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Porta Westphalica.

Zur Einleitung.

ie Porta Westphalica ist die Pforte meines Buchs. Habt ihr zuerst den Brückenkopf des einleitenden Gedichts genommen, so müßt ihr nun noch das Thor der Festung erstürmen. Durch die Porta führ ich euch in das Land, nach dem sie heißt.

Wer von euch stand bei Sonnenuntergang auf der Weserbrücke bei Minden? Aus den Moor- und Haidestrecken des nordwestlichen Westphalens kommend, deren ödes Grau in Grau nur zuweilen ein Architecturblitz aus dem Mittelalter durchleuchtet, der Osnabrücker Dom etwa oder der lichte, giebelzackige Strahl des Rathhauses zu Münster, schritt er vielleicht trüb genug in die alte Stromstadt Minden hinein, und weder das buschige Glacis noch der stattliche Simeonsplatz, weder der freundliche Domhof noch die engen, alterthümlich düstern Straßen waren im Stande, ihn eine nahe glänzende Verwirklichung seiner bisher meist unerfüllt gebliebenen Träume von einem »malerischen und romantischen Westphalen« hoffen zu lassen. Endlich hat er das Thor an der Wasserseite der Stadt erreicht. Kühler Hauch des Stromes weht ihm entgegen. Noch ein paar Schritte und er steht auf der siebenbogigen Brücke; unter ihm, nordwärts hinab in die weite, unabsehbare Fläche, schießt die Weser, und wendet er das Gesicht stromauf, rechts nach Süden, so sieht er die Berge, die der Prall der Wasser vor Jahrtausenden durchbrochen, stolz und trotzig sich erheben. Die Porta Westphalica Die Ansicht stellt sie von der entgegengesetzten Seite, Minden im Hintergrunde, dar. liegt vor ihm, nicht ein enges, zu beiden Seiten schroff und steil in den Strom herabfallendes Felsenthor (nur der östliche, der Antonius- oder Jakobsberg, wird unmittelbar von der Weser bespült), sondern ein nicht allzu schmales Querthal‚ das außer dem Strome Wiesen und Ackerland anmuthig ausfüllen, dessen Benennung aber, zumal von dieser Seite und in dieser Entfernung, durchaus passend und gerechtfertigt erscheint. Es ist nämlich noch eine gute Stunde bis dort, wo die Weser den Gebirgsrücken zerschnitten hat; links und rechts, dort unter den Namen des Süntels oder des Wesergebirges κατ εξοχην, hier unter dem des Wiehengebirges streichend, zeigt er dem Blicke des Beschauers keine einzige Kerbe, keinen einzigen tieferen Einschnitt; nur der gewaltige, weitklaffende zwischen Jakobs- und Wittekindsberg liegt vor Augen, und ist nun, abgesehen davon, daß durch ihn der Fluß aus dem Gebirgsland in die Ebene sich ergießt, in seiner Einsamkeit um so mehr einem imposanten Thore, einer Weserscharte, wie die umwohnenden Landleute die Pforte nennen, vergleichbar, als die Entfernung ein scheinbares Aneinanderrücken der getrennten Bergmassen bewirkt, und das Wiesengelände dazwischen in so geringer Breite zeigt, daß nun fast Berg neben Berg emporzuragen, und die Weser hart am Fuße beider sich zu schlängeln scheint. – Das ist die Porta, und wer sie so gesehen hat, nach mühsamer Durchwanderung des Flachlandes von der Mindener Brücke aus, felsig und waldig, und von den heißen, sehnsüchtigen Tinten eines Sonnenuntergangs zu Ende Mai's magisch beleuchtet, wohl schlug dem das Herz hochauf vor Freude, und er lauschte lechzend hinab in das murmelnde Geschwätz des Flusses, der alle Mährchen und Heimlichkeiten des eben verlassenen Waldgebirges ihm erzählen zu wollen schien. Silberfarben, hier und dort einen Scheideblitz der Sonne zurückwerfend, kam er durch Wiesen und Weiden herangeschossen; einsame Kähne schwammen stromunter; drüben noch eine vollständige Mast, »Bock« und »Hinterhang« und »Bulle«, die von keuchenden Pferden sich hinauf ziehen ließ nach Hausberge; Heerden am Ufer; – ein heiteres, lachendes Idyll lag vor ihm, dessen Grundton, den der Ruhe und des stillen ländlichen Friedens, selbst der am Fluß gelagerte Kriegsmann – Minden – nicht zu stören vermochte.

So und in solcher Stimmung war's, daß ich selbst vor ein paar Monaten zum ersten Mal die Porta erblickte. Die Fläche lag hinter, die Berge lagen vor mir, und es trieb mich, den Staub der einen an den Büschen der andern von den Kleidern zu streifen. Noch eine Nacht und einen Vormittag in Minden, und nun unter dem fernen Gegroll mälig sich aufthürmender Gewitter auf den Wittekindsberg, die westliche Pfortensäule, die neben jenem Namen auch noch den üblicheren der Margarethenklus führt! – Wollt ihr sie mit mir besteigen? – Ich führe euch gleich auf die Spitze. Dicht mit Buchen bewachsen, läßt sie euch auf trocknem Laubfall einen kühlen, schattigen Waldweg entlang gehen. Zweige schlagen mich in's Gesicht, Waldmeister duftet um eure Füße, und wenn ihr den Hut mit Geisblatt oder mit einer keck geschwungenen Farrnkrautfeder schmücken wollt, so braucht ihr nur die Hand auszustrecken. Plötzlich steht ihr vor einem mächtigen Wartthurm; nicht vor einer grauen, mit Moos und Epheu bewachsenen Ruine, einer zerbröckelnden Trümmer aus den Zeiten des Feudalwesens, die euch, wenn ihr sie besteigen wollt, ein geharnischter Thürmer erschließt oder ein buntjackiger Schloßzwerg: ein Werk der letzten Jahre ist's, das euch zur Rundschau auf seine Zinnen ladet, und ein Mütterchen, das im Schatten einer benachbarten Buche die ärgste Schwüle des Mittags bei'm Spinnrade verstreichen läßt, öffnet euch freundlich die Thüre des modernen Lug-in's-Land. Ihr tretet ein, eine Wendeltreppe empfängt euch, zwei und siebenzig Stufen fliegt ihr hinan – und nun steht ihr oben auf der Plattform, und biegt euch hinab über das schützende Geländer. Welch' ein Anblick! Nördlich das Flachland bis zum Meere, südlich ein beschränktes, dafür aber auch bunteres und von Wald und Fluß mannichfach belebteres Gebiet, und zwischen beiden, eine Thurmhöhe unter euch, knochig und langgestreckt, und von der gewitterschwülen Sonne des Mittags stechend beschienen, der Rücken des Gebirges. Ein zusammengesunkenes Roß, liegt es euch zu Füßen, seine Laubflanken zittern vor Erschöpfung – wär' ich ein Gigant, ich spräng' ihm auf den Nacken, und ritt es in die Nordsee – zur Schwemme!

Und hier, eh' ich euch ein Führer werde durch den Landstrich, der tief unter euch wie eine Karte aufgerollt daliegt, eh' ich mit dem Finger auf seine Berggipfel und auf seine Thurmspitzen deute, eh' ich seine Burgen mit euch durchklettere, und mit euch eintrete in seine Hallen und Kreuzgänge, lasset mich ein Wort der Verständigung zu euch reden! Wenn ich euch zu einer Schweizerreise aufforderte, oder zu einem Ausflug in's Tyrol, oder gar zu einem pittoresken Zuge durch beliebige Wüsten, so bedürfte es dessen nicht. Ihr wüsstet dann von vornherein selbst, was ihr zu erwarten hättet, und wenn die Reise nichtsdestoweniger euren Erwartungen nicht entspräche, so könntet ihr deßwegen nur mit dem Ungeschick oder der Unwissenheit des Führers rechten, nicht aber mit der Gegend selbst, durch die ihr euch führen ließet. Ein Anderes ist es, wenn ich euch eine Wanderung durch Westphalen vorschlage, durch ein Land, dessen Loos es seit Jahren gewesen ist, mehr gescholten und geschmäht, als gepriesen zu werden. Seit Justus Lipsius im Jahr 1586 seine schweinsledernen Briefe über Westphalen bald »aus der Barbarei bei den Breifressern«, bald »aus dem Schweinstall, den sie Wirthshaus nennen«, datirte, hat sich die Schärfe einer Unzahl von Federspitzen an uns versucht. Ich glaube wirklich, daß ich euch vorher Muth einsprechen muß, und dazu ist grade hier, wo wir aus einer Höhe von 800 Fuß auf einen großen, und wahrlich nicht den schlechtesten, Theil des verschrieenen Gebiets hinabschauen, der rechte Ort, wie mich dünkt. Setzt euch drum in die Runde; stoßt mir aber die Reisetasche nicht von der Brüstung, und um euch von vornherein mit westphälischer Mund- und Landesart zu befreunden, so thut erst einen »Schluck« aus meiner ledernen Feldflasche.

Bestimmen wir zuerst die Grenzen unseres Gebiets. Westphalen – mag der Name nun von Falen d. h. Fohlen, dem springenden Pferde in Wittekinds Banner abzuleiten sein, das wir noch heute sein Nunquam retrorsum auf dem Braunschweigschen Wappen wiehern hören; oder von dem Grenzphal, der die West- von den Ostphalen getrennt haben soll; oder von einem altdeutschen, dem englischen fellow entsprechenden Worte Phal; oder von einem andern Worte: Falen d. i. Gegend, plaga, regio, oder gar, wie einige Etymologen wollen, von den Vandalen – Westphalen ist uns, wie Karl dem Großen, das gesammte Land zwischen Rhein, Weser und Ems, wie wir dagegen die Striche zwischen Weser und Elbe unter dem Namen Ostphalen zusammenschlagen, und von dem, zwischen beiden in der Enge liegenden, dritten Haupttheile des alten Sachsenreiches, Engern, für den Zweck unserer Wanderung so viel noch zu Westphalen rechnen, wie wir nach Strich und Lauf des Gebirgs und des Flusses sowohl, als nach Uebereinstimmnng in Gesittung, Volkscharacter und Mundart für gut finden und verantworten zu können glauben. Es ist uns das Land, das zu Tacitus Zeiten Bructerer und Sigambrer, Marser, Angrivarier und Cherusker inne hatten; das ganze, von den Legionen zertretene Gebiet im Nordwesten Deutschlands, das dem Historiker zu seinem Bilde von den Sitten und dem Culturzustande des alten Germaniens vorzugsweise die Umrisse lieferte. Es ist uns der gesammte Strich um Weser und Ems, Ruhr und Lippe, der in der rohen Kraft und der schlichten ursprünglichen Weise seiner Bewohner, zumal aber in dem Eichengrün und der Weltabgeschiedenheit seiner einzeln an Quell oder Bach liegenden Bauerhöfe – sicut fons aut nemus placuit –, an deren rauchgeschwärztes, erndtekranzgeschmücktes Scheunenthor die Zeit und der Fortschritt nur leise und in großen Zwischenräumen angepocht haben, ganz an jene Schilderungen in der Germania uns erinnert. Es ist ein derber, urkräftiger Menschenschlag, die Westphalen. Als der Kronprinz von Preußen auf seiner Reisen durch die Provinz (Sommer 1839) einen Tag in Soest sich aufhielt, ritt auch eine Deputation aus der »Börde« bei ihm vor, an die zwei bis dreihundert Bauern stark. Ein prächtiger Zug! Stämmige Männer und stämmige Pferde, hellblaue Röcke und breitkrämpige Hüte, wenig Sporen und die Zügel meist in der rechten Hand, aber die Fersen in den Flanken, die Linke mit dem Hut hoch in der Luft, und so in Trab oder Galopp, wie es dem Gaul eben anstand, mit Hurrahruf an dem Prinzen vorbei. Ich habe lange Nichts gesehen, was mich mehr gefreut hätte. So, denk' ich mir, muß ein Reiterangriff der Bructerer gewesen sein: wenig Ordnung, aber Muth und Feuer, und wo er einhaut, da wirft er. Es mag dem Kronprinzen Glänzenderes und Feineres auf seiner Reise veranstaltet worden sein, aber Ehrlicheres und Nationaleres schwerlich. Er hat auch herzlich gelacht, als er aus dem Fenster herab dankte, und es war nicht das Lachen des Spottes oder der Geringschätzung. Wie wollt' es auch? Aus solchen Stämmen haut sich die Staatsburg ihre Palisaden zurecht: das siebente Armeekorps ist eins der stämmigsten und markigsten im ganzen Heere.

Wir halten uns also an's Volk und an die Gesittung. Wo wir den Hof des Tacitus, wo wir die Kämpe des Sachsen noch finden, da ist Westphalen. Wir beschränken uns demnach weder auf das Herzogthum Westphalen, das sogenannte Sauer- oder Süderland, früher zum Gebiete Heinrichs des Löwen gehörend, und nach dessen Aechtung von Friedrich Rothbart an das Erzstift Cöln geschenkt, noch auf die jetzige Preußische Provinz Westphalen, noch greifen wir über in die überrheinischen Bestandtheile des ehemaligen Westphälischen Kreises, zu dem u. A. selbst Lüttich, Stabelo und Aachen gehörten, woraus, wie der alte Merian sagt (beiläufig der erste Herausgeber eines »malerischen Westphalens«, wenn wir seine westphälischen Städteansichten so nennen wollen), »woraus zu ersehen, daß dieses ein weitschweiffiger Cräiß« gewesen sein müsse. An das Länder- und Ländchenaggregat zu denken, das unter Jerome den Namen eines Königreichs Westphalen führte, kann uns vollends nicht einfallen. – Lasset uns den Bezirk abschreiten, den wir betrachten wollen! – Links, in südöstlicher Richtung, die Weser hinauf bis nach Herstelle, die Feste des großen Frankenkaisers. Von dort südwestlich den Saum der hessischen Gebirge entlang bis an die Quelle der Sieg, wo die Sprache des Volkes schon in der Weise des Oberlandes erklingt, und wo uns der Westerwald zur Gränze nach Süden wird. Jetzt nordwestlich, immer den Rand der heutigen Preußischen Rheinprovinz hinab, in die wir gelegentlich einen kleinen Abstecher machen. Die Mündungen von Sieg und Wupper, von Ruhr und Lippe bleiben uns links, wo fast in paralleler Richtung der Rhein seine Wogen hinabwälzt. Haben wir die Lippe überschritten, so wenden wir uns nordöstlich, da wo das Städtchen Anholt uns die Gränze der Marschen und Ebenen Hollands gezeigt hat, lassen später das Münsterland und Osnabrück im Süden, Ostfriesland und Oldenburg im Norden, bis wir zuletzt, etwa bei Petershagen, wieder auf die Weser stoßen, an ihr hinaufschreiten bis zur Porta, und so wieder zur Margarethenklus, zu dem Punkte gelangen, von dem wir ausgingen.

Das ist der Ländercomplex, den wir unter der Gesammtbenennung Westphalen für uns in Anspruch nehmen, und ich denke, daß man uns ungefährdet in seinem Besitz lassen und die grün-weiß-schwarze Fahne, die wir rings auf Berg und Burg aufpflanzen, ruhig flattern lassen wird. Möchte man uns irgendwo eines Einfalls in fremdes Gebiet beschuldigen, so könnte es nur drüben am rechten Weserufer sein, wo die Schaumburg hell und freundlich aus dem Grün des Nesselberges hinter Rinteln hervorschaut, wo der Hohenstein mit seinen Klüften und Felsenrissen, mit seinen Wichtelmännchen und seinem Druidenringe ernst und düster sich erhebt, und wo der Langenfelder Wasserfall schäumend hinabstürzt in die Tiefe. Es sind das Alles Punkte, die in der Sachsenzeit zu Engern, zum Buckigau gehörten, und die jetzt post varios casus einem Ländchen zu eigen sind, das sich die Grafschaft Schaumburg hessischen Antheils nennt. Und fast fürcht' ich, daß der goldene Löwe seine Errungenschaft wahren und mein dreifarbig Banner mit gehobner Klaue antasten wird. Ein malerisches und romantisches Weserthal ist angekündigt. Franz Dingelstedt ist sein Schildhalter; und schon seh' ich den Kampf entbrennen in den wiederhallenden Schluchten des Süntels. Die Fähnlein flattern, die Trompeten schmettern, die Schaumburg wird berannt hüben und drüben, und wessen Banner oben fliegen wird, bleibt den Schwertern überlassen. Es soll aber ein ehrlicher und lustiger Kampf sein; wir wollen uns Lieder zusingen während des Streites, und zuletzt, denk' ich, sprengen wir mitten im Gefecht auf einander los, lüften den Helm, und machen es, wie Wittekind und St. Herumbertus, der erste Bischof von Minden. Ich weiß nicht recht, sprach Wittekind es aus oder der Bischof – so viel aber etymologisirt die Sage: als der Herzog den Mönch einführte in seine Burg am Weserstrand, da fiel zwischen ihnen das Wort: Min – Din, d. h. der Fleck sei mein, wie er dein ist! Und so, rath' ich, halten wir es auch mit der Grafschaft Schaumburg hessischen Antheils! Einst den Cheruskern, ist sie nun den Katten; ehedem sächsisch, ist sie nun fränkisch; – mögen darum beide Banner ruhig nebeneinander auf den Zinnen der Schaumburg flattern, Dingelstedts neben dem meinigen, der Löwe des Hessen neben der Tricolore des Westphalen! –

F. Freiligrath.


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