Gustav Freytag
Aus dem Staat Friedrichs des Großen / Die Erhebung
Gustav Freytag

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Aus dem Staat Friedrichs des Großen.

Was war es doch, das seit dem Dreißigjährigen Kriege die Augen der Politiker auf den kleinen Staat heftete, der sich an der östlichen Nordgrenze Deutschlands gegen Schweden und Polen, gegen Habsburger und Bourbonen heraufrang? Das Erbe der Hohenzollern war kein reichgesegnetes Land, in dem der Bauer behaglich auf wohlbebauter Hufe saß, welchem reiche Kaufherren in schweren Galeonen die Seide Italiens, die Gewürze und Barren der neuen Welt zuführten. Ein armes, verwüstetes Sandland war's, die Städte ausgebrannt, die Hütten der Landleute niedergerissen, unbebaute Äcker, viele Quadratmeilen entblößt von Menschen und Nutzvieh, den Launen der Urnatur zurückgegeben. Als Friedrich Wilhelm 1640 unter den Kurhut trat, fand er nichts als bestrittene Ansprüche auf zerstreute Territorien von etwa 1450 Quadratmeilen, in allen festen Orten seines Stammlandes saßen übermächtige Eroberer. Auf einer unsichern Öde richtete der kluge, doppelzüngige Fürst seinen Staat ein, mit einer Schlauheit und Rücksichtslosigkeit gegen seine Nachbarn, welche sogar in jener gewissenlosen Zeit Aufsehen erregte, aber zugleich mit Heldenkraft und großem Sinn, der mehr als einmal die deutsche Ehre höher faßte, als der Kaiser oder ein anderer Fürst des Reiches. Und als der große Politiker 1688 starb, war, was er hinterließ, doch nur ein geringes Volk, gar nicht zu rechnen unter den Mächten Europas. Denn seine Herrschaft umfaßte zwar 2034 Quadratmeilen, aber höchstens 1 300 000 Menschen. Auch als Friedrich II. hundert Jahr nach seinem Ahnherrn die Regierung antrat, erbte er nicht mehr als 2 240 000 Seelen, weniger als jetzt die eine Provinz Schlesien umfaßt.

Der nächste Absatz und die folgenden Tabelle werden aus technischen Gründen nicht wie im Original als Fußnote wiedergegeben. Re.

Kurfürst Friedlich Wilhelm erbte 1451 Quadratmeilen mit vielleicht 700 000 Einwohnern, diese zum größten Teil im Ordensland Preußen, welches durch die Verwüstungen des Krieges nicht so sehr verödet war.

Quadr.-M. Einw.
Im Jahr 1688 hinterließ der Kurfürst 2034 mit etwa 1 300 000
" 1713 " König Friedr. I. 2090 " 1 700 000
" 1740 " Friedr. Wilh. I. 2201 " 2 240 000
" 1786 " König Friedr. II. 3490 " 6 000 000
" 1805 waren (vor dem Eintausch von Hannover) 5463 " 9 800 000
" 1807 blieben 2877 " 5 000 000
" 1817 waren 5015 " 10 600 000
" 1830 waren 13 Mill. Ew., im Jahre 1865 aber 19 Mill. Ew. auf 5046 Quadratmeilen.

Was war es also, das sogleich nach den Schlachten des Dreißigjährigen Krieges die Eifersucht aller Regierungen, zumal des Kaiserhauses, erregte, das seither dem brandenburgischen Wesen so warme Freunde, so erbitterte Gegner zugeführt hat? Durch zwei Jahrhunderte wurden Deutsche und Fremde nicht müde, auf diesen neuen Staat zu hoffen, ebensolange haben Deutsche und Fremde nicht aufgehört, ihn zuerst mit Spott, dann mit Haß einen künstlichen Bau zu nennen, der starke Stürme nicht auszuhalten vermöge, der ohne Berechtigung sich unter die Mächte Europas eingedrängt habe. Und wie kam es endlich, daß schon nach dem Tode Friedrichs des Großen unbefangene Beurteiler ermahnten, man möge doch aufhören, dem vielgehaßten den Untergang zu prophezeien? Nach jeder Niederlage sei er um so kräftiger in die Höhe geschnellt, alle Schäden und Kriegswunden würden dort schneller geheilt, als wo anders, Wohlstand und Intelligenz nehme dort in größeren Verhältnissen zu, als in einem anderen Teile von Deutschland!

Allerdings war es ein eigentümliches Wesen, eine neue Schattierung des deutschen Charakters, was auf dem eroberten Slawengrunde, in den Hohenzollern und ihrem Volke zutage kam. Mit herausfordernder Schärfe erzwang sich dies Neue Geltung. Es schien, daß die Charaktere dort größere Gegensätze umschlossen; denn Tugenden und Fehler seiner Regenten, Größe und Schwäche seiner Politik kamen in schneidenden Kontrasten zutage, die Beschränktheiten erschienen auffälliger, das Widerwärtige massenhafter, das Bewunderungswerte erstaunlicher; es schien, daß dieser Staat das Seltsamste und Ungewöhnlichste erzeugen, und nur die ruhige Mittelmäßigkeit, die sonst so erträglich und förderlich sein mag, nicht ohne Schaden vertragen könne.

Viel tat die Lage des Landes. Es war ein Grenzland zugleich gegen Schweden, Slawen, Franzosen und Holländer. Kaum eine Frage der europäischen Politik gab es, die nicht auf Wohl und Wehe des Staats einwirkte, kaum eine Verwicklung, welche tätigen Fürsten nicht Gelegenheit gab, Ansprüche geltend zu machen. Die sinkende Macht Schwedens, der beginnende Auflösungsprozeß in Polen erregten weitläufige Aussichten, die Übergewalt Frankreichs, die mißtrauische Freundschaft Hollands zwangen zu schlagfertiger Vorsicht. Seit dem ersten Jahre, in welchem Kurfürst Friedrich Wilhelm seine eigenen Festungen durch List und Gewalt in Besitz nehmen mußte, wurde offenbar, daß dort an der Ecke des deutschen Bodens ein kräftiges, umsichtiges, waffentüchtiges Regiment zur Rettung Deutschlands nicht entbehrt werden könne. Seit dem Beginn des französischen Krieges von 1674 erkannte Europa, daß die schlaue Politik, welche von dieser kleinen Ecke ausging, auch das staunenswerte Wagnis unternahm, die Westgrenze Deutschlands gegen den übermächtigen König von Frankreich heldenhaft zu verteidigen.

Es lag vielleicht auch etwas Auffallendes in dem Stammcharakter des brandenburgischen Volkes, an dem Fürsten und Untertanen gleichen Teil hatten. Die preußischen Landschaften hatten den Deutschen bis auf Friedrich den Großen verhältnismäßig wenig von Gelehrten, Dichtern und Künstlern abgegeben. Selbst der leidenschaftliche Eifer der Reformationszeit schien dort abgedämpft. Die Leute, welche in dem Grenzlande saßen, meist von niedersächsischem Stamme, mit geringer Beimischung von Slawenblut, waren ein hartes, knorriges Geschlecht, nicht vorzugsweise anmutig in den Formen ihres Lebens, aber von einem ungewöhnlich scharfen Verstande, nüchtern im Urteil; in der Hauptstadt schon seit alter Zeit spottlustig und von beweglicher Zunge, in allen Landschaften großer Anstrengungen fähig, arbeitsam, zäh, von dauerhafter Kraft.

Aber mehr als Lage und Stammcharakter des Volkes schuf dort der Charakter der Fürsten. In anderer Weise, als irgendwo seit den Tagen Karls des Großen geschah, haben sie ihren Staat gebildet. Manches Fürstengeschlecht zählt eine Reihe glücklicher Vergrößerer des Staats, auch die Bourbonen haben weites Gebiet zu einem großen Staatskörper zusammengezogen; manches Fürstengeschlecht hat einige Generationen tapferer Krieger erzeugt, keines war tapferer als die Wasa und die protestantischen Wittelsbacher in Schweden. Aber Erzieher des Volkes ist keins gewesen wie die alten Hohenzollern. Als große Gutsherren auf verwüstetem Lande haben sie die Menschen geworben, die Kultur geleitet, durch fast hundertfünfzig Jahre als strenge Hauswirte gearbeitet, gedacht, geduldet, gewagt und unrecht getan, um ein Volk für ihren Staat zu schaffen, wie sie selbst: hart, sparsam, gescheit, keck, das Höchste für sich begehrend.

In solchem Sinne hat man recht, den providentiellen Charakter des preußischen Staats zu bewundern. Von den vier Fürsten, welche ihn seit dem deutschen Kriege bis zu dem Tage regierten, wo der greise Abt im Kloster Sanssouci die müden Augen schloß, hat jeder mit seinen Tugenden und Fehlern wie eine notwendige Ergänzung seines Vorgängers gelebt. Kurfürst Friedrich Wilhelm, der größte Staatsmann aus der Schule des deutschen Krieges, der prachtliebende erste König Friedrich, der sparsame Despot Friedrich Wilhelm I., zuletzt er, in welchem sich die Anlagen und großen Eigenschaften fast aller seiner Vorfahren zusammen fanden, im 18. Jahrhundert die Blüte des Geschlechts.

Es war eine freudeleeres Leben im Königsschloß zu Berlin, als Friedrich heranwuchs, so arm an Liebe und Sonnenschein, wie in wenig Bürgerhäusern jener rauhen Zeit. Man darf zweifeln, ob der König, sein Vater, oder die Königin größere Schuld an der Zerrüttung des Familienlebens hatten, beide nur durch Fehler ihres Naturells, welche in den unaufhörlichen Reibungen des Hauses immer größer wurden. Der König, ein wunderlicher Tyrann, mit weichem Herzen, aber einer rohen Heftigkeit, die mit dem Stocke Liebe und Vertrauen erzwingen wollte, von scharfem Menschenverstand, aber so unwissend, daß er immer in Gefahr kam, Opfer eines Schurken zu werden, und in dem dunklen Gefühl seiner Schwäche wieder mißtrauisch und von jäher Gewaltsamkeit; die Königin dagegen, keine bedeutende Frau, von kälterem Herzen, mit einem starken Gefühl ihrer fürstlichen Würde, dabei mit vieler Neigung zur Intrige, ohne Vorsicht und Schweigsamkeit. Beide hatten den besten Willen und gaben sich ehrlich Mühe, ihre Kinder zu tüchtigen und guten Menschen zu machen, aber beide störten unverständig das gesunde Aufleben der Kinderseele. Die Mutter hatte die Taktlosigkeit, die Kinder schon im zarten Alter zu Vertrauten ihres Ärgers und ihrer Intrigen zu machen; denn über die unholde Sparsamkeit des Königs, über die Schläge, die er so reichlich in seinen Zimmern austeilte, und über die einförmige Tagesordnung, die er ihr aufzwang, nahm in ihren Gemächern Klage, Groll, Spott kein Ende. Der Kronprinz Friedrich wuchs im Spiel mit seiner älteren Schwester heran, ein zartes Kind mit leuchtenden Augen und wunderschönem blonden Haar. Pünktlich wurde ihm gerade so viel gelehrt, als der König wollte, und das war wenig genug: Französisch, etwas Geschichte und was einem Soldaten damals für nötig galt, dazu kaum etwas lateinische Deklination, und zwar gegen den Willen des Vaters, – der große König ist nie über die Schwierigkeiten des Genitivs und Dativs herausgekommen. Die Frauen brachten dem Knaben, der sich gern gehen ließ und in Gegenwart des Königs scheu und trotzig aus den Kinderaugen sah, das erste Interesse an französischer Literatur bei; er selbst hat später seine Schwester darum gerühmt, aber auch seine Gouvernante war eine kluge Französin. Daß dem König das fremde Wesen verhaßt war, trug sicher dazu bei, es dem Sohne wert zu machen, denn fast systematisch wurde in den Appartements der Königin das gelobt, was dem strengen Hausherrn mißfiel. Und wenn der König in der Familie eine seiner polternden frommen Reden hielt, dann sahen die Prinzeß Wilhelmine und der junge Friedrich einander so lange bedeutsam an, bis das herausfordernde Gesicht, das eines der Kinder machte, die kindische Lachlust erregte und den Grimm des Königs zum Ausbruch brachte. Dadurch wurde der Sohn schon in frühen Jahren dem Vater ein Gegenstand des Ärgers. Einen effeminierten Kerl schalt er ihn, der sich malproper halte und eine unmännliche Freude an Putz und Spielereien habe.

Aber aus dem Bericht seiner Schwester, deren schonungslosem Urteil der Tadel leichter wird als das Lob, ist auch zu sehen, wie die Liebenswürdigkeit des reichbegabten Knaben auf seine Umgebung wirkte. Wenn er mit der Schwester heimlich eine französische Geschichte las und den ganzen Hof in die komischen Charaktere des Romans umdeutete, wenn sie mit Flöte und Laute verpönte Musik machten, wenn er die Schwester verkleidet besuchte und sie die Rollen einer französischen Komödie gegeneinander rezitierten. Aber selbst bei diesen harmlosen Freuden wurde der Prinz fortwährend in Lüge, Täuschung, Verstellung gedrängt. Er war stolz, hochgesinnt, großmütig, von rücksichtsloser Wahrheitsliebe. Daß ihm die Verstellung innerlichst widerstand, daß er sich, wo sie verlangt wurde, nicht dazu herablassen wollte, und wo er es einmal tat, ungeschickt heuchelte, das machte seine Stellung zum Vater immer schwieriger, größer wurde das Mißtrauen des Königs, immer wieder brach dem Sohn das verletzte Selbstgefühl als Trotz hervor.

So wuchs er auf, von plumpen Spionen umgeben, welche dem König jedes Wort zutrugen. Ein Gemüt von den reichsten Anlagen, der feinsten geistigen Begehrlichkeit, ohne jede männliche Gesellschaft, die für ihn gepaßt hätte. Kein Wunder, daß der Jüngling auf Abwege geriet. Der preußische Hof konnte im Vergleich zu den andern Höfen Deutschlands für einen sehr tugendhaften gelten; aber die Frivolität gegen Frauen und die Unbefangenheit, mit welcher die bedenklichsten Verhältnisse behandelt wurden, waren auch dort sehr groß. Seit einem Besuch an dem liederlichen Hofe in Dresden begann es Prinz Friedrich zu treiben wie andere Prinzen seiner Zeit, er fand gute Kameraden unter den jungen Offizieren seines Vaters. Wir wissen aus dieser Zeit wenig von ihm, aber wir dürfen schließen, daß er dabei allerdings in einige Gefahr kam, nicht zu verderben, aber in Schulden und unbedeutenden Verhältnissen wertvolle Jahre zu verlieren. Es war sicher nicht der steigende Unwille des Vaters allein, der ihn in dieser Zeit verstimmte und ratlos umherwarf, ebensosehr ein inneres Mißbehagen, das den unfertigen Jüngling um so wilder in die Irre treibt, je größer die stillen Ansprüche sind, die sein Geist an das Leben macht.

Er beschloß nach England zu entfliehen. Wie die Flucht mißlang, wie der Zorn des Obristen Friedrich Wilhelm gegen den fahnenflüchtigen Offizier aufbrannte, ist bekannt. Mit den Tagen seiner Gefangenschaft in Küstrin und dem Aufenthalt in Ruppin begannen seine ernsten Lehrjahre. Das Fürchterliche, das er erfahren, hatte auch neue Kraft in ihm wachgerufen. Er hatte alle Schrecken des Todes, die greulichsten Demütigungen mit fürstlichem Stolze ertragen. Er hatte über die größten Rätsel des Lebens, über den Tod und was darauf folgen soll, in der Einsamkeit seines Gefängnisses nachgedacht, er hatte erkannt, daß ihm nichts als Ergebung, Geduld, ruhiges Ausharren übrigbleibe. Aber das bittere, herzfressende Unglück ist doch keine Schule, welche nur das Gute herausbildet, auch manche Fehler wachsen dabei groß. Er lernte in stiller Seele seine Entschlüsse bewahren, mit Argwohn auf die Menschen sehn und sie als seine Werkzeuge gebrauchen, sie täuschen und mit einer kalten Klugheit liebkosen, von welcher sein Herz nichts wußte. Er mußte dem feigen, gemeinen Grumbkow schmeicheln, und froh sein, daß er ihn allmählich für sich gewann; er mußte sich jahrelang immer wieder Mühe geben, den Widerwillen und das Mißtrauen des harten Vaters klug zu bekämpfen. Immer sträubte sich seine Natur gegen solche Demütigung, durch bittern Spott suchte er sein geschädigtes Selbstgefühl geltend zu machen; sein Herz, das für alles Edle erglühte, bewahrte ihn davor, ein harter Egoist zu werden, aber milder, versöhnlicher wurde er nicht. Und als er längst ein großer Mensch, ein weiser Fürst geworden war, blieb ihm aus dieser Zeit der Knechtschaft doch eine Spur von kleinlicher Hinterlist zurück, der Löwe hat einigemal nicht verschmäht, in niedriger Rachsucht wie ein Kater zu kratzen.

Doch er lernte in diesen Jahren auch etwas Nützliches ehren: die strenge Wirtschaftlichkeit, mit welcher die beschränkte aber tüchtige Kraft seines Vaters für das Wohl des Landes und seines Hauses sorgte. Wenn er, um dem König zu gefallen, Pachtanschläge machen mußte, wenn er sich Mühe gab, den Ertrag einer Domäne um einige hundert Taler zu steigern, wenn er auch auf die Liebhabereien des Königs mehr als billig einging und ihm den Vorschlag machte, einen langen Schäfer aus Mecklenburg als Rekruten zu entführen, so war im Anfang allerdings diese Arbeit nur ein lästiges Mittel, den König zu versöhnen; denn Grumbkow sollte ihm einen Mann schaffen, der die Taxe statt seiner machte, die Amtleute und Kammerbeamten selbst gaben ihm an die Hand, wie hie und da ein Plus zu gewinnen war, und über die Riesen spottete er immer noch, wo er das ungestraft konnte. Aber die neue Welt, in die er versetzt war, die praktischen Interessen des Volkes und des Staates zogen ihn doch allmählich an. Es war leicht einzusehen, daß auch die Wirtschaftlichkeit seines Vaters oft tyrannisch und wunderlich war. Der König hatte immer die Empfindung, daß er nichts als das Beste seines Landes wollte, und deshalb nahm er sich die Freiheit, mit der größten Willkür bis in das einzelne in Besitz und Geschäft der Privatpersonen einzugreifen. Wenn er befahl, daß kein Ziegenbock mit den Schafen ausgetrieben werden dürfe, daß alle farbigen Schafe, graue, schwarze, melierte binnen drei Jahren gänzlich abgeschafft und nur feine weiße Wolle geduldet werden solle; wenn er genau vorschrieb, wie die kupfernen Probemaße des Berliner Scheffels, die er durch das ganze Land – auf Kosten der Untertanen – verschicken ließ, aufbewahrt und verschlossen werden sollten, damit sie keine Beulen bekämen; wenn er, um die Linnen- und Wollenindustrie in die Höhe zu bringen, verordnete, seine Untertanen sollten durchaus nicht den modischen Zitz und Kattun tragen, hundert Taler Strafe und drei Tage Halseisen drohe jedem, der nach acht Monaten in seinem Hause noch einen Lappen Kattun an Schlafrock, Mütze, Möbelüberzug dulden würde, so erschien solche Methode zu regieren allerdings hart und kleinlich. Aber den klugen Sinn und die wohlwollende Absicht, die hinter solchen Erlässen erkennbar war, lernte der Sohn doch ehren, und er selbst eignete sich allmählich eine Menge von Detailkenntnissen an, die sonst einem Fürstensohn nicht geläufig werden: Werte der Güter, Preise der Lebensmittel, Bedürfnisse des Volkes, Gewohnheiten, Rechte und Pflichten des kleinen Lebens. Es ging sogar auf ihn viel von dem Selbstgefühl über, womit der König sich dieser Geschäftskenntnisse rühmte. Und als er der allmächtige Hauswirt seines Staates geworden, da wurde der unermeßliche Segen offenbar, den seine Kenntnis des Volkes und des Verkehrs haben sollte. Nur dadurch wurde die weise Sparsamkeit möglich, mit welcher er sein eigenes Haus und die Finanzen verwaltete, seine unablässige Sorge für das Detail, wodurch er Landbau, Handel, Wohlstand, Bildung seines Volkes erhob. Wie die Tagesrechnungen seiner Köche, so wußte er die Anschläge zu prüfen, in denen die Einkünfte der Domänen, Forsten, der Akzise berechnet waren. Daß er das Kleinste wie das Größte mit scharfem Auge übersah, das verdankte sein Volk zum größten Teil den Jahren, in denen er gezwungen als Assessor am grünen Tische zu Ruppin saß. Und zuweilen begegnete ihm selbst, was zu seines Vaters Zeit ärgerlich gewesen war, daß seine Kenntnis der geschäftlichen Einzelheiten doch nicht groß genug war, und daß er hier und da, grade wie sein Vater, befahl, was gewaltsam in das Leben seiner Preußen einschnitt und nicht durchgeführt werden konnte.

Kaum hatte Friedrich die Schläge der großen Katastrophe ein wenig verwunden, da traf ihn ein neues Unglück, seinem Herzen ebenso schrecklich wie das erste, in seinen Folgen noch verhängnisvoller für sein Leben. Der König zwang ihm eine Gemahlin auf. Herzerschütternd ist das Weh, in dem er ringt, sich von der erwählten Braut loszumachen. »Sie soll frivol sein, so viel sie will, nur nicht einfältig, das ertrage ich nicht.« Es war alles vergebens. Mit Bitterkeit und Zorn sah er auf diese Verbindung bis kurz vor der Vermählung. Nie hat er den Schmerz überwunden, daß der Vater dadurch sein inneres Leben zerstört habe. Seine reizbare Empfindung, das liebebedürftige Herz, sie waren in rohester Weise verkauft. Nicht allein er wurde dadurch unglücklich, auch eine gute Frau, die des besten Schicksals wert gewesen wäre. Die Prinzessin Elisabeth von Bevern hatte viele edle Eigenschaften des Herzens, sie war nicht einfältig, sie war nicht häßlich und vermochte selbst vor der herben Kritik der Fürstinnen des königlichen Hauses erträglich zu bestehen. Aber wir fürchten, wäre sie ein Engel gewesen, der Stolz des Sohnes, der im Kern seines Lebens durch die unnötige Barbarei des Zwanges empört war, hätte dennoch gegen sie protestiert. Und doch war das Verhältnis nicht zu jeder Zeit so kalt, wie man wohl annimmt. Sechs Jahre gelang es der Herzensgüte und dem Takt der Prinzessin, den Kronprinzen immer wieder zu versöhnen. In der Zurückgezogenheit von Rheinsberg war sie in der Tat seine Hausfrau und eine liebenswürdige Wirtin seiner Gäste, und schon wurde von den österreichischen Agenten an den Wiener Hof berichtet, daß ihr Einfluß im Steigen sei. Aber der bescheidenen Anhänglichkeit ihrer Seele fehlten zu sehr die Eigenschaften, welche einen geistreichen Mann auf die Dauer zu fesseln vermögen. Die aufgeweckten Kinder des Hauses Brandenburg hatten das Bedürfnis, ihr leichtbewegtes Innere launig, schnell und scharf nach außen zu kehren. Die Prinzessin wurde, wenn sie erregt war, still, wie gelähmt, die leichte Grazie der Gesellschaft fehlte ihr. Das paßte nicht zusammen. Auch die Art, wie sie den Gemahl liebte, pflichtvoll, sich immer unterordnend, wie gebannt und gedrückt von seinem großen Geiste, war dem Prinzen wenig interessant, der mit der französischen geistreichen Bildung nicht wenig von der Frivolität der französischen Gesellschaft angenommen hatte.

Als Friedrich König wurde, verlor die Fürstin schnell den geringen Anteil, den sie sich am Herzen ihres Gemahls etwa erworben hatte. Die lange Abwesenheit im Ersten Schlesischen Kriege tat das Letzte, den König von ihr zu entfernen. Immer sparsamer wurden die Beziehungen der Gatten, es vergingen Jahre, ohne daß sie einander sahen, eine eisige Kürze und Kälte ist in seinen Briefen erkennbar. Daß der König ihren Charakter so hoch achten mußte, erhielt sie in der äußeren Stellung. – Seine Verhältnisse mit Frauen waren seitdem wenig einflußreich auf sein inneres Empfinden; selbst seine Schwester von Baireuth, kränklich, nervös, verbittert durch Eifersucht auf einen ungetreuen Gemahl, wurde dem Bruder auf Jahre fremd, und erst, als sie sich für das eigene Leben resigniert hatte, suchte dies stolze Kind des Hauses Brandenburg alternd und unglücklich wieder das Herz des Bruders, dessen kleine Hand sie einst vor den Füßen des strengen Vaters gehalten hatte. Auch die Mutter, der König Friedrich immer ausgezeichnete kindliche Verehrung bewies, konnte der Seele des Sohnes wenig sein. Seine andern Geschwister waren jünger und nur zu geneigt, im Haus stille Fronde gegen ihn zu machen; wenn der König sich herabließ, einmal einer Hofdame oder einer Sängerin Aufmerksamkeiten zu zeigen, so waren diese in der Regel für die Betroffenen ebenso angstvoll als schmeichelhaft. Wo er freilich Geist, Grazie und weibliche Würde zusammen fand, wie bei Frau von Camas, der Oberhofmeisterin seiner Gemahlin, da wurde die Liebenswürdigkeit seiner Natur in vielen herzlichen Aufmerksamkeiten laut. Im ganzen aber haben die Frauen seinem Leben wenig Licht und Glanz gegeben, kaum je hat die innige Herzlichkeit des Familienlebens sein Inneres erwärmt, nach dieser Seite verödete sein Gemüt. Vielleicht wurde das ein Glück für seine Nation, sicher ein Verhängnis für sein Privatleben. Die volle Wärme seiner menschlichen Empfindung blieb fast ausschließlich dem kleinen Kreise der Vertrauten vorbehalten, mit denen er lachte, dichtete, philosophierte, Pläne für die Zukunft machte, später seine Kriegsoperationen und Gefahren besprach.

Seit er vermählt in Rheinsberg lebte, beginnt der beste Teil seiner Jugendzeit. Dort wußte er eine Anzahl gebildeter und heiterer Gesellschafter um sich zu vereinigen, die kleine Genossenschaft führte ein poetisches Leben, von welchem Teilnehmer ein anmutiges Bild hinterlassen haben. Ernsthaft begann Friedrich an seiner Bildung zu arbeiten. Leicht fügte sich ihm der Ausdruck erregter Empfindung in den Zwang französischer Verse, unablässig arbeitete er, sich die Feinheiten des fremden Stils anzueignen. Aber auch über Ernsterem arbeitete sein Geist, für alle höchsten Fragen des Menschen suchte er sehnsüchtig Antwort bei den Enzyklopädisten, auch bei Christian Wolf, er saß über Karten und Schlachtenpläne geneigt, und unter den Rollen des Liebhabertheaters und den Baurissen wurden andere Projekte vorbereitet, welche nach wenig Jahren die Welt aufregen sollten.

Da kam der Tag, an welchem sein sterbender Vater der Regierung entsagte und den Offizier, der die Tagesmeldung tat, anwies, von dem neuen Kriegsherrn Preußens die Befehle einzuholen. Wie der Prinz von seinen politischen Zeitgenossen damals beurteilt wurde, sehen wir aus der Charakteristik, welche kurz vorher ein österreichischer Agent von ihm gemacht hatte: »Er ist anmutig, trägt eignes Haar, hat eine schlaffe Haltung, liebt schöne Künste und gute Küche, er möchte seine Regierung gern mit einem Eklat anfangen, ist ein soliderer Freund des Militärs als sein Vater, hat die Religion eines honetten Mannes, glaubt an Gott und die Vergebung der Sünden, liebt Glanz und großartiges Wesen, er wird alle Hofchargen neu etablieren und vornehme Leute an seinen Hof ziehen.«Jounal de Seckendorf. 2. Jan. 1738. Nicht ganz ist diese Prophezeiung gerechtfertigt worden. Wir suchen in dieser Zeit andre Seiten seines Wesens zu verstehen. Der neue König war von feuriger enthusiastischer Empfindung, schnell erregt, leicht kamen die Tränen in seine Augen. Wie seinen Zeitgenossen war ihm leidenschaftliches Bedürfnis, das Große zu bewundern, sich weichen Stimmungen elegisch hinzugeben. Zärtlich blies er sein Adagio auf der Flöte, wie andern ehrlichen Zeitgenossen ward auch ihm in Wort und Vers der volle Ausdruck innigen Gefühls nicht leicht, aber die pathetische Phrase rührte ihm Tränen und Empfindsamkeit auf. Trotz aller französischen Sentenzen war die Anlage seines Wesens auch nach dieser Richtung sehr deutsch.

Sehr ungerecht haben ihn die beurteilt, welche ihm ein kaltes Herz zuschrieben. Nicht die kalten Fürstenherzen sind es, die am meisten durch ihre Härte verletzen. Solchen ist fast immer vergönnt, durch gleichmäßige Huld und schicklichen Ausdruck ihre Umgebung zu befriedigen. Die stärksten Äußerungen der Nichtachtung liegen in der Regel dicht neben den herzgewinnenden Lauten einer weichen Zärtlichkeit. Aber in Friedrich war, so scheint uns, eine auffallende und seltsame Verbindung von zwei ganz entgegengesetzten Richtungen des Gemüts, welche sonst auf Erden in ewig unversöhntem Kampfe liegen. Er hatte ebensosehr das Bedürfnis, sich das Leben zu idealisieren, als den Drang, sich und anderen ideale Stimmungen unbarmherzig zu zerstören. Seine erste Eigenschaft war vielleicht die schönste, vielleicht die leidvollste, mit welcher ein Mensch für den Kampf der Erde ausgestattet wird. Er war allerdings eine Dichternatur, er besaß in hohem Grade jene eigentümliche Kraft, welche die gemeine Wirklichkeit nach idealen Forderungen des eigenen Wesens umzubilden strebt und alles Nahe mit dem holden Schein eines neuen Lebens überzieht. Es war ihm Bedürfnis, mit dem ganzen Zauber eines beweglichen Gefühls, mit der Grazie seiner Phantasie das Bild seiner Lieben sich zuzurichten und das Verhältnis, in das er sich frei zu ihnen gesetzt hatte, auszuschmücken. Es war immer etwas Spiel dabei; auch wo er am leidenschaftlichsten empfand, liebte er mehr sein verschönertes Bild des andern, das er in sich trug, als diesen selbst. In solcher Stimmung hat er Voltaires Hand geküßt. Wurde ihm irgendeinmal in empfindlicher Weise der Unterschied zwischen seinem Ideal und dem wirklichen Menschen fühlbar, so ließ er den Menschen fallen und hielt sich an das Bild. Wem die Natur diese Anlage gegeben hat, Liebe und Freundschaft vorzugsweise durch das bunte Glas poetischer Stimmungen zu empfinden, der wird nach dem Urteil anderer in der Wahl seiner Lieben immer Willkür zeigen; eine gewisse gleichmäßige Wärme, welche rücksichtsvoll alle bedenkt, scheint solchen Naturen versagt zu sein. Wem der König in seiner Weise Freund geworden war, gegen den war er von der größten Aufmerksamkeit und Ausdauer, wie sehr auch seine Stimmung in einzelnen Momenten wechselte. Er konnte dann in seiner Trauer über den Verlust einer solchen Gestalt sentimental werden, wie nur irgendein Deutscher aus der Wertherperiode. Er hatte mit seiner Schwester von Baireuth viele Jahre in einiger Entfremdung gelebt, erst in den letzten Jahren vor ihrem Tode, unter den Schrecken des schweren Kriegs, war ihm ihr Bild als das einer zärtlichen Schwester wieder lebendig aufgegangen. Nach ihrem Tode fand er einen düstern Genuß darin, das Herzliche dieses Verhältnisses sich und andern vorzustellen, er baute ihr einen kleinen Tempel und wallfahrte oft dahin. Wer seinem Herzen nicht durch Vermittlung poetischer Empfindungen nahetrat, nicht die liebespinnende Poesie ihm anregte, ja wer gar etwas in seinem reizbaren Wesen störte, gegen den war er kalt, nichtachtend, gleichgültig, ein König, der nur frug, wieweit der andere ihm nütze, er warf ihn vielleicht weg, wenn er ihn nicht mehr brauchte. Solche Begabung vermag allerdings das Leben des jungen Mannes mit einem verklärenden Schimmer zu umgeben, sie verleiht bunten Schein und holde Farbe auch Gewöhnlichem, aber sie wird mit viel guter Sitte, Pflichtgefühl und einem Sinn, der Höheres will als sich selbst, verbunden sein müssen, wenn sie denselben Mann in höherem Alter nicht isolieren und verdüstern soll. Sie wird auch im günstigsten Falle neben den wärmsten Verehrern bittere Feinde aufregen. Etwas von dieser Anlage hat der edlen Seele Goethes schwere Schmerzen, dauerlose Verhältnisse, viele Enttäuschungen und ein einsames Alter bereitet. Sie wird doppelt verhängnisvoll für einen König, dem andere so selten sicher und gleichberechtigt gegenübertreten, dem die offenherzigsten Freunde immer noch bewundernde Schmeichler werden, ungleich in ihrem Verhalten, bald unfrei im höfischen Banne seiner Majestät, bald im Gefühl ihrer Rechte unzufriedene Tadler.

Dem König Friedrich aber wurde dieses Bedürfnis nach idealen Verhältnissen und die Sehnsucht nach Menschen, die seinem Herzen Gelegenheit gaben sich rückhaltslos aufzuschließen, zunächst durch seinen durchdringenden Scharfblick gekreuzt, und durch eine unbestechliche Wahrheitsliebe, welche allen Täuschungen todfeind war, sich gegen jede Illusion unwillig sträubte, den Schein überall verachtete, immer dem Kern der Dinge nachspürte. Diese prüfende Auffassung des Lebens und seiner Pflichten allein mochte ihm ein guter Schutz gegen die Täuschungen werden, welche den phantasievollen Fürsten, wo er Vertrauen schenkt, häufiger kränken als den Privatmann. Aber sein Scharfsinn zeigte sich auch als wilde Laune, welche schonungslos, sarkastisch und spottlustig verwüstete. Woher ihm diese Anlage kam? War es märkisches Blut? War es ein Erbteil seiner Urgroßmutter, der Kurfürstin Sophie von Hannover, und seiner Großmutter, der Königin Sophie Charlotte, jener geistvollen Frauen, mit denen Leibniz über die ewige Harmonie der Welt verhandelt hatte? Sicher hatte die rauhe Schale seiner Jugend dazu beigetragen. Scharf ist sein Blick für die Schwächen anderer; wo er eine Blöße erspäht, wo ihn fremde Art ärgert oder reizt, da rührt sich ihm die bewegliche Zunge. Freunde und Feinde trifft schonungslos sein Wort: auch wo Schweigen und Ertragen von jeder Vorsicht geboten ist, vermag er nicht sich zu beherrschen; dann ist seine Seele wie verwandelt, erbarmungslos, unendlich, übertreibend verzieht er sich das Bild des andern zur Karikatur. Sieht man näher zu, so ist freilich auch hierbei die Freude an der geistigen Produktion die Hauptsache, er befreit sich selbst von einem unholden Eindruck, indem er gegen sein Opfer improvisiert, er malt ins Groteske mit innerem Behagen, und er wundert sich wohl, wenn der Betroffene tief verletzt auch wieder gegen ihn in Waffen tritt. Sehr auffallend ist darin seine Ähnlichkeit mit Luther. Daß es nicht würdig ist und vielleicht nicht geziemend, kümmert den König so wenig als den Reformator, beide sind in einer Aufregung, wie auf der Jagd, beide vergessen über die Freude des Kampfes gänzlich die Folgen. Beide haben sich selbst und ihrer großen Sache dadurch ernsthaft geschadet und sich aufrichtig gewundert, wenn sie das einmal erkannten. Freilich sind die Keulenschläge oder die Streiche mit der Pritsche, welche der große Mönch des 16. Jahrhunderts führt, bei weitem furchtbarer als die Stiche, welche der große Fürst im Zeitalter der Aufklärung austeilt. Aber wenn der König neckt und höhnt und vielleicht einmal boshaft zwickt, so wird ihm das unartige Wesen schwerer verziehen; denn es ist häufig kein gleicher Kampf, den er mit seinen Opfern führt. So hat der große Fürst alle seine politischen Gegner behandelt und tödliche Feindschaft gegen sich aufgeregt; über die Pompadour in Frankreich, über Kaiserin Elisabeth und Kaiserin Maria Theresia hat er an der Tafel gescherzt, beißende Verse und Pamphlete in Umlauf gesetzt. So hat er sein Dichterideal Voltaire bald gestreichelt, bald gescholten und gekratzt. So verfuhr er aber auch mit Menschen, welche er wirklich hoch schätzte, denen er das größte Vertrauen schenkte, die er in den Kreis seiner Freunde aufgenommen. Er hatte den Marquis d'Argens an seinen Hof gezogen, zum Kammerherrn gemacht, zum Mitglied der Akademie, zu einem seiner nächsten und liebsten Genossen. Die Briefe, welche er ihm aus den Feldlagern des Siebenjährigen Krieges schrieb, gehören zu den schönsten und rührendsten Erinnerungen, die uns von dem Könige geblieben sind. Als Friedrich aus dem Kriege heimkehrt, ist ihm eine liebe Hoffnung, daß der Marquis bei ihm in Sanssouci wohnen soll. Und wenige Jahre darauf ist dieses schöne Verhältnis in der peinlichsten Weise gelöst. Wie war das doch möglich? Der Marquis war vielleicht der beste Franzose, den der König an sich gefesselt, ein Mann von Ehre, feinfühlend, gebildet, dem König in Wahrheit ergeben. Aber er war weder ein bedeutender, noch ein besonders kräftiger Mann. Lange Jahre hatte der König in ihm einen Gelehrten bewundert, was er nicht war, einen weisen, klaren, sichern Philosophen mit gefälligem Witz und frischer Laune, er hatte sich sein Bild ganz gemütlich und poetisch zugerichtet. Jetzt, bei dem täglichen Zusammensein, fand der König sich getäuscht, ein weichliches Wesen des Franzosen, das mit der eigenen Kränklichkeit hypochondrisch spielte, ärgerte ihn, er begann zu erkennen, daß ›der gealterte Marquis weder ein großes Talent‹ noch ›von starkem Geist‹ war, das Ideal, das er sich von ihm gemacht, wurde zerstört. Da beginnt der König ihn wegen seiner Weichlichkeit zu verspotten, der empfindliche Franzose erbittet Urlaub, zur Herstellung seiner Gesundheit auf einige Monate nach Frankreich zu reisen. Der König ist durch dies übellaunische Wesen verletzt, und fährt fort, in den Freundesbriefen, welche er ihm nachsendet, dies Kranktun zu höhnen. In Frankreich solle sich jetzt ein Werwolf zeigen, kein Zweifel, daß der Marquis dies sei, als Preuße, und in seiner kläglichen Krankenhülle. Ob er jetzt kleine Kinder esse? Die Unart habe er doch sonst nicht gehabt, aber auf Reisen ändere sich vieles am Menschen. Der Marquis bleibt statt weniger Monate zwei Winter; als er zurückkehren will, sendet er Zeugnisse seiner Ärzte; wahrscheinlich war der wackre Mann in der Tat krank gewesen, aber den König verletzt diese unbehilfliche Legitimation eines alten Freundes im Innersten. Und wie dieser zurückkehrt, ist das alte Verhältnis verdorben. Noch will ihn der König nicht loslassen, aber er gefällt sich darin, durch Stachelreden und starke Scherze den Treulosen zu strafen. Da fordert der Franzose, in tiefster Seele gekränkt, seine Entlassung. Er erhält sie, und man erkennt den Schmerz und Zorn des Königs aus dem Bescheide. Als der Marquis in dem letzten Brief, den er vor seinem Tode dem König schrieb, noch einmal nicht ohne Bitterkeit vorhielt, wie höhnend und schlecht er einen uneigennützigen Verehrer behandelt, da las der König schweigend den Brief. Aber an die Witwe des Toten schrieb er betrübt von seiner Freundschaft für ihren Gatten, und ließ ihm in fremdem Land ein kostbares Denkmal errichten. – Mit den meisten seiner Lieben ging es dem großen Fürsten so; magisch wie seine Kraft, anzuziehen, ebenso dämonisch war seine Fähigkeit, abzustoßen. Wer aber darin einen Fehler des Mannes schelten will, dem sei die Antwort, daß es in der Geschichte kaum einen andern König gegeben hat, der in so großartiger Weise sein geheimstes Seelenleben seinen Freunden aufgeschlossen hat, als Friedrich.

Wenige Monde trug Friedrich II. die Krone, da starb Kaiser Karl VI. Jetzt trieb den jungen König alles, ein großes Spiel zu wagen. Daß er solchen Entschluß faßte, war trotz der augenblicklichen Schwäche Österreichs doch an sich Zeichen eines kecken Muts. Die Länder, welche er regierte, zählten etwa ein Siebenteil der Menschenmasse, welche in dem weiten Gebiet der Maria Theresia lebte. Es ist wahr, sein Heer war vorläufig dem österreichischen an Zahl und Kriegstüchtigkeit weit überlegen, und nach der Vorstellung der Zeit war die Masse des Volkes nicht in der Weise zur Ergänzung des Heeres geeignet, wie jetzt. Und wenig ahnte er die Größe Maria Theresias. Aber schon in den Vorbereitungen zum Einmarsch bewies der König, daß er lange darauf gehofft, sich mit Österreich zu messen, in gehobener Stimmung begann er einen Kampf, der für sein Leben und das seines Staates entscheidend werden sollte. Wenig kümmerte ihn im Grunde das Recht, welches er auf schlesische Herzogtümer etwa noch hatte und durch seine Federn vor Europa zu erweisen suchte. Die Politik der despotischen Staaten des 17. und 18. Jahrhunderts sorgte darum überhaupt nicht. Wer seiner Sache einen guten Schein geben konnte, benutzte auch dieses Mittel; im Notfall war auch der unwahrscheinlichste Beweis, der schalste Vorwand genug. So hatte Ludwig XIV. gekriegt, so hatte der Kaiser gegen die Türken, Italiener, Deutschen, Franzosen und Spanier sein Interesse verfolgt, so war dem Großen Kurfürsten ein Teil seiner Erfolge durch andere verdorben worden. Gerade da, wo das Recht der Hohenzollern am deutlichsten gesprochen hatte, – wie in Pommern, – waren sie am meisten verkürzt worden. Durch niemand mehr als durch den Kaiser und das Haus Habsburg. Jetzt suchte ein Hohenzollern die Rache. »Sei mein Cicero und beweise das Recht meiner Sache, ich werde dein Cäsar sein und sie durchführen,« schrieb Friedrich seinem Jordan nach dem Einmarsch in Schlesien. Leicht mit beflügeltem Schritt wie zum Tanze betrat der König die Felder seiner Siege. Immer noch war heiterer Lebensgenuß, das süße Tändeln mit Versen, geistvolles Geplauder mit seinen Vertrauten über die Freuden des Tages, über Gott, Natur und Unsterblichkeit, was er für das Salz seines Lebens hielt. Aber die große Arbeit, in die er getreten war, begann ihre Wirkungen auf seine Seele schon nach den ersten Wochen, bevor er noch die Feuerprobe der ersten großen Schlacht durchgemacht hatte. Und sie hat seitdem an seiner Seele gehämmert und geschmiedet, bis sie sein Haar grau färbte und das feurige Herz zu klingendem Metall verhärtete. Mit der wundervollen Klarheit, die ihm eigen war, beobachtete er den Beginn dieser Änderungen. Wie ein Fremder sah er schon damals auf sein eigenes Leben. »Du wirst mich philosophischer finden, als du denkst,« schreibt er dem Freunde, »ich bin es immer gewesen, bald mehr bald weniger. Meine Jugend, das Feuer der Leidenschaft, das Verlangen nach Ruhm, ja, um dir nichts zu verbergen, auch die Neugierde, endlich ein geheimer Instinkt haben mich aus der süßen Ruhe getrieben, die ich genoß, und der Wunsch meinen Namen in den Zeitungen und der Geschichte zu sehen, hat mich seitab geführt. Komm her zu mir, die Philosophie behält ihre Rechte, und ich versichere dich, wenn ich nicht diese verdammte Vorliebe für den Ruhm hätte, ich würde nur an ruhiges Behagen denken.«

Und als der treue Jordan in seine Nähe kommt und er den Mann des friedlichen Genusses furchtsam und unbehaglich im Felde sieht, da empfindet der König plötzlich, daß er ein anderer und Stärkerer geworden ist. Der Ankommende war von ihm so lange als der Gelehrtere geehrt worden, er hatte ihm Verse gebessert, Briefe stilisiert, in Kenntnis der griechischen Gelehrtenschulen war er ihm weit überlegen gewesen. Und trotz aller philosophischen Bildung machte er dem König jetzt den Eindruck eines Mannes ohne Mut; mit herbem Spotte fuhr der König gegen ihn los. Und in einer seiner besten Improvisationen stellt er sich selbst als Krieger dem weichlichen Philosophen gegenüber. So unbillig die Spottverse waren, mit denen er ihn immer wieder überschüttete, so schnell war doch auch die Rückkehr der alten herzlichen Empfindung. Aber es war auch der erste leise Fingerzeig des Schicksals für den König selbst; noch oft sollte ihm das gleiche begegnen, er sollte werte Männer, treue Freunde einen nach dem andern verlieren, nicht nur durch den Tod, noch mehr durch die Kälte und Entfremdung, welche zwischen seinem und ihrem Wesen sich auftat. Denn der Weg, den er jetzt betreten hatte, sollte alle Größe, aber auch alle Einseitigkeiten seiner Natur immer stärker ausbilden, bis an die Grenze des Menschlichen; je höher er sich selbst über die andern erhob, desto kleiner mußte ihm ihr Wesen erscheinen; fast alle, die er in späteren Jahren mit dem eigenen Maße maß, waren wenig imstande, dabei zu bestehen. Und das Mißbehagen und die Enttäuschung, die er dann empfinden sollte, wurden wieder schärfer und rücksichtsloser, bis er selbst auf einsamer Höhe aus Augen, die wie Horn in dem versteinerten Antlitz standen, auf das Treiben der Menschen zu seinen Füßen heruntersah. Immer aber bis zu seinen letzten Stunden wurde der kalte Strahl seines prüfenden Blickes unterbrochen durch den hellen Glanz einer warmen menschlichen Empfindung. Und daß diese ihm blieb, macht die große tragische Gestalt für uns so rührend.

Jetzt freilich im ersten Kriege sieht er auf die stille Ruhe seines »Remusberg« noch mit Sehnsucht zurück und tief fühlt er den Zwang eines ungeheuren Geschicks, der ihn bereits umgibt. »Es ist schwer, mit Gleichmut dies Glück und Unglück zu ertragen,« schreibt er; »wohl kann man kalt scheinen im Glück und unberührt bei Verlusten, die Züge des Gesichts können sich verstellen, aber der Mann, das Innere, die Falten des Herzens werden deshalb nicht weniger angegriffen.« Und hoffnungsvoll schließt er: »Alles, was ich von mir wünsche, ist doch nur, daß die Erfolge nicht meine menschlichen Empfindungen und Tugenden verderben, zu denen ich mich immer bekannt habe. Möchten meine Freunde mich so finden, wie ich immer gewesen bin.« Und am Ende des Krieges schreibt er: »Sieh, dein Freund ist zum zweitenmal Sieger. Wer hätte vor einigen Jahren gesagt, daß dein Schüler in der Philosophie eine militärische Rolle in der Welt spielen werde? daß die Vorsehung einen Dichter ausersehen würde, das politische System Europas umzustürzen?«Oeuvres T. XVII. Nr. 140, p. 213. – So frisch und jung empfand Friedrich, als er aus dem ersten Kriege im Triumphzuge nach Berlin zurückkehrte.

Zum zweitenmal zieht er aus, Schlesien zu behaupten. Wieder ist er Sieger, schon hat er das ruhige Selbstgefühl eines erprobten Feldherrn, lebhaft ist seine Freude über die Güte seiner Truppen. »Alles, was mir bei diesem Siege schmeichelt,« schreibt er an Frau von Camas,Oeuvres T. XVIII. Nr. 10. »ist, daß ich durch den schnellen Entschluß und ein kühnes Manöver zur Erhaltung so vieler braven Leute beitragen konnte. Ich wollte nicht den geringsten meiner Soldaten um eitlen Ruhm, der mich nicht mehr täuscht, verwunden lassen.« Aber mitten in den Kampf fiel der Tod von zwei seiner liebsten Freunde, Jordan und Kayserlingk. Rührend ist seine Klage. »In weniger als drei Monaten habe ich meine beiden treuesten Freunde verloren, Leute, mit denen ich täglich gelebt habe, anmutige Gesellschafter, ehrenwerte Männer und wahre Freunde. Es ist schwer für ein Herz, das so empfindsam geschaffen wurde wie das meine, den tiefen Schmerz zurückzudrängen. Kehre ich nach Berlin zurück, ich werde fast fremd in meinem eigenen Vaterlande, isoliert in meinem Hause sein. Auch Sie haben das Schicksal gehabt, auf einmal viele Personen zu verlieren, die Ihnen lieb waren; ich bewundere Ihren Mut, aber nachahmen kann ich ihn nicht. Meine einzige Hoffnung ist die Zeit, die mit allem zu Ende kommt, was es in der Natur gibt. Sie fängt an, die Eindrücke in unserm Gehirn zu schwächen, und hört damit auf uns selbst zu vernichten. Ich fürchte mich jetzt vor allen den Orten, welche mir die traurige Erinnerung an Freunde, die ich für immer verloren habe, zurückrufen.« – Und noch vier Wochen nach dem Tode schreibt er derselben Freundin, die ihn zu trösten versuchte: »Glauben Sie nicht, daß der Drang der Geschäfte und Gefahren in der Traurigkeit zerstreut, ich weiß aus Erfahrung, das ist ein schlechtes Mittel. Leider sind erst vier Wochen vergangen, seit meine Tränen und mein Schmerz begann, aber nach den heftigen Anfällen der ersten Tage fühle ich mich jetzt ebenso traurig, ebensowenig getröstet, als im Anfang.« Und als ihm sein würdiger Erzieher Duhan aus der Hinterlassenschaft Jordans einige französische Bücher schickt, die der König begehrt hatte, schrieb der Fürst noch im Spätherbst desselben Jahres: »Mir kamen die Tränen in die Augen, als ich die Bücher meines armen geschiedenen Jordan öffnete; ich habe ihn so sehr geliebt und es wird mir sehr schwer zu denken, daß er nicht mehr ist.« – Nicht lange und der König verlor auch den Vertrauten, an den dieser Brief gerichtet ist.

Der Verlust der Jugendfreunde im Jahre 1745 bildet einen wichtigen Abschnitt im innern Leben des Königs. Mit den uneigennützigen ehrlichen Männern starb ihm fast alles, was ihn im Verkehr mit andern glücklich gemacht hatte. Die Verbindungen, in welche er jetzt als Mann trat, waren sämtlich von anderer Art. Auch die besten der neuen Bekannten wurden vielleicht Vertraute einzelner Stunden, nicht die Freunde seines Herzens. Das Bedürfnis nach anregendem geistigem Verkehr blieb, ja es wurde stärker und anspruchsvoller. Denn er ist auch darin eine einzige Erscheinung, er konnte heitere und vertrauensvolle Verhältnisse niemals entbehren, nicht das leichte, fast rückhaltlose Geplauder, welches durch alle Schattierungen menschlicher Stimmung, tiefsinnig oder frivol, von den größten Fragen des Menschengeschlechts bis zu den kleinsten Tagesereignissen herabflatterte. Gleich nach seiner Thronbesteigung hatte er an Voltaire geschrieben und ihn zu sich eingeladen; er war mit dem Franzosen zuerst 1740 auf einer Reise bei Wesel zusammengetroffen, kurz darauf war Voltaire auf wenige Tage für schweres Geld nach Berlin gekommen, er hatte schon damals dem König den Eindruck eines Narren gemacht, aber Friedrich fühlte doch eine unendliche Verehrung vor dem Talent des Mannes; Voltaire war ihm der größte Dichter aller Zeiten, Hofmarschall des Parnasses, auf dem der König selbst so gern eine Rolle spielen wollte. Immer stärker wurde Friedrichs Wunsch, den Mann zu besitzen. Er betrachtete sich als seinen Schüler, er wünschte jeden seiner Verse durch den Meister gebilligt, lechzte unter seinen märkischen Offizieren nach dem Witz und Geist der eleganten Franzosen; endlich war auch die Eitelkeit eines Souveräns dabei, er wollte ein Fürst der schönen Geister und Philosophen werden, wie er ein ruhmgekrönter Heerführer geworden war. Seit dem Zweiten Schlesischen Kriege wurden zumeist die Fremden seine Vertrauten, seit 1750 ward ihm die Freude, auch den großen Voltaire als Mitglied seines Hofhaltes bei sich zu sehen. Es war kein Unglück, daß der schlechte Mann nur wenige Jahre unter den Barbaren aushielt.

Diese zehn Jahre von 1746 bis 1756 sind es, in denen Friedrich als Schriftsteller Selbstgefühl und eine Bedeutung gewann, welche noch heut in Deutschland nicht nach Gebühr gewürdigt wird. Über seine französischen Verse vermag der Deutsche nur unvollständig zu urteilen. Er war ein behender Dichter, dem sich mühelos jede Stimmung in Reim und Vers fügte. Er hat aber in seiner Lyrik die Schwierigkeiten der fremden Sprache vor den Augen eines Franzosen niemals vollständig überwunden, wie fleißig auch seine Vertrauten durchsahen; ja es fehlte ihm, wie uns scheint, immer an der gleichmäßigen rhetorischen Stimmung, jenem Stil, der in der Zeit Voltaires das erste Kennzeichen eines berufenen Dichters war; denn neben schönen und erhabenen Sätzen in prächtiger Phrase störten triviale Gedanken und banaler Ausdruck. Auch seine Geschmacksbildung war nicht sicher und selbständig genug; er war in seinem ästhetischen Urteil schnell bewundernd, kurz absprechend, aber in der Stille weit abhängiger von der Meinung seiner französischen Bekannten, als sein Stolz eingeräumt hätte. Das Beste, was in der französischen Presse damals erblühte, die Rückkehr zu Natur und der Kampf schöner Wahrheit gegen die Fesseln der alten Konvenienz, blieb dem König unverständlich; Rousseau war ihm lange Zeit ein exzentrischer armer Teufel, und der gewissenhafte und lautere Geist Diderots galt ihm gar für seicht. Und dennoch scheint uns, daß in seinen Gedichten und grade in den leichten Improvisationen, die er seinen Freunden gönnt, nicht selten ein Reichtum an poetischem Detail und ein herzgewinnender Ton wahren Gefühls durchbricht, um den ihn wenigstens sein Vorbild Voltaire beneiden könnte. –Es ist hier allerdings nicht der Ort, auf Einzelheiten einzugehen, wozu auch seine dramatischen Versuche einladen. – Wir besitzen endlich eine sorgfältige Ausgabe seiner Werke. Aber es wäre nicht minder Pflicht, eine Auswahl seiner Poesien und sein größeres Geschichtswerk in guter deutscher Übertragung zu einem Gemeingut der Nation zu machen, welcher diese Seite im Leben ihres Königs bis jetzt noch zu fremd geblieben ist.

Wie die Kommentare Cäsars ist Friedrichs Geschichte seiner Zeit eines der bedeutendsten Denkmale der historischen Literatur.Die Teile seines Geschichtswerks erschienen bekanntlich unter besonderen Titeln, mit mehren Einleitungen. Die Memoiren des Hauses Brandenburg (begonnen 1746), im größten Teil unbedeutend und zusammengeschrieben, dann Geschichte unserer Zeit (verf. 1746–75), sein Meisterstück, dann die große Geschichte des Siebenjährigen Krieges (beendet 1764), endlich die Memoiren seit dem Hubertusburger Frieden (verf. 1775–1779): sie bilden trotz ungleichmäßiger Behandlung doch ein zusammenhängendes Ganzes.. Es ist wahr, er schrieb gleich dem römischen Feldherrn, gleich jedem handelnden Staatsmann die Tatsachen so, wie sie in der Seele eines Beteiligten reflektieren, nicht alles ist von ihm gleichmäßig gewürdigt, und nicht jeder Partei gönnt er ihr bestes Recht; aber er weiß unendlich vieles, was jedem Fernstehenden verborgen bleibt, und führt nicht unparteiisch, aber auch gegen seine Gegner hochgesinnt in einige innerste Motive der großen Ereignisse ein. Er schrieb zuweilen ohne den großen Apparat, den ein Historiker von Fach um sich sammeln muß, es begegnete ihm daher, daß Erinnerung und Urteil, so zuverlässig beide sind, ihn an einzelnen Stellen im Stich ließen; endlich schrieb er eine Apologie seines Hauses, seiner Polemik, seiner Feldzüge, und wie Cäsar verschweigt er einigemal und legt die Tatsachen so zurecht, wie er sie auf die Folgezeit gebracht wünscht. Aber die Wahrheitsliebe und Offenherzigkeit, mit der er sein Haus und sein eignes Tun behandelt, ist dennoch nicht weniger bewundernswert, als die souveräne Ruhe und Freiheit, in der er über den Begebenheiten schwebt, trotz der kleinen rhetorischen Schnörkel, welche im Geschmack der Zeit lagen.

Erstaunlich wie seine Fruchtbarkeit ist seine Vielseitigkeit. Einer der größten Militärschriftsteller, ein bedeutender Geschichtschreiber, behender Dichter, und daneben populärer Philosoph, praktischer Staatsmann, ja sogar anonymer, sehr ausgelassener Pamphletschreiber und einigemal Journalist, ist er stets bereit, für alles, was ihn erfüllt, erwärmt, begeistert, mit der Feder ins Feld zu ziehen, um jeden anzugreifen in Versen und Prosa, der ihn reizt oder ärgert, nicht nur Papst und Kaiserin, Jesuiten und holländische Zeitungsschreiber, auch alte Freunde, wenn sie ihm lau erscheinen, was er nicht leiden kann, oder wenn sie gar von ihm abzufallen drohen. Nie hat es – seit Luther – einen so kampflustigen, rücksichtslosen, unermüdlichen Schreiber gegeben. Sobald er die Feder zum Schreiben ansetzt, ist er wie Proteus alles, Weiser oder Intrigant, Historiker oder Poet, wie es grade die Situation verlangt, immer ein bewegter, feuriger, geistvoller, zuweilen auch unartiger Mensch, an seine königliche Würde aber denkt er wenig. Alles was ihm lieb ist, feiert er durch Gedichte oder Lobreden: die erhabenen Lehren seiner Philosophie, seine Freunde, sein Heer, Freiheit des Glaubens, selbständige Forschung, Toleranz und Bildung des Volkes.

Erobernd hatte der Geist Friedrichs sich nach allen Richtungen ausgebreitet. Es gab, so schien es, kein Hindernis, das ihn aufhielt, wo der Ehrgeiz antrieb zu siegen. Da kamen die Jahre der Prüfung, sieben Jahre furchtbarer, herzquälender Sorgen. Die große Periode, wo dem reichen hochfliegenden Geiste die schwersten Aufgaben, die je ein Mensch bestanden, auferlegt wurden, wo ihm fast alles unterging, was er für sich selbst an Freude und Glück, an Hoffnungen und egoistischem Behagen besaß, wo auch Holdes und Anmutiges in dem Menschen sterben sollte, damit er der entsagende Fürst seines Volkes, der große Beamte des Staates, der Held einer Nation wurde. Nicht eroberungslustig zog er diesmal in den Kampf; daß er um sein und seines Staates Leben zu kämpfen hatte, war ihm lange vorher deutlich geworden. Aber um so höher wuchs ihm der Entschluß. Wie der Sturmwind wollte er in die Wolken brechen, die sich von allen Seiten um sein Haupt zusammenzogen. Durch die Energie eines unwiderstehlichen Angriffs gedachte er die Wetter zu zerteilen, bevor sie sich entluden. Er war bis dahin nie besiegt worden, seine Feinde waren geschlagen, sooft er, sein furchtbares Werkzeug, das Heer, in der Hand, auf sie gestoßen war. Das war eine Hoffnung, die einzige. Wenn ihm auch diesmal erprobte Gewalt nicht versagte, so mochte er seinen Staat retten.

Aber gleich bei dem ersten Zusammentreffen mit den Österreichern, den alten Feinden, sah er, daß auch sie von ihm gelernt hatten und andere geworden waren. Bis zum Äußersten spannte er seine Kraft, und bei Collin versagte sie ihm. Der 18. Juni 1757 ist der verhängnisvollste Tag in Friedrichs Leben. Dort begegnete, was ihm noch zweimal in diesem Kriege den Sieg entriß: der Feldherr hatte seine Feinde zu gering geachtet, er hatte seinem eigenen tapfern Heere das Übermenschliche zugemutet. Nach einer kurzen Betäubung hob sich Friedrich in neuer Kraft. Aus dem Angriffskriege war er auf eine verzweifelte Defensive angewiesen, von allen Seiten brachen die Gegner gegen sein kleines Land, mit jeder großen Macht des Festlandes trat er in tödlichen Kampf, er, der Herr über nur vier Millionen Menschen und über ein geschlagenes Heer. Jetzt bewährte er sein Feldherrntalent, wie er sich nach Verlusten den Feinden entzog und sie wieder packte und schlug, wo man ihn am wenigsten erwartete, wie er sich bald dem einen, bald dem andern Heere entgegenwarf, unübertroffen in seinen Dispositionen, unerschöpflich in seinen Hilfsmitteln, unerreicht als Führer und Schlachtenherr seiner Truppen. So stand er, einer gegen fünf, gegen Österreicher, Russen, Franzosen, von denen jeder einzelne der Stärkere war, zu gleicher Zeit noch gegen Schweden und die Reichstruppen. Fünf Jahre lang kämpfte er so gegen eine ungeheure Übermacht, jedes Frühjahr in Gefahr, allein durch die Massen erdrückt zu werden, jeden Herbst wieder befreit. Ein lauter Ruf der Bewunderung und des Mitgefühls ging durch Europa. Und unter den ersten widerwilligen Lobrednern waren seine heftigsten Feinde. Grade jetzt, in diesen Jahren des wechselnden Geschickes, wo der König selbst so bittre Zufälle des Schlachtenglücks erlebte, wurde seine Kriegführung das Staunen aller Heere Europas. Wie er seine Linien gegen den Feind zu stellen wußte, immer als der Schnellere und Gewandtere, wie er so oft in schräger Stellung den schwächsten Flügel des Feindes überflügelte, zurückdrängte und zusammenwarf, wie seine Reiterei, die neu geschaffen zu der ersten der Welt geworden war, in Furie über den Feind stürzte, seine Reihen zerriß, seine Haufen zersprengte, das wurde überall als neuer Fortschritt der Kriegskunst, als die Erfindung des größten Genies gepriesen. Taktik und Strategie des preußischen Heeres wurde für alle Armeen Europas fast ein halbes Jahrhundert Vorbild und Muster. Einstimmig wurde das Urteil, daß Friedrich der größte Feldherr seiner Zeit sei, daß es vor ihm, solange es eine Geschichte gibt, wenig Heerführer gegeben, die mit ihm zu vergleichen wären. Daß die kleinere Zahl so häufig gegen die Mehrzahl siegte, daß sie auch geschlagen nicht zerschmolz, sondern, wenn kaum der Feind seine Wunden geheilt, so drohend und gerüstet wie früher ihm gegenübertrat, das schien unglaublich. Wir aber rühmen nicht die Kriegführung des Königs allein, auch die kluge Bescheidenheit, mit welcher er seine Lineartaktik handhabte. Er wußte sehr gut, wie sehr ihn die Rücksicht auf Magazine und Verpflegung beengte und die Tausende von Karren, auf denen er Proviant und die Tagesbedürfnisse des Soldaten mit sich führen mußte. Aber er wußte auch, daß diese Methode für ihn die einzige Rettung war. Einmal, als er nach der Schlacht bei Roßbach den bewundernswerten Marsch nach Schlesien machte, 41 Meilen in 15 Tagen, da in der höchsten Gefahr verließ er seine alte Methode, er zog durch die Länder wie jetzt andere Armeen, er ließ die Leute von den Wirten verpflegen. Aber sogleich kehrte er wieder weise zu dem alten Brauch zurück.von Tempelhof, Siebenjähriger Krieg I. S. 282. Denn sobald seine Feinde ihm diese freie Bewegung nachmachen lernten, war er sicher verloren. Wenn die alte Landesmiliz in seinen alten Provinzen wieder aufstand, die Schweden verjagen half und Colberg und Berlin tapfer verteidigte, so ließ er sich das zwar gerne gefallen; aber er hütete sich sehr, den Volkskrieg zu ermuntern, und als sein ostfriesisches Landvolk sich selbstkräftig gegen die Franzosen erhob und von diesen dafür hart heimgesucht wurde, ließ er ihm rauh sagen, es sei selbst schuld daran; denn der Krieg sollte für die Soldaten sein, für den Bauer und Bürger die ungestörte Arbeit, die Steuern, die Aushebung. Er wußte wohl, daß er verloren war, wenn ein Volkskrieg in Sachsen und Böhmen gegen ihn aufgeregt wurde. Grade diese Beschränkung des umsichtigen Feldherrn auf die militärischen Formen, welche ihm allein den Kampf möglich machten, mag zu seinen größten Eigenschaften gerechnet werden.

Immer lauter wurde der Schrei der Trauer und Bewunderung, mit welcher Deutsche und Fremde diesem Todeskampfe des umstellten Löwen zusahen. Schon im Jahre 1740 war der junge König von den Protestanten als Parteigänger für Gewissensfreiheit und Aufklärung gegen Intoleranz und Jesuiten gefeiert worden. Seit er wenige Monate nach der Schlacht bei Collin die Franzosen bei Roßbach so gründlich geschlagen hatte, wurde er der Held Deutschlands, ein Jubelruf der Freude brach überall aus. Durch zweihundert Jahre hatten die Franzosen dem vielgeteilten Land große Unbill zugefügt, grade jetzt begann das deutsche Wesen sich gegen den Einfluß französischer Bildung zu setzen, und jetzt hatte der König, der selbst die Pariser Verse so sehr bewunderte, die Pariser Generäle so unübertrefflich mit deutschen Kugeln weggescheucht. Es war ein so glänzender Sieg, eine so schmachvolle Niederlage der alten Feinde, es war eine Herzensfreude überall im Reich; auch wo die Soldaten der Landesherren gegen König Friedrich im Felde lagen, jubelten daheim Bürger und Bauern über seine deutschen Hiebe. Und je länger der Krieg dauerte, je lebhafter der Glaube an die Unüberwindlichkeit des Königs wurde, desto mehr erhob sich das Selbstgefühl der Deutschen. Seit langen, langen Jahren fanden sie jetzt einen Helden, auf dessen Kriegsruhm sie stolz sein durften, einen Mann, der mehr als Menschliches leistete. Unzählige Anekdoten liefen von ihm durch das Land, jeder kleine Zug von seiner Ruhe, guten Laune, Freundlichkeit gegen einzelne Soldaten, von der Treue seines Heeres flog Hunderte von Meilen; wie er in Todesnot die Flöte im Zelte blies, wie seine wunden Soldaten nach der Schlacht Choral sangen, wie er den Hut vor einem Regiment abnahm, – es ist ihm seitdem öfter nachgemacht worden, – das wurde am Neckar und Rhein herumgetragen, gedruckt, mit frohem Lachen und mit Tränen der Rührung gehört. Es war natürlich, daß die Dichter sein Lob sangen, waren doch drei von ihnen im preußischen Heere gewesen, Gleim und Lessing als Sekretäre kommandierender Generäle, und Ewald von Kleist, ein Liebling der jungen literarischen Kreise, als Offizier, bis ihn die Kugel bei Kunnersdorf traf. Aber noch rührender für uns ist die treue Hingebung des preußischen Volkes. Die alten Provinzen, Preußen, Pommern, die Marken, Westfalen litten unsäglich durch den Krieg, aber die stolze Freude, Anteil an dem Helden Europas zu haben, hob auch den kleinen Mann oft über das eigene Leiden heraus. Der bewaffnete Bürger und Bauer zog jahrelang immer wieder als Landmiliz ins Feld. Als eine Anzahl Rekruten aus dem Cleveschen und der Grafschaft Ravensburg nach verlorenem Treffen fahnenflüchtig wurde und in die Heimat zurückkehrte, da wurden die Ausreißer von ihren eigenen Landsleuten und Verwandten für eidbrüchig erklärt, verbannt und aus den Dörfern zum Heere zurückgejagt.

Nicht anders war das Urteil im Ausland. In den protestantischen Kantonen der Schweiz nahm man so warmen Teil an dem Geschick des Königs, als wären die Enkel der Rütlimänner nie vom Deutschen Reich abgelöst worden. Es gab dort Leute, die vor Verdruß krank wurden, wenn die Sache des Königs schlecht stand.Sulzer an Gleim in: Briefe der Schweizer von Körte, S. 354. Ebenso war es in England. Jeder Sieg des Königs erregte in London laute Freude, die Häuser wurden erleuchtet, Bildnisse und Lobgedichte feilgeboten, im Parlament verkündete Pitt bewundernd jede neue Tat des großen Alliierten. Selbst zu Paris war man im Theater, in den Gesellschaften mehr preußisch als französisch gesinnt. Die Franzosen spotteten über ihre eigenen Generäle und die Clique der Pompadour, wer dort für die französischen Waffen war, so berichtet Duclos, durfte damit kaum laut werden. In Petersburg war Großfürst Peter und sein Anhang so gut preußisch, daß dort bei jedem Nachteil, den Friedrich erhalten, in der Stille getrauert wurde. Ja bis in die Türkei und zum Khan der Tataren reichte der Enthusiasmus. Und diese Pietät eines ganzes Weltteils überdauerte den Krieg. Dem Maler Hackert wurde mitten in Sizilien bei der Durchreise durch eine kleine Stadt von dem Magistrat ein Ehrengeschenk von Wein und Früchten überreicht, weil sie gehört hätten, daß er ein Preuße sei, ein Untertan des großen Königs, dem sie dadurch ihre Ehrfurcht erweisen wollten. Und Muley Ismael, Kaiser von Marokko, ließ die Schiffsmannschaft eines Bürgers von Emden, den die Barbaresken nach Mogador geschleppt, ohne Lösung frei, schickte die Mannschaft neugekleidet nach Lissabon und gab ihnen die Versicherung: ihr König sei der größte Mann der Welt, kein Preuße solle in seinen Ländern Gefangener sein, seine Kreuzer würden nie die preußische Flagge angreifen.

Arme gedrückte Seele des deutschen Volkes, wie lange war es doch her, seit die Männer zwischen Rhein und Oder nicht die Freude gefühlt hatten, unter den Nationen der Erde vor andern geachtet zu sein! Jetzt war durch den Zauber einer Manneskraft alles wie umgewandelt. Wie aus bangem Traum erwacht sah der Landsmann auf die Welt und in sein eigenes Herz. Lange hatten die Menschen still vor sich hin gelebt, ohne Vergangenheit, deren sie sich freuten, ohne eine große Zukunft, auf die sie hofften. Jetzt empfanden sie auf einmal, daß auch sie teil hatten an der Ehre und Größe in der Welt, daß ein König und sein Volk, alle von ihrem Blute, dem deutschen Wesen eine goldne Fassung gegeben hatten, der Geschichte der zivilisierten Menschheit einen neuen Inhalt. Jetzt durchlebten sie alle selbst, wie ein großer Mensch kämpfte, wagte und siegte. Jetzt arbeite in deiner Schreibstube, friedlicher Denker, phantasievoller Träumer, du hast über Nacht gelernt, mit Lächeln auf das Fremde herabzusehen und von deiner eigenen Anlage Großes zu hoffen. Versuche jetzt, was aus deinem Herzen quillt. –

Aber während die junge Kraft des Volkes in begeisterter Wärme die Flügel regte, wie empfand unterdes der große Fürst, der ohne Ende gegen die Feinde rang? Als ein schwacher Ton klang der begeisternde Ruf des Volkes an sein Ohr, fast gleichgültig vernahm ihn der König. In ihm wurde es stiller und kälter. Zwar immer wieder kamen leidenschaftliche Stunden des Schmerzes und herzzerreißender Sorge. Er verschloß sie vor seinem Heere in sich, das ruhige Antlitz wurde härter, tiefer die Furchen, gespannter der Blick. Gegen wenige Vertraute öffnete er in einzelnen Stunden das Innere, dann bricht auf einige Augenblicke der Schmerz eines Mannes hervor, der an den Grenzen des Menschlichen angekommen ist.

Zehn Tage nach der Schlacht bei Collin starb seine Mutter; wenige Wochen darauf scheuchte er im Zorn seinen Bruder August Wilhelm vom Heere, das dieser zu führen nicht kräftig genug gewesen war; das Jahr darauf starb auch dieser, wie der meldende Offizier dem König verkündete, durch Gram getötet. Kurz darauf erhielt er die Nachricht vom Tode seiner Schwester von Baireuth. Einer nach dem andern von seinen Generälen sank an seiner Seite oder verlor des Königs Vertrauen, weil er den übermenschlichen Aufgaben dieses Krieges nicht gewachsen war. Seine alten Soldaten, sein Stolz, eherne Krieger, in drei harten Kriegen erprobt, sie, die sterbend noch die Hand nach ihm ausstreckten und seinen Namen riefen, wurden in Haufen um ihn zerschmettert, und was in die weiten Gassen eintrat, die der Tod unaufhörlich in sein Heer riß, das waren junge Leute, manche gute Kraft, viel schlechtes Volk. Der König gebrauchte sie, wie die andern auch, strenger, härter. Auch der schlechteren Masse gab sein Blick und Wort Bravour und Hingebung, aber er wußte doch, wie dies alles nicht retten würde; kurz und schneidend wurde sein Tadel, sparsam sein Lob. So lebte er dort, fünf Sommer und Winter kamen und gingen, riesig war die Arbeit, unermüdlich sein Denken und Kombinieren, das Fernste und Kleinste übersah prüfend sein Adlerauge, und doch keine Änderung, und doch nirgend eine Hoffnung. Der König las und schrieb in den Stunden der Ruhe, grade wie früher, er machte seine Verse und unterhielt die Korrespondenz mit Voltaire und Algarotti, aber er war gefaßt, alles das werde nächstens für ihn ein Ende haben, ein kurzes, schnelles; er trug Tag und Nacht bei sich, was ihn von Daun und Laudon frei machte. Der ganze Handel wurde ihm zuweilen verächtlich.

Diese Stimmungen des Mannes, von welchem das geistige Leben Deutschlands seine neue Zeit datiert, verdienen wohl, daß der Deutsche sie mit Ehrfurcht beachte. Es ist hier nur möglich einzelnes herauszuheben, wie es vorzugsweise in den Briefen Friedrichs an den Marquis d'Argens und Frau von Camas hervorbricht. So spricht der große König von seinem Leben:

(1757. Juni.) Das Mittel gegen meinen Schmerz liegt in der täglichen Arbeit, die ich zu tun verpflichtet bin, und in den fortgesetzten Zerstreuungen, die mir die Zahl meiner Feinde gewährt. Wenn ich bei Collin getötet wäre, ich würde jetzt in einem Hafen sein, wo ich keinen Sturm mehr zu fürchten hätte. Jetzt muß ich noch über das stürmische Meer schiffen, bis ein kleiner Winkel Erde mir das Gute gewährt, was ich auf dieser Welt nicht habe finden können. – Seit zwei Jahren stehe ich wie eine Mauer, in die das Unglück Bresche geschossen hat. Aber denken Sie nicht, daß ich weich werde. Man muß sich schützen in diesen unseligen Zeiten durch Eingeweide von Eisen und ein Herz von Erz, um alles Gefühl zu verlieren. Der nächste Monat wird entscheiden für mein armes Land. Meine Rechnung ist: ich werde es retten, oder mit ihm untergehen. Sie können sich keinen Begriff machen von der Gefahr, in der wir sind, und von den Schrecken, die uns umgeben. –

(1758. Dez.) Ich bin des Lebens sehr müde, der ewige Jude ist weniger hin und her gezogen als ich, ich habe alles verloren, was ich auf dieser Welt geliebt und geehrt habe, ich sehe mich umgeben von Unglücklichen, deren Leiden ich nicht abhelfen kann. Meine Seele ist noch gefüllt mit den Eindrücken der Ruinen aus meinen besten Provinzen und der Schrecken, welche eine Horde mehr von unvernünftigen Tieren als von Menschen dort verübt hat. Auf meine alten Tage bin ich fast bis zu einem Theaterkönig herabgekommen; Sie werden mir zugeben, daß eine solche Lage nicht so reizvoll ist, um die Seele eines Philosophen an das Leben zu fesseln.

(1759. März.) Ich weiß nicht, was mein Schicksal sein wird. Ich werde alles tun, was von mir abhängen wird, um mich zu retten, und wenn ich unterliege, der Feind soll es teuer bezahlen. Ich habe mein Winterquartier als Klausner überstanden, ich speise allein, bringe mein Leben mit Lesen und Schreiben hin, und soupiere nicht. Wenn man traurig ist, so kostet es auf die Länge zu viel, unaufhörlich seinen Verdruß zu verbergen, und es ist besser, sich allein zu betrüben, als seine Verstimmung in die Gesellschaft zu bringen. Nichts tröstet mich, als die starke Anspannung, welche die Arbeit fordert; solange sie dauert, verscheucht sie die traurigen Ideen.

Aber ach, wenn die Arbeit geendet ist, dann werden die Grabesgedanken wieder so lebendig, wie vorher. Maupertuis hat recht, die Summe der Übel ist größer als die des Guten. Aber mir ist es gleich, ich habe fast nichts mehr zu verlieren, und die wenigen Tage, die mir bleiben, beunruhigen mich nicht so sehr, daß ich mich lebhaft dafür interessieren sollte. –

(1759. 16. Aug.) Ich will mich auf ihren Weg stellen und mir den Hals abschneiden lassen, oder die Hauptstadt retten. Ich denke, das ist Ausdauer genug. Für den Erfolg will ich nicht stehen. Hätte ich mehr als ein Leben, ich wollte es für mein Vaterland hingeben. Wenn mir aber dieser Streich fehlschlägt, so halte ich mich für quitt gegen mein Land, und es wird mir erlaubt sein, für mich selbst zu sorgen. Es gibt Grenzen für alles. Ich ertrage mein Unglück, ohne daß es mir den Mut nimmt. Aber ich bin sehr entschlossen, wenn dies Unternehmen fehlschlägt, mir einen Ausweg zu machen, um nicht der Spielball von jeder Sorte von Zufall zu sein. – Glauben Sie mir, man braucht noch mehr als Festigkeit und Ausdauer, um sich in meiner Lage zu erhalten. Aber ich sagen Ihnen frei heraus, wenn mir ein Unglück begegnet, so rechnen Sie nicht darauf, daß ich Ruin und Untergang meines Vaterlandes überlebe. Ich habe meine eigne Art zu denken. Ich will weder Sertorius noch Cato nachahmen, ich denke gar nicht an meinen Ruhm, sondern an den Staat. –

(1760. Okt.) Der Tod ist süß im Vergleich mit solchem Leben. Haben Sie Mitgefühl mit meiner Lage, glauben Sie nur, daß ich noch vieles Traurige verberge, womit ich andere nicht betrüben und beunruhigen will. – Ich betrachte als Stoiker den Tod. Niemals werde ich den Moment erleben, der mich verpflichten wird, einen nachteiligen Frieden zu schließen. Keine Unterredung, keine Beredsamkeit werden mich bestimmen können, meine Schmach zu unterzeichnen. Entweder lasse ich mich unter den Trümmern meines Vaterlandes begraben, oder wenn dieser Trost bei dem Geschick, welches mich verfolgt, noch zu süß erscheint, so werde ich meinen Leiden ein Ende machen, sobald es nicht mehr möglich wird, sie zu ertragen. Ich habe gehandelt und ich fahre fort zu handeln nach diesem innerlichen Ehrgefühl. Meine Jugend habe ich meinem Vater geopfert, mein Mannesalter meinem Vaterlande, ich glaube dadurch das Recht erlangt zu haben, über meine alten Jahre zu verfügen. Ich sage es und ich wiederhole es: nie wird meine Hand einen demütigenden Frieden unterzeichnen. Ich habe einige Bemerkungen über die militärischen Talente Karls XII. gemacht,Er hatte 1759, ein Jahr, bevor er vorstehende Worte an den Marquis d'Argens schrieb, durch diesen Vertrauten seinen Aufsatz: Réflexions sur les talents militaires et sur le caractère de Charles XII. roi de Suède drucken lassen, eine der merkwürdigsten Abhandlungen des Königs. Sein Blick für die Fehler Karls XI. war geschärft durch die geheimen Erfahrungen, die er an sich selbst in den verlorenen Schlachten der letzten Jahre gemacht hatte, und indem er mit Achtung dem unglücklichen Eroberer das Urteil sprach, stellte er dabei sich zugleich die höhere Berechtigung seiner eigenen maßvollen Politik fest. Die Schrift ist deshalb nicht nur eine charakteristische Urkunde seiner weisen Mäßigung, sie ist auch ein Denkmal stiller Selbstbefreiung und eines innern Fortschritts. aber ich habe nicht darüber nachgedacht, ob er sich hätte töten sollen oder nicht. Ich denke, daß er nach der Einnahme von Stralsund weiser getan hätte, sich zu expedieren; aber was er auch getan oder gelassen hat, sein Beispiel ist keine Regel für mich. Es gibt Leute, welche sich vom Glück belehren lassen; ich gehöre nicht zu der Art. Ich habe für andere gelebt, ich will für mich sterben. Ich bin sehr gleichgültig über das, was man darüber sagen wird, und versichere Ihnen, ich werde es niemals hören. Heinrich IV. war ein jüngerer Sohn aus gutem Hause, der sein Glück machte, ihm kam es nicht darauf an; wozu hätte er sich im Unglück hängen sollen? Ludwig XIV. war ein großer König und hatte große Hilfsmittel, er zog sich wohl oder übel aus der Affäre. Was mich betrifft, ich habe nicht die Hilfsquellen dieses Mannes, aber die Ehre ist mir mehr wert als ihm, und wie ich Ihnen gesagt habe, ich richte mich nach niemand. Wir zählen, wenn mir recht ist, fünftausend Jahre seit Schöpfung der Welt, ich glaube, daß diese Rechnung viel zu niedrig für das Alter des Universums ist. Das Land Brandenburg hat gestanden diese ganze Zeit, bevor ich war, und wird fortbestehen nach meinem Tode. Die Staaten werden erhalten durch die Fortpflanzung der Rassen, und solange man mit Vergnügen daran arbeiten wird, das Leben zu vervielfältigen, wird auch der Haufen durch Minister oder Souveräne regiert werden. Das bleibt sich fast gleich: ein wenig einfältiger, ein wenig klüger, die Unterschiede sind so gering, daß die Masse des Volkes kaum etwas davon wahrnimmt. Wiederholen Sie mir also nicht die alten Einwendungen der Hofleute, Eigenliebe und Eitelkeit vermögen durchaus nicht meine Empfindung zu verändern. Es ist kein Akt der Schwäche, so unglückliche Tage zu enden, es ist eine vorsichtige Politik. – Ich habe alle meine Freunde verloren, meine liebsten Verwandten, ich bin unglücklich nach allen Möglichkeiten, ich habe nichts zu hoffen, meine Feinde behandeln mich mit Verachtung, mit Hohnlachen, und ihr Stolz rüstet sich, mich unter ihre Füße zu treten.

(1760. Nov.) Meine Arbeit ist schrecklich, der Krieg hat fünf Feldzüge gedauert. Wir vernachlässigen nichts, was uns Mittel des Widerstandes geben kann, und ich spanne den Bogen mit meiner ganzen Kraft; aber eine Armee ist zusammengesetzt aus Armen und Köpfen. Arme fehlen uns nicht, aber die Köpfe sind bei uns nicht mehr vorhanden, wenn Sie sich nicht etwa die Mühe geben wollen, mir einige beim Bildhauer Adam zu bestellen, und die würden grade so viel nützen, als was ich habe. Meine Pflicht und Ehre halten mich fest. Aber trotz Stoizismus und Ausdauer gibt es Augenblicke, wo man einige Lust verspürt, sich dem Teufel zu ergeben. Adieu, mein lieber Marquis, lassen Sie sich's gut gehen und machen Sie Ihre Gelübde für einen armen Teufel, der sich von hinnen begeben wird, um nach jener Wiese, die mit Asphodelos bepflanzt ist, zu reisen, wenn der Frieden nicht zustande kommt.

(1761. Juni.) Zählen Sie dies Jahr nicht auf den Frieden. Wenn das Glück mich nicht verläßt, so werde ich mich aus dem Handel ziehen, so gut ich kann. Aber ich werde im nächsten Jahr noch auf dem Seil tanzen und gefährliche Sprünge machen müssen, wenn es Ihren sehr apostolischen, sehr christlichen und sehr moskowitischen Majestäten gefällt zu rufen: »Springe, Marquis!« – Ach, wie sind die Menschen doch hartherzig! Man sagt mir: »Du hast Freunde.« Ja schöne Freunde, die mit gekreuzten Armen einem sagen: »Wirklich, ich wünsche dir alles Glück!« – »Aber ich ertrinke, reicht mir einen Strick!« – »Nein, du wirst nicht ertrinken.« – »Doch, ich muß im nächsten Augenblick untergehen.« – »O, wir hoffen das Gegenteil. Aber wenn dir das begegnete, so sei überzeugt, wir werden dir eine schöne Grabschrift machen.« – So ist die Welt, das sind die schönen Komplimente, womit man mich von allen Seiten bewillkommt.

(1762. Jan.) Ich bin so unglücklich in diesem ganzen Kriege gewesen mit der Feder und mit dem Degen, daß ich ein großes Mißtrauen gegen alle glücklichen Ereignisse erhalten habe. Ja, die Erfahrung ist eine schöne Sache; in meiner Jugend war ich ausgelassen wie ein Füllen, das ohne Zaum auf einer Wiese umherspringt, jetzt bin ich vorsichtig geworden wie der alte Nestor. Aber ich bin auch grau, runzelich aus Kummer, durch Körperleiden niedergedrückt und, mit einem Worte, nur noch gut vor die Hunde geworfen zu werden. Sie haben mich immer ermahnt, mich wohlzubefinden, geben Sie mir das Mittel, mein Lieber, wenn man gezaust wird, wie ich. Die Vögel, welche man dem Mutwillen der Kinder überläßt, die Kreisel, welche durch Meerkatzen herumgepeitscht werden, sind nicht mehr umhergetrieben und mißhandelt, als ich bis jetzt durch drei wütende Feinde war.

(1762. Mai.) Ich gehe durch eine Schule der Geduld, sie ist hart, langwierig, grausam, ja barbarisch. Ich rette mich daraus, indem ich das Universum im Ganzen ansehe, wie von einem fremden Planeten. Da erschienen mir alle Gegenstände unendlich klein, und ich bemitleide meine Feinde, daß sie sich soviel Mühe um so Geringes geben. Ist es das Alter, ist es das Nachdenken, ist es die Vernunft? Ich betrachte alle Ereignisse des Lebens mit viel mehr Gleichgültigkeit als sonst. Gibt es etwas für das Wohl des Staats zu tun, so setze ich noch einige Kraft daran, aber unter uns gesagt, es ist nicht mehr das feurige Stürmen meiner Jugend, nicht der Enthusiasmus, der mich sonst beseelte. Es ist Zeit, daß der Krieg zu Ende geht, denn meine Predigten werden langweilig, und bald werden meine Zuhörer sich über mich beklagen.

Und an Frau von Camas schreibt er: »Sie sprechen von dem Tode der armen F . . . Ach, liebe Mama, seit sechs Jahren beklage ich nicht mehr die Toten, sondern die Lebenden.« –

So schrieb und trauerte der König, aber er hielt aus. Und wer durch die finstere Energie seines Entschlusses erschüttert wird, der möge sich vor der Meinung hüten, daß in ihr die Kraft dieses wunderbaren Geistes ihren höchsten Ausdruck finde. Es ist wahr, der König hatte einige Augenblicke der Betäubung, wo er die Kugel des Feindes für sich forderte, um nicht selbst den Tod in der Kapsel suchen zu müssen, welche er in den Kleidern trug; es ist wahr, er war fest entschlossen, den Staat nicht dadurch zu verderben, daß er als Gefangener Österreichs lebe; insofern hat, was er schreibt, eine furchtbare Wahrheit. Aber er war auch von poetischer Anlage, war ein Kind aus dem Jahrhundert, welches sich so sehr nach großen Taten sehnte und in dem Aussprechen erhabener Stimmungen so hohe Befriedigung fand; er war im Grund seines Herzens ein Deutscher mit denselben Herzensbedürfnissen, wie etwa der unendlich schwächere Klopstock und dessen Verehrer. Das Reflektieren und entschlossene Aussprechen seines letzten Plans machte ihn innerlich freier und heiterer. Auch seiner Schwester von Baireuth schrieb er darüber in dem unheimlichen zweiten Jahre des Krieges, und dieser Brief ist besonders charakteristisch.Oeuvres XXVII. 1. Nr. 328 vom 17. September. Denn auch die Schwester ist entschlossen, ihn und den Fall ihres Hauses nicht zu überleben, und er billigt diesen Entschluß, dem er übrigens in seinem düstern Behagen über die eigenen Betrachtungen wenig Beachtung gönnt. Einst hatten die beiden Königskinder im strengen Vaterhause heimlich die Rollen französischer Trauerspiele miteinander rezitiert, jetzt schlugen ihre Herzen wieder in dem einmütigen Gedanken, sich durch einen antiken Tod aus dem Leben voll Täuschung, Verirrung und Leiden zu befreien. Aber als die aufgeregte und nervöse Schwester gefährlich erkrankte, da vergaß Friedrich alle seine Philosophie aus der Schule der Stoa, und in leidenschaftlicher Zärtlichkeit, die noch fest im Leben hing, sorgte und grämte er sich um die, welche ihm die liebste seiner Familie war. Und als sie starb, da wurde sein lauter Jammer vielleicht noch durch die Empfindung geschärft, daß er zu tragisch in das zarte Leben der Frau gegriffen hatte. So mischt sich auch bei dem größten von allen Deutschen, welche aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts heraufkamen, poetische Empfindung und der Wunsch, schön und groß zu erscheinen, seltsam in das ernsthafte Leben der Wirklichkeit. Der arme kleine Professor Semler, welcher in der tiefsten Rührung noch seine Attitüde studiert und seine Komplimente überlegt, und der große König, welcher in kalter Erwartung seiner Todesstunde noch über den Selbstmord in schöngeformten Perioden schreibt, beide sind die Söhne derselben Zeit, in welcher das Pathos, welches in der Kunst noch keinen würdigen Ausdruck findet, wie eine Schlingpflanze um das wirkliche Leben wuchert. Der König aber war größer als seine Philosophie. In der Tat verlor er gar nicht seinen Mut, die zähe, trotzige Kraft des Germanen, und nicht die stille Hoffnung, welche der Mensch bei jeder starken Arbeit bedarf.

Und er hielt aus. Die Kraft seiner Feinde wurde geringer, auch ihre Feldherren nutzten sich ab, auch ihre Heere wurden zerschmettert, endlich trat Rußland von der Koalition zurück. Dies und die letzten Siege des Königs gaben den Ausschlag. Er hatte überwunden, er hatte das eroberte Schlesien für Preußen gerettet, sein Volk frohlockte, die treuen Bürger seiner Hauptstadt bereiteten ihm den festlichen Empfang, er aber mied die Freude der Menschen und kehrte allein und still nach Sanssouci zurück. Er wollte den Rest seiner Tage, wie er sagte, im Frieden für sein Volk leben.

Die ersten dreiundzwanzig Jahre seiner Regierung hatte er gerungen und gekriegt, seine Kraft gegen die Welt durchzusetzen; noch dreiundzwanzig Jahre sollte er friedlich über sein Volk herrschen als ein weiser und strenger Hausvater. Die Ideen, nach denen er den Staat leitete, mit größter Selbstverleugnung, aber selbstwillig, das Größte erstrebend und auch das Kleinste beherrschend, sind zum Teil durch höhere Bildungen der Gegenwart überwunden worden; sie entsprachen der Einsicht, welche seine Jugend und die Erfahrungen des ersten Mannesalters ihm gegeben hatten. Frei sollte der Geist sein, jeder denken, was er wollte, aber tun, was seine Bürgerpflicht war. Wie er selbst sein Behagen und seine Ausgaben dem Wohl des Staates unterordnete, mit etwa 200 000 Talern den ganzen königlichen Haushalt bestritt, zuerst an den Vorteil des Volkes und zuletzt an sich dachte, so sollten alle seine Untertanen bereitwillig das tragen, was er ihnen an Pflicht und Last auflegte. Jeder sollte in dem Kreise bleiben, in den ihn Geburt und Erziehung gesetzt, der Edelmann sollte Gutsherr und Offizier sein, dem Bürger gehörte die Stadt, Handel, Industrie, Lehre und Erfindung, dem Bauer der Acker und die Dienste. Aber in seinem Stande sollte jeder gedeihen und sich wohl fühlen. Gleiches, strenges, schnelles Recht für jeden, keine Begünstigung des Vornehmen und Reichen, in zweifelhaftem Falle lieber des kleinen Mannes. Die Zahl der tätigen Menschen vermehren, jede Tätigkeit so lohnend als möglich machen und so hoch als möglich steigern, so wenig als möglich vom Ausland kaufen, alles selbst produzieren, den Überschuß über die Grenzen fahren, das war der Hauptgrundsatz seiner Staatswirtschaft. Unablässig war er bemüht, die Morgenzahl des Ackerbodens zu vergrößern, neue Stellen für Ansiedler zu schaffen. Sümpfe wurden ausgetrocknet, Seen abgezapft, Deiche aufgeworfen; Kanäle wurden gegraben, Vorschüsse bei Anlagen neuer Fabriken gemacht, Städte und Dörfer auf Antrieb und mit Geldmitteln der Regierung massiver und gesünder wieder aufgebaut; das landwirtschaftliche Kreditsystem, die Feuersozietät, die königliche Bank wurden gegründet, überall wurden Volksschulen gestiftet, unterrichtete Leute angezogen, überall Bildung und Ordnung des regierenden Beamtenstandes durch Prüfungen und strenge Kontrolle gefördert. Es ist Sache des Geschichtschreibers das aufzuzählen und zu rühmen, auch einzelne verfehlte Versuche des Königs hervorzuheben, die bei dem Bestreben, alles selbst zu leiten, nicht ausbleiben konnten.

Für alle seine Länder sorgte der König, nicht zuletzt für sein Schmerzenskind, das neuerworbene Schlesien. Als der König die große Landschaft eroberte, hatte sie wenig mehr als eine Million Einwohner.Im Jahre 1740: 1 100 000, im Jahre 1756: 1 300 000, 1763 war die Zahl auf 1 150 000 gesunken, 1779 waren 1 500 000. Man nahm damals an, daß das Land noch 2–300 8239 Menschen mehr erhalten könne, – es zählt jetzt über 3 000 000. Lebhaft wurde dort der Gegensatz empfunden, der zwischen der bequemen österreichischen Wirtschaft und dem knappen, rastlosen, alles aufregenden Regiment der Preußen war. In Wien war der Katalog verbotener Bücher größer gewesen als zu Rom, jetzt kamen unaufhörlich die Bücherballen aus Deutschland in die Provinz gewandert, das Lesen und Kaufen war zum Verwundern frei, sogar die gedruckten Angriffe auf den eigenen Landesherr. In Österreich war es Privilegium der Vornehmen, ausländisches Tuch zu tragen; als in Preußen der Vater Friedrichs des Großen die Einfuhr von fremdem Tuch verboten hatte, kleidete er zuerst sich und seine Prinzen in Landtuch. In Wien hatte kein Amt für vornehm gegolten, wenn dazu noch etwas anderes als Repräsentation erfordert wurde, alle Arbeit war Sache der Subalternen, der Kammerherr galt mehr als der verdiente General und Minister; in Preußen war auch der Vornehmste gering geachtet, wenn er dem Staat nichts nützte, und der König selbst war der allergenaueste Beamte, der über jedes Tausend Taler, das erspart oder verausgabt wurde, sorgte und schalt. Wer in Österreich vom katholischen Glauben abfiel, wurde mit Konfiskation und Verweisung bestraft, bei den Preußen konnte zu jedem Glauben ab- und zufallen, wer da wollte, das war seine Sache. Bei den Kaiserlichen war die Regierung im ganzen lässig gewesen, wenn sie sich um etwas hatte bekümmern müssen, die preußischen Beamten hatten ihre Nase und ihre Hände überall. Trotz der drei schlesischen Kriege wurde die Provinz weit blühender als zur Kaiserzeit. Einst hatten hundert Jahre nicht ausgereicht, die handgreiflichen Spuren des Dreißigjährigen Krieges zu verwischen, die Leute erinnerten sich wohl, wie überall in den Städten die Schutthaufen aus der Schwedenzeit gelegen hatten, überall neben den gebauten Häusern die wüsten Brandstellen. Viele kleine Städte hatten noch Blockhäuser nach alter slawischer Art mit Stroh- und Schindeldach, seit lange dürftig ausgeflickt. Durch die Preußen waren die Spuren nicht nur alter Verwüstung, auch der neuen des Siebenjährigen Krieges nach wenigen Jahrzehnten getilgt. Friedrich hatte einige hundert neue Dörfer angelegt, hatte fünfzehn ansehnliche Städte zum großen Teil auf königliche Kosten wieder in regelmäßigen Straßen aufmauern lassen, er hatte den Gutsherren den harten Zwang aufgelegt, einige Tausend eingezogene Bauerhöfe wieder aufzubauen und mit erblichen Eigentümern zu besetzen. Zur Kaiserzeit waren die Abgaben weit geringer gewesen, aber sie waren ungleich verteilt und lasteten zumeist auf dem Armen, der Adel war vom größten Teil derselben befreit, die Erhebung war ungeschickt, viel wurde veruntreut und schlecht verwendet, es floß verhältnismäßig wenig in die kaiserlichen Kassen. Die Preußen dagegen hatten das Land in kleine Kreise geteilt, den Wert des gesamten Bodens abgeschätzt, in wenig Jahren fast alle Steuerbefreiung aufgehoben, das flache Land zahlte jetzt seine Grundsteuer, die Städte ihre Akzise. So trug die Provinz die doppelten Lasten mit größerer Leichtigkeit, nur die Privilegierten murrten; und dabei konnte sie noch 40 000 Soldaten unterhalten, wahrend sonst etwa 2000 im Lande gewesen waren. Vor 1740 hatten die Edelleute die großen Herren gespielt, wer katholisch und reich war, lebte in Wien, wer sonst das Geld aufbringen konnte, zog sich nach Breslau; jetzt saß die Mehrzahl der Gutsherren auf ihren Gütern, die Krippenreiterei hatte aufgehört, der Adel wußte, daß es ihm beim König für eine Ehre galt, wenn er für die Kultur des Bodens sorgte, und daß der neue Herr solchen kalte Verachtung zeigte, die nicht Landwirte, Beamte oder Offiziere waren. Früher waren die Prozesse unabsehbar und kostspielig gewesen, ohne Bestechung und Geldopfer kaum durchzusetzen, jetzt fiel auf, daß die Zahl der Advokaten geringer wurde, die Urteile so schnell kamen. Unter den Österreichern freilich war der Karawanenhandel mit dem Osten Europas größer gewesen, die Bukowiner und Ungarn, auch die Polen entfremdeten sich und sahen bereits nach Triest, aber dafür erhoben sich neue Industrien: Wolle und Tuch, und in den Gebirgstälern ein großartiger Leinwandhandel. Viele fanden die neue Zeit unbequem, mancher wurde in der Tat durch ihre Härte gedrückt, wenige wagten zu leugnen, daß es im ganzen weit besser geworden war.

Aber noch etwas anderes fiel dem Schlesier an dem preußischen Wesen auf, und bald gewann dies Auffallende eine stille Herrschaft über seine eigene Seele. Das war ein hingebender spartanischer Geist der Diener des Königs, der bis in die niedern Ämter so häufig zutage kam. Da waren die Akziseeinnehmer, schon vor Einführung des französischen Systems wenig beliebt, invalide Unteroffiziere, alte Soldaten des Königs, die seine Schlachten gewonnen hatten, im Pulverdampfe ergraut waren. Sie saßen jetzt an den Toren und rauchten aus ihrer Holzpfeife, sie erhielten sehr geringen Gehalt, konnten sich gar nichts zugute tun, aber sie waren vom frühen Morgen bis späten Abend zur Stelle, taten ihre Pflichten gewandt, kurz, pünktlich, wie alte Soldaten pflegen. Sie dachten immer an ihren Dienst, er war ihre Ehre, ihr Stolz. Und noch lange erzählten alte Schlesier aus der Zeit des großen Königs ihren Enkeln, wie ihnen auch an andern preußischen Beamten die Pünktlichkeit, Strenge und Ehrlichkeit aufgefallen war. Da war in jeder Kreisstadt ein Einnehmer der Steuern, er hauste in seiner kleinen Dienststube, die vielleicht zu gleicher Zeit sein Schlafzimmer war, und sammelte in einer großen hölzernen Schüssel die Grundsteuer, welche die Schulzen allmonatlich am bestimmten Tage in seine Stube trugen. Viele tausend Taler wurden auf langer Liste verzeichnet und bis auf den letzten Pfennig in die großen Hauptkassen abgeliefert. Gering war die Besoldung auch eines solchen Mannes, er saß, nahm ein und packte in Beutel, bis sein Haar weiß wurde und die zitternde Hand nicht mehr die Zweigroschenstücke zu werfen vermochte. Und der Stolz seines Lebens war, daß der König auch ihn persönlich kannte und wenn er einmal durch den Ort fuhr, während dem Umspannen schweigend aus seinen großen Augen nach ihm hinsah, oder wenn er sehr gnädig war, ein wenig gegen ihn das Haupt neigte. Mit Achtung und einer gewissen Scheu sah das Volk auch auf diese untergeordneten Diener eines neuen Prinzips. Und nicht die Schlesier allein. Es war damit überhaupt etwas Neues in die Welt gekommen. Nicht aus Laune nannte Friedrich II. sich den ersten Diener seines Staates. Wie er auf den Schlachtfeldern seinen wilden Adel gelehrt hatte, daß es höchste Ehre sei, für das Vaterland zu sterben, so drückte sein unermüdliches pflichtgetreues Sorgen auch dem kleinsten seiner Diener in entlegenem Grenzort die große Idee in die Seele, daß er zuerst zum Besten seines Königs und des Landes zu leben und zu arbeiten habe.

Als die Provinz Preußen im Siebenjährigen Kriege gezwungen wurde, der Kaiserin Elisabeth zu huldigen, und mehrere Jahre dem russischen Reich einverleibt blieb, da wagten die Beamten der Landschaft dennoch unter der fremden Armee und Regierung insgeheim für ihren König Geld und Getreide zu erheben, große Kunst wurde angewendet, die Transporte durchzubringen. Viele waren im Geheimnis, nicht ein Verräter darunter, verkleidet stahlen sie sich mit Lebensgefahr durch die russischen Heere. Und sie merkten, daß sie geringen Dank ernten würden, denn der König mochte seine Ostpreußen überhaupt nicht leiden, er sprach geringschätzig von ihnen, gönnte ihnen ungern die Gnaden, die er andern Provinzen erwies, sein Antlitz wurde zu Stein, wenn er erfuhr, daß einer seiner jungen Offiziere zwischen Weichsel und Memel geboren sei, und nie betrat er seit dem Kriege ostpreußisches Gebiet. Die Ostpreußen aber ließen sich dadurch in ihrer Verehrung gar nicht stören, sie hingen mit treuer Liebe an dem ungnädigen Herrn, und sein bester und begeisterter Lobredner war Immanuel Kant.

Wohl war es ein ernstes, oft rauhes Leben in des Königs Dienst, unaufhörlich das Schaffen und Entbehren, auch dem Besten war es schwer, dem strengen Herrn genug zu tun, auch der größten Hingebung wurde ein kurzer Dank; war eine Kraft abgenutzt, wurde sie vielleicht kalt beiseite geworfen; ohne Ende war die Arbeit, überall Neues, Angefangenes, Gerüste an unfertigem Baue. Wer in das Land kam, dem erschien das Leben gar nicht anmutig, es war so herb, einförmig, rauh, wenig Schönheit und sorglose Heiterkeit zu finden. Und wie der frauenlose Haushalt des Königs, die schweigsamen Diener, die unterwürfigen Vertrauten unter den Bäumen eines stillen Gartens dem fremden Gast den Eindruck eines Klosters machten, so fand er in dem ganzen preußischen Wesen etwas von der Entsagung und dem Gehorsam einer großen emsigen Ordensbrüderschaft.

Denn auch auf das Volk selbst war etwas von diesem Geiste übergegangen. Wir aber verehren darin ein unsterbliches Verdienst Friedrichs II., noch jetzt ist dieser Geist der Selbstverleugnung das Geheimnis der Größe des preußischen Staats, die letzte und beste Bürgschaft für seine Dauer. Die kunstvolle Maschine, welche der große König mit soviel Geist und Tatkraft eingerichtet hatte, sollte nicht ewig bestehen, schon zwanzig Jahre nach seinem Tode zerbrach sie; aber daß der Staat nicht zugleich mit ihr unterging, daß Intelligenz und Patriotismus der Bürger selbst imstande waren, unter seinen Nachfolgern auf neuen Grundlagen ein neues Leben zu schaffen, das ist das Geheimnis von Friedrichs Größe.

Neun Jahre nach dem Schluß des letzten Krieges, der um die Behauptung Schlesiens geführt wurde, vergrößerte Friedrich seinen Staat durch einen neuen Erwerb, an Meilenzahl nicht viel geringer, leer an Menschen, durch die polnischen Landesteile, welche seitdem in ihrer Hauptmasse unter dem Namen Westpreußen deutsches Land geworden sind.

Waren schon die Ansprüche des Königs auf Schlesien zweifelhaft gewesen, so bedurfte es jetzt des ganzen Scharfsinns seiner Beamten, einige unsichere Rechte auf Teile des neuen Erwerbs auszuschmücken. Der König selbst frug wenig danach. Er hatte mit fast übermenschlichem Heldenmut die Besetzung Schlesiens vor der Welt verteidigt, durch Ströme von Blut war die Provinz an Preußen gekittet. Hier tat die Klugheit des Politikers fast allein das Werk. Und lange fehlte in der Meinung der Menschen dem Eroberer die Berechtigung, welche, wie es scheint, die Greuel des Krieges, und das Glück des Schlachtfeldes verleihen. Aber dieser letzte Landgewinn des Königs, dem Kanonendonner und Siegesfanfare so sehr fehlten, war doch von allen großen Geschenken, welche das deutsche Volk Friedrich II. verdankt, das größte und segensreichste. Mehrere hundert Jahre hindurch waren die vielgeteilten Deutschen durch eroberungslustige Nachbarn eingeengt und geschädigt worden, der große König war der erste Eroberer, welcher wieder die deutschen Grenzen weiter nach Osten hinausschob. Hundert Jahre nachdem sein großer Ahnherr die Rheinfestungen gegen Ludwig XIV. vergebens verteidigt hatte, gab er den Deutschen wieder die nachdrückliche Mahnung, daß sie die Aufgabe haben, Gesetz, Bildung, Freiheit, Kultur und Industrie in den Osten Europas hineinzutragen. Sein ganzes Land, einige altsächsische Territorien ausgenommen, war in ältester Zeit deutsch, darauf slawisch gewesen, dann wieder den Slawen durch Gewalt und Kolonisation abgerungen; seit der Völkerwanderung des Mittelalters hatte der Kampf um die weiten Ebenen im Osten der Oder nicht aufgehört, seit dem Erwerb der Mark Brandenburg hatten die Hohenzollern nie vergessen, daß sie Verwalter der deutschen Grenze waren. Sooft die Waffen ruhten, stritten die Politiker. Kurfürst Friedrich Wilhelm hatte das Ordensland Preußen von der polnischen Lehenshoheit befreit, Friedrich I. hatte auf diese isolierte Kolonie entschlossen die Königskrone gesetzt. Aber der Besitz Ostpreußens blieb unsicher, nicht die verfaulte Republik Polen drohte Gefahr, wohl aber die aufsteigende Größe Rußlands. Friedrich hatte die Russen als Feinde achten gelernt, er kannte die hochfliegenden Pläne der Kaiserin Katharina. Da griff der kluge Fürst im rechten Augenblick zu. Das neue Gebiet: Pommerellen, die Woiwodschaft Kulm und Marienburg, das Bistum Ermland, die Stadt Elbing, ein Teil von Kujavien, ein Teil von Posen, verband Ostpreußen mit Pommern und der Mark. Es war von je ein Grenzland gewesen, seit der Urzeit hatten sich Völker von verschiedenem Stamm an den Küsten der Ostsee gedrängt: Deutsche, Slawen, Litauer, Finnen. Seit dem 13. Jahrhundert waren die Deutschen als Städtegründer und Ackerbauer in dies Weichselland gedrungen: Ordensritter, Kaufleute, fromme Mönche, deutsche Edelleute und Bauern. Zu beiden Seiten des Weichselstromes erhoben sich Türme und Grenzsteine der deutschen Kolonien. Vor allen ragte das prächtige Danzig, das Venedig der Ostsee, der große Seemarkt der Slawenländer, mit seiner reichen Marienkirche und den Palästen seiner Kaufherren, dahinter am andern Arm der Weichsel sein bescheidener Rival Elbing, weiter aufwärts die stattlichen Türme und weiten Laubgänge Marienburgs, dabei das große Fürstenschloß der deutschen Ritter, das schönste Bauwerk im deutschen Norden, und in dem Weichseltal auf üppigem Niederungsboden die alten blühenden Kolonistengüter, eine der gesegnetsten Landschaften der Welt, durch mächtige Dämme aus der Ordenszeit gegen die Verwüstungen des Slawenstromes geschützt. Noch weiter aufwärts Marienwerder, Graudenz, Kulm, und an den Niederungen der Netze Bromberg, Mittelpunkt der deutschen Grenzkolonien unter polnischem Volk. Kleinere deutsche Städte und Dorfgemeinden waren durch das ganze Territorium zerstreut, eifrig hatten auch die reichen Zisterzienserklöster Oliva und Pelplin kolonisiert.

Die tyrannische Härte des deutschen Ordens trieb die deutschen Städte und Grundherren Westpreußens im 15. Jahrhundert zum Anschluß an Polen. Die Reformation des 16. Jahrhunderts unterwarf sich nicht nur die Seelen der deutschen Kolonisten, auch in der großen Republik Polen waren drei Vierteile des Adels protestantisch, in der slawischen Landschaft Pommerellen um 1590 von hundert Kirchspielen etwa siebenzig. Und es schien eine kurze Zeit, als sollte sich in dem slawischen Osten eine neue Volkskraft und neue Kultur entwickeln, ein großer polnischer Staat mit deutscher Städtekraft. Aber die Einführung der Jesuiten brachte eine unheilvolle Umwandlung. Der polnische Adel fiel zur katholischen Kirche zurück, in den Jesuitenschulen wurden seine Söhne zu bekehrungslustigen Fanatikern gezogen; von da an verfiel der polnische Staat, immer trostloser wurden die Zustände.

Nicht gleich war die Haltung der Deutschen in Westpreußen gegenüber bekehrenden Jesuiten und slawischer Tyrannei. Ein großer Teil des eingewanderten deutschen Adels wurde katholisch und polnisch, die Bürger und Bauern blieben in der Mehrzahl hartnäckig Protestanten. Zu dem Gegensatz der Sprache kam jetzt auch der Gegensatz der Konfessionen, zu dem Stammhaß die Glaubenswut. Grade in dem Jahrhundert der Aufklärung wurde in diesen Landschaften die Verfolgung der Deutschen fanatisch, eine protestantische Kirche nach der andern wurde eingezogen, niedergerissen, die hölzernen angezündet; war eine Kirche verbrannt, so hatten die Dörfer das Glockenrecht verloren, deutsche Prediger und Schullehrer wurden verjagt und schändlich mißhandelt. »Vexa Lutheranum dabit thalerum« wurde das gewöhnliche Sprichwort der Polen gegen die Deutschen. Einer der größten Grundherren des Landes, ein Unruh aus dem Hause Birnbaum, Starost von Gnesen, wurde zum Tode mit Zungenausreißen und Handabhauen verurteilt, weil er aus deutschen Büchern beißende Bemerkungen gegen die Jesuiten in ein Notizbuch geschrieben hatte. Es gab kein Recht, es gab keinen Schutz mehr. Die nationale Partei des polnischen Adels verfolgte im Bunde mit den Pfaffen am leidenschaftlichsten die, welche sie als Deutsche und Protestanten haßte. Zu den Patrioten oder Konföderierten lief alles raublustige Gesindel; sie warben Haufen, zogen plündernd im Lande umher, überfielen kleinere Städte und deutsche Dörfer, nicht nur aus Glaubenseifer, noch mehr aus Habsucht. Der polnische Edelmann Roskowski zog einen roten und einen schwarzen Stiefel an, der eine sollte Feuer, der andere Tod bedeuten; so ritt er brandschatzend von einem Ort zum andern, ließ endlich in Jastrow dem evangelischen Prediger Willich Hände, Füße und zuletzt den Kopf abhauen und die Glieder in einen Morast werfen. Das geschah 1768.

So sah es in dem Lande kurz vor der preußischen Besitznahme aus. Es waren Zustände, wie sie jetzt etwa noch in Bosnien möglich, in dem elendesten Winkel des christlichen Europas unerhört wären.

Schon als Knabe von zwölf Jahren war Friedlich der Große im Königsschloß zu Berlin durch den Zorn und die Trauer seines Vaters daran erinnert worden, daß die Könige von Preußen gegen die deutschen Kolonien an der Weichsel eine Pflicht des Schutzes zu erfüllen hatten. Denn im Jahre 1724 war von dort aus ein lauter Schrei nach Hilfe durch Deutschland gedrungen und die blutige Tragödie von Thorn wurde eine große Angelegenheit des öffentlichen Interesses und der Kabinette. In Thorn hatten bei einer Prozession, welche von den Jesuiten durch die Stadt geführt wurde, polnische Adlige des Jesuitenkollegiums Bürger und Gymnasiasten insultiert, darauf war das erbitterte Volk in Schule und Kollegium der Jesuiten eingefallen und hatte darin verwüstet. Der unwichtige Straßentumult war vor den polnischen Reichstag gebracht worden und der Reichstag hatte im Assessorialgericht nach einer leidenschaftlichen Rede des Pater Provincial der Jesuiten die beiden Bürgermeister der Stadt und sechzehn Bürger zum Tode verurteilt, worauf die jesuitische Partei sich beeilte, den obersten Bürgermeister Rößner und neun Bürger hinzurichten, zum Teil mit barbarischer Grausamkeit. Den Protestanten wurde die Marienkirche genommen, die Prediger verjagt, das Gymnasium geschlossen. Damals hatte König Friedrich Wilhelm sich vergebens angestrengt, der unglücklichen Stadt zu helfen, er hatte ernste Noten sämtlicher Nachbarmächte veranlaßt, und hatte es als bittern Schmerz und Demütigung empfunden, daß alle seine Vorstellungen unbeachtet blieben; jetzt nach fünfzig Jahren kam sein Sohn, dem wüsten Unfug ein Ende zu machen, und das Land, welches vor der polnischen Herrschaft zum Gebiet des Deutschen Ordens gehört hatte, wieder mit Preußen zu vereinigen.

Zwar Danzig, den Polen unentbehrlich, erhielt sich in den Jahrzehnten der Auflösung und nach der preußischen Okkupation des Weichsellandes in vornehmer Abgeschlossenheit, es blieb ein Freistaat unter slawischem Schutz, lange dem großen König ärgerlich und wenig geneigt. Auch Thorn mußte noch zwanzig Jahre als polnische Grenzstadt von den übrigen deutschen Kolonien getrennt in Bedrängnis ausharren. Aber dem flachen Lande und den meisten deutschen Städten war die energische Hilfe des Königs Rettung vom Untergange. Die preußischen Beamten, welche in das Land geschickt wurden, waren erstaunt über die Trostlosigkeit der unerhörten Verhältnisse, welche wenige Tagereisen von ihrer Hauptstadt bestanden. Nur einige größere Städte, in denen das deutsche Leben durch feste Mauern und den alten Marktverkehr unterhalten wurde, und geschützte Landstriche, welche ausschließlich von Deutschen bewohnt wurden, wie die Niederung bei Danzig, die Dörfer unter der milden Herrschaft der Zisterzienser von Oliva und die wohlhabenden deutschen Ortschaften des katholischen Ermlands, lebten in erträglichen Zuständen. Andere Städte lagen in Trümmern, wie die meisten Höfe des Flachlandes. Bromberg, die deutsche Kolonistenstadt, fanden die Preußen in Schutt und Ruinen; es ist noch heute nicht möglich genau zu ermitteln, wie die Stadt in diesen Zustand gekommen ist,Neue preußische Provinzialblätter, Jahrgang VI. 1854. Nr. 4. S. 259. ja die Schicksale, welche der ganze Netzedistrikt in den letzten neun Jahren vor der preußischen Besitznahme erduldet hat, sind völlig unbekannt, kein Geschichtschreiber, keine Urkunde, keine Aufzeichnung gibt Bericht über die Zerstörung und das Gemetzel, welches dort verwüstet haben muß. Offenbar haben die polnischen Faktionen sich untereinander geschlagen, Mißernten und Seuchen mögen das übrige getan haben. Kulm hatte aus alter Zeit seine wohlgefügten Mauern und die stattlichen Kirchen erhalten, aber in den Straßen ragten die Hälse der Hauskeller über das morsche Holz und die Ziegelbrocken der zerfallenen Gebäude hervor, ganze Straßen bestanden nur aus solchen Kellerräumen, in denen elende Bewohner hausten. Von den vierzig Häusern des großen Marktplatzes hatten achtundzwanzig keine Türen, keine Dächer, keine Fenster und keine Eigentümer. In ähnlicher Verfassung waren andere Städte.

Auch die Mehrzahl des Landvolks lebte in Zuständen, welche den Beamten des Königs jämmerlich schienen, zumal an der Grenze Pommerns, wo die wendischen Kassuben saßen. Wer dort einem Dorf nahte, der sah graue Hütten und zerrissene Strohdächer auf kahler Fläche, ohne einen Baum, ohne einen Garten – nur die Sauerkirschbäume waren altheimisch. Die Häuser waren aus hölzernen Sprossen gebaut, mit Lehm ausgeklebt; durch die Haustür trat man in die Stube mit großem Herd ohne Schornstein; Stubenöfen waren unbekannt, selten wurde ein Licht angezündet, nur der Kienspan erhellte das Dunkel der langen Winterabende; das Hauptstück des elenden Hausrats war das Kruzifix, darunter der Napf mit Weihwasser. Das schmutzige und wüste Volk lebte von Brei aus Roggenmehl, oft nur von Kräutern, die sie als Kohl zur Suppe kochten, von Heringen und Branntwein, dem Frauen wie Männer unterlagen. Brot wurde nur von den Reichsten gebacken. Viele hatten in ihrem Leben nie einen solchen Leckerbissen gegessen, in wenig Dörfern stand ein Backofen. Hielten die Leute ja einmal Bienenstöcke, so verkauften sie den Honig an die Städter, außerdem geschnitzte Löffel und gestohlene Rinde; dafür erstanden sie auf den Jahrmärkten den groben blauen Tuchrock, die schwarze Pelzmütze und das hellrote Kopftuch für ihre Frauen. Nicht häufig war ein Webestuhl, das Spinnrad kannte man gar nicht. Die Preußen hörten dort kein Volkslied, keinen Tanz, keine Musik, Freuden, denen auch der elendeste Pole nicht entsagt; stumm und schwerfällig trank das Volk den schlechten Branntwein, prügelte sich und taumelte in die Winkel. Auch der Bauernadel unterschied sich kaum von den Bauern, er führte seinen Hakenpflug selbst und klapperte in Holzpantoffeln auf dem ungedielten Fußboden seiner Hütte. Schwer wurde es auch dem Preußenkönig, diesem Volke zu nützen. Nur die Kartoffeln verbreiteten sich schnell, aber noch lange wurden die befohlenen Obstpflanzungen von dem Volke zerstört, und alle anderen Kulturversuche fanden Widerstand.

Ebenso dürftig und verfallen waren die Grenzstriche mit polnischer Bevölkerung, aber der polnische Bauer bewahrte in seiner Armseligkeit und Unordnung wenigstens die größere Regsamkeit seines Stammes. Selbst auf den Gütern der größeren Edelleute, der Starosten und der Krone waren alle Wirtschaftsgebäude verfallen und unbrauchbar. Wer einen Brief befördern wollte, mußte einen besonderen Boten schicken, denn es gab keine Post im Lande; freilich fühlte man in den Dörfern auch nicht das Bedürfnis danach, denn ein großer Teil der Edelleute konnte so wenig lesen und schreiben wie die Bauern. Wer erkrankte, fand keine Hilfe als die Geheimmittel einer alten Dorffrau, denn es gab im ganzen Lande keine Apotheken. Wer einen Rock bedurfte, tat wohl, selbst die Nadel in die Hand zu nehmen, denn auf viele Meilen weit war kein Schneider zu finden, wenn er nicht abenteuernd durch das Land zog.von Held, Gepriesenes Preußen. S. 41. – Roscius, Westpreußen. S. 21. Wer ein Haus bauen wollte, der mochte zusehen, wo er von Westen her Handwerker gewann. Noch lebte das Landvolk in ohnmächtigem Kampf mit den Herden der Wölfe, wenig Dörfer, welchen nicht in jedem Winter Menschen und Tiere dezimiert wurden«.Als 1815 die gegenwärtige Provinz Posen an Preußen zurück fiel, waren auch dort die Wölfe eine Landplage, Nach Angaben der Posener Provinzialblätter wurden im Regierungsbezirk Posen vom 1. Sept. 1815 bis Ende Februar 1816 41 Wölfe erlegt, noch im Jahre 1819 im Kreise Wongrowitz 16 Kinder und 3 Erwachsene von Wölfen gefressen. Brachen die Pocken aus, kam eine ansteckende Krankheit ins Land, dann sahen die Leute die weiße Gestalt der Pest durch die Luft fliegen und sich auf ihren Hütten niederlassen; sie wußten, was solche Erscheinung bedeutete, es war Verödung ihrer Hütten, Untergang ganzer Gemeinden, in dumpfer Ergebenheit erwarten sie dies Geschick. – Es gab kaum eine Rechtspflege im Lande, nur die größeren Städte bewahrten unkräftige Gerichte; der Edelmann, der Starost verfügten mit schrankenloser Willkür ihre Strafen, sie schlugen und warfen in scheußlichen Kerker nicht nur den Bauer, auch den Bürger der Landstädte, der unter ihnen saß oder in ihre Hände fiel. In den Händeln, die sie untereinander hatten, kämpften sie durch Bestechung bei den wenigen Gerichtshöfen, die über sie urteilen durften; in den letzten Jahren hatte auch das fast aufgehört, sie suchten ihre Rache auf eigene Faust durch Überfall und blutige Hiebe.

Es war in der Tat ein verlassenes Land, ohne Zucht, ohne Gesetz, ohne Herrn; es war eine Einöde, auf 600 Quadratmeilen wohnten 500 000 Menschen, nicht 850 auf der Meile. Und wie eine herrenlose Prärie behandelte auch der Preußenkönig seinen Erwerb, fast nach Belieben setzte er sich die Grenzsteine und rückte sie wieder einige Meilen hinaus. Bis zur Gegenwart erhielt sich in Ermland, der Landschaft um Heilberg und Braunsberg mit zwölf Städten und hundert Dörfern, die Erinnerung, daß zwei preußische Tamboure mit zwölf Mann das ganze Ermland durch vier Trommelschläge erobert hatten. Und darauf begann der König in seiner großartigen Weise die Kultur des Landes, grade die verrotteten Zustände waren ihm reizvoll, und »Westpreußen« wurde, wie bis dahin Schlesien, fortan sein Lieblingskind, das er mit unendlicher Sorge, wie eine treue Mutter, wusch und bürstete, neu kleidete, zu Schule und Ordnung zwang und immer im Auge behielt. Noch dauerte der diplomatische Streit um den Erwerb, da warf er schon eine Schar seiner besten Beamten in die Wildnis, wieder wurden die Landschaften in kleine Kreise geteilt, die gesamte Bodenfläche in kürzester Zeit abgeschätzt und gleichmäßig besteuert, jeder Kreis mit einem Landrat, einem Gericht, mit Post und Sanitätspolizei versehen. Neue Kirchengemeinden wurden wie durch einen Zauber ins Leben gerufen, eine Kompanie von 187 Schullehrern wurde in das Land geführt, – der würdige Semler hatte einen Teil derselben ausgesucht und eingeübt, – Haufen von deutschen Handwerkern wurden geworben, vom Maschinenbauer bis zum Ziegelstreicher hinab. Überall begann ein Graben, Hämmern, Bauen, die Städte wurden neu mit Menschen besetzt, Straße auf Straße erhob sich aus den Trümmerhaufen, die Starosteien wurden in Krongüter verwandelt, neue Kolonistendörfer ausgesteckt, neue Ackerkulturen befohlen. Im ersten Jahre nach der Besitznahme wurde der große Kanal gegraben, welcher in einem Lauf von drei Meilen die Weichsel durch die Netze mit der Oder und Elbe verbindet, ein Jahr, nachdem der König den Befehl erteilt, sah er selbst beladene Oderkähne von hundertundzwanzig Fuß Länge nach dem Osten zur Weichsel einfahren. Durch die neue Wasserader wurden weite Strecken Land entsumpft, sofort durch deutsche Kolonisten besetzt. Unablässig trieb der König, er lobte und schalt; wie groß der Eifer seiner Beamten war, sie vermochten selten ihm genug zu tun. Dadurch geschah es, daß in wenig Jahrzehnten das wilde slawische Unkraut, welches dort auch über deutschen Ackerfurchen aufgeschossen war, gebändigt wurde, daß auch die polnischen Landstriche sich an die Ordnung des neuen Lebens gewöhnten, und daß Westpreußen in den Kriegen seit 1806 sich fast ebenso preußisch bewährte, als die alten Provinzen. –

Während der greise König sorgte und schuf, zog ein Jahr nach dem andern über sein sinnendes Haupt; stiller ward es um ihn, leerer und einsamer, kleiner der Kreis von Menschen, denen er sich öffnete. Die Flöte hatte er beiseite gelegt, auch die neue französische Literatur erschien ihm schal und langweilig, zuweilen war ihm, als ob ein neues Leben unter ihm in Deutschland ergrüne, es blieb ihm fremd. Unermüdlich arbeitete er an seinem Heer, an dem Wohlstand seines Volkes, immer weniger galten ihm seine Werkzeuge, immer höher und leidenschaftlicher wurde das Gefühl für die große Pflicht seiner Krone.

Aber wie man sein siebenjähriges Ringen im Kriege übermenschlich nennen darf, so war auch jetzt in seiner Arbeit etwas Ungeheures, was den Zeitgenossen zuweilen überirdisch und zuweilen unmenschlich erschien. Es war groß, aber es war auch furchtbar, daß ihm das Gedeihen des Ganzen in jedem Augenblick das Höchste war und das Behagen des einzelnen so gar nichts. Wenn er den Obersten, dessen Regiment bei der Revue einen ärgerlichen Fehler gemacht hatte, vor der Front mit herbem Scheltwort aus dem Dienst jagte; wenn er in dem Sumpfland der Netze mehr die Stiche der zehntausend Spaten zählte, als die Beschwerden der Arbeiter, welche am Sumpffieber in den Lazaretten lagen, die er ihnen errichtet; wenn er ruhelos mit seinem Fordern auch der schnellsten Tat voraneilte, so verband sich mit der tiefen Ehrfurcht und Hingebung in seinem Volke auch eine Scheu wie vor einem, dem nicht irdisches Leben die Glieder bewegt. Als das Schicksal des Staates erschien er den Preußen, unberechenbar, unerbittlich, allwissend, das Größte wie das Kleinste übersehend. Und wenn sie einander erzählten, daß er auch die Natur hatte bezwingen wollen, und daß seine Orangenbäume doch in den letzten Frösten des Frühlings erfroren waren, dann freuten sie sich in der Stille, daß es für ihren König doch eine Schranke gab, aber noch mehr, daß er sich mit so guter Laune darein gefunden und vor den kalten Tagen des Mai den Hut abgenommen hatte.

Mit rührendem Anteil sammelte das Volk jede Lebensäußerung des Königs, in welcher eine menschliche Empfindung, die sein Bild vertraulich machte, zutage kam. So einsam sein Haus und Garten war, unablässig schwebte die Phantasie seiner Preußen um den geweihten Raum. Wem es einmal glückte, in warmer Mondnacht in die Nähe des Schlosses zu kommen, der fand vielleicht offene Türen, ohne Wache, und er konnte in der Schlafstube den großen König auf seinem Feldbett schlummern sehen. Der Duft der Blüten, das Nachtlied der Vögel, das stille Mondlicht waren die einzigen Wächter und fast der ganze Hofstaat des einsamen Mannes.

Noch vierzehnmal seit der Erwerbung von Westpreußen blühten die Orangen von Sanssouci, da wurde die Natur Meisterin auch des großen Königs. Er starb allein, nur von seinen Dienern umgeben.

Mit ehrgeizigem Sinn war er in der Blüte des Lebens ausgezogen, alle hohen und prächtigen Kränze des Lebens hatte er dem Schicksal abgerungen, der Fürst von Dichtern und Philosophen, der Geschichtschreiber, der Feldherr. Kein Triumph, den er sich erkämpft, hatte ihn befriedigt. Zufällig, unsicher, nichtig war ihm aller Erdenruhm geworden; nur das Pflichtgefühl, das unablässig wirkende, eiserne, war ihm geblieben. Aus dem gefährlichen Wechsel von warmer Begeisterung und nüchterner Schärfe war seine Seele herausgewachsen. Mit Willkür hatte er sich poetisch einzelne Menschen verklärt, die Menge, die ihn umgab, verachtet. Aber in den Kämpfen seines Lebens verlor er den Egoismus, verlor er fast alles, was ihm persönlich lieb war, und er endigte damit, die einzelnen gering zu achten, während sich ihm das Bedürfnis, für das Ganze zu leben, immer stärker erhob. Mit der feinsten Selbstsucht hatte er das Größte für sich begehrt und selbstlos gab er zuletzt sich selbst für das gemeine Wohl und das Glück der Kleinen. Als ein Idealist war er in das Leben getreten, auch durch die furchtbarsten Erfahrungen wurden ihm seine Ideale nicht zerrissen, sondern veredelt, gehoben, geläutert; viele Menschen hatte er seinem Staat zum Opfer gebracht, niemanden so sehr als sich selbst.

Ungewöhnlich und groß erschien das seinen Zeitgenossen, größer uns, die wir die Spuren seiner Wirksamkeit in dem Charakter unseres Volkes, unserem Staatsleben, unserer Kunst und Literatur bis zur Gegenwart verfolgen.


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