht. (Schnell ab.)

Bruno (ihr nachrufend). Fräulein Dora! Fräulein Dora! – (Er kehrt um.) Auch das vorbei! Auch das! – (Mit ausbrechender Wut.) Himmeldonnerwetter! – (Er läuft zur Eingangsthür, ruft hinaus.) Stephan, meinen Hut! Stephan, meinen Stock! – (Er rennt nach links.)

Stephan (kommt a tempo mit Hut und Stock, dreht beim Eintritt die elektrische Beleuchtung auf; dann hinter Bruno drein).

Bruno (dreht sich um, nimmt ihm Hut und Stock ab; wild). Ich geh' ins Wirtshaus.

Stephan. Hab' ich mir gleich gedacht, Herr Doktor.

Bruno (brüllt ihn an). Sie haben sich nichts zu denken! Gar nichts! Verstehn Sie mich? (Er stülpt sich in höchster Wut den Hut auf den Kopf.) Himmelherrgottsakrament! (Er eilt hinaus.)

Stephan (nun ebenfalls aufgeregt, im gleichen Ton wiederholend). Himmelherrgottsakrament! 157


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