Sigmund Freud
Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse
Sigmund Freud

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139 8. Vorlesung

Kinderträume

Meine Damen und Herren! Wir stehen unter dem Eindrucke, daß wir zu rasch vorgegangen sind. Greifen wir um ein Stück zurück. Ehe wir den letzten Versuch unternahmen, die Schwierigkeit der Traumentstellung durch unsere Technik zu bewältigen, hatten wir uns gesagt, es wäre das Beste, sie zu umgehen, indem wir uns an Träume halten, bei denen die Entstellung weggefallen oder sehr geringfügig ausgefallen ist, wenn es solche gibt. Wir weichen dabei wiederum von der Entwicklungsgeschichte unserer Erkenntnis ab, denn in Wirklichkeit ist man erst nach konsequenter Anwendung der Deutungstechnik und nach vollzogener Analyse der entstellten Träume auf die Existenz solcher von Entstellung freier aufmerksam geworden.

Die Träume, die wir suchen, finden sich bei Kindern. Sie sind kurz, klar, kohärent, leicht zu verstehen, unzweideutig und doch unzweifelhafte Träume. Glauben Sie aber nicht, daß alle Träume von Kindern dieser Art sind. Auch die Traumentstellung setzt sehr früh im Kindesalter ein, und es sind Träume von fünf- bis achtjährigen Kindern verzeichnet worden, die bereits alle Charaktere der späteren an sich tragen. Wenn Sie sich aber auf das Alter vom Beginn der kenntlichen seelischen Tätigkeit bis zum vierten oder fünften Jahr beschränken, werden Sie eine Reihe von Träumen aufbringen, die den infantil zu nennenden Charakter haben, und dann in späteren Kinderjahren einzelne derselben Art finden können. Ja auch bei erwachsenen Personen fallen unter gewissen Bedingungen Träume vor, die ganz den typisch infantilen gleichen.

An diesen Kinderträumen können wir nun mit großer Leichtigkeit und Sicherheit Aufschlüsse über das Wesen des Traumes gewinnen, von denen wir hoffen wollen, daß sie sich als entscheidend und allgemein gültig erweisen werden.

1. Man bedarf zum Verständnis dieser Träume keiner Analyse, keiner Anwendung einer Technik. Man braucht das Kind, welches seinen Traum erzählt, nicht zu befragen. Aber man muß ein Stück Erzählung aus dem 140 Leben des Kindes dazugeben. Es gibt jedesmal ein Erlebnis vom Tage vorher, welches uns den Traum erklärt. Der Traum ist die Reaktion des Seelenlebens im Schlafe auf dieses Erlebnis des Tages.

Wir wollen uns einige Beispiele anhören, um unsere weiteren Schlüsse an sie anzulehnen.

a) Ein Knabe von 22 Monaten soll als Gratulant einen Korb mit Kirschen verschenken. Er tut es offenbar sehr ungern, obwohl man ihm verspricht, daß er einige davon selbst bekommen wird. Am nächsten Morgen erzählt er als seinen Traum: He(r)mann alle Kirschen aufgessen.

b) Ein Mädchen von 3¼ Jahren wird zum erstenmal über den See gefahren. Beim Aussteigen will sie das Boot nicht verlassen und weint bitterlich. Die Zeit der Seefahrt scheint ihr zu rasch vergangen zu sein. Am nächsten Morgen: Heute nachts bin ich auf dem See gefahren. Wir dürfen wohl ergänzen, daß diese Fahrt länger angedauert hat.

c) Ein 5¼jähriger Knabe wird auf einen Ausflug ins Escherntal bei Hallstatt mitgenommen. Er hatte gehört, Hallstatt liege am Fuße des Dachsteins. Für diesen Berg hatte er viel Interesse bezeugt. Von der Wohnung in Aussee war der Dachstein schön zu sehen und mit dem Fernrohr konnte man die Simonyhütte auf demselben ausnehmen. Das Kind hatte sich wiederholt bemüht, sie durchs Fernrohr zu erblicken; es war unbekannt geblieben, mit welchem Erfolge. Der Ausflug begann in erwartungsvoll heiterer Stimmung. So oft ein neuer Berg in Sicht kam, fragte der Knabe: Ist das der Dachstein? Er wurde immer mehr verstimmt, je öfter man ihm diese Frage verneint hatte, verstummte später ganz und wollte einen kleinen Steig zum Wasserfall nicht mitmachen. Man hielt ihn für übermüdet, aber am nächsten Morgen erzählte er ganz selig: Heute nachts habe ich geträumt, daß wir auf der Simonyhütte gewesen sind. In dieser Erwartung hatte er sich also an dem Ausflug beteiligt. Von Einzelheiten gab er nur an, was er vorher gehört hatte: Man geht sechs Stunden lang auf Stufen hinauf.

Diese drei Träume werden für alle gewünschten Auskünfte hinreichen.

2. Wir sehen, diese Kinderträume sind nicht sinnlos; es sind verständliche, vollgültige, seelische Akte. Erinnern Sie sich an das, was ich Ihnen als das medizinische Urteil über den Traum vorgestellt habe, an das Gleichnis von den musikunkundigen Fingern, die über die Tasten des Klaviers hinfahren. Es wird Ihnen nicht entgehen, wie scharf sich diese Kinderträume dieser Auffassung widersetzen. Es wäre aber 141 auch zu sonderbar, wenn gerade das Kind im Schlafe volle seelische Leistungen zustande brächte, wo sich der Erwachsene im gleichen Falle mit zuckungsartigen Reaktionen begnügt. Wir haben auch allen Grund, dem Kinde den besseren und tieferen Schlaf zuzutrauen.

3. Diese Träume entbehren der Traumentstellung; bedürfen darum auch keiner Deutungsarbeit. Manifester und latenter Traum fallen hier zusammen. Die Traumentstellung gehört also nicht zum Wesen des Traumes. Ich darf annehmen, daß Ihnen damit ein Stein vom Herzen fällt. Aber ein Stückchen Traumentstellung, eine gewisse Differenz zwischen dem manifesten Trauminhalt und den latenten Traumgedanken werden wir bei näherer Überlegung auch diesen Träumen zugestehen.

4. Der Kindertraum ist die Reaktion auf ein Erlebnis des Tages, welches ein Bedauern, eine Sehnsucht, einen unerledigten Wunsch zurückgelassen hat. Der Traum bringt die direkte, unverhüllte Erfüllung dieses Wunsches. Denken Sie nun an unsere Erörterungen über die Rolle körperlicher Reize von außen oder von innen als Schlafstörer und Anreger der Träume. Wir sind mit ganz sicheren Tatsachen darüber bekannt geworden, konnten uns aber nur eine kleine Anzahl von Träumen auf solche Art erklären. In diesen Kinderträumen deutet nichts auf die Einwirkung solcher somatischer Reize; wir können darin nicht irregehen, denn die Träume sind voll verständlich und leicht zu übersehen. Aber darum brauchen wir die Reizätiologie des Traumes nicht aufzugeben. Wir können nur fragen, warum haben wir von Anfang an vergessen, daß es außer den körperlichen auch seelische schlafstörende Reize gibt? Wir wissen doch, daß es diese Erregungen sind, welche die Schlafstörung des Erwachsenen zumeist verschulden, indem sie ihn daran verhindern, die seelische Verfassung des Einschlafens, die Abziehung des Interesses von der Welt, bei sich herzustellen. Er möchte das Leben nicht unterbrechen, sondern lieber die Arbeit an den Dingen, die ihn beschäftigen, fortsetzen, und darum schläft er nicht. Ein solcher seelischer, den Schlaf störender Reiz ist also für das Kind der unerledigte Wunsch, auf welchen es mit dem Traum reagiert.

5. Von hier erhalten wir auf dem kürzesten Wege Aufschluß über die Funktion des Traumes. Der Traum als Reaktion auf den psychischen Reiz muß den Wert einer Erledigung dieses Reizes haben, so daß er beseitigt ist und der Schlaf fortgesetzt werden kann. Wie diese Erledigung durch den Traum dynamisch ermöglicht wird, wissen wir noch nicht, aber wir merken bereits, daß der Traum nicht der Schlafstörer ist, als den man ihn schilt, sondern der Schlafhüter, der Beseitiger von 142 Schlafstörungen. Wir finden zwar, wir hätten besser geschlafen, wenn nicht der Traum gewesen wäre, aber wir haben unrecht; in Wirklichkeit hätten wir ohne die Hilfe des Traumes überhaupt nicht geschlafen. Es ist sein Verdienst, daß wir soweit gut geschlafen haben. Er konnte es nicht vermeiden, uns etwas zu stören, so wie der Nachtwächter oft nicht umhin kann, einigen Lärm zu machen, während er die Ruhestörer verjagt, die uns durch den Lärm wecken wollen.

6. Daß ein Wunsch der Erreger des Traumes ist, die Erfüllung dieses Wunsches der Inhalt des Traumes, das ist der eine Hauptcharakter des Traumes. Der andere ebenso konstante ist, daß der Traum nicht einfach einen Gedanken zum Ausdruck bringt, sondern als halluzinatorisches Erlebnis diesen Wunsch als erfüllt darstellt. Ich möchte auf dem See fahren, lautet der Wunsch, der den Traum anregt; der Traum selbst hat zum Inhalt: ich fahre auf dem See. Ein Unterschied zwischen latentem und manifestem Traum, eine Entstellung des latenten Traumgedankens bleibt also auch für diese einfachen Kinderträume bestehen, die Umsetzung des Gedankens in Erlebnis. Bei der Deutung des Traumes muß vor allem dieses Stück Veränderung rückgängig gemacht werden. Wenn sich dies als ein allgemeinster Charakter des Traumes herausstellen sollte, dann ist das vorhin mitgeteilte Traumfragment »ich sehe meinen Bruder in einem Kasten« also nicht zu übersetzen »mein Bruder schränkt sich ein«, sondern »ich möchte, daß mein Bruder sich einschränke, mein Bruder soll sich einschränken«. Von den beiden hier aufgeführten allgemeinen Charakteren des Traumes hat offenbar der zweite mehr Aussicht auf Anerkennung ohne Widerspruch als der erstere. Wir werden erst durch weitausgreifende Untersuchungen sicherstellen können, daß der Erreger des Traumes immer ein Wunsch sein muß und nicht auch eine Besorgnis, ein Vorsatz oder Vorwurf sein kann, aber davon wird der andere Charakter unberührt bleiben, daß der Traum diesen Reiz nicht einfach wiedergibt, sondern ihn durch eine Art von Erleben aufhebt, beseitigt, erledigt.

7. In Anknüpfung an diese Charaktere des Traumes können wir auch die Vergleichung des Traumes mit der Fehlleistung wieder aufnehmen. Bei letzterer unterscheiden wir eine störende Tendenz und eine gestörte, und die Fehlleistung war ein Kompromiß zwischen beiden. In dasselbe Schema fügt sich auch der Traum. Die gestörte 143 Tendenz kann bei ihm keine andere sein als die zu schlafen. Die störende ersetzen wir durch den psychischen Reiz, sagen wir also durch den Wunsch, der auf seine Erledigung dringt, weil wir bisher keinen anderen schlafstörenden seelischen Reiz kennengelernt haben. Der Traum ist auch hier ein Kompromißergebnis. Man schläft, aber man erlebt doch die Aufhebung eines Wunsches; man befriedigt einen Wunsch, setzt dabei aber den Schlaf fort. Beides ist zum Teil durchgesetzt und zum Teil aufgegeben.

8. Erinnern Sie sich, wir erhofften uns einmal einen Zugang zum Verständnis der Traumprobleme aus der Tatsache, daß gewisse für uns sehr durchsichtige Phantasiebildungen »Tagträume« genannt werden. Diese Tagträume sind nun wirklich Wunscherfüllungen, Erfüllungen von ehrgeizigen und erotischen Wünschen, die uns wohlbekannt sind, aber es sind gedachte, wenn auch lebhaft vorgestellte, niemals halluzinatorisch erlebte. Von den beiden Hauptcharakteren des Traumes wird also hier der minder gesicherte festgehalten, während der andere als vom Schlafzustand abhängig und im Wachleben nicht realisierbar ganz entfällt. Im Sprachgebrauch liegt also eine Ahnung davon, daß die Wunscherfüllung ein Hauptcharakter des Traumes ist. Nebenbei, wenn das Erleben im Traum nur ein durch die Bedingungen des Schlafzustandes ermöglichtes, umgewandeltes Vorstellen, also ein »nächtliches Tagträumen« ist, so verstehen wir bereits, daß der Vorgang der Traumbildung den nächtlichen Reiz aufheben und Befriedigung bringen kann, denn auch das Tagträumen ist eine mit Befriedigung verbundene Tätigkeit und wird ja nur dieser wegen gepflegt.

Aber nicht nur dieser, auch anderer Sprachgebrauch äußert sich in demselben Sinne. Bekannte Sprichwörter sagen: das Schwein träumt von Eicheln, die Gans vom Mais; oder fragen: wovon träumt das Huhn? von Hirse. Das Sprichwort steigt also noch weiter hinab als wir, vom Kind zum Tier, und behauptet, der Inhalt des Traumes sei die Befriedigung eines Bedürfnisses. So viele Redewendungen scheinen dasselbe anzudeuten, wie: »traumhaft schön«, »das wäre mir im Traum nicht eingefallen«, »das habe ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt«. Es liegt da eine offenbare Parteinahme des Sprachgebrauchs vor. Es gibt ja auch Angstträume und Träume mit peinlichem oder indifferentem Inhalt, aber sie haben den Sprachgebrauch nicht angeregt. Er kennt zwar »böse« Träume, aber der Traum schlechtweg ist ihm doch nur die holde Wunscherfüllung. Es gibt auch kein Sprichwort, das uns versichern würde, das Schwein oder die Gans träumen vom Geschlachtetwerden.

144 Es ist natürlich undenkbar, daß der wunscherfüllende Charakter des Traumes von den Autoren über den Traum nicht bemerkt worden wäre. Dies ist vielmehr sehr oft der Fall gewesen, aber es ist keinem von ihnen eingefallen, diesen Charakter als allgemeinen anzuerkennen und zum Angelpunkt der Traumerklärung zu nehmen. Wir können uns wohl denken und werden auch darauf eingehen, was sie davon abgehalten haben mag.

Sehen Sie nun aber, welche Fülle von Aufklärungen wir aus der Würdigung der Kinderträume gewonnen haben, und das fast mühelos! Die Funktion des Traumes als Hüter des Schlafes, seine Entstehung aus zwei konkurrierenden Tendenzen, von denen die eine konstant bleibt, das Schlafverlangen, die andere einen psychischen Reiz zu befriedigen strebt, der Beweis, daß der Traum ein sinnreicher, psychischer Akt ist, seine beiden Hauptcharaktere: Wunscherfüllung und halluzinatorisches Erleben. Und dabei konnten wir fast vergessen, daß wir Psychoanalyse treiben. Außer der Anknüpfung an die Fehlleistungen hatte unsere Arbeit kein spezifisches Gepräge. Jeder Psychologe, der von den Voraussetzungen der Psychoanalyse nichts weiß, hätte diese Aufklärung der Kinderträume geben können. Warum hat es keiner getan?

 

Gäbe es nur solche Träume wie die infantilen, so wäre das Problem gelöst, unsere Aufgabe erledigt, und zwar ohne den Träumer auszufragen, ohne das Unbewußte heranzuziehen und ohne die freie Assoziation in Anspruch zu nehmen. Nun hier liegt offenbar die Fortsetzung unserer Aufgabe. Wir haben schon wiederholt die Erfahrung gemacht, daß Charaktere, die für allgemein gültig ausgegeben waren, sich dann nur für eine gewisse Art und Anzahl von Träumen bestätigt haben. Es handelt sich also für uns darum, ob die aus den Kinderträumen erschlossenen allgemeinen Charaktere haltbarer sind, ob sie auch für jene Träume gelten, die nicht durchsichtig sind, deren manifester Inhalt keine Beziehung zu einem erübrigten Tageswunsch erkennen läßt. Wir haben die Auffassung, daß diese anderen Träume eine weitgehende Entstellung erfahren haben und darum zunächst nicht zu beurteilen sind. Wir ahnen auch, zur Aufklärung dieser Entstellung werden wir der psychoanalytischen Technik bedürfen, die wir für das eben gewonnene Verständnis der Kinderträume entbehren konnten.

Es gibt jedenfalls noch eine Klasse von Träumen, die unentstellt sind und sich wie die Kinderträume leicht als Wunscherfüllungen erkennen lassen. Es sind jene, die das ganze Leben hindurch durch die 145 imperativen Körperbedürfnisse hervorgerufen werden, den Hunger, den Durst, das Sexualbedürfnis, also Wunscherfüllungen als Reaktionen auf innere Körperreize. So habe ich von einem 19 Monate alten Mädchen einen Traum notiert, der aus einem Menü unter Hinzufügung ihres Namens bestand (Anna F...., Er(d)beer, Hochbeer, Eier(s)peis, Papp) als Reaktion auf einen Hungertag wegen gestörter Verdauung, welche Erkrankung gerade auf die im Traum zweimal auftretende Frucht zurückgeführt worden war. Gleichzeitig mußte auch die Großmutter, deren Alter das der Enkelin eben zu siebzig ergänzte, infolge der Unruhe ihrer Wanderniere einen Tag lang fasten, und sie träumte in derselben Nacht, daß sie ausgebeten (zu Gaste) sei und die besten Leckerbissen vorgesetzt erhalte. Beobachtungen an Gefangenen, die man hungern läßt, und an Personen, die auf Reisen und Expeditionen Entbehrungen zu ertragen haben, lehren, daß unter diesen Bedingungen regelmäßig von der Befriedigung dieser Bedürfnisse geträumt wird. So berichtet Otto Nordenskjöld in seinem Buche Antarctic (1904) über die mit ihm überwinterte Mannschaft (Bd. 1, 336 f.): »Sehr bezeichnend für die Richtung unserer innersten Gedanken waren unsere Träume, die nie lebhafter und zahlreicher waren als gerade jetzt. Selbst diejenigen unserer Kameraden, die sonst nur ausnahmsweise träumten, hatten jetzt des Morgens, wenn wir unsere letzten Erfahrungen aus dieser Phantasiewelt miteinander austauschten, lange Geschichten zu erzählen. Alle handelten sie von jener äußeren Welt, die uns jetzt so fern lag, waren aber oft unseren jetzigen Verhältnissen angepaßt... Essen und Trinken waren übrigens die Mittelpunkte, um die sich unsere Träume am häufigsten drehten. Einer von uns, der nächtlicherweise darin exzellierte, auf große Mittagsgesellschaften zu gehen, war seelenfroh, wenn er des Morgens berichten konnte, ›daß er ein Diner von drei Gängen eingenommen habe‹; ein anderer träumte von Tabak, von ganzen Bergen Tabak; wieder andere von dem Schiff, das mit vollen Segeln auf dem offenen Wasser daherkam. Noch ein anderer Traum verdient der Erwähnung: Der Briefträger kommt mit der Post und gibt eine lange Erklärung, warum diese so lange habe auf sich warten lassen, er habe sie verkehrt abgeliefert und erst nach großer Mühe sei es ihm gelungen, sie wiederzuerlangen. Natürlich beschäftigte man sich im Schlaf mit noch unmöglicheren Dingen, aber der Mangel an Phantasie in fast allen Träumen, die ich selbst träumte oder erzählen hörte, war ganz auffallend. Es würde sicher von großem psychologischen Interesse sein, wenn alle diese Träume aufgezeichnet würden. Man wird aber leicht verstehen können, wie 146 ersehnt der Schlaf war, da er uns alles bieten konnte, was ein jeder von uns am glühendsten begehrte.« Nach Du Prel zitiere ich noch: »Mungo Park, auf einer Reise in Afrika dem Verschmachten nahe, träumte ohne Aufhören von wasserreichen Tälern und Auen seiner Heimat. So sah sich auch der von Hunger gequälte Trenck in der Sternschanze zu Magdeburg von üppigen Mahlzeiten umgeben, und George Back, Teilnehmer der ersten Expedition Franklins, als er infolge furchtbarer Entbehrungen dem Hungertode nahe war, träumte stets und gleichmäßig von reichen Mahlzeiten.«

Wer sich durch den Genuß scharf gewürzter Speisen zur Abendmahlzeit nächtlichen Durst erzeugt, der träumt dann leicht, daß er trinke. Es ist natürlich unmöglich, ein stärkeres Eß- oder Trinkbedürfnis durch den Traum zu erledigen; man wacht aus solchen Träumen durstig auf und muß nun reales Wasser zu sich nehmen. Die Leistung des Traumes ist in diesem Falle praktisch geringfügig, aber es ist nicht minder klar, daß sie zu dem Zweck aufgeboten wurde, den Schlaf gegen den zum Erwachen und zur Handlung drängenden Reiz festzuhalten. Über geringere Intensitäten dieser Bedürfnisse helfen die Befriedigungsträume oftmals hinweg.

Ebenso schafft der Traum unter dem Einfluß der Sexualreize Befriedigungen, die aber erwähnenswerte Besonderheiten zeigen. Infolge der Eigenschaft des Sexualtriebs, von seinem Objekt um einen Grad weniger abhängig zu sein als Hunger und Durst, kann die Befriedigung im Pollutionstraum eine reale sein, und infolge gewisser später zu erwähnender Schwierigkeiten in der Beziehung zum Objekt kommt es besonders häufig vor, daß sich die reale Befriedigung doch mit einem undeutlichen oder entstellten Trauminhalt verbindet. Diese Eigentümlichkeit der Pollutionsträume macht sie, wie O. Rank bemerkt hat, zu günstigen Objekten für das Studium der Traumentstellung. Alle Bedürfnisträume Erwachsener pflegen übrigens außer der Befriedigung noch anderes zu enthalten, was rein psychischen Reizquellen entstammt und zu seinem Verständnis der Deutung bedarf.

Wir wollen übrigens nicht behaupten, daß die nach infantiler Art gebildeten Wunscherfüllungsträume der Erwachsenen nur als Reaktionen auf die genannten imperativen Bedürfnisse vorkommen. Wir kennen ebensowohl kurze und klare Träume dieser Art unter dem Einfluß gewisser dominierender Situationen, die aus unzweifelhaft psychischen Reizquellen herrühren. So z. B. die Ungeduldsträume, wenn jemand die Vorbereitungen zu einer Reise, zu einer für ihn bedeutsamen 147 Schaustellung, zu einem Vortrag, Besuch getroffen hat und nun die verfrühte Erfüllung seiner Erwartung träumt, sich also in der Nacht vor dem Erlebnis an seinem Ziel angekommen, im Theater, im Gespräch mit dem Besuchten sieht. Oder, die mit Recht so genannten Bequemlichkeitsträume, wenn jemand, der gerne den Schlaf verlängert, träumt, daß er bereits aufgestanden ist, sich wäscht oder sich in der Schule befindet, während er in Wirklichkeit weiterschläft, also lieber im Traum aufsteht als in Wirklichkeit. Der Wunsch zu schlafen, den wir als regelmäßig an der Traumbildung beteiligt erkannt haben, wird in diesen Träumen laut und zeigt sich in ihnen als der wesentliche Traumbildner. Das Bedürfnis zu schlafen stellt sich mit gutem Recht den anderen großen körperlichen Bedürfnissen zur Seite.

Ich zeige Ihnen hier an der Reproduktion eines Schwindschen Bildes aus der Schackgalerie in München, wie richtig der Maler die Entstehung eines Traumes aus einer dominierenden Situation erfaßt hat. Es ist der »Traum eines Gefangenen«, der nichts anderes als seine Befreiung zum Inhalt haben kann. Es ist sehr hübsch, daß die Befreiung durch das Fenster erfolgen soll, denn durch das Fenster ist der Lichtreiz eingedrungen, der dem Schlaf des Gefangenen ein Ende macht. Die übereinanderstehenden Gnomen repräsentieren wohl die eigenen sukzessiven Stellungen, die er beim Emporklettern zur Höhe des Fensters einzunehmen hätte, und irre ich nicht, lege ich dem Künstler dabei nicht zuviel Absichtlichkeit unter, so trägt der oberste der Gnomen, welcher das Gitter durchsägt, also das tut, was der Gefangene selbst möchte, die nämlichen Züge wie er selbst.

Bei allen anderen Träumen außer den Kinderträumen und denen von infantilem Typus tritt uns, wie gesagt, die Traumentstellung hindernd in den Weg. Wir können zunächst nicht sagen, ob auch sie Wunscherfüllungen sind, wie wir vermuten; wir erraten aus ihrem manifesten Inhalt nicht, welchem psychischen Reiz sie ihren Ursprung verdanken, und wir können nicht erweisen, daß sie sich gleichfalls um die Wegschaffung oder Erledigung dieses Reizes bemühen. Sie müssen wohl gedeutet, d. h. übersetzt werden, ihre Entstellung rückgängig gemacht, ihr manifester Inhalt durch den latenten ersetzt, ehe wir ein Urteil darüber fällen können, ob das an den infantilen Träumen Gefundene für alle Träume Gültigkeit beanspruchen darf.


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