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2.

Nachdem auf solchen Wanderungen
Manch reizend Fleckchen sich dem Jungen
Erschlossen, führte sein Begleiter
Auf nie zuvor betretnem Pfad
Ihn eines Morgens weit und weiter,
Aufwärts und abwärts, krumm und grad.
Bald war kein menschlich Wesen rings
Und auch kein Haus mehr zu entdecken;
Doch unaufhaltsam weiter ging's.
Schon türmte hinter öden Strecken
Sich des Gebirges steile Mauer;
Das Tal, von Felsen eingezwängt,
Ward allgemach zur Schlucht verengt,
Und endlich, von des Marsches Dauer
Erschöpft, hätt' Aladdin sich gerne
Zur Rückkehr wieder umgewandt;
Sein Oheim aber sprach: »Halt' stand!
Ist unser Ziel doch nicht mehr ferne.
Noch ein paar Schritte durch das Tal –
Was ich sodann dir zeigen werde,
Das wirst auf der gesamten Erde
Du nicht erspähn zum zweitenmal.«

So setzten ihren Weg sie fort
Und kamen bis zu einem Ort,
Den riesenhafte Felsenwälle
Allseitig schienen zu verrammeln.
Der Oheim rief: »Wir sind zur Stelle!«
Er hieß ihn trocknes Reisig sammeln,
Schlug Feuer, das bald lustig sprühte,
Warf Räucherwerk aus einer Düte
Hinein und murmelte dann leise,
Sobald sich Qualm und Schwefelduft
Verbreiteten in dichtem Kreise,
Seltsame Formeln in die Luft.

Da gab's ein Krachen und ein Beben,
Als stürzten Erd' und Himmel ein;
Zutage trat ein Quaderstein
Und in der Mitte dran, zum Heben,
Ein Ring aus Eisen. Aladdin,
Von Angst geschüttelt, wollte fliehn;
Der Oheim aber hieb sogleich
Ihm einen solchen Backenstreich,
Daß ihm der Kopf geriet ins Wackeln,
Und sprach: »Mein Sohn, ich bin dir jetzt
Als zweiter Vater vorgesetzt;
Kein Sträuben duld' ich und kein Fackeln.

Aladdins Oheim murmelt eine Zauberformel

Gehorch' mir, und du wirst erproben,
Wie sehr dir's frommt. An diesem Platz
Liegt ein für dich bestimmter Schatz,
Der, wenn du glücklich ihn gehoben,
Dich reicher macht als alle Reichen
Der ganzen Welt. Den Quaderstein
Darf niemand außer dir allein
Berühren; dir nur wird er weichen.«

Und richtig, als nach bangem Säumen
Der Bursch am Eisenringe zog,
Konnt' er den Stein beiseite räumen,
Obwohl er hundert Zentner wog,
Und er gewahrte drunter Stufen
Nebst einer Tür. »In diesen Schacht
Zu steigen bist nur du berufen,«
Begann der Oheim; »drum gib acht
Auf alles, was ich nun dafür
Zu deinem Schutz dir anempfehle.
Geöffnet findest du die Tür;
Sie führt in drei gewölbte Säle.
In jedem stehn vier große Becken
Voll Gold und Silber; doch Iaß ab,
Die Hand nach ihnen auszustrecken.
Schürz' auch dein Kleid und gürt' es knapp;
Denn streift es irgendwo die Wände,
So mußt du deinen Tod erwarten.
An jenes dritten Saales Ende
Wird auftun sich vor dir ein Garten,
Bepflanzt mit Bäumen mannigfalt,
Ein jeder voll mit Frucht behangen.
Geh' nur gradaus, dann wirst du bald
Zu einer Treppe hingelangen;
Ersteige sie getrost: sie mündet
Auf eine stattliche Terrasse;
In einer Nische angezündet
Steht eine Lampe dort. Die fasse,
Verlösch' sie, gieß' die Flüssigkeit
Mitsamt dem Docht heraus, verhülle
Sie sorgsam unter deinem Kleid
Und bring' sie mir. Wenn dich die Fülle
Des Gartens etwa lockt, so pflück'
Auf deinem Weg hierher zurück
Dir von den Früchten nach Belieben.
Und nun, zu deinem eignen Glück
Befolg', was ich dir vorgeschrieben.«
Er steckte noch für jeden Fall
Ihm einen Ring an seinen Finger;
Der werde sich als Hilfebringer
Bewahren stets und überall.

So stieg denn Aladdin hinunter;
Die Säle fand er laut Bericht,
Berührte deren Wände nicht,
Kam in den Garten, eilte munter
Hinan die Treppen zur Terrasse,
Sah Nisch' und Lampe dort, verfuhr
Streng nach Geheiß, damit er nur
Vom Auftrag keinen Punkt verpasse,
Und kehrte, nun er unterm Kleide
Die Lampe sicher hielt verwahrt,
Zum Garten um. O Augenweide!
Denn Früchte von verschiedner Art
Trug leuchtend jeder Baum zur Schau,
Teils hell, teils dunkel, weiß und blau,
Rot, gelblich, violett und grün,
Und allesamt in buntem Scheine
Durchsichtig wie von innrem GIühn.
Es waren lauter Edelsteine.
Da flammten, funkelten und brannten
Türkise, Perlen, Diamanten,
Smaragd, Rubin, Saphir, Topas
Von gänzlich beispiellosem Werte.
Doch Aladdin, der unbelehrte,
Hielt sie für nur gefärbtes Glas.
Er hätte lieber von den Zweigen
Sich süße Trauben oder Feigen
Gepflückt; als Spielzeug aber war
Der bunte Tand ganz annehmbar.
Drum nahm er sich von jeder Sorte,
So viel er in die Taschen zwang,
Schritt die drei Säle sacht entlang
Und kam zurück zur Eingangspforte.
Den Oheim, der mit allen Zeichen
Der Ungeduld hier Wache stand,
Bat er, zur Hilf' ihm seine Hand
Beim Ausstieg aus dem Schacht zu reichen.
Der aber rief in einem groben
Befehlerton: »Die Lampe her!«
»Du sollst sie haben nach Begehr,«
Sprach Aladdin, »sobald ich oben.«
Der Oheim schrie mit steter Steigrung.
»Die Lampe!« Doch voll Eigensinn
Blieb Aladdin bei seiner Weigrung:
»Wart', bitte, bis ich oben bin.«
Des Oheims Wut ward ungeheuer;
Schnell goß er Räucherwerk ins Feuer,
Indem er eine Formel schnaubte.
Der Quader klappte drauf im Nu
Dem Aladdin grad überm Haupte
Wie eines Kastens Deckel zu. –

Wer wird aus diesem Oheim klug?
Ein Bruder Mustaphas? Behüte!
Verwandtschaft, Rührung, Herzensgüte
War samt und sonders Lug und Trug.
Ein Zaubrer war's, nicht hier geboren,
Nein, fern in Afrika daheim,
Und hatte diesen Vogelleim
Aus gutem Grund sich auserkoren.
Nachdem er nämlich festgestellt
Durch Hexerei, daß in der Welt
Es eine Wunderlampe gebe,
Die zu der höchsten Macht erhebe,
Ja, Geister fähig sei zu binden,
Hatt' er in einem Zauberbuch
Nach manch vergeblichem Versuch
Den Ort entdeckt, wo sie zu finden,
Und so, von Habgier angefacht,
Flugs auf die Reise sich gemacht.
Doch weil ihm ein Gesetz verwehrte,
Selbst in das Schatzgewölb' zu dringen,
Deswegen war vor allen Dingen
Er einem Werkzeug auf der Fährte,
Das ihm dazu geeignet schien.
Sein Auge fiel auf Aladdin
Als einen unerfahrnen Knaben;
Wenn ihm die Lampe der geschafft,
Dann durch der Zauberformel Kraft
Wollt' er lebendig ihn begraben,
Damit er nichts davon verriete.

Und nun? Gescheitert war der Plan,
Die jahrelange Müh' vertan!
Statt des Gewinnes eine Niete!
Vorzeitig hatte ja sein Zorn
Auf immerdar den Wunderborn
Mitsamt der Lampe zugeriegelt,
Und alle seine Kunst und List
Hätt' ihn kein zweites Mal entsiegelt.
So, mit sich selbst in argem Zwist,
Von Grimm gefoltert und von Scham,
Vermied er's, länger zu verweilen,
Und reiste wieder tausend Meilen
Dahin zurück, woher er kam.


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