Gustav Freytag
Ingo und Ingraban
Gustav Freytag

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10. Am Quell

Einmal hatte der Sommer die Eichen auf der Idisburg in das grüne Laubkleid gehüllt, und einmal der Winter die Äste kahl gefegt, aber hell flammte durch das ganze Jahr das Herdfeuer des neuen Hofes unter den Bäumen. Jetzt war wieder Sommer und gute Zeit; in langer Reihe zogen die kleinen Lichtwolken am Himmel und unten um den Fuß der Laubhügel in langer Reihe gemächlich die Schafe und Rinder. Zwischen den Eichen erhob sich jetzt ein mächtiger Holzbau, der Herrensaal. Wer die Stufen hinaufstieg, trat durch das Tor in die weite Halle, er sah hinten den heiligen Herd, über sich das starke Balkendach, an den Seiten die erhöhte Bühne, dahinter die Eingänge zu den Kammern des Herrn und der Hausfrau. In dem Hofraum davor standen, vom Bollwerk überragt, das niedrige Schlafhaus der Mannen, die Ställe und Vorratsräume.

Unter der Eiche, welche das Laubhaus trug, saß Irmgard und blickte selig vor sich nieder, denn auf dem Boden lag ihr kleiner Sohn im Lindenschild seines Vaters, und Frida schaukelte ihn. Der Kleine griff mit den Händchen nach einer Biene, die vor ihm summte. »Weiche abwärts, Honigträgerin,« scheuchte Irmgard, »und tue dem kleinen Helden kein Leid, er weiß ja noch nicht, daß du eine Waffe unter dem Pelzrock birgst. Fliege zu deinen Gespielinnen und sei fleißig, den süßen Seim zu kochen, damit mein Held im Winter an deiner Arbeit seine Freude habe. Denn ein junger Burgherr ist er, und wir heben für ihn den Zehnten von allem Guten, das im wilden Walde gedeiht. Sieh, Frida, wie er die Faust ballt, und wie wild er vor sich blickt, er wird einst ein Krieger, den die Männer fürchten. Dort bringt ihm auch der Vater seine Jagdbeute«, rief sie freudig, hob den Kleinen aus dem Schilde und hielt ihn in die Höhe, als Ingo herzutrat mit Hornbogen und Jagdspeer, einen erlegten Rehbock auf der Schulter. Der Häuptling beugte sich über den Sohn und strich seinem Weibe grüßend das Lockenhaar, dann legte er das Wild am Baume nieder. »Der Schnellfuß hier kreuzte meinen Weg, als ich über die Berge nach der Burgundenmark schritt. Sie ist nahe genug und man erreicht sie ohne viel Roßsprünge«, setzte er lachend hinzu. »Einem der Marvinge wurden in der Nacht zwei Rinder aus dem Waldgehege geraubt, wir folgten der Spur, sie führte über die Grenze, und unsere Boten gehen südwärts, den Raub einzufordern. Doch sorge ich, es ist vergeblich, denn ungerecht sind die Grenzleute drüben, und wir vermögen nicht anders zu unserer Habe zu kommen, als daß auch wir auf ihrem Grunde in die Herden fallen. Üble Heldenarbeit ist solcher Nachtwandel eines Katers, der mausen geht; doch fordern sich's die gekränkten Bauern, und der Häuptling darf's nicht weigern.«

»Dafür lachen dir die Landgenossen grüßend zu, und auch dein Weib freut sich der Ehre, die sie ihr erweisen«, tröstete Irmgard.

»Ein gutes Weib habe ich, das um meinetwillen froh ist«, versetzte Ingo. »Dennoch fürchte ich, daß sie nur selten noch einen Sänger hört, der die Taten ihres Hauswirts rühmt. Heute nacht träumte mir, daß die Waffen über unserem Lager klangen, und als ich auffuhr, sah ich, wie mein Schwert in der Scheide hüpfte. Weißt du, was der Traum bedeutet, du Zeichenkundige?«

»Daß mein König sich nach Ausfahrt sehnt,« versetzte Irmgard ernsthaft, »hinweg von der Mutter und dem Kinde. Eng ist der Hof und verborgen dein Hausen im Walde. Wohl sehe ich zuweilen die Wolke auf deiner Stirn und höre Kampfesworte von den Lippen des Schlafenden, wenn ich mich über dich beuge.«

»Das ist Mannesart, wie du weißt,« versetzte Ingo, »daheim auf dem Lager die Schwertreise zu ersehnen, und wieder nach dem Kampfe die Heimkehr an den Hals der Gemahlin. Wohl möglich, daß der Gesang meines Schwertes uns einen Strauß mit den Burgunden wahrsagt, denn ärgerlich sind die Händel, und Gundomars Gesinnung wird kalt. Sieh dorthin, auch der Alte ist in einen Zimmermann gewandelt«, er wies auf Berthar, der mit Axt und großer Ledertasche über den Hof schritt.

»An der Zugbrücke ist ein Schaden zu heilen,« erklärte der Held und trat grüßend näher, »und der Hände sind wenige. Deine Knaben, König, rüsten mit den Landleuten fröhlich das Nachtfest der Sommermitte und bereiten die Holzstöße zu Bergfeuern.«

»Du aber wachst für uns alle«, sprach Irmgard.

»Vorsicht ziemt dem Wächter, welcher einen Schatz behütet«, versetzte Berthar und neigte sich gegen Irmgard, und bedeutsam fuhr er fort: »Gegen Norden ragt das Giebeldach dieses Saales und in den Bergen sammeln sich die argen Wetter. Nordwärts sehe ich oft, wenn auch der Tag sonnenwarm ist wie heut. Verzeihe, Herrin, daß ich stille Sorge erwecke. Solange mein alter Gesell Isanbart atmete, hemmte er wohlgesinnt die Rachegedanken jenseit der Berge, denn Herr Answald beachtete seine Worte. Seit sie aber den Hügel über ihn schütteten, haben die Feinde allein das Ohr des Häuptlings. Nicht das Volksgeschrei fürchte ich noch, wohl aber heimliche Rachefahrt über den Wald. Ungern sehe ich, wenn die Herrin allein in die Täler wandelt.«

»Soll ich als eine Gefangene leben, Vater?« fragte Irmgard traurig.

»Nur die nächste Zeit laß dir unsere Sorge gefallen. Manche Wunde vernarbt, ist doch auch die des Theodulf geheilt, und er schreitet, wie sie sagen, jetzt am Hofe des Königs einher.«

Vom Bollwerk klang laute Rede, der Wächter auf dem Holzgerüst blies in das Horn und hing an den Ruf lustige Töne, die gar nicht dazugehörten. Irmgard lachte. »Es ist ein Freund,« sprach Ingo, »der Wächter will ihm eine Ehre tun.« »Volkmar«, schrie Irmgard und eilte dem Sänger entgegen, der eilig in den Hof trat. Aber sie hielt an, als sie in das feierliche Gesicht des Wanderers blickte. »Aus der Heimat kommst du, doch ich erkenne, einen Freundesgruß bringst du nicht.«

»Von der Königsburg komme ich,« begann Volkmar, und in seinem Antlitz zuckte die Bewegung, als er sich vor der Herrin und dem Häuptling verneigte, »nur kurz war meine Rast in den Waldlauben. Herr Answald ließ satteln, um nach der Königsburg zu reiten, die Fürstin saß unter den Mägden, still war es im Hofe, niemand fragte, wohin ich ging.« Irmgard wandte sich ab, aber im nächsten Augenblick faßte sie die Hand des Gemahls und sah liebevoll zu ihm auf.

»Als Bote des Königs kommst du,« begann Ingo, »ich hoffe, wohlmeinende Sendung trug er dir auf.«

»Verstummt sind die Lippen des Königs,« versetzte Volkmar, »geendet ist seine Sorge um Königsstuhl und Schatz, tot fand man ihn auf seinem Lager, nachdem er am Abend vorher lustig unter seinen Mannen gezecht hatte. Der Holzstoß wurde ihm gerichtet, und die Flammen loderten um seine Leibeshülle.« Tiefes Schweigen folgte seinen Worten.

»Ein machtvoller Herr war er und ein beherzter Kriegsmann, ein besseres Ende habe ich ihm gewünscht als unter seinen trunkenen Leibwächtern«, begann erschüttert Ingo. »Wie er auch gegen andere gehandelt hat in mürrischem Argwohn, mir war er ein Gehilfe zu meinem Glück, und durch ein ganzes Jahr hat er den Andrang meiner Feinde gehemmt.«

»Den Schlüssel zur Schatzkammer bewahrt jetzt die Königin für ihren Sohn,« fuhr der Sänger fort, »sie herrscht gewaltig in der Königsburg und sendet ihre Mannen in das Land. Um die Wette reiten die Edlen, an ihrem Hofe Huld zu gewinnen; schwerlich wagt jemand ihrer Herrschaft zu trotzen. Schon meint mancher, daß die Faust des toten Königs weniger gedrückt habe als die weißen Finger der Frau Gisela. Das kündige ich dir, Fürst, von niemandem gesandt, du erwäge, ob es dir Unheil bedeute.«

»Mit gleichem Ernst berichtest du Trauriges und Frohes«, antwortete Ingo lächelnd. »War der König mir nicht schädlich, die Königin kenne ich als gütig und edelgesinnt. Jetzt erst darf ich mit leichtem Mute mich meines Glückes rühmen, soweit es an dem Willen der Nachbarn hängt.«

»Unsicher ist die Gunst einer herrischen Frau«, sprach der Sänger.

»Ein treuer Grenzwart war ich dem toten König, warum sollte ich seinem Sohne weniger sein? Und solange Frau Gisela den Thüringen gebietet, erwarte ich Gutes von dort. Du sprachst die Königin?«

»Feindlich stach der Blick der Königin, als sie mich in dem Haufen sah. ›Denkst du jemals wieder in meinem Hofe den Mägden deine Reigen zu spielen,‹ rief sie mir zu, ›so meide die Bergfahrt. Wenn die Elster über die Wälder fliegt, rauft ihr der Habicht die Federn. Vielschwatzender Bote warst du dereinst, sorge um deine Zunge.‹ So winkte sie mir Entfernung, ich aber eilte flüchtig durch die Wälder hierher, mich trieb die Sorge um dich und die Herrin.«

»War die Sorge auch eitel, dennoch sei bedankt für deine Treue. Dir hat ein Verleumder die Königin verfeindet. Wie sie mir gesinnt ist, habe ich in schwerer Stunde erfahren, bewährt ist die Freundschaft und gemeinsam der Quell unseres Blutes. Denn uns beiden walten die hohen Ahnen im Göttersaal, als zwei Kinder eines Geschlechts stehen wir unter Fremden auf den beiden Seiten der Berge, ich der Mann, und sie das Weib.«

»Doch nicht dein Weib, Herr«, warf Berthar ein.

Ingo lachte. »Gleichwohl ist sie ein Weib, und übel stünde uns Männern, die Laune einer Frau zu fürchten.«

»Noch übler, ihrer Freundschaft zu vertrauen«, mahnte der Alte. »Als die Bärin klein war, leckte sie die Hand des Mannes, den sie später im Nacken packte.«

»Gar zu hartnäckig ist dein Mißtrauen«, schalt Ingo gutherzig. »Aber ich will die Klugheit üben, die du rätst. Wir reiten selbst in die Dörfer und laden die Alten zum Rat, ob wir eine Botschaft senden an die neue Königin und vorsichtig auf Rüstung denken. Ist die Arbeit unnütz, so lachen wir später der Sorge. Du, Volkmar, weile als Gast bei uns, bis du erkennst, daß Frau Gisela dir wieder hold wird; du weißt selbst, wie lieb uns deine Nähe ist.«

»Verzeih, Herr,« antwortete der Sänger ernsthaft, »wenn ich meine Fahrt nicht hemme, schneller als Sprung des Hirsches und Flug des Falken eilt der Zorn dieses Weibes. Völlig hat sie vergessen, daß sie ehedem meine Botenfahrt vor dem toten König rühmte. Meinst du vor ihr sicher zu sein, mir hoffe ich's nicht.«

»Wer darf dem wanderlustigen Sänger den Fuß hemmen? Mußt du scheiden, so laß dir's doch gefallen bei der Herrin am Herde auszuruhen und kehre bald wieder unter unsere Eichen.«

»Ich werde die Stätte wieder aufsuchen, wo die Eichen stehen«, versetzte der Sänger, sich über die gebotene Hand des Häuptlings neigend.

Ingo schritt mit Berthar zu den Rossen, Irmgard sah ihm nach. »Vieler Geheimnisse bist du kundig, Volkmar,« sprach sie leise, »aber du vermagst der angstvollen Frau doch nicht alle Gedanken zu deuten, welche durch das Haupt ihres Gemahls ziehen.«

»Die Gedanken schwirren im Haupt, wie Schwalben im Hausdach, sie fliegen aus und ein,« tröstete der Sänger, »du aber gleichst dem Herdfeuer im Hause, welches Frieden gibt und froh macht; sorge nicht um die schwärmenden Schatten. Doch auch dir, Herrin, nahe ich als verschwiegener Bote. Da ich aus den Waldlauben schied, trat Frau Gundrun mit mir zu dem Gehege, worin sie das Hofgeflügel verwahrt. Sie wies auf ein Storchweibchen und sprach: ›Der Vogel entflog im Sommer dem Hofe, aber vor dem Winter kam er zurück und brachte sein Junges mit, jetzt füttern wir beide. Eine, die du kennst, schwand von hier, weil sie die Schwungfedern eines Wanderschwans erfaßt hatte, trage ihr jetzt ein anderes Reisezeichen zu.‹« Und der Sänger bot ihr das Zeichen, die Flügelfeder eines Storches und die Kielfeder eines jungen Vogels mit einem Faden zusammengebunden. Irmgard hielt den Gruß ihrer Mutter in der Hand und ihre Tränen fielen darauf: »Frau Adebar, die Störchin, flog zum Hofe zurück, weil ihr ein Raubvogel den Wirt ihres Nestes zerkrallt hatte. Mir aber gebietet mein Herz, den wilden Falken zu widerstehen, welche gegen meinen Hausherrn die Flügel schwingen. Komm, Volkmar, daß ich dir mein armes Storchkind zeige, das jauchzend die kleinen Hände ballt, wenn sein Vater sich über sein Antlitz neigt.«

Am Nachmittag war es still auf der Ringburg. Der Sänger war geschieden, Ingo eilte mit den Hofgenossen durch die Täler. Frau Irmgard stand an dem Quell, der unweit des Hauses unter einem Felsen hervorrieselte. Dort hatten die Männer der Herrin einen schönen Steintrog gemeißelt, in dem sich das Wasser sammelte. Warm schien die Sonne, lustig plätscherte das kühle Wasser und floß aus dem Steintroge talab; über die Felswand hingen von oben die Äste eines Eschenbaumes als ein schirmendes Dach, und um den Quell standen Weiden und bargen mit ihrem grauen Blättergewand die Stelle vor fremden Augen.

Irmgard hielt den kleinen Sohn über den heiligen Quell. »Liebe Herrin des rinnenden Wassers,« flehte sie, »sei hold meinem Kinde, daß seine Glieder stark werden und sein Leib wohlgestaltet wie der meines Herrn.« Sie badete den Knaben, welcher ungeduldig schrie und mit den Beinchen um sich schlug, sie rieb ihm den kleinen Leib mit dem Linnentuch, hüllte ihn warm ein, legte ihn auf das Moos und sprach ihm kosend zu, bis sein Schreien endete und er die Mutter wieder anlachte. Dann erhob sie sich und legte ihr Obergewand ab, daß sie ungegürtet im Unterkleide stand, sie spülte am Wasser den Saum des durchnäßten Gewandes rein und breitete es aus, wo die Sonnenstrahlen auf den Rasenweg fielen. »Einst hatte ich Dienerinnen, welche sich zu meinem Dienst aufschürzten, und selten rührten meine Hände an Herd und Trog, jetzt hause ich mit Frida und den Mahlmägden allein in der Wildnis, und rauh wird die Hand, ich fürchte, daß das meinen Herrn kränkt. Wäre meine Hand weich wie einst, ihm würde manches Behagen fehlen. Wie könnte er leben ohne meine Hilfe an der wilden Mark?« Sie sah auf ihr Bild, welches in dem bewegten Wasser hin und her fuhr, und löste das Band ihrer Haare. Die langen Ringellocken sanken herab und tauchten mit den Spitzen in das Wasser, sie aber starrte in die Flut und sprach leise: »So gefiel ich ihm einst: wissen möchte ich, ob er noch so denkt wie damals, wo er mich im Morgenlicht küßte? oder hat mich der stille Gram gewandelt um den Zorn des Vaters und die Trauer der Mutter? Ich berge doch meine Seufzer dem Könige und winde die Hände nur in der Einsamkeit. Ihm aber kränkt die einsame Ruhe den stolzen Mut, und er sehnt sich hinaus zu ruhmvollem Heldenwerk, denn hoch fährt sein Sinn, und er ist sein Lebelang gewöhnt, den Adlern die Walstatt zu bereiten. Jetzt birgt er sein Haupt unter dem Holzdach um meinetwillen.«

So senkte sie das Haupt über den Steinrand in schweren Gedanken. Der Türmer rief und von Tritten klang der Stein, ohne daß sie darauf achtete. Da schnaubte neben ihr ein Roß und eine tiefe Frauenstimme rief: »Was lauert das Weib am Brunnenrand, so gierig ihr eigenes Antlitz zu beschauen, daß ihr Auge und Ohr verblendet sind.«

Irmgard fuhr auf. Vor ihr hielt hoch zu Roß eine mächtige Frau, von dem gelben Haar hing ein Schleier herab, über die Schultern und des Rosses Rücken ein Purpurmantel, von Goldmetall blitzte die Rüstung des Rosses und sein Huf stampfte auf dem Linnengewand, das Irmgard ausgebreitet hatte. Und hinter der Fremden sah sie das bleiche Antlitz Sintrams. Die heiße Röte stieg ihr in das Antlitz, sie wußte, wer die Fremde war, vor der sie ohne Gürtel mit entblößtem Bein stand. Aber aus ihrem Auge flammte der Zorn wie aus dem der Königin. So prüften einander die Frauen schweigend mit feindlichen Blicken, dann schlug Irmgard ihre Haare wie einen Schleier über die Brust und tauchte neben dem Brunnen nieder in das Moos, damit sie die nackten Beine berge. Sie nahm ihr Kind in den Schoß und hielt es vor sich. »Ist das Weib stumm, das sich auf den Boden duckt?« rief die Königin ihrem Begleiter zurück. »Es ist Frau Irmgard selbst, Herrin«, antwortete Sintram. »Die Königin ruft dich, Base Irmgard.«

Irmgard blieb unbeweglich sitzen, aber sie rief befehlend: »Wende dein Antlitz ab, Sintram, nicht ziemt es dir, die Augen auf mich zu richten, während das Roß deiner Königin über meinem Gewande stapft.«

»Hast du so gut gelernt, was dem Weibe geziemt im Hofe deines Vaters, aus dem du entwichen bist als Dirne eines fremden Mannes?«

»Unwahr schmähst du, wenn du gleich eine Königin bist,« rief ihr Irmgard zornig entgegen, »treu lebe ich meinem verlobten Gemahl. Siehe zu, Neidvolle, ob du gleicher Ehre dich rühmen darfst.«

Drohend erhob die Königin den Arm, da klangen Stimmen auf der Höhe. »Hierher, Ingo,« rief Irmgard außer sich, »hilf deinem Weibe!« Den steilen Fußpfad an ihrer Seite sprang Ingo herab, erstaunt sah er sein Weib am Boden und vor ihr hoch zu Rosse die zornige Königin mit ihrem Begleiter. Er schritt bei seinem Weibe vorüber und beugte huldigend Haupt und Knie vor Frau Gisela. »Heil der großen Herrin der Thüringe,« rief er fröhlich, »in Ehrfurcht grüße ich dein edles Haupt, schenke deine Huld dem Hause des treuen Vetters.« Das Antlitz der Königin wandelte sich, da sie den Helden so froh in eherbietiger Haltung vor sich sah, und sie sprach gütig: »Heil sei auch dir, mein Vetter.«

»Übt niemand der Königin den Hofbrauch, daß er ihr vom Rosse helfe?« rief Ingo und bot der Königin den Fuß und den Arm, damit sie sich herabschwinge. Frau Gisela faßte mit der Hand in sein lockiges Haar, sich daran zu halten, und ließ sich an seinem Fuße herab.

»Verzeih', Base Gisela,« fuhr Ingo fort, als die Königin vor ihm auf dem Boden stand, »ungebührlich ist es, daß meine Hausfrau vor den Augen der Königin und eines fremden Mannes entblößt sitze, leihe ihr huldvoll den Mantel, damit sie sich geziemend entferne«, und behend faßte er ihren Mantel, da wo ihn die Spange festhielt, und zog ihn von den Schultern. Die Königin erblich und trat zurück, Ingo aber schlug den Mantel um den Leib seiner Frau und befahl, sie erhebend und auf den Weg weisend: »Verlaß uns.«

Irmgard hüllte sich und den Knaben in das weite Gewand und schritt den Fußpfad hinauf. Ingo aber wandte sich wieder zur Königin, er sah, wie diese nach Fassung rang, und daß Sintram vom Rosse gesprungen war und mit gezogenem Schwert herankam. Aber die Königin winkte und Sintram trat gehorsam zurück.

»Dreist war die Hand, welche der Königin den Mantel nahm, aber dem Manne geziemt, die Ehre seines Hauses zu wahren; du, Ingo, hast mutig gebessert, was wir im Eifer versahen, und ich zürne dir darum nicht.« Sie winkte ihrem Begleiter zum zweitenmal, Sintram wich mit den Rossen weiter abwärts, Ingo stand der Herrin allein gegenüber. »So ist es gekommen wie ich begehrte,« begann Frau Gisela, »du bist vor meinen Augen, Ingo, wie einst, wo ich dich auf den Stufen der Halle empfing, und wie damals nahe ich dir gutgesinnt.« Und ernster fuhr sie fort: »Du hast Feinde in meinem Lande, welche dir Unheil sinnen, und laut schallt ihr Racheschrei in der Königsburg; auch meine Heimatgenossen, die Burgunden, erheben, wie ich höre, Klage gegen dein raubendes Volk.«

»Du kennst den Brauch an den Landmarken, Königin, für den Schaden, den meine Leute durch die Fremden erfuhren, setzten sie sich selbst das Maß der Rache. Doch wurde durch meine Genossen ein Thüring gekränkt, so waren wir eilig, dem Geschädigten Sühne zu leisten; laß auch du, Königin, dir den Frieden gefallen, den Ingo und seine Markleute von deiner Macht ersehnen.«

»Der Held, den ich einst kannte, hatte höheren Stolz, als Kühe der Burgunden in seine Ringburg zu treiben«, spottete die Königin.

»Der Mann, welcher unstet über die Erde schweift, zimmert gern ein Dach, unter dem er als Wirt gebietet«, versetzte Ingo.

»Unsicher nenne ich das Hausdach,« versetzte die Königin, »aus welchem die Hauswirtin durch Volksgeschrei gefordert wird. Der Vater und der Bräutigam, denen du das Weib geraubt, fordern den Heereszug gegen dich, der junge König bedarf die Hilfe seiner Edlen, er kann nicht weigern, die Geraubte von dir zurückzufordern, und nahe ist, wie ich fürchte, dir das Verderben, denn mühsam hielt der Königswille bis jetzt die zornigen Männer zurück.«

»Was du drohst, Königin, zwingt mich, noch fester in meinem Hofe zu stehen, ist Kriegstat nahe, mir ist sie willkommen, rostig wird das Schwert, das am Herde hängt.«

»Törichter Mann,« rief die Königin näher tretend, »ganz ahnungslos lebst du im Walde, während von allen Seiten die Jäger gegen dich ziehen. Der Cäsar begann neue Kriegsfahrt gegen die Alemannen, auch dich sucht seine Rache; den Burgunden hat er Bündnis geboten, und Gundomar hat sein Volksheer geladen.«

»Den Cäsar nennst du«, rief Ingo. »Dank für die gute Botschaft, Königin! Darum klang mein Schwert, und dort naht der Kämpfer, den ich mir bei Tag und Nacht ersehne.« Seine Augen leuchteten und seine Hand fuhr nach der Waffe.

»Gut sprichst du, Held,« rief Gisela, selbst ergriffen von seiner Glut, »verlorene Mühe wäre es, dich durch Gefahren zu schrecken. Die Warnung trage ich zu, denn ruhmvollere Genossenschaft weiß ich für dich, als unter den Bauern des Waldes und der Mark. Ingo, mein Vetter, du bist es, dem ich lieber als einem anderen Mann den jungen König und mich selbst anvertraue; einen Helden begehre ich, der dem Volksheer vorschreitet in der Schlacht, und der meinen Sohn lehrt, wie man Ruhm gewinnt. Zu solcher Hoheit habe ich dich erkoren, und dich für die Königsburg zu werben bin ich hier.«

Ingo stand überrascht, heftig wirbelten ihm die Gedanken durch das Haupt. Vor sich sah er das schöne Weib in der Königskrone, die Hand hielt sie ihm entgegen, was die Sehnsucht und Glück des stolzesten Helden war, das trug sie ihm bittend zu.

»Du warst ein Knabe.« fuhr Frau Gisela in tiefer Bewegung fort, »da legten die Väter meine Hand in die deine, du wurdest ein Held, gerühmt von den Völkern, und ich ein unzufriedenes Weib in der Königsburg, da strichst du wieder mit deinem Finger schmeichelnd über meine Hand. Was dich von der Königin trennte, ist seitdem auf dem Scheiterhaufen dahingelodert. Jetzt komme ich und lade mir den erlauchtesten aller Helden in diesen Ländern. Beide flehen wir zu demselben hohen Gott, die Enkel zum Ahnen, denn aus dem Geschlecht der Götter stammen wir beide, hoch dürfen wir das Haupt erheben über alles Volk der Menschenerde, du und ich, wir sind durch die Unsichtbaren selbst geweiht zu Herrschern des Volkes.« Als Ingo von den Lippen der anderen dieselben Worte vernahm, die er selbst gesprochen hatte, da sah er wie betäubt auf die Herrin, die, einer Göttin gleich, über sein Schicksal sann. – Von der Höhe rauschte es, der Mantel der Königin fiel herab, in der Ferne verklang das leise Wimmern eines Kindes.

»Dies ist der Schmuck, der geliebten Helden gebührt«, rief die Königin und rührte mit der Hand seine Schulter. Ingo hob das Haupt.

»Eine leise Stimme höre ich in meiner Not,« sagte er vor sich hin, »meinen kleinen Sohn höre ich über mich klagen, und wie ein Mann, der aus dem Traume erwacht, stehe ich vor der Königin. An eine bin ich gebunden, die mir teurer ist als mein Leben. Alles hat sie für mich verlassen, im Ringe der Blutgenossen habe ich ihr gelobt, daß ich um sie sorgen will wie ihr Vater, und mit ihr allein das Lager teilen als ihr echter Gemahl. Wie darf ich sie meiden und zur Königsburg ziehen?«

»Nicht weiter, Ingo,« rief Frau Gisela und ihr Antlitz flammte, »gedenke, daß du auch mir die Hand gereicht, denke jener Nacht, wo ich das Schwert des toten Königs gehalten. Damals, wo ich dir dein Leben bewahrte, haben die Unsichtbaren mein Schicksal an deines gebunden. Mir gehörst du an, mir allein, und teuren Preis habe ich für dich gezahlt.«

»Hochherzig und als Heldin hast du dich mir erwiesen,« versetzte Ingo, »und dankbar bleibe ich dir, solange ich atme.«

»Pfui über den kalten Gruß,« rief die Königin außer sich, »und pfui über den Helden, der mit höflichen Worten dankbar ist, daß ein Weib sich für ihn mit dem Fluch der Todesgötter belastet. Verstehst du so wenig, was ich getan, da ich dem eigenen Eheherrn das Schwert band? Die bösen Gewalten habe ich heraufbeschworen gegen mein eigenes Leben, Argwohn und den lauernden Haß: Galle war seitdem mein Trank und der eines anderen, verdächtig jedes Wort und ruhelos jede Nacht. Ob ich noch ferner im Licht atmen würde, wenn der andere fortfuhr mit seinen wilden Knaben zu zechen, das war meine Sorge, herznagende Sorge bei Tag und Nacht.«

»Hast du Todesnot ertragen um meinetwegen,« sprach Ingo bewegt, »so rufe mich, wenn dich Gefahr bedrängt, und willig werde ich mit meinem Blut zahlen, was ich von deiner Last zu tragen habe.«

Die Königin hörte kaum seine Worte, sie trat nahe zu ihm und flüsterte mit heiserer Stimme: »Bist du so willig, Trauter? Wohl möglich, daß der andere nicht gestorben wäre, hättest du nicht in jener Nacht in meinem Gemach gestanden.«

Der Held fuhr zurück, seine Wange erblich, aber kalt war sein Blick, als er antwortete: »Meinst du, Königin, daß du meinem Herzen lieber wurdest, wenn du um meinetwillen schwere Tat auf dein Leben nahmst?«

»Was starrst du mich an, wie von Stein«, schrie Frau Gisela, sie faßte seinen Arm und schüttelte ihn: »Nicht dürfen wir zwei, du und ich, nebeneinander noch auf der Männererde dauern, wenn du mir nicht folgst.«

Zornig löste sich der Held von ihrer Hand. »Hast du durch heimliches Nachtwerk auch auf mein Haupt den Zorn der Rachegötter gesammelt: ich bin bereit, die Buße zu zahlen, aber frei von dir, nicht als Knecht an dein Leben gebunden.«

Die Königin sah scharf in sein Angesicht, langsam hob sich ihr Arm, und die Hand ballte sich drohend. »Geworfen sind die Stäbe, in welche die Schicksalsfrau deine und meine Zukunft ritzte. Du hast gewählt, Ingo, und das Zeichen, das du gefunden, bedeutet Not.« Sie wandte sich ab, krampfig hob sich der Leib, aber tränenlos blieb das Auge und steinern war ihr Antlitz, als sie auf die untergehende Sonne weisend halblaut sagte: »Auf morgen.« Eilig schritt sie zu den Rossen. Ingo schleuderte den Königsmantel mit dem Fuße den Berg hinab und sprang auf dem Wege, den Irmgard gegangen, seinem Hofe zu.

 


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