Gustav Freytag
Marcus König
Gustav Freytag

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7. Unter den Landsknechten.

Während Georg im Kerkerturm lag, verließ der Magister mit seiner Tochter die Stadt.

Auf dem Deck des Elbingers war in der Eile eine Hütte errichtet, welche den Verbannten mit seinem Haushalt beherbergen sollte, bis er das Gebiet der Stadt Thorn geräumt hätte, dann mochte er auf dem Bordschiff weiterfahren oder aussteigen, wie es ihm gefiel. Die Hütte hatte Philipps Eske durch seinen Vater dem Schiffer anbefohlen, und der treue Knabe wich den Flüchtigen in den letzten Stunden ihres Aufenthalts nicht von der Seite. Doch nicht er allein war der Pflichten eingedenk, welche dem lateinischen Schüler gegen seinen Lehrer oblagen, auch ein Haufe der kleinen Schützen trug sich mit dem Reisegepäck des Vaters, und vor andern die Armen, welche an seinem Tische Kost und freundlichen Zuspruch gefunden hatten. Lips machte sich auf dem Schiffe bei dem Gepäck und den Schiffsleuten zu tun, um der Unterhaltung mit den Scheidenden auszuweichen, denn ihm war das Herz schwer und er fürchtete wegen des Gefangenen ausgefragt zu werden. Er hatte dem Ratsdiener und dessen Frau ernsthaft geboten, die Traurigen nicht durch Reden über die Gefahr des Freundes noch tiefer zu kränken. Aber seine Vorsicht nützte wenig, denn wenn auch der Magister für seinen Schüler noch Gutes von der vornehmen Freundschaft hoffte, Anna erkannte deutlich aus den Mienen ihrer Wirte und aus den zögernden Antworten des Pylades, daß Georg in furchtbarer Bedrängnis zurückblieb. Sie saß stumm und teilnahmlos auf dem Verdeck, hielt das Hündlein in ihrem Schoß und blickte unverwandt nach den Türmen der Stadt, welche sie in Feindschaft verlassen sollte. Nur einmal, als Philipps vorüberging, frug sie: »wo weilt er jetzt?« da vergaß der Gefragte selbst die Behutsamkeit und antwortete traurig: »Ihr könnt von hier den Turm nicht sehen;« sie aber senkte das Haupt und frug nicht mehr. Als in den letzten Stunden des Nachmittags der Schiffer alle Fremden aufforderte, das Deck zu verlassen, bot Lips dem Magister und Anna die Hand und vermochte nichts vorzubringen als: »ich danke für alles Gute, Herr Vater; laßt mich in kurzem wissen, wohin ich Euch Nachricht senden soll;« dem Schiffer raunte er noch zu: »sorgt für meinen Herrn Vater, wenn Euch an dem guten Willen der Thorner gelegen ist,« und schwang sich ans Land. Die Schützen aber standen gedrängt am Rande des Ufers und als der Magister ihnen vom Deck den Scheidegruß zurief und sie aufforderte, guter Lehre eingedenk zu sein, da schrien die größeren ihre lateinischen Abschiedsworte mit heiseren Stimmen und die Kleinen schluchzten. Der Elbinger rief seine Schiffskinder zusammen, sprach die Reisebitte zur heiligen Jungfrau und drückte das Schiff vom Ufer in die Strömung. »Es ist gegen Schifferbrauch, bei sinkender Sonne an das Steuer zu treten,« sagte er im Vorübergehen zum Magister, »aber die Herren von Thorn haben es diesmal geboten.« Das Fahrzeug glitt schnell stromab, in grauem Nebel schwanden die Türme und Mauern der Stadt, die Gebannten saßen in trübem Schweigen vor ihrer Hütte und starrten hinab auf das Wasser und in die Ferne, welche undeutlich vor ihnen lag, wie ihre eigene Zukunft.

Als Anna am nächsten Morgen aus der Hütte auf das Deck trat, lag das Fahrzeug an der deutschen Uferseite und der Schiffer wies ihr eine Steinsäule auf der Höhe: »Dort ist die Grenze des Stadtgebiets.« Sie stand lange die Augen zum Himmel gerichtet, ach, heut war bei ihren heißen Bitten das Antlitz verstört, die Augenlieder vom Weinen gerötet, aber hätte Georg sie gesehen, sie wäre ihm noch ehrwürdiger erschienen als damals in der Kirche; sie dachte nur an ihn und bat für ihn. Bei dem stillen Flehen wurde ihr das Herz mutiger und sie bot dem Vater, als er zutage kam, einen herzlichen Morgengruß.

»Wir treiben auf öder Flut, hier und dort unwirtliches Gestade, Scylla und Charybdis; aber ich bin besser daran als der Grieche Ulysses, denn ich habe mein liebes Kind bei mir und ich denke doch, daß wir in diesem gelben Wasser nicht auf Menschenfresser stoßen werden.« Und gegen seine eigenen reuigen Gedanken ankämpfend fuhr er fort: »Bei alledem kann ich nicht bedauern, daß ich den Obskuranten am Holzstoß meines Herzens Meinung deutlich gemacht habe.« Aber Anna, die noch in ihrer andächtigen Stimmung war, antwortete: »Ich aber, Herr Vater, habe an dem Unglückstage zu wenig daran gedacht, alles vertrauend dem lieben Gott zu überlassen, denn hätte ich mich vorher mit herzlicher Bitte an ihn gewandt, so würde ich bessere Ruhe und Bedacht gewonnen haben; ich hätte Euch nicht durch die Nachricht von dem Vorsatz der Feinde erschreckt, und es wäre Euch und der Schule leichter geworden, dem Feuer fernzubleiben. Jetzt sind wir beide der Gefahr entronnen, aber einer ist darin zurückgeblieben.« Da schlug der Magister die Hände zusammen und setzte sich stöhnend auf ein Faß. »Mein armer Regulus! Der römische Name, den ich ihm gegeben, ist für ihn von übler Vorbedeutung geworden. Denn wie jenen Konsul halten ihn die Feinde gefangen und wollen über ihn in scharfem Gericht erkennen. Wahrlich, auch dies war ein seltsamer Zufall: die letzte Oration, die ich ihm aufgegeben, war die hochherzige Rede, welche Regulus im römischen Senat halten mußte, da er als Gefangener der Karthager mit Urlaub nach Rom zurückkehrte, er mahnte seine Landsleute, nicht seinetwegen mit den Fremden Frieden zu machen, sondern ihn zum Tode zurückzuliefern. Georg war mit Lust bei der Arbeit, er forderte mit Begeisterung in die Gefangenschaft zurückzukehren und ich freute mich innig über den Vortrag.« Bei dem Gedanken verlor der Magister die Fassung und suchte in den Taschen nach seinem Tuche.

Da wagte das Hündlein zum erstenmal wieder zu bellen und eine feierliche Stimme klang hinter den Traurigen: »Adsum, patres conscripti, adsum captivus et aegre e vinculis solutus. Ich bin da, Herr Magister, dem Gefängnis entronnen, aber ich habe gar keine Lust, dahin zurückzukehren. Guten Morgen, Herr Vater, guten Morgen, liebe Jungfer Anna.« Der Redner sprang über den Bord in das Schiff, aber er vermochte nicht weiterzusprechen, denn Anna wankte, im nächsten Augenblick hielt er sie fest in seinen Armen, er fühlte ihr Haupt auf seiner Brust und zwei Arme, die sich an ihn klammerten, und er küßte sie zum erstenmal auf den bleichen Mund. Der Magister aber saß unterdes wie betäubt auf dem Tönnlein, er hörte eine vertraute Stimme, aber er sah einen wilden Polen in das Schiff klettern, und griff krampfhaft nach seiner Brille, bis er den festen Händedruck seines Schülers fühlte und die heiteren Worte vernahm: »Jetzt ist die Schule wieder beisammen, Herr Magister, und ich denke, der Rat von Thorn soll die Lektionen nicht mehr stören.« Da ging auch dem Magister alle Würde verloren und er umschloß, wie ein Kind weinend, den Geretteten.

Drei Heimatlose saßen zusammen in kalter Morgenluft über dem ungastlichen Wasser, aber sie dachten jetzt wenig an alles, was sie verloren hatten, und die Schule stimmte vergnügt bei, als Georg vorschlug: »ist's Euch recht, Herr Magister, so bleiben wir beieinander; mein Vater will, daß ich zuerst nach Danzig fahre, von dort schreibe ich ihm und erwarte sein Gebot; Ihr aber werdet überall Schüler finden und bessere Dankbarkeit, als in unserer Stadt.« So machten sie in gutem Vertrauen Pläne für die Zukunft; nur Georg sah zuweilen mißtrauisch nach rückwärts und auf die Wege am Ufer, ob er verfolgt würde.

Es war keine mühelose Reise. Das große Fahrzeug trieb bald mit reißender Strömung, bald langsam in seichtem Wasser zwischen angeschwemmten Inseln und zwischen kahlen Dämmen und Lehmhügeln dahin, hier kreiste die Flut in gefährlichem Strudel, dort streifte ein Baumstamm, welcher dahinschwamm oder im Grunde festgerannt war, die Seiten und den Boden. Unablässig arbeiteten die Schiffer mit Stangen und Haken, sich die Fahrt freizuhalten, sie ließen sich gern gefallen, daß Georg Hand anlegte wie einer von ihnen. Sogar der Magister stemmte Hände und Schultern gegen das Ruderholz. Wenn der Abend kam, wurde die Reise unterbrochen, der Schiffer suchte eine Stelle in der Nähe des Ufers, wo er das Tageslicht abwarten konnte, auch in der Nacht mußte ein Wächter Ausguck halten gegen Schollen und treibendes Holz. Der Magister mit seiner Tochter fand zuweilen Herberge am Lande, Georg vermied auf dem Schiffe die Augen der Späher.

So waren sie einige Tage ohne Abenteuer gefahren und trieben mit der Strömung am Ufer eines Landstrichs, welcher im Kriege zwischen dem Hochmeister und den Polen streitig gewesen war. Am Abend kamen sie an einen Ladeplatz, zu welchem von hohem Deiche zwei Wege hinabführten; dort stand am Wasser eine Schenke und Hütten für die Schiffer. Der Elbinger sah unruhig auf die öde Stätte: »Dies gehört noch zum Land des Bischofs von Pomesanien,« sagte er zu Georg, »Polen und Ordensleute sind hier widerwärtig und beide wagen zuweilen Zoll zu fordern.« Georg sprang mit dem Schiffer ans Land, sie frugen in der Schenke, suchten in den Schuppen, bestiegen die Dämme und spähten in die dunkle Landschaft, es war nirgends etwas Unrechtes zu entdecken. Da legte der Elbinger an, der Magister und sein Kind suchten Unterkunft in der Schenke, Georg blieb mit einem Schiffsknecht als Wächter auf dem Fahrzeuge; er stand in der hellen Mondnacht lange auf dem Deck, stieg wiederholt hinab an das Ufer, umschritt die Hütten und sah von der Höhe in das Land, aber alles lag friedlich in grauem Dämmer. Als der Morgen nahte, hüllte er sich in einen Schiffermantel und legte sich in die Hütte zu kurzem Schlummer. Er erwachte von heftigem Gebell des Hundes, der bei ihm zurückgeblieben war, vernahm auf dem Lande das wilde Geschrei Zankender und erkannte in der Dämmerung auf jedem der beiden Wege, welche an den Deichen hinabliefen, Bewaffnete und Gespanne. »Wir waren die ersten,« schrie eine gebietende Stimme, »und wenn ihr nicht zurückweicht, so werfen wir euch zu den Fischen ins Wasser.«

Im nächsten Augenblick hörte er einen Angstruf Annas und sah die Jungfrau aus der Herberge dem Schiff zueilen. Da warf er sich in mächtigem Satze auf das Land und sprang mit geschwungenem Säbel einigen dunklen Gestalten entgegen, welche die Flüchtige verfolgten. Er schlug kräftig auf die Verfolger ein und schleuderte den ersten, welcher den Arm nach der Geliebten ausstreckte, durch einen Streich des Säbels zur Seite. Gleich darauf war er im Kampf gegen mehrere Feinde, aber wie wild er um sich schlug, er wurde im Rücken gepackt, entwaffnet und an den Händen gebunden. So blieb er mit Anna am Ufer unter Obhut eines finsteren Gesellen, der ihn mit der Hellebarde niederzuschlagen drohte, wenn er sich noch weiter rege. Unterdes dauerte um die Hütten der Zank und das Geschrei fort. Nicht lange, so sprangen Bewaffnete auf das Schiff, die Äxte krachten an Deck und Planken, Wagen rasselten vom Deich herunter an die Ladestelle, Laufbretter und Leitern wurden an den Schiffsbord gelegt und ein Haufe von Männern und Weibern begann die Ladung auszuräumen, welche zum größten Teil in Getreide und in einigem Kaufmannsgut bestand. Beim aufgehenden Frühlicht sah Georg, daß eine ansehnliche Zahl ausgestellter Wachen die Beraubung deckte und daß sie Tracht und Waffen deutscher Landsknechte trugen. Zuletzt vernahm er wieder die Stimme, welche herrisch in dem Tumult gerufen hatte. Ein hoher breitschultriger Mann mit großem rundem Kopf und grauem Bart trat auf ihn zu und rief befehlend: »Botz Velten, Ihr habt's uns sauer gemacht, Mann; schüttet aus, was Ihr in der Tasche habt, denn das ist unser Recht.« Er warf seinen Hut auf die Erde. »Ihr mögt selber Eure Tasche leeren, da Ihr Euch redlich gewehrt habt. Wollt Ihr Euch ergeben und Friede geloben, so steht es bei Euch, sonst schlagen meine Gesellen Euch nieder.«

»Ihr seid die Stärkeren,« versetzte Georg grimmig. »Löst mir die Bande, so will ich Euch für heut Frieden geloben.« Der Landsknecht winkte dem Wächter, Georg sprach das Gelöbnis und schleuderte sein Säcklein mit Geld in den Hut. Der Führer kniete nieder, zählte und teilte in mehrere Häuflein, das größte steckte er mit dem Beutel selbst in die Tasche. »Und jetzt antwortet auf meine Frage, aber wahrhaft, wenn Ihr Leib und Seele zusammenhalten wollt: wer seid Ihr und woher kommt Ihr?«

Georg nannte Namen und Heimat und frug trotzig dagegen: »Und wer seid Ihr, daß Ihr es wagt, an Reisenden Gewalttat zu üben?«

»Holla,« entgegnete der andere, »Ihr seid der Gefangene, Ihr habt zu antworten und ich zu fragen, denn das Eisen hängt über Eurem Haupte. Doch da Ihr Frieden gelobt habt, sollt Ihr wissen, wem die Herrschaft über Euren Leib zugefallen ist. Ihr seid in der Hand freier Knechte aus dem Reich, und ich bin Hans Stehfest, ihr Hauptmann. Führt die Gefangenen das Ufer hinauf,« gebot er seinen Begleitern, »und haltet sie unter Wache, doch getrennt, damit sie sich nicht miteinander bereden. Zu der Frau setzt zwei von den Weibern, die ihr das Weglaufen wehren.«

Auf der Landseite des Deiches schritt Georg die kurze Strecke, welche ihm sein Wächter freigab, in heißem Zorne auf und ab. In der Ferne sah er Anna zwischen Weibern der Bande und ihn tröstete ein wenig, daß diese der Gefangenen gegen den Morgenfrost ein Tuch um die Glieder schlugen. Ajax kam ängstlich von der Höhe gelaufen, der Landsknecht schlug mit dem Spieße nach ihm. »Der Hund gehört der Jungfrau dort,« herrschte Georg den Wächter so gebieterisch an, daß dieser dem Kleinen den Weg freiließ. So verging Stunde auf Stunde, vom Wasser her klang unablässig Geschrei und mahnender Zuruf. Endlich kamen die Wagen mit dem Raube beladen über den Deich und fuhren in Reihe auf. Auf einem lag der verwundete Landsknecht, mit welchem Georg zusammengestoßen war. Als dieser den Gefangenen sah, hob er die geballte Faust und stieß einen schweren Fluch gegen ihn aus. Georg zuckte verächtlich die Achseln. Darauf stieg ein Trupp der Bewaffneten von der Höhe herab, der Hauptmann blies in ein kleines Horn, das er am Halse trug, struppige Pferde wurden vom Grunde herangeführt, die Knechte warfen sich unbehilflich über die Rücken der Gäule und der Hauptmann befahl: »auf die Wagen mit den Weibern,« und nach Georg und einem leeren Pferd deutend: »fort, wir haben Eile.« Der wilde Zug setzte sich, von den Landsknechten geleitet, in Bewegung; der Hauptmann ritt an den Wagen auf und nieder, unter Antreiben und Fluchen ging es vom Flusse ab in das Land hinein.

Georg, der hinter dem Hauptmann ritt, erkannte Anna auf einem Getreidewagen vor sich und er sah, daß sie sich nach ihm umwandte. »Die Jungfrau begehrt uns,« rief er befehlend dem Hauptmann zu, und bevor dieser ihn hindern konnte, jagte er an den Wagen. Anna rang die Hände gegen ihn, »wo ist der Vater?« Er suchte vom Pferde den Zug entlang, der Magister war nirgends zu finden. Da rief er den alten Landsknecht an: »Hochgebietender Befehlshaber, ist eine Frage an Eure Ehrbarkeit erlaubt? Wir waren drei Reisende auf dem Schiff, hier sind nur zwei, was ist aus dem dritten geworden?«

»Ich denke, er reitet ebenso gemächlich nach anderer Seite im polnischen Haufen, wie Ihr mit uns deutschen Knechten, und Ihr werdet ihn schwerlich so bald wiedersehen.«

»Mein Vater,« klagte Anna und in dem Schrecken über ihre Hilflosigkeit sank ihr das Haupt auf die Brust.

»Also Ihr seid die Tochter jenes Mannes,« frug der Landsknecht, »und gehört zu der Freundschaft meines Gefangenen?«

Anna antwortete nicht, doch Georg versetzte ungeduldig: »Die Jungfrau und ihr Vater sind mir wohl bekannt, und ich sage Euch, an ihrem Wohl ist mehr gelegen als an uns allen.«

»Dies also ist eine Jungfer, welche von ihrem Vater abgekommen ist,« wiederholte der Kriegsmann bedächtig, und betrachtete die gebrochene Gestalt von der Seite. »Ihr könnt gemerkt haben,« fuhr er gegen Georg mitteilsamer fort, »daß wir es nicht allein waren, welche die Beute erwarteten, denn ein polnischer Haufe, bei welchem mein alter Gesell Heinzelmann mit seinen Knechten dient, lauerte gleich uns auf das Schiff und wir stießen am Ufer mit ihnen zusammen. Doch wurde der Streit gütlich vertragen, sie haben sich einen Teil der Ladung genommen und auch einen Gefangenen gefordert. Den Polen gefiel der Mann, weil er sie lateinisch anrief, sie halten jeden für vornehm, der dieser Sprache mächtig ist, und sie werden ihn nicht schlechter behandeln, als sie müssen, denn sie hoffen von ihm gutes Lösegeld.«

Anna verbarg ihr Antlitz in den Händen. »Denkt daran, liebe Jungfer,« bat Georg hingerissen von ihrem Weh, »daß Euch ein treues Herz geblieben ist. Solange ich den Arm rühren kann, sollen sie Euch kein Leid tun.«

»Versprecht nicht mehr, als Ihr halten könnt,« warnte der Hauptmann. »Heda, wer trabt dort über das Feld.« Er wies auf einen entfernten Reiter und gebot den Bewaffneten: »treibt den Fremden mit Euren Spießen ab. Doch halt,« verbesserte er sich unwillig, »den langen Gesellen kenne ich. Ich dachte es wohl, das Junkervolk spürt auf Meilen, wo eine Beute zu nehmen ist. Dies ist einer von den Reitern unseres Ordenspflegers. Der Pfleger gedenkt nach seiner Art sich einen Anteil von der Mahlzeit zu holen, die er nicht kochen half.«

Der Reiter kam näher, der Tartarenmantel und die weiße Feder auf der Mütze gehörten einem Adligen im Dienste des Ordens. »Gutes Glück, Hauptmann,« rief er mit rauher Stimme, »Ihr versteht das Wild schnell auszuweiden.« Sein Blick flog begehrlich über die lange Reihe der Wagen. »Hui, auch Gefangene.« Aber im nächsten Augenblick begann er hell aufzulachen, sein Pferd sprang mit allen vieren in die Höhe und schlug darauf mit den Hinterbeinen aus, gleich einem ungezogenen Knaben, der sich über fremden Schaden freut. »Ihr seid es, Jörge, in den Fäusten der Landsknechte? Wo habt Ihr Euren vergoldeten Wagen und wo sind Eure stolzen Artusbrüder? Doch ich sehe, wenigstens die Jungfer führt Ihr mit Euch über die Heide.«

Georg sah wild auf seinen alten Feind Henner, er vergaß, daß er ohne Waffen war und trieb sein Pferd heftig auf ihn zu, aber der Landsknecht fiel ihm in die Zügel. »Hängt euch an ihn und haltet ihn zurück, denn er hat den Teufel im Leibe,« gebot er seinen Leuten. Er ritt dem Ankömmling entgegen, und ließ das Pferd Georgs zwischen den Fäusten zweier Knechte. Während der Zug sich vorwärtsbewegte, verhandelte er mit dem Adligen, und als Georg sich umwandte, merkte dieser, daß der Landsknecht auf ihn selbst zeigte und sich von dem zurückbleibenden Henner berichten ließ. Was er erfuhr, mußte ihm willkommen sein, denn er ritt wiederholt bei Georg vorüber, betrachtete ihn scharf und lachte still in sich hinein.

Sie zogen längere Zeit dahin, so schnell die Gespanne laufen konnten, bis sich vor ihnen die Mauern und Türme einer kleinen Stadt erhoben. Auch dieser Ort war einst von deutschen Kolonisten an dem Wall eines Ordenshauses gezimmert und umschanzt worden. Jetzt hatte das Kriegsfeuer die Scheuern und Außengebäude getilgt und um die Mauern lag verkohltes Holz auf schwarzen Brandstätten. Das Innere bot ebenfalls ein Bild des Verfalls und der Zerstörung, den Kies der Gassen deckte ein Wust von Stroh und Dünger, die Mehrzahl der Häuser war beschädigt, hatten die Fenster einst Scheiben gehabt, jetzt waren sie zerschlagen, die Fensterläden hingen locker in den Angeln, sogar Haustüren waren zertrümmert und als Brennholz verbraucht. Viele Bürger hatten die Stadt verlassen, nur hier und da schlich ein altes Mütterlein ober ein Handwerksmann die Häuser entlang und sah furchtsam auf unwillkommene Gäste, welche herrisch in fremdem Eigentum geboten. Denn ein Fähnlein der Landsknechte hatte sich innerhalb der Mauern festgesetzt und führte seinen wilden Haushalt in den Bürgerhäusern. Wo einst fleißige Hände den Hammer geschwungen und den Hobel gezogen hatten, schlugen jetzt die harten Fäuste trunkener Kriegsleute auf die Tische, und der wilde Troß des Fähnleins, Dirnen und Kinder, schrie aus den Fenstern und balgte sich vor den Türen. Mit hellem Freudenlärm empfing die Bande den heimkehrenden Haufen, Knaben und Mädchen, manche trotz der Kälte halb nackt, andere eingewurstelt in die Kleidung Erwachsener, kletterten an den Wagen hinauf, halbwüchsige Troßbuben griffen begehrlich über den Leiterbaum in die Ladungen, die Dirnen der Bande, bunt aufgeputzt, riefen die Einziehenden an und wechselten mit ihnen dreiste Scherzreden, und bewaffnete Landsknechte liefen aus den Häusern, boten den Genossen die Trinkkrüge und folgten lachend dem Zuge. Über den Markt drängte der lärmende Schwarm nach dem Schlosse, in welchem das Hauptquartier der Knechte war. Am Schloßtor machte der Hauptmann mit seinen Begleitern gegen den Haufen kehrt, gebot dem Troß mit Donnerstimme zurückzubleiben und schlug mit einem Stock unbarmherzig auf die Köpfe der Überdreisten, welche sich hinter den Wagen in den Schloßhof einschmuggeln wollten. Als das Fuhrwerk geborgen war, besetzte er das Tor mit Wächtern und ritt mit seinem Gefangenen in den Hof. Eine feste Mauer mit Scharten und einer Galerie, zur Verteidigung wohl geeignet, umfaßte den Hofraum, gegenüber dem Tor stand ein hohes Steinhaus und daneben ein dicker viereckiger Turm aus geschwärzten Ziegeln, zur Seite lagen Ställe und Scheuern und ein langes niedriges Gebäude mit Kammern und Gewölben zum Aufbewahren der Vorräte. Hans stieg schwerfällig ab und reichte seine große Hand grüßend einem Weibe, das ihm von der Schwelle des Hauses entgegentrat. Es war eine hagere ältliche Frau mit harten Zügen, die in einem verschossenen Gewand von schwerem Seidenstoff daherging, über welches sie vorsorglich eine Schürze gebunden hatte, sie trug am Gürtel neben ungeheurem Schlüsselbund ein langes Messer und schwenkte in der Hand einen großen Schöpflöffel. »Wir bringen,« grüßte der Landsknecht in guter Laune. »Gib auch du, Alte, was der Kessel faßt, denn wir sind hungrig.«

»Wer hat's dem Peter Meffert versetzt,« frug die Frau, nach dem Wagen sehend, von welchem der verwundete Landsknecht durch schreiende Weiber herabgehoben wurde.

»Dieser,« antwortete der Hauptmann auf Georg zeigend, und vertraulich setzte er hinzu: »der Vogel hatte goldene Federn, er soll dafür Gutes aus deinem Kessel erhalten.«

»Die Jutta wird wohl dafür sorgen, daß er's nicht lange genießt,« sagte die Alte, und wies auf eine große üppige Dirne, welche über den Leib des Verwundeten heftige Schmähreden gegen Georg ausstieß. »Aber Blitz und Hagel, was führst du hier für ein Milchgesicht heran?«

Anna wankte von Georg geführt zu der Alten, sie sank, die Hand der Widerstrebenden fassend, lautlos an ihr nieder und sah so flehend und beweglich zu ihr auf, daß die Frau eine mütterliche Empfindung nicht abzuwehren vermochte. Unterdes drückte Georg heftig die andere Hand und bat: »Würdige Frau Hauptmännin, erbarmt Euch der armen Jungfrau mit gutem Herzen.«

Die Alte sah von einem zum andern und antwortete ohne Härte: »Wer im Kriege gefangen wird, muß sein Schicksal ertragen, wenn es ihm auch grausam erscheint. Steht' auf, Jungfer, der beste Dienst, den ich Euch hier erweisen kann, ist der, daß ich Euch einsperre.« Sie hob Anna in die Höhe, führte sie in eine Kammer des Vorratshauses und schloß sorgfältig hinter ihr ab. Als Georg folgen wollte, legte sich ihm die Hand des Hauptmanns schwer auf die Schulter: »Euer Schlupfloch ist anderswo.« Er nötigte den Widerwilligen eine kleine Treppe zum Turme hinauf und barg ihn dort in dem unteren Gemach. Bevor er die Tür schloß, rief er noch tröstend hinein: »Verhungern und verdursten sollt Ihr nicht.«

Nach einer Weile kam die Alte aus dem Gefängnis der Jungfrau, stieß den Hauptmann vertraulich in die Seite, und sprach leise in ihn hinein, er zuckte mit den Achseln, maß mit seinen großen Augen die Höhe und Breite des Hauses und lachte schlau.

»Sie lag wieder vor mir auf dem Boden,« sagte die Frau, »es war ein trauriger Anblick, und sie sagte, daß sie zu mir Zutrauen hätte, da ich dein eheliches Weib sei und eine ehrsame Frau.«

»Na,« sagte der Hauptmann.

»Wie darfst du grienen, du Bösewicht,« fuhr ihn das Weib an, »als wenn ich nicht mit dir vor der Kirchentür gestanden hätte, da der Pfaff unsere Hände zusammenlegte.«

»Ich weiß zwei, die damals widerwillig waren, nicht nur der Pfaffe, auch noch ein anderer.« Und besänftigend fügte er hinzu: »Gib dich zur Ruhe, Alte, es ist einmal geschehen und geschieht nimmermehr.«

»Pfui, Hans, ich habe Besseres um dich verdient. Und was soll aus dem armen Kinde werden, denn sie ist ja noch ein Kind.«

Wieder verzog er das Gesicht. »Kann sie Lösegeld schaffen in nicht zu langer Frist, so bewahren wir sie nach unserem besten Vermögen, denn wir sind Christen und keine Mohren. Kann sie nicht zahlen, so muß aus ihr werden, was aus andern geworden ist. Sie wird einem freien Landsknecht seine Grütze kochen.«

»Sie wird ins Wasser springen.«

»Das hat manche gewollt, die dort den Kochlöffel rührt,« entgegnete Hans gemächlich. »Sie mag sich einen aussuchen, der sie behaupten kann, an Begehrlichen wird es ihr nicht fehlen.«

»Sie hat gute Verwandte in Meißen.«

»Was können wir dafür, soll sie deshalb als alte Jungfer sterben?«

»Ich aber sage dir, sie ist nicht von dem Schlage wie diese dort.«

»Diese sind von gutem Schlage, wie er uns Knechten wohltut. Wenn das Schuhwerk fehlt, laufen sie barfuß und wenn ihr Herr hungert, mausen sie für ihn. Du weißt ja selber, daß die Fremde so bei uns nicht bleiben kann, und wenn's die Knechte ertragen wollten, die Dirnen würden's nimmermehr leiden.«

Was der Hauptmann mit seiner Ehefrau besprach, blieb kein Geheimnis; die Weiber, welche im Schloßhofe wirtschafteten, verließen die Feuerstätte, fuhren aufgeregt durcheinander und verhandelten eifrig; auch die Männer traten zusammen, zuchtlose Scherzworte flogen durch den Haufen und mancher kecke Gesell reckte sich hoch auf und schritt dem Hause näher, um durch das Fenster einen Blick auf die Fremde zu gewinnen. Der Hauptmann stand noch immer vor dem Hause, lachte zuweilen und überlegte, endlich wandte er sich kurz um, schritt hinein und schloß hinter sich die Tür. Als er wieder herauskam, war er ernst und nachdenkend und winkte einige alte Würdenträger des Haufens zu sich heran. »Eine arme weiße Maus,« sagte er.

»Kann sie zahlen, was dem Haufen lohnt?« frug Wuz, der Locumtenens.

Hans schüttelte den Kopf. »Wenigstens ist es ganz unsicher. sie hat ihre Verwandten weit von hier in Sachsen. Sie will von den Männern nichts wissen und betet zu ihrem Gott um ein barmherziges Ende.«

»Dergleichen kommt vor,« erklärte Benz Streitenberg, ein alter Doppelsöldner. »Ich gedenke wohl, bei einem Haufen in Friesland war in meinen jungen Jahren auch eine Magd, welche sich jedem versagte, und die Sache war nicht ohne,« fügte er geheimnisvoll hinzu, »das Fähnlein hatte Glück, bis es die Magd verlor.«

»Ohne Zweifel war die Friesländerin häßlich, diese aber ist es weniger. Wer soll unseren Eisenbeißern wehren?«

»Kommt Zeit, kommt Rat,« beruhigte der Alte. »Unterdes übergebt sie Eurer Frau, bis Ihr wegen des Lösegeldes sichere Kundschaft gewonnen habt.«

»Soll ich wegen der Jungfrau gegen unsere frechen Knaben auf der Lauer liegen und mich außerdem mit der Alten zanken,« wandte Hans ein, offenbar am meisten beunruhigt durch die letzte Möglichkeit. »Wollt Ihr die Sorge für sie übernehmen?« frug er seinen alten Genossen. »Lieber wollte ich einen Ameisenhaufen hüten,« versetzte Benz unwillig.

»Dann weiß ich keinen Rat,« entschied der Hauptmann, »und das Rad mag laufen, wohin es will. Aber noch ein anderes Urteil haben die Brüder zu fällen, über den Gesellen, den wir verstrickt halten. Der verwundete Peter hat ein Recht an ihm gewonnen und er wird fordern ihn niederzuhauen. Der Gefangene ist aber der Sohn eines reichen Kaufmanns aus Thorn und vermöchte sich hoch zu lösen.«

»Es gilt ein Sprichwort,« sagte der Alte: »Geld ist gut und Rache besser, doch die Rache dient nur einem, das Geld aber uns allen. Das erwägt.«

»Mir hat der Knabe unmäßig gut gefallen,« fuhr der Hauptmann fort, »er schlug um sich wie ein Satan und drei von uns hatten Mühe ihn zu bändigen. Und als ich ihn in seinen Banden betrachtete, gefiel er mir noch besser, denn hochmütig trug er seinen Kopf, ein langer Gesell mit starken Gliedern, der scharf aus seinen Augen sieht, mit roten Backen und langem Haar und säuberlich in seinem ganzen Wesen, dazu von Geburt ein Junker, und ich dachte, das wäre der Fähnrich, den wir entbehren.«

»Ein reicher Junker gibt einen schlechten Landsknecht; er schämt sich die Brüder an seinen Herrentisch zu setzen,« wandte Benz Streitenberg ein.

»Vielleicht mag ihn die Not, in der er unter uns liegt, dazu bringen,« meinte der Hauptmann.

»Wie dürfen wir die Fahne einem überlassen, der sie aus Furcht trägt?« frug ein anderer bedenklich.

»Der Gesell tut nichts halb,« lobte Hans, »nimmt er die Fahne, so trägt er sie uns zur Ehre. Darum, bevor ich die Brüder in den Ring lade, bitte ich euch, sie geneigt zu machen, daß sie sich nicht auf die Seite des geschädigten Peters stellen; denn dieser ist uns nicht selten zuwider gewesen, und auf seinem Kerbholz ist mancher blutige Strich, den ein redlicher Knecht ohne Freude betrachtet.«

Darauf füllte Hans eine Holzkanne mit Bier, rief einen Buben, daß er sie hinter ihm hertrage, und schritt nachdenklich zu dem Turme, in welchem er seine Gefangenen untergebracht hatte. Er öffnete mit der Erwartung, den Jüngling in einer Lage zu finden, welche er bei ähnlichen Fällen oft beobachtet hatte, auf dem Holzklotz sitzend mit gefalteten Händen; aber er vernahm schon an der Tür Gesang vieler Stimmen und dazwischen belehrenden Zuruf. Georg hatte sich auf eine Fensternische geschwungen und verkehrte durch das Eisengitter mit Kindern des Trosses, welche draußen an der Böschung des Walles saßen und mit heller Stimme das Lied vom gefangenen Knaben absangen, wobei Georg ihnen einhalf. Auf das Geräusch wandte sich der Jüngling um und sprang dem Landsknecht entgegen. »Würdiger Hauptmann Isegrim, wie geht es der Jungfrau? ich rate Euch sie säuberlich zu behandeln, wenn Euch Eure Ohren lieb sind.«

»Oho,« rief Hans verwundert über den groben Empfang, »ich rate Euch, an Eure eigenen Ohren zu denken, die wahrlich in Gefahr sind.«

»An meinem und an Eurem Kopf ist jetzt wenig gelegen, und ich gebe Euch auf Eure Rede und den Trunk in der Kanne, die Ihr mit Euch tragt, keinen Bescheid, bevor ich nicht weiß, ob Ihr an dem Kinde als redliche Leute oder als Schelme handeln wollt.«

»Ihr waret wohl noch nie Gefangener?« frug Hans, »daß Ihr Euch unterfangt, so gegen mich aufzupochen.«

Georg zuckte die Achseln über solche Unwissenheit. »Wenigstens noch nicht in den Fäusten von euresgleichen. Doch ich merke, ich muß Euch traben lassen, wie Ihr es gewohnt seid,« er machte eine Handbewegung nach dem Holzklotz, »setzt Euch, beginnt Eure Rede und trinkt Euer Bier, aber schnell, denn ich habe nicht übermäßig Geduld.«

Der Hauptmann setzte sich gemächlich, stellte die Kanne auf den Boden und betrachtete in unverhohlenem Behagen den Jüngling, welcher mit gekreuzten Armen nachlässig an der Wand lehnte. »Ihr habt einen unserer Bruderschaft gefährlich verwundet, und er wird Euer Blut fordern.«

»Bringt Ihr die Kanne, um es mir abzuholen, Meister Fleischhauer?« frug Georg zornig.

»Ich kam zu Euch in guter Meinung und es wäre klug von Euch, wenn Ihr die scharfen Reden unterließet.«

»Ich bin Eurer Hauptmannschaft für die gute Meinung verbunden,« versetzte Georg, »und bin bereit Euch zu hören, schon deshalb, weil ich verhindert bin, Euch hinauszuschicken. Gefällt es Euch, beantwortet mir nur eine Frage: seid ihr Landsknechte, die der Hochmeister geworben hat, oder seid ihr Räuber?«

»Darauf will ich Euch Bescheid geben aus guten Gründen, obwohl Ihr unhöflich fragt. Wir sind freie Knechte aus dem Reich, und kamen hierher vom Hochmeister geladen, wir dienten ihm, er aber zahlte uns nur kurze Zeit. Jetzt hausen wir hier und behelfen uns so gut und übel wir können. Wir stehen unter dem Ordenspfleger der nächsten Burg und tun, wie er gebietet, wenn nämlich sein Gebot unserer Bruderschaft gefällt.«

»Ihr nehmt euch also, wo ihr etwas erhalten könnt, von beiden Teilen?«

Hans zuckte die Achseln. »Auch wir freien Knechte müssen leben und zu unseren Tagen kommen. Heut wollen die Fürsten und Herren sich schlagen und morgen vertragen; wenn sie schlagen wollen, dann locken sie uns mit schönen Worten und hohen Versprechungen, die sie selten halten, und wenn sie sich vertragen wollen, so wünschen sie uns zu allen Teufeln. Wir aber sind's, die den Krieg führen, und hätten sie nicht uns, um ihre Händel auszufechten, so bliebe ihnen nichts übrig, als zu fauchen wie alte Kater, und einander durch heimlichen Mord aus dem Wege zu räumen.«

»Wie mögt ihr, da ihr so gering an Zahl seid, hier an der Grenze euch behaupten gegen die Polen des Königs und die Deutschen der Städte?«

»Gegen das fremde Kriegsvolk hat uns bisher Eisen und Blei gute Dienste getan und mit den deutschen Knechten, welche sonst im Lande sind, halten wir Kundschaft wie sich gebührt, denn wir denken: heute Feind, morgen Freund.«

»Ihr sagt, daß ein Ordensherr euch an Stelle des Hochmeisters gebietet. Wie kann dieser mit solchem Vertrage zufrieden sein?«

»Vielleicht ist dieser Vertrag ihm selbst nützlich. Kommt der Tag, wo der Kriegsherr uns gegen alte Genossen aufruft, so fragen wir zuerst, ob er sich ehrlich gegen uns gehalten hat mit Sold und Zufuhr und ob auch wir ehrlich gegen ihn sein müssen. Und wenn wir befinden, daß er ein Recht an unsere Hälse behaupten kann, so wagen wir uns für seine Sache, und die andern, gegen die wir losschlagen, handeln ebenso. Dann müssen sich alte Kameraden im Herrendienst einmal die Wämser zerstoßen und auf brauner Heide ihr Leben geben und nehmen. Das aber geschieht nach redlichem Handwerksgruß und keiner darf dem andern wegen Leibesschaden und Tod einen Groll in jenem Leben nachtragen. Dort drüben der polnische Starost unterhält auch deutsche Landsknechte, die in ihrer Not zu den Polen übergetreten sind, und die Ihr heut früh gesehen habt. Auf der Heide ist eine Stätte erkoren, welche Frieden hat, an dieser begrüßen wir uns zuweilen, und der eine erfährt in voraus, was ihm von der andern Seite gebraut wird.«

»Wo die Füchse einander gute Nacht sagen, finden die Hasen übles Lager. Verdammt, daß ich jetzt euer Hase bin. Auch der Gesang eurer Kinder hat aufgehört, zürnt nicht, wenn ich Euch bekenne, daß ich ihn lieber höre, als Eure Erzählung.« Er schwang sich wieder auf das Fenster und rief hinaus: »seid ihr da?«

»Ja,« schrien viele Kinderstimmen.

»So singt mir noch eins zum Angehör. Kennt ihr das: ducke dich, Hansel, duck dich, das Wetter wird vorübergehn.«

Kräftig schrie der Chor draußen die Weise.

»Und was denkt Ihr jetzt mit mir zu beginnen?« frug Georg zu dem Landsknecht zurückkehrend.

»Die Bruderschaft hat ein Recht auf Euch gewonnen, und sie wird sich's einfordern, so oder so.«

»Und was will sie mir antun?«

»Entweder wird sie Euch hinstellen vor den Verwundeten und seine Freunde, damit ihre Waffe Euch den Arm abhaue, den Ihr einem Knechte geschädigt habt.«

»Teufel, Hauptmann, Ihr übt groben Brauch, daran ist mir nichts gelegen. Und welches andere Recht könnten sie noch gegen mich behaupten?«

»Daß Ihr selbst in die Bruderschaft tretet.«

Georg lachte: »Und daß ich ein Mausekopf werde wie ihr andern. Auch dies steht mir nicht an, findet bessere Hilfe. Was sagt Ihr zu einigen Batzen Lösegeld? Laßt versuchen, ob gute Leute in meiner Vaterstadt das für mich aufbringen.«

Hans schüttelte den Kopf. »Ich sorge, daß die Knechte sich damit nicht zufrieden geben, zumal sie nicht alles erhalten würden; denn wenn Geld gezahlt wird, so nimmt sich einen Teil der deutsche Ordensherr.«

Georg stellte sich vor den Landsknecht und begann in verändertem Ton: »Ihr seid zu mir gekommen, wie Ihr sagt, in guter Gesinnung, und wahrlich, an Eurem breiten Gesicht erkenne ich, daß Ihr es nicht übel mit mir meint. Sprecht, ob Ihr mir und der Jungfrau von hier forthelfen könnt; denn obwohl ich jetzt so arm bin wie eine Kirchenmaus, glaube ich doch, daß ich Euch einen Zehrpfennig für Eure alten Tage schaffen kann, der Euch aller späteren Sorge entheben wird, wenn heute oder morgen diese wilde Wirtschaft aufhört.«

Hans hob die Kanne. »Das war ein verständiges Wort, und ich will Euch meine Meinung sagen, wenn Ihr mir erst willig Bescheid getan habt.«

Georg nickte. »Trinkt mir zu auf gutes Geschäft, ich folge Euch.« Sie tranken und schüttelten einander die Hände; darauf sagte Hans: »Ich kann Euch nicht von hier lösen wie Ihr meint, und ich würde es auch nicht tun, selbst wenn ich's vermöchte. Denn ich will gegen meine Gesellen nicht unehrlich sein, und ich würde schwerlich lange am Leben bleiben, um das Geld zu genießen. Darum wiederhole ich mein Angebot. Ich will nicht, daß Ihr ein gemeiner Landsknecht werdet, sondern daß Ihr den Brüdern die Fahne tragt. Uns ist der Fähnrich gestorben und Wuz, der jetzt an seiner Stelle das Tuch schwenken muß, taugt ganz und gar nicht dazu und begehrt sich selbst die Ehre nicht. Und um Euch alles zu sagen, Ihr habt mir gefallen, und ich möchte Euch darum retten und für den Haufen bewahren.«

Wieder lachte Georg. »Ich bin dankbar für die zugedachte Ehre. Doch ist mir noch undeutlich, für wen ich nach Eurem Willen die Fahne schwenken soll. Ist's der Hochmeister oder der Ordenspfleger oder Herr Omnes, der Hauf Eurer Knechte?«

»Das Fahnentuch weist die schwarzen und weißen Rauten und an der Ecke das Ordenskreuz,« antwortete der Hauptmann.

»Und wenn es den Knechten gefällt, ihren Herrn zu wechseln?«

»Der Fähnrich gelobt sich der Fahne; nur solange Ihr des Hochmeisters Farben tragt, seid Ihr gebunden.«

»Der Krieg ist beendet, ein Stillstand geschlossen. Wie lange denkt Ihr hier noch zu dienen?« frug Georg.

»Bis der Hochmeister uns ablohnt,« versetzte Hans. »Zahlt er dem Fähnlein morgen aus, so seid Ihr morgen frei. Doch,« fügte er schlau hinzu, »es kann auch länger dauern.«

»Jedenfalls lange genug,« sagte Georg ernsthaft, »um Eurem Fähnrich Ehre und Gewissen in Bedrängnis zu bringen. Denn, Hauptmann, nach allem was Ihr erzählt und was ich gesehen, haust ihr in einer Weise, die mir nicht gefällt.«

»Auch dabei hat der Fähnrich mitzureden,« antwortete, Hans; »Euch steht es zu, die Ehre der Fahne gegen die Knechte zu vertreten, und dem ganzen Haufen liegt daran, daß Ihr selbst an unehrlichem Werke keinen Anteil habt. Wenn Ihr Euch weigert, die Fahne fliegen zu lassen, weil Unehre geübt ist durch einen oder viele, so muß der Haufe den Schaden bessern oder in Schimpf dahinleben. Ist vielleicht in dieser Zeit, wo uns ein sicherer Fähnrich fehlte, allerlei geschehen, was besser unterblieben wäre, so könnt Ihr helfen, daß es künftig vermieden wird. Laßt Euch sagen, daß Ihr mir gerade darum wohl ansteht, weil ich Euch als einen stolzen Gesellen erkenne. – Ich weiß jetzt auch durch die Gefangene, wer Ihr seid und daß Ihr von Eurer Vaterstadt nur wenig zu hoffen habt, denn Ihr seid dort strengem Recht verfallen und das Polenreich ist Euch zugesperrt.«

Zum erstenmal merkte Georg, daß er im Elend war und sah schweigend vor sich hin, während der Hauptmann schloß: »Darum denke ich, daß Euch mein Angebot genehm sein könnte. Wollt Ihr nicht, auch gut. Dann bleibt mir nichts, als über Euch, wenn Ihr auf dem Boden liegt, das Kreuz zu machen.«

»Droht mir nicht, wenn Ihr mich haben wollt,« rief der Jüngling unwillig, »denn durch Schrecken gewinnt mich niemand.«

»Dann rate ich, daß Ihr an andere denkt, die Euch vielleicht am Herzen liegen. Denn diesen vermögt Ihr jetzt nur beizustehen, wenn Ihr meinen Vorschlag willig annehmt.«

Georg überlegte. »Ich habe Euch gehört, jetzt merkt auch auf mich. Ihr seid dem Ordenspfleger dieses Amtes unterstellt, laßt mich vorerst mit ihm verhandeln; es soll Euer Schade nicht sein.«

Hans vernahm mit Mißvergnügen diesen Vorschlag. »Ihr setzt Euch aus dem Regen in die Traufe. Dennoch mögt Ihr erkennen, daß ich Euch gern gefällig bin. Wir haben nicht nötig, deshalb Reisestiefeln anzuziehen, denn er kommt sicher noch heut um die Beute zu besehen.«

Vom Tore her tönte dumpfer Trommelschlag. Hans erhob sich ärgerlich. »Ich wußte, daß er gute Nachbarschaft halten würde; folgt mir und harret, bis ich Euch zur Unterredung führe.« Der Hauptmann trat mit seinem Gefangenen in den Hof, die Knechte in der Nähe des Tores liefen mit ihren Spießen und Rohren herzu und stellten sich auf. Durch die Stadt sprengte ein Trupp Reiter nach der Höhe, an ihrer Spitze der Pfleger der nächsten Ordensburg. Er trug, wie mehrere seiner Begleiter, welche die Gelübde abgelegt hatten, auf dem weißen Mantel das schwarze Kreuz; neben ihm ritt seine Traute, ein prächtiges Weib im roten Samtpelze mit wallenden Straußfedern auf dem Hute. Sie bändigte ihr mutiges Roß wie ein Mann und sah, an Bewunderung gewöhnt, herausfordernd in die Reihen der Knechte. Als die Schar im Hofe anhielt, rief der Pfleger mit nachlässiger Vertraulichkeit dem Hauptmann zu, indem er auf die Wagen wies: »Meine Bären kommen voll vom Honigbaum und der Seine trieft ihnen vom Fell.«

»Herr Reinecke trabt auch herzu,« brummte der Landsknecht und zog seinen Hut ab. »Was wir gebeutet haben, ist fast nur Brotkorn; den Mäulern meiner Kinder tat es not, Euch wird es wenig frommen.«

»Mir ist von Kaufmannsgut berichtet,« versetzte der Ordensmann eifrig, »weist meinem Schreiber die Ware.« Als er vom Pferde stieg, fiel sein Blick auf Georg, und unwillig über den fremden Zeugen rief er: »Welchen unberufenen Gast habt Ihr hier? seid wann ladet Ihr Gefangene zu den Geschäften mit meinem Amt?«

»Der Junker begehrte dringend Euch selbst zu sprechen, und ich wollte nicht verhindern, was Euch lieb sein konnte.«

»Ihr also seid der Bürgersohn aus Thorn?« frug der Pfleger mit finsterer Miene.

Georg las in dem harten Gesicht, aus welchem zwei scharfe Augen auf ihn stachen, nicht viel Gutes für sich und sein Stolz bäumte auf: »Ich bin Georg König, einer von den Brüdern des Hofes zu Thorn; bei friedlicher Fahrt auf dem Strome wurde ich durch diese Knechte gefangen herbeigeführt, obgleich ein Stillstand geschlossen und die Stromfahrt freigegeben ist.«

»Uns ist darüber keine Nachricht zugegangen,« erwiderte der Ordensherr abweisend, »und Ihr seid nach Kriegsbrauch gefangen.«

»Ob ich mit Recht oder Unrecht angehalten wurde, das mag verhandelt werden zwischen dem Hochmeister, Eurem Gebieter, und meinem Geschlecht. Unterdes bitte ich Euch geziemend, daß Ihr es übernehmt, seiner fürstlichen Gnaden, welcher ich von Angesicht wohl bekannt bin, ein Schreiben von mir zugehen zu lassen, und bis zu der Antwort Eures Gebieters die Entscheidung über mein Lösegeld und über das meiner Mitgefangenen hinauszuschieben.«

»Ich bin kein Bote für Eure Briefe,« beschied der Pfleger geringschätzig. »Hat Euch der Hochmeister in Wahrheit je gesehen, so hat er Euch längst vergessen.«

»Herr Albrecht hat, da er als Gast in meines Vaters Hause weilte, mir wiederholt in Hulden sein Schloß zu Königsberg als meine Gastwohnung angeboten, wenn ich einmal das Ordensland beträte. Darum meine ich, hat er ein Recht zu erfahren, daß ich hier mit Gewalt zurückgehalten werde.«

Ein Weißmantel aus dem Gefolge ritt zum Pfleger und sprach ihm in das Ohr, das Gesicht des Ritters erhielt einen entschlossenen und bösartigen Ausdruck. »Es ist weit von hier bis nach Königsberg,« antwortete er endlich; »und ich versage Eurer Rede den Glauben.«

Da rief Georg zornig: »Ihr seid Pfleger dieses Amtes, damit Ihr im Namen seiner fürstlichen Gnade Recht und Gesetz handhabt; verweigert Ihr mir in meiner Bedrängnis, was mein Recht und Eure Pflicht ist, so mögt Ihr die Folgen auf Euer Gut und Leben nehmen; denn ich sage Euch, Herr, Ihr werdet es entgelten, entweder mir oder anderen, welche das Unrecht an Euch rächen.«

»Ihr kräht zu laut, junger Hahn aus dem Bürgerhofe,« entgegnete der Ordensherr mit Unheil verkündendem Blick und wandte sich kurz ab. Aber Georg, dem das Blut wallte, fuhr heftig fort: »Außer mir ist eine ehrbare Jungfrau hergeführt worden; haben die Herren vom schwarzen Kreuz vergessen, daß Frauen frei ausgehen beim Streite der Männer. Wir in Thorn vernahmen, daß es einst Ritterpflicht war, Frauen und Jungfrauen zu beschützen.« – Er hörte hinter sich die leise Warnung: »schweig, du Tor,« und erkannte die Stimme seines Feindes Henner, aber unbekümmert um die Folgen, fuhr er fort: »Ist ein Adliger von Ehre in der Nähe, so fordere ich ihn auf, daß er an seine Ehre und an seinen Eid gedenke.«

Der Pfleger lächelte. »Ist sie vom Adel?« frug er sich zum Hauptmann wendend.

»Es ist die Tochter eines lateinischen Lehrers,« erklärte dieser.

»Wenn sie jung und hübsch ist, so wollen wir dem frechen Gesellen den Gefallen tun und selbst den Schutz übernehmen, führt sie herbei.«

Hans eilte nach der Kammer und brachte die erschrockene Anna in den Kreis. Der Ordensherr sah sie sorgfältig an und nickte seinen Begleitern zu. »Seid gutes Muts, Jungfer, Ihr sollt nicht lange in der Hut dieser bärbeißigen Knechte verweilen.« Er winkte dem Hauptmann, daß er die Gefangene zurückführe und stieg, ohne Georg noch einmal anzusehen, auf sein Pferd. Die Frau im roten Samtpelz aber rief: »Wir danken für die Gesellschaft der bleichwangigen Dirne; wollt Ihr jemand von hier in das Schloß laden, so fordere ich diesen mit dem krausen Haare zu meinem Dienst,« und sie trieb ihr Pferd mit einer Wendung an Georg vorüber und schlug ihn mit ihrem Handschuh an die heiße Wange. Das Gefolge des Pflegers lachte, er aber warf ihr einen finstern Blick zu und ritt schweigend nach dem Tore. Dort sprach er längere Zeit mit dem Hauptmann, dann winkte er mit der Hand und der Reiterzug sprengte abwärts durch die Gassen der Stadt.

Georg stand allein im Sturm seiner Gedanken, da trat der Hauptmann zu ihm und begann in guter Laune: »Ihr habt den Ordensleuten den Trunk vergällt. Sonst mußten wir ihnen jedesmal auftragen, wenn sie uns die Ehre ihres Besuches erwiesen. Wenn diese Weißmäntel untereinander sitzen, so reden sie verächtlich von uns Knechten, als von treulosen Buben und Strauchdieben; wie sie selbst aber sind, habt Ihr wohl gemerkt. Und ich sage Euch, der ganze Haufen meiner Knechte ist ausbündig erfreut, daß Ihr dem Pfleger aufgetrumpft habt.«

»Was hat er mit der Jungfrau vor?« frug Georg wild.

Hans zuckte die Achseln und erklärte das nicht zu wissen.

»Gestattet, daß ich mit ihr rede,« bat Georg.

Der Hauptmann, welcher mißtrauisch die Folgen dieses Gesprächs erwog, schüttelte den Kopf. »Bedenkt, was ich einem Gefangenen gestatte, könnte ich den freien Knechten nicht verweigern. Die Magd bleibt heut im Verschluß meiner Alten. Wir aber kommen auf unsern Handel zurück. Auch die Knechte meinen jetzt, daß Ihr unser Fähnrich werden müßt. Ihr versteht die Worte zu setzen wie ein Schreiber und das Feuer sprüht Euch aus den Augen. Ihr wart behende dabei, Euch den Pfleger zum Feind zu machen, und im Vertrauen, er riet uns, dem verwundeten Peter sein Recht an Eurem Leibe zu gewähren.«

»Um den Verwundeten sorge ich nicht schwer,« sagte der Jüngling mit seinen Gedanken ringend, »gegen ein gutes Stück Geld verträgt er sich mit mir.«

»Vielleicht tut er das,« antwortete Hans, »vielleicht auch nicht; ich widerrate, daß Ihr Euer Schicksal in die Faust des wüsten Gesellen legt.«

»Hauptmann,« rief Georg, die Hand des Landsknechts ergreifend, »mein Roß stutzt und bäumt vor dem Graben, laßt mich kurze Zeit unter freiem Himmel allein, dann will ich Euch Bescheid sagen.« Der Landsknecht nickte und trat zurück, Georg schritt im Hofe auf und ab, endlich setzte er sich auf einen Stein unweit der Kammer, in welcher Anna verschlossen war. Es war still um ihn, am Abendhimmel trieben dunkle Wolken schnell dahin, darüber hellere in rötlichem Glanz; die Knechte standen mit untergeschlagenen Armen vor dem Tore, nur die Kinder des Haufens hockten nahebei auf den Balken, sie beobachteten den Gefangenen in Erinnerung an die gemeinsame Kunstleistung wie ein Flug Saatkrähen den Ackersmann. Jetzt benutzten sie die Stille, um zu seiner Unterhaltung das Lied: »O Schiffsmann« anzuheben, und sie sangen von der Jungfrau, welche aus dem Schiff in die Tiefe versenkt werden soll und der Reihe nach ihre Lieben zu Hilfe ruft, der Bruder kommt nicht, der Vater kommt nicht, aber der Geliebte hört und löst sie aus der Todesnot. Und als die Kinder schrien: »O Liebste mein, Leib und Seel' verkaufe ich, dein junges Leben rette ich, ich will dich nicht verlassen,« da sprang Georg auf und den Arm hebend, rief er: »Ich höre die Mahnung meiner Kantorei und sie hat das Richtige getroffen.« Und während die Bande noch über dem Liede sang, trat er zu dem Hauptmann und begann fröhlich: »Ich will Euer Fähnrich werden, und ich will mich Eurer Bruderschaft geloben für Leben und Tod, wenn Ihr mir die Rechte abtretet, die Euer Haufe an die Jungfrau als Eure Gefangene beansprucht. Ihr mögt sie schatzen und das Lösegeld von mir nehmen, aber sie wird, soweit Ihr ein Recht an ihr habt, mein eigen, von der Stunde, wo ich mich Euch angelobe.«

»Sie soll Euer werden,« antwortete der Landsknecht die Worte erwägend, »soweit der Haufe ein Recht an sie hat.« Und Georgs Hand schüttelnd, rief er: »nichts Besseres konnte dem Fähnlein geschehen. Laß den Trommler anschlagen, Wuz, und die Alten zum Rate laden, denn ein wackerer Fähnrich ist gefunden.«

Unterdes saß Anna zwischen den Heubündeln ihrer Kammer, nach schlafloser Nacht und einem Tage unsäglicher Angst waren ihre Kräfte erschöpft, ihr Haupt auf ein Bund herabgeglitten und das Bewußtsein ihres Elends auf kurze Zeit geschwunden. Im Schlummer kam ihr vor, als ob Georg mit der Laute vor ihr stehe, und sie lachte ihn friedlich an. Da unterbrach Trommelschlag den freundlichen Traum, die Tür öffnete sich und die Frau des Hauptmanns trat ein, Anna fuhr in die Höhe. »Ihr habt nicht nötig, zu erschrecken, Jungfer,« begann die Alte freundlicher, als bisher, »Euer Schicksal wendet sich zum Bessern; das Fähnlein ist dabei, sich einen neuen Fähnrich zu wählen; hat er sich erst der Fahne gelobt, so will er die Sorge für Euch übernehmen, und von morgen gehört Ihr ihm an. Entsetzt Euch nicht, Jungfer, der neue Herr ist Euer guter Freund, der Junker, welcher mit Euch gefangen wurde.«

Da stieß Anna einen gellenden Schrei aus, warf sich auf die Knie und verhüllte das Haupt, und die Alte, welche sich über sie beugte, vermochte ihr keine Rede abzugewinnen.

Am nächsten Tage wurde das ganze Fähnlein aus der Stadt und den nächsten Dörfern zusammengeboten, und lange mit den einzelnen Haufen verhandelt. Endlich am Nachmittag war durch den Einfluß der Führer und Doppelsöldner die Einigkeit gewonnen, Georg trat in den Ring und legte das Gelöbnis ab, die Fahne wurde ihm angebunden, wie Brauch war, daß er sie in der Rechten trage und nach Verlust der Rechten in der Linken, daß er sie im Lager bewahre bei Tag und Nacht gleich einer Braut und beim Kampf sein Leben für sie lasse. Und als Georg die Fahne in der Luft schwenkte, so sicher wie ein alter Kriegsmann, freuten sich die Knechte. Er hatte bisher nicht gedacht, daß das Spiel des Artushofes bitterer Ernst seines Lebens werden sollte. War seine Wange auch fahler als sonst, er trug sein Haupt aufrecht und das Herz wurde ihm nicht schwer. Als alles nach Gebühr vollendet war und er die Knechte mit einer Ansprache begrüßt hatte, die dem Haufen wohlgefiel, löste der Hauptmann den Kreis und Georg begann: »Ich habe unsern Vertrag erfüllt, jetzt tut Ihr mir desgleichen und führt mich zu der Jungfrau.« Der Hauptmann nickte. Aber in demselben Augenblick rief die Wache vom Tor, daß ein Reiter herantrabe, und das Gesicht des tapfern Hans verzog sich in Unruhe und Verlegenheit. »Der Pfleger hat's eilig,« brummte er. »Gedenkt, Fähnrich, was ich Euch verheißen habe; das Anrecht, welches das Fähnlein an der Gefangenen behaupten kann, will ich Euch übergeben, mehr nicht; vielleicht ist noch ein anderer, der ein Recht auf die Jungfrau für sich fordert.« Da faßte die Hand des Jünglings wie eine Eisenklammer in seinen Arm, daß er zuckte, und dem heranreitenden Henner rief Georg entgegen: »Kommt Ihr, die Jungfrau nach dem Ordenshause zu holen, so steigt vorher ab und zieht Eure Waffe, denn ich weigere Euch das Weib.«

Aber Henner blieb sitzen und sah verwundert auf seinen Gegner, der die Fahne im Arm hielt und nicht als Gefangener, sondern in Waffen vor ihm stand. »Die Pest auf alle Weibernarren,« fluchte er; »meinetwegen behaltet Euer Liebchen, bis Ihr und sie mit Urenkeln gesegnet seid. Ihr habt heut nicht nötig mich anzuschnarren, auch ich will Euch nicht auslachen, wie ich wohl könnte, daß Ihr ein Fähnrich dieser Klotzköpfe geworden seid; denn ich habe in meinen Tagen selber erfahren, wozu Not und Elend verleiten. Ich kam nur im Vorüberreiten herauf, um Euch zu winken, daß Ihr Euch mit der Jungfer fortmacht, was es den reichen Vater auch koste. Denn Ihr seid hier nicht gut daran, aber in dem Hause, aus dem ich komme, wäret Ihr oder eine andere, an der Euch liegt, völlig verloren. Doch ich sehe. Ihr habt Euch festgehakt und dem Teufel ein Recht über Euch gegeben,« und sich vom Rosse niederbeugend, sagte er leiser: »die Jungfer wird dem Fähnlein abgefordert werden und die Knechte werden sie Euch zuliebe schwerlich verweigern.«

»Ich aber,« rief Georg.

»Bah, wie vermögt Ihr das, sie ist ja nicht Euer Eheweib. Und ich sage Euch, die Ordensdiener wären bereits hier, wenn der Pfleger nicht in ein Hindernis gefallen wäre. Er geriet gestern beim Trunke mit einem Adligen in Streit, vielleicht war es Euretwegen und wegen des blassen Magisterkindes. Das Eisen fuhr zu schnell aus der Scheide und er liegt jetzt mit einem Ritz im Leibe, der andere aber hat sein Pferd gesattelt und ist dem Hause entwichen, sich irgendwo anders Unterschlupf zu suchen. Benutzt die Frist, die Euch durch den Schnitt geworden ist, denn ich denke, allzuviel Zeit wird Euch nicht bleiben.«

»Der andere wart Ihr, Henner,« sagte Georg und streckte die Hand nach ihm aus. Henner ergriff sie: »Der Krug ist bezahlt, die zerschlagene Armbrust habe ich bei Euch gut.« Er wandte sein Pferd um wegzureiten. »Verweilt noch, Henner,« rief ihm Georg zu. »Ich gedenke Euch als meinen Zeugen zu laden, wenn ich mir ein Eheweib gewinne.«

»Ich bin ein schlechter Hochzeitsgast,« versetzte Henner, »und ich will heut nicht mit den Knechten beim Trinkkrug niedersitzen, nachdem ich mich gestern mit den Herren gerauft habe. Fahrt wohl, Ihr stolze Distel von Thorn,« rief er lachend, »niemand weiß, was auf Erden noch aus ihm werden kann.« Er grüßte mit der Hand und sprengte aus dem Tor.

Georg trat zu dem Hauptmann. »Wird der Haufe das Eheweib seines Fähnrichs gegen die Begier eines Fremden schützen?«

»Wenn Ihr ein Eheweib gewinnt in Eurem Amte, so gehört das Weib zur Bruderschaft und die Knechte müssen es schützen. Wollt Ihr mit der Jungfrau in den Ring treten, so steht das bei Euch, wir werden uns nicht versagen. Und darf ich Euch raten, so tut zur Stelle, was Euch am Herzen liegt.«

»Öffnet mir die Kammer der Jungfrau,« forderte Georg.

Er trat schnell ein, in dem dämmrigen Raum sah er eine helle Gestalt, welche scheu zurückwich und den Arm ihm abwehrend entgegenhielt, er sah das verstörte Gesicht der Geliebten und zwei Augen, welche ihn angstvoll anstarrten. Da hemmte sich sein Schritt und er begann traurig: »Liebe Jungfer Anna, laßt Euch gefallen was geschehen ist, bei schlechtem Wetter ist jedes Obdach eine Hilfe.«

»Armer Georg,« klagte sie, »Seele und Seligkeit habt Ihr in Gefahr gesetzt.«

»Nicht also, liebe Jungfer, Seele und Leben hoffe ich zu bewahren, wenn Ihr mich nicht verlaßt, und ich komme Euch anzuflehen, daß Ihr bei mir aushaltet.« Er faßte ihre Hand, sie zuckte bei der Berührung, aber im nächsten Augenblick warf sie sich an seine Brust und weinte. Als sie sich aufrichtete, sah sie ihn zärtlich an wie eine Mutter ihr Kind und strich ihm mit der Hand über Haar und Stirn: »armer wilder Knabe, was habt Ihr gewagt, warum habt Ihr Euch dazu gedrängt, das Opfer zu sein?«

»Nicht ich, Anna, das Größte müßt Ihr selbst wagen, denn Ihr könnt Euch nur retten, wenn Ihr Euch mir vermählt.«

Sie löste sich von ihm und wieder sah er den scheuen Blick. »Der Ordenspfleger wird Boten senden, um Euch auf sein Schloß zu holen.«

»Habt Ihr kein Messer, das Ihr mir geben könnt?« rief sie mit rauher Stimme.

»Ich selbst und die draußen vermögen Euch zu schützen, wenn Ihr nach dem Brauch des Fähnleins mit mir in den Ring tretet und Euch mir zur Ehe angelobt.«

Sie sah ihn lange unsicher an, wie jemand, der den andern nicht versieht, bis sie heftig ausrief: »Wo ist der Brautkranz? kommt!« Aber sie wankte, und er hielt sie in seinen Armen fest.

Im Hofe klang wieder die Trommel und die Knechte traten zusammen, der Ring öffnete sich, als Georg das zitternde Weib in seinen Armen herausführte. Georg legte die Jungfrau seinem Gesellen Wuz an die Schulter, ergriff die Fahne und trat mit seinem Zeugen gegenüber, der Hauptmann stand in der Mitte, tat die Fragen und fügte die Hände zusammen. Wieder schlug die Trommel mit dumpfem Ton. Georg reichte die Fahne dem Hauptmann und dieser schwenkte das Fahnentuch über den Vermählten, damit die Ehe ehrlich werde und in den Schutz der Bruderschaft aufgenommen.

Georg rief: »seid bedankt, Hauptmann und gute Gesellen.« Er raunte der Bewußtlosen zu: »mein Weib,« hob sie mit starkem Arme und trug sie in den Turm. Hier setzte er sich mit seiner süßen Last auf die Bank, bedeckte ihr bleiches Angesicht mit heißen Küssen und vermochte nichts anderes zu sprechen als: »mein liebes Weib.« Sie hing hilflos in seinen Armen und widerstrebte nicht, wenn er sie küßte. Aber als er sie mit heißen Augen zu sich emporhob, glitt sie an seiner Seite nieder auf den Boden und lag, die gerungenen Hände flehend ausgestreckt: »Um meinetwillen seid Ihr aus der Heimat geworfen, um meinetwillen in Not und Elend geraten, um mich zu retten, habt Ihr Euer Leben den furchtbaren Leuten angelobt; hier liege ich vor Euch, Leib und Seele sind Euch verfallen, Ihr mögt mit mir machen, was Euch gefällt.«

Er fuhr erschrocken zurück vor dem jammervollen Blick und hob ihr leise das Haupt: »Anna, ich hoffte, daß Ihr mich lieb hättet.« Sie seufzte fast unhörbar: »wollt Ihr mich nicht ganz zerbrechen, so schont mich.«

Da wandte er sein Antlitz ab, um den Schmerz darüber zu verbergen, daß sein Weib sich ihm versagte, aber er vermochte nicht die Herrschaft über sich zu behaupten, der Sturm in seinem Innern hob ihm die Brust und er stöhnte laut. Sie lag regungslos vor ihm auf der Erde und heiße Tropfen fielen aus seinen Augen auf sie. So blieben sie lange.

Georg ermannte sich zuerst. Er berührte ihr leise den Arm: »erhebt Euch, liebe Jungfer Anna, ich kann solchen Schmerz nicht ansehen. Dort über uns im Oberstock ist Euer Gemach, ward es auch nur notdürftig hergerichtet, es ist sicher. Zieht Ihr die Leiter hinauf, so vermag niemand zu Euch zu dringen. Gestattet mir, daß ich mit der Fahne hier unten hause, ich will Euch ein treuer Wächter sein.«

Sie erhob sich ohne seine Hilfe und wankte nach der Leiter, dort hielt sie sich fest, er aber stand abgewandt und starrte durch das Gitterfenster auf den grauen Wolkenhimmel; als er sich umwandte, war sie verschwunden. Da ergriff er seinen Hut und stürzte aus dem Turme.

Draußen empfing ihn der lärmende Zuruf seiner neuen Genossen, er sagte ihnen, daß sein Weib erkrankt sei, vernahm mit halbem Ohr ihre rauhen Scherze und ließ sich durch sie fortziehen zu dem Gelage, das der Hauptmann dem neuen Fähnrich zu Ehren für die Würdenträger des Haufens veranstaltet hatte. Erst in später Nacht kehrte er zum Turm zurück, er wankte in das Gemach, stieß hart gegen die Wand und sank mit einem unterdrückten Fluch auf sein Lager. Dort verlor er in bleiernem Schlaf die Empfindung seines Unglücks.

Es war still im Turme und man vernahm nur die schweren Atemzüge des Schlafenden; da fiel ein Lichtstrahl aus der Luke hernieder. Mit der Leuchte stieg ein angstvolles Weib herab, sie setzte sich an das Lager, rückte dem Schlafenden sorglich das Haupt zurecht und breitete eine warme Decke über ihn; lange saß sie auf dem Boden, lautlos, mit gesenktem Haupte.

Das war für die armen Kinder der Tag ihrer Vermählung.


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