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Jancu, der Richter

Das folgende ist streng den Tatsachen nacherzählt. Wer es liest, dem wird diese Versicherung fast überflüssig scheinen. Denn diese Geschichte trägt den Stempel ihres Autors, des Schicksals. Nur dieser unbarmherzigste und sorgloseste Poet wagt so gräßliche und dabei so einfache Effekte. Ihm solches nachzudichten, wäre für einen Novellisten vielleicht eine lohnende, aber sicherlich eine traurige Arbeit. Der Schilderer fremder Sitte aber steht auf anderem Standpunkt. Ihm muß die Wahrheit die höchste Göttin sein.

... Vor einer rumänischen Jury sitzt auf dem Schemel des Angeklagten der Bauer Jancu. Sein brauner Serdak (Gürtelrock) ist zerrissen, und durch dessen wie des Hemdes Ritzen sieht man die bronzefarbene Haut schimmern. Das Haar fällt ihm in langen, wirren, mißfarbigen Strähnen ins fahle Antlitz, das Haupt ist auf die Brust gesenkt, das stumpfe Auge stier auf den Boden gerichtet. Kein Blick trifft das Publikum, die Geschworenen, die Richter.

Der Gerichtschreiber ruft die Sache auf, der Anklageakt wird vorgetragen. Der Bauer Jancu, Besitzer einer großen Wirtschaft, griechisch-rechtgläubig, 29 Jahre alt, bisher unbescholten und Richter in seinem Dorfe, ist geständig, sein Weib Xenia, 21 Jahre alt, seinen Knecht Alexa, 43 Jahre alt, und die Zigeunerin Mariula, unbekannten Alters, jedenfalls weit über die Fünfzig, in einer und derselben Nacht, Fastnachtsonntag auf Montag, ermordet zu haben. Der Akt schildert die drei Verbrechen nach der Aussage des Angeklagten; Tatzeugen sind nicht vorhanden. Doch ist das Geständnis Jancus, der unmittelbar nach der Tat seine Verhaftung selbst veranlaßt hat, sehr umfassend und durch die Ergebnisse der Leichenschau bestätigt. Jancu hat sein Weib durch eine Kugel ins Herz getötet, den Knecht durch eine Ladung von drei Rehposten gegen den Kopf, die Zigeunerin hat er mit den Händen erwürgt. Über die Gründe, bemerkt der Akt, verweigere er jegliche Auskunft; auch den Zeugen sei die Tat unerklärlich.

Das Verhör beginnt. »Jancu«, fragt der Präsident, »gestehet Ihr auch heute Eure Schuld?«

Der Angeklagte erhebt sich, aber sein Antlitz bleibt unbewegt, und die Augen haften am Boden. »Ja«, erwidert er dumpf, »es ist alles wahr.« Darauf sinkt er sogleich wieder auf den Schemel zurück.

»Ihr müßt stehen bleiben, Jancu«, belehrt ihn der Präsident. »Ihr müßt uns nun alles erzählen, was Ihr getan und gedacht habt an jenem Sonntag und in der Nacht darauf.«

Jancu schüttelt den Kopf und läßt ihn noch tiefer auf die Brust sinken. Dann erhebt er sich doch, unwillig, zögernd. Aber seine Stimme klingt dumpf und ohne Erregung, wie früher: »Nein, mein gnädigster Herr, das werde ich nicht tun. Denn wie ich's getan, wißt Ihr schon, und es ist unnötig, daß ich's noch einmal sage. Und warum ich's getan habe, werde ich Euch nicht sagen und keinem Menschen.«

»Aber das Gesetz will es so«, sagt der Präsident. »Die Geschworenen müssen das Geständnis aus Eurem Munde hören. Und wenn Ihr die Tat so reumütig bekennt, warum nicht auch die Gründe? Das kann ja nur zu Eurem Vorteil sein, Jancu! Alle Leute in Eurem Dorfe sagen, daß Ihr der bravste, wackerste Mensch gewesen seid. Darum seid Ihr ja in so jungen Jahren Richter in Eurem Dorfe geworden. Auch der Fürst St., bei dem Ihr einst drei Jahre gedient habt, ist selbst zum Untersuchungsrichter gekommen und hat gesagt, er halte sich in seinem Gewissen verpflichtet, für Euch zu bezeugen, daß Ihr, Jancu, der ehrlichste, verständigste, treueste Mensch gewesen seid, den er je um seine Person gehabt hat. Wenn also ein Mensch wie Ihr plötzlich so gräßliche Verbrechen begeht, so ist er entweder wahnsinnig, und das seid Ihr nicht, oder er ist durch irgendein Erlebnis in die fürchterlichste Aufregung versetzt worden. Was war nun dies Erlebnis? Gestehet es doch! Das wird Euer Gewissen erleichtern und Eure Strafe vielleicht milder machen!«

Aber wieder schüttelt Jancu den Kopf, und wieder fallen die Worte langsam, ruhig, tonlos von seinen Lippen. »Mein gnädigster Herr, ich danke Euch und meinem guten Fürsten und den Nachbarsleuten, aber das paßt mir alles nicht! Mein Geständnis war nicht reumütig; ich habe nur alles gesagt, was der Richter wissen mußte, damit man mich bestrafen kann, und ich habe es ganz nach der Wahrheit gesagt, weil ich noch niemals gelogen habe und auch in diesem letzten nicht lügen wollte. Aber nicht aus Reue habe ich es getan, denn ich bereue meine Tat nicht. Und wenn ich bis jetzt gewesen wäre, was ich einst war, ein glücklicher, friedlicher Mensch, und wenn ich jetzt erkennen würde, was ich damals erkannt habe, ich würde die drei Menschen in der nächsten Stunde töten, wie ich's in jener Nacht getan habe. Darum brauche ich auch mein Gewissen nicht zu erleichtern, denn es ist leicht. Und was die mildere Strafe betrifft, was soll mir Milde?! Das liebste wäre es mir, wenn diese Herren« – er deutet auf die Geschworenen – »sagen würden: Man soll ihn henken! Das kann aber leider nicht geschehen, weil bei uns das Henken aufgehört hat, und man wird mich nur auf Lebenszeit in die Salzwerke nach Okna stecken. Soll ich wünschen, wieder herauszukommen, wozu?! Nein, das wäre nichts für mich! Ich werde dort bleiben, und die Arbeit, die Hundekost und die Schläge werden mich nach einigen Jahren töten. Und so wird es gut sein. Denn ich sterbe gern, mein gnädigster Herr, sehr gern sterbe ich!«

Vielleicht empfängt der Leser von diesen Worten keinen tieferen Eindruck. Dem Zuhörer aber werden sie unvergeßlich sein. Man fühlte es heraus, daß auf der Seele dieses Menschen in der Tat ein Druck lastete, der ihm den Tod als eine Wohltat erscheinen ließ; nicht die Reue, nicht das Schuldbewußtsein, aber ein übermächtiges Etwas, unter dessen Einfluß er gehandelt hatte, das ihn noch heute zu Boden drückte.

Das Zeugenverhör begann. Der erste Zeuge war der greise Bauer Thodika, der vor Jancu Dorfrichter gewesen und jetzt wieder das Amt bekleidete, »bis sich ein anderer jüngerer Hausvater findet, der so brav wäre wie der Jancu da«. Der kleine, geschwätzige Alte, mit dem fahlen Gesicht, aus dem die Nase rot hervorglühte wie ein Rubin, leistete den Eid und erzählte dann, wie folgt:

»Nun, es war also am Fastnachtsonntag. Das ist ein besonders heiliger Tag, ich bin früh in der Kirche gewesen, dann in der Schenke gegessen, und am Abend bin ich heimgegangen. Weil ich aber einen Eid geschworen habe, so will ich die Wahrheit sagen: nämlich, daß ich nicht gegangen bin, sondern mein Weib und meine Söhne haben mich getragen, weil ich sehr betrunken war. Also gut, da legen sie mich hin, und ich schlafe mich aus. Gegen die dritte Morgenstunde erhebt sich ein furchtbarer Sturmwind, ich höre nichts davon, aber mein Weib sagt zu meiner Tochter Anitza, die bei mir im Hause war, weil ihr Mann sie zu Tode prügeln wollte – aber jetzt sind sie wieder versöhnt – also: ›Anitza‹, sagte sie, ›da hat sich jemand aufgehängt, oder es ist ein großes Verbrechen geschehen, der Wind weht gar zu stark.‹ Und da klopft es auch schon heftig an die Tür. Die Weiber erschrecken. ›Ich bin's, Jancu der Richter, öffnet!‹ Aber wie sie die Kienfackel anzünden und er hereintritt, da erschrecken sie noch mehr; das ist der Jancu und ist's wieder nicht, um zwanzig Jahre älter ist der Mensch plötzlich geworden. ›Was willst du?‹ stammelt mein Weib. Er aber tritt auf mich zu und rüttelt mich auf: ›Thodika, du mußt aufstehen!‹ Anfangs hör' ich nichts, weil ich wirklich ein bißchen zuviel getrunken hatte, dann fahre ich doch empor: ›He, Jancu, was gibt's?‹ Aber wie ich ihn ansehe, bin ich schon vor Schreck halb nüchtern, und ganz nüchtern werde ich, wie er mir sagt: ›Du warst vor mir Richter und bist Ältester im Ausschuß. In deine Hände lege ich mein Amt. Und nun verhafte mich, wie es jetzt deine Pflicht ist, und liefere mich sogleich in die Stadt. Denn ich bin ein Mörder, ich habe mein Weib, meinen Knecht und die alte Hexe getötet.‹ Da springe ich auf: ›Jancu, du bist wahnsinnig!‹ Und dann fällt mir ein, daß ihm den Tag vorher sein einziges Kind gestorben ist, ein liebes kleines Mädchen, die Aniula, und ganz plötzlich, an Krämpfen. Da denke ich mir: er hat ja das Kind so ungemein liebgehabt; sein Sterben wird ihm das Hirn verbrannt haben, und ich sage mitleidig: ›Jancu, dir träumt etwas Furchtbares. Vielleicht wegen deines armen Kindes. Tröste dich, es war Gottes Wille so!‹ – ›Nein‹, ruft er wild, ›es war ja nicht Gottes Wille, aber gleichviel, es ist gerächt! Ich habe im Namen Gottes Gerechtigkeit geübt, nun mögen die Menschen mit mir tun, was sie wollen; führe mich zur Stadt!‹ Und da erkannte ich, daß es wahr war, und mein Herz ist stillgestanden. Es war, um verrückt zu werden, aber es war doch so: unser Richter Jancu war ein Mörder! Nun, da habe ich ihn am Morgen in die Stadt geführt.«

»Und hat er Euch nicht gesagt«, fragt der Präsident, »warum er die Tat verübt hat?«

Thodika blickt zu Boden und dann verlegen auf Jancu hin. Mit diesem geht eine sonderbare Veränderung vor; sein Haupt hebt sich, seine Züge beleben sich, und sein glühender Blick haftet halb drohend, halb flehend auf dem Antlitz des Zeugen.

»Hohe Herren«, stammelt dieser verlegen, »es ist ihm so ein Wort entfahren, wider Willen, als wir zur Stadt fuhren. Aber ich habe ihm heilig versprochen, es niemandem zu sagen. Und nun habe ich hier den Eid geschworen, die ganze Wahrheit zu gestehen. Ich weiß mir gar nicht zu helfen! Jancu, wenn du mir erlauben wolltest ...«

»Du wirst schweigen«, fährt dieser wild empor.

»Jancu«, sagt der Präsident streng, »noch ein Wort, und ich lasse Euch wegführen.«

»Mein Eid«, sagt Thodika weinerlich, »mein lieber Jancu, ich kann dir nicht helfen. Also ...«

»Schweig!« ruft der Angeklagte noch einmal wild, gebieterisch. Der Präsident winkt den Polizisten. Aber Jancu fährt fort: »Wenn schon meine ganze Schande offenkundig werden soll unter den Menschen, so soll es doch mindestens keiner aussprechen als ich selbst. Lasset dies schwatzhafte alte Weib zurücktreten. Ich selbst will sagen, wie alles kam ...«

Es ist totenstill geworden im weiten Saal. Und Jancu berichtet seine Geschichte, nicht dumpf und stumpf wie früher, sondern wild, leidenschaftlich, fast schluchzend. Kein Herz bleibt unbewegt, kein Auge trocken, als der arme, unselige Mensch erzählt:

»Ich will es selbst sagen, so schwer es mir fällt. Aber ich ertrüge es nicht, wenn es ein anderer sagen würde. Ich habe nicht gedacht, daß ich so enden würde, und niemand hat es gedacht. Denn ich bin einmal ein glücklicher Mensch gewesen und ein braver Mensch; ich darf das jetzt sagen, ich spreche ja nicht von mir selbst, sondern wie von einem Toten. Es ist mir anfangs nicht gut im Leben gegangen, ich war der zweite Sohn, der ältere Bruder sollte alles erben, ich mußte als Knecht dienen. Zwar in meines Vaters Hause, aber bei den eigenen Leuten dient sich's oft schwerer als bei fremden, das könnt ihr mir glauben. Nach dem Tode des Vaters bin ich als Diener in die Stadt gegangen; ich war fleißig, treu, alle werden es mir bezeugen. Auch gelernt habe ich, Lesen und Schreiben, und weil ich gesehen habe, wie der Branntwein den Menschen zum Vieh macht, so habe ich niemals einen Tropfen Branntwein getrunken. Dann bin ich zum Fürsten gekommen und bin mit ihm in Deutschland gewesen und in Frankreich. Dort ist ein anderes Land, sogar der Bauer ist dort ein Mensch. Nun, der Fürst war mit mir zufrieden, er hat sich ja selbst jetzt meiner erinnert in meiner großen Not. Ich habe mir damals gedacht: Jetzt bleibst du noch einige Zeit in der Stadt und sparst dir deinen Lohn zusammen, und dann gehst du in dein Dorf und kaufst dir einige Äcker. Aber es kam anders. Wie ich heimkomme von den Reisen, ist mein älterer Bruder tot, und an mich fällt das ganze große Bauerngut. Da setze ich mich nun hin und beginne zu wirtschaften. Aber die Leute sagen, daß mir noch etwas fehlt, und ich spüre es selbst. So habe ich denn angefangen, nach einem Weib auszulugen, und die Xenia habe ich mir genommen. Nicht bloß deshalb, weil sie sehr schön war und mir sehr gefallen hat, sondern auch so halb aus Mitleid. Sie war sehr arm und mußte bei ihrer älteren Schwester Magddienste tun, das hat mich an meine eigene Jugendzeit erinnert. Daß ich sie übrigens aus Edelmut geheiratet habe, will ich nicht sagen; ich war auch sehr in sie verliebt. Die Xenia war ein stilles Mädchen, dem niemand im Dorf etwas nachsagen konnte, und schön, freilich in einer anderen Art, als unsere Mädchen sonst sind. Sie war zart, blond, und hatte stille blaue Augen. Vielleicht hat mir gerade das gefallen. Kurz, in vier Wochen waren wir Mann und Weib.

Es war – das Wort will mir nach dem, was nun kommt, schwer über die Zunge, aber ich muß es sagen, weil es die Wahrheit ist –, es war eine recht glückliche Ehe. Mein Weib hat selten gelacht und war nie besonders zärtlich, aber ich habe mir gedacht: ›Das ist nun einmal ihre Art.‹ Als Wirtin war sie brav und ist mir treu zur Seite gestanden in meinem schweren Werk. Denn ich hatte meine Kraft daran gesetzt, eine Musterwirtschaft zu führen und alles Gute nachzuahmen, das ich anderwärts gesehen hatte. Das war schwer mit unseren Knechten, die zu drei Vierteilen Schweine sind und nur zu einem Vierteil Menschen, aber was menschenmöglich war, habe ich getan, und vieles ist mir gelungen, das darf ich sagen. Mein Besitztum wuchs, und weil ich hilfreich war, wo ich konnte, so wuchs auch meine Beliebtheit. Nur eins fehlte mir zu meinem Glück: Ich hatte keine Kinder. Da gebar mir mein Weib vor zwei Jahren ein Kind, ein holdseliges Mädchen, blond und blauäugig, so ein schönes, liebes Kind! O meine Aniula! ...«

Dem Mann versagt die Stimme. Er starrt vor sich hin und schüttelt den Kopf. Dann fährt er fort:

»Alles hat sich mir gut gefügt; Richter bin ich geworden in so jungen Jahren! Wenn mich am Samstag mittag vor jenem Schreckenstag jemand gefragt hätte: ›Richter Jancu, wer ist der glücklichste Mensch auf der Welt?‹, es ist wohl möglich, daß ich gesagt hätte: ›Fast will mir scheinen, daß ich es bin.‹ Und etwas mehr als einen Tag darauf war ich der unglücklichste; so elend ist noch niemals jemand gewesen, niemals!

Ich will kurz erzählen, wie das kam. Denn wenn ich daran denke, wirbelt mir das Hirn, und meine Kraft will mich verlassen. Also Samstag mittag war's. Ich komme heim vom Teich, wo ich Eis ausheben lasse für die Bukarester Bierwirte, und setze mich zum Essen hin. Mein Weib trägt mir Fleisch auf und dann einen süßen Reisbrei. Von dem mag ich aber nichts mehr essen, die Aniula jedoch, die auf meinem Schoß sitzt, greift begierig danach. Ich lasse das Kind bei der Speise und reite wieder rasch hinaus zu den Arbeitern. Etwa zwei Stunden bin ich dort, da kommt eine Magd gelaufen, schreckensbleich, das Kind liege im Sterben. Ich reite wie der Wind, aber wie ich komme, ist mein Töchterchen tot. Mein Weib hält es im Schoß und ist selbst tränenlos, starr und blaß wie eine Tote. Die Mariula, die alte Zigeunerin, steht daneben und sagt: ›Es waren Krämpfe, wie sie bei Kindern oft vorkommen!‹ Mir bricht fast das Herz, aber ich fasse mich, wie ein Mann soll. Ich ordne alles bezüglich der Aufbahrung an und gehe zum Popen. Dann komme ich heim, das Weib schicke ich schlafen, ich selbst aber setzte mich neben die Leiche hin und bleibe so die ganze Nacht. Nur die Kerzen knistern, und zuweilen höre ich, wie mein Weib seufzt; so vergeht die Nacht. Am Morgen ordne ich alles in der Wirtschaft, dann halte ich Gerichtstag in der Gemeindestube, wie meine Pflicht ist, und komme darauf heim. Da hockt mein Weib am Boden und starrt auf die Leiche, mit trockenen Augen, es ist etwas, wie der Wahnsinn darin. Ich will sie aufheben und trösten, da schreit sie aber wild: ›Rühr mich nicht an!‹ und stürzt hinaus. Ich schaue ihr verwundert nach, dann denke ich mir aber: ›Sie war immer so eigen und still, der Schmerz zeigt sich bei ihr auch in eigener Art.‹ Dann setze ich mich wieder hin, und da löst sich mein Schmerz, und ich habe lange geweint ... Tränen sind eine große Wohltat, seitdem habe ich nicht mehr weinen können ...«

Wieder starrt der Mann vor sich hin. Dann seufzt er tief auf und fährt fort:

»Im Zwielicht mache ich mich auf und gehe zum Popen, das letzte wegen der morgigen Bestattung zu besprechen. Ich gehe aber den Seitenpfad über die Äcker. Da höre ich hinter einer Hecke ein Wimmern. ›Wer ist da?‹ rufe ich. – ›Ich bin's, Mariula‹, erwidert die Hexe. ›Dich führt Gott her, Jancu, oder der Teufel. Aber gleichviel, wenn ich auch selbst an den Galgen muß, er und sie sollen mit. Hier liege ich, halbtot hat er mich geschlagen, der Alexa, weil ich mein ehrliches Geld von ihm gefordert habe, das Geld für das Gift, das ich der Xenia gegeben habe. Ist's denn meine Schuld, daß das Kind gestorben ist und nicht du? Mein Gift war ja doch gut!‹ – ›Hexe‹, schreie ich auf, ›was redest du da?‹ – ›O du Kluger!‹ höhnt sie. ›Ahnst du denn nichts? Weißt du denn nicht, daß dich dein Weib haßt, daß sie dich nur deiner Wirtschaft wegen genommen hat? Jeder andere ist ihr lieber als du, mit dem alten häßlichen Alexa hält sie's jetzt; sie haben dich vergiften wollen, ich habe ihnen das Gift verschafft.‹ Mir steht das Haar zu Berge. ›Du lügst!‹ schreie ich endlich. Sie lacht höhnisch. ›Überzeuge dich doch! Gehe heim und sage deinem Weib, daß du wegen deines Amtes in die Stadt mußt und erst morgen wiederkommst. Du aber komm dann in drei Stunden wieder, und ich wette, du findest die beiden beisammen.‹ ... Wie mir zumute war, das läßt sich nicht sagen. Ich gehe heim, lade meine Pistolen, lasse den zweiten Knecht einspannen und sage meinem Weib: ›Ich komme erst zur Bestattung wieder.‹ Aber beim nächsten Feldwirtshaus lasse ich halten und gehe dann heim durch die Sturmnacht. Das Fenster der Schlafkammer ist matt erleuchtet, ich trete heran, es ist nur der Lichtschein, der vom Katafalk durch die offene Tür fällt. Und« – der Erzähler stockt, dann schreit er mit entsetzlich heiserer Stimme auf – »fünf Schritte vor der Leiche sind die beiden beisammen gewesen! ... Ich seh's, drücke die Scheibe ein, ziele und schieße, erst sie, dann er, blitzschnell. Beide verröcheln in ihrem Blut. Dann gehe ich hinein und zerre seine Leiche fort, damit niemand den ungeheuren Frevel dieser beiden gewahre. Und dann stehe ich lange, lange und starre auf die Leichen. Da kichert's neben mir: ›Brav, Jancu, brav!‹ Die Mariula hatte sich hereingeschlichen. Da habe ich sie erwürgt, weil auch sie schuldig war. Dann bin ich zum Thodika gegangen ... Und nun bitte ich, wäre es nicht möglich, daß mir aus Gnade die Todesstrafe wird?«

Es war nicht möglich. Jancu wurde zu lebenslänglicher Zwangsarbeit in Okna verurteilt. Die Geschworenen hatten nach neunstündiger Beratung mit acht gegen vier Stimmen ihr Schuldig gesprochen. Es fehlte also nur eine Stimme zur Freisprechung.


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