Jean Froissart
Von dem Leben u. Sterben des Grafen Gaston Phöbus von Foix u. von dem traurigen Tode seines Kindes Gaston
Jean Froissart

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Den andern Tag kamen wir gen Sonnenuntergang nach Ortais, der Ritter stieg bei seiner Wohnung ab und ich in dem Hause »Zu dem Mond« bei einem Stallmeister des Grafen, der sich Arnauton du Pin nannte und mich sehr freudig aufnahm darum, daß ich ein Franzose war.

Messire Espaing du Lion ging auf das Schloß und sprach dem Grafen von seinen Geschäften, den er in seiner Galerie fand; denn zu dieser Stunde ein wenig vorher hatte er zu Mittag gegessen, und die Gewohnheit des Grafen von Foix ist oder war damals so, und hatte er es immer also von Kindheit an gehalten, daß er gen Mittag aufstand und um Mitternacht zu Nacht aß. Der Ritter sagte ihm, daß ich gekommen sei. Es ward sogleich nach mir geschickt, denn es war oder ist wohl kein Herr auf der Welt, der lieber Fremde sähe oder Neuigkeiten hörte, als er.

Als er mich sah, ließ er mir gar wohl anrichten und behielt mich auf seinem Schloß, wo ich mehr als zwölf Wochen blieb und mein Pferd wohl versorgt, ich auch mit allen andern Dingen trefflich versehen war. Die Annäherung von ihm zu mir war für diesmal, daß ich ein Buch mit mir gebracht hatte, welches ich auf Begehren zur Betrachtung Venzeslaus von Böheim, Herzogen von Luxemburg und Brabant, gemacht habe, und sind in diesem Buche, das »Der Meliader« heißt, alle die Lieder, Balladen, Rondeaus und Virelais enthalten, die jener kunstreiche Herzog zu seiner Zeit gemacht und meinen Erfindungen darüber einmischen lassen. Dieses Buch sah der Graf von Foix sehr gern, und alle Nacht nach dem Abendtisch las ich ihm daraus vor; aber während ich las, durfte keiner weder mit ihm sprechen noch ein Wort sagen, denn er wollte, daß ich wohl verstanden würde, und hatte er auch ein großes Vergnügen, alles deutlich zu vernehmen, und wenn auch irgendeine Sache vorkam, auf welche er einging, sprach er sehr gern mit mir darüber, nicht in seinem Gascognischen, sondern in gutem und schönem Französisch. Nun will ich einiges von seinem Wesen und seinem Schlosse erinnern, denn ich war lang genug dorten, um manches davon wissen zu können.

Der Graf Gaston von Foix, von welchem ich rede, war zu dieser Zeit ohngefähr 59 Jahr' alt, und ich sage euch: habe ich zu meiner Zeit gleich viele Ritter, Könige und Prinzen gesehen, so ist mir doch keiner vorgekommen, der von so schönen Gliedern, von so schöner Gestalt, noch von so schönem Wuchs, fröhlichem Angesicht, blutvoll und lachend war. Er hatte grünlichte Angen, die sahen gar liebreich dahin, wo er seinen Blick hinzuwerfen beliebte. In allem war er so vollkommen, daß man ihn nicht genug loben konnte; er liebte, was er lieben, und haßte, was er hassen sollte. Ein kluger Ritter war er und von hohem Unternehmen und voll guten Rats. Nie hatte er einen Zweifelmütigen um sich, er war ein ernster Mann in der Regierung, er betete stehend täglich eine Nocturne des Psalters, eine Hora von Unsrer Lieben Frau, von dem Heiligen Geist, von dem Kreuz und die vigilia mortis. Alle Tage ließ er fünf Gulden kleiner Münze zu Gottes Lohn und Almosen an seiner Türe jeglichen Armen verteilen. Er war prächtig und höflich in Gaben und wußte sehr wohl zu nehmen, wo es sich gehörte, und zu geben ebenso. Er liebte die Hunde über alle Tiere und ergötzte sich in den Feldern sommers und winters gerne mit der Jagd. Nie liebte er tolle Verschwendung noch tolle Pracht und wollte alle Monat wissen, was aus dem Seinigen geworden sei. Er nahm aus seinem Land, um die Einnahme zu empfangen und seiner Leute Sold zu ordnen, ansehnliche Männer, und zwar deren zwölfe, und von zwei Monat zu zwei Monat ward er von zweien ans ihnen in seiner Einnahme bedient, die dann mit zwei andern in dem Geschäfte wechselten. Aus seinem vertrautesten Mann machte er seinen Gegenrechner; dieser nahm von den andern alle Rechnungen auf und legte dieselben schriftlich dem Grafen wieder ab. In seiner Stube hatte er gewisse Kasten, aus welchen er manchmal Geld nehmen ließ, um es den Edelleuten, Herrn oder Hofdienern, zu geben, die zu ihm kommen; denn nie verließ ihn jemand ohne ein Geschenk, und stets vermehrte er seinen Schatz, um die Zufälle und Schicksale ruhig erwarten zu können, deren er sich vermutete. Er war herablassend und zugänglich jedermann und redete freundlich und liebreich mit allen; kurz war er in seinen Entschlüssen und Antworten.

Er hatte vier geistliche Geheimschreiber, Briefe zu schreiben und zu beantworten, und wenn es ihm beliebte, daß diese vier Schreiber sich fertig hielten, sobald er aus seinem Gemache heraustrat, rief er weder Jean noch Gauthier noch Guillaume, sondern wenn man ihm Briefe brachte und er sie angenommen, rief er sie nur Melmesert (Dien-mir-schlecht), entweder zum Schreiben oder für alles andre, was er ihnen befahl. Also, wie ich euch sage, lebte der Graf von Foix.

Und wenn er aus seiner Stube um Mitternacht in seinen Saal zum Nachtmahl kam, so trugen zwölf Diener zwölf brennende Fackeln vor ihm her, und diese zwölf Fackeln blieben um seinen Tisch herum, welches in dem Saal eine große Helle verursachte. Dieser Saal war angefüllt mit Rittern und Hofleuten, und stets waren eine Menge Tische gedeckt, zu essen für die, die essen wollten. Keiner sprach zu ihm während der Tafel, wenn er ihn nicht darum anredete. Er aß gewöhnlich eine Menge Geflügel und besonders die Flügel und Schenkel allein, und den übrigen Tag aß er und trank er wenig.

Große Freude empfing er an den Tönen der Harfenschläger, denn er verstand sich wohl darauf. Gern ließ er seine Schreiber Lieder, Rondeaus und Virelais singen; er saß zu Tische ohngefähr zwei Stunden, auch sah er gern allerlei wunderbare Zwischenspiele und schickte sie, sobald er sie gesehen, zu den Tischen der Ritter und Hofdiener. Kurz, an so vielen Höfen von Königen, Herzogen, Prinzen, Grafen und hohen Damen ich auch war, gefiel es mir nirgend so wohl, und fand ich nirgend ritterliche Sitte so wohl bestehend. Man sah in dem Gemache, in dem Saal und Hof Ritter und Ehrendiener auf und ab wandeln, und hörte man sie von Waffen und Liebe sprechen, und alle Ehre ward darin gefunden.

Was nur irgend Neues in einem Land oder Königreich vorgefallen, mochte man da wohl vernehmen, denn von überall trafen hier der Würde des Herrns wegen die Nachrichten ein. Da hörte ich den größten Teil aller Kriegshandlungen ans Spanien, Portugal, Arragon, Navarra, England, Schottland und von den Grenzen Languedocs; denn während meinem Aufenthalt sah ich da Boten und Ritter von allen Nationen anlangen, die mich gern unterrichteten, wie auch der Graf selbst, der mir oft davon sprach.

Sehr gern hätte ich gefragt, da ich den Hof des Grafen so prächtig und im Überflusse fand, was aus Gaston, seinem Sohn, geworden, und wie er gestorben sei – denn Messire Espaing du Lion hatte es mir nicht sagen wollen –, und erhielt endlich, daß ein alter Hofmann, ein sehr ansehnlicher Mann, mir es sagte.


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