Gustav Freytag
Marcus König
Gustav Freytag

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4. Der Hochmeister.

Die vier Bürgermeister hielten im Artushofe mit den Ältesten der Bruderschaft vertraulichen Rat, wie die polnischen Herren bei den ansehnlichen Bürgern eingelegt werden sollten. Jeder der Anwesenden begehrte solche Gäste, die ihm bekannt waren, oder von denen er Vorteil hoffte. Marcus König war der einzige, welcher geduldig hinter seinem Becher saß, und wenn er einmal das Wort ergriff, nur für Abwesende sprach, damit diese nicht übermäßig beschwert würden. Es geschah wie durch Einverständnis, daß niemand das Haus des Marcus in Vorschlag brachte, entweder aus Achtung vor dem stillen Manne, oder weil es unheimlich geworden war, denn gerade in den letzten Tagen hatten die Nachbarn wieder über nächtlichen Spuk geklagt. Doch nur hinter dem Rücken des frommen Hausherrn wurde dergleichen gemurmelt, denn man wußte, daß er Fragen danach mit einem finsteren Zornesblick beantwortete oder mit kalter Abweisung, welche noch mehr gefürchtet war. Endlich begann der alte Burggraf: »Die Kumpane haben jeder gewählt, nur Ihr, Bruder Marcus, seid noch zurück. Da Ihr nicht frei bleiben werdet, so ersuche ich Euch, das Recht unserer Bruderschaft zu gebrauchen.«

»Ich bin bereit, den Fremden zu nehmen, welchen Euer Wille mir zuteilt,« versetzte Marcus.

Der Bürgermeister nickte und sah in die Liste. »Was würdet Ihr zu dem hochwürdigen Bischof von Plozk sagen?«

»Da er von Euch kommt, will ich ihn und seine Begleiter, soweit das Gelaß reicht, gern beherbergen; doch zürnt nicht, wenn ich Euch sage, nur ungern öffne ich mein Haus den liederlichen Weibern, welche von den geistlichen Herren mitgebracht werden.«

»Der Mißbrauch verleidet vielen die Bischöfe,« gab der Burggraf zu.

»Vielleicht beschwert Euch das weniger als andere,« warf ein Bruder ein, »da in Eurem Hause die wilden Weiber keiner Hausfrau die Ehre kränken.«

»Martha Hutfeld hat in meinem Hause gewohnt,« entgegnete Marcus, »und ich will nicht, daß ihr Sohn ein täglicher Genosse der Unordnung werde.«

»Der Bischof bringt wohl seine Trauten in der Nähe unter,« entschied Hutfeld, »ich finde Gelegenheit, mit seinem Kaplan darüber zu reden.«

Die Stadt füllte sich mit Fremden, durch die Straßen schritten vornehme Prälaten mit ihrem geistlichen Gefolge, und polnische Edle begleitet von einem langen Troß Bewaffneter; vor den Schenken zankten, fluchten und umarmten sich Schlachtschützen mit großen Bärten und wilden Gesichtern. Die friedliche Stadt war in ein Feldlager verwandelt, auf den Straßen und in den Häusern klang lauter die polnische Rede, als die deutsche. – Der Wintersturm fegte und heulte in den Schornsteinen und Eisschollen trieben auf dem kalten Wasser, als Bürgermeister und Rat über die deutsche Brücke der Weichsel zogen, um an der Stadtgrenze den einziehenden König von Polen zu begrüßen. Unter einem seidenen Baldachin, den zwei Bürgermeister und zwei Herren von der Landschaft trugen, ritt der König in die Stadt, huldvoll nach allen Seiten lächelnd, ihm folgte polnisches Kriegsvolk, das den Thornern unendlich schien, stundenlang dauerte der Einzug. Den Bürgern war es nichts Neues, den König und den polnischen Reichstag in ihren Mauern aufzunehmen, sie hatten auch gelernt die Augen zu schließen gegen fremden Brauch und zuchtloses Benehmen der Gäste, solange diese sorglos ihre Geldtasche öffneten, doch so große kriegerische Pracht und Menge hatte das lebende Geschlecht nimmer gesehen. Die Leute staunten über samtne Pelzröcke, silberne Rüstungen und edle Rosse, deren Reitzeug mit bunten Steinen bedeckt war, und sie schrien einander die Namen der vornehmsten Herren zu. Aber viele empfanden Schadenfreude, als ein kalter Sprühregen auf die Einziehenden niedersank und den Fremden die kostbaren Kleider verdarb, obgleich sie selbst nicht weniger naß wurden. Verständige Männer blickten mit geheimem Schrecken auf den Strom wilden Kriegsvolks, der durch die Tore eindrang, und fühlten sich erst erleichtert, als die Mehrzahl nach kurzer Rast auf der entgegengesetzten Seite der Stadt wieder hinauszog, um sich in den Dörfern der Umgegend zu lagern. Bis zum späten Abend wogte das Gewühl in den Straßen und die Ratsbeamten verhandelten mit heißen Gesichtern und heiseren Stimmen gegen Haufen unzufriedener Gäste, welche viel mehr von der Stadt begehrten, als diese zu leisten vermochte.

Auch vor dem Hause des Marcus hielt ein stattlicher Zug; der hochwürdige Bischof von Plozk mit seinen Geistlichen und Edelleuten stieg ab und wurde an der Tür von dem Hauswirt empfangen, der sein Knie bis auf den Boden neigte, den Segen des Bischofs erbat und ihm demütig in der Gaststube den Willkommen bot. Unterdes geleitete der Ratsdiener einige vornehm geschminkte Frauen, welche auf Wagen und Rossen vor der Einfahrt hielten, um die Ecke in ein Nebenhaus der Hintergasse, obgleich die Weiber mit hellen Worten gegen die niedrige Herberge fochten. Aber auch die geistlichen Herren im Markthause erfuhren bald, daß ihre Wohnung Gäste ungern ertrug, und daß sie widerwärtigen Heimsuchungen nicht entgingen, wenn schon ihr Hauswirt ein frommer und eifriger Christ war.

Am Abend schlich Dobise mit einer Laterne über den Bodenraum des alten Hauses, er sah scheu um sich bevor er einen Bretterverschlag öffnete, der mit alten Kisten und Fässern gefüllt war. Dort wand er sich zwischen dem Gerät, hob an der Rückwand ein Brett und schlüpfte durch die schmale Öffnung in einen engen lichtlosen Raum, den er sich allmählich hergerichtet hatte und den nur er kannte. Es war darin gerade für einen Schemel Gelaß und für einige Kisten. Dobise hing die Laterne an einen Pflock, richtete sich so hoch auf als er vermochte und sah sich stolz in dem Verschlage um. »Jetzt ist Dobise wieder ein Edelmann und Kaufherr von Thorn.« Er warf seine Jacke ab, hob aus der Kiste einen stattlichen Pelzrock und eine Mütze von Marderfell, tat beides an und setzte sich auf den Schemel, dann holte er aus einem anderen Behältnis einige Stücke schweren Seidenstoffes, die mit Gold durchwirkt waren, breitete sie um sich her und sah entzückt, wie die bunten Muster im Licht der Laterne glänzten. »Dies ist der fürstliche Mantel für mich, und hier ist auch ein Prachtkleid für die Alte im Dorfe, das ich ihr aufhebe.« Er griff wieder in eine Ecke, holte einen Krug hervor, schwenkte ihn und murmelte: »Dies trinke ich zu meinem eigenen Wohl, es ist das beste aus dem Keller des Alten.« So saß er da, ähnlich einem Hauskobold, die kleinen Augen zwinkerten unter den schwarzen Brauen und die schmalen Lippen in dem gelben Gesicht zogen sich in behaglichem Lachen zu beiden Ohren. »Niemand weiß es, daß ich hier sitze als der echte Herr der Stadt und des Landes, auch der Alte bildet sich ein, daß ich an unseren Kisten zimmere; drüben in der Kaufkammer rechnen sie, und der fremde Gast, der unter mir wohnt und aus seinem schwarzen Buch beten sollte, zankt sich mit seinen Dirnen; ich aber trete mit meinem Fuß auf ihre Köpfe und freue mich.« Wieder trank er und murmelte: »Deutsche und Polen sind jetzt darüber her, einander umzubringen. Wenn sie abgewürgt sind, bleiben wir übrig und werden wieder Gebieter des Landes, wie wir einst waren. Vivat Rex Dobise,« rief er den Becher hebend, »möge allen Fremden scharfes Eisen durch die Hälse fahren.« Er trank und setzte ab. »Meinen Alten nehme ich aus, dem gebe ich ein bis zwei Goldstücke zur Heimfahrt über das gelbe Weichselwasser, den Georg nehme ich aus, und vielleicht noch wenige Städter, darunter Barthel Schneider.« Er lachte über das ganze Gesicht. »Den Schneider soll alle Tage der Teufel zwicken, wenn ich erst Herr von Thorn bin. Dann werfe ich auch dieses goldne Kleid der Jungfer Anna zu und mache sie zur Königin.« Er hielt an und lauschte. »Der Bischof zankt noch immer mit seinen Weibern; er ist ein filziger Pfaffe, den sie in unser Haus gelegt haben, und meinem Alten liegt wenig an ihm, denn der Alte und ich, wir sahen einander an, und mein Alter frug: »ob der Pole hier Ruhe findet? Mancher wird furchtsam, wenn die Katzen auf dem Boden springen.« Nach diesen Worten fuhr Dobise in die Höhe und sprang mit beiden Beinen kräftig gegen den Fußboden, saß nieder und fuhr verächtlich fort: »es ist ein schmutziger Pfaffe, der zu der schwarzen Maruschka von Czenstochau betet, obgleich dies Weib aussieht wie des Teufels Großmutter. Wie will das polnische Weibsstück wagen, sich gegen unsere Maria von Thorn zu brüsten, welche weiß und rot in der Kirche steht mit goldener Krone und blauem Mantel. Ich denke, es wird dem Alten ein Gefallen sein, wenn ich den Bischof aus dem Hause schicke.« Er kniete an der Seite nieder, wo er die Flasche unter dem Fußboden heraufgeholt hatte: »Gepriesen sei mein Kellerloch. Mühsam habe ich den Schutt aufgewühlt bis zu den Deckbrettern über der Gaststube, dafür höre ich die Reden dort unten.« Er neigte das Ohr: »Der Pfaffe zankt noch immer auf polnisch.« Dobise steckte den Kopf in das Loch, stieß ein wildes Gebrüll aus und schrie in polnischer Sprache: »Hoho, der Teufel ist über euch, ihr Satansbrut,« worauf er schnell das seidene Gewebe und den Krug versteckte und aus der Kammer sprang. Er stolperte noch zwischen den Kisten, löschte das Licht aus und fuhr unter dem Dach nach dem Hinterhause.

Am nächsten Morgen waren die geistlichen Herren in geheimnisvoller Unruhe, sie murmelten untereinander und schritten wieder mit Lichtern und Sprengwedel durch den Oberstock, doch wollte der Grund ihrer Bekümmernis nicht laut werden. Bis endlich der hochwürdige Bischof zu den Bürgermeistern sandte und sich eine andere Herberge forderte. So wurde Marcus schnell der Gäste enthoben; nur in seinem Hinterhause blieben einige Geistliche aus dem Hofhalt des Bischofs, welche in der gefährlichen Wohnung bei Tag und Nacht länger beteten, als sonst ihre Gewohnheit war.

Der Reichstag wurde eröffnet. Die Abgeordneten der deutschen Städte waren ebenso eifrig als die Polen, Krieg gegen den widersätzlichen Hochmeister zu fordern, und der König gab ihrem Drängen nach. Zum letztenmal wurde Herr Albrecht gefordert, den Lehnseid zu leisten, und als er nicht erschien, trugen die Fehdeboten des polnischen Adels zahlreiche Absagebriefe über die Grenze.

Der Krieg begann. Ein seltsamer Krieg, denn weder der König noch der Hochmeister geboten über ein Heer, um ihren Willen durchzusetzen. Die Thorner hatten vor wenig Wochen eine große polnische Heeresmacht angestaunt; es waren fast nur Banden polnischer Edlen gewesen, und diese hatten zwar feurig nach dem Kriege geschrien, aber sie hatten wenig Lust, selbst Haut und Gut im Kampfe zu wagen; das polnische Heer ritt auseinander und verzog sich nach der Heimat. Der Hochmeister hatte seit Jahren um den bevorstehenden Kampf gesorgt, aber alles Mühen und Verhandeln war fruchtlos gewesen, sein Land war klein, arm, widerwillig, nur wenige der Ordensherren waren feldtüchtige Reiter, die Bürger weigerten sich im Harnisch zu ziehen, das gedrückte Landvolk saß waffenlos und es fehlte ohnedies an Händen, das Land zu bauen; die Fürsten im Reiche hatten zwar Gutes versprochen, aber wenig gehalten. Zuletzt waren beide Herren in der Lage, nach geworbenen Söldnern auszuschauen und keiner von beiden hatte das Geld starke Fäuste zu bezahlen. Der Hochmeister fand einigen guten Willen bei der fränkischen Ritterschaft und ließ durch diese im Reiche Landsknechthaufen werben, der König von Polen wandte sich an die Böhmen und sogar an die Tartaren und diese Heiden, welche am schnellsten zur Stelle waren, fielen in das Ordensland ein, brannten, erschlugen und hausten so greulich, daß ein Schrei des Unwillens bis in das Reich drang, und daß auch die Bürger von Thorn die Köpfe schüttelten und in den Schenken zur Beunruhigung des Rates gegen die polnische Zügellosigkeit ein Gemurr erhoben. Sie freilich saßen vorderhand in Sicherheit. Immer noch war der König in der Nähe, viele vornehme Herren ritten aus und ein und gutes Geld wurde lustig ausgegeben und leicht verdient. Doch außerhalb der Mauern merkte man die Verstörung, oft sahen die Bürger den Himmel gerötet, Räuber und loses Gesindel wurden eingebracht und Hans Buck hatte mehr Arbeit als sonst. Noch in anderer Weise empfand die Stadt den Krieg, die Bürger selbst lebten unruhig und wild, vom Morgen bis Abend waren die Schenken gefüllt, feste Arbeit wollte nicht gedeihen, wer unzufrieden war mit dem Rat, ballte nicht mehr die Faust in der Tasche, sondern schrie laut hinter seinem Kruge, wer zornig wurde, schlug schneller los als sonst, und das Schlichten und Rechtsprechen nahm kein Ende.

Zwischen Anna und Georg war seit jener Fahrt nach dem Gute kein Vertrauen mehr, der Herbstwind stürmte gegen die junge Neigung, alle Blüten welkten im Frost und Schneegestöber wirbelte darüber. Georg litt zuweilen an unchristlichen Gedanken. »Die teuren Heiligen und wer sonst im Himmel Würde hat, werden jetzt zu oft durch Bitten beschwert. Viele, die am eifrigsten zu ihnen schreien, taugen wenig, und andere, die sich übrigens redlich halten, verlieren dadurch ihren Frohsinn. Ich lobe mir eine Magd, die vor einem frischen Knaben lieber daran denkt, ihre Arme um seinen Hals zu werfen, als die Hände zu falten. Als ich im letzten Winter mit Eva Eske aus einem Becher trank und sie küßte, lachte sie nur und auch Dörte Mochinger, das Doktorkind, verzog nur ein wenig die Nase, obwohl sie ebenfalls eine Fremde ist. Und mich dünkt, sie ist auch hübscher.« Das konnte er freilich im Ernste nicht für wahr halten, und wenn er Anna vor der Schulstube sah – selten mehr als eine Wange und ein Ohr –, so fühlte er die bittere Reue in seinem Herzen. Anna aber dachte, »seine Augenbrauen sind schräge, gerade wie sie auf der Teufelslarve waren. Nein, nicht ganz so, aber sie sind listig geschwungen und man kann seinem Übermut niemals trauen. Ach, was ist es ein Unglück, wenn Leute so reich sind, die ganze Stube voll Zinn und alle Truhen voll feiner Wäsche und sie sitzen triumphierend am reichbestellten Tische und meinen mit uns Armen spielen zu können wie mit einem Hündlein.« Bei solcher Mißachtung, welche in beiden arbeitete, war es ihnen lästig, daß sie doch nicht vermeiden konnten, eines um das andere zu sorgen. So war Ajax durch seine Zuneigung zu Georg verleitet worden, hinter diesem aus dem Hause zu laufen, und Georg, welcher gerade in trauriger Stimmung war, hatte nicht darauf geachtet, bis er ein klägliches Gewinsel hörte und den Kleinen zwischen den Pferdebeinen polnischer Leibwächter sah, welche die Straße hinabsprengten. Er warf sich zwischen die Reiter, die Pferde bäumten, die Polen fluchten, aber er riß, obgleich sein Arm durch einen Hufschlag getroffen war, das Tierchen aus der Gefahr und trug es in die Schule zurück. Schon im Hause hörte er Annas Stimme, welche ängstlich nach dem Kleinen rief, er sprang die Treppe hinauf, ließ ihn vor Annas Füßen nieder, sagte mit gleichgültiger Miene: »ich fand ihn auf der Straße,« zog die Mütze und ging stolz hinab, bevor Anna mit ihrem Danke zurechtkam. Aber Lischke hatte etwas von der Rettung gesehen und als Georg am andern Morgen den Arm in der Binde trug, und der Magister bei Tische bedauernd erzählte: »den Regulus hat ein Polenpferd geschlagen,« da sprach Anna zwar nichts, aber Ajax hatte es am Nachmittag gut, denn sie hielt ihn auf ihrem Schoße fest, damit er nicht in neues Unglück liefe.

Kurz darauf kam in die Stadt eine Schreckensbotschaft, daß fremdes Raubgesindel sich auf Stadtgrund eingenistet hatte und in den Dörfern plünderte und brannte. Da trat Georg mit anderen Knaben des Hofes, welche für Reiterdienst eingeschrieben waren, vor den Rat und erbot sich, freiwillig in Waffen auszuziehen. Das gefiel dem Rate, weil die geworbenen Freireiter in dieser Zeit nirgends ausreichen wollten. Die Knaben sollten unter Anführung eines Alten über das Land und durch die Wälder reiten, um die Wegelagerer einzufangen. Darunter litt natürlich die lateinische Schule. Als Georg von dem Magister kam, bei dem er sich und die Genossen auf einige Tage beurlaubt hatte, stand Anna an der Treppe und da er vorübergehen wollte, redete sie ihn an: »Wer seinen Arm noch verbunden trägt, der sollte sich nicht wieder in Gefahr werfen.« Georg aber hob lachend den Arm aus der Binde und antwortete kurz: »Der Schlag war nicht der Rede wert, und es war der linke.« Rauh war die Anrede und rauh die Antwort. Und als die Reiter zur Nacht nicht heimkehrten, und Lischke allen, die ihn hören wollten, erzählte, daß man in der Ferne Schüsse aus Feuerröhren gehört habe, da ging in manchem Hause zu Thorn die Nachtruhe verloren und es gab solche, welche bei brennender Lampe vergeblich auf den Hufschlag Heimkehrender lauschten. Erst gegen Abend des nächsten Tages rief die Hauswirtin die Treppe hinauf: »es schießt wieder, der Türmer schreit herunter, daß die Unsern sich mit fremden Reitern auf dem hohen Land herumtreiben,« und einige Zeit darauf rief sie wieder: »sie kommen zum Jakobstor herein, schnell, Jungfer Anna, es sind nur wenige Schritte,« da ging Anna mit, nicht freiwillig, sondern von der Frau fortgezogen. Sie stand unter dem Volk unweit des Tores und Georg ritt vor seinem Haufen bei ihr vorüber mit tiefliegenden Augen und einem wilden Ausdruck in seinem Gesicht und neben seinem Rosse führte er an einer Halfter gebunden einen gräulichen, barhaupten und blutigen Gesellen. Da riefen ihm die Bürger fröhliche Grüße zu, auch Frau Lischke rief, aber Anna vermochte keinen Laut hervorzubringen und sah ihn nur stumm an und er sie ebenfalls, ohne daß er die Mütze schwenkte, was er sonst so bereitwillig tat. Und als der Ratsbote nach Hause kam und von den Abenteuern der jungen Reiter vieles berichtete, auch den Georg hoch rühmte, weil er nach hartem Strauß den Anführer der Bande bewältigt hatte, da blieb Anna still und finster, denn er war ihr furchtbar erschienen.

Bei solchem Zustande konnte der Frühling nicht gedeihen. Er kam zwar nach alter Gewohnheit, aber widerwillig, und er war auch darnach. Unfriede und zerstörte Hoffnung in den Lüften wie auf der Erde. Wenn die Singvögel ihre Nester im Baumeswipfel fertig hatten, erhob sich ein Sturm und brach die Äste; als die Baumblüten gerade aufbrechen wollten, schütteten die Wolken eine Schneelast darüber; wenn die Leute einmal zum Reigen antraten, stießen sie einander mit den Ellenbogen und der Tanz endete in Schlägen. Die Sommerlust verlief nach derselben Weise. Alle kleinen Äpfel fielen grün von den Zweigen, so oft die Nachtigallen sich zu einem Wechselgesang zurechtsetzten, rauschte ein Wetter und Hagel hernieder und zerstäubte ihnen die Federn, und wenn Lips Eske einem guten Gesellen zuliebe des Abends mit dem Bassettel eine Musika anstellte, sprangen aus allen Schenken trunkene Schlachtschützen und begannen im Mondenschein mit wildem Geschrei einen ungefügen Krakowiak. Es war für jedermann ein schlechtes Jahr.

Als der Sommer kam, hatten Bürgermeister und Rat über neue Einquartierung zu beraten. Denn fürstliche Vermittler hatten dem Hochmeister Albrecht freies Geleit ausgewirkt und dieser wollte selbst nach Thorn reiten, um wegen Krieg oder Frieden mit dem Könige, seinem Oheim, zu verhandeln. Diesmal berieten die Herren von Thorn weniger fröhlich. Die Stadt war des Kriegslärms müde, der Hader mit den einquartierten Polen nahm kein Ende, jedermann sträubte sich gegen neue Belästigung, zumal gegen Aufnahme der Feinde. Zuletzt erschien es der Mehrzahl als eine gute Auskunft, daß ein Ratmann begann: »Das Haus des Marcus König ist zur Unbill für andere wenig belastet, und Bruder Marcus hat erst gestern im Artushofe gesagt, ihn wundere selbst, warum man ihn vor andern verschone.« Da stimmten alle bei, den reichen Kaufherrn zu laden; nur Konrad Hutfeld schwieg, wie die andern meinten, deshalb, weil es ihm als dem Schwager des Marcus sowohl unziemlich war beizustimmen als zu widersprechen.

Als Marcus vor den Rat trat, wurde er nicht wie früher um seinen guten Willen befragt, sondern der Burggraf eröffnete ihm als Gebot: »Da die ganze Stadt schwere Bürde trägt, Ihr aber weniger, so ist Beschluß des Rates, daß Ihr jetzt den deutschen Hochmeister und einen Teil der neuen Gäste empfangt.«

Auch Marcus war nicht mehr so willig, wie ehedem. Er schwieg lange und seine Augenbrauen zogen sich zusammen, er sah, daß sein Schwager Hutfeld ihn forschend anblickte, endlich begann er: »ich bin dem Rat Gehorsam schuldig und ich kenne die Not der Stadt, doch bitte ich die ehrbaren Herren in Zukunft daran zu denken, daß nicht ich die Fremden erbeten habe, sondern daß sie mir ohne meinen Willen in das Haus gelegt werden. Ich führe fürwahr ein friedliches Leben, dennoch höre ich, daß man mich hier und da für einen Gegner der Landesfreiheit hält. Die Nachrede wird sich mehren, wenn weiße Mäntel durch meine Tür aus und eingehen. Dies mag mir selbst einmal bei dem Rate nachteilig werden, denn ich habe bereits zu meinem Schaden erfahren, damals, als die Scheuern meines Gutes angesteckt wurden, daß die hochmögenden Herren nicht bereitwillig waren, mein Eigentum zu schirmen. Darum erscheint mir das Gebot bedrohlich.«

»Ihr sprecht vorsichtig,« versetzte der Bürgermeister, »der Rat wird sich erinnern, daß Ihr heut bereitwillig wart; und da Ihr an die Sorge um das Geschütz rührt, so darf ich Euch sagen, daß auch die Stadt Euch gute Meinung beweisen wird, und ich hoffe, Herr Kumpan, daß Ihr die Feldschlangen aus dem Zeughaus erhaltet.«

Marcus vernahm die Kunde ohne ein sichtbares Zeichen der Freude und sagte nur: »Die gebietenden Herren mögen tun, was ihnen gerecht und billig dünkt.«

Er wandte sich auf der Treppe, da ihm jemand folgte, es war Konrad Hutfeld. »Mich führt mein Amt nach dem Zeughaus, ist's Euch recht, Schwager Marcus, so begleite ich Euch.«

Marcus lüftete seinen Hut. Die Schwäger betraten nebeneinander den Markt. »Gern hätte ich Euch,« fuhr Hutfeld fort, »das lästige Einlager des Hochmeisters abgewehrt.«

»Ich weiß, Herr Bürgermeister,« antwortete Marcus, »daß Ihr den Fremden, den Ihr selbst nicht mögt, auch in meinem Hause nicht gern seht. Verzeiht einem Hauswirt die Frage: erwartet Ihr, daß der Hochmeister lange hier verweilen wird?«

»Ihr fragt, welches Vertrauen ich zu der Friedensverhandlung habe. Ich will offenherzig zu Euch reden, ich habe wie alle Welt geringe Zuversicht. Der König hielt es für klug, den deutschen Fürsten, welche für den Hochmeister verhandelten, nicht entgegenzusein, aber der Krieg ist entbrannt, keiner von beiden hat dem andern obgesiegt und wenn der Hochmeister auch erkannt haben mag, daß er der Schwächere ist, er hat zu stolz gehofft des Lehnseides quitt zu werden, als daß er nachgeben sollte, solange ihm die Deutschen im Reich noch ihre Hilfe nicht ganz versagen.« Und nachdrücklich fügte er hinzu: »Ich sorge, er hat Ratgeber, die ihn durch eitle Hoffnung täuschen.«

»Ist seine Art so, daß er sich täuschen läßt?«

»Er ist einer von den deutschen Fürsten,« versetzte Hutfeld kalt, »und er hält sich für einen Meister der deutschen Adligen. Ihr wißt selbst, daß diese schlechte Ratgeber sind, außer da, wo es gilt zu rauben oder zu trinken.«

»Vielleicht hofft der Hochmeister darauf, seinen Orden zu reformieren. Vieles, was zur Väter Zeit schlecht geworden ist, muß von den Enkeln gebessert werden.«

Hutfeld sah mißtrauisch auf seinen Begleiter: »Meint Ihr, daß der junge Albrecht ein Schwarzkünstler ist, welcher die abgestandenen Fische seines Sumpfes wieder lebendig machen wird? Doch, wenn ihm auch gelänge, wozu keine Aussicht ist, des Lehnseides für seine kleine Herrschaft quitt zu werden, was kümmert uns Thorner und das ganze Weichselland solcher Gewinn?«

»Nichts, denke ich,« antwortete Marcus, »unsere Bürgermeister werden doch dem Könige von Polen den Baldachin tragen.«

»Nicht also, Marcus, sprecht lieber so: wir Thorner werden doch die Freiheit, welche die Vorfahren mit Blut erkauft haben, gegen die Tyrannei der Ordensherren behaupten. Ich denke nicht, daß in der Stadt noch einzelne Träumer sich mit der Hoffnung getrösten, das Weichselland unter die Knechtschaft dieses Knaben Albrecht zurückzubringen.«

»Sind es einzelne und sind es Träumer, so hat der Rat sie nicht zu fürchten,« entgegnete Marcus kalt.

»Damit er sie nicht fürchten müsse, ist er genötigt, mit scharfem Auge auf ihren Weg zu sehen.«

»Wir Thorner vertrauen ruhig der Vorsicht des Rates,« antwortete Marcus.

Sein Schwager sah ihn besorgt an und ergriff die Hand des Widerstrebenden. »Ich bin Euch dankbar für große Treue, und ich dachte an die Zukunft des alten Hauses, vor dem wir stehen, als ich so offen zu Euch sprach; denkt auch Ihr daran, Schwager.«

»Ich denke daran, daß Ihr ein kluger Herr seid, namhafter Herr Bürgermeister, und daß Ihr entschlossen tun werdet, was Ihr tun müßt,« schloß Marcus, seine Hand zurückziehend und verneigte sich höflich.

Es war mitten im Sommer an einem heißen Tage, als der Hochmeister, Herr Albrecht, in die feindliche Stadt einzog. An dem Tore begrüßte ihn der Kastellan von Dibow und ein Ratmann. Während der Herr unter ihrer Führung langsam aus der Mauerenge zwischen die Häuser ritt, hinter ihm die kleine Schar der Weißmäntel und die Frachtwagen, welche den Fremden ihren Reisebedarf in feindlichem Lande nachfuhren, standen die Leute wieder dicht gedrängt an den Türen und auf den Kellerhälsen und ein aufgeregtes Summen ging durch die Menge. Aller Augen suchten das verhaßte schwarze Kreuz, aber sie fanden es nicht, und sie sahen, daß die Hüllen der Reiter weiße Tartarenmäntel waren, welche der Orden den Söldnern des polnischen Königs im Kampfe abgenommen hatte. Da fiel manchem aufs Herz, daß die Herren des Ordens doch als Christen gegen unmenschliche Heiden gestritten hatten, deren Bundesgenossenschaft die Thorner für eine Schande halten mußten und ihr Unwille gegen die Einziehenden wurde ein wenig gedämpft. Einzelne Stadtleute, zumal Bürger aus der Neustadt zogen sogar ihre Mützen, da der Hochmeister auf seinem schwarzen Streithengst bei ihnen vorüberkam, ein schlanker Herr noch in jungen Jahren, mit einem Antlitz, das bleich aussah, vielleicht wegen Kränklichkeit, vielleicht wegen der Sorgen. Er dankte vornehm auf gebotenen Gruß, aber mit gespannter Aufmerksamkeit sahen seine hellen Augen auf das Volk zu beiden Seiten. Wie der Zug am Markte aufgeritten war, entdeckte Georg verwundert, daß unter den letzten im Gefolge auch sein Feind, der lange Henner, in dem fremden Mantel unter der Blechkappe hielt. »Ich hoffe, er ist nicht so unverschämt, in unser Haus zu dringen.« Aber bevor Henner mit anderen seitab ritt, trieb er sein Pferd mit geschickter Wendung in die Nähe der Türtreppe und raunte an die Wand geklemmt in Georgs Ohr: »Wenn ich als Gast in Euer Haus komme, will ich Malvasier trinken, auch könnt Ihr mir einen neuen Marderpelz zurechtlegen, ich denke ihn anzunehmen.«

»Die Knechte führen lange Stöcke, mit denen sie die Motten ausklopfen, hütet Euch, daß Ihr ihnen nicht in die Hände fallt,« antwortete Georg.

Der Ratmann geleitete den Hochmeister zu dem Kaufherrn. Als Marcus den vornehmen Gast begrüßte, kam dem Sohne vor, als ob der Vater ebenso verblichen aussehe wie der Hochmeister. Aber beide hielten sich höflich zueinander, wie die strenge Sitte vorschrieb. Marcus geleitete die Gäste in den Oberstock, wo eine Reihe Zimmer für sie bereitet war, und während Rosse und Wagen in den Hof einfuhren und der vertraute Rat des Hochmeisters, Herr Dietrich von Schönberg, verbindliche Worte zu Georg sprach, tauschte Herr Albrecht selbst mit dem Hausherrn die gebührlichen Reden. »Wir vernahmen viel von dem Hasse, mit welchem die Bürger uns Brüder vom schwarzen Kreuz ansehen, wir freuen uns, daß wir das Gerücht als unwahr befinden, und daß die Thorner ihren deutschen Nachbar gutwillig leiden wollen.«

»Die Welschen sagen uns Deutschen nach,« versetzte Marcus, »daß wir in Zorn und in Reue maßlos sind. Vielleicht aber vermögen die Deutschen deshalb auch in Reue wieder gutzumachen, was sie im Zorn verdorben haben.«

Der Hochmeister sah befremdet auf seinen Wirt, doch frug er gleichgültig weiter: »Ihr wart selbst in welschen Landen, Herr?« und als er nach Fürstenweise auch den andern Ehre erwiesen hatte, verabschiedete er die Herren von Thorn, weil er dem Könige aufwarten müsse, und Dietrich von Schönberg versicherte dem Hauswirt mit einem Händedruck, daß seine fürstliche Gnaden einer ernsten Zusammenkunft entgegengehe und wohl lieber noch unter den Hausgenossen weilen würde.

Förmlich, wie der Empfang, verliefen auch die folgenden Tage. Die Bürger mußten bekennen, daß die Fremden sich schweigsam und in guter Zucht hielten. Auch im Hause des Marcus gingen zwar Weißmäntel und fürstlicher Besuch häufig aus und ein, doch an Gelage und Gasterei war nicht zu denken, der Hochmeister blieb des Abends am liebsten allein oder zusammen mit wenigen Vertrauten. Marcus wartete jeden Morgen als Wirt seinem Gaste auf, frug nach den Wünschen der Herrn und erhielt jedesmal ein Lächeln und dankbare Reden.

Aber er beobachtete mit leidenschaftlicher Teilnahme jede Regung der Fremden und vermochte die geheime Freude kaum zu bergen, als ihre Mienen nach wenigen Tagen sorgenvoller wurden. Einst fand er den Hochmeister früher als sonst vom Rathause zurückgekehrt, der Herr saß in trübem Sinnen und antwortete dem Gruß des Wirtes: »Ohne Nutzen für das Land haben wir Euch bemüht, wir ziehen in Unfrieden ab, mein Oheim will, daß ich das blutige Schachspiel gegen ihn fortsetze.« Marcus schwieg, und der Hochmeister fuhr in seinen Gedanken fort: »Zehn Jahre trage ich dies Kreuz und die Last war zuweilen schwer.«

Da vernahm er die Gegenrede: »Sechzig Jahre trage ich die Hoffnung auf Rettung und Rache still in mir herum, und mein heißestes Gebet war, daß ich nicht von dieser Erde scheiden möge, bevor die Ordensfahne wieder über der Burg von Thorn weht.«

Der Hochmeister sprang auf: »Der Ruf kam von Herzen. Wer seid Ihr, Herr, daß Ihr in Thorn solche Rede wagt?«

»Ein Mann aus dem Geschlecht des Ludolf König, der einst auf dem Hochmeisterstuhl zu schnell an seinem Glück verzweifelte.«

»Ich aber sehe heut in das Angesicht eines vertrauten Mannes,« rief der Fürst. »Nicht zum erstenmal vernehme ich den geheimen Gruß. Seit Jahren erhalte ich über Lübeck Briefe, deren Schreiber sich nicht nannte. Oft war ich ihm dankbar für klugen Rat und habe über seine gute Kenntnis des Weltlaufs gestaunt, seine Worte haben mich getröstet, wenn mir Ermutigung am meisten nottat. Jetzt frage ich nicht mehr, wer der unbekannte Freund war.«

Marcus verneigte sich ehrerbietig. »Seit Jahren erkenne ich, daß Eure fürstliche Gnade mit dauerhaftem Mut gegen Wind und Wogen zu steuern weiß, und oft habe ich im geheimen Euch gerühmt, weil Ihr unermüdlich wart und Euren Feinden widerstandet, obgleich das Unglück wie Wellen des Meeres über Euch hereinbrach.«

Der Hochmeister lächelte traurig: »Auch der Gleichmut in Welthändeln wird erlernt. Doch teuren Preis habe ich dafür bezahlt. Denn ich darf Euch, der gleich einem alten Freunde vor mir steht, auch bekennen, daß mir das Leben so sauer gemacht wird, wie keinem andern deutschen Fürsten. Da ich mit dem Mantel bekleidet wurde, fast noch ein Knabe, schwoll mir das Herz bei dem Gedanken, daß ich als Landesherr mit einem ritterlichen Kreuzheer das Ordensland freimachen und die Fremden zurückwerfen könne. Es war ein törichter Wahn, mein Vater, und bitter war die Enttäuschung. Denn wie ich nach Preußen kam und die Helden betrachtete, welche die Ordensburgen und Pflegeschaften innehatten und durch ihr Amt und ihr Gelübde zum Kampf verbunden waren, fand ich sie bis auf wenige unkriegerisch, und als ich prüfend nach ihrem Willen forschte, empfing ich drei Grüße: Lachen, Stöhnen und Achselzucken. Der eine hatte die Gicht, dem andern hatte die Traute, die er sich in seinem Hause hielt, gänzlich verboten auf das Pferd zu steigen, einige saßen schon vormittags in Trunkenheit, und manche, die noch auf Waffen und Gäule hielten, fanden es töricht, für den Hochmeister und den Orden ins Feld zu ziehen und zogen es vor, in der Dämmerung mit Heckenreitern gemeinsame Sache zu machen und Reisende auf der Heide ihres Geldes zu entledigen. Auch die Besseren waren müde und mutlos und lebten armselig im verarmten Lande. Dennoch, Herr, erkannte ich unter ihnen einige Männer von wackerm Mut und adligem Sinn. Und ich sage ehrlich, wie ich's gefunden, der deutsche Adel war immer noch meine beste Hilfe.«

»Weil der Adel am meisten verlieren wird, wenn der deutsche Orden vergeht,« warf Marcus ein. »Soll der Orden gedeihen, so muß der Bürger Anteil an seinem Regiment gewinnen.«

»Es mag so sein, wie Ihr sagt,« fuhr Herr Albrecht fort. »Denn die Bürger meiner Städte waren nicht willig gegen mich, jeden Groschen, den sie mir zahlten, rückten sie mir wieder vor, die kleinste Geldsumme sollte ich bezahlen durch ein Pergament, welches ihnen neue Rechte einräumte, jeder, der mir zu leisten hatte, wollte dafür haben. War doch alle Macht des Hochmeisters ohnedies zerstückelt in den Händen der Städte und Landschaft. Ich hoffte auf die deutschen Fürsten, auf meine Verwandten, auf den alten Kaiser Max, auf den jungen Kaiser Karl, auf den heiligen Vater selbst. Ich bekam guten Rat soviel, daß ich damit eine Burg von Papier hätte aufbauen können, unsichere Versprechungen und nirgends Hilfe und zu den kleinen Summen, die mir meine Verwandten etwa vorschossen, alsbald herrische Ermahnungen und Forderungen auf Ersatz. Niemand hatte, was mir allein helfen konnte: die Lust, meinetwegen in das Feld zu ziehen. Der Kaiser, ja der heilige Vater selbst sandten mir zuweilen gute Vertröstungen, um den überlästigen Bettler loszuwerden, und in der nächsten Stunde dachten sie daran, daß der große König von Polen ihnen mehr nützen könne als der deutsche Ordensritter am fernen Meeresstrand.«

»Kämpfen zwei Adler miteinander in freier Luft,« antwortete Marcus, »so wird der den Gegner niederstoßen, welcher am höchsten fliegt. Der Hochmeister zu Königsberg, getrennt durch das polnische Weichselland vom deutschen Reiche, hat nur geringen Wert für Kaiser und Reich, ein geehrter Landherr wird er erst, wenn ihm die Städte des Weichselstromes gehorchen; und niemals wird Eure fürstliche Gnade von der Schmach der polnischen Dienstbarkeit befreit werden, wenn Ihr nicht mehr begehrt als den Rest des alten Ordenslandes.«

»Ich vernehme die alte Mahnung Eurer Briefe,« rief der Hochmeister, »sie klang laut wieder in meinem Herzen. Gegen die Polen, bei Kaiser und Papst habe ich das ganze Ordensland gefordert. Ich habe gefordert, doch ich vermochte nicht zu erringen. Und ich sorge, mehr noch als die polnische Macht hindert mich der Haß der Weichselstädte.«

»Ihr habt bei uns mehr Freunde als Ihr wißt. Zwar die Geschlechter, welche in der Stadt regieren, sind Euch feindselig, aber sie werden von den Bürgern beargwöhnt, vorab in der Neustadt hausen viele Unzufriedene. Die große Masse endlich folgt dem, welcher die größere Stärke erweist. Wollt Ihr die Polen bewältigen, so müßt Ihr Thorn mit Kriegsmacht einnehmen, denn es ist die Pforte des Weichselstromes, und Euch mit den Danzigern freundlich vertragen, was sie auch für sich fordern mögen, dann fällt Euch das übrige Weichselland von selbst zu.«

»Könnt Ihr helfen, daß ich diese Stadt in meine Gewalt bekomme?« frug Herr Albrecht schnell.

»Vielleicht ist die Stunde nicht fern, wo die Bürger freiwillig Euch die Tore öffnen. Vertraue Eure fürstliche Gnade, daß hier ein treuer Mann lebt, der jeden Tag darüber sinnt, Euch zum Herrn der Stadt zu machen.«

»Gut, Herr,« rief freudig der Hochmeister. Aber sogleich fuhr er finster fort: »Wir gebärden uns als Eroberer, und doch habe ich zurzeit große Not nur zu behaupten, was ich besitze. In Wahrheit hängt mein ganzes Glück an einem Sieg im Felde. Ihr aber versteht, wie ein Sieg erkauft wird, er ist teure Ware, und der Hochmeister ist der ärmste aller Landesherren; ich werbe Söldner und es fehlt mir nicht an kriegsfesten Hauptleuten, doch an Geld, sie zu unterhalten. Kein Bettler und kein Heckenreiter, der gewöhnt ist, auf fremdes Gut zu lauern, hat so große Sorge um das Volk gemünzter Pfennige, als ich; denn, mein günstiger Freund, zum Losschlagen sind die Deutschen wohl bereit, aber nicht den Beutel zu öffnen. Und obwohl der König von Polen sein Geld lieber in der Truhe behält, als im Kriege verschwendet, so wird er doch länger Goldgulden besitzen, die er in das Spiel setzt, als ich. Und es ist ein alter Spruch, daß das letzte Geldstück das Spiel gewinnt.«

»Nicht so, edler Herr, der wird gewinnen, welcher den besseren Mut einsetzt. Denn wem das Herz fest bleibt in aller Not, der wird zuletzt nicht nur den lauen Freunden, auch seinen Feinden ehrwürdig.«

»Ihr sprecht mit gutem Vertrauen, Vater, aber auch Ihr wißt nicht, wie kränkend für fürstlichen Stolz dies Beharren ist; denn ich darf sagen, in Sorgen schwebe ich, von Borgen lebe ich. Und wenn ich alles bedacht habe und Plan auf Plan geschmiedet, am Tage der Ausführung wird alles vereitelt, weil der Schatzmeister mir vorrechnet, daß ich nichts vermag. Es ist ruhmlose Arbeit, welche ich aufwende, um solcher Not zu widerstehen, die preist kein Sänger und rühmt kein Orator und mächtigere Fürsten zucken die Achseln darüber. So sind jetzt stattliche Haufen von Reisigen und Landsknechten bereit, mir zu dienen, wenn ich ihnen Sold zahle und ich ziehe von hier mit der bittern Sorge, daß ich sie nicht festzuhalten vermag.«

»Und wenn Ihr sie nicht festzuhalten vermögt, gnädiger Herr, was werdet Ihr dann tun?« frug Marcus.

»Ich weiß es heut nicht zu sagen; aber eines darf ich kühnlich vor Gott behaupten: verzweifeln werde ich nicht. Ich habe in den zehn Jahren manchen bittern Trank der Demütigung getrunken; darum habe ich mich jetzt entschlossen, das äußerste zu wagen; und ich denke lieber unterzugehen im Kampfe, als den Eid zu leisten, der den Meister des Ordens zum Diener eines fremden Königs macht. Ich will der letzte Hochmeister sein, wenn ich nicht dem Orden aufs neue eine geehrte Herrschaft erwerben kann.«

Da rief Marcus mit starker Stimme: »Seid gesegnet, Herr, um dieser Worte willen. Bewahrt Ihr in der Not den Sinn eines festen Mannes, so bewahre ich eine Waffe, die Euch aus der Not erlöst. Folgt mir, gnädiger Herr.«

Er öffnete mit einem Schlüssel die Tür, welche das Gemach des Hochmeisters von dem Gewölbe trennte, und führte den erstaunten Herrn zwischen die Schränke vor einen großen eisernen Kasten, dort hob er den schweren Deckel. Der Kasten war mit gemünztem Golde gefüllt, und Marcus sprach darauf weisend: »Des Kaufmanns Truhe ist nicht groß genug, um alles Geld zu fassen, welches einem Kriegsherrn nötig ist, damit er den Krieg ernähre bis zum Siege. Aber ich denke, der Schatz, an welchem ich mein Lebelang gesammelt habe, ist keine verächtliche Ausstattung für einen jungen Helden; denn hat er sich seinen Feinden furchtbar erwiesen, so öffnen sich ihm auch wohl die Beutel zweifelhafter Freunde, und er selbst holt sich neue Kriegszehrung von den Feinden. Dies ist gesammelt, um Eurer fürstlichen Gnade zu dienen, wenn Ihr mir gelobt, zu beharren bei Eurem hohen Vorsatz und eher zu sterben als ein Vasall der Polen zu werden. Dies gehört Euch und im Notfall noch mehr, soweit mein Vermögen reicht. Der Kaufmann verpfändet Euch seine Habe. Ihr setzt dagegen Ehre und Leben. Verleihen die Heiligen Euch Sieg, so werdet Ihr mein Landesherr und für diese Summe Schuldner eines getreuen Dieners, und endet Euer fürstliches Leben anders, so ist diese, wie jede andere Erdenschuld getilgt.«

Der Hochmeister stand sprachlos. »In der Stunde, wo ich mich von allen verlassen wähnte,« murmelte er. »Mein Vater und mein bester Freund.«

»Ich bin nur ein Bürger von Thorn, dem es schmachvoll dünkt, daß seine Vaterstadt einem fremden Volke dienstbar ist. Seht, Herr, das Eisen dieses Deckels ist scharf und vermöchte wohl meine Hand abzuschlagen, die ich hier zwischen Kasten und Deckel lege. Freudig will ich sie in den Kasten fallen sehen, wenn ich dadurch meine Vaterstadt von der Unehre des alten Treubruchs lösen könnte.«

Da legte Herr Albrecht, hingerissen durch die finstere Begeisterung, seine Hand zu der des Marcus auf den Eisenrand und rief: »Auch der Hochmeister des deutschen Ordens will eher seiner Schwurhand quitt werden, als dem Polen dienen, das gelobe ich Euch.«

Marcus hielt die Hand des Herrn über dem Golde und sprach: »Der Schatz fand seinen Herrn, ich aber danke den Heiligen, daß ich diesen Tag erlebte.«


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