Ludwig Fulda
Der heimliche König
Ludwig Fulda

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Erster Aufzug

Halle im Königspalast

Die rechte Hälfte der Mittelwand öffnet sich zu einer nach rechts in die Kulisse führenden und durch einen Vorhang verschließbaren Galerie; in der linken Hälfte der Mittelwand eine Tür. In der rechten Seitenwand hinten führen einige Stufen zum Eingang der Hauskapelle; weiter vorn eine kleine Tür zu den Frauengemächern; ganz vorn ein Fenster. In der Mitte der linken Seitenwand, um einige Stufen erhöht, der Thron; unmittelbar über dessen Baldachin, in halber Höhe der Bühne, ein vorspringender Altan mit einer Zugangstür oben an der Wandseite; eine Treppe führt an seiner Vorderseite herab; sie hat in der Hälfte ein Podest, von dem aus sie sich im rechten Winkel zur Wand an der Vorderseite des Throns bis auf das Niveau der Bühne fortsetzt. Ganz vorn links Tür zu den Gemächern des Königs, von einer reichen Gardine verhangen. Rechts ein Ruhebett und ein Tisch mit Sesseln.

Erster Auftritt

Jovelin (steht bekümmert am Fenster vorn rechts, schaut hinab). Herzog (kommt von links vorn. Dann) Kaplan, Leibarzt. (Zuletzt) Godo.

Jovelin (sich umwendend, rasch)
Herr Urgan, Ihr verließt das Krankenzimmer?

Herzog (in sichtlicher Verstörung)
Er schläft.

Jovelin           Ach, könnten wir erst wieder schlafen!
Die schlimmste wahrlich aller Höllenstrafen
Ist Ungewißheit. 8

Herzog                     Ohnmacht ist noch schlimmer.

Jovelin (deutet hinab)
Da drunten Kopf an Kopf die Menschenwand
Schließt enger sich und schwillt mit jeder Stunde.
Wer einmal kam, der steht wie festgebannt;
Unheimlich Flüstern schwirrt von Mund zu Munde . . .

Kaplan (ist aus der Kapelle eingetreten)
Wie geht's dem König? Wirkt mein standhaft Flehn?

Herzog Ihr laset eine Messe?

Kaplan                               Schon die dritte.

Herzog Lest weitre!

Kaplan                   Freunde, seid nur unverzagt.
Heut muß das Wunder noch geschehn,
Um das ich brünstiglich den Himmel bitte.

(Leibarzt von links vorn. – Alle erschrecken)

Jovelin Da kommt der Leibarzt!

Herzog                                     Ihr, Herr Morgant?

Jovelin                                                                   Sagt,
Gewahrt Ihr Besserung?

Kaplan                               Schickt Gott uns Hilfe? 9

Leibarzt Der König schickt mich . . .

Herzog                                             Schickt Euch?

Leibarzt                                                                 Er ist wach.

Herzog Und spricht?

Leibarzt                   Mit einer Stimme, leis' und schwach
Wie säuselnd Windeswehn im Schilfe
Verlangt er . . .

Herzog                   Mich?

Leibarzt                           Verlangt er den Kaplan.

Kaplan Des Lebens Manna wünscht er zu empfah'n.
Wohl ihm und uns! (Ab links vorn)

Jovelin (kopfschüttelnd)   Ein recht verfänglich Zeichen.

Herzog (zum Leibarzt)
Könnt Ihr noch leugnen? Er ist äußerst krank.

Leibarzt Was jählings kam, das kann auch jählings weichen.
Vertraut nur meiner Kunst! Der Trank,
Den heut ich mischte, muß das Fieber stillen,
Und wenn sich's allzu widerspenstig zeigt,
So hab' ich noch Essenzen, habe Pillen, 10
Die Heil verbürgen, eh' der Tag sich neigt.
Alsbald aufs neue füll' ich ihm den Becher.

(Er will gehen)

Godo (alter, eisgrauer Mann, kommt durch die Galerie)
Herr Seneschall . . .

Herzog                         Was gibt's?

Godo                                             Des Volkes Sprecher,
Um ihres Königs Leben bang,
Erschienen Kunde heischend an der Pforte.

Herzog (zum Leibarzt)
Was, meint Ihr, soll man ihnen sagen?

Leibarzt                                                 Worte.
Vertröstet sie bis Sonnenuntergang. (Ab links vorn)

Herzog (ihm nachrufend)
Ich folg' Euch. – Geht, Herr Jovelin, hinunter;
Versprecht zum Abend günstigen Bericht.

Jovelin Ich geh'.

Herzog             Doch streicht die Falten vom Gesicht.
Seid rosig wie die Hoffnung; lächelt munter
Und schwört, nichts weile ferner als Gefahr.

Jovelin (seufzend)
Kein leichtes Amt. (Ab mit Godo durch die Galerie) 11

Zweiter Auftritt

Herzog. Sigune, Elinod (von rechts Mitte)

Herzog (der nach links abgehen wollte, die Eintretenden bemerkend)
                            Sigune . . .

Sigune                                         Was gebeut
Mein Vater?

Herzog               Blumen prangen dir im Haar?

Sigune Die hat der Frühling mir hineingestreut.

Herzog Und hell dein Kleid . . .

Sigune                                     Hell wie der Blick des Maien.

Herzog Du willst . . .

Sigune                     Mit Elinod hinaus vors Tor;
Zum Fluß hinab, zum Hügel dann empor
Lustwandeln wollen wir zu zweien.

Herzog Vergaßest du des Königs Krankheit?

Sigune                                                         Nein.
Ich aber bin gesund, bin jung . . . (Sie will gehen)

Herzog (vertritt ihr den Weg)                 Halt ein!
Wenn du die schwere Sorgenbürde, 12
Die deinen Vater, Hof und Volk bedrückt,
Nicht fühlst, so denk' an deine Würde.
Die Tochter Herzog Urgans, der dem Throne
Zur Rechten steht, sie darf nicht so geschmückt
Gemein sich machen in den Gassen,
Wenn finstre Wetter brauen um die Krone.

Sigune Drum soll ich nicht des heitren Tags mich freu'n?

Herzog Dein Platz ist hier. Du wirst ihn nicht verlassen.

Sigune Und tät' ich's doch?

Herzog (stark)                     Dann würdest du's bereu'n.

(Ab links vorn)

Dritter Auftritt

Sigune. Elinod.

Elinod O weh, gefangen!

Sigune (trotzig)               Was auch immer droht . . . (Sie will gehen.)

Elinod (zögernd)
Prinzessin . . .

Sigune                   Komm! – Du zauderst, Elinod?
Hegst mindern Mut als ich?

Elinod                                     Ihr, schlimmstenfalls,
Gewärtigt Eures Vaters Schelten; 13
Ich aber wage meinen Hals.
        (Näher und leiser)
Und wüßt' er gar, wem diese Blumen gelten . . .

Sigune (wirft sich unwillig auf das Ruhebett)
Verwünschter Zwang! – Ihr Schwalben, hoch im Blau,
Seht hier die Sehnsucht eingesperrt im Bauer!

Elinod Wüßt' er, wie oft sein teures Vöglein schlau
Entschlüpfte durch die Tür der Gartenmauer;
Wie oft, vermummt in ländliches Gewand,
Wir talwärts flogen, eh' die Hähne krähten,
Und welch unwiderstehlichen Magneten
Ihr jüngst entdecktet an des Flusses Rand . . .

Sigune (träumend)
Am Abhang graste seine bunte Herde . . .
        (Sich schnell zu Elinod umwendend)
Sprich! Wie er hingelehnt am moos'gen Ufer lag,
War er nicht schöner als der junge Tag,
Der grad geweckt mit Flammenkuß die Erde?
Dann, als er aufschoß und dem flücht'gen Renner
In leichtem Lauf den Vorsprung abgewann . . .

Elinod Er ist doch nur ein Hirt.

Sigune (aufspringend)               Er ist ein Mann!
Und im Palast hier gibt es keine Männer.
Hier schleichen, wie entfloh'n aus morscher Gruft,
Nur greise Diener, schlottrige Vasallen,
Und auf den Treppen, Gängen, in den Hallen
Liegt von Jahrhunderten der Moderduft. 14
Wer spricht von Zukunft, wer von Gegenwart?
Mit matten Augen, hohlen Wangen
Raunt man von goldnen Zeiten, die vergangen,
Von Heldentum, das tot und eingescharrt.
Genug der Jahre hab' ich fromm geharrt,
geseufzt vor Langerweil', vor Zorn geweint!
Ich will nicht mehr mit meiner Jugend kargen,
Will nicht mein Leben ungelebt versargen!
Der König krank? Der scheue Weiberfeind,
War er denn je wohlauf? Schon längst erscheint
Sein Ahnenschloß mir wie ein großes Spittel!
O neidenswerter Vorrang, daß mit Neid
Ich blicken muß auf die geringste Maid,
Die heute frei und frank im Lumpenkittel
Den Liebsten an ihr wogend Herz darf pressen!

Elinod Und Euer Liebster späht umsonst indessen
Nach der vermeinten schmucken Dörflerin
Und wähnt, Ihr hättet ihn vergessen.

Sigune Arglistige, verschärfst du noch mein Leiden? –
Heut wollt' ich ihm bekennen, wer ich bin,
An seinem jäh verdutzten Blick mich weiden,
Dem sprachlos Staunenden mit einem Kuß
Die Zunge lösen . . .

Elinod                             Schlimm! Doch was beginnen?

Sigune (entschlossen)
Ich muß ihn sehen, Elinod; ich muß!

Elinod Bedenkt . . . 15

Sigune (mit Einfall)   Merk auf! Nur ich darf nicht von hinnen;
Doch er, zum Glück, ist nicht gekettet.

Elinod                                                     Er?

Sigune Nun, Peredur.

Elinod                       Ihr wollt . . .

Sigune                                         Bring ihn hierher!

Elinod Hilf Himmel, kamet Ihr von Sinnen?
Hierher in den Palast?

Sigune                             Zu kurzem Gruß.

Elinod Ein Hirt!

Sigune             Zum Spiel.

Elinod                             Gefährlich Spielzeug!

Sigune                                                             Führe
Vorsichtig ihn durch die bewußte Türe . . .

Elinod Wenn irgendwer ihn träfe . . .

Sigune                                             Hasenfuß!
Wer sollt' ihn sehn? Der König liegt darnieder; 16
Der Hof umsteht sein Lager; taub und blind
Vor Übernächtigkeit ist das Gesind.
Solch günst'ger Augenblick, nie kehrt er wieder.
Drum flink!

Elinod               Doch wenn . . .

Sigune (herrisch)                         Tu, was ich dir befohlen!

Elinod (kleinlaut)
In Gottes Namen!

Sigune                       Sag' ihm nur, du seist
Von mir gesendet, ihn zu holen.

Elinod Und wenn er fragt, wohin?

Sigune                                         Dann lüge dreist.

Elinod Meinthalb auch das.

Sigune (hat ein breites Band von ihrem Kleid gelöst)
                                  Wart! Nimm die Schärpe mit!

Elinod Weswegen?

Sigune                   Ihm die Augen zu verbinden.
Ins Unbekannte folge dir sein Schritt:
Erst hier soll er des Rätsels Lösung finden
Und wie verhext sich umschau'n stumm und starr.
        (Sie fortdrängend)
Geschwind! geschwind! Ich warte dein mit Beben.
        (Man hört Geräusch von Stimmen von der Galerie her)
Wer kommt? 17

Elinod (spähend)   Prinz Lanzelot.

Sigune                                       Der blöde Narr!

Elinod (im Abgehen)
Ein tolles Wagestück!

Sigune                             Drum reizt mich's eben.

(Elinod ab durch die Tür im Hintergrund links)

Vierter Auftritt

Sigune. Prinz Lanzelot, Feirefiz (durch die Galerie)

Lanzelot (bemerkt Sigune und deutet auf sie, mit schwachsinnigem Stammeln)
Da – da – die – schöne – 'gune . . .

Feirefiz                                               Wollt verzeih'n,
Prinzessin . . . .

Sigune (die nach der Tür rechts gegangen war, sich umwendend)
                        Was beliebt Euch?

Lanzelot                                             'gune – da.

Feirefiz Mein Prinz, der Euch seit Wochenfrist nicht sah,
Will Euch den schuld'gen Zoll der Ehrfurcht weih'n.

Lanzelot Ja – Zoll; ja – Zoll.

Sigune                                 Welch Übermaß von Witz! 18

Feirefiz Er hat nun einmal eine schwere Zunge.

Sigune Der Ihr mit Eurem Redeschwunge
Barmherzig nachhelft, Junker Feirefiz.

Feirefiz Ich bringe nur in Worte, was er denkt.

Sigune Er denkt? In einem neugebornen Huhne
Sind mehr Gedanken als in ihm.

Lanzelot                                         Ha – 'gune . . .

Feirefiz Er bittet Euch, daß Ihr Gehör ihm schenkt.

Lanzelot (hat sich ihr grinsend genähert)
Du – fall' – mir.

Sigune                     Ich versteh' nicht, was er lallt.

Feirefiz Er schwört, Prinzessin, daß Ihr ihm gefallt.

Sigune O Glück!

Lanzelot             Wa – wachen.

Feirefiz                                     Und daß er allnächtlich
Schlaflos zum Himmel Liebesseufzer haucht. 19

Sigune Ein Liebender, der einen Dolmetsch braucht!

Lanzelot O – die . . .

Feirefiz                     Seht, wie's ihn kränkt, daß Ihr verächtlich
Sein Herz verschmäht, das zärtlich überfloß.

Lanzelot Rang – Rang.

Feirefiz                       Er meint, sein Rang geb' ihm das Recht
Zu fordern, daß Ihr milder ihn behandelt,
Da nächst dem König er der letzte Sproß,
Der vom erhabenen Geschlecht
Des großen Artus noch im Fleische wandelt.

Sigune Der letzte Sproß, im Keime schon verdorrt,
Als einzig Erbteil tragend wie zum Spott
Den Heldennamen Lanzelot!

Lanzelot O – du – die – da . . .

(Er macht einen täppischen Versuch, sie zu küssen)

Sigune (ihn von sich stoßend)       Fort, ekles Untier, fort!

(Ab rechts Mitte)

Fünfter Auftritt

Lanzelot. Feirefiz. (Gleich darauf) Jovelin, Godo.

Feirefiz (zu Lanzelot, der aufs Ruhebett gefallen ist)
Mein armer Prinz, das Ungemach liegt offen.
Nun grübelt nicht und fragt nicht viel warum; 20
Denn hier auf Gegenliebe noch zu hoffen,
Das wäre selbst für Euch zu dumm.

Jovelin (kommt mit Godo durch die Galerie, sagt im Auftreten zu diesem)
Meld' es dem Herzog. (Godo ab links vorn)

Feirefiz (zu Jovelin)             Herr, mein Prinz, getrieben
Von Sorg' um den erlauchten Oheim, kam
Zu forschen . . .

Jovelin                     Wär' er doch daheim geblieben!
Wann endlich wird die Rücksicht, wann die Scham
In seine Burg ihn bannen, ihn verhindern,
Als allgemein verlachter Harlekin
Vor Müßiggängern, Gaffern, Straßenkindern
Sein Fürstenwappen in den Staub zu ziehn!
Lehrt ihn des Königs Beispiel nicht,
Daß Hoheit ihren Zauber lebenslänglich
Nur dann bewahrt, wenn einsam, unzugänglich
Sie sich verbirgt vorm grellen Tageslicht?
Hinweg mit ihm!

Feirefiz                     Mein Prinz, hier geht's Euch übel;
Drum kommt nach Haus.

Lanzelot (die Tür rechts anstarrend)
                                      Die – schöne – 'gune – da.

Feirefiz (ihn fortführend)
Laßt, sag' ich, das verzehrende Gegrübel.
Es gibt noch andre Schönen. 21

Lanzelot (plötzlich verklärt)           Andre – ja.

(Beide ab durch die Galerie)

Sechster Auftritt

Jovelin. Herzog, Kaplan, Godo (von links vorn. Dann) Cynewulf.

Herzog (schnell eintretend)
Der Angelsachsenherold eingeritten!

Jovelin Er wünscht sogleich Gehör.

Herzog (zu Godo)                           Wir harren sein.
        (Godo ab durch die Galerie.)
Botschaft vom Feind! Das fehlte noch, inmitten
Der Drangsal, die uns würgend heut umstrickt!

Jovelin Der König??

Herzog                     Bleich wie Wachs.

Kaplan                                                 Sichtlich erquickt
Durch meinen Zuspruch, schlief er wieder ein.

(Cynewulf wird von Godo, der dann gleich wieder abgeht, durch die Galerie hereingeführt)

Cynewulf Artus dem Zehnten, Könige der Briten
Von König Egbert, Herrn des Angelnreiches
Entbiet' ich Gruß und Heil. 22

Herzog                                   Durch unsern Mund
Entbietet König Artus ihm ein Gleiches.

Cynewulf So bitt' ich, geht ihm meinen Eintritt kund.

Herzog Nennt Euren Auftrag erst.

Cynewulf                                   Mein Auftrag wendet
Sich an ihn selber.

Herzog                       Ich, sein Seneschall,
Besitze Vollmacht . . .

Cynewulf                           Doch Ihr seid Vasall.
Mein König ist's, der mich zum König sendet.

Herzog Ihm selbst könnt Ihr nicht nah'n; drum nehmt vorlieb.

Cynewulf (lauernd)
Die Nachricht hat uns also nicht belogen,
Er liege krank?

Herzog                 Die Nachricht übertrieb.
Ein leichter Zufall nur, schon fast verflogen.

Cynewulf Und weigert doch so wichtigen Empfang?

Herzog Wie? Habt denn Ihr allein noch nicht erfahren
Von unsres Königs allbekanntem Hang 23
Zur Einsamkeit, der seit geraumen Jahren
Ihn Menschenanblick meiden läßt und scheuen?
Vernahmt Ihr nie, daß wie ein Klausner fast
Er abgeschieden lebt hier im Palast,
Nur sichtbar wenigen Getreuen?

Cynewulf Verzeiht, man hat von unserm Nachbarfürsten
Im Angelsachsenland kein deutlich Bild,
Und kärglich nur wird unsrer Neugier Dürsten
Durch eurer Barden Sang gestillt.
Wohl hört man, daß, wenngleich der Zeitenspanne
Noch nicht entrückt, wo lockungsreich dem Manne
Das Leben winkt, er jeden Umgang flieht,
Kein Roß je tummelt in Gefild und Hag,
Daß auch sein Volk ihn nur von weitem sieht,
Wenn durch die Stadt er einmal jeden Tag
Sich in verhangner Sänfte tragen läßt,
In ihre Polster regungslos gepreßt,
Nicht achtend auf der Menge jubelnd Grüßen;
Ja, daß die Sänftenträger das Vergehn,
Sich, wenn er ein- und aussteigt, umzudrehn,
Mit schnellem Henkertode büßen.
Dies alles hört man; nur – man weiß nicht recht,
Was wohl daran erdichtet ist, was echt.

Herzog Dies all ist Wahrheit.

Cynewulf                             Doch von nah gesehn
Zeigt jedes Ding sich anders als von fern;
Drum eben war's der Wille meines Herrn,
Daß Aug' in Aug' ich Euren König spreche. 24

Herzog Weshalb?

Cynewulf             Damit er selbst uns Klarheit schafft,
Ob hinter dichten Mauern seine Kraft
Er so versteckt hält oder seine Schwäche.

Herzog Verwegner! Wärt Ihr nicht gefeit
Vor unsrem Zorn durch dieses Heroldskleid,
Dann Euren Zweifel solltet Ihr bedauern!
Vergeßt nicht, wer sie fügte, diese Mauern:
Artus der König, unsres Königs Ahn,
Artus der Held, deß Stärke, nie bezwungen,
Noch heut gepriesen wird in allen Zungen,
Artus der Krieger, der auf blut'gem Plan,
Mit seiner goldnen Rüstung angetan,
Unwiderstehlich eurer Väter Scharen
Wie Hasen vor sich hergescheucht
In hundert Schlachten!

Cynewulf                         Ja; doch wie mich deucht,
Ist er nun tot seit bald dreihundert Jahren.

Herzog Die Rüstung aber, die für keinen Speer
Durchdringbar und von lautrem Gold so schwer,
Daß niemand sie vermag zu tragen,
Als nur ein Sproß von Artus' Blut und Art;
Die Rüstung, fortgeerbt von Glied zu Gliede . . .

Cynewulf Mit Stolz verkünden eure Sagen,
Daß euer König sie noch heut verwahrt; 25
Doch man erfuhr aus keinem Bardenliede,
Daß er sie jemals trug.

Herzog                             Seither war Friede.

Cynewulf Ein Friede, den ihr kauftet durch Tribut.

Herzog Stellt unsrer Langmut nicht zu harte Proben!

Cynewulf Darf ich nicht unsre frischen Kränze loben,
Wenn ihr auf euren abgewelkten ruht?
Auf jenen großen Artus folgten neun
Des gleichen Namens; doch wir ließen alle
Den Sieg des ersten bitterlich gereu'n.
Ein Lamm, zerstückt von einer Adlerkralle
Ist nun das Reich, dem weiland er gebot;
Wir schnürten's ein mit immer eng'rem Walle,
Und Tausende der Euren trieb die Not
Fort übers Meer, zu Galliens fremden Küsten.

Jovelin Daß ihr als Räuber bracht in unsren Zaun,
Ihr habt nicht Ursach, euch damit zu brüsten.

Kaplan Gott wird dafür euch strafen.

Cynewulf                                         Laßt uns schau'n.

Herzog Genug des Hohns, der zu willkommner Wut
Uns stacheln möchte. Sagt uns, was Ihr wollt
Von unserm Herrn. 26

Cynewulf                     Den fälligen Tribut.

Herzog Wir zahlten ihn!

Cynewulf                     Ihr zahltet den von Gold.
Jedoch es jährt sich auch der andre heuer.

Herzog (mit Jovelin und Kaplan Blicke wechselnd)
Der andre?

Cynewulf         Der beim letzten Friedensschluß
Bedungen ward.

Herzog                     Ihr meint?

Cynewulf                                 Die Menschensteuer!
Zweihundert Jungfrau'n und die gleiche Zahl
Von Jünglingen, die nach des Loses Wahl
Uns euer Volk zu Sklaven stellen muß,
Jeweils wenn fünfzehn Jahre sind verronnen.
Die Zeit ist um.

Herzog                   Wie? Wollt vergilbter Schrift
Den schaudervollen Anspruch ihr entreißen,
Der tödlicher gewirkt als Dolch und Gift?
Besinnet euch!

Cynewulf               Wir haben uns besonnen.

Jovelin Von eurem König selbst ward der Verzicht
Aus diese Schreckensklausel uns verheißen! 27

Cynewulf Der das verhieß, war König Egbert nicht.

Kaplan Sein Vorfahr tat's.

Cynewulf                         Ja; doch von andrem Schlag
Ist Egbert, der seitdem den Thron bestieg.
Er fordert, was ihm zukommt durch Vertrag.

Herzog Und weigern wir die Forderung?

Cynewulf                                             Dann – Krieg.

Herzog (nach einer Pause)
Wohlan denn, unsres Herrschers Wort entscheide.

Cynewulf Sein Wort erwart' ich.

Herzog                                     Gebt ihm kurze Frist.

Cynewulf Bis wann?

Herzog                     Bis er genesen ist.

Cynewulf Vom leichten Zufall?

Herzog                                   Wenn sich das Geschick
Von zweien Völkern wiegt auf Messers Schneide,
Nimmt man die Losung nicht vom Augenblick. 28

Cynewulf Es sei. Wir geben Aufschub von drei Tagen.
Zu meinem König, der im Purpurzelt
Unweit von eurer Markung Hofstatt hält,
Soll mich alsbald mein Rappe heimwärts tragen;
Und kam ich diesmal einzeln und verstohlen,
Um hier nicht Lärm zu schlagen vor der Zeit,
Kehr' ich zurück mit reisigem Geleit,
Artus des Zehnten Antwort mir zu holen.

(Ab durch die Galerie)

Siebenter Auftritt

Herzog. Jovelin. Kaplan. (Zuletzt) Leibarzt.

Jovelin Was nun?

Kaplan                 Was nun?

Herzog                                 Was nun! So plappern Stare.
Wollt ihr den Krieg?

Jovelin                         Wir wären viel zu schwach.

Kaplan Der Feind uns überlegen hundertfach.

Herzog So heißt es zahlen mit der Menschenware!

Jovelin Jedoch das Volk . . . 29

Herzog                               Das Volk, ihr wißt's, erträgt
Geduldig jedes Opfer, das zum Heile
Des Staates ihm sein König auferlegt.
Solang er atmet, führen wir's am Seile.

Jovelin Doch wenn er nicht mehr atmen wird, was dann?

Kaplan Der Sintflut unermeßliches Verderben
Brach' über uns herein.

Jovelin                             Er darf nicht sterben!

Kaplan Der Allbarmherz'ge tut uns das nicht an!

Herzog Was greint ihr? Wird euch denn erst heut gewiß,
Daß über einem Abgrund wir geackert?
Einzig das Flämmchen, das da drinnen flackert,
Schürt noch dies Reich vor Grabesfinsternis.
Wir aber, mit der Ohnmacht Fluch beladen,
Sehn wir nicht lang, wie Rettung oder Tod
Sich knüpft an diesen dünnen Lebensfaden,
Der plötzlich nun zu reißen droht?
Meint ihr, der Feind trieb ein so freches Spiel,
Wenn ihm nicht ruchbar wurde sein Erkranken?
Was hielt ihn ab, daß er mit Raubtierpranken
Nicht längst in unsre Weichen fiel?
Welch Bollwerk ist's, das nicht nur ihn erschreckt,
Nein, auch vor unsrem eignen Volk uns deckt,
Sodaß des Aufruhrs gift'ger Same 30
Bisher nur schadlos wuchert und versteckt?
Des Königs Dasein, ja, sein bloßer Name;
Der Urzeit Glanz, in ihm sich widerspiegelnd,
Die Ehrfurcht vorm Geschlecht, aus dem er stammt,
Das Rätsel, das der Neugier ihn verriegelnd
Nur heller leuchten läßt sein göttlich Amt.
Solch ungeheures Ansehn, dem man glaubt
Geschlossen Auges, läßt sich nicht erwerben
Von einem ungesalbten Haupt;
Man kann es nicht verdienen, nur ererben.

Kaplan Ach, wenn nur nicht grad ihm der Erbe fehlte!

Jovelin Wenn nicht der letzte, der ihm blutsverwandt,
Als Narr verschrieen wär' im ganzen Land!

Kaplan Ein Frevel ist's, daß er sich nie vermählte!

Jovelin Als hätten wir nicht täglich ihn gebeten:
Nehmt Euch ein Weib! Schenkt uns den Königssohn!

Herzog Ja, wir, die nicht geboren auf dem Thron,
Sind mächtig nur, solang wir stellvertreten.
Verschafft ein Knäblein mir, noch lallend kaum,
Noch hilflos liegend an der Brust der Amme,
Doch echt gezeugt aus Artus' heil'gem Stamme,
So halt' ich spielend Volk und Reich im Zaum.

Kaplan Ein Knäblein – jetzt? 31

Jovelin                                 Wie soll man . . .

Herzog                                                           Einen Erben!
Sonst betet, Priester, betet!

Kaplan                                   Ach, ich tat's.

Leibarzt (kommt schnell von links vorn)
Ihr Herrn . . .

Herzog (rasch auf ihn zu)
                    Nun? Half der Trank?

Leibarzt                                               Kein Mittel frommt . . .

Kaplan (die Hände faltend)
Allgüt'ger!

Jovelin (umklammert den Leibarzt, fast weinend)
                Hört, er darf nicht, darf nicht sterben!

Leibarzt Ich bin am Ende meines Rats.
Sein Blick wird stier; ich fürchte . . .

Herzog (drängend)                                   Kommt nur; kommt!

(Alle in bestürzter Eile ab links vorn)

Achter Auftritt

Elinod (die schon kurz zuvor den Kopf spähend durch die Tür im Hintergrund links gesteckt und den Abgang der vier beobachtet hat, tritt, sobald die Bühne leer ist, herein, wendet sich zurück und reicht die Hand) Peredur (der ihr mit verbundenen Augen und tappendem Schritt nachfolgt. – Dann) Sigune.

Elinod Das Feld ist rein. Tritt näher! 32

Peredur                                         Wieder Stufen?

Elinod (ihn führend)
Gradaus.

Peredur         Gradaus.

Elinod                         Ist dir nicht recht geheuer?

Peredur Ei was! Mir graust vor keinem Abenteuer.
Nun magst du meinethalb den Teufel rufen.

Elinod Den Engel.

Peredur                 Umso besser. (An der Binde zupfend) Dumme Binde!

Elinod Halt, noch Geduld!

Peredur                             Sind wir denn nicht am Ort?
Zum mindesten verrat mir durch ein Wort,
In welchem Hühnerstall ich mich befinde.

Elinod Wart nur! Erfahren wirft du das im Nu.

(Sie geht zur Tür rechts Mitte)

Peredur (nach ihr tastend)
Wo steckst du, Racker?

Elinod (hat die Tür geöffnet, ruft hinein mit gedämpfter Stimme)
                                    Herrin, nach Befehl:
Hier ist er.

Sigune (von rechts Mitte erscheinend)
                Peredur! (Sie geht ihm ein paar Schritte entgegen) 33

Peredur                         Ha, meiner Seel',
Die Stimme sollt' ich kennen. (Er hascht nach ihr) Blindekuh!

Sigune (legt ihm den Finger auf den Mund)
Pst!

Peredur (nachahmend)
      Pst!

Sigune (leise zu Elinod)
            Sah Niemand . . ?

Elinod (leise)                           Niemand.

Sigune (leise)                                         Vorm Gemache
Des Königs pflanz' dich an die Tür als Wache.

Elinod (leise)
Sogleich. (Sie geht nach links vorn)

Peredur         Was tuscheln sie da miteinander?

Sigune (ihr nachrufend)
Und warn' uns flink, wenn hörbar wird ein Schritt.

(Elinod ab links vorn)

Neunter Auftritt

Sigune. Peredur.

Sigune (auf ihn zu)
Nun, Schlingel, komm!

Peredur (sie an sich ziehend)   Du glatter Salamander,
Der stets, wenn ich ihn fassen wollt', entglitt, 34
Was spielst du für ein Hexenspiel mit mir?
Wo bin ich?

Sigune (nimmt ihm die Binde ab)
                  Sieh dich um!

Peredur (gaffend)                     Sankt Cyprian!

Sigune Sag, hab' ich gut gehext?

Peredur                                     Wo bin ich hier?

Sigune So rate doch!

Peredur                   Das ist ein feines Haus.
Und du – du schaust ja heut so vornehm aus.
Bin ich im Zauberschloß der Fee Morgan?

Sigune Beinah.

Peredur           Wo sonst?

Sigune                             Du bist hier im Palaste
Des Königs.

Peredur             Unsres Königs?

Sigune                                       Ja, du Tor.

Peredur Ach, Peredur, beim höchsten Herrn zu Gaste?
Das kommt mir traun wie ein Mirakel vor.
Kein Blendwerk ist's? Kein Zauberspuk dabei? 35

Sigune Von dir bezaubert, übt' ich Zauberei.

Peredur Kobold, wer bist du?

Sigune                                   Nicht, was ich dir schien.

Peredur Und in wie vielerlei Gestalten
Wirst du mich fürder an der Nase ziehn?

Sigune Wer weiß?

Peredur                 Nein, diesmal sollst du nicht entfliehn!
Zwei Arme hab' ich, um dich festzuhalten.

Sigune So halt mich fest.

Peredur                         Die Tochter eines Pächters,
So nanntest du dich mir am Rasenhang,
Als er zuerst lebendig widerklang
Vom Echo deines silbernen Gelächters.

Sigune Und die dir im Palast entgegenlacht,
Nennt sich Prinzeß.

Peredur                         Warum in niedrer Tracht
Kamst du zum Fluß, wo meine Herde weidet?

Sigune Ich hatte dir zuliebe mich verkleidet. 36

Peredur (mißtrauisch)
Ist's wahr?

Sigune             Den Zwang des Hofes zu vergessen
Und meinem Herzen, das gebietend spricht,
Frei zu willfahren.

Peredur                     Dürfen das Prinzessen?

Sigune Wenn ich es dürfte, tät' ich's nicht.

Peredur Wer mit dem Wolfe schön tut, wird gefressen.

Sigune So friß mich.

Peredur (kalt)           Fallenstell'rin, spar' die Mühe!
Schwellt mir die Adern auch nur Bauernblut,
Zu deinem Gimpel hin ich mir zu gut.
Laß mich inmitten meiner Pferd' und Kühe
Und such dir anderswo dein Spielzeug aus!

Sigune (ihn zurückhaltend)
Du dummer Mann! Zieh nicht die Stirne kraus!
Roll' nicht dein schönes Auge, dessen Blitze
Mich angesengt mit so behendem Brand,
Daß ich für meine Fieberhitze
Die Kühlung nur auf deinen Lippen fand!
        (Sie führt ihn zum Ruhebett)
Komm, setz dich her zu mir! Komm, schling den Arm
Um meinen Hals und laß den Durst mich stillen.

Peredur Durst hab' auch ich. 37

Sigune (nach einem Kuß)         Meinst du, vor Sehnsuchtsharrn
Verschmachtet man um eines Spielzeugs willen?
Meinst du, man wagt solch kühnes Stelldichein,
Wenn man den Kopf nicht völlig hat verloren?
Bevor ich noch dich kannte, war ich dein!
Ich lebte zwar, doch lebt' ich nur zum Schein:
Erst als dein Blick mich traf, ward ich geboren.
Du bist der starke Schöpfer, der mich schuf;
Du bist das Licht nach fahlen Dämmerungen!
Verachtend ihren Stolz und ihren Ruf
Hält Herzog Urgans Tochter dich umschlungen.

Peredur (aufstehend)
Dein Vater ist . . .

Sigune                         Des Königs rechte Hand.

Peredur Urgan, der Seneschall?

Sigune                                     Kannst du's nicht fassen?

Peredur Nun merk' ich wohl, was dir die Zunge band.

Sigune Wieso?

Peredur           Das ist ein Name, den wir hassen.

Sigune Ihr? Wer?

Peredur               Das Volk. 38

Sigune                                 Da siehst du's: Wißbegier
Soll immer nur verbot'ne Wege schreiten;
Denn dort erfährt man tausend Neuigkeiten.
Setz dich doch wieder her; erzähle mir!
Das Volk haßt meinen Vater?

Peredur                                       Ja.

Sigune                                               Weshalb?

Peredur Man sagt, daß er mitsamt den andern Großen
In all das Elend uns hinabgestoßen,
Das auf uns lastet wie ein böser Alp.

Sigune (belustigt)
Haha, dies Elend trägst du klar zur Schau
Im frischen Purpur deiner drallen Wangen
Und deiner Glieder kraftgedrungnem Bau.

Peredur Prinzeß, was weißt denn du? Zwar Grillen fangen
War nie mein Weidwerk; schwirren sie herbei,
Verscheucht sie meine trällernde Schalmei.
Jedoch die mich gelehrt das Rohr zu schnitzen,
Ein Roß zu meistern, einen Pfeil zu spitzen,
Den Fisch zu schnellen aus der kühlen Flut,
Den Bären zu erlegen und die Nester
Des Adlers zu bestehlen um die Brut,
Wo sind sie hin? Ein Bruder, eine Schwester,
Sie dir an Schönheit gleich, er mir an Kraft,
Sie wurden von des Herdes Feuer –
Ich war ein Kind noch – mit Gewalt entrafft, 39
durchs Los verdammt zu bittrem Sklavenbrod,
In Feindesland geschleppt als Menschensteuer,
Und Vater, Mutter grämten sich zu Tod.

Sigune So hast du niemand mehr von deiner Sippe?

Peredur (kopfschüttelnd)
Oheim und Vettern zogen aus dem Land
Zum gallischen Britannien überm Meer,
Nachdem der Angelsachsen siegend Heer
Ihr Vieh hinweggetrieben von der Krippe,
Ihr Gut verwüstet und ihr Haus verbrannt.

Sigune Drum haßt ihr meinen Vater? Was vom Feind
Euch Übles ward getan, hat er's verschuldet?
Ist dies die Meinung?

Peredur                           Ja, das Volk, das meint,
Derlei hätt' unser König nie geduldet,
Wenn schlimmer Rat ihm nicht den Arm gelähmt.

Sigune Den also liebt das Volk?

Peredur                                   Warum so lange
Hätt' es den aufgestauten Grimm bezähmt
Und Not und Schmach erlitten ohne Laut,
Als weil es fest auf seinen König baut?

Sigune Was wißt denn ihr vom König? 40

Peredur                                             Was im Sange
Der Barden klingt; was uralt fromme Mären
Und heil'ge Seher von ihm prophezei'n:
Der König wird sein armes Volk befrei'n,
Der Krone Gold mit neuem Glanz verklären.
Er hält sich nur in Einsamkeit gehüllt,
Um, wenn das Maß der Zeiten ist erfüllt,
Sich doppelt groß und herrlich zu bewähren.
Dann, wie der Sonne langersehntes Licht
Mit eins durch aufgetürmte Nebel bricht,
Wird er die schlaffen Schädlinge verjagen,
Die seinen Thron umstehn; mit Schwert und Schild
Vorreitend seinem Heer ins Kampfgefild,
Des Ahnherrn goldne Rüstung wird er tragen,
Der räuberischen Feinde Macht zersplittern
Und, wie der Geist der Väter ihm befiehlt,
Das Britenreich aus allen Ungewittern
Rückführen zu so stolzen Ruhmestagen
Wie weiland, als mit nie besiegten Rittern
Artus der Große Tafelrunde hielt.

Sigune So, Liebling, sieht im Spiegel eurer Sagen
Der König aus. Nun aber hör' und staune,
Du gläubig Kind, wenn ich ins Ohr dir raune,
Wie sehr sein Wesen diesem Traumbild fremd.
Der wirkliche, dem auf dem Siechenbette
Nun Atemnot die enge Brust beklemmt,
Ward nie durch meines Vaters Rat gehemmt;
Nie sann er nach, wie er sein Volk errette.
Der war von Jugend an ein müder Greis,
Ein Weichling, bebend vor dem eignen Schwerte, 41
Ein Zwitter, der den Liebespreis
Von keinem Weibe je begehrte;
Ein Puppenmann, der nicht einmal im strengsten
Absondrungskreise frei die Glieder rührt
Und all sein Lebtag nichts im Schild geführt
Als essen, trinken, schlafen und sich ängsten.

Peredur Und wird uns nie den Weg zum Siege bahnen?
Auch nicht in ferner Zukunft?

Sigune                                         Nimmermehr.
Die goldne Rüstung seines Ahnen,
Für ihn, den Enkel, ist sie viel zu schwer.

Peredur Unmöglich!

Sigune                     Zweifelst du?

Peredur                                       Was würde dann
Aus uns?

Sigune           Wenn's euch erquickt, glaubt weiter dran.

Peredur (heftig)
Sag niemand, was du mir gesagt! Kein Wort!
Ich selber will es tief in mir vergraben.
Wer Menschen, die nur eine Hoffnung haben,
Um die beraubte, der beginge Mord!

Sigune Wie schön des Eifers Glut auf deiner Stirne!
Wirf Scheite nach! Laß lodern! 42

Peredur (abschüttelnd)                     Ei, wozu?

Sigune Ist doch am ganzen Hof kein Mann wie du.

Peredur (in seinen anfänglichen Ton zurückfallend)
Und rings im Sprengel gibt es keine Dirne,
Die dir das Wasser reicht.

Sigune                                   Ja, Peredur,
Fortlächeln wollen wir, was quält und irrt.
Ich bin nicht mehr Prinzeß, du nicht mehr Hirt.
Zwei Kindern gleich auf einer Blumenflur
Laß uns die Rosen dieser Stunde pflücken.

Peredur Ich will's, und müßt' ich sie dabei zerdrücken.

(Er küßt sie auf den Mund)

Zehnter Auftritt

Vorige. Elinod. (Gleich darauf) Herzog, Jovelin.
(Zuletzt) Godo.

Elinod (rasch von links vorn)
Man kommt! Hinweg!

Peredur (sich umsehend)       Wohin denn?

Sigune                                                   Folg ihr nur!

Peredur Seh'n wir uns wieder?

Sigune                                   Bald. 43

(Während Elinod ihn zur Tür Hintergrund links bringen will, treten Herzog und Jovelin von links vorn ein und versperren so den Weg)

Herzog (im Auftreten, zu Jovelin, verzweiflungsvoll)
                                                Es gilt das Letzte,
Das Äußerste!

Elinod (erschrocken haltmachend, flüstert)
                      Zu spät!

Peredur (zu Sigune zurückgewendet, leise)
                                  Was soll ich . . .

Sigune (leise)                                               Weile
Und fürchte nichts.

Herzog (zu Jovelin)         Schickt Boten aus in Eile!
Urväterweisheit, töricht unterschätzte,
Von Gegengiften, Formeln, Spezerei'n
Geht um im Volk. Laßt in die Gassen schrei'n,
Wer Mittel wisse zu des Königs Heile,
Dem öffne reichster Lohn des Glückes Tor.
        (Er bemerkt Peredur, scharf)
Was ist das für ein Mensch? Wer ließ ihn ein?

Sigune (sich mit Peredur durch einen raschen Blick verständigend)
Er kam, mein Vater, deinem Ruf zuvor.

Jovelin (der gehen wollte, kehrt um)
Wie?

Herzog     Dieser . . .

Sigune                     Möchte seine Kunst erproben
Und bat um Einlaß drum. Mit jedem Kraut,
Mit Sprüchen und Beschwörungen vertraut,
Hat er manch tödlich Übel schon behoben. 44

Herzog (zu Peredur)
Du, Bursche, traust dir zu . . .

Peredur                                       Je nun, mir ist bekannt,
Wie man die Pest bespricht, den Teufel bannt . . .

Herzog (zu Jovelin)
Jetzt heißt es blind nach jedem Strohhalm fassen.
        (zu Peredur)
Folg uns!

(Man hört dumpfes Gemurmel von außen her)

Godo (durch die Galerie kommend)
                Herr Seneschall . . .

Herzog (ungeduldig)                         Was noch?

Godo                                                             Die Massen
Da drunten fordern ungestüm das Ende
Der dumpfen Spannung; ihre Führer pochen
Von neuem an die Pforte; fest versprochen
Sei noch vorm Abend eine günst'ge Wende.

Herzog (aufstampfend vor Ratlosigkeit)
Was noch? Was noch?

Godo                               Ihr dringlicher Begehr
Ist, von Euch selbst die Wahrheit zu ergründen.

Jovelin Herzog, das Schweigen hilft nichts mehr.
Wir müssen endlich irgendwas verkünden. 45

Herzog Sie sollen warten! (Zu Peredur) Folg mir!
        (Er geht zur Tür links vorn, zurückprallend)   Was ist dies?

Elfter Auftritt

Vorige. Kaplan (und) Leibarzt (treten langsam, gesenkten Hauptes aus der Tür links vorn. Dann) Limors, Geraint.

Kaplan (tonlos)
Der Himmel schickt's. Wir müssen drein uns fügen.

Leibarzt Ich tat, was ich vermocht. Wer darf mich rügen,
Wenn Menschenwitz als Stückwerk sich erwies?

Jovelin (aufschreiend)
Der König . . . ?! Nein! Sagt nein, ich bitt' Euch!

Herzog (dumpf)                                                       Tot?

Kaplan Nach Gottes unerforschlichem Gebot
Hat er zu seinen Vätern sich versammelt. –

(Limors und Geraint, die beiden bejahrten Kammerdiener des Königs, erscheinen weinend auf der Schwelle der Tür links vorn, bleiben dort stehen)

Leibarzt In dieser treuen Diener Armen schlug
Sein Herz den letzten müden Schlag.

Herzog                                                 Genug! –
Godo, die Türen alle fest verrammelt!
Niemand geht ein und aus! (Zu den Frauen) Ihr bleibt! 46
        (Zu Peredur, der sich entfernen will)                       Du auch!

(Godo verschließt die Tür Hintergrund links und die Kapellentür, geht ab durch die Galerie. – Während Sigune und Elinod rechts vorn stehen, Peredur rechts etwas weiter zurück, tritt der Herzog mit Jovelin, Leibarzt und Kaplan in den Vordergrund links, mit gedämpfter, vor Erregung bebender Stimme)

Der Herrscher, Freunde, den nach unsrem Geiste
Wir lenkten, ist nicht mehr; sein Thron verwaiste.
Doch eh von diesem Schrecknis nur ein Hauch
Verderbenschwanger kann nach außen dringen,
Laßt uns mit möglichst kaltem Blut den Dingen
Ins Auge schau'n.

Jovelin (außer sich)       Haha, mit kaltem Blut!
Könnt Ihr uns schützen vor des Volkes Wut?
Wer soll der Herrschaft Zügel nun ergreifen?
Gehorcht man Euch? Gehorcht man Lanzelot?
Wird nicht im tollsten Wirrwarr zum Schafott
Man uns, die Sündenböcke, schleifen?

Herzog (mit Blick nach rechts)
Sprecht leiser!

Jovelin                 Pah, wenn einem an der Kehle
Das Messer sitzt . . .

(Godo, von vier Palastdienern gefolgt, ist zurückgekehrt)

Godo (fällt vorm Herzog auf die Knie)
                                Herr!

Herzog                                     Was denn?

Godo                                                         Ich bin alt.
Doch sterben möcht' ich noch nicht gar so bald. 47

Limors, Geraint und die vier Diener (gleichfalls knieend)
Herr, schirmt uns!

Godo (wimmernd)         Glaubt mir, keine Menschenseele
Bleibt im Palast lebendig, wenn sie's wissen.
Den Haß wird noch verschärfen ihr Verdacht,
Wir wären's, die den König umgebracht.
Glaubt mir, in Stücke werden wir gerissen!

(Der Herzog sieht finster auf die Knieenden, die andern starren entgeistert vor sich hin)

Sigune (zu Peredur)
Ist's richtig, Peredur? Sind wir verloren?

Peredur Ihr und das Volk, das nichts mehr hassen kann.
Doch ihr zuerst.

Sigune (eindringlich)   So rett' uns!

Peredur (mit Entschluß vortretend)   Hört mich an!
Durch rechte Kunst wird auch der Tod beschworen.

(Alle blicken nach ihm hin)

Herzog Wie? Du – du willst . . .

Peredur                                   Eh man die Waffen streckt,
Wär' etwa noch ein Mittel auszuspüren . . .

Herzog Ein Mittel, das ihn wieder auferweckt?

Peredur Ja. 48

Leibarzt     Wahnsinn, von Altweibern ausgeheckt!

Kaplan An Wunder glauben, heißt schon sie vollführen.

Jovelin (zu Peredur)
Tu's! Weck ihn, guter Mann! Es soll dein Schade
Nicht sein; man wird mit Gold dich überhäufen;
Der König selbst wird seine höchste Gnade,
Sobald er wieder lebt, aufs Haupt dir träufen.

Herzog Komm und versuch's!

Peredur                                 Nein, so vermag ich's schwerlich.
Mit dem da drinnen ist es wohl vorbei.

Herzog Wozu dann deine Prahlerei?

Peredur Jedoch dem König, der im Volke lebt,
Als Halt und Anker allen unentbehrlich,
Für den die Menge drunten bangt und bebt;
Dem König, dessen Mantel purpurfarb
Euch, uns, das Reich umhegt mit seinen Falten,
Dem, scheint mir, läßt das Leben sich erhalten.

Jovelin Wieso?

Leibarzt           Wodurch?

Peredur                           Der ist und bleibt lebendig,
Solang ihr selbst nicht aussprengt, daß er starb. 49

Herzog Was heißt das?!

Peredur                         Kamt nicht ihr allein ihm nah?
Vor allen übrigen verbarg
Er sich genau so tief und so beständig,
Wie jetzt er sich verbergen wird im Sarg.
Muß man, um noch zu glauben, er sei da,
Mehr von ihm seh'n, als man bis heute sah?

Jovelin Vielleicht . . .

Kaplan                     Am Ende . . .

Herzog                                         Bursch, du redest klug.
Doch bald bemerken würde man den Trug,
Da Tag für Tag bisher der König offen
In seiner Sänfte sich dem Volke zeigte.

Peredur Zurückgelehnt, verdeckt von schweren Stoffen,
Rings eingezirkt von seiner Höflingstruppe!
Luchsaugen nur gewahrten Wams und Hut
Und einen Kopf, der nie sich grüßend neigte.
Das könnte, will mich dünken, eine Puppe,
Die seine Kleider trüge, grad so gut.

Kaplan Wahrscheinlich!

Jovelin                         Sicherlich!

Peredur                                         Seht, wenn dem Bauer
Kein Wächter ist zur Hand, der auf die Dauer 50
Vom frischen Saatfeld ihm die Spatzen scheucht,
Dann tut es, ausstaffiert mit Mütz' und Rock,
Der erste beste Bohnenstock:
Der wirkt und schreckt als wie ein ganzer Mann,
Weil allen Spatzen er leibhaftig deucht,
Und auf die Spatzen kommt es an.

(Von außen her neues, stärkeres Gemurmel)

Jovelin (den Herzog beiseite nehmend)
Herzog, wir dürfen uns nicht lang besinnen.

Kaplan (hinzutretend)
Es ist ein Fingerzeig der Himmelsmächte!

Leibarzt (ebenso)
Kein andrer Weg, dem Unheil zu entrinnen.

Sigune (ebenso)
Mein Vater, zweifle nicht, er riet das Rechte.

Jovelin Welch ein Gewinn, wenn wir nur Zeit gewinnen!

Leibarzt Nur bis die nächsten Sorgen sich geklärt . . .

Kaplan Nur bis dem Herold Antwort wir gegeben,
Der in drei Tagen wiederkehrt . . .

Herzog Sei's drum! Der König bleibt vorerst am Leben.
        (In die Mitte tretend und das Kreuz des Kaplans ergreifend, feierlich)
Ihr alle, Zeugen dieser Schicksalsstunde,
Schwört auf dies Kreuz, daß ihr verdammt wollt sein
Zu jeder zeitlichen und ewgen Pein,
Eh daß ein sterblich Ohr aus eurem Munde, 51
Bis man vom Eid euch löst, ein Wort soll hören,
Verratend unsres Königs Tod.

Alle                                             Wir schwören. –

(Abermaliges Gemurmel)

Herzog Godo, den Einlaßheischenden erschließe
Die Pforten; zum Empfang sind wir bereit.

(Godo ab durch die Galerie)

Peredur (zum Herzog)
Kann ich nun geh'n?

Herzog                           Du bleibst.

Peredur                                           Hab' anderweit
Auch noch Geschäfte . . .

Herzog                                 Wenn man dich entließe,
Wer könnt' uns gutstehn, daß du schweigst?

Peredur                                                           Mein Eid.

Herzog Dein Bleiben gibt uns doppelte Gewähr.
Einstweilen wirst du wohlbewacht hier wohnen.

Sigune (vielsagend)
Und eh du gehst, muß man dich doch belohnen. 52

Zwölfter Auftritt

Vorige. (Von) Godo hereingeführt, kommen durch die Galerie) Schaffilor (der eine kleine Harfe umgehängt trägt), Florant, Frimutel, Garel. (Abendrot)

Florant Herr Seneschall und all ihr Herrn umher!
Des Volkes Angst, bedrohlich angeschwollen . . .

Herzog Hört eures Königs Botschaft! Tief bewegt
Vom Anteil, den sein Volk für ihn gehegt,
Läßt er durch mich erneuten Dank euch zollen,
Daß ihr, ob ungleich auch an Sinnesart,
Euch um den Thron in gleicher Treue schart.

Florant Doch sein gefährlich Siechtum . . .

Herzog                                                     Ist gewesen!
Geht hin und bringt die Glücksgewißheit allen,
Der königliche Kranke sei genesen.

Garel Dann sind's auch wir!

Herzog                               Und morgen wie zuvor
Wird seine Sänfte durch die Straßen wallen.

Florant (zu Garel)
Auf! Ruft's hinab! Laßt's mächtig widerhallen
Aus tausend Kehlen!

(Garel ab durch die Galerie) 53

Frimutel                         Barde Schaffilor,
Ein Freudenlied!

Schaffilor                 Ich hab' es schon erfunden,
Und künden soll's, mit Harfenklang vereint:
Der König, siegend über jeden Feind,
Hat auch die Krankheit glorreich überwunden!

(Florant, Frimutel, Schaffilor ab durch die Galerie. – Von außen her frohe Rufe der Volksmenge)

Herzog (zu Jovelin, Kaplan und Leibarzt)
Was noch zu tun, beraten wir's geschwind!

(Er geht mit ihnen zum Ausgang unter dem Altan)

Kaplan Hört ihren Jubel!

Jovelin                           Besser als ihr Wüten.

Herzog (auf Peredur zeigend)
Und diesen da . . .

Sigune                         Den laßt nur mich behüten.
Ich bürge, daß er nicht entrinnt.

(Sie tauscht, während die Großen links vorn abgehen, mit Peredur verheißende Blicke) 54


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