Gustav Freytag
Ingo und Ingraban
Gustav Freytag

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5. In den Waldlauben

Auf dem Herrenhof und im Dorfe knarrten die Erntewagen, die Mannen des Häuptlings vergaßen im Drange der Arbeit zuweilen ihren Kriegerstolz und halfen den Knechten, die Schnitter banden dem großen Gott des Volkes die letzte Garbe mit frommem Zuruf und brachten im Reigen springend den Ährenkranz zur Halle des Fürsten; die barbeinigen Dorfkinder schwärmten wie Drosseln um das Vorholz und sammelten Beeren und Nüsse in langen Tüten aus Holzspänen. Jeder war eifrig, die Früchte einzuheimsen, welche die Göttin der Flur dem seßhaften Manne spendet. An der Seite des Hofherrn achtete Ingo auf die friedlichen Werke, die er sonst nur vom hohen Kriegsrosse geschaut hatte, er hörte mißfällig, wenn sein Wirt sich wie ein Bauer über die Wölfe ärgerte, weil sie ihm ein junges Rind zerrissen, öfter aber lachte er froh, wenn er Irmgard unter den Mägden sah, denen sie bei der Arbeit gebot. Ihm und der Jungfrau pochte das Herz in Freude, wenn sie vor den anderen im Hofe und auf der Flur höflichen Gruß tauschten und zuweilen wenige Worte. Denn streng war die Hofzucht, gesondert lebten die Männer, und Ingo scheute sich, seit er den Gastschwur getan, durch dreistes Nahen den Frieden des Hofes zu verletzen. Fast alle blickten ihn freundlich an, nur das Auge der Fürstin umwölkte sich, wenn sie ihm nachschaute. Ihr kränkte den stolzen Sinn, daß er gegen ihren Rat einen Mann ihrer Freundschaft im Kampfspiel besiegt hatte, auch daß ihr Wunsch, ihn als fremden Landfahrer zu halten, durch den Sänger vereitelt war. Und noch anderes war ihr beschwerlich. Sie hatte ihren Blutsverwandten, den Theodulf, zum Gemahl der Tochter erkoren, ihr eigenes Geschlecht und Herr Answald hatten schon vor Jahren darum gehandelt. Jetzt beobachtete sie argwöhnisch die Tochter und den Gast.

Eines Tages kam ein fahrender Gaukler mit seinem Kasten in die Flur, er blies vor dem Hofe des Fürsten auf der Sackpfeife, bis die Leute aus dem Dorfe herzuliefen, auch die Mannen und Knechte des Fürsten traten aus dem Hoftor. Als der Ring geschlossen war. begann der Mann in unbehilflicher Sprache seinen Bericht, daß er in dem Kasten einen Römerheld berge, und wenn die Krieger und die schönen Frauen ihre Gunst erweisen wollten, so sei er bereit, ihn zu zeigen. Er pochte auf den Kasten, da hob sich der Deckel und ein kleines häßliches Ungetüm, von Gesicht einem Menschen ähnlich, mit einem Römerhelm über den Ohren, hob seinen Kopf empor und schnitt Gesichter. Viele fuhren zurück, die Beherzten aber lachten über das Wunder. Der Mann öffnete den Kasten und der Affe sprang hervor in einer Panzerjacke wie ein römischer Krieger gekleidet. Er fuhr mit den hageren Beinchen auf dem Grase umher, überschlug sich in der Luft und tanzte. Zuerst entsetzten sich die Landleute, dann erscholl lautes Gelächter und Beifallsruf, so daß Hildebrand in die Laube lief und den Herren verkündete: »Ein Gaukler tanzt vor dem Hoftor mit einem kleinen wilden Mann, den sie einen Affen nennen.« Darauf trat auch der Fürst mit Ingo und den Frauen heraus und freute sich an den lustigen Sprüngen des Affen. Zuletzt nahm der Affe den Helm ab, lief im Kreise umher, und der Mann rief: »Spendet, ihr Helden, meinem römischen Krieger, was ihr von Römermünzen im Säckel habt, kleine und große, je edler der Held, um so größer das Geldstück. Wer keines hat, lege Wurst und Eier in den Kasten.« Da lachten die Leute und mancher griff an den Gürtel, andere trugen aus dem Hofe herzu, was dem fahrenden Mann als Reisekost diente. Auch zu den Herren trat der Fremde, und der Fürst und Theodulf holten römisches Kupfer aus den Taschen, und Frida hörte, wie Theodulf auf Ingo weisend zu dem Gaukler sagte: »Der große Held dort spendet dir wohl am reichlichsten.« Als der Mann nun mit seinem Affen dem Helden Ingo nahte, da sorgte Frida, ob der Fremde und sein Kämmerer Wolf in den Jacken der Fürstin wohl auch etwas finden würden, was sie austeilen könnten, und um die Beschämung abzuwehren, riß sie schnell eine der kleinen Silberschellen ab, welche ihr das Herrenkind zum Brustschmuck geschenkt hatte, und vorspringend sprach sie: »Dir spendet dieser Held, welcher die Sprünge der Römer besser kennt als du, wenn du ihm Antwort gibst auf eine Frage: Welches Gewand trägt dein Ungetüm, wenn du unter den Römern Gaben begehrst?«

Der Mann nahm das Silber, sah scheu nach Ingo und antwortete dem Mädchen frech: »Den Gruß der Vandalen kenne ich als verfänglich und grob. Dir aber sage ich, wer im Tanze den Römern gefallen will, muß nackt springen. Was mein Affe tut, rate ich auch dir.« Frida rief ihm zornig nach: »Ich meine, unter den Fremden verhöhnt dein tanzender Kater ebenso die Krieger meines Volkes, wie die Fremden bei uns.« Da nickten die Männer und wandten sich lachend von dem Gaukler ab. Ingo aber trat zu ihm und fragte: »Woher weißt du, daß ich von den Vandalen bin?«

»Deutlich genug trägst du's auf dem Haupte«, versetzte der Mann und wies auf die Kappe Ingos, in welcher drei Schwungfedern des wilden Schwans steckten. »Kaum acht Tage sind es, da erlitt ich bei den Burgunden hartes Fegen von deinen Federn.« Ingos Antlitz wandelte sich, er ergriff den Mann hastig beim Arm und zog ihn zur Seite: »Wieviel waren ihrer, die dieses Zeichen trugen?«

»Mehr als zehn und weniger als dreißig,« versetzte der Mann, »ungefüge Worte gaben sie mir, weil mein Kleiner dort mit Gänsefedern tanzte und bedrohten mich durch Schläge.«

»Der dich schalt, war ein alter Kriegsmann mit grauem Bart und Narben auf der Stirn?«

»Du nennst ihn wie er war, Herr, und außerdem von groben Sitten.«

Irmgard sah, daß der Held Mühe hatte, seine Bewegung zu verbergen, er löste sich von den anderen und ging allein nach dem Hofe zurück.

Da kurz darauf Volkmar als Königsbote in den Hof trat, empfing ihn Ingo wie einen Freund, den er sehnsüchtig erwartet hatte, er hörte seine Botschaft und führte ihn zu dem Fürsten: dort hielten die drei vertrauten Rat.

»Der König hat mich geladen,« sprach Ingo, »er hat mir Sicherheit gelobt. Was auch die Meinung seines Herzens sei, mir geziemt es, der Ladung zu folgen. Nur eines hemmt mich und mit Scham spreche ich es aus, nicht wie ein entblößter Mann darf ich zu dem Hof des Königs gehen, du gedenkst wohl, o Herr, wie ich zu dir kam.«

Bekümmert versetzte der Fürst: »An Roß und Gewand würde es dir, o Held, nicht fehlen, und Wolf würde dich als Kämmerer geleiten, dennoch rate ich nicht, daß du den Worten des Königs trauest und dich unter die Äxte seiner Leibwächter wagst, denn spurlos möchtest du verschwinden hinter den Steinmauern. Die Reise wäre ein unrühmliches Ende für dein Heldentum.«

Auch Volkmar sprach: »Dir, Held Ingo, ziemt es, die Gefahr gering zu achten, du weißt ja, daß dem Mann zuweilen die Kühnheit am besten gedeiht. Wenn du aber der Ladung des Königs folgst, wie du willst, so darfst du das nimmermehr als ein einzelner Wanderer tun. Dem König und seinem Gesinde würdest du verächtlich sein, unwürdig wäre die Behandlung, die sie dir zufügten, auch wenn der König dir nicht an das Leben geht. Denn an Königshöfen ist die Art, nur stattliches Gewand, Rosse und Gesinde geben dem Helden ein Ansehen. Darum, bevor du zu dem König reitest, mußt du das alles erwerben. Folgen dir aber Männer aus diesen Waldlauben, so wirst du dem König gänzlich verhaßt.«

»Gut sprichst du, Volkmar, in allem«, versetzte Ingo. »Willst du dich zurück unter die Augen des Königs wagen, so sage ihm, daß ich dankbar bin für die hohe Botschaft und daß ich vor sein Angesicht treten werde, sobald ich gerüstet bin, wie es seine und meine Ehre fordert.«

»Ich trage die Antwort,« antwortete Volkmar, »und ich hoffe mich behend zu Seite zu schwingen, wenn er seinen Trinkkrug nach mir wirft.«

Auch Herr Answald gab seine Zustimmung zu diesem Dank, denn ihn bedrückte im geheimen die Forderung des Königs, wenn er die Sorge auch mannhaft barg.

Als Ingo und Volkmar allein waren, begann Ingo: »Wer einen guten Rat geschenkt hat, der gibt wohl auch den zweiten. Du siehst, ich bin einem Kinde gleich, das aus dem Wasser geholt und neu in die Welt gesetzt ist. Hier sind die Leute gutherzig, aber Kriegsfahrten beginnen sie selten, spähe, du treuer Gesell, wo irgend im Lande für ein Schwert rühmliche Arbeit zu finden ist.«

»Harre nur ein wenig aus,« antwortete Volkmar lachend, »und laß dir unterdes gefallen, wenn die Jungfrau Irmgard vor dir meine Reigen singt, denn wohlgeübt ist sie im Lied und Saitenspiel. Höre ich von ehrlicher Heerfahrt, so sollst du's erfahren, doch du weißt, im Herbst lockt den Krieger die Heimat, im Frühjahr die Schwertreise.«

»Und jetzt höre weiter«, fuhr Ingo fort, »was mich in der Nacht schlaflos umherwirft. Der Sprung in den Rhein schied mich von meinen Mannen, hinter mir brachen die Heerhaufen der Römer wie ein Wasserschwall in das Land, die Priesterin barg mich mit Sorgen, bis sie mich nordwärts sandte; beim Abschied verhieß sie mir, nach den Volksgenossen zu suchen, die mit mir bei den Kähnen gestanden hatten. Jüngst aber hörte ich von einem Gaukler, daß Krieger meines Volkes in diesem Mond unter den Burgunden lagerten, einer davon war, wie mir schien, Berthar, den du kennst. Hegst du mir gute Gesinnung, Volkmar, so forsche, wenn du kannst, nach den Treuen; denn wie hold mir manche sind, die hier um mich leben, ich vermag nicht froh zu werden, bis ich weiß, ob einer von den Meinen dem Eisen der Römer entwichen ist.«

Der Sänger nickte und wandte sich zum Abgang. »Der Herr dieses Hofes bewährt dir guten Sinn, aber wandelbar ist der Menschen Gemüt und leicht wird müde, wer sich nur auf ein Bein stützt. Du hast mich durch dein Vertrauen geehrt, da du vorhin sprachst, wie du aus dem Wasser gehoben wurdest. Darum flehe auch ich um eine Gunst. Einst gabst du mir diesen Goldring, nimm ihn, o Herr, jetzt zurück, damit ich dir meine Treue erweisen kann, du spendest mir später wohl noch mehr, wenn die Götter dir Glück verleihen. Der Ring schafft dir Roß und Gewand oder wirbt dir einen hilfreichen Gefährten.«

»Lieber leihe ich von dir als von einem anderen,« versetzte Ingo, »aber du weißt, der Krieger zieht nicht ohne Gold zur Schlacht. Was mir Berthar an jenem Tage zureichte, wo ich ihn verlor, das berge ich noch im Gewande; damit, wenn mein Leib einsam auf der Heide liegen sollte, alsdann ein anderer das Gold bei mir finde und mich zum Dank ehrlicher Bestattung wert achte.«

»Dann, Held, gedenke auch klug der Lebenden: und wenn ich dir raten darf, so gib davon an die Jungfrau Frida, denn sie raunen im Hofe, daß sie eine Silberschelle für dich abgerissen hat, um ihrer Herrin zu gefallen: und spende auch an Wolf, deinen Kämmerer, damit ihn die anderen nicht schmähen, weil er einem kahlen Herrn dient. Zürne nicht, daß ich wie dein Vertrauter spreche, aber wer gewöhnt ist, um Huld zu werben, der versteht wohl auch, wie man Gunst gewinnt.«

Ingo reichte ihm lachend die Hand. »Nur dir biete ich nichts,« sprach er, »denn gern bleibe ich dir schuldig.«

»Und ich dir, solange ich atme«, grüßte Volkmar, sich ehrerbietig auf der Schwelle verneigend.

Ingo folgte dem Rat des Treuen. Als er seinem Kämmerer zwei Goldstücke in die Hand legte, auf denen das Bild des großen Römerherrn Constantinus zu sehen war, da merkte er an dem glücklichen Gesicht des Mannes und an dem warmen Dank, wie wertvoll solche Gabe in den Waldlauben war. Und nach der Mahlzeit trat er in Gegenwart der anderen vor Irmgard und sprach: »Deine Gespielin Frida hat für das Silber, das sie dem Gaukler bot, mir eine frohe Botschaft eingehandelt, gern möchte ich ihr dafür meinen Dank erweisen und ich bitte dich, Jungfrau, daß du ihr in diesen Münzen ihre Spende zurückgibst.« Da ging das fremde Gold auch unter den Frauen von Hand zu Hand, der Fürst und alle Wohlmeinenden waren erfreut, daß der Gast sich so gehalten hatte, wie seiner Würde gebührte, und Ingo merkte aus dem Diensteifer der Männer, daß ihr guter Wille behender wurde, seit sie für sich Gutes hoffen durften; denn alle gedachten, daß dem Herrn Ehre sei, viel zu geben, dem Dienenden aber, Gabe zu empfangen.

Ingo aber suchte auch nach einer Gabe für die, welche ihm lieb war. Als Irmgard im Hofe unweit dem Holunderstrauch stand, da trat er von der Seite eilig auf sie zu, sie hörte seinen Schritt, aber sie kehrte sich nicht um, damit keiner die Freude in ihrem Antlitz erkenne. Abgewandt von den anderen sahen sie einander in die Augen, und diesmal merkten beide die Nachtsängerin nicht, welche über dem Ast ängstlich ihre Kinder an die Abreise mahnte. Ingo begann die heimliche Rede: »Im Federgewand des Schwans flog einst Schwanhild, die Ahnfrau meines Geschlechtes, über die Männererde, seitdem sind die letzten Schwungfedern des Schwans das heilige Zeichen, welches die Männer und Frauen meines Stammes an Helm oder Stirnbinde tragen, wenn sie sich festlich schmücken. Dem lebenden Vogel suchen wir die Federn zu rauben, denn einen Schwan zu töten ist meinem Volk Frevel. Heut gelang mir's, einen Schmuck zu gewinnen. Dir, Holde, biete ich ihn, ob du ihn annimmst und dir bewahrst. Auf den Federkiel ritzte ich das Zeichen, womit ich zeichne, was mein ist.«

Irmgard erschrak, ihr ahnte, daß er durch die Federn bot, was er mit Worten nicht sagen durfte, und sie fragte unsicher: »Wie soll mein sein, was dein ist?«

Der Mann antwortete in tiefer Bewegung: »Nur darum liebe ich das Leben, weil ich eine Jungfrau kenne, welche dies Zeichen einst vor allem Volk auf ihrem Haupte tragen soll.« Und er hielt ihr wieder den Schmuck hin.

Da nahm Irmgard die Federn und barg sie in ihrem Gewande. Ganz wenig streifte seine Hand an die ihre, aber sie fühlte tief im Herzen die Berührung.

»Irmgard!« rief die befehlende Stimme der Fürstin im Hofe. Noch einen herzlichen Gruß mit den Augen tauschten die beiden, dann eilte die Jungfrau dem Hause zu.

»Was sprach heut der Fremde zu dir?« begann die Mutter zur Tochter, »seine Hand rührte an deine, und rot sah ich deine Wange.«

»Die Schwungfedern eines Vogels wies er mir, die seinem Geschlecht ein Erkennungszeichen sind, wenn die Helden sie am Haupt tragen«, antwortete Irmgard, aber wieder flog das verräterische Rot über ihre Wange.

»Eine Törin hörte ich einst, die in der Halle der Männer laut ihre Stimme erhob, daß alle schwiegen, wie die Waldsänger schweigen, wenn der junge Kuckuck sein Krähen beginnt.«

»War es vermessen, daß ich auf ihn wies, Unsitte war es nicht; voll war mir das Herz, und die Freunde werden mir verzeihen. Zürne auch du nicht, Mutter.«

Aber die Fürstin fuhr fort: »Ohne Freude sehe ich den Fremdling an unserem Herde rasten. Dem Hausherrn geziemt, gastfrei zu sein gegen den Bittenden, aber die Hausfrau hält die Schlüssel in fester Hand, daß nicht das Gut verschwendet werde, und sie wahrt ihren Hühnerhof, daß nicht der Marder eindringe. Meint der Fremde mit dem Sprung über die Rosse sich hineinzuschwingen in den Erbhof meines Herrn, in Vorratskammer und Küche, so wird ihm sein dreister Mut wenig frommen. Du aber, da du meine Tochter bist, sollst fremd bleiben einem, der als ein Wildling lebt, heimatlos, gebannt und so armselig wie der fahrende Bettler, der an unserem Tor um Gaben fleht.«

Irmgard richtete sich hoch auf. »Von wem sprichst du, Herrin? Meinst du den Helden, dem der Hausherr den Ehrensitz bietet? den Schuldlosen, der im Vertrauen auf die Eide der Väter zu uns kam? Ich habe gehört, daß der Vater meines Vaters im heiligen Trank Tropfen seines Blutes mischte mit dem Blut eines Königsgeschlechts, damit die Nachkommen einander lieb behalten und ehren sollen. Ist der Sohn jenes Königs auch anderen ein Fremder, im Hause meines Großvaters darf ihn keiner so nennen, selbst du nicht.«

»Höre ich deine trotzige Rede.« rief die Mutter, »so entbrennt in mir der alte Schmerz, daß dein Bruder nicht mehr unter den Lebenden weilt. An dem unseligen Tage, wo ihn ein Mann des Königs erschlug, wurdest du das einzige Kind meiner Sorgen, und übel lohnst du der Mutter für ihre Mühe.«

»Wäre mein Bruder am Leben, auch er würde sich als höchste Ehre begehren, der Kampfgesell des Helden zu sein, den du einen Bettler schmähst.«

»Da dein Bruder von der Männererde dahinschwand, wurdest du Erbtochter in diesem Lande, und die Mutter hat zu bedenken, wem dich der Vater vermähle.«

»Bin ich Erbtochter in diesem Hofe, so bin ich auch Erbin der Bundespflicht und geschworener Eide, und ich denke sie treu zu halten. Nie habe ich deiner Freundschaft die Ehre geweigert, weder dem Ohm Sintram noch deinem Neffen Theodulf, wie ich auch im Herzen von ihnen denke. Du aber schilt mich nicht, wenn ich auch solchen Liebe erweise, welche dem Geschlecht meines Vaters befreundet sind.«

»Schweige, du Widerspenstige,« antwortete die Mutter heftig, »zu lange hat der Wille des Fürsten dich im Hause bewahrt; es ist Zeit, daß dir der übermütige Sinn bezwungen werde durch die Vermählung.«

Als die Fürstin das Gemach verlassen hatte, starrte Irmgard vor sich hin und hielt die Hände fest zusammengepreßt. »Die Herrin redet hart mit den Mägden,« begann Frieda eintretend, »im Milchkeller verdarb der Rahm.«

»Streng ist sie auch gegen uns andere«, antwortete Irmgard, mühsam nach Worten ringend. »Du bist mir treu und ich habe niemanden, dem ich vertrauen kann, als dich, wenn du Mut hast, den Unwillen der Herrin zu ertragen.«

»Ich bin eine Freie; dir habe ich mich zur Gespielin gelobt, nicht der Hausfrau, und um deinetwillen weile ich im Herrenhofe, obgleich der Vater mich nach Hause begehrt. Manchmal haben wir den Zorn der Herrin überwunden, vertraue mir auch jetzt, was dich grämt.«

»Unwillig wurde die Mutter auf unseren Gast, den sie am Anfang so gütig beachtete, und ich fürchte, es kann ihm an Pflege fehlen: denn wo die Herrin nicht wohnt, sind die Mägde säumig.«

»Sei ohne Sorge, da doch der junge Wolf sein Kämmerer ist. Wenn ich dem Knaben Erlaubnis gebe, erzählt er mir mehr von seinem Herrn, als wir hören wollen.« »Laß mich alles hören,« mahnte Irmgard, »denn gut ist, wenn man weiß, was die Gäste bedürfen.«

»Und wir vernehmen auch gern von einem und dem anderen«, versetzte Frieda lachend. »Viel lieber ist mir der Gast, als der Wasserreiher Theodulf, der den Kopf hinten im Nacken trägt. Und das sage ich dir, wenn die Freiwerber des Theodulf in den Hof kommen, und man sagt ja, daß sie kommen werden, dann sollen sie einen Besen am Hoftor finden, durch das sie hinausgehen, damit sie ahnen, was wir Mädchen von ihrer Werbung denken.«

Aber Irmgard barg nach diesen dreisten Worten ihr Gesicht in den Händen, die Tränen rannen ihr durch die Finger, ihr Leib bebte im Schmerz. Frida umschlang das Herrenkind mit den Armen, kniete vor ihm nieder und gab ihm Küsse und zärtliche Worte.

Nicht zufällig geschah es, daß kurze Zeit nach dem Gespräch zwischen Mutter und Tochter Held Sintram in den Hof ritt. In der Kammer der Fürstin saß er mit dem Wirt lange im vertrauten Gespräch, für seinen Verwandten, den Theodulf, beredete er noch einmal die Brautwerbung. Denn solange der Edle als Mann im Hofe verpflichtet war und durch Diensteid an den Fürsten gebunden, konnte die feierliche Werbung nicht geschehen. Aber zum Neujahr in den zwölf Nächten sollte ihn der Fürst seines Eides entledigen, dann würde Theodulf mit den Freiwerbern seinen Eintritt halten, und im Frühling sollte die Vermählung sein. Alles wurde festgesetzt, auch Brautkauf und Mitgift, und die Fürstin mahnte, daß die Männer einander über dem heimlichen Abkommen ihr altes Gelöbnis erneuten. Vergnügt lachte Sintram, als er wieder das Roß bestieg, und da ihn der Wirt bis vor das Tor geleitete und dort sorglos mit warmem Händedruck entließ, so verachtete der Scheidende gänzlich den Besen, welchen die zornige Frida an die Seite des Hoftors gestellt hatte; nur Theodulf, der beim Abschied herzugetreten war, gab dem Besen einen Fußtritt, daß er weit wegflog, und warf auf Frida, der er im Hof begegnete, einen Blick voll von heißem Haß.

So verging nach Sonnenglut und Wetterwolken der fröhliche Sommer. Die Felder waren geräumt, die Gaugenossen wurden gesellig. Die ansehnlicheren Höfe des Gaues begehrten nach der Reihe den Gast zu bewirten, Gelage wechselten mit Jagdreisen über die Waldhügel, der Fürst und Ingo waren jetzt selten daheim. Dem Fürsten wurde der Gast noch werter, als er sah, wie sehr dieser von den Gaugenossen gerühmt wurde und wie vornehm und geradsinnig er sich hielt. Von den Sorgen im Frauengemach merkte der Hausherr völlig nichts, die kluge Wirtin verschwieg, was ihrem Herrn unsichere Gedanken machen konnte, sie war zufrieden, daß die Helden wochenlang auswärts schweiften. Aber Ingo erkannte, daß Irmgard feierlich aussah, und er zürnte, daß ihm so schwer wurde, sie ohne Zeugen zu sprechen.

Einst ritt Ingo mit dem Fürsten nach demselben Gehege, welches er zuerst betreten hatte, als er über die Berge kam. Im Walde rieselte das gelbe Laub zum Boden, um die Lichtungen klang Jagdruf der Männer und Gebell der Meute. Die wohlgenährten Rinder liefen brüllend umher, der Hirt bereitete den Aufbruch aus der Wildnis in die Dörfer, und die Mädchen vom Herrenhofe waren wieder beschäftigt, die letzte Tracht aus dem Milchkeller in den Wagen zu heben. Während Herr Answald die Füllen betrachtete, stand Ingo neben Irmgard. Diese wies auf Frida, die mit dem Milchkrug vorüberging: »Aus diesem Quell schöpftest du bei uns den ersten Trunk, und da, wo du stehst, sah ich dich zum erstenmal. Seitdem ist das lustige Grün geschwunden, die Wildvögel sind fortgeflogen.«

»Auch aus deinem Antlitz wich die Freude«, versetzte Ingo herzlich.

Doch Irmgard fuhr fort: »Selig waren einst die hohen Frauen, welche im Federkleide dahinschwebten, wohin sie ihr Wille trieb. Ich weiß ein Mädchen, das am Gießbach steht und sich sehnt nach der Himmelskunst. Zwei Federhemden möchte sie nähen für Schwan und Schwänin; aber vergeblich ist der Wunsch, und sie schaut traurig nach, wenn die gefiederte Schar sich von ihrer Flur in die Ferne schwingt.«

»Vertraue mir,« bat Ingo leise, »was verstört dir den Mut?«

Irmgard schwieg. »Der Tag wird kommen, wo dir's andere sagen, nicht ich«, antwortete sie endlich. »Weilst du den Winter bei uns, so fürchte ich nicht, was er auch an Sorgen bringe.«

Die Rede unterbrach wildes Jauchzen und fremder Kriegsruf. Ingo fuhr empor: wie damals in der Halle strahlte sein Antlitz vor Freude, während die anderen Männer zu einem Haufen sprangen und nach den Waffen griffen.

»Sie kommen in Frieden,« rief Beros Tochter, »mein Vater reitet unter ihnen«, und sie wies auf eine Schar Reiter, welche jubelnd und die Speere schwingend von der Höhe herabrannten. Ingo eilte ihnen entgegen, die Reiter sprangen ab und umdrängten den Helden, sie hielten seine Arme, neigten sich auf seine Hände, umschlangen die Knie, wieder und wieder erklang der wilde Jubelschrei. Ingo rief die Namen der einzelnen, umarmte und küßte sie, und die Tränen brachen ihm aus den Augen; auch vergeblich suchend irrte sein Blick von einem zum anderen, nicht alle standen lebend vor ihm, die er zu grüßen hoffte. Und doch war das Glück dieser Stunde so groß, daß er und die Fremden lange die Gegenwart der anderen vergaßen. Um den Fürsten sammelten sich seine Mannen, die der Kriegsruf aus dem Walde herangezogen, auch dem Herrn und der Jungfrau wurden die Augen naß, und sie lauschten hingerissen auf schnelle Frage und Antwort, auf Lachen und Klageruf der Fremden. Ruhiger sah Bero in die Schar, während er dem Fürsten erzählte: »Ich war südwärts geritten über unsere Berge hinab bis zum Idisbach, wo das kleine Volk der Marvinge wohnt, und als ich mit den Leuten dort um Herdenvieh handelte, traf ich auf diesen Flug wilder Gänse, der seine Leitgans suchte. Ich wußte Bescheid, und da mir ihr behendes Wesen gefiel, so führte ich sie her.«

Ingo trat vor den Fürsten: »Verzeih, o Herr, daß wir in der Freude vergaßen, um deine Huld zu sorgen. Diese hier sind Gebannte wie ich, um meinetwillen wichen sie aus der lieben Heimat, auch sie haben nicht Eltern, nicht Freunde; nur einander sind wir Blutsbrüder für Leben und Tod, und unser Stolz ist, daß wir uns einer den anderen ehren und Glück und Leid teilen, solange wir heimatlos über die Männererde wandern. Auf ihren treuen Herzen allein steht der Königsstuhl des armen Ingo; wo sie ihr Haupt niederlegen, da muß auch das meine ruhen. Mich hast du freundlich aufgenommen, Fürst, aber jetzt bin ich ein Haufe geworden, und unsicher trete ich vor deine Augen.«

»Willkommen sind sie alle,« rief Herr Answald aus warmem Herzen, »der Hof ist weit und gefüllt sind die Scheuern, seid gegrüßt, ihr edlen Gäste.«

»Dennoch rate ich,« warf Bero bedächtig ein, »daß du, Häuptling des Gaues, die Fremden in die Dörfer verteilst. Alle Nachbarn werden sie gutwillig als Gäste empfangen, dann hat jeder sein Teil und keiner wird beschwert. Denn sie führen auch Beuterosse an der Leine, darunter Haupthengste; sieh diesen Schimmel, Herr! Mancher Nachbar hätte seine Freude, ein Roß zu erhandeln und im Winter am Herdfeuer von fremder Kriegsfahrt zu hören.«

Herr Answald lächelte, aber er versetzte eifrig: »Du denkst verständig, Bero, der Hof aber hat das nächste Recht, und diesmal, Nachbar, läßt er's sich nicht nehmen. In wenig Tagen zimmert ihr Gäste mit meinen Knaben den Schlafsaal, dort mögt ihr geborgen den Wintersturm überdauern.«

»Der Wille war gut«, sprach Bero. »Führe meinen Braunen her, Frida.« Er trat zu einem alten Krieger der Wandalen, reichte ihm die Hand und sagte: »Gedenkt unserer Reden. Jetzt steht ihr auf Herrengrund, begehrt ihr einmal unter das Dach des Bauern, so seid ihr willkommen im freien Moor.« Er sprach noch einige Worte zu seiner Tochter, dann schwang er sich wuchtig auf sein Roß und trabte grüßend talab.

Ingo aber führte die einzelnen Genossen dem Hofherrn zu und nannte die Namen. Vor den andern stand ein bejahrter Krieger, die Glieder wie aus Erz geformt, fest die Züge und kühn der Blick, lang hing ihm der graue Bart herab, ein Held, dem man ansah, daß er der Schlachten gewohnt war und hart gegen jede Gefahr. »Dies ist Berthar, ein edler Mann. Er führte mich, da ich ein Knabe war, unter seinem Schild aus seinem brennenden Hofe, meinem letzten Zufluchtsort an der Landesmark – die Burgunden hatten ihn angesteckt, die damals mit meinem Oheim verbündet waren. Seitdem war er mein Lehrer in allem Waffenwerk: wie ein Vater hat er meine Jugend gehütet, ihm danke ich. wenn ich bisher meiner Ahnen nicht unwert war.«

Und als Herr Answald dem Helden die Hand bot, antwortete dieser: »Ich erinnere mich des Tages, wo mein Vater den deinen in seinem Hofe bewirtete, es war ein Herbsttag wie heut und es war gute Jagd in den Bergen, die wir die Riesenberge nennen. Ich erlegte damals den ersten Eber, und Held Irmfried lud mich scherzend zur Jagd in die Waldhügel der Thüringe. Lange bin ich gereist, und weißer Reif fiel auf mein Haar, bis ich in dein Gehege vordrang, aber jetzt bin ich hier, o Herr, und bereit, wenn du's gestattest, hinter dir auf den Wildpfad zu steigen.«

Diese Rede freute den Fürsten, auch er nannte den Fremden die Würden seiner Bankgenossen und mahnte beide Teile, einander gute Gesellen zu sein. Darauf ritt er mit Irmgard voran, damit Ingo vertraulicher mit den Wiedergefundenen rede. Als die Vandalen gesondert waren, erhoben sie noch einmal den Heilruf und ritten im Getümmel freudig durcheinander. Wieder flogen Fragen und Antworten hin und her, bis Berthar die Schar zum Hofe führte. Schwer war die Reihe zu erhalten, denn immer noch drängten die Treuen um ihren Herrn, und ihr Geschrei schallte von den Bergen zurück. Ingo aber sprach auf dem Wege zu Berthar: »Wundergleich ist mir, daß ich deine Hand halte, mein Vater. Du aber berichte mir noch einmal alles, wie ihr euch aus der Schlacht gerettet und mich gefunden.«

»Auf dem Pfad der Fische zog der Herr.« begann Berthar lachend, »ihm folgte das Gesinde. Wir schlugen über unsere Fersen manchen Schwertschlag gegen die verfolgende Schar, bis ich am Ufer eine Stelle zum Absprung erspähte: wie die Frösche hüpften deine Knaben in den Rhein – nicht alle, Herr, du gedenkst auch ihrer, die heut fehlen. Auf den Lindenschilden rangen wir abwärts in herber Not, umschwirrt von den Pfeilen der Feinde. Da sandte uns ein freundlicher Gott die Hilfe. Ein Weidenstamm, durch die Flut vom Ufer gerissen, trieb als gewaltiger Klotz mit Wurzel und Astwerk langsam den Strom entlang, er deckte die Müden, und ziehend richteten wir ihn abwärts vom Römerufer. So fuhren wir in dichtem Schwarme gemengt mit flüchtigen Kämpfern der Alemannen, gleich einem Volk Aale, welches um ein totes Wild wimmelt. Als wir gerettet ans Ufer der Landsleute stiegen, bargen wir uns im dichten Wald und forschten bei Nacht in den Tälern um Kunde nach dir. Den letzten Dienst dachten wir unserem Herrn zu erweisen und seinen Totenhügel zu umrennen. Aber vergebens war das Spähen und Fragen, keiner der Flüchtigen hatte dein Antlitz geschaut. Da schlugen wir uns kummervoll über den Schwarzwald bis in das Land der Burgunden, gedrängt von den Heerhaufen der Römer. Als wir von den burgundischen Wächtern vor das Antlitz ihres Königs Gundomar geführt wurden, war der Ruf von deinem Sprunge schon zu ihm gedrungen, auch er meinte dich hinaufgehoben in die Halle der Götter. Dir war er feindselig gewesen, jetzt aber seufzte er, da ich deinen Namen nannte, er gedachte deiner Tugend und scheute sich, uns gebunden den Römern auszuliefern. Er bot uns an, seinem Heere bei einem Zuge zu folgen, den er ostwärts gegen die Markleute an der Donau rüstete. Wir bedurften gar sehr Rosse und Gewand, denn wir waren wie Dohlen in der Mause und sehnten uns nach Raub. Darum zogen wir mit, und es gelang uns wohl, deine Knaben kamen zu guten Rossen und ziehen stattlich einher mit gefüllten Säcken. Im vorletzten Mond lagen wir eines Abends am Ufer der Donau, die Burgunden trugen die Beute zusammen, tranken lustig und schwatzten, wie sie gern tun, mit römischen Händlern und Gauklern, die um Gewinst und Gabe herangeeilt waren. Deine Knaben aber hatten trüben Mut und sahen zu, wie die dürren Blätter im Herbstwinde hinfuhren. Da trat ein fahrender Mann zu mir und begann grüßend: ›Gefällt dir's, Held, so will ich dir ein Rätsel sagen, ob du die Antwort darauf findest: Wer schwenkte den Spielmann in das Schiff, wer tauchte unter Speeren wie ein wunder Schwan?‹ Ich erschrak und antwortete: ›König Ingo schwenkte den Volkmar in das Schiff, und der König verging im Strom wie ein wunder Schwan.‹ Da antwortete der Fremde: ›Du bist es, den ich suche, und weit bin ich dann gewandert als Bote meines Genossen. Jetzt, weil ich dich gefunden, höre auch den zweiten Spruch, den dir Volkmar sendet: In Irmfrieds Halle sitzt der Hüter der Schwäne, am Herdsitz der Thüringe harrt er der Entflogenen.

Da wurden wir froher als ich's sagen kann, denn wir verstanden, was der Name Irmfried bedeutete. König Gundomar wollte uns behalten, ich aber bat ihn, uns die Heimfahrt zu gestatten. Ich sagte ihm nicht, daß die Heimat deiner Knaben da ist, wo der Leib ihres Herrn seinen Schatten wirft.«

»Arme Knaben,« klagte Ingo finster, »der Schatten ist klein geworden, er deckt nicht mehr die Spur eurer Füße.«

»Auch dir geht wohl eine neue Sonne auf,« tröstete der Alte, »die deinen Schatten über weites Land wirft. Jetzt gilt es, daß deine müden Knaben einen Unterschlupf finden gegen den Wintersturm. Sobald die Knospen der Bäume schwellen, geleiten wir dich zu neuer Heldenfahrt. Sage mir, König, ob die Dächer, die ich vor mir sehe, uns wohl während des Winters beschirmen.«

»Mögen die Götter uns das gnädig fügen«, versetzte Ingo ernst. »Mehr Glück fand ich hier, als ich ahnte, geringere Sicherheit, als ich hoffte.«

Das Tor des Herrenhofes war weit geöffnet, der Wirt empfing die Fremden und geleitete sie zur Halle; dort wurde ihnen das Begrüßungsmahl bereitet, und verteilt zwischen den Mannen des Fürsten lagerten die Vandalen an den Bänken. Am nächsten Morgen begann ein emsiges Hämmern und Heben; aus dem Vorrat von Balken und Sparren, der hochgeschichtet im Hofe lag, wurde an Ingos Haus ein Schlafsaal für seine Genossen gezimmert, dabei ein vorläufiges Gehege für die Rosse. Nach wenig Tagen stand der Bau gerichtet, denn groß war die Zahl der helfenden Hände. Auch die Nachbarn kamen, begrüßten die Fremden und musterten die starke Koppel lediger Rosse, sie kauften und tauschten und nahmen für Beuterosse, die sie behielten, andere in das Winterfutter. Um den stillen Herrenhof war jetzt lustiges Gewühl der Gauleute und Getümmel der Männer und Rosse; die hohen Gestalten der Vandalen schritten in ihrer fremden Kriegertracht zwischen den Häusern und lagen neben den Mannen des Fürsten auf den Stufen der Halle, sorglos lachend und gern erzählend, wie die Art ihres Stammes war, sie zogen mit den Hofleuten in den Wald und ritten als willkommene Gäste in die Dörfer des Gaues.

* * *

Aber die Herren im Hofe merkten nach wenig Wochen, daß es schwierig war, unter ihrem Gefolge den Frieden zu erhalten. Denn die Jungen waren stolz und jäh im Zorn und die Alten achteten eifersüchtig auf die Ehre ihrer Herren. So kamen Radgais, der Vandale, und Agino, ein wilder Gesell des Hofes, miteinander in Zwist, weil der Vandale einem Mädchen des Dorfes, das ihm zulachte, eine Spange geschenkt hatte. Darüber wurde Agino unwillig und sprach höhnend: »Wir meinten sonst, daß der Schatz deines Herrn gering sei, jetzt aber sehen wir, daß ihr Gutes im Sacke bergt.«

»Wer sein Leben im Kampfe wagt,« antwortete der Vandale, »dem fällt auch Silber in die Tasche, wer auf der Tenne drischt wie du, dem wachsen Schwielen in die Hand.«

Diese Reden hörten die Hofleute, und als am anderen Morgen Berthar mit seinen Mannen zu dem Speicher kam, um für die nächsten Tage den Rossen Hafer zu holen, da weigerte ihm Hildebrand, der in der Wirtschaft Ausgeber war, den gedroschenen Hafer, und er sprach: »Habt ihr die schwieligen Hände unserer Knaben geschmäht, so mögt ihr die Garben auch selbst ausstampfen mit euren Füßen oder mit denen eurer Rosse, wie es euch gefällt; meine Gesellen weigern sich der Arbeit für euch, da ihr so gröblich redet. Nehmt den Hafer in Garben und nicht in Säcken.«

Begütigend antwortete Berthar: »Unrecht war es von meinem Gesellen, den Landesbrauch der Wirte zu verachten. Aber du selbst bist ein bewanderter Mann und weißt, daß die Bräuche auf Erden verschieden sind. Anderswo heben die Bankgenossen eines Herrn nur die Garben in den Bansen, sie schneiden und schwingen das Futter, und auf dem Felde reiten sie mit der Egge, aber es gilt ihnen für unrühmlich, den Pflugsterz und den Flegel zu halten. Darum übe Nachsicht mit meinem Gefährten, weil ihn als fremden Mann eure Sitte wundert.«

Aber Hildebrand versetzte unwirsch: »Wer unser Brot ißt, soll sich unserem Brauch fügen: darum nimm nur die Garben, denn fortan erhältst du nur diese.«

Da mußten die Vandalen mit Garben bepackt zu ihrem Stalle ziehen, und Berthar befahl grimmig: »Werft die Garben in die Futterbank und schneidet, bis das Eisen bricht.«

Seit jener unweisen Rede des Radgais gab es manchen Streit unter den Mannen, aber beide Teile waren bemüht, ihn vor den Herren zu bergen. Beim Kampfspiel hatten sie anfänglich in denselben Reihen gestanden und einer des anderen Kampfweise nachgeahmt, wie die Fürsten ihnen geraten, jetzt traten sie gesondert in den Wettkampf, so daß der Fürst vor dem Reiterspiel mit Schild und Stange zu Theodulf sagte: »Warum halten die Gäste abseit auf ihren Rossen, gern schauten wir, wer das beste Lob verdient.« Da antwortete Theodulf: »Sie selbst wollen den Wettkampf nicht leiden, zu hart schellen die Stäbe der Thüringe auf ihre Schilde.« Und der Fürst ritt zu Berthar: »Wohlauf, Held, mische deine Reihen mit unserem Volk.« Da antwortete auch der Alte: »Nur um des Friedens willen halte ich unsere Knaben gesondert, damit nicht in der Hitze des Kampfes ein falsch geworfener Stab Streit errege.« Und der Fürst mußte schweigend dem getrennten Ritt zuschauen. Er mußte auch hören, wie seine Hofmannen spöttisch lachten, wenn die Fremden mit ihren Keulen warfen: dann rief aus den Reihen der Thüringe wohl ein kecker Gesell das peinliche Scheltwort: »Hundeschläger.« Und wieder, wenn die Hofleute beim Steinwurf sprangen und einem der Schwung mißglückte, dann zogen die Vandalen ihre Mienen kraus und summten ein höhnendes Wort, das sie erfunden hatten, weil die Thüringe bei ihren Mahlzeiten runde Ballen aus Teig von Weizenmehl vor vielem anderen hochachteten.

Und als nach dem Spiel der Reigentanz begann, da konnte man sehen, daß die Mägde vom Hofe sich nur zu ihren Landgenossen gesellten, und wenn die Fremden nicht ein Dorfkind fanden, das mit ihnen zum Reigen antreten wollte, so mußten sie zusehen. Darüber wurde der Fürst unwillig, und er rief zu den Vandalen: »Warum verachten meine Gäste das Hofgesinde?« Und wieder antwortete Berthar: »Die Mädchen des Hofes klagen, daß unsere Sprünge ihnen die Knöchel renken.« Da trat die kecke Frida hervor, neigte sich gegen den Alten und sagte: »Wenig kümmere ich mich darum, ob ich anderen mißfalle, wenn ich die Hand eines Fremden ergreife. Denn ich kenne einen vom Hofe, der die Mädchen bedräut hat, wenn sie sich mit den Gästen schwingen. Gefällt dir's, Held Berthar, und achtest du mich nicht zu gering, so führe du mich zum Tanze.« Berthar lachte und mit ihm die Herren, der Alte faßte die Hand der Jungfrau, sprang wie ein Jüngling und schwenkte sie rüstig über den Rasen, daß alle auf ihn sahen und Beifall riefen.

Die Fremden merkten wohl, daß die Fürstin ihnen gar nicht gewogen war, selten nur redete sie die edelsten unter ihnen an, selbst den Helden Berthar nicht, obgleich er von erlauchtem Geschlecht stammte. Aber auch die Fürstin fand Grund zur Klage, denn zwei von den Vandalen, die Brüder Alebrand und Walbrand, hatten mit zwei Mägden der Fürstin scharfe Worte gewechselt und hatten diesen am Abend aufgelauert und die Widerwilligen geküßt und ihr Gewand verschoben. Darauf trat die Fürstin im Hofe zu Ingo und erhob laute Klage über die Unzucht seiner Mannen, und Ingo, tief gekränkt durch die harten Worte der Fürstin und durch die Missetat seines Gesindes, hielt Gericht über die Schuldigen in der Gastherberge. Und obwohl sich bei der Prüfung ergab, daß es mehr Übermut als arger Frevel gewesen war, so strafte er sie doch hart mit Worten und setzte sie zu sichtlichem Schimpf herab in die unterste Stelle an seiner Bank. Traurig saßen seitdem die Übeltäter im Kreise der Genossen. Aber die Gnade der Fürstin erwarben die Fremden darum doch nicht. Als Ingo einst früher denn sonst vom Herde des Fürsten in seine Herberge kehrte, vernahm er in dem neuen Anbau daneben das scharfe Knirschen der Mühlsteine, und er fragte Berthar erstaunt: »Drehen die Mägde den Mühlstein im Schlafhause der Männer?« Da antwortete der Alte: »Weil du selbst fragst, sollst du es wissen. Nicht die Dirnen drehen, deine Knaben müssen die ruhmlose Arbeit unfreier Weiber vollenden, wenn sie ihr Brot essen wollen; denn die Mägde weigern sich, noch weiter für uns das Mehl zu mahlen, und die Wirtin gibt ihnen recht. Bitter ist solche Arbeit für die Helden eines Königs. Gern hätten wir dir verborgen, was deinem Gastfreund zur Unehre gereicht.«

Ingo trat hinter einen Pfeiler und bedeckte sein Gesicht mit der Hand.

Draußen heulte der Nordsturm um das Dach und warf eine graue Decke von Schnee und Eiswasser über den Hof. »An die Hausbalken tobt ein ungefüger Gesell,« fuhr Berthar fort, »er ist jetzt Gebieter auf Landstraße und Feld und möchte meinem König die Ausfahrt aus diesem Hofe verwehren. Dennoch ahne ich, daß du darauf denkst. Darum höre noch eins, was mir Held Isanbart, mein alter Kriegsgeselle, vertraute, den ich gestern heimsuchte. Der römische Krämer Tertullus war mit seinen Packpferden im Gau; von Westen kam er und zog nach der Burg des Königs. Du kennst den Mann, bei den Alemannen galt er für den schlauesten Späher des Cäsars. Jetzt hat er den Hof, in dem wir einliegen, vermieden, obgleich hier für einen Kaufmann der beste Markt wäre. Im Gau aber hat er überall nach dir und uns geforscht und hat feindliche Reden geführt, daß der Cäsar dich suche und daß er hohen Preis zahlen würde, wenn er deinen Leib oder dein Haupt unter seinem Banner erblickte, damit die üble Ahnung getilgt werde, welche seit deinem Drachenraube den Römerkriegern das Herz beschwert. Fährt der römische Krämer zum König Bisino, so birgt er in seinem Kasten eher Geschenke an den König als Waren, denn er war gar nicht eilig, die Bündel aufzuschnüren, wie sonst doch die Art dieser Leute ist. Darum saß Isanbart, der Held, sorgenvoll, und er läßt dich warnen, daß du einer Botschaft des Königs weniger trauest als ehedem.«

Ingo legte dem Getreuen die Hand auf die Schulter: »Auch du, Held, willst lieber in die Falle reiten, die uns der König stellt, als noch länger dies Knarren der Mühlsteine hören, womit ein feindliches Weib uns die Ehre kränkt. Dennoch hält es mich hier fest wie in Eisenbanden. Für diese Kränkung erbitte ich bei dem Fürsten Abhilfe, den Gau verlasse ich nicht, bevor ich eins weiß, was ich mit heißem Wunsch hoffe.«

Als Herr Answald am nächsten Morgen mit den Bankgenossen beim Frühstück saß ohne die Fremden, da öffnete sich die Tür, und Irmgard trat auf die Schwelle, hinter ihr trug Frida einen Sack mit Mehl. »Verzeih, Herr,« begann Irmgard, »daß ich dir anzubieten wage, was die Hand deiner Tochter auf dem Mühlstein mahlen half.« Die Jungfrauen stellten den Sack an die Füße des Fürsten. Verwundert sah der Fürst auf den Sack. »Was bedeutet die gestäubte Gabe, soll sie zu einem Opferkuchen für die Götter, weil die Hände freier Jungfrauen den Stein gedreht haben?«

»Nicht zum Opfer,« versetzte Irmgard, »sondern zur Sühne für verletzte Gastpflicht haben freie Hände das Korn gemahlen. Ich flehe, daß du, Herr, wenn es dir recht dünkt, dies Mehl deinen Gästen sendest. Denn ich höre, deine Hofleute weigern ihnen bereits das Mehl zu Brei und Brot, und die edlen Gäste müssen unter deinem Dache selbst die Arbeit unfreier Weiber verrichten.«

Da schwollen dem Fürsten die Stirnadern, und er rief, sich mächtig erhebend: »Wer hat mir diese Schmach angetan? Sprich, Hildebrand, denn dein ist die Sorge für die Mahlzeiten der Gäste.«

Hildebrand beugte sich verlegen vor dem Zorn des Fürsten. »Die Mägde waren erbittert über Ungebühr der Vandalen und weinten über harte Arbeit, und die Herrin meinte, daß sie Grund haben zur Klage.«

»Wie darfst du die Ungebühr weniger durch schweres Leid vergelten, das du allen zufügst? Deinen Herrn hast du entehrt vor seinen Gästen und üble Nachrede geschaffen vor dem Volke. Ergreift zur Stelle den Sack und tragt ihn nach der Herberge der Gäste, und dir, Alter, rate ich, daß du mitgehst und ihnen solche Entschuldigung machst, welche sie willig annehmen. Den Mägden aber sage, wenn sie sich ferner noch einmal beklagen, so soll ihnen eine harte Hand größeres Ächzen verursachen.«

»Zürne nicht den Mägden, Herr,« sprach Irmgard, »sie sind sonst gutwillig und würden auch die gehäufte Arbeit ertragen; aber einer in deinem Hofe unterfängt sich, herrisch mit dem Gesinde zu schalten, und dieser ist dein Schwertträger Theodulf. Viele fürchten sein hartes Wesen und sorgen, ob sie jetzt oder dereinst seine Gunst haben. Er verbietet den Mägden die Arbeit für die Gäste und auch den Tanz, wie es ihm gefällt. Niemand wagt dir das zu klagen; ich aber als deine Tochter gedenke nicht zu leiden, daß in dem Hofe meines Vaters einer, der ein Diener ist, unsere Ehre kränkt.«

Da der Fürst dies vernahm, gedachte er wohl, daß sein Kind recht hatte und fühlte doch auch geheime Sorge, weil die Jungfrau mit solcher Mißachtung von dem Manne sprach, den er ihr in der Stille zum Gemahl bestimmt und der jetzt so grimmig vor ihm stand. Er wurde deshalb wildzornig auf alle und rief der Tochter zu: »Nicht umsonst hast du die Mühle gedreht, wie harter Stein zermahlen deine Worte den Leumund deines Verwandten. Dennoch tadle ich deine Gabe nicht, denn sie vermag vielleicht eine schwere Beleidigung zu sühnen. Du aber«, rief er, drohend die Hand gegen Theodulf erhebend, »vergiß nicht, daß ich in diesem Hofe Herr bin, solange ich lebe, damit ich nicht vergesse, daß die Hausfrau dir Gutes wünscht. Wagt einer von euch noch gegen die Gäste feindliche Rede oder geheime Tücke, so dürfte der Hof und seine Haut für ihn zu enge werden.«

Herr Answald wies alle hinaus und kränkte sich einsam. Endlich ging er in das Haus der Fürstin und sprach auch zu dieser zornige Worte und geringes Lob gegen ihren Vetter Theodulf. Frau Gundrun verfärbte sich, sie merkte wohl, daß sie zu viel gewagt hatte und daß ihr Gemahl mit Recht um üble Nachrede besorgt war, und sie sprach begütigend: »Das mit den Mägden sollte für die Fremden nur eine Warnung sein, damit sie das Hofrecht scheuen, es ist abgetan und wird in Zukunft vermieden, sorge auch du nicht weiter darum. Und was den Vetter betrifft, so weißt du ja, wie treu er dir gedient hat und daß er um deinetwillen seine Narben trägt.« Und als es ihr gelungen war, den Herrn ein wenig zu besänftigen, fuhr sie fort: »Wie sorglos war vor wenig Monden der Blick in Hof und Flur, jetzt aber schwand der Frieden im Hause, die Eintracht im Lande, und mit Schwerem bedroht der Zorn des Königs. Ein erlauchter Mann ist dein Gast, aber Unheil hängt sich an seine Fersen. Ich denke an deine Tochter, Herr, sie fleht, daß die Vermählung mit Theodulf gemieden wird. Wider den Willen der Eltern hebt sich begehrlich der Sinn des Kindes.«

»Was hat Ingo mit dem Groll des Mädchens zu tun?« fragte der Fürst ärgerlich.

Frau Gundrun sah ihn mit großen Augen an. »Wer zu Rosse dahinfährt, achtet wenig auf das Kraut am Boden. Merke, Herr, auf ihre Blicke und Wangen, wenn sie einmal mit dem Fremden spricht.«

»Kein Wunder, daß er ihr gefällt«, versetzte der Fürst.

»Wenn er aber an Vermählung denkt?«

»Das ist unmöglich«, rief der Fürst mit mißtönendem Lachen. »Er ist ja ein Gebannter ohne Habe und Gut.«

»Warm sitzt sich's am Herd in den Waldlauben«, fuhr die Fürstin fort.

»Ein Fremder sollte so Ansinniges wagen, ein Mann, der gar nicht von unserem Volke ist und kein anderes Recht hat, als daß ihn die Landgenossen dulden? Unnötig sorgst du, Gundrun, schon der Gedanke daran empört mir den Mut.«

»Wenn du so meinst,« sprach die Fürstin nachdrücklich, »dann freue dich nicht des Tages, an dem er unser Haus betrat, nicht des Sanges in der Halle und nicht der fahrenden Männer, welche jetzt bei uns einliegen, auf das Gastrecht pochend und das Gut meines Herrn verzehrend. Der König begehrt den Fremden, laß ihn ziehen, bevor er und sein Haufe vielen unter uns Jammer bereitet.«

»Weißt du mehr von Vertraulichkeit zwischen ihm und meinem Kinde, als du mir sagst?« fragte der Fürst, vor sie tretend.

»Nur was sich dem ankündet, der sehen will«, versetzte die Fürstin vorsichtig.

»Mit großem Geräusch und freudigem Herzen habe ich ihn empfangen,« fuhr Herr Answald fort, »jetzt vermag ich ihn nicht als einen Überlästigen zu entsenden. Den Gemahl der Tochter zu wählen, ist des Vaters Recht, und keine Vermählung gibt es für das Kind als durch den Vater, das weiß auch dein Kind, da sie nicht sinnlos ist. Ich gedenke des Eides, den ich deinen Freunden gelobt, du aber bändige, wenn du kannst, den Hochmut deines Neffen und sorge dafür, daß er sich unserem Kinde werter macht als er jetzt noch ist, damit nicht der Trotz der Jungfrau im nächsten Frühjahr aufbricht, wenn wir sie zur Vermählung schmücken.«

Seit diesem Morgen war Herr Answald in seinem Gemüte beschwert, sooft er den Fremden gegenübertrat; unmutig erwog er die Vermessenheit und achtete mißtrauisch auf Wort und Gebärde des Gastes, und er dachte zuweilen selbst, daß das Lagern um seinen Herd im Winter eine Last sein werde. In diesen Tagen des Mißmuts ritt Held Sintram ein, als Unglücksbote vom König an den Häuptling und den Gau gesandt. Denn der König erhob helle Klage über das versteckte Hausen der fremden Schar und forderte unter Drohungen ihre Auslieferung in seine Hände. Der Fürst erkannte, daß entweder dem Gaste oder ihm und den Landgenossen eine nahe Gefahr drohe. Da er kein niedrig denkender Mann war, so gewann er seine Würde zurück, er trat vor Ingo und sagte ihm offenherzig, daß er die Häupter des Gaues unter dem Vorwande einer Jagd zu stiller Beratung laden werde. Ingo neigte sich nach den Worten beistimmend und versetzte: »Die erste Rede gehört hierbei den Wirten, die zweite dem Gaste.«

Die Boten ritten; drei Tage darauf saßen die Edlen und Weisen des Gaues wieder am Herde des Häuptlings. Aber es war nicht mehr Sommerluft, wo der Sinn der Männer fröhlich über der Erde waltet, sondern harte Winterzeit, wo sich Sorge und Groll erheben. Diesmal war die Miene des Fürsten kummervoll, als er begann: »Eine zweite Botschaft sendet der König um den Helden Ingo und sein Gesinde, und diesmal an die Gaugenossen und mich, nicht durch den Sänger, sondern durch den Helden Sintram. Der Volkskönig fordert die Fremden für seine Königsburg; ob wir seinem Gebot widerstehen oder unser Heil bedenkend nach seinem Willen tun, das frage ich.« Darauf erhob sich Sintram und wiederholte die Drohung des Königs: »Mit Gewalt will er die Fremden holen, wenn wir sie nicht senden, seine Mannen toben laut und freuen sich des Zuges gegen unsere Höfe. Einst habe ich vordenkend gewarnt, jetzt droht uns nahe das Unheil. Hatten wir auch gelobt, den Fremden gastlich zu schützen, jetzt ist nicht er es allein, der auf dem Lande liegt, ein fremdes Geschlecht reitet durch unsere Täler und lästig wird dem Volke das wilde Gesinde.« Langes Schweigen folgte der Rede, bis Isanbart endlich die Stimme erhob: »Da ich alt bin, wundert mich nicht, wie leicht sich der Sinn der Menschen ändert; schon ehedem sah ich manchen Wirt, der fröhlich war, einen Gast zu begrüßen, aber fröhlicher ihn zu entlassen. Darum mögest du, o Fürst, vor allem den Landgenossen sagen: hat der fremde Held das Hofrecht verletzt und deine Ehre geschädigt, oder hat sein Gesinde Missetat geübt im Volke?« Zögernd versetzte Fürst Answald: »Ich klage nicht über Frevel, die der Gast verübt, doch ungefüge und fremdländisch ist die Art seiner Mannen und sie eint sich schwer unserm Landesbrauch.« Da nickte Isanbart mit seinem grauen Haupt und sprach: »Dasselbe habe auch ich erfahren, da ich mit deinem Vater Irmfried im Land der Vandalen als Gast niedersaß. Auch wir waren, soweit ich gedenke, den Wandalen ungefüge und fremdländisch. Doch unsere Wirte lachten freundlich darüber und verglichen den Zwist der Mannen, wo er ausbrach, immer haben sie uns gebeten, länger zu weilen und mit reichem Gastgeschenk haben sie uns entlassen, als wir endlich heimritten. Darum meine ich, Vorsicht geziemt dem Wirt, bevor er fremde Gäste aufnimmt und Nachsicht, solange sie unter seinem Schutze weilen.« Und Rothari, den sie Pausback nannten, sprang auf und rief: »Bei jedem Volk der Männererde ist, soweit ich verstehe, ein Gesetz: Zu seinem Herrn gehört das Gesinde. Wer den Herrn aufnimmt, kann seinem Gefolge den Frieden nicht weigern, wenn die Fremden nicht selbst sich durch Missetat friedlos machen. Wohl verstehe ich, daß die Zahl der Schwurgesellen deinem Hofe, o Fürst, zur Last wird, denn allzu groß ist die Zahl der Männer und Rosse für einen Hof. Du aber begehrtest, als sie kamen, die Ehre, sie allein vor anderen zu beherbergen. Wären sie in den Höfen der Edeln und Bauern verteilt je nach ihrer Geburt, dann hätten die Gäste niemanden beschwert und hätten beim Abendfeuer am Herde viele durch ihren Bericht aus fremden Ländern erfreut.« Gekränkt antwortete der Fürst: »Ich habe den Rat nicht über das Lagern in meinem Hofe gefordert, sondern über das Gebot des Königs, welches uns hart bedrängt.« Da sprach Bero, der Bauer, ihm entgegen: »Noch anderes bedrängt uns, Herr, mehr als die zwanzig und zwei Fremden. Der König sucht einen Vorwand, um den Zehnten von unsern Herden für sich zu erhalten und die Garben von unseren Feldern, wir aber erkennen, daß Herde und Ackerland uns ohnedies zu klein werden für unsern Bedarf. Alle Dörfer sind mit rüstiger Jugend gefüllt, sie fordert Baugrund für neue Höfe, Ackerland, Wiese und Waldweide. Wer soll es hergeben, alles ist aufgeteilt und versteint, die Hirten klagen, daß die Herden der Grundherren zu groß werden und der Eckern und Eicheln zu wenig, dem Roden des Waldes widerstehen die Gemeinden und noch mehr die Häuptlinge. Darum meinen viele, die Zeit sei gekommen, wo unser Volk wieder siedeln muß jenseit der Landesmark wie zur Zeit der Väter und der Ahnen. Und wir fragen in den Dörfern, wo ist leeres Land zum Besiedeln auf der Männererde? So herrscht Mißvergnügen im Volke und unsere Jungen werden dem zufallen, der ihnen freien Ackergrund bietet, selbst wenn es der König wäre. Das sage ich, um zu warnen, denn gefährlich ist die Habgier der Herren, wenn sie die Waffen des Volkes für sich begehren. Dennoch rate ich nicht, daß wir die Gäste dem König ausliefern. Will der König mit Gewalt sie entführen, so möge er es versuchen. Auch mir erregt der Gedanke Grimm, daß die Knaben des Königs mir die Rinder wegtreiben und die Scheuer anzünden möchten, aber von unserem Recht lasse ich mich nicht abdrücken, jedermann wird es für unrecht halten, wenn wir die Gäste im Schneesturm austreiben. Und lieber will ich mit meinem Hofe untergehen als ihnen aus Furcht das Gelöbnis brechen.«

Wieder sprang Rothari auf, schlug vergnügt in die Hand des Bauern und rief: »So spricht ein wackerer Nachbar, hört auf seine Worte.«

Endlich begann auch Albwin mit gewinnender Miene: »Was der Freie gesagt, dem falle auch ich zu. Ich rate, wir halten den Eid, der uns vielleicht lästig wird, wenn die Gäste daran mahnen und sich unsern Schutz begehren. Wollen sie aber freiwillig aufbrechen, so geben wir ihnen Förderung und Gastgeschenke, damit sie ungefährdet ziehen, wohin ihnen der Mut steht. Dem König aber liefern wir sie nicht in die Hand, außer mit ihrem freien Willen.«

Da stimmte die Mehrzahl bereitwillig bei, auch der Fürst und Sintram. Aber Rothari rief zornig: »Ihr wollt handeln wie der Fuchs mit der Bäuerin, als er ihr sagte: ich gelte dir das Huhn, aber fordere nichts.« Und Isanbart warnte: »Wie mögt ihr die Pflicht auf die Seele des Gastes legen, die auf euch und euren Kindern liegt. Wer kann den Wirt loben, der die Großmut des Gastes anruft.«

So stritten die Waldleute gegeneinander und zwiespältig blieb die Meinung.

Unterdes sang Hildebrand im Hofe laut den Jägerspruch und blies auf dem großen Horn die Weidgesellen zusammen. Gerüstet mit Speer und Armbrust, die Bracken an der Leine, eilten die Thüringe aus dem Hoftor; mit dicken Speereisen, mit Hornbogen und Keule kamen die Vandalen, welche der Hunde entbehrten. Hildebrand schied den Jagdzug in zwei Haufen. Hofmannen und Gäste, die Männer aus der Landschaft teilte er beiden zu. Die Jäger sprachen leise den Weidsegen, dann begann Berthar zu dem Jagdmeister: »Schlecht wird es deinen Gästen ohne Hunde auf glattem Pfad gelingen, sorge wenigstens, Held, da du doch die Gänge des Wildes kennst, daß mein Haufe nicht vergeblich den Schnee drückt, denn auch der schnelle Fuß vermag nimmer Wild zu erreichen, wo keines vorhanden ist. Manchmal hast du uns in die Irre gesandt, fern von den Fährten der Waldriesen: achte, wenn dir's gefällt, heut darauf, daß wir nicht vor den Gaugenossen gekränkt werden.«

»Wer Glück und Geschick entbehrt, schilt den Treiber.« versetzte Hildebrand, »du mahnst ohne Grund, ich habe billig geteilt.« Das Horn rief, die Hunde zerrten an den Riemen, fröhlich brachen die Jäger auf und grüßten die Frauen, welche der Ausreise am Hoftor zusahen. Als die Vandalen bei Irmgard vorüberzogen, erhoben sie plötzlich hellen Jubelruf und neigten die Waffen und Knie vor ihr. Auch Ingo trat von der Seite in ihre Nähe.

»Du allein, Held, hörst nicht auf den Jagdgesang?« fragte Irmgard.

»Noch andere bleiben zurück«, versetzte Ingo, nach der Halle weisend.

»Zweifle nicht an ihrer Treue«, flehte Irmgard. »Wenn du bei deinen Helden bist, sorgen wir nicht sehr, daß wieder ein Feuer zwischen ihnen und unseren Männern aufbrennt.« So mahnte ihn das Weib, welches er lieb hatte, selbst zu der Jagd, die manchem kummervoll wurde.

Ingo rüstete sich schnell mit dem Jagdzeug und eilte den Genossen nach, er erreichte sie noch vor der Teilung und wurde von seinen Kriegern mit Zuruf empfangen, auch die Landgäste freuten sich seiner und als gute Gesellen betraten alle den Wald. Hildebrand wies die Pfade, und von den Jünglingen des Dorfes geführt verschwand ein Haufe nach dem andern in den Talwindungen und zwischen den Hochstämmen. Bald erschollen aus der Ferne die Schläge der Treiber an die Stämme, das Gebell der Hunde und zuweilen ein lustiger Hornruf. Diesmal hatten die Vandalen den bessern Erfolg, sie beschlichen eine Auerherde, darunter den mächtigen Stier, der bereits im Hofe verkündet war, und ihnen gelang es, die Herde von der Höhe in ein tiefes Tal zu treiben, wo die Schneewehen den großen Leibern der Tiere den Lauf hinderten. Dort warfen sich die Männer von oben gegen die riesigen Stiere, mit gellendem Jagdruf, mit Pfeilschuß und Speerwurf drangen die Gesellen vom Rand der Höhen talab. Und sie fällten die Herde, nur ein Häuptling der Tiere, das Ungetüm, brach durch zu wegsamerer Stelle. Da warf Ingo das schwere Eisen gegen ihn, ein Blutstrom ergoß sich nach dem Wurf. »Er hat es!« rief Ingo, und der Heilruf der anderen antwortete. Aber der Waldriese arbeitete sich empor bis zum Hochwald, in weiten Sprüngen folgte ihm speerlos Ingo, sein Messer schwingend. Wieder brach das Tier, den Speer schleppend, in ein tiefes Tal, und während Ingo auf der Höhe vorwärts stürmte, um ihm auf schneefreiem Grunde zuvorzukommen, hörte er unten Gebell der Hunde, Jagdruf und Hornklang, und als er sich in das Tal warf, fand er den Stier am Boden, den Speer Theodulfs im Leibe, der Mann aber stand auf dem Tier und blies den Siegesruf. »Mein ist das Wild nach Weidrecht,« rief Ingo und schwang sich auf den Leib des Gefällten, »mein Speer gab ihm den Todeswurf.« Über der Beute standen die Männer gegeneinander und heißer Haß sprühte aus ihren Augen. »Mein ist die Waffe und mein der Stier«, rief Theodulf. Da riß Ingo den Speer des andern aus dem Leib des Stiers und warf ihn weitab, so daß er in den Ästen einer Fichte hängen blieb. Dem Thüring schlugen vor Wut die Zähne zusammen, einen Augenblick machte er Miene, sich im Faustkampf gegen Ingo zu stürzen, aber die stolze Haltung des Mannes verwirrte ihm den Gedanken, er sprang zurück und hetzte die Meute der Hunde gegen Ingo. Heulend fielen die wütenden Tiere den Helden an, vergebens schrie Hildebrand: »Wehe!« Ingo stieß mit seinem Messer das grimmigste nieder, aber auch die Vandalen sprangen herzu, den König aus der Not zu retten und trieben ihre Eisen den Hunden in den Leib. »Geendet ist die Jagd!« rief Berthar befehlend, »jetzt beginnt eine andere, der Bube darf die nächste Sonne nicht schauen, der die Hunde auf unseren König gehetzt hat. Heut waren wir Hundeschläger, wie du uns nanntest, und der letzte Hund, den wir schlagen, bist du.« Er hob die Keule zum Wurf, aber mit eisernem Griff umklammerte ihm Ingo den Arm: »Keiner wage ihn zu berühren, der Mann gehört meinem Schwert. Du aber, Hildebrand, lade die Richter zum Weidgericht, auf der Stelle vor blutiger Spur und erlegtem Wild entscheidet über mein Recht.« Die beiden Haufen wählten gesondert jeder einen Mann, diese den dritten. Die Richter schauten die Wunden, folgten der Todesspur bis zu der Stelle, an welcher Ingos Eisen den Stier getroffen, dann kehrten sie zurück, traten zusammen und sprachen das Urteil: »Dem Helden Ingo gehört die Beute.« Ein wildes Lächeln flog über das Antlitz des Königs, er kehrte dem Stier den Rücken. »Ich rate,« begann Hildebrand mit trüber Miene, »daß die Haufen nicht in gleicher Zeit zum Hofe ziehen, gefällt's euch, ihr Helden, so nehmt den Vortritt.«

»Die leichtesten seid ihr,« versetzte Berthar. »meine Gesellen werden Mühe haben, ihre Beute aus dem Walde zu schleifen. Dennoch meine ich, daß wir auf die Jagdehre nicht verzichten, denn von dieser Jagd wird im Lande noch länger erzählt.« Schweigend schritten die Bankgenossen des Herrn Answald dem Hofe zu, nur Theodulf sprach in seiner hochfahrenden Weise, um durch die Worte den Grimm zu bewältigen, der in ihm kochte; ohne Jagdruf betraten sie den Hof, Hildebrand eilte zum Fürsten. – Es war finster, als die siegvolle Schar mit ihrer Beute ankam. »Blast den Freudenruf.« rief Berthar, »wie so reicher Beute gebührt.« Der Halagesang ertönte, aber niemand öffnete das Hoftor und Wolf mußte vorspringen und den Querbaum zurückschieben. Die Vandalen legten die Jagdbeute vor dem Hause des Fürsten nieder, schieden grüßend von den Genossen aus Thüringen und sammelten sich still in ihrer Herberge.

Der Hof lag finster und der Wintersturm heulte über den Dächern, aber in allen Häusern und in der Halle summte das Geräusch halblauter Rede.

 


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